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KUGELZAPFEN AUS NICHTROSTENDEM STAHL IM PKW-FAHRWERK Kugelgelenke kommen an vielen Stellen als zentrale Bauteile im Fahrwerk zum Einsatz. Die darin verbauten Kugelzapfen werden heute standardmäßig aus geglühtem Walzdraht in mehreren Stufen kaltfließgepresst, vergütet, spanend sowie spanlos bearbeitet und ein großer Teil davon abschließend nitriert. Gemeinsam mit Partnern hat ZF eine Lösung für den Einsatz von nichtrostendem Stahl für diese Bauteile gefunden. 74 SPECIAL WERKSTOFFE

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KUGELZAPFEN AUS NICHTROSTENDEM STAHL IM PKW-FAHRWERKKugelgelenke kommen an vielen Stellen als zentrale Bauteile im Fahrwerk zum Einsatz. Die darin verbauten

Kugelzapfen werden heute standardmäßig aus geglühtem Walzdraht in mehreren Stufen kaltfließgepresst,

vergütet, spanend sowie spanlos bearbeitet und ein großer Teil davon abschließend nitriert. Gemeinsam mit

Partnern hat ZF eine Lösung für den Einsatz von nichtrostendem Stahl für diese Bauteile gefunden.

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SPECIAL WErKSToFFE

Werkstoffe

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ZIELSETZUNG

Schon lange besteht der Wunsch nach einer robusten Lösung mit Kugelzapfen aus nichtrostenden Stählen, die preislich nicht deutlich über den bislang verwende­ten nitrierten Zapfen liegen dürfen. Aus­tenitische nichtrostende Stähle für Kugel­zapfen haben sich aufgrund der mangel­haften tribologischen Eigenschaften und des Preises bis heute nicht durchgesetzt.

Für die großtechnische Umsetzung wurde Walzdraht aus einem genormten ferritischen Cr­Stahl mit der Werkstoff­nummer 1.4003 eingesetzt, dessen che­mische Zusammensetzung in Kombina­tion mit einem angepassten Walzprozess auf die Anforderungen ausgelegt wurde. Die mechanisch­technischen Eigenschaf­ten dieser Zapfen sind mit konventionell gefertigten Bauteilen aus Vergütungs­stahl vergleichbar.

Bei der konventionellen Herstellung von Kugelzapfen wird als Vormaterial ein geglühter Vergütungsstahl in Form von Walzdraht eingesetzt und durch Kalt­fließpressen zu einem Kugelzapfenroh­ling in mehreren Stufen umgeformt. Die erforderliche Festigkeit und Zähigkeit des Bauteils wird durch eine nachträgli­che Vergütungsbehandlung ein gestellt. Zum Schluss werden die Zapfen durch Drehen und (Gewinde­) Rollen bearbei­tet. Seit etwa zwanzig Jahren hat sich, besonders bei Fahrzeugen der Ober klasse, die komplette Beschichtung der Kugel­zapfen gegen Korrosion durchgesetzt [1].

Ein genereller Nachteil der Beschich­tungsverfahren ist, dass der Grundwerk­stoff, zum Beispiel nach einer Beschädi­gung der Beschichtung, weiterhin korro­dieren kann. Im Falle einer Nitrierung ist die nitrierte Randschicht extrem hart/fest (600HV0,3) und das E­Modul sehr hoch (circa 450 GPa). So kann die nit­rierte Randschicht bereits bei geringer plastischer Verformung des Grundwerk­stoffs beschädigt werden und so die Kor­rosionsstandzeit des Bauteils erheblich reduzieren. Die Auslegung erfolgt des­halb so, dass es selbst bei Sonderfahr­manövern nicht zu Oberflächenschädi­gungen kommt.

Aus den geschilderten Gegebenheiten wird ersichtlich, dass der dringende Wunsch nach alternativen Lösungen besteht. Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Kugelzapfen aus nichtrostenden Stählen.

HERSTELLUNG VON KUGELZAPFEN

Ein Kugelgelenk muss die geforderten Gelenkeigenschaften bei wettbewerbs­fähigen Kosten dauerhaft darstellen. Bei der Werkstoffauswahl für die Kugel zapfen ist eine Kombination von vielen Anforderungen und Eigenschaf­ten wie Bearbeitbarkeit, statische, dyna­mische und schwingende Belastung, Medien beständigkeit, Kontaktkorro­

sion, Tribologie und Fettverträglichkeit zu berücksichtigen.

Basierend auf dem Cr­Stahl 1.4003 hat ZF einen niedrigstgekohlten ferritischen Cr­Stahl mit der internen Bezeichnung X1CrNi12 entwickelt, der alle Anforde­rungen erfüllt, wie nachfolgend gezeigt

Der für die Herstellung der Kugelzap­fen eingesetzte Walzdraht wird nach dem Warmwalzen auf die Endabmes­sung so kontrolliert abgekühlt, dass die nötigen Materialeigenschaften direkt – ohne anschließende Wärmebehandlung – eingestellt werden. Dabei ist die Abstim­mung der chemischen Zusammenset­zung mit den Prozessparametern beim Walzen entscheidend.

Der Walzdraht wird für die Kalt ­massivumformung anschließend gebeizt, beschichtet, auf das gewünschte Maß gezogen und in einem fünf­ oder sechsstu­figen Kaltumformprozess zu Rohlingen gepresst. Durch die Wahl des Drahtabzugs vor der Kaltumformung und die Ausle­gung der einzelnen Umformstufen lassen sich die örtlichen mechanisch­technschen Eigenschaften des Bauteils einstellen.

Die Pressrohlinge werden in Drehauto­maten teilweise oder komplett überdreht. Anschließend erfolgt sowohl das Gewin­derollen als auch das Glätten der Kugel auf Standard­Rollmaschinen.

KUGELZAPFEN AUS X1CRNI12

Ein Beispiel eines anspruchsvollen Kugel­zapfens mit hinterschnittenem Hals und schon auf Fertigmaß fließgepresstem Kegel, Gewinderolldurchmesser, Fase und Innensechskant zeigt ❶. Ausgehend von einem Walzdraht mit einer Fließ­spannung von circa 600 MPa und einer Zugfestigkeit von circa 800 MPa konnten hohe Stückzahlen ohne nennenswerten Werkzeugverschleiß oder Werkzeug­brüche abgepresst werden.

Im Gewindebereich der Kugelzapfen wird, um ein sicheres Fixieren der Kugel­zapfen am Hilfsrahmen oder Achsschen­kel zu gewährleisten, bei nitrierten Kugelzapfen eine Mindestfestigkeit von 820 MPa gefordert. Die am Längsschliff ermittelten Härtewerte sind in ❷ dar­gestellt. Die geforderte Mindestfestigkeit wurde im Gewindebereich mit umgewer­tet über 1000 MPa deutlich überschritten. Die zusätzlich an Klein­Zugproben (aus dem Kugelzapfen entnommen) ermittelte Fließspannung betrug 625 MPa bei einer Zugfestigkeit von 825 MPa.

AUTorEN

DR.-ING. JOCHEN KRUSEist Projektingenieur im Center of

Competence, Structural Parts der Business Unit Chassis Components

der ZF Friedrichshafen AG am Standort Dielingen.

DIPL.-WERKSTOFF-ING. STEPHAN HASLER

ist research- und Development-Manager bei der Swiss Steel AG in

Emmenbrücke, Schweiz.

DR.-ING. VOLKER DÜNKEList Leiter Forschung und Entwicklung

der Fuchs Schraubenwerk GmbH in Siegen.

10I2013 115. Jahrgang 75

Werkstoffe

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In den Gelenken werden die Kugel­zapfen vornehmlich auf wechselnde Bie­gung beansprucht. Die Dauerfestigkeit der Kugelzapfen wurde in einstufigen Wöhlerversuchen unter Biegewechsellast (R = ­1) bestimmt, wobei die Dauerfes­tigkeit bei 2 ⋅ 106 Lastspielen definiert ist. In ❸ sind die 50­%­Bauteilwöhlerlinien für Kugelzapfen aus X1CrNi12 und 41CrS4+QT (vergütet auf 950 MPa) glei­cher Geometrie gegenüber gestellt. Die offenen Symbole stellen zwei Durchläu­fer ohne Versagen dar.

Die Dauerfestigkeit der Edelstahlkugel­zapfen übersteigt, trotz um 40 MPa gerin­gerer Fließspannung, deutlich die der Kugelzapfen aus dem Vergütungsstahl. Sie liegt aber unterhalb der Dauerfestig­keit der nitrierten Zapfen. Die Bruchlast­spielzahl ist somit circa zehnmal größer als nach dem Lastenheft gefordert. Die trotz geringerer Fließspannung größere Dauerfestigkeit des X1CrNi12 gegenüber dem 41Cr4 lässt sich auf das günstigere globulare Gefüge und das feinere Korn zurückführen [2].

Im Fahrwerkbereich sollen sich defi­nierte Bauteile bei übermäßiger Bean­spruchung duktil verformen. Falls der Kugelzapfen diese Aufgabe übernimmt, darf er nicht verformungsarm versagen.

Um dieses Kriterium zu überprüfen, wurde das Verhalten der Kugelzapfen aus X1CrNi12 bei schlagender Beanspru­chung bei tiefen Temperaturen im Fall­hammertest untersucht. ❹ zeigt die Bestimmung der Zapfendurchbiegung. Die Kugelzapfen konnten mit bis zu 700 J beaufschlagt werden und waren mit 11 bis 12 mm bereits so stark ver­bogen, dass eine weitere Prüfung mit höheren Energien nicht mehr möglich war. Optisch, aber auch im metallogra­

phischen Längsschliff konnten keine Risse festgestellt werden.

Die im Fahrwerkbereich bevorzugt eingesetzten Werkstoffe sind Alumini­umschmiedelegierungen, Stähle und Gusseisen. Da sich die Edelstahlkugel­zapfen in der elektrochemischen Span­nungsreihe deutlich von diesen Werk­stoffen unterscheiden, wurden Kugelzap­fen­Rohlinge aus X1CrNi12 in Scheiben aus Aluminium (AlMgSi1­F40) und Grau­guss (EN GJS­500­7, alt GGG40) mit gal­vanisch beschichteten Schrauben verbaut und bis zu zehn Zyklen im VDA­Wech­selklimatest (VDA 621–415) beziehungs­weise bis zu 480 h im neutralen Salz­sprühtest (DIN EN ISO 9227) ausgelagert.

Die Ergebnisse zwischen Salzsprühtest und Wechselklimatest unterscheiden sich nicht signifikant. Bei beiden Test­

verfahren sind die Edelstahlzapfen und die dazugehörigen Muttern nur gering korrodiert. Nach dem Korrosionstest wurden die Muttern gelöst. Die Mutter auf dem Edelstahlzapfen konnte nach dem Lösen mit dem Drehmomentschlüssel per Hand vom Zapfen gedreht werden.

Um das Korossionsverhalten der Ver­bindung zu einem Radträger, Lenker oder Schwenklager nachzustellen, wur­den X1CrNi12­Zapfen in einem Stab aus

❷ Aus der Härte nach DIN EN ISO 18265 Tabelle A1 umgerechnete Zugfestigkeiten in MPa an verschiedenen Messpunkten im Längsschliff

❶ Aus X1CrNi12 gepresster Kugel­zapfenrohling mit Halshinterschnitt und Innensechskant

❸ Vergleich der Dauerfestigkeit von Kugelzapfen aus 41Cr4+QT (vergütet und nitriert) und X1CrNi12. Ferner die Soll­Vorgabe nach Lastenheft (R = ­1; offene Symbole: Durchläufer)

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SPECIAL WErKSToFFE

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Grauguss mittels einer Klemmverbin­dung verbaut und für zehn Zyklen im VDA­Wechselklimatest korrodiert. Im Anwendungsfall ist zu berücksichtigen, dass das Gelenk mit einem Balg abge­dichtet wird. Auch dort war der Grau­gussstab recht stark korrodiert, während die Kugeloberfläche des X1CrNi12­Zap­fens nach Polieren mit einem weichen Tuch immer noch glänzend war, ❺.

Ein weiteres Maß für die Bewertung der Kontaktkorrosion ist das elektroche­mische Potenzial. Ein großer Potenzial­unterschied zwischen zwei Metallen bedeutet eine große Tendenz der Auflö­sung des unedleren Metalls. Das elektro­chemische Potenzial von verschiedenen Kugelzapfen wurde bei Raumluft in belüftetem Salzwasser (250 g NaCl in 1000 g Wasser) gegen die Aluminium­legierung AlSiMg1 geprüft. Ein nicht beschichteter Zapfen besitzt ein Poten­zial von +0,15 V. Der hinsichtlich Kon­taktkorrosion günstigste nichtrostende Stahl ist der X1CrNi12 mit einem Poten­zial von +0,35 V. Nitrierte Zapfen mit GNC­ beziehungsweise QP­Beschich­tung besitzen schon ein Potenzial von circa +0,5 V. Der austenitische Stahl X3CrNiCu18­9­4 besitzt in diesem Ver­gleich mit +0,55 V das größte elektro­chemische Potenzial.

Gelenke, die mit Kugelzapfen aus X1CrNi12 verbaut wurden, zeigen die gleichen Gelenkeigenschaften (gemäß Lastenheft des AK­LH 14 [3]) wie Gelenke mit nitrierten Zapfen. Werden hingegen Zapfen aus austenitischen

Edelstählen verbaut, so zeigen Prinzip­versuche an einem Kugel­Prismar­Tribo­meter, dass es sehr schnell zu einem Fressen zwischen Zapfen und Kugel­schale kommt. In ❻ sind die gemessenen Reibwerte über den Reibweg für Kugeln aus beiden Stählen dargestellt. Sowohl das Fett als auch der Werkstoff der Lagerung bestehen aus Serienmaterial.

Die Reibwerte des ferritischen Stahls sind konstant, während die Reibwerte des austenitischen Stahls sehr stark schwanken, was auf ein Fressen der Reibpartner hindeutet. Nach dem Versuch verfärbte sich das Gelenkfett bei den austenitischen Zapfen dunkel, während es bei dem Zapfen aus X1CrNi12 hell blieb.

DISKUSSION

Es konnte gezeigt werden, dass die Prozesskette bei der Herstellung von Kugelzapfen durch einen optimierten Werkstoff unter der Berücksichtigung der komplexen Anforderungen ganz erheblich verkürzt werden kann. Mit dem Einsatz des nichtrostenden Stahls X1CrNi12 können die Herstellschritte Glühen, Vergüten und Beschichten ein­gespart werden. Die Bauteile können dabei mit den konventionellen Maschi­nen und Werkzeugen ohne wesentlichen Mehraufwand bearbeitet werden. Die Eigenschaften derartiger Kugelzapfen sind vergleichbar mit konventionell her­gestellten Teilen aus Vergütungsstahl mit nachfolgender Nitrierung und erfüllen alle Anforderungen an das Produkt.

LITERATURHINWEISE[1] Kruse, J.: Spurstangenkomponenten, Werkstoffe und Herstellung im Wandel der Zeit. In: 14. Sächsi-sche Fachtagung Umformtechnik, Freiberg, 4. – 5.12.2007[2] N. N.: DVM-Bericht 127: Mit Kerben leben? DVM 2000[3] N. N.: Arbeitskreis-Lastenheft: Fahrwerkgelenke AK-LH 14: Arbeitskreis der Unternehmen Audi AG, BMW AG, DaimlerChrysler AG, Porsche AG und Volkswagen AG, Dezember 2004

❻ Im Kugel­Prisma­Tribometer bestimmte Reibwerte für den austenitischen Stahl X3CrNiCu18­9­4 und den ferritischen Stahl X1CrNi12 gegen gefettetes PO

❹ Messung der rissfreien Zapfendurchbiegung (11,6 mm) nach Fallhammerversuch bei ­40 °C und 700 J

❺ Korrosionsbild eines Zapfens aus X1CrNi12 nach zehn Zyklen im VDA­Wechselklimatest eingebaut in EN GJS­500­7 (alt GGG40)

DOWNLOAD DES BEITRAGSwww.springerprofessional.de/ATZ

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10I2013 115. Jahrgang 77