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GoBritain 3/2001 74 KULTUR Als ich sie an jeder Ecke vermisste und als die Erinnerung an sie stündlich durch das unschuldige, aber störende Geplapper meiner Kinder wachgerufen wurde, versichere ich Ihnen, […], das ich Freude im Gedanken fand […], dass auch unser Herr über seinen verstorbenen Freund weinte… …schrieb Patrick Brontë an einen Freund, kurz nachdem seine Frau Maria im September 1821 nach neunmonatiger schwerer Krankheit gestorben war. Das sollte aber nur der erste Schicksal- schlag sein, den er im Laufe seines Lebens zu erdulden hatte. Seine sechs Kinder überlebend, konnte er nicht ahnen, dass das Talent seiner Kinder, diese in die Literaturgeschichte und ihn selbst in unzählige Biographien über seine Familie hineinkatapultieren sollte. Denn die Töchter waren nicht irgendwer, sondern die „taubengrauen Schwestern“, wie sie einst ein Biograph nannte. Die Rede ist von Charlotte, Emily und Anne Brontë, deren Ro- mane „Jane Eyre“, „Wuthering Heights“ und „Agnes Grey“ nicht nur in England zur Pflichtlektüre gehören. Über die „taubengrauen Schwestern“ ist viel geschrieben wor- den, doch über den Vater, der die beherrschende Figur der Fami- lie gewesen ist, weiß man nur wenig. In älteren Biographien wird er wiederholt als Tyrann und Unterdrücker der kindlichen Talente charakterisiert, der Zeit seines Lebens unter Alkoholismus litt. Dieses Bild gilt es zu objektivieren. Ohne Zweifel war er ein wil- lenstarker Mann und diese Willenstärke vermittelte er auch sei- nen Kindern, denn schließlich ist es ihm aus eigener Kraft gelun- gen, die bäuerlichen Verhältnisse seines irischen Heimatdorfes Drumballyroney in der Grafschaft Down, etwa 40 Kilometer südlich von Belfast gelegen, zu überwinden. Dort wurde er am St.Patrick’s Day des Jahres 1777 geboren. Seine Eltern gehörten zu einer protestantischen Minderheit. Patrick genoss eine, zumin- dest spärliche, schulische Bildung, die er konsequent in Eigen- regie weiterentwickelte. Bereits als Jugendlicher nahm er die Gewohnheit an, niemals mehr als sechs Stunden pro Nacht zu schlafen, um mehr vom Tag zu haben. Abends, nach seiner Arbeit auf dem elterlichen Hof, lernte er aus Büchern Latein und Alt- griechisch und begann, Söhne des Landadels zu unterrichten, was ihm ein spärliches Gehalt einbrachte. Mit 25 Jahren wanderte er nach England aus und studierte in Cambridge. Nach seiner Priesterweihe und der Heirat mit Maria Branwell übernahm er Anfang 1819 das Vikariat der St. Michael-and-All- Angels-Kirche in Haworth, Yorkshire. Das außergewöhnliche Leben der Familie, dass heute noch Interesse in aller Welt weckt, sollte hier seinen Ausgangs- und Schlusspunkt finden. Die Gegend um Haworth ist vom rauen Klima des Nordens geprägt. Zu Patricks Lebzeiten war die Gegend vor allem für die Armut der Arbeiter bekannt. Auf der Höhe erstreckten sich die „moors“, die Emily in „Wuthering Heights“ mit einer Eindringlichkeit beschrieb, die heute noch verstört. Von der einen Seite des Pfarr- und gleichzei- tigen Wohnhauses der Brontës sieht man auf die Heide, von der anderen auf den dorfeigenen Friedhof. Alle empfanden ihr Heim, abgeschnitten von treibendem kulturellen Leben, als deprimie- rend und trotzdem konnten sie nur hier glücklich sein. Sie liebten einander genauso abgöttisch, wie sie Haworth liebten. Keines der Kinder ist jemals weggezogen. Sobald sie sich einige Wochen oder Monate in andere Städten aufgehalten hatten – Charlotte und Emily lebten eine Zeitlang sogar in Brüssel – kehrten sie zurück. Nach dem Tode seiner Frau versuchte Patrick, vergeblich, sich wieder zu verheiraten, um den Kindern eine neue Mutter zu ge- ben, die zumindest die Erziehung der fünf Töchter übernehmen sollte. Nach Scheitern dieses Vorhabens schickte Patrick seine vier ältesten Töchter (Maria, Elizabeth, Charlotte und Emily) nach Cowan Bridge, einer Internatsschule für arme Klerikertöchter, ein Fotos/Illustration: Archiv P atrick B rontë Vater des Mythos …in der Ferne müsste man das Moor sehen mit seinen kühlen, dunklen Tälern, nahebei aber sanfte Hügel mit hohen Gräsern, in die der Wind Wellenlinien zaubert… Emily Brontë: Wuthering Heights Von Sneˇ zana ˇ Simiˇ ci´ c Abbildungen aus: Parker/Birdsall, Die Welt der Brontës, Insel Verlag

