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HYPERLINKS MÄRZ 2010 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUR 7. LINKEN MEDIENAKADEMIE HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND

Linke Medienakademie 2010 (taz-Beilage) - politikorange

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Ich entwickelte zusammen mit Julia Kneuse auf der Linken Medienakademie 2010 die Bildsprache dieser politikorange-Ausgabe. Zusätzlich layoutete ich das Magazin, das auch der taz beilag, innerhalb von einem Tag. Hintergrund: politikorange ist ein offenes Jugendmedienprojekt der Jugendpresse Deutschland und der Servicestelle Jugendbeteiligung. Jugendliche erstellen unter dem Dach des Projektes Veranstaltungszeitungen und Magazine zu verschiedenen Themen. Mehr unter http://www.politikorange.de.

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HYPERLINKS

MÄRZ 2010 UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUR 7. LINKEN MEDIENAKADEMIE HERAUSGEGEBEN VON DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND

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INHALT

MIT DEM LINKENSIEHT MAN BESSER…S.04 HYPERLINKS – IM INTERNET VERKNÜPFEN SIE DIE UNTERSCHIEDLICHSTEN SEITEN. IM POLITISCHEN MACHEN SIE EINSAM. IST ES ALSO BESSER, AUF EX-TREME POSITIONEN ZU VERZICHTEN?

ES IST AN DER ZEIT,ZURÜCK ZU SCHLAGEN…S.05GUTE RHETORIKER BEHERRSCHEN DIE KUNST, ZU REDEN UND ZU ÜBERRE-DEN. MIT WAHRHEIT UND ÜBERZEUGUNGEN NEHMEN SIE ES ALLERDINGS NICHT IMMER SO GENAU. DIE GRENZE ZWISCHEN REDEKUNST UND POPULIS-MUS IST FLIESSEND.

EIN TYPOGRAF DER ALTEN SCHULE…S.06 FAST JEDER KENNT EINES SEINER WERKE. KURT WEIDEMANN PRÄGTE MIT SEINEN ENTWÜRFEN DIE AUFTRITTE VIELER UNTERNEHMEN. DOCH DER GE-STALTER TRITT GERNE HINTER SEINER ARBEIT ZURÜCK. DABEI HAT ER EINIGES ZU SAGEN.

UM DIE LINKE ECKE GEDACHT!...S.08 – 09„LINKS“ KANN ÜBERALL SEIN. IN DIESEM KNIFFLIGEN WORTLABYRINTH GIBT ES BESONDERS VIEL DAVON. ABER VORSICHT: DER HUMOR BLEIBT HIER NICHT LINKS LIEGEN!

WER REGIERT IM TWITTERLAND?...S.10TWEETEN UND FOLLOWEN – ALLE PARTEIEN SETZEN KURZE BOTSCHAFTEN BEI TWITTER AB. DAS AUF 140 ZEICHEN BEGRENZTE GEZWITSCHER FINDET TAUSENDE ANHÄNGER. WIE WÄRE DER BUNDESTAG BESETZT, WENN SICH PARTEIEN AN IHREN FOLLOWERN MESSEN LASSEN?

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REVOLUTION PER MAUSKLICK... S.11 DIE ZEITEN ÄNDERN SICH: NEBEN BANNERN UND FÄHNCHEN NUTZEN AKTI-VISTEN BLOGS UND IPHONE-APPS FÜR IHREN PROTEST. DAS KANN DIE WELT ZWAR NICHT RETTEN. ABER VIELLEICHT EIN BISSCHEN BESSER MACHEN.

MUND AUF, OHREN ZU:POLITPROFIS IN AKTION…S.13ICH-AG UND WACHSTUMSBESCHLEUNIGUNGSGESETZ. SO HÖRT ES SICH AN, WENN POLITIKER SPRECHEN. IHRE FORMULIERUNGEN DIENEN EINER KLAREN STRATEGIE.

AUF DIE RICHTIGE MISCHUNG KOMMT ES AN…S.15IST DIE ZUKUNFT NUN SCHWARZ-GRÜN ODER DOCH ROT-ROT-GRÜN? WÄH-REND DIE ÖFFENTLICHKEIT ÜBER NEUE BÜNDNISSE DISKUTIERT, STELLEN DIE BETROFFENEN NACHWUCHSPOLITIKER GANZ ANDERE FRAGEN. WIE SOLL DAS GEHEN UND ÜBERHAUPT, WOFÜR SOLL MEINE FARBE STEHEN?

ZWISCHEN DEMONSTRIEREN UND DOKUMENTIEREN...S.16 ALS DIE MAUER ZWISCHEN ISRAEL UND DER WESTBANK IN DIE HÖHE WUCHS, ENTSTAND AUCH DIE GRUPPE ACTIVESTILLS. DARIN HABEN SICH FÜNFFRAUEN UND FÜNF MÄNNER AUS ISRAEL UND ANDEREN LÄNDERN ZUSAMMENGESCHLOSSEN, DIE ALS FOTOGRAFEN UND AKTIVISTEN GEGEN DIE BESETZUNG DER PALÄSTINENSISCHEN GEBIETE PROTESTIEREN.

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EDITORIAL

Endlich wieder politikorange! 21 junge Medienmacher haben vier Tage und fünf Nächte auf der 7. Linken Medienakademie (LiMA) in Berlin fotografiert, geschrieben, entworfen und gemeinsam gleich zwei Zeitungen mit spannenden Artikeln auf die Beine gestellt.

Wir diskutierten mit Akteuren der Medienbranche über die Un-abhängigkeit im Journalismus; auch wenn die Berufsaussichten schon mal besser waren. Wenn junge Journalisten ihr Potential entfalten kommt das heraus, was dieses Magazin ausmacht: junger, frischer, fruchtiger und selbstge-presster Journalismus.

Bewegte Bilder der Linken Me-dienakademie gibt es auch. Un-ser TV-Team führte packende In-terviews und hat das Geschehen in Bild und Ton eingefangen.

In den vergangenen acht Jahren haben wir uns ständig weiterent-wickelt. Wir wurden multimedialer, und mit unserem neuen Layout nun magaziniger. Durch die kon-zeptionelle Grundgestaltung von Kai-Uwe Kehl haben wir ab jetzt mehr Raum für Bildsprache und eine ergonomischere Typogra-phie. Sebastian Wenzel goss un-sere Inhalte in diese neue Form.

Abgerundet wird die grafische Neuausrichtung durch unser neu-es Logo. Der Mediengestalter Marc Seele entwarf die Wort- und Bildmarke für uns.

Wo einst Transformatoren ge-baut, Fernsehtechnik montiert und Starkstromkabel gefertigt wurden, haben wir auf dem Cam-pus der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Köpenick re-cherchiert, wie die linke digitale Revolution heute vonstatten ge-hen kann. Dazu stellten sich un-sere Redakteure die Frage, wo uns „hyperlinks“ heutzutage noch hinführen können.

Trotz Werbeanzeige konnten wir wie gewohnt unabhängig berich-ten und den interessantesten Geschichten nachspüren. Wir hoffen, dass die Artikel und Bilder unserer Fotografin Julia Kneuse durch das neue Gewand noch mehr Leser gewinnen. Das ha-ben wir vielleicht mit den Linken hier auf der LiMA gemein: ein bisschen Veränderung darf schon sein.

