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Anmerkung zur „Liechtenstein-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1998 Author(s): Hermann Weber Source: Archiv des Völkerrechts, 36. Bd., 2. H., Liechtenstein und das völkerrecht / Liechtenstein and International Law (Juni 1998), pp. 188-197 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40799081 . Accessed: 14/06/2014 09:39 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Archiv des Völkerrechts. http://www.jstor.org This content downloaded from 91.229.229.210 on Sat, 14 Jun 2014 09:39:28 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Liechtenstein und das völkerrecht / Liechtenstein and International Law || Anmerkung zur „Liechtenstein-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 1998

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Anmerkung zur „Liechtenstein-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar1998Author(s): Hermann WeberSource: Archiv des Völkerrechts, 36. Bd., 2. H., Liechtenstein und das völkerrecht /Liechtenstein and International Law (Juni 1998), pp. 188-197Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40799081 .

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BEITRÄGE UND BERICHTE

Anmerkung zur „Liechtenstein-Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts

vom 28. Januar 1998

1. Mit Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Januar 19981 hat die 3. Kammer des Zweiten Senates unter dem Vorsitz der Präsidentin Limbach und der Beisitzer Graßhof und Kirchhof die Verfassungsbe- schwerde des regierenden Fürsten Hans Adam II. von und zu Liechten- stein nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluß geht über die Bedeutung einer Individualentscheidung weit hinaus, denn er wirft prin- zipielle Fragen des Eigentumsschutzes und der Gleichbehandlung von Ausländern unter den Kategorien des Grundrechtsschutzes wie der Menschenrechte auf. Zudem ist der Staat Liechtenstein in seinen Rechten als Völkerrechtssubjekt sowie in seinem Status als neutraler Staat während des Zweiten Weltkrieges durch die Entscheidung direkt betroffen.

Der Beschwerdeführer hat zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen, sein Vater sei, obwohl liechtensteinischer Staatsangehöriger, durch das Dekret des Präsidenten der tschechoslowakischen Republik vom 21. Juni 1945, im folgenden: Benesch-Dekret, in völkerrechtswidri- ger Weise enteignet worden, weil er entsprechend dem Wortlaut des Dekretes als „Person deutscher Nationalität... ohne Rücksicht auf seine Staatsangehörigkeit" in den Kreis der zu enteignenden Personen einbezo- gen und ihm sein Eigentum ohne Entschädigung entzogen wurde. Die Enteignung betraf ein Gemälde aus der Hand eines alten niederländischen Meisters, dessen Wert mit DM 500.000,- angegeben wird. Es war vorüber- gehend im Wege des zwischenstaatlichen Leihverkehrs zu Austellungs- zwecken von Brunn nach Köln gelangt, ist aber offensichtlich nach den Entscheidungen der zivilen Vorinstanzen nach Brunn zurückgegeben worden. Sowohl das Landgericht Köln als auch das Oberlandesgericht Köln hatten die Klage des Beschwerdeführers als unzulässig abgewiesen mit der Begründung, der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten sei durch Teil VI, Art. 3 des Überleitungsvertrages von 1954 ausgeschlossen.

Wie die zivilgerichtlichen Vorinstanzen den Klageausschluß, so begrün- dete auch das Bundesverfassungsgericht die Unzulässigkeit der Ver- fassungsbeschwerde mit der Feststellung, der Beschwerdeführer könne durch die Entscheidung der Vorinstanzen in seinem Eigentumsrecht nicht

1 2 BvR 1981/97 (Text siehe unter Entscheidungen in diesem Heft).

Archiv des Völkerrechts, Bd. 36 (1998), S. 188-197 © 1998 Mohr Siebeck - ISSN 0003-892-X

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Anmerkung zur „ Liechtenstein-Entscheidung " 1 89

verletzt sein, da die Zivilgerichte zur Frage der materiellen Rechtmäßig- keit der Entscheidung seitens der Tschechoslowakischen Republik nicht Stellung zu nehmen brauchten. Hierzu seien die Zivilgerichte nach Völkerrecht nicht verpflichtet gewesen. Die Zivilgerichte hätten auch die Staatsangehörigkeit des Vaters des Beschwerdeführers nicht eigenständig bewertet, als sie die Enteignung als Maßnahme gegen das deutsche Auslandsvermögen i. S. von Teil vi, Art. 3 Abs. 1 des Überleitungsvertra- ges einordneten. Unter solchen Maßnahmen durften die Zivilgerichte alle Maßnahmen verstehen, die nach den Intentionen des handelnden Staates gegen deutsches Auslandsvermögen gerichtet waren. Eine solche „zweck- orientierte Auslegung", wie sie die Zivilgerichte vorgenommen hätten, sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Auch begründe der Über- leitungsvertrag keine vertraglichen Pflichten zu Lasten Liechtensteins. Die Klagsperre habe deshalb für die Bundesrepublik und ihre Gerichte bindend werden können.

