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62 MMW-Fortschr. Med. Nr. 6 / 2012 (154. Jg.) MMW-NOTFALLCHECKLISTE Kopfplatzwunde M. MILLROSE, M. GESSLEIN Ein älterer Patient stolpert über eine Bordsteinkante, verliert das Gleich- gewicht und stürzt auf den Hinterkopf. Es beginnt sofort zu bluten, aber der Patient ist nicht bewusstlos. Ersthelfer vor Ort alarmieren den Rettungsdienst und drücken ein sauberes Taschentuch auf die Wunde. Vom Rettungsdienst wird ein „stiff-neck“ angelegt. © Dr. P. Marazzi / SPL / Agentur Focus _ Kopfplatzwunden sind häufige Be- gleitverletzungen bei Schädeltraumen. Die Ursachen sind bei jüngeren Patien- ten häufig Freizeitunfälle oder äußere Gewalteinwirkung, bei älteren ereignen sich Stürze häufig aus „inneren Ursa- chen“ heraus. Die Wunde entsteht durch direkte stumpfe Gewalteinwirkung. Auf- grund des geringen Subkutangewebes kommt es häufig zu einem Aufplatzen der Haut über der Schädelkalotte. Klinische Symptome Die Wundränder einer Kopfplatzwunde sind immer unregelmäßig begrenzt und häufig stark verschmutzt. In der Tiefe der Wunde sind meist noch erhaltene Gewebebrücken sichtbar. Blutungen im Bereich der Kopfhaut können stark aus- geprägt sein, da die Galea sehr gut durchblutet ist. Aufgrund der sensiblen Innervation der Kopfhaut sind Kopf- platzwunden sehr schmerzhaft. Wichtig ist die Diagnostik von Be- gleitverletzungen, insbesondere im Bereich der HWS, sowie anamnestische Hinweise auf begleitende neurologische Symptome des Schädelhirntraumas. Anamnese und Diagnostik Anamnese zur Sturzursache, Stärke der Gewalteinwirkung und begleitender Medikation (gerinnungshemmende Me- dikation!) Symptome einer intrakraniellen Ver- letzung? (Amnesie, Erbrechen, Pupillen- reaktion und -motorik) Untersuchung umgebender anatomi- scher Strukturen (Kalotte, Mittelgesicht, Augen, Ohren, HWS!) Inspektion der Platzwunde und tiefer- gelegener Strukturen (direkte/indirekte Frakturzeichen? Austritt von Liquor?) CCT bei klinischen Anzeichen für eine Fraktur oder SHT-Symptomatik bzw. Einnahme gerinnungshemmender Me- dikation. Wundversorgung Der Patient sollte zur Wundversor- gung auf einer Behandlungsliege mit leicht erhöhtem Oberkörper gelagert werden, da mit einer vegetativen Be- gleitsymptomatik wie Schwindel, Übel- keit und Hypotonie zu rechnen ist. Initiale Blutstillung durch Kompressi- on mit sterilen Kompressen. Eine ausrei- chende Kühlung, z. B. mit Kühlgelkis- sen, verringert die Weichteilschwellung und ermöglicht einen spannungsfreien, kosmetisch guten Wundverschluss. Besonders wichtig: ausgiebige Reini- gung von groben Verschmutzungen ver- bunden mit einer Spülung der Wunde. Zur Desinfektion alkoholbasierte Anti- septika (z. B. Octenisept, Lavasept etc.) verwenden. Der Wundverschluss erfolgt unter ste- rilen Bedingungen nach Ausschluss be- kannter Allergien und Unterspritzung der Wundränder mit einem Lokalanäs- thetikum (z. B. Carbostesin 0,5%). Die häufig zerfetzten Wundränder werden nach Friedrich débridiert. Stark blutende Gefäße der Kopfhaut werden entweder elektrokoaguliert oder mit resorbierbarem Nahtmaterial um- stochen. Bei Verletzungen im Gesicht: aus kos- metischen Gründen nur sehr sparsame Geweberesektion. Die Wundnaht erfolgt an der behaarten Kopfhaut in Einzel- knopftechnik, im Gesicht ggf. intraku- tan mit resorbierbarem Nahtmaterial. Bei Kindern kann alternativ an nicht exponierten Stellen des Kopfes eine Wundklebung mit Fibrinkleber erwogen werden. Der Wundverschluss sollte in jedem Fall ohne Spannung erfolgen, um Wund- heilungsstörungen zu vermeiden und ein gutes kosmetisches Ergebnis zu erzielen. Nicht resorbierbares Nahtmaterial wird am 10.–14. Tag entfernt. Bei länger zurückliegender Tetanusim- munisierung (> 10 Jahre) muss eine er- neute Immunisierung mit Toxoidimpf- stoff (z. B. Tetanol 0,5 ml i.m.) erfolgen. Besteht keine Grundimmunisierung, muss eine Simultanimpfung mit Teta- nus-Antitoxin (Tetagam 250 I.E.) kontralateral und fächerförmig um die Wunde herum erfolgen. Für die Verfasser: Dr. med. Michael Millrose, Klinik für Hand-, Replantations- und Mikro- chirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin, Warener Straße 7, D-12683 Berlin, E-Mail: [email protected] Koautor: Dr. med. Markus Gesslein, Klinikum Nürnberg Süd

Kopfplatzwunde

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Page 1: Kopfplatzwunde

62 MMW-Fortschr. Med. Nr. 6 / 2012 (154. Jg.)

MMW-NOTFALLCHECKLISTE

KopfplatzwundeM. Millrose, M. Gesslein

Ein älterer Patient stolpert über eine Bordsteinkante, verliert das Gleich-gewicht und stürzt auf den Hinterkopf. Es beginnt sofort zu bluten, aber der Patient ist nicht bewusstlos. Ersthelfer vor Ort alarmieren den Rettungsdienst und drücken ein sauberes Taschentuch auf die Wunde. Vom Rettungsdienst wird ein „stiff-neck“ angelegt.