Kultur_Bronte

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Portrait über Patrick Brontë, den Vater von Charlotte, Emily und Anne Brontë, deren Romane „Jane Eyre“, „Wuthering Heights“ und „Agnes Grey“ nicht nur in England zur Pflichtlektüre gehören.

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Page 1: Kultur_Bronte

GoBritain 3/200174

K U LT U R

Als ich sie an jeder Ecke vermisste und als die Erinnerung

an sie stündlich durch das unschuldige, aber störende

Geplapper meiner Kinder wachgerufen wurde, versichere ich

Ihnen, […], das ich Freude im Gedanken fand […], dass

auch unser Herr über seinen verstorbenen Freund weinte…

…schrieb Patrick Brontë an einen Freund, kurz nachdem seine

Frau Maria im September 1821 nach neunmonatiger schwerer

Krankheit gestorben war. Das sollte aber nur der erste Schicksal-

schlag sein, den er im Laufe seines Lebens zu erdulden hatte. Seine

sechs Kinder überlebend, konnte er nicht ahnen, dass das Talent

seiner Kinder, diese in die Literaturgeschichte und ihn selbst in

unzählige Biographien über seine Familie hineinkatapultieren

sollte. Denn die Töchter waren nicht irgendwer, sondern die

„taubengrauen Schwestern“, wie sie einst ein Biograph nannte.

Die Rede ist von Charlotte, Emily und Anne Brontë, deren Ro-

mane „Jane Eyre“, „Wuthering Heights“ und „Agnes Grey“ nicht nur

in England zur Pflichtlektüre gehören.

Über die „taubengrauen Schwestern“ ist viel geschrieben wor-

den, doch über den Vater, der die beherrschende Figur der Fami-

lie gewesen ist, weiß man nur wenig. In älteren Biographien wird

er wiederholt als Tyrann und Unterdrücker der kindlichen Talente

charakterisiert, der Zeit seines Lebens unter Alkoholismus litt.

Dieses Bild gilt es zu objektivieren. Ohne Zweifel war er ein wil-

lenstarker Mann und diese Willenstärke vermittelte er auch sei-

nen Kindern, denn schließlich ist es ihm aus eigener Kraft gelun-

gen, die bäuerlichen Verhältnisse seines irischen Heimatdorfes

Drumballyroney in der Grafschaft Down, etwa 40 Kilometer

südlich von Belfast gelegen, zu überwinden. Dort wurde er am

St. Patrick’s Day des Jahres 1777 geboren. Seine Eltern gehörten

zu einer protestantischen Minderheit. Patrick genoss eine, zumin-

dest spärliche, schulische Bildung, die er konsequent in Eigen-

regie weiterentwickelte. Bereits als Jugendlicher nahm er die

Gewohnheit an, niemals mehr als sechs Stunden pro Nacht zu

schlafen, um mehr vom Tag zu haben. Abends, nach seiner Arbeit

auf dem elterlichen Hof, lernte er aus Büchern Latein und Alt-

griechisch und begann, Söhne des Landadels zu unterrichten, was

ihm ein spärliches Gehalt einbrachte. Mit 25 Jahren wanderte er

nach England aus und studierte in Cambridge.

