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Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3 Herausgeber Prof. Dr. Hermann Wiegand Prof. Dr. Alfried Wieczorek Dr. Claudia Braun PD Dr. Michael Tellenbach Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Band 45

Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Page 1: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

Mannheimer GeschichtsblätterSonderveröffentlichung 3

Herausgeber

Prof. Dr. Hermann Wiegand

Prof. Dr. Alfried Wieczorek

Dr. Claudia Braun

PD Dr. Michael Tellenbach

Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen Band 45

Page 2: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter Inhalt

Stimmen aus Natur und Jenseits

117

123

128

59

65

77

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93

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41

49

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55

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Widmung

Vorwort der Herausgeber

Alfried Wieczorek, Hermann Wiegand und Michael

Tellenbach

Musik als Menschheitsphänomen

Einführung in die Ausstellung „Musik-Welten"

Reiss-Engelhorn-Museen – Museum Bassermannhaus

Michael Tellenbach und Horst Pulkowski

3

4

9

Musik der Gottheiten

Afrikanische Leiern und ihre antiken Ursprünge

Wendy Eixler

Mythos und Musik

Susanne Rühling

Apollon und die Musen auf einer Weinkanne

Claudia Braun

Gesang der Götter

Arnd Adje Both

Die heilige Harfe ngombi im Bwiti-Kult Zentral-

afrikas

Wendy Eixler

Psalter mit Kasten

Liselotte Homering

Musik und Tanz in der indischen Mythologie

Ludwig Pesch

Klingendes Wort – schwebender Klang:

Gregorianischer Choral

Christof Nikolaus Schröder

Elfenbeinsyrinx mit Satyr und Nymphe

Liselotte Homering

Höllenglocken und der Klang einer gotischen Ka-

thedrale – die akustische Illusion einer Musikwelt

David-Emil Wickström

Barockorgel

Liselotte Homering

18

19

24

25

Hofmusik in Japan

Silvain Guignard

Viola d´Amore

Horst Pulkowski

Beatboxing

Volker Meyer-Dabisch

Verschlüsselte Botschaften auf Musikinstrumenten

der Bergstämme Nordthailands

Gretel Schwörer-Kohl

Jagdhorn und Jagdhornsignale

Horst Pulkowski

Afrikanische Sprechtrommeln

Andreas Meyer

Trompeten und Hörner Altamerikas –

Symbole der Herrschaft im Reich der weltlichen

und spirituellen Mächte

Friedemann Schmidt

Musik und Botschaft

Musik bei Hofe

Musikwelten Tibets

Gert-Matthias Wegner

Die Natur im Klang: Pfeifgefäße Altamerikas

Arnd Adje Both

Sind es die Stimmen der Geister?

Vogelstimmen, Flöten und andere übersinnliche

Klänge in Papua-Neuguinea

Alexis Th. von Poser

Die Rückkehr der Geisterfrau

Die Geistertrommel der Kayan (Papua-Neuguinea)

in den Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen

Alexis Th. von Poser

Rätsche, Ratsche, Räppel oder Rappel

Markus J. Weber und Tanja Vogel

Page 3: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

8

Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer GeschichtsblätterInhalt

Impressum

Träumen und heilen: Die Rolle schamanischer

Trommeln und Musik bei den Chepang, Nepal

Diana Riboli

Die Trommel der Saami als Abbild von Weltbild

und ritueller Praxis im Wandel

Erich Kasten

Clubräume – Freiräume

Sabine Vogt

Die Entwicklung der Musikelektronik –

Exemplarische Stationen und Einsatz in der

populären Musik

Heiko Wandler

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137

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159

168

169

175

183

189

195

203

207

Musik und Verwandlung

Tanzmeistergeige

Liselotte Homering

Masken aus dem Kameruner Grasland

Wendy Eixler

Im Bann von Maske, Tanz und Schellenklang

Tanja Vogel

„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tan-

zen verstünde." Igor Strawinskys Ballett „Le Sacre

du Printemps"

Horst Pulkowski

Masken und Musikinstrumente aus Neuirland

Markus Schindlbeck

Tanz und Maske

„Eine Armee von Generälen"

Die Hofmusik des Kurfürsten Carl Theodor in

Mannheim und Schwetzingen in den Jahren von

1743 bis 1778

Bärbel Pelker

Kurfürst Carl Theodor mit Traversfl öte

Andreas Krock

Musik im Königreich Benin (Westafrika)

Alexander Pilipczuk

Page 4: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter

Arnd Adje Both

Gesang der Götter

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass vielen

Musikinstrumenten vorspanischer Kulturen die

Gestalt von Göttern gegeben wurde. Nicht nur

aus dem Grund, dass sie häufi g in Tempelanlagen

ausgegraben wurden, muss es eine sehr enge Ver-

bindung zwischen der Musikpraxis und religiösen

Vorstellungen gegeben haben.