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_ Kopfplatzwunden sind häufige Be­gleitverletzungen bei Schädeltraumen. Die Ursachen sind bei jüngeren Patien­ten häufig Freizeitunfälle oder äußere Gewalteinwirkung, bei älteren ereignen sich Stürze häufig aus „inneren Ursa­chen“ heraus. Die Wunde entsteht durch direkte stumpfe Gewalteinwirkung. Auf­grund des geringen Subkutangewebes kommt es häufig zu einem Aufplatzen der Haut über der Schädelkalotte.

Klinische SymptomeDie Wundränder einer Kopfplatzwunde sind immer unregelmäßig begrenzt und häufig stark verschmutzt. In der Tiefe der Wunde sind meist noch erhaltene Gewebebrücken sichtbar. Blutungen im Bereich der Kopfhaut können stark aus­geprägt sein, da die Galea sehr gut durchblutet ist. Aufgrund der sensiblen Innervation der Kopfhaut sind Kopf­platzwunden sehr schmerzhaft.

Wichtig ist die Diagnostik von Be­gleitverletzungen, insbesondere im Berei ch der HWS, sowie anamnestische Hinweise auf begleitende neurologische Symptome des Schädelhirntraumas.

Anamnese und Diagnostik■ Anamnese zur Sturzursache, Stärke der Gewalteinwirkung und begleitender Medikation (gerinnungshemmende Me­dikation!)■ Symptome einer intrakraniellen Ver­letzung? (Amnesie, Erbrechen, Pupillen­reaktion und ­motorik)

■ Untersuchung umgebender anatomi­scher Strukturen (Kalotte, Mittelgesicht, Augen, Ohren, HWS!)■ Inspektion der Platzwunde und tiefer­gelegener Strukturen (direkte/indirekte Frakturzeichen? Austritt von Liquor?)■ CCT bei klinischen Anzeichen für eine Fraktur oder SHT­Symptomatik bzw. Einnahme gerinnungshemmender Me­dikation.

Wundversorgung■ Der Patient sollte zur Wundversor­gung auf einer Behandlungsliege mit leicht erhöh tem Oberkörper gelagert werden, da mit einer vegetativen Be­gleitsymptomatik wie Schwindel, Übel­keit und Hypo tonie zu rechnen ist. ■ Initiale Blutstillung durch Kompressi­on mit sterilen Kompressen. Eine ausrei­chende Kühlung, z. B. mit Kühlgelkis­sen, verringert die Weichteilschwellung und ermöglicht einen spannungsfreien, kosmetisch guten Wundverschluss. ■ Besonders wichtig: ausgiebige Reini­gung von groben Verschmutzungen ver­bunden mit einer Spülung der Wunde. Zur Desinfektion alkoholbasierte Anti­septika (z. B. Octenisept, Lavasept etc.) verwenden.■ Der Wundverschluss erfolgt unter ste­rilen Bedingungen nach Ausschluss be­kannter Allergien und Unterspritzung der Wundränder mit einem Lokalanäs­thetikum (z. B. Carbostesin 0,5%). Die häufig zerfetzten Wundränder werden nach Friedrich débridiert.

■ Stark blutende Gefäße der Kopfhaut werden entweder elektrokoaguliert oder mit resorbierbarem Nahtmaterial um­stochen.■ Bei Verletzungen im Gesicht: aus kos­metischen Gründen nur sehr sparsame Geweberesektion. Die Wundnaht erfolgt an der behaarten Kopfhaut in Einzel­knopftechnik, im Gesicht ggf. intraku­tan mit resorbierbarem Nahtmaterial. ■ Bei Kindern kann alternativ an nicht exponierten Stellen des Kopfes eine Wundklebung mit Fibrinkleber erwogen werden. ■ Der Wundverschluss sollte in jedem Fall ohn e Spannung erfolgen, um Wund­heilungsstörungen zu vermeiden und ein gutes kosmetisches Ergebnis zu erzielen. ■ Nicht resorbierbares Nahtmaterial wird am 10.–14. Tag entfernt. ■ Bei länger zurückliegender Tetanusim­munisierung (> 10 Jahre) muss eine er­neute Immunisierung mit Toxoidimpf­stoff (z. B. Tetanol 0,5 ml i.m.) erfolgen. Besteht keine Grundimmunisierung, muss eine Simultanimpfung mit Teta­nus­Antitoxin (Tetagam 250 I.E.) kontra lateral und fächer förmig um die Wunde herum erfolgen.

Für die Verfasser:Dr. med. Michael Millrose, Klinik für Hand-, Replantations- und Mikro- chirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin, Warener Straße 7, D-12683 Berlin, E-Mail: [email protected]: Dr. med. Markus Gesslein, Klinikum Nürnberg Süd