Nach seiner Priesterweihe und der Heirat mit Maria Branwell

übernahm er Anfang 1819 das Vikariat der St. Michael-and-All-

Angels-Kirche in Haworth, Yorkshire. Das außergewöhnliche Leben

der Familie, dass heute noch Interesse in aller Welt weckt, sollte

hier seinen Ausgangs- und Schlusspunkt finden. Die Gegend um

Haworth ist vom rauen Klima des Nordens geprägt. Zu Patricks

Lebzeiten war die Gegend vor allem für die Armut der Arbeiter

bekannt. Auf der Höhe erstreckten sich die „moors“, die Emily in

„Wuthering Heights“ mit einer Eindringlichkeit beschrieb, die

heute noch verstört. Von der einen Seite des Pfarr- und gleichzei-

tigen Wohnhauses der Brontës sieht man auf die Heide, von der

anderen auf den dorfeigenen Friedhof. Alle empfanden ihr Heim,

abgeschnitten von treibendem kulturellen Leben, als deprimie-

rend und trotzdem konnten sie nur hier glücklich sein. Sie liebten

einander genauso abgöttisch, wie sie Haworth liebten. Keines der

Kinder ist jemals weggezogen. Sobald sie sich einige Wochen oder

Monate in andere Städten aufgehalten hatten – Charlotte und

Emily lebten eine Zeitlang sogar in Brüssel – kehrten sie zurück.

Nach dem Tode seiner Frau versuchte Patrick, vergeblich, sich

wieder zu verheiraten, um den Kindern eine neue Mutter zu ge-

ben, die zumindest die Erziehung der fünf Töchter übernehmen

sollte. Nach Scheitern dieses Vorhabens schickte Patrick seine vier

ältesten Töchter (Maria, Elizabeth, Charlotte und Emily) nach

Cowan Bridge, einer Internatsschule für arme Klerikertöchter, ein

Foto

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PatrickBrontë

Vater des Mythos

…in der Ferne müsste man das Moor sehen mit seinen

kühlen, dunklen Tälern, nahebei aber sanfte Hügel

mit hohen Gräsern, in die der Wind Wellenlinien zaubert…Emily Brontë: Wuthering Heights

Von Snezana Simicic

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Page 2: Kultur_Bronte

GoBritain 3/2001 75

Werner WaldmannDie SchwesternBrontërororo Bildmonographien

ISBN 3-499-50456-1, DM 12,90Werner Waldmann versteht es, in liebevoller Sprache ein bewegen-des Bild der Familie zu zeichnen. Insgesamt eine hervorragende Ein-stiegslektüre.

Sally SchreiberDie GeschwisterBrontëdtv portraitISBN 3-423-31012-xDM 14,90

Das Buch besticht durch das un-gewöhnliche Layout: Graphischund farblich ist hier die Biographievon gesonderten Originaltextengetrennt. Das macht Lust auf eineweitergehende Beschäftigung.

Robert de TrazDie Familie Brontë:Eine Biographieinsel TaschenbuchISBN 3-458-33248-0DM 19,90

In dem 1939 erschienenen Werkist die Lebens- und Werkgeschich-te der Familie in Form verschiede-ner Essays erzählt. Beachtenswertist die Auseinandersetzung mitdem schriftstellerischen Werk derSchwestern.

Elsemarie MaletzkeDas Leben der Brontësbtb TaschenbuchISBN 3-442-72602-6DM 22,00

Elsemarie Maletzke ist die wichtigs-te deutsche Biographin der Familie.Sehr gut ist die kritische Auseinan-dersetzung mit älteren Biographien.Für eine vertiefte Beschäftigungunentbehrlich.

Elsemarie MaletzkeChristel SchützDie SchwesternBrontë. Leben und Werk inTexten und Bilderninsel Taschenbuch

ISBN 3-458-32514-x, DM 22,80Diese Biographie lebt von den Orginalzitaten der gedruckten undungedruckten Schriften und Zeug-nissen der Familienmitgliedernund ihrer Zeitzeugen. Der Leser ist in wunderbarer Art und Weise„gezwungen“, sich ein eigenesBild zu machen.

Paul ParkerJames BirdsallDie Welt derBrontësInsel-Verlag

ISBN 3-458-16881-8, DM 39,80Der Bildband enführt den Leser mitbeeindruckenden Photographienin die Heimat der Familie. Die Auf-nahmen vermitteln die zwiespältigeAtmosphäre der Hochmoorland-schaft, die zugleich bedrückendals auch wunderschön ist.

Elizabeth GaskellDas Leben der Charlotte Brontë dtvISBN 3-423-20048-0DM 24,90

Diese Biographie wurde von Patrickin Auftrag gegeben. Die Autorinwar Charlotte über Jahre eine ver-traute Freundin.

Emily BrontëSturmhöhe, unge-kürzt gelesen vonGert WestphalLitraton, 14 CDs

ISBN 3-89469-964-7, DM 156,00Gert Westphal gelingt es die schau-rige Stimmung des Romans, diedurch die Liebe, Hass und nichtzuletzt die düstere Atmosphäreder Moorlandschaft hervorgerufenwird, lebendig zu machen.

Schritt, den er Zeit seines Lebens bereuen sollte, denn mit diesem

Entschluss hatte er, zwar ungewollt, dennoch de facto, das Todes-

urteil der beiden Älteren unterschrieben. Maria und Elizabeth

steckten sich, bedingt durch die katastrophale hygienische Situa-

tion des Hauses, an Tuberkulose an. Innerhalb eines Monats

starben beide im Alter von elf und zehn Jahren.

Nach dieser Tragödie nahm Patrick die Erziehung selbst in die

Hand, schließlich hatte er seine Position auch nur seinem eigenen

Ehrgeiz zu verdanken. In der Abgeschiedenheit von Haworth

brachte er seinen übriggebliebenen Kinder alles bei, was er selbst

wusste. Und er förderte ihre Phantasie, was zu der literarischen

Entwicklung der Töchter beitrug. An den langen Abenden er-

zählte er ihnen stundenlang Geschichten über Kobolde, Hexen

und Geister, las ihnen aus Zeitungen vor und diskutierte mit ih-

nen über Politik- und Glaubensfragen. Das Gehörte ließ er sie am

folgenden Tag niederschreiben. Dieses Vorgehen förderte ihre

Kreativität. Möglich, dass er selbst unter seinem mangelnden Er-

folg als Schriftsteller litt, die geistige Förderung der Kinder war

trotzdem sein erklärtes Ziel. In den Jahren 1811 und 1813 waren

„Cottage Poems“ und „The rural minstrel“, Sammlungen seiner Ge-

dichte, erschienen. Außerdem wurden die Romane „The Cottage in

the wood“ (1815) und ein Jahr darauf „The maid of Killarney“

publiziert. Die Werke offenbaren zwar stilistische Feinheiten, sind

literarisch aber weder damals noch heute von Bedeutung.

Sein besonderer Stolz war sein einziger Sohn Branwell. Die Bio-

graphen sind sich zumindest in dem Punkt einig, dass er ein

Mensch mit außergewöhnlichen Talenten war. Fast alles hatte er

ausprobiert, versuchte sich als Schriftsteller und Maler (sein Säu-

lenportrait der Schwestern Anne, Emily und Charlotte hängt heu-

te in der National Portrait Gallery in London.). Doch das einzige

Talent, was ihm zeitlebens fehlte, war die Begabung, seine Talente

auch zu nutzen. Er wusste nie, was er mit seinem Leben anfangen

sollte. Sein kurzes Leben – er starb mit 31 Jahren – endete an den

Folgen seiner Alkohol- und Opiumsucht.

Drei Jahre lang war er von seiner Familie im Hause gepflegt

worden, er selbst dankte es ihnen mit Terror. Nach einem vorläu-

figen Höhepunkt, als er betrunken sein Bett in Brand steckte und

Emily ihm sein Leben und ihnen das Haus rettete, beschloss

Patrick, ihn in seinem Zimmer schlafen zu lassen und schloss sich

jede Nacht mit ihm ein. Es muss unerträglich gewesen sein; mehr

als einmal verkündete Branwell, dass am nächsten Morgen nur

einer der Beiden noch am Leben sein würde. Sein Tod am

24. September 1848 lässt Patrick förmlich verzweifeln. Branwell

war sein einziger Sohn und ganzer Stolz; und doch leutete sein

Tod nur das furchtbare Jahr ein, an dessen Ende Patrick alleine

mit Charlotte übrig bleiben würde.

B R O N T Ë - M U S E U MDas Pfarrhaus in Haworth, wo die Familie den größten Teil ihres Lebensverbracht hat, ist heute ein Museum. Die Einrichtung ist zum größtenTeil originalgetreu; eine umfassende Bibliothek steht zu Forschungs-zwecken zur Verfügung.Öffnungszeiten: 10 –17.30 Uhr (April – Sept.), 11–17 Uhr (Okt.– März)Eintritt: Erwachsene £ 4,80, Studenten £ 3,50, Kinder £ 1,50.

The Brontë Parsonage MuseumTel.: +44 (1535) 642323 · Fax: +44 (1535) 647131eMail: [email protected] · Internet: www.bronte.org.uk

Er floss über vor Lebenskraft und Enthusiasmus,

war ein Dichter und prächtiger Redner, begabt mit treffender,

manchmal sarkastischer Schlagfertigkeit, dessen

geheime Melancholie unter gewinnender Offenherzigkeit

verborgen war. Charlotte Maurat über Patrick in „The Brontë’s secret“

Page 3: Kultur_Bronte

GoBritain 3/200176

Während Branwells Beisetzung erkältet sich Emily und folgt

ihm nicht ganz drei Monate später. Auch Anne, die Jüngste der

Geschwister, wird immer schwächer. Sie reist im Mai an die See,

mit der Hoffnung, doch ohne Chance auf Heilung. Sie stirbt in

Scarborough und wird dort auch beigesetzt. Als einzige liegt sie

nicht auf dem Friedhof in Haworth.

Es kommen Jahre der Trauer, die aber von innerem Frieden

geprägt sind. Charlotte beschließt, trotz ihrer literarischen Ambi-

tionen (Sie war die einzige, die zu Lebzeiten bereits Erfolg als

Schriftstellerin hatte. Ihr Roman „Jane Eyre“ war über Nacht be-

rühmt geworden.) bei ihrem Vater zu bleiben und ihn zu pflegen –

er war von zwei Schlaganfällen und einer Grauen Star-Operation

gezeichnet. Sie willigt dem Antrag des Vikars Arthur Bell Nicholls

ein und wird dessen Ehefrau, aber nicht ohne väterliche Ein-

wände. Obwohl Nicholls sein Amt bereits seit sieben Jahren inne-

hatte und Patrick in den schweren Zeiten immer mit Trost zur

Seite stand, wiedersetzte sich Charlottes Vater der Heirat. Ob nun

Stolz, Wut, Trauer oder die Angst vor dem Verlust seines letzten

Kindes der Grund gewesen sein mag, letztendlich ist er gegen die

Eheschließung machtlos.

Seine Furcht vor dem Tod Charlottes sollte sich bewahrheiten:

Nach nur wenigen Monaten erwartet sie ein Kind, und im neun-

ten Monat der Ehe stirbt sie mit 39 Jahren. Ob sie unverheiratet

länger gelebt hätte ist zweifelhaft, denn auch sie erkrankte an der

Schwindsucht, einer zu jener Zeit nicht ungewöhnlichen Krank-

heit, die fast immer tödlich endete, zumal die hygienschen Bedin-

gungen in Haworth, nicht nur durch die schlechte Kanalisation

des Friedhofes, als katastrophal zu bezeichnen sind.

Patrick bleibt allein zurück. Er hatte seine Familie in Irland ver-

lassen und eine neue in England gegründet, die nun ihn verlassen

hat. Der unliebsame Schwiegersohn bleibt noch weitere sechs

Jahre, bis Patrick im hohen Alter von 84 stirbt. Am 7. Juni 1861

endet die Geschichte der Familie, die von so viel Leid gezeichnet

war. Und doch war es letztendlich das Leid, dass sie zum Mythos

machte und die Literatur bereicherte. <

K U LT U R Books

Susanna Jones

WO DIE ERDE BEBTEine Leiche wirdgefunden, dochwer ist der Mör-der? Mit diesereinfachen Fragehat der Romanvon Susanne Jones im Grundenichts zu tun, auch wenn in typi-scher Kriminalromanmanier eineLeiche gefunden wird und Lucy in einem Polizeirevier vernommenwird. In Rückblicken erzählt sie vonihrem Leben, das einst in Yorkshirebegann und in der Flucht in einbefreites Leben, das sie in Tokiogefunden zu haben scheint, mün-det. Scheint es nur so, oder ist einTeil ihres Wesens bestialisch undzu morden imstande; war es Teji,ihr Liebhaber, von dem sie nichtsweiß, außer dass er ebenso obses-siv fotografiert wie er liebt. Oderist alles nur ein grausamer Traum?Der Roman entführt nicht nur indie mitunter exotische Welt Ja-pans, sondern auch in die Ab-gründe der menschlichen Seele. Rowohlt ISBN 3-498-03335-2, DM 39,90

Trezza Azzopardi

DAS VERSTECKAus Sicht der Protagonistin Dolores Gauchiwird, in wech-selnden Perspek-tiven und Zeitbe-zügen, die Qualder jüngsten vonsechs Töchtern beschrieben, diedurch einen Brand des Elternhausesdie Finger ihrer linken Hand verliert.Diese körperliche Verkrüppelungsteht symbolisch für die Verkrüp-pelung ihrer Seele. Ewig ungeliebtvon ihrer Familie fühlte sie sich inihrer Kindheit, immer noch unge-liebt, aber wenigstens versöhnt,am Ende des Romans. Erst Jahrespäter, als Dolores scheinbarselbstständig und erwachsen inihre Heimat nach Cardiff zurück-kehrt, um an der Beisetzung ihrerMutter teilzunehmen, erfährt mandas Schicksal der ganzen Familie. Berlin VerlagISBN 3-8270-0369-5, DM 39,80

Kitty Ray

NELLSGEHEIMER GARTENEllis Jones ist eineerfolgreiche Wis-senschaftlerin miteinem einzigenFehler: Sie verliebtsich in den Fal-schen und wirdauch noch schwan-ger. Im von ihrer Großtante Nellgeerbten Cottage findet sie das alteTagebuch ihrer Gönnerin. Mit die-sem Buch unternimmt sie eineZeitreise in die Jugend ihrer Groß-tante, erfährt, dass auch diese eineunmögliche Partnerwahl getroffenhatte. Wunderlich VerlagISBN 3-8052-0683-6, DM 45,00

Marian Keyes

SUSHI FÜR ANFÄNGERDrei Frauen, ihrLiebesleben undder Arbeitsalltag inder Redaktion einerFrauenzeitschrift –mit viel Wortwitzwerden humorvolleEinblicke in das Leben der Prota-gonistinnen gegeben. Mit einemAugenzwinkern persifliert die Au-torin Vorurteile gegenüber Irland.Kleine Kostprobe: „Geh raus, spie-len“, schlug Clodagh [ihrem Sohn]vor. „Aber es regnet.“ „Du bist Ire,du musst dich daran gewöhnen.“ HeyneISBN 3-453-18594-3, DM 38,00

Christian Pranger/Eckart Diezemann

SCHOTTLANDDie tragisch en-dende Lebensge-schichte MariaStuarts, Whisky,Schottenröckeund Kilts – all’das und noch mehr findet sich indiesem Bildband, in dem ChristianPranger wieder einmal beweist,dass er ein „goldenes Händchen“für erstaunliche Landschaftsauf-nahmen besitzt. Ergänzt wird derBand durch die intelligent geschrie-benen Aufsätze, in denen der Au-tor Eckhart Diezemann mit erstaun-licher Vielfalt auf die Eigenheitender schottischen Kultur eingeht.Im selben Format liegt in dieserReihe der Bildband „Irland“ vor. Reich Verlag/terra magicaISBN 3-724-30366-1, DM 98,00

Sei still - ein Hauch, ein Wort nur könnte sie störenDie Ruh’, die wie ein friedvoller SeeSich langsam über meinen Kummer senkt;Süßer Frieden, unverhofft und ohne Fehl…

Charlotte Brontë: Gedicht