Um Näheres über diese Zusammenhänge zu

erfahren, helfen insbesondere die schriftlichen

Quellen aus dem 16. Jahrhundert weiter, die vom

Leben und der Vorstellungswelt vorspanischer Kul-

turen berichten. Tatsächlich sind darin hinsichtlich

der Bedeutung von Musikinstrumenten in azte-

kischen Mythen wichtige Schlüsselinformationen

enthalten.

Die aztekische Sonnenlegende erzählt im Zuge

der Erschaffung des Menschen den Ursprung des

Schneckenhorns. Zu Beginn des fünften Weltzeit-

alters reist der Schöpfergott Quetzalcoatl („Gefi e-

derte Schlange“) hinab in die Unterwelt in das

Reich des Herrn der Toten Mictlantecuhtli. Dort soll

er die Knochen der Wesen vorangegangener Zeit-

alter beschaffen, aus deren gemahlener Substanz

später in Verbindung mit dem geopferten Blut der

Götter die Menschen geschaffen werden. Nach

langem und beschwerlichem Weg durch die Unter-

welt erfährt Quetzalcoatl, dass er viermal auf dem

Schneckengehäuse des Herrn der Toten zu blasen

und sich dabei den vier Weltrichtungen zuzuwen-

den habe, um die Knochen mitnehmen zu dürfen.

Das heißt, er solle sich im Zentrum der Unterwelt

einmal um die eigene Achse drehen und das Schne-

ckenhornritual ausführen. Allerdings glaubt der

Herr der Toten, Quetzalcoatl einen Streich gespielt

zu haben, denn auf seinem Schneckengehäuse

lässt sich nicht der geringste Ton erzeugen – die

Anblasöffnung fehlt. Quetzalcoatl ist somit vor die

Aufgabe gestellt, erst das Schneckenhorn selbst

zu erschaffen, um dann das Ritual ausführen zu

können. Was dem Herrn der Toten unmöglich

erscheint, gelingt Quetzalcoatl durch Zauberkraft.

Er ruft seine Helfertiere herbei, schwarze Bienen,

die den Kanal des Gehäuses aufbohren und somit

das Mundstück freilegen. Nachdem Quetzalcoatl

das Schneckenhornritual ausgeführt hat, muss

ihn sein Gegenspieler, Mictlantecuhtli, wenn auch

widerwillig, mit den Knochen davon ziehen lassen.

Somit stand der Erschaffung des Menschen durch

die Götter – ein Ereignis, das für die Azteken in der

Ruinenstätte von Teotihuacan stattgefunden hat –

nichts mehr im Wege.

An diesem Mythos ist abzulesen, dass dem in der

Unterwelt erstmalig produzierten Klang des Schne-

ckenhorns ein großes schöpferisches Potential bei-

gemessen wurde. Als Blasinstrument mit seinem

spiralförmigen Kanal wurde das Horn eng mit den

magischen Kräften des Quetzalcoatl in Verbindung

gebracht, und so wundert es nicht, dass die azte-

kischen Priester, deren Patron dieser Gott war, mit

dem Brustschmuck aus einer Sektion des Schne-

ckengehäuses ausgestattet waren. Der Mythos

liefert zudem eine Erklärung dafür, dass Musikin-

strumente viermal den Weltrichtungen entgegen

gespielt wurden, um die Wirksamkeit eines Ritu-

als zu gewährleisten. Ihm zufolge wurde diese

Musikpraxis mit einer Metapher umschrieben,

die „etwas (das heißt das Musikinstrument oder

den Klang) viermal in allen Richtungen um den

kostbaren kreisförmigen Grünstein (das heißt das

Zentrum der Welt) herumtragen“ lautete (nauhpa

xictlayahualochti in chalchiuhteyahualco). Klänge

wurden in diesem Sinne den vier Weltrichtungen

dargebracht, also nach aztekischem Verständnis

geopfert.

Es ist nicht klar, ob in anderen vorspanischen Kul-

turen vergleichbare mythologische Vorstellungen

existieren, die sich auch in der Musikpraxis nieder-

geschlagen haben.