Sebastian Serafin, Andi Weiland und das politikorange-Team

MIT DEM LINKEN SIEHT MAN BESSER HYPERLINKS – IM INTERNET VERKNÜPFEN SIE DIE UNTERSCHIEDLICHSTEN SEITEN. IM POLITISCHEN MACHEN SIE EINSAM. IST ES ALSO BESSER, AUF EXTREME POSITIONEN ZU VERZICHTEN?VON NATASCHA VERBÜCHELN

Im Internet sind Hyperlinks die Brücken zwischen den einzelnen Seiten. Sie verbinden, was die Nutzer verknüpfen. Betrachtet man Hyper-linke politische, dann stehen diese hingegen ziemlich alleine da. Ein Hy-perlinker, ein Anhänger extremer lin-ker Positionen, strebt nach Utopien. In unserer vernunftorientierten Welt haben viele für sich erkannt, dass diese doch immer unerreichbar blei-ben. Wer es dennoch probiert wird schnell ernüchternd zurückgelassen. Der Spagat zwischen politischer Vi-sion und alltäglicher Realität ist für Politiker Routine. Sich darin nicht zu verlieren, diesem Problem müssen

sich Personen wie Björn Böhning, Katja Kipping oder Benedikt Lux im-mer wieder stellen, zum Beispiel auf Seite 15 in dieser Ausgabe.

Damit politische Ideen nicht auf dem Friedhof landen sollten sie ver-mittelt werden. Dafür braucht es Sprache. Politiker müssen ihre Ideen in Worten ausdrücken. Das gelingt nicht immer. Längst gibt es eine eige-ne Politikersprache. Ein Phänomen, das der Artikel „Mund auf, Ohren zu“ auf Seite 13 beleuchtet.

Für die Übermittlung ihrer Inhalte sind Politiker auf Medien und Jour-nalisten angewiesen – ein weiteres Spannungsfeld. Unterschiedliche Interessen prallen aufeinander. Re-dakteure oder Freie Mitarbeiter ste-hen unter vielen Zwängen. Kosten-, Zeit- und Leistungsdruck wirken sich auf die Qualität aus. Umgeschriebe-ne PR-Texte statt investigativer Re-cherche sind daher häufig die Reali-tät. Viele Journalisten können oder wollen die PR-Attacken der anderen Seite nicht abwehren. Doch wie ma-chen es Journalisten, deren Herz links schlägt? Christoph Nitz etwa, der für das Neue Deutschland (ND) schreibt, möchte sich nicht davon abhalten lassen, kritisch zu berich-ten: „Das ND ist mir oft nicht kon-

sequent genug. Vor allem die Linken vermischen Kommentar und Bericht sehr gerne. Die halten die Leser teilweise für blöd – also ob sie den Unterschied nicht merken würden. Wenn die Linkspartei etwas Schlech-tes gemacht hat, dann berichte ich auch kritisch darüber.“

Doch Beeinflussung findet nicht nur über Medien statt. Jeder Mensch wird tagtäglich, in jeder Sekunde von seiner Umgebung manipuliert, egal ob von Werbeplakaten, von der An-ordnung der Regale im Supermarkt oder der fesselnden Rhetorik eines Politikers.

Einige Aktivisten machen es sich zu nutzen. Sie gestalten Werbepla-kate – wie das auf der gegenüberlie-genden Seite – um. Aus einem Teil unserer Konsumwelt wird so ein konsumkritisches Zeichen. Adbuster, so nennen sich diejenigen Personen, die Werbung von großen Konzernen verfremden. Sie haben dabei ein kla-res Ziel vor Augen. Am Ende soll der Sturz der bestehenden Machtstruktu-ren stehen. Doch das ist schon fast wieder hyperlinks. Und vielleicht auch genau deshalb ein Grund, war-um diese Art des künstlerischen Pro-testes sich in Deutschland noch nicht durchsetzen konnte.

Natascha Verbücheln 21 Jahre, Krefeld

Studiert Biologie sowie Deutsch auf Lehramt und arbeitet als Freie für die Rheinische Post.

AUGEN ZU UND DURCH? MIT DIESEM MOTTO

KOMMT MAN IM LEBEN SCHNELL VORAN. STELLT

SICH NUR DIE FRAGE, OB IN DIE RICHTIGE

RICHTUNG .

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ES IST AN DER ZEIT, ZURÜCK ZU SCHLAGEN MIT EIN PAAR KLEINEN ÄNDE-RUNGEN TRANSPORTIERT EINE KOMMERZIELLE WERBUNG SCHNELL EINE GANZ ANDERE BOTSCHAFT. DAS NUTZEN AKTIVISTEN, UM AUF IHRE ZIELE AUFMERKSAM ZU MACHEN. SIE DEMONSTRIEREN SO GEGEN KONSUMDRUCK UND DIE VISUELLE UMWELTVERSCHMUTZUNG. VON SOPHIE HUBBE UND C. GREGOR LANDWEHR

An der Bushaltestelle, auf dem Bus, in der U-Bahn – überall Werbung. Die ganze Stadt ist in Werbebotschaften verpackt. Sie dominieren das alltägliche Blickfeld. Ein Entkommen gibt es nicht. Selbst an dem Baugerüst der Berliner Marienkir-che am Alexanderplatz prangt Werbung. „Wir sind ihr Bankenskandal“ wirbt die Berliner Bank. Aber kann das sein? Auch wenn der Slogan in metergro-ßen Lettern über der Stadt prangt – eigentlich woll-te das Bankhaus eine andere Botschaft aussenden. Doch Adbuster haben die Aussage umgetextet. Der Originaltext: „Wir sind ihre persönliche Bank.“

Adbusting setzt sich aus den Englischen Wör-tern „ad“ für Werbung und „busting“ für kaputt machen zusammen. Adbuster wandeln konventi-onelle Werbung und Logos in eine kritische Dar-stellung um. Roman Hanig, selbst Grafikdesigner und Adbuster, beschreibt das Phänomen so: „Es ist eine emanzipatorische Bewegung, die versucht mit den heutigen medialen Mitteln, neue Zugän-ge zu finden, um Inhalte zu transportieren. Diese Inhalte führen möglicherweise zu einer besseren Gesellschaft oder schaffen zumindest ein Bewusst-sein dafür.“ So ist für die Adbuster die Werbung das ideale Medium, um ihre Botschaft zu transpor-tieren, da man sich ihr nicht entziehen kann. Als intelligent, kreativ, praktisch und witzig beschrei-bend die Adbuster selbst ihre Aktionen. Sie wollen Bedeutungen umkehren, zuspitzen, zum Nach-denken anregen und im besten Fall zum Nachah-men animieren.

WERBUNG WIRDKAPUTT GEMACHT

Jeder kennt die Schriftzüge von Mc Donalds, H&M oder Coca Cola. Daher sind sie besonders häufig die Grundlage für Adbusting-Aktionen. Aus der schwedischen Bekleidungskette Hennes & Mauritz wird der Name Hager & Mager. Und auf den Plakaten geben die Preisangaben das Gewicht der Models an. Damit kritisieren die Adbuster die Model-Ideale bei Frauen. So funktioniert das, was Roman Hanig folgendermaßen beschreibt: „Es ist die Möglichkeit, über die Wahrnehmung der Men-schen in ihren gewohnten Strukturen andere In-halte zu transportieren.“ Die konventionellen Wer-bebotschaften „Kauf mich, ich bin toll“ mutieren zu einer Aufforderung das eigene Konsumverhal-ten zu reflektieren.

Die Adbuster-Bewegung ist kein neues Phäno-men. Bereits 1989 wurde im kanadischen Vancou-ver die Adbusters Media Foundation gegründet. Sie soll die Adbuster-Bewegung weltweit kanalisieren und Kampagnen startet.

Ein Beispiel für solch eine Kampagne ist der „Buy Nothing Day“. Das Ziel ist, Menschen dazu zu bewegen, einen Tag lang nichts zu kaufen. Die Fortsetzung ihrer Aktionen findet sich vor allem im Netz. Hier werben sie für die Aktionen und stellen Fotos der verfremdeten Plakate online. In ihrem Selbstverständnis hat die Bewegung ein klares Ziel

Sophie Hubbe19 Jahre, Berlin

Studiert Politikwissen-schaften an der Freien Universität in Berlin.

Keine Anzeige

definiert: „Unser Ziel ist der Sturz der bestehenden Machtstrukturen, und einen deutlichen Richtungs-wechsel im 21. Jahrhundert zu bewirken.“

Mittlerweile haben auch Organisationen wie Attac Adbusting für sich entdeckt. „Atomzeichen verschönern jede Stromwerbung“, schreiben die Adbuster von der Anti-Globalisierungsbewegung und ermuntern zum Nachmachen. Mit Ihren Ak-tionen wollen sie Unternehmen dort treffen, wo sie empfindlich sind: bei ihrem Ansehen. Solange solche Aktionen eher eine Ausnahme sind, dürften die Unternehmen dem gelassen entgegen sehen.

SO SIEHT ES AUS, WENN ADBUSTER

KREATIV WERDEN.

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Grafikdesigner, Typograf, Autor, Lehrer oder Berater in Gestaltungsfragen? Der Versuch Kurt Weidemann auf etwas festzulegen, fällt schwer. Viel hat der 88-Jährige in seinem Leben gemacht. Heute ist er so etwas wie der Grand Senieur der Deutschen Typografie Szene – und ein Freund kla-rer Worte. So geißelt er „Konjunktiv-Großverbrau-cher“ und die „Wortlawinen“, die täglich über uns herein brechen.

MEISTENS IST WENIGER TATSÄCHLICH MEHR

Weidemann ist Minimalist. 30.000 Schriften gibt es auf dem Markt. „Dagegen ist der Quellekatalog ein Schulbuch“, so der Typhograph. Die meisten Schriftarten würde niemand vermissen. Denn ein guter Typograf komme mit rund 25 Schriften aus. Überhaupt ist für ihn weniger mehr. „Ein gutes Zeichen muss man mit einem Zeh in den Sand zeichnen können“, ist eine seiner Regeln. Nach diesem Maßstab entwarf er die Erscheinungsbil-der für große Unternehmen. Beispielsweise bei Porsche, Merk oder der Deutschen Bahn.

An dem Logo der Bahn arbeitete der gelernte Schriftsetzer 20 Minuten, gibt er zu. Der Grund waren aber die Vorgaben: Die Buchstaben D und B in rot und weiß in einem Kasten mit abgerundeten Ecken, so lautete der Text in der Ausschreibung. Auch für den Autobauer Porsche überarbeitete er das Logo. Er verstärkte das R und kürzte im S die Längen der Schenkel. Diese Aufgabe dürfte für ihn ein besonders reizvolle Aufgabe gewesen sein. Denn Weidemann ist selbst begeisterter Por-schefahrer, auch wenn er mittlerweile den Wagen

an seinen Sohn übergeben hat und lieber mit Bus und Bahn fährt. Nach wie vor ist Weidemann viel unterwegs. Seine Meinung ist gefragt, sein Tages-ablauf stramm organisiert. „Ich stehe um fünf Uhr morgens auf, auch wenn ich nachmittags um drei mit drei Promille ins Bett gehe.“ Mit dieser scho-nungslosen Offenheit hinterlässt er beim Zuhörer manchmal mehr Fragen als Antworten.

Weidemann wurde in Ostpreußen geboren. Nach Krieg und Gefangenschaft in Russland und seiner Schriftsetzerlehre studierte er an der Staatli-chen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart. Sein Briefpapier zeigt einen Hofnarren. Vielen hält er heute den Spiegel vo, und Vorstände großer Unternehmen schätzen bis heute seine Meinung.

ALS HOFNARR AUF DEM BRIEFPAPIER

Aus dem typografischen Handwerk hat er eine Kunst gemacht. Und so inszeniert er sich auch als Künstler. Rote Schuhe, bunte Weste und ein schwarzer Schlapphut. Das faltige Gesicht ragt mit einer markanten Nase darunter hervor.

Wo er politisch steht? „Ich war schon so weit links, dass ich bei Franz-Josef Strauß wieder raus-gekommen bin“, sagt er. Eine typische Weidemann Antwort. Die politische Kommunikation findet er „mehr oder weniger minderwertig.“ Wenn es doch mal etwas treffend sei, dann sei dies ein Zu-fall. Und auch bei den Schriften machen sich die Parteien zu wenig Gedanken. Das gesamte politi-sche Spektrum verwendet momentan serifenlose Schriften – eher schlicht, schnörkellos. Halbfett, Fett oder Normal ist dabei fast das einzige Unter-

EIN TYPOGRAFDER ALTEN SCHULE FAST JEDER KENNT EINES SEINER WERKE. KURT WEIDEMANN PRÄGTE MIT SEINEN ENTWÜRFEN DIE AUFTRITTE VIELER UNTERNEHMEN. DOCH DER GESTALTER TRITT GERNE HINTER SEINER ARBEIT ZURÜCK. DABEI HAT ER EINIGES ZU SAGEN.VON C. GREGOR LANDWEHR

„ALLER ANFANG IST EIN BLATT PAPIER UND EIN BLEISTIFTSTUMMEL.“

scheidungsmerkmal, das zwischen den Parteien bleibt. Für Weidemann hängen alle damit mindes-tens zehn Jahre der Entwicklung hinterher. Denn das oberste Gebot sei die Lesbarkeit. Und diese ist bei Schriftarten mit Serifen besser. Zur CDU wür-de eine klassische Antiqua-Schriftart passen, denn auch die Partei sei eher traditionell. Für die FDP und Guido Westerwelle empfiehlt der Experte hin-gegen etwas „sehr Individuelles.“

ALTE ZEICHEN FÜR DAS NEUE NETZ

Und was empfiehlt der Experte für das Medium Internet? „Das Netz sollte mit so wenig Schriften wie möglich auskommen“, sagt Kurt Weidemann. Doch während der Ehrensenator der staatlichen Akademie der bildenden Künste in der Landes-hauptstadt Stuttgart auch für die neuen Medien Minimalismus predigt, wandern fast täglich neue am Computer entworfene Schriften ins Netz, die niemand braucht. Und dabei ist doch „aller An-fang ein weißes Blatt Papier und ein Bleistiftstum-mel.“ Eine neue Schrift wird Weidemann wohl nicht mehr entwerfen.

Gregor C. Landwehr26 Jahre, Tübingen

Studiert Rhetorik, Kunst-geschichte sowie Politik und schreibt für die NZZ.

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Foto: Julia Kneuse

KURT WEIDEMANN LIEBT KLARE WORTE GENAUSO WIE DEREN VISUELLE GESTALTUNG.

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1. Wo der Daumen rechts ist.

2. FeministInnen tun es beim Sprechen und Schreiben

3. Hauptstadt Perus

4. Keine pinke Steuer-Oase, sondern eine berühmte Kommunistin

5. Der „Springbrunnen“ der Linken

6. Reich mir die Flosse ...

7. Auch Rechte halten sich in England daran

8. Im Fußball wie in der Politik eine wichtige Position

9. Lima nur mit a

10. Kein Sit-in, sondern ein russischer Kommunist

11. Spitzname von Gisela, nur mit y

12. Manfreds Geburtstag

13. Ein Linker mit ADS

14. Käpt’n Iglo ruft links

15. Veraltet für verdienstvoll

16. Klunker: Streiche u und setze i

17. Gibt die Richtung für den Hintermann an

18. Was haben Einstein, Picasso und Howard Carpendale gemeinsam?

19. Schrieb „Die Rosenzüchterin“, „Das Haus der Schwestern“, Charlotte...

20. ....wie ein Wiesel

21. Das amerikanische Xing (senkrecht)

22. Band, die wie der Park in Santa Monica heißen wollte, der wie ein amerikanische Präsident heißt

23. War ein trotziger Mann

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UM DIE LINKEECKE GEDACHT KREUZ UND QUER – „LINKS“ KANN ÜBER-ALL SEIN. IN DIESEM KNIFFLIGEN WORTLABYRINTH GIBT ES BESONDERS VIEL DAVON. ABER VORSICHT: DER HUMOR BLEIBT HIER NICHT LINKS LIEGEN! VOM POLITIKORANGE-TEAM

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24. Verdammt schwer links

25. Die Zeitung mit der Tatze

26. Laut Genfer Konvention sollte es jeder haben (Singular)

27. Eigentlich hatte keiner die Absicht, sie zu bauen (wagrecht)

28. Wenn allen alles gehört

29. Scherzhaft für Linker, frisst die Waschmaschine gerne (2 Wörter, wagrecht)

30. Russischer Politiker wie Stahl

31. Sorgte in der DDR für Sicherheit

32. Was wollt ihr dann? (senkrecht)

33. Erzfeind der Taz und trotzdem Genosse

34. Kaufladen in der DDR

35. Englisch für DDR

36. Jemanden übers Ohr hauen

37. Castros Inselparadies

38. Sehnsucht nach der DDR

39. Nicht rechts fallen lassen, sondern…

40. Außerparlamentarische Opposition

41. Hat jede Partei einmal im Jahr

42. Dieser Vorhang war nicht aus Stoff

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1. LINKS; 2. GENDERN; 3. LIMA; 4. ROSALUXEMBURG; 5. LAFONTAINE; 6. GENOSSE; 7. LINKSVERKEHR; 8. LINKSAUSSEN; 9. LAMA; 10. LENIN; 11. GYSI; 12. MANIFEST; 13. HY-PERLINK; 14. BACKBORD; 15. MERITORISCH; 16. KLINKER; 17. BLINKER; 18. LINKSHÄNDER; 19. LINK; 20. FLINK; 21. LINKEDIN; 22. LINKINPARK; 23. TROTZKI; 24. LINKSLASTIG; 25. TAZ; 26. MENSCHENRECHT; 27. MAUER; 8. VOLKSEIGENTUM; 29. LINKESOCKE; 30. STALIN; 31. STAS ; 32. MAOAM; 33. KAIDIEKMANN; 34. KONSUM; 35. GDR; 36. LINKEN; 37. KUBA; 38. OSTALGIE;39. LINKSLIEGENLASSEN; 40. APO; 41. PARTEITAG; 42. EISERNERVORHANGWillst Du die Lösung sehen, musst Du das Heft linksrum drehen:

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PIRATEN GRÜNE SPD FDP CDU

(Sitzeverteilung im Deutschen Bundestag ausgehend von den Followern der Parteien bei Twitter. Gesamtsitze: 598Stand: 13. März 2010)

Die Partei Die Linke bleibt mit 2,3 Prozent der Stimmen unter der 5-Prozent-Marke.

Die Piraten wären im Twitterland als echte Volkspartei etabliert. Mit mehr als 28.000 Follo-wern darf es sich die Partei, die mit Orange ge-kennzeichnet wird, auf der Hälfte aller Sitze be-quem machen. Offline haben die Piraten mit zwei Prozent noch nicht den Sprung in den Bundestag geschafft. Ein bitteres Ergebnis muss Die Linke im Twitterland hinnehmen: Mit nur 1300 Anhängern scheitert die Partei an der 5-Prozent-Klausel.

Um ganz komfortabel zu regieren, können die Piraten mit den Grünen koalieren. Denn nur die Partei von Claudia Roth erreicht noch mehr als 10.000 Follower. SPD und FDP landen mit jeweils rund 6.000 Followern in der Opposition und Kanz-lerin Angela Merkel muss sich mit der CDU hinten anstellen. Im Twitterland bleibt die Regierungspar-tei mit knapp 5.500 Anhängern als Einzige im ein-stelligen Bereich: 9,6 Prozent.

RAUS AUS DEREINBAHNSTRASSE

Verkehrte Welt im Web 2.0? Mit einem wö-chentlichen Podcast gibt sich Merkel schon seit 2006 als internetaffine Politikerin. Doch Merkels Videos sieht die politische Bloggerin Anne Roth als einen reinen Verkündigungskanal: „Ein unmode-rierter Chat mit Angela Merkel wäre eine Sensati-on.“ Jedoch zögern Politiker die sichere Einbahn-straße der Kommunikation zu verlassen, weil sie Kollisionen oder Überholmanöver der Nutzer von Twitter, Facebook und anderen vermeiden wollen. „Das Web richtig zu nutzen, bedeutet immer Kon-trollverlust“, sagt Martin Delius, der den Bundes-tagswahlkampf der Piratenpartei organisiert hat. Als Zentrale der Partei gibt es ein offenes Wiki, in dem sich mehr Menschen zu Wort melden als die

FRUCHTFLEISCH

WELCHE LINKE BOTSCHAFT WOLLTEST DU SCHON IMMER MAL LOSWERDEN?

FELIX RITTER, 23 JAHRE, MERSEBURG, STUDIERT SOZIALE ARBEIT

„MAN SOLL AUFHÖREN ‚LINKS‘ IMMER ALS PARTEI-LINKS ZU SEHEN UND ES MEHR

BEGRIFFLICH WAHRNEHMEN.“

„UMDEUTEN“

DARJA SAMDAN, 26 JAHRE, BERLIN STUDIERT PSYCHOLOGIE

„WAHRHEIT HAT MEHRERE SEITEN! SIE IST PERSPEKTIVISCH UND MEDIEN MÜSSEN VERSCHIEDENE MEINUNGEN DRUCKEN.“

„UMSCHREIBEN“

MANFRED PÖSEL, 60 JAHRE, BERLIN, SACHVERSTÄNDIGER FÜR IMMOBILIEN

„ES IST WICHTIG,VORURTEILE ABZUBAUEN!“

„UMDENKEN“

WER REGIERTIM TWITTERLAND? TWEETEN UND FOLLOWEN – ALLE PARTEIEN SETZEN KURZE BOTSCHAFTEN BEI TWITTER AB. DAS AUF 140 ZEICHEN BEGRENZTE GEZWITSCHER FINDET TAUSENDE ANHÄNGER. WIE WÄRE DER BUNDESTAG BESETZT, WENN SICH PARTEIEN AN IHREN FOLLOWERN MESSEN LASSEN? VON CHRISTINA QUAST

Partei Mitglieder hat. Dass die Bundestagspartei-en in digitalen Netzwerken oft nur zaghaft vertre-ten sind, führt Delius auf alte Gewohnheiten und fehlendes technisches Know-how zurück. „Es hat wohl auch mit dem Alter zu tun, dass Parteien mit dem Web 2.0 fremdeln“, so Roth. Denn Politiker unter 40 Jahren seien auf Bundesebene eine Aus-nahme.

DURCH TWITTER WIRD POLITIKNICHT ATTRAKTIVER

„Die Parteien stehen im Web auf der Schwelle zur Massenwirksamkeit“, urteilt der Pirat Delius über den Online-Wahlkampf, „aber von ‚super‘ sind wir noch weit entfernt.“ Dass Twitter und Fa-cebook zu politisch werden, glaubt er nicht: „Es ist eine freie Entscheidung, wem ich folge – man kommt nicht gezwungenermaßen damit in Kon-takt.“ Deshalb vermutet Anne Roth, dass die Par-teien links liegen gelassen werden: „Tweets und Edelprofile machen Politik nicht unbedingt attrak-tiver.“ Daran müssten die Parteien im Bundestag arbeiten, um bei Twitter und Co. aus der Opposi-tion zu kommen.

Christina Quast28 Jahre, Dortmund

Arbeitet als Freie Journa-listin und war Redakteurin bei der Kanu-WM.

GRAFIK: EIGENE RECHERCHE. VOGEL: MILOS WILLING/FOTOLIA.DE

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REVOLUTIONPER MAUSKLICK DIE ZEITEN ÄNDERN SICH: NEBEN BANNERN UND FÄHNCHEN NUTZEN AKTIVISTEN BLOGS UND IPHONE-APPS FÜR IHREN PROTEST. DAS KANN DIE WELT ZWAR NICHT RETTEN. ABER VIELLEICHT EIN BISSCHEN BESSER MACHEN. VON STEFFI HENTSCHKE

Wie zufällig treffen sich vor dem Reichstag 200 Menschen. Auf ein Zeichen zücken sie ihr Telefon und starten eine Aktion. Ihre Idee: mit dem iPhone den Server des Bundes-tags lahm legen. Ihr Ziel: gegen das System protestieren. Spontan, schnell und schmerzlos.

AKTIVISTEN MÜSSENNICHT MEHR IN DER KÄLTE LEIDEN

So sieht der Protest von morgen aus, zumindest wenn es nach dem Netzaktivisten Roman Hanig geht. „Das ist ein Stehgreif-Beispiel“, rela-tiviert der junge Mann in der Kapu-zenjacke seine Vision. „Doch dank Smartphones ist man schon auf der Straße im Netz und umgekehrt. Wie sich das verknüpfen und nutzen lässt, können wir uns heute noch nicht recht vorstellen. Ich glaube aber, da ist viel zu machen.“ Um die-sem Ziel näher zu kommen, hat Ro-man gemeinsam mit drei Freunden das Blog bleib-passiv.de gegründet. Dort bloggen sie über Themen, die ihrer Meinung nach in den etablier-ten Medien zu kurz kommen. Außer-dem geben die Initiatoren Tipps, wie und wo man sich aktiv einbringen kann. Mit passiv bleiben hat das al-lerdings wenig zu tun. „Klar wollen wir die Leute erreichen. Aber alle fordern zurzeit jeden zu irgendetwas auf. Deshalb sagen wir: Nee, nee! Egal ob du Hartz IV beziehst und für

lau arbeiten musst oder ob es dir dreckig geht. Bleib sitzen.“ Sitzen bleiben? Natürlich will Hanig genau das Gegenteil. Seine Herangehens-weise ist auch eine Anspielung auf Skeptiker, die Online-Aktivisten gern mit Couchpotatos gleichsetzen. „Frü-her“, sagen sie, „früher, haben wir uns an die Gleise gekettet und stun-denlang in eisiger Kälte verbracht. Das waren noch Zeiten, da hat der Protest wenigstens wehgetan!“ Jan Haase kennt diese Meinung und er kennt auch die alten Zeiten: Seit 20 Jahren arbeitet der Hamburger für Greenpeace, zunächst offline, heute online. „Wir müssen wegkommen von dieser Kultur, die sagt, Protest muss Spaßbefreit sein,“ fordert Haa-se. „Wir müssen schlagkräftiger und schneller werden. Wenn das weh-tut, ist das so, aber wenn das Spaß macht, ist das auch ok.“

HAUPTSACHE, DIEINTERNET-VERBINDUNG STEHT

Die Vorteile, den der Social Me-dia Hype mit sich bringt, liegen für Roman Hanig und Jan Haase auf der Hand: Jeder kann von überall aus mitmachen; egal ob auf Rügen oder direkt in Berlin. Hauptsache die Internet-Verbindung steht. „Außer-dem“, ergänzt Hanig, „ist die Hemm-schwelle sehr viel geringer und man bekommt das Gefühl, etwas bewir-ken zu können.“

Gerade Petitionen eignen sich besonders für das Internet, wie die E-Petition gegen Netzsperren bewie-sen hat. Über 135.000 Menschen registrierten sich auf der Seite des Bundestags und setzen ihr Häkchen unter die Petition. Jeder konnte mit nur einem Klick dazu beitragen, dass sich der Petitionsausschuss mit dem Thema beschäftigen muss. Info-Stän-de und Demonstrationszüge werden aber so bald nicht aus der Innenstadt verschwinden.

DIE EIGENEN LEUTEBEGEISTERN

Das zweifeln auch überzeugte Netz-Aktivisten an. Jan Haase von Greenpeace musste zum Beispiel erfahren, dass es die eigenen Leute sind, die man vom Internet über-zeugen muss. Als das Online-Portal von Greenpeace, GreenAction, vor einiger Zeit startete, registrierten sich dort zwar viele Menschen. Green-peace-Aktivsten waren davon aber die wenigsten. „Die, die wir schon auf unsere Seite wissen, haben von Twitter oft noch nie etwas gehört.“ Deshalb gehe es bei GreenAction nun darum, die Unterstützer von der Straße fürzs Medium Internet fit zu machen. Denn es ist aufwendig, den Umgang mit dem Werkzeug Internet zu lernen. Anders jedoch lassen sich die Möglichkeiten der sozialen Medi-en nicht nutzen.

Steffin Hentschke22 Jahre, Hamburg

Macht gerade Urlaub vom Jura- und Politikstudium.

Ob die neuen Medien das Protes-tieren erleichtern oder erschweren, darüber wird bei den Online-Aktivis-ten nicht mehr diskutiert. Für sie ist es eine nützliche Erweiterung; das „Plus“ zu dem Protest. Blogger Ro-man Hanig hat da noch einige Ideen: „Angenommen du fotografiert im Urlaub ein schickes Firmengebäude und weißt dank einem App sofort: Hey, dieses Unternehmen vernichtet den Regenwald. Das wäre doch toll!“ Dennoch weiß auch er um die Pro-bleme und Gefahren. „Es muss da-rum gehen, die neue Möglichkeiten effektiv zu nutzen. Ohne uns dabei davon abhängig zu machen.“ Denn natürlich kann man den Bundestag-Server mit Spams bombardieren. Aber nur solange, bis der Akku leer ist.

JAN HAASE (LINKS, GREENPEACE) UND ROMAN HANIG (BLEIB-PASSIV.DE) HABEN DEN DURCHBLICK. SIE ENGAGIEREN SICH IM NETZ UND AUF DER STRASSE.

Foto: Julia Kneuse

Page 12: Linke Medienakademie 2010 (taz-Beilage) - politikorange

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Eine Anzeige

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RECHTSGESTELLT

Alles unter dem Deckmantel der Emanzipation: Die Werbestrate-gie von nationalen Frauen ist ein-fach, aber effektiv. Juliane Lang vom Verein für demokratische Kultur in Berlin analysiert und do-kumentiert schon länger die Akti-vitäten der NPD im Bezirk Berlin. Auffallend sei, dass immer mehr Frauen in der Szene aktiv wären. Sie definieren sich nicht mehr über ihren Partner und ihren so-zialen Status, sondern treten mit eigenen politischen Forderungen und Idealen auf. Dafür haben sie sich im Ring Nationaler Frauen (RNF) zusammengeschlossen. Sie wollen junge Frauen befähi-gen, Führungspositionen in der eigenen Partei zu übernehmen. Gleichzeitig betonen sie die Mut-terrolle. Junge Frauen blieben in erster Linie für den Erhalt der Familie zuständig- so steht es auf der Homepage des RNF. „Von ih-rem überholten Frauenbild wollen sich die Nationalistinnen gar nicht befreien. Sie wollen vielmehr für Akzeptanz werben“, sagt Lang.

Vermeintlich weltoffenUm möglichst viele potentielle Parteimitglieder zu erreichen, gehen die Nationalistinnen stra-tegisch vor. Sie geben sich ver-meintlich weltoffen, bürgernah, neutral. „Bei ihnen vermutet man nicht so schnell ein rechtes Gedankengut wie bei Männern. Frauen stehen für Sozialkompe-tenz, Friedfertigkeit und Familie-nidylle“, sagt Lang. Dieses Vor-urteil würde gezielt ausgenutzt: Die NPD setzt Frauen gezielt für Spitzelarbeit, Stimmenfang und Sympathieerwerb ein. „Kochre-zepte und Bastelstunden- damit werben rechtsextreme Frauen ihre Mitglieder an“, sagt Juliane Lang. Das Konzept gehe auf, mit-tlerweile seien circa 30 Prozent der NPD–Mitglieder weiblich, das seien mehr als zum Beispiel bei der CDU oder FDP.

Marzialische MännerbastionDie Journalistin Andrea Röpke sieht die Funktion nationalisti-scher Frauen in der Ergänzung zum Mann: „Wenn man hinter die Kulissen der Neonazi-Sze-ne schaut, dann entdeckt man trotz deren Kampagnen und Be-mühungen, dass es immer noch eine marzialische Männerbastion ist.“ Wenn es sein muss, lassen weibliche Landtagskandidatinnen ihren männlichen Konkurrenten den Vortritt. Mit Emanzipation hat das wenig zu tun.

Laura Bohlmann

MUND AUF, OHREN ZU:POLITPROFIS IN AKTION ICH-AG UND WACHSTUMSBESCHLEUNIGUNGSGESETZ. SO HÖRT ES SICH AN, WENN POLITIKER SPRECHEN. IHRE FORMULIERUNGEN DIENEN EINER KLAREN STRATEGIE. VON TIMO BRÜCKEN

„Wenn Politiker anfangen zu re-den, verschließen sich viele Ohren“, sagt Redenschreiberin Christina Schildmann. Für sie und ihre Kolle-gen ist das ein Problem. Scheinbar hat sich in der Politik eine ganz ei-gene Sprache entwickelt. Wenn die Bundeskanzlerin von den „Men-schen draußen im Lande“ spricht, zeigt sie durch diese Formulierung die Distanz zwischen Volksvertreter und Bevölkerung.

„RHETORIK MUSS NICHT DER WAHRHEIT DIENEN“

Die Worte denken sich Politiker nicht selbst aus. Es gibt eine ganze Berufsgruppe, die sie für die Öffent-lichkeit trimmt. Persönliche Mitar-beiter, Redenschreiber und Medien-berater liefern das Rüstzeug für die Anforderungen der modernen Medi-enwelt. Einer, der damit zu kämpfen hat, ist Gregor Gysi. Der Fraktions-vorsitzende der Linken im Bundestag sagt: „Ich versuche, den Kern einer Sache bloßzulegen, damit mich auch jede Verkäuferin versteht, die mich nur eine Minute in der Tagesschau sieht.“ Geht es also nur um Aufklä-rung? Nicht unbedingt: „Rhetorik ist ein Instrument, das der Wahrheit dienen kann. Aber das muss es nicht unbedingt.“ So bleibt Platz für Emo-tionen. Gysi kann poltern, zuspitzen, auf den Tisch hauen und die Welt in Gut und Böse teilen. Deswegen sagen ihm die einen außergewöhnli-ches rhetorisches Talent nach, ande-re nennen ihn einen Populisten.

Sind Rhetorik und Populismus einander ähnlicher, als man denkt? Nein, das müsse man trennen, sagt der Rhetorik-Trainer Moritz Kirchner. Rhetorik heiße, Dinge pointiert aus-zudrücken und den Menschen Bilder in den Kopf zu setzen. „Populismus ist im Gegensatz dazu nur eine Über-vereinfachung. Populisten machen die Dinge zu flach.“

Viele Politiker machen genau das Gegenteil. Sie neigen zu langen, ver-schachtelten Wortungetümen, „Syno-nyme des Grauens“ nennt sie Thomas Steg. Ein Beispiel: „Wachstumsbe-schleunigungsintensivierungsverstä-tigungsgesetz“. Der ehemalige Regie-rungssprecher kennt die Praxis und weiß, wo diese Worte entstehen: In der Verwaltung. „Beamtendeutsch ist eine vernebelnde Tarnsprache.“ Politiker übernehmen diesen Jargon,

Timo Brücken 23 Jahre, Landau

Studiert in Landau Sozialwis-senschaften und schreibt für die Rheinpfalz sowie back view.

weil es bequemer ist: „Die Unschärfe gehört zur politischen Sprache. Wenn diese nicht unscharf und unbestimmt bleibt, wird sie schnell widerlegbar“, so der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen. Sich hinter unscharfen Be-griffen zu verschanzen, schützt vor Widerspruch.

Doch um politische Ziele zu errei-chen, gehen viele noch einen Schritt weiter. Sie versuchen, die Deutungs-hoheit über bestimmte Worte zu si-chern.

„AGENDA 2010WAR GEHIRNWÄSCHE“

Das beste Beispiel sei „Agenda 2010“, sagt der Journalist Klaus-Die-ter Heiser: „Das war Gehirnwäsche, dadurch, dass Begriffe eine neue Be-deutung bekommen haben.“ Durch das Gesetz sei zum Beispiel Reform zum Schimpfwort verkommen. Gleichzeitig habe man versucht,

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durch positiv konnotierte Ausdrücke wie Flexibilität die negativen Folgen zu beschönigen. Welche Absicht Poli-tiker mit ihrer Wortwahl auch immer verfolgen: Redner, die wissen was sie tun, können Sachverhalte einfacher ausdrücken oder aber noch weiter verkomplizieren – je nachdem, was sie erreichen wollen.

GREGOR GYSI: EIN MANN, VIELE WORTE.

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FRISCH, FRUCHTIG, SELBSTGEPRESST

Als Veranstaltungszeitung, Ma-gazin, Onlinedienst und Radiopro-gramm erreicht das Mediennetz-werk politikorange seine jungen Hörer und Leser. Krieg, Fortschritt, Kongresse, Partei- und Jugendme-dientage – politikorange berichtet jung und frech zu Schwerpunkten und Veranstaltungen. Junge Auto-ren zeigen die große und die kleine Politik aus einer frischen, fruchti-gen, anderen Perspektive.

POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUMpolitikorange wurde 2002 als

Veranstaltungsmagazin ins Leben gerufen. Seit den Politiktagen ge-hören Kongresse, Festivals und Ju-gendmedienevents zum Print- und Online-Programm. 2004 erschienen die ersten Themenmagazine: staef-fi* und ortschritt*. Während der Ju-gendmedientage 2005 in Hamburg wurden erstmals Infos rund um die Veranstaltung live im Radio ausge-strahlt und eine 60-minütige Sen-dung produziert.

WIE KOMM’ ICH DA RAN?Gedruckte Ausgaben werden

direkt auf Veranstaltungen, über die Landesverbände der Jugendpresse Deutschland und als Beilagen in Ta-geszeitungen verteilt. Radiosendun-gen strahlen wir mit wechselnden Sendepartnern aus. Auf www.poli-tikorange.de berichten wir live von Kongressen und Großveranstaltun-gen. Dort stehen bereits über 50 politikorange-Ausgaben und unse-re Radiosendungen im Archiv zum Download bereit.

WARUM EIGENTLICH POLITIKORANGE?In einer Gesellschaft, in der oft

über das fehlende Engagement von Jugendlichen diskutiert wird, begeistern wir für eigenständiges Denken und Handeln. politik-oran-ge informiert über das Engagement anderer und motiviert zur Eigenini-tiative. Und politikorange selbst ist Engagement – denn politikorange ist frisch, fruchtig und selbstge-presst.

WER MACHT POLITIKORANGE?Junge Journalisten – sie recher-

chieren, berichten und kommentie-ren. Wer neugierig und engagiert in Richtung Journalismus gehen will, dem stehen hier alle Türen offen. Genauso willkommen sind begeisterte Knipser und kreative Köpfe fürs Layout. Den Rahmen für Organisation und Vertrieb stellt die Jugendpresse Deutschland. Stän-dig wechselnde Redaktionsteams sorgen dafür, dass politikorange immer frisch und fruchtig bleibt. Viele erfahrene Jungjournalisten der Jugendpresse stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Wer heiß aufs Schreiben, Fo-tografieren oder Mitschneiden ist, findet Infos zum Mitmachen und zu aktuellen Veranstaltun-gen unter www.politikorange.de oder schreibt an mitmachen@ politikorange.de. Die frischesten Mitmachmöglichkeiten landen dann direkt in Deinem Postfach.

IMPRESSUM

Diese Ausgabe von politikorange

entstand auf der 7. Linken Medien-

akademie, die vom 10. bis 14. März

2010 in Berlin stattfand.

Herausgeber und Redaktion: politik-

orange – Netzwerk Demokratieoffen-

sive, c/o Jugendpresse Deutschland

e.V., Wöhlertstraße 18, 10115 Berlin,

www.jugendpresse.de

Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Natascha

Verbücheln (n.verbucheln@web.

de), Christina Quast (christina.

[email protected]), C. Gregor Land-

wehr ([email protected])

Redaktion: Sophie Hubbe, Steffi

Hentschke, Meiken Hindenberg, Bea

Marer, Laura Bohlmann, Janina Gu-

termann, Timo Brücken

Bildredaktion: Julia Kneuse (julia@

kneuse.de), Danilo Bretschneider (d.

[email protected])

Layout: Sebastian Wenzel (zeitungs-

[email protected])

Koordination: Andreas Weiland,

Sebastian Serafin (mitmachen@

politikorange.de

Druck: Henke Pressedruck

Auflage: 48.500 Exemplare

Besonderer Dank: An Christoph

Nitz (ermöglichte dieses Projekt),

Kai-Uwe Kehl (verantwortlich für die

Grundgestaltung) und Marc Seele

(verpasste uns ein neues Logo)

Foto: Julia Kneuse

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KATJA KIPPING (DIE LINKE), BENEDIKT LUX (DIE GRÜ-NEN) UND BJÖRN BÖHNING (SPD, VON LINKS NACH RECHTS) SPIELEN NICHT NUR IN IHREN GEDANKEN MIT DEN POLITI-SCHEN FARBEN.

AUF DIE RICHTIGE MISCHUNG KOMMT ES AN IST DIE ZUKUNFT NUN SCHWARZ-GRÜN ODER DOCH ROT-ROT-GRÜN? WÄHREND DIE ÖFFENTLICHKEIT ÜBER NEUE BÜNDNISSE DISKUTIERT, STELLEN DIE BETROFFENEN NACHWUCHSPOLITIKER GANZ ANDERE FRAGEN. WIE SOLL DAS GEHEN UND ÜBERHAUPT, WOFÜR SOLL MEINE FARBE STEHEN? VON STEFFI HENTSCHKE

Zurzeit wird viel geredet über das Koalieren und Regieren. Wer mit wem scheint dabei wichti-ger als wie soll das gehen? Einst feindliche Lager sind plötzlich nur noch einen Bindestrich weit von einander entfernt, ehemals klare Konfliktlinien ha-ben sich in den Weiten des Fünf-Parteien-Systems immer mehr verlaufen. Keine guten Voraussetzun-gen, um idealistische Politik zu machen.

KOMPLEXE ZEITEN ERFORDERN KOMPLEXE LÖSUNGEN

Katja Kipping versucht es trotzdem. Die stell-vertretende Vorsitzende der Linken ist Gründungs-mitglied des Institut für solidarische Moderne. Mit der Denkfabrik soll die Idee von Rot-Rot-Grün aus dem Hinterzimmer hinaus in die Gesellschaft ge-hievt werden. Kipping will aber noch mehr: „Rot-Rot-Grün kann kein Selbstzweck sein“, sagt die 32-Jährige. „Es kann maximal ein Mittel sein, um nachhaltig die Verhältnisse in diesem Land zu ver-schieben. Damit dies passiert, müssen sich linke Akteure damit auseinandersetzen, was herrschen-de Hegemonien sind und wie stark sie sich davon beeinflussen lassen.“ Hegemonien, der Begriff wirkt so verstaubt wie die marxistischen Klassiker. Tatsächlich stammt der Ansatz aus linken Denk-fabriken. Schon damals versuchten Politiker von SPD, PDS und Grünen die Möglichkeiten des linken Lagers zu ergründen, wirklich erreicht haben sie

bisher noch nichts. Offensichtlich weiß der Wähler heute weniger denn je, was er von einem linken Bündnis erwarten kann. Neuen Sozialabbau oder doch Verstaatlichung? Dieses Problem hat auch Sozialdemokrat Björn Böhning erkannt „Wir müs-sen dringend darüber nachdenken, was das inhalt-liche Projekt für Rot-Rot-Grün sein kann.“ Böhning ist für viele ein Hoffnungsträger in der SPD und war 2009 auf dem besten Weg, in den Bundestag einzuziehen. Doch die Stimmen reichten nicht für einen Sitz im Parlament.

DIE SUCHE NACHDEN KONFLIKTLINIEN

Immerhin hat Böhning nun Zeit, um über die Inhalte eines rot-rot-grünen Projekts nachdenken. Und immerhin ist er mit seinen Überlegungen nicht allein: Ska Keller, Anna Knauf, Franziska Stier, Benedikt Lux – Namen von roten, neu-roten und grünen Nachwuchspolitikern, die sich zur-zeit zusammen setzen. Gemeinsam diskutieren sie, wie man linke Politik definieren und gestal-ten kann. „Das Problem ist,“ kritisiert Böhning, „dass man sich untereinander meistens sehr gut versteht. Doch das reicht nicht, um mit einer Koa-lition die Gesellschaft zu verändern.“ Deshalb geht es für Böhning, wie auch für die anderen darum, während der parteiübergreifenden Gespräche das eigene Revier zu markieren. Nur so, glaubt der

SPD-Politiker, könne man sehen, wo die Schnitt-mengen liegen. „Wo gibt es Unterschiede und wo ist es notwendig, die unterschiedlichen Traditi-onslinien zusammenzuwerfen um daraus etwas Neues entwickeln zu können“, fragt deshalb Katja Kipping. Bei den beiden roten Politikern sind die-se Fragen gut nachvollziehbar: Sie teilen sich eine Farbe, aber auch eine Wählerschaft.

„MEINE INHALTE LASSEN SICH GANZ KLAR MIT ROT-ROT VERWIRKLICHEN“

Ein Problem, das die Grünen im Moment nicht haben. Sie wollten sich von der SPD emanzipieren und haben dies in einigen Ländern bereits getan: Seitdem ist die Sache mit Schwarz-Grün kein Alb-traum mehr. „Meine Inhalte lassen ganz klar eher mit Rot-Rot verwirklichen“, kommentiert Benedikt Lux solche Thesen. Der Jurist ist innenpolitischer Sprecher der Grünen in Berlin. Er zählt sich zu jenen in der Partei, die auf das Label „links“ nicht verzichten wollen. Auch, weil sie eine Verflüssi-gung der Lager kritisch betrachten. Demokratie gefährdend könnten lagerübergreifende Koalitio-nen sein, fürchtet Lux, der eine Zusammenarbeit mit der CDU für unvorstellbar hält. Klare Konflikt-linien hält er für unverzichtbar in der Politik. Die Jungpolitiker sind dabei, mit den Farbtöpfen auf-einander zu zu gehen. Zu klären bleibt nun, wel-che Mischung am Ende dabei herauskommt.

Foto: Julia Kneuse

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ZWISCHEN DEMONSTRIEREN UND DOKUMENTIEREN ALS DIE MAUER ZWISCHEN ISRAEL UND DER WESTBANK IN DIE HÖHE WUCHS, ENTSTAND AUCH DIE GRUPPE ACTIVESTILLS. DARIN HABEN SICH FÜNF FRAUEN UND FÜNF MÄNNER AUS ISRAEL UND ANDEREN LÄNDERN ZUSAMMENGESCHLOSSEN, DIE ALS FOTOGRAFEN UND AKTIVISTEN GEGEN DIE BESETZUNG DER PALÄSTINENSISCHEN GEBIETE PROTESTIEREN. VON CHRISTINA QUAST

Der Ursprung von ActiveStills liegt im Dorf Bilin, dort gab es bis zum Mauerbau gemeinsame Demonstra-tionen von Israelis, Palästinensern und internationalen Unterstützern. Darunter waren die Mitglieder von ActiveStills: Sie demonstrieren und dokumentieren zugleich mit ihren Kameras.

Im Jahr 2005 startete das offene Kollektiv mit vier Israelis, die nicht nur ihre Doppelrolle als Aktivisten und Fotografen verband, sondern ebenso die fehlende Möglichkeit, ihre ausdrucksstarken Fotos in die Öffentlichkeit zu bringen.

Denn die ActiveStills Bilder pas-sen nicht in die Berichte der israeli-schen Medien: „Es erscheinen keine Geschichten zum täglichen Leben in den militärisch besetzten Gebieten“, findet Keren Manor, ein israelisches Mitglied der Gruppe.

Ziel der Gruppe ist es, mit den Bildern so viele Menschen wie mög-lich zu erreichen und unabhängig zu bleiben. So sind die ActiveStills Fotos in Straßenausstellungen zu se-hen. Die Fotografen kleben die Bilder einfach an triste oder verschmierte Hauswände und warten auf die Re-aktionen der Passanten. Nicht selten

werden die Fotos in Israel abgerissen, zerkratzt oder übermalt. Trotzdem möchten die ActiveStills Mitglieder die raue Straße nicht gegen geschütz-te Galerien eintauschen: „Dorthin kommen Menschen, die schon über-zeugt sind. Aber wir möchten Men-schen erreichen, die den Konflikt ig-norieren oder nicht darüber Bescheid wissen“, sagt Keren Manor.

Ausstellungen der Gruppe waren in Hamburg, München und Berlin zu sehen. Die Fotografen möchte nicht als Künstler wahrgenommen werden, sondern Missstände abbilden, die in Israel niemand sehen will. „Für mich

ist es am bedeutendsten unsere Fotos in israelischen Medien zu finden“, sagt Silan Dallal, obwohl Bilder von ActiveStills von Medien in der gan-zen Welt veröffentlicht werden.

„Wir haben nicht die naive Ein-stellung, die Welt verändern zu kön-nen“, so Keren Manor. Sie ist sich be-wusst, dass sich an der Situation in Israel gerade wenig ändert. Dennoch sind die Mitglieder von ActiveStills überzeugt, dass es keinen anderen Weg gibt, als für ihre Überzeugungen zu kämpfen, Widerstand gegen die israelische Politik zu leisten und auf den Auslöser zu drücken.

Fotos: www.activestills.org