2. Für die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht den Beschwerde- führer richtig beschieden hat, als es in seinem Beschluß die Enteignung des Beschwerdeführers durch das Benesch-Dekret von 1945 und nachfol- gende Akte der tschechoslowakischen Organe als Teil einer materiell nicht nachprüfbaren Kriegsfolgen- und Reparationsregelung der Alliierten bewertete und für die zivilgerichtlichen Entscheidungen das Bestehen oder Nichtbestehen völkergewohnheitsrechtlicher Regeln als irrelevant bezeichnete, kommt es nicht allein auf die verfassungsrechtliche Beurteil- ung an. Der Beschluß muß auch vor dem Völkerrecht Bestand haben, was fraglich ist, weil soweit in menschenrechtlich geschützte Rechtspositionen des Beschwerdeführers eingegriffen, aber auch der Status Liechtensteins als souveräner Staat beeinträchtigt worden ist. Die innerstaatliche Un- anfechtbarkeit des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts steht einer etwaigen Verletzung des Völkerrechts in keiner Weise entgegen.

Der Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandender Fragen vom 23. Oktober 1954 (Überleitungsvertrag)2, mit dem die Westalliierten das Besatzungsregime in der Bundesrepublik beendet haben und dieser den Status eines nach Völkerrecht souveränen Staates zuge- standen haben, enthält in seinem Teil VI, Art. 3 Abs. 1 und 33, die den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts tragende Rechtsvorschrift. Danach sind Klagen wegen Beschlagnahmemaßnahmen, die sich gegen deutsches Auslandsvermögen gerichtet haben oder wegen anderer, im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gerich- tete Maßnahmen, vor den deutschen Gerichten ausgeschlossen. Zwar bestimmt der 2 plus 4-Vertrag der beiden deutschen Staaten mit den Vier Mächten vom 12. September 19904 die Beendigung und Auflösung aller

2BGB1. 1955 II, S. 405. 3 AaO., S. 439 f. 4BGB1. 1990 II, S. 1318.

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„vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken" und „aller ent- sprechenden Einrichtungen" und erkennt dem vereinten Deutschland die „volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten" zu (Art. 7). Den Vertrag ergänzt jedoch Ziff. 3 der Vereinbarung der alten Bundesrepublik mit den drei westlichen Alliierten vom 27728. September 19905 abweichend von Art. 7 des Vertages. Danach gilt Teil VI, Art. 3 Abs. 1 und 3 des Überleitungsvertrages von 1954 auch unter der neu gewonne- nen und bestätigten Souveränität des vereinten Deutschland fort. Es mag dahinstehen, ob die Vereinbarung vom 27./28. September 1990 wegen ihres Eingriffscharakters in zentrale Grundrechtspositionen nicht der par- lamentarischen Zustimmung bedurft hätte. Auf die Frage der Rechts- gültigkeit der Vereinbarung nach Völkerrecht, also im Außenverhältnis des vereinten Deutschland zu den drei Mächten, hat die fehlende Zu- stimmung des Parlaments jedenfalls keinen Einfluß, da das Zustimmungs- erfordernis, auf das sich ohnehin nur die drei Mächte berufen könnten, nicht offenkundig, d. h. objektiv erkennbar war6.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß die Klagesperre zu Lasten des Beschwerdeführers mit der Vorschrift des Teils VI, Art. 3 Abs. 1 und 3 begründet, tatsächlich aber in Abweichung von dem Ver- tragswortlaut eine fremdbestimmte, nicht konsensual durch autonomen Zustimmungsakt zustandegekommene Enteignungsmaßnahme auf Liech- tenstein erstreckt und einen seiner Staatsangehörigen in den Kreis der zu enteignenden Personen einbezogen. Für eine solche Gleichstellung des deutschen und liechtensteinischen Auslandsvermögens bietet der Überlei- tungsvertrag in seinem Teil VI, Art. 3 keine Handhabe. Nach den hier maßgeblichen völkerrechtlichen Auslegungsregeln läßt die Vorschrift des Überleitungsvertrages für eine derartige Auslegung keinen Raum. Enteignungsakte, die sich gegen deutsches Auslandsvermögen gerichtet haben, erfassen nur jenes Vermögen, deren Rechtsinhaber Deutschland zugeordnet waren, das die Alliierten als künftigen Reparationsschuldner für alle im Zweiten Weltkrieg ausgegangenen Unrechtshandlungen und Zerstörungsakte betrachteten. Die völkerrechtliche Zuordnung des Aus- landsvermögens natürlicher Personen erfolgt über die Staatsangehörig- keit. Andere Kriterien, wie „Nationalität", sind völkerrechtlich irrelevant und können daher auch nicht über eine „zweckorientierte Auslegung" als völkerrechtliche Auslegung eingeführt werden. Der Vater des Beschwer- deführers war unbestritten liechtensteinischer Staatsangehöriger. Die Frage der historischen Herkunft dieses Staates oder seiner Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen, das unter dem Attribut „deutsch" schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu bestehen aufgehört hatte, kann die Frage der politischen und völkerrechtlichen Selbstständigkeit Liech- tensteins zum Zeitpunkt des Benesch-Dekretes nicht beeinflussen.

5BGB1. 1990 II, S. 1386, 1387. 6 Art. 46 Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969, BGBl. 1985 II, S. 927.

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Anmerkung zur „ Liechtenstein-Entscheidung" 191

Das Bundesverfassungsgericht setzt in seinem Beschluß deutsches Auslandsvermögen mit nichtdeutschem Auslandsvermögen gleich, wenn es das liechtensteinische Auslandsvermögen im Begriff des deutschen Auslandsvermögen miterfaßt. Eine solche ausdehnende Auslegung ent- spricht nicht den Regeln für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge. Nach der Grundregel, wie sie für die Auslegung eines völkerrechtlichen Vetrages verbindlich vorgeschrieben ist, ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestim- mungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seiner Ziele und Zwecke auszulegen7. Eine Auslegung des Überlei- tungsvertrages aus dem Textzusammenhang und im Lichte seiner Ziele und Zwecke ergibt, daß nur die Überprüfung der Beschlagnahme des Auslandsvermögen von Personen, deren Heimatstaaten zu den Feind- staaten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gehörten, den deutschen Gerichten entzogen sein sollte. Schon das Pariser Reparationsabkommen vom 14. Januar 19468 schloß die Verrechnung von Vermögenswerten, die im Eigentum eines Mitgliedstaates der Vereinten Nationen oder eines Angehörigen eines solchen Staates zur Zeit dessen Besetzung, Annektion oder Kriegseintritt standen, mit den deutschen Reparationsschulden aus9.

Die Auslegung des Überleitungsvertrages muß ferner den Regeln des Völkergewohnheitsrechts genügen. Die Übernahme aller gegen das deutsche Auslandsvermögen gerichteten Maßnahmen entsprechend den „Intentionen des handelnden Staates" (hier: der Tschechoslowakischen Republik) in die „zweckorientierte Auslegung" des Überleitungsvertrages ist ein Eingriff in die Souveränität Liechtensteins und in dessen Rechts- stellung, wonach sein Status als neutraler Staat während des Zweiten Weltkrieges zu respektieren ist und nicht durch Enteignungsmaßnahmen gegenüber seinen Staatsangehörigen nachträglich infrage gestellt werden darf. Das Benesch-Dekret von 194510, das nicht zwischen deutschem und nichtdeutschem Auslandsvermögen unterscheidet, soweit es den „Intentionen des handelnden Staates" Raum gibt, ist der exemplarische Fall eines Willküraktes und als solcher nicht nur wegen der fehlenden Entschädigungsregelung ein Völkerrechtsbruch. Den Vertragsparteien des Überleitungsvertrages zu unterstellen, sie hätten bei Abschluß des Vertrages die völkerrechtswidrigen Intentionen des Benesch-Dekretes nachvollzogen und seien deshalb im Wege der Auslegung des Vertrages zu

7 Art. 31 Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969. 8 UK-Treaty Series No. 56 (1947), Cmd. 7173. 9 Art. 6, Teil I, D. Siehe dazu G. J. Roos, Zur Konfiskation privater deutscher Auslandsvermögen,

1956, S. 58(65). 10 Dekret des Präsidenten der Republik vom 21. Juni 1945 über die Konfiskation und beschleu-

nigte Aufteilung des landwirtschaftlichen Vermögens der Deutschen, Madjaren, wie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und des slowakischen Volkes, Deutsche Übersetzung in: Dokumentation der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, hrsg. von Bundesministerium für Vertriebene, 1957, S. 225.

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berücksichtigen, hieße das Recht auf den Kopf zu stellen. Hier gilt die Regel, daß im Zweifel die Vertragsparteien sich mit ihren Vereinbarungen nicht in Widerspruch zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts oder zu den Verpflichtungen gegenüber Drittstaaten setzen wollen.

Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, daß der Beschwerdeführer, völ- kerrechtlich gesehen, durch eine fehlerhafte Auslegung des Überleitungs- vertrages in seinem Eigentumsrecht verletzt und zusätzlich durch seine Gleichbehandlung mit Personen deutscher Staatsangehörigkeit gegenüber den Staatsangehörigen anderer neutraler und nichtkriegführender Staaten des Zweiten Weltkrieges diskriminiert worden ist. Für Liechtenstein als Heimatstaat des Beschwerdeführers hat die fehlerhafte Anwendung und Auslegung des Überleitungsvertrages zur Folge, daß er in seinen souverä- nen Rechten als Völkerrechtssubjekt geleugnet und sein Status der Neu- tralität im Krieg, auf dessen Respektierung er auch in allen Reparations- und Kriegsfolgeregelungen Dritter nach Beendigung des Zweiten Welt- krieges Anspruch hat, mißachtet worden ist.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß den Ausschluß des Rechtsweges zu den deutschen Gerichten auch damit begründet, daß die Klagesperre kein Vertrag zu Lasten Dritter sei, da sie nur für die Bundesrepublik Deutschland und ihre Gerichte, nicht aber für Liech- tenstein eine vertragliche Pflicht begründet habe. Der Überleitungsvertrag enthält in der Tat keine Bestimmungen, die auf irgendeine Weise dritte Staaten in die Pflicht nehmen. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht den Überleitungsvertrag richtig bewertet, denn auch im Völkerrecht gilt die Regel „pacta tertiis nee nocent nee prosunt", d. h. Drittstaaten werden durch einen völkerrechtlichen Vertrag nicht verpflichtet und nicht berech- tigt, es sei denn sie nehmen die Verpflichtung an beziehungsweise, sie stimmen dem ihnen eingeräumten Recht zu11.

Es mag dahinstehen, ob sich das Bundesverfassungsgericht in der Bewertung des Überleitungsvertrages als eines Vertrages, der keine Pflichten für Liechtenstein begründet habe, vom Modell eines privat- rechtlichen Vertrages nach bürgerlichem Recht oder von einem Vertrag nach Völkerrecht hat leiten lassen. Jedenfalls hat der völkerrechtliche Vertrag auch ohne Pflichtenstellung zu Lasten eines Dritten eine weitere Dimension als der privatrechtliche Vertrag insofern, als er nachteilige Wirkungen für den Rechtsstatus eines dritten Staates entfalten kann. Dieser Fall liegt dann vor, wenn ihm durch die Gerichte eines der Vertragsparteien ein Inhalt beigemessen wird, als dessen Konsequenz die Angehörigen eines dritten Staates in ihren Rechten nach Völkerrecht ver- letzt werden. Dasselbe gilt, wenn der dritte Staat in seinen eigenen sou- veränen Rechten beeinträchtigt wird.

11 Vgl. Art. 35 und 36 der Wiener Vertragsrechtskonvention von 1969.

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Anmerkung zur „ Liechtenstein-Entscheidung" 1 93

Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtzulassung der Verfassungsbeschwerde hat diese Reflexwirkung eines gleichsam unechten Vertrages zu Lasten Dritter hervorgebracht. Liechtenstein hat dem Überleitungsvertrag niemals zugestimmt und dennoch dessen nach- teilige Wirkung zu spüren bekommen. Sie liegen in der Nichtanerkennung der liechtensteinischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers bei der Anwendung und Auslegung des Überleitungsvertrages, in der Diskrimi- nierung des Vaters des Beschwerdeführers als liechtensteiner Staats- angehöriger im Vergleich mit den Staatsangehörigen anderer neutraler Staaten sowie in der Nichtanerkennung und Leugnung der Staatlichkeit Liechtensteins und seines Neutralitätsstatus im Zweiten Weltkrieg. Da alle diese nachteiligen Wirkungen des Überleitungsvertrages völkerrechtlich gesicherte Rechtspositionen des Beschwerdeführers und seines Heimat- staates berühren, haftet die Bundesrepublik für den Spruch des Bundes- verfassungsgerichts als einer ihrer Organe nach Völkerrecht.

Im vorliegenden Fall ist auch nicht zu vermuten, daß der Überleitungs- vertrag in der genannten Bestimmung des Art. 3 im VI. Teil eine erga omnes-Wirkung zu Lasten Liechtensteins entfaltet. Die Klagsperre als Teil einer umfassenden Kriegsfolgeregelung mit friedensichernder Zielsetzung anzusehen, die im 2 plus 4-Vertrag von 1990 ihre Erfüllung gefunden habe, entspricht nicht Ziel und Zweck des Überleitungsvertrages. Eine über den Kreis der Vertragsstaaten hinausreichende überregionale Ord- nungsabsicht kommt im Wortlaut der Vertragsbestimmung nicht zum Ausdruck, auch nicht, um sie als Teil einer regionalen, die Tschecho- slowakei einbeziehenden Friedensregelung gelten zu lassen. Nach dem Wortlaut des Überleitungsvertrages haben die Vertragsparteien nur sicherzustellen, daß keine Klagen erhoben werden, mit denen die Recht- mäßigkeit der gegen deutsches Auslandsvermögen gerichteten Beschlag- nahmeakte von deutschen Gerichten nachgeprüft wird. Die Überprüfung dieser Maßnahmen durch Gerichte außerhalb der territorialen Zuständig- keit der Bundesrepublik ist dagegen nicht ausgeschlossen.

4. Art. 14 GG schützt das in der Bundesrepublik gelegene Eigentum, also auch solche Vermögensgegenstände, die vorübergehend in die Bun- desrepublik eingeführt werden. Den grundrechtlich gesicherten Eigen- tumsschutz des Art. 14 können auch Ausländer für sich in Anspruch neh- men, da diesen gegenüber keine gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Einschränkungen bestehen. Dennoch sieht das Bundesverfassungsgericht in der Klagsperre des Überleitungsvertrages keinen Verstoß gegen die Eigentumsgarantie der Verfassung, „weil die vertraglichen Klauseln und der Vertragsabschluß im ganzen der Abwicklung von Vorgängen aus der Zeit vor der Enstehung des Grundgesetzes dienen."

Das Bundesverfassungsgericht verknüpft die Frage des Eigentums- schutzes des Beschwerdeführers mit der Frage der Anwendung des Art. 14 GG auf Vorgänge aus der Zeit vor der Entstehung des Grundgesetzes.

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Es hat dazu in zwei Entscheidungen, auf die es sich auch in diesem Beschluß bezieht, bereits früher Stellung genommen12. Es ging dort um die Frage, ob die Enteignung des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes, die in den Jahren 1945 bis 1949 in der damaligen SBZ (Sowjetische Besatzungszone Deutschlands) ausgesprochen worden war, unter der Geltung der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG anzuerkennen, bezie- hungsweise nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten rückgän- gig zu machen sei. Das Bundesverfassungsgericht hat in beiden Entschei- dungen die Verfassungsbeschwerden der früheren Eigentümer zurückge- wiesen mit der Begründung, die Enteignungsakte seien darauf gerichtet gewesen, den Eigentümern ihre Rechtsposition vollständig und endgültig zu entziehen. Die normativen Grundlagen dieser Enteignungen seien von der Besatzungsmacht als auch von der deutschen Staatsgewalt in der spä- teren DDR in vollem Umfang als rechtmäßig angesehen worden. Auch soweit die Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt und nach rechtsstaatlichen Maßstäben willkürlich angewandt worden waren, seien die Enteignungs- akte als bestandskräftig behandelt worden. Solche Enteignungen auf dem Gebiet der SBZ können deshalb nicht dem Verantwortungsbereich der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden.

Im vorliegenden Fall des verweigerten Eigentumsschutzes zu Lasten eines liechtensteinischen Staatsangehörigen ist nicht überzeugend im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts dargelegt worden, warum das der Enteignung zugrundeliegende Benesch-Dekret und die ihm beigeleg- ten Intentionen der Tschechoslowakischen Republik zwingend als „vor- konstitutionelle Vorgänge" verstanden werden müssen, die im Rahmen des Art. 14 GG zu beachten seien. Die vom Bundesverfassungsgericht angenommene Bindungswirkung für die Gerichte der Bundesrepublik erhält das Benesch-Dekret nicht durch den Überleitungsvertrag von 1954 und noch weniger durch die Tatsache, daß Enteignungsakte in der SBZ und später in der DDR als rechtmäßig angesehen und als bestandskräftig behandelt wurden, sondern allein durch die autonome Interpretation des tschechoslowakischen Enteignungsdekretes und der nachfolgenden An- wendungspraxis durch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 28. Januar 1998, durch den der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Eigentumsschutz rechtlos gestellt worden ist. Erst die Übernahme der tschechoslowakischen Enteignungsmaßnahmen und ihrer exzessiven Intentionen in die „Zweckorientierte Auslegung" des Überleitungsvertra- ges hat einen Entscheidungsspielraum für das Bundesverfassungsgericht enstehen lassen, der die materielle Überprüfung der Einwendungen des Beschwerdeführers geboten hätte. Die Tatsache, daß das Bundesver- fassungsgericht ohne Not diesen Entscheidungsspielraum nicht nutzte, zog unmittelbar die Verletzung der Eigentumsgarantie, die die Verfassung

12 BVerfG 41, S. 126 [168] und BVerfG 84, S. 90 [122].

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Anmerkung zur „ Liechtenstein-Entscheidung " 195

auch für den ausländischen Inhaber eines Eigentumstitels bereithält, nach sich.

5. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß die zivilge- richtlichen Entscheidungen nicht als „schlechterdings unvertretbar" bean- standet und in ihnen keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbe- handlung nach Art. 3 Abs. 1 GG erkennen wollen. Die Ignorierung der Staatsangehörigkeit eines fremden Staates bei der Anwendung von Rechtsvorschriften, in denen es entscheidend auf die Gleichbehandlung ankommt, stellt jedoch einen Akt grober Willkür dar, den keine Rechts- ordnung, und auch das Völkerrecht nicht, honoriert. Mit der Begründung, die Enteignung des Beschwerdeführers „habe den Intentionen des han- delnden Staates entsprochen", hat das Bundesverfassungsgericht die tschechoslowakische Bewertung der liechtensteinischen Staatsangehörig- keit als deutsche nachvollzogen und sich die Willkür der tschechoslowa- kischen Enteignungsmaßnahme vollinhaltlich zueigen gemacht.

Die Ungleichbehandlung des Beschwerdeführers ist in ihrer Doppel- wirkung sowohl dem Beschwerdeführer als auch dem Staat Liechtenstein gegegenüber so schwerwiegend, daß sie den ordre public verletzt. Danach ist eine „Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere dann nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist"13. Das Bundesverfassungsgericht, wie auch vorher das Landgericht und das Oberlandesgericht Köln, konnte das Benesch- Dekret unter Einbeziehung dessen Intentionen seiner eigenen Auslegung des Überleitungsvertrages nicht zugrundelegen, ohne den ordre public in einer seiner zentralen Ausgestaltungen, in der Frage der Eigentums- garantie und des Diskriminierungsverbotes, zu verletzen.

Nicht jede Rechtsverletzung durch einen ausländischen Enteignungsakt rechtfertigt die Berufung auf den ordre public. Die deutschen Gerichte haben nicht jede entschädigungslose Enteignung pauschal verurteilt14. Frühere Entscheidungen wird man nur bedingt auf den Fall beziehen kön- nen. Durch die Neufassung des Art. 6 EGBGB ist jedoch der Grund- rechtsschutz zur zentralen Kategorie des ordre public erklärt und damit in seinem Begriffsinhalt und in seinem Anwendungsbereich erweitert und konkretisiert worden. Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsge- richts, das die entschädigungslose Enteignung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes in den Jahren vor 1949 in der SBZ nicht als Verletzung des deutschen ordre public anerkennt, weil entschädigungslose Konfiska- tionen durch fremde Staaten grundsätzlich als wirksam angesehen wer-

!3 Art. 6 EGBGB. 14 Bremer Tabak-Fall, AVR 1961/62, S. 318 [359]; Kennecott Copper-Fall, Rabeis Zeitschrift für

Internationales Privatrecht, 1973, S. 579. Siehe dazu E. Wehser, Völkerrechtswidrige Verstaat- lichung der Kupferminen in Chile? Juristenzeitung 1974, S. 117.

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den, soweit dieser Staat dabei in den Grenzen seiner Macht geblieben sei15, ist deshalb im Lichte der schärferen Definition des ordre public in Art. 6 EGBGB n. F., d. h. vor allem unter den Kategorien des Grundrechts- schutzes, neu zu bewerten.

Die Übernahme der „act of State"-Doktrin, wonach ausländische Ent- eignungsmaßnahmen von den deutschen Gerichten nicht auf ihre Recht- mäßigkeit zu überprüfen sind, solange der ordre public nicht erheblich verletzt erscheint, wird man dahin konkretisieren müssen, daß sie sich immer dann verbietet, wenn zentrale Grundrechtspositionen des einzel- nen von dem Enteignungsakt des fremden Staates berührt werden. Das Benesch-Dekret zielte nicht auf Bodenreformen oder andere Maßnahmen der gesellschaftlichen Umgestaltung der vorhandenen Besitzverhältnisse ab. Es war eine gezielte gegen die deutsche und gegen die ungarische Minderheit in der Tschechoslowakischen Republik gerichtete „Repres- salie" und als solche eine Bestrafungsaktion, für die sämtliche rechtsstaat- lichen Bedingungen fehlten. Die Tschechoslowakei rechtfertigte den Vermögensentzug selbst mit einer Strafmaßnahme für illoyales Verhalten und nicht mit einem Reparationszweck. Dies kommt auch im Wortlaut des Dekretes klar zum Ausdruck, das „alle Personen deutscher und mad- jarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit" mit „Verrätern und Feinden der Republik, gleichgültig welcher Nationalität und Staatsangehörigkeit, die diese Feindschaft vor allem während der Krise und des Krieges in den Jahren 1938 bis 1945 bekundet haben" gleichsetzt16. Schon die pauschale Gleichsetzung der Angehörigen zweier nationaler Minderheiten mit „Verrätern" und „Feinden der Republik" ohne jede Konkretisierung, welcher Schuldvorwurf im einzelnen erhoben wird, und ohne Anspruch auf ein rechtsstaatliches Überprüfungsverfah- ren zeigt, in welchem Ausmaß das Benesch-Dekret der Bestimmtheitser- fordernisse eines Gesetzes und grundlegender rechtsstaatlicher Kautelen ermangelt, um mit den Grundrechten und damit mit dem deutschen ordre public als noch vereinbarer Rechtsakt eines ausländischen Staates An- erkennung zu verdienen.

6. Die Anwendung und Übernahme des Benesch-Dekrets in die Auslegung des Überleitungsvertrages verstößt auch gegen den völker- rechtlichen ordre public, wonach jeder Mensch unbeschadet seiner Rasse oder Herkunft das Recht hat, Vermögen als Eigentum zu besitzen17. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als zentrales Rechtsstaatlichkeitspostulat wird in der Anerkennung des Benesch-Dekretes weit stärker verletzt als

15 Vgl. BVerfG84,S. 123. 16 Par. 1 Abs. 1 lit., a und b des Dekrets, aaO. Siehe Silke Wenk, Das konfizierte deutsche

Privatvermögen in Polen und der Tschechoslowakei, Schriften zum Staats- und Völkerrecht, hrsg. von Dieter Blumenwitz, 1993, S. 115.

l/ Art. 5 lit. d (V) Konvention zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung von 1966, BGB1. 1969 II, S. 962.

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Anmerkung zur „ Liechtenstein-Entscheidung " 1 97

in der Anerkennung jeder anderen entschädigungslosen Enteignung als Folge politischer und gesellschaftlicher Umbrüche.

Dr. Hermann Weber, Hamburg

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