Aus einem Tempel von Teotihuacan sind Wand-

malereien von Schneckengehäusen bekannt, die

in eine Unterwasserwelt plaziert sind. Durch Volu-

ten, den vorspanischen Zeichen für Klang, sind die

Gehäuse als klingend dargestellt, obwohl sie noch

ihr spitz zulaufendes Ende, also kein Mundstück,

aufweisen. Diesen Darstellungen könnte ein mit

der aztekischen Version vergleichbarer Mythos

zugrunde liegen, der – sollte dies zutreffen – auf

ein beträchtliches Alter zurückgeblickt haben dürf-

te. In Teotihuacan sind zudem häufi g Darstellungen

von Schneckenhörnern in vier- oder achtfacher Aus-

Page 5: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter

Abb. 1 Pfeife mit der Darstellung des Windgottes EhecatlGolfküste, MexikoUm 500 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 21 cm x B 5,5 cm x T 6,5 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7131

Gesang der Götter

Page 6: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter

Arnd Adje Both

Abb. 2 Flöte mit der Darstellung des Alten Gottes IzamnáMaya, MexikoUm 600 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 27 cm x B 8 cm x T 11 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7176

Page 7: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter

Gesang der Götter

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter

Arnd Adje Both

Page 9: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter

ist so groß, dass sich der Kopf des Spielers hinter

ihm verbirgt. So konnte er im Ritual selbst zum Fle-

dermausgott werden.

Ein anderer aztekischer Mythos erzählt, wie

die Musik auf die Erde kam. Es handelt sich dabei

gleichzeitig um die Entstehungsgeschichte der mit

Fell bespannten Standfußtrommel (huehuetl) und

der Schlitztrommel (teponaztli).

Zu einer Zeit, als die Menschen noch keine Musik

kannten, lebten diese beiden Instrumente, von

denen das eine drei Füße und das andere große

Ohren hatte, als Sänger am Hof der Sonne. Mit den

drei Füßen sind die aus dem Baumstamm ausge-

schnitzten Standfüße der Felltrommel und mit den

großen Ohren die beiden vibrierenden Zungen der

Schlitztrommel gemeint. Um den Menschen die

Möglichkeit zu geben, mit den Gottheiten in Ver-

bindung zu treten (das heißt „Klänge zu opfern“),

begaben sich in der einen Version des Mythos der

Windgott und in der anderen der Gott Tezcatlipoca

(„Rauchender Spiegel“) mittels magischer Gesän-

ge auf den Weg zur Sonne, um deren Sänger zu

veranlassen, sich auf der Erde als Trommeln nie-

derzulassen. Dazu rufen sie Wale und Schildkröten

herbei, die eine Brücke über das Meer zur Sonne

schlagen. Die Sonne verbietet ihren Hofmusikern,

den magischen Gesängen zuzuhören, doch sind

die Klänge mächtig genug, sie zu verzaubern und

so auf die Erde zu locken. Hier manifestieren die

Sänger sich endlich in ihrer uns bekannten Form.

In diesem Mythos werden die Trommeln als

göttliche Wesen beschrieben, die der Sphäre der

Sonne entstammen. Tatsächlich genossen sie bei

den Azteken besondere Verehrung. Der Symbolik

erhaltener Trommeln zufolge könnte es sich bei

den beiden Wesen um die Götter der Musik, Xochi-

pilli („Blumenprinz“) und Macuilxochitl („5-Blume“),

gehandelt haben, denn diese sind häufi g auf den

Trommeln dargestellt. Auf der berühmten Felltrom-

mel von Malinalco fi ndet sich auf der einen Seite

die Darstellung von Xochipilli, der zwei Handrasseln

schwingt und ein Vogelkostüm trägt, und auf der

anderen Seite das Zeichen „4-Bewegung“ (nahui

olin) für das fünfte Weltzeitalter. Die Steindarstel-

lung einer aztekischen Schlitztrommel in Original-

größe zeigt hingegen Macuilxochitl. Seine Augen

sind in zwei Handfl ächen dargestellt und um den

Mund herum rankt eine Blume, das Zeichen für

führung zu fi nden, die einen mit den vier Weltrich-

tungen in Verbindung stehenden Zahlensymbolis-

mus nahe legen.

Blasinstrumente spielten in vorspanischen Kul-

turen wohl deshalb eine so große Rolle, da sie mit

Hilfe des Atems – also des Windes – zum Klingen

gebracht werden. Der Wind galt als beseelt, von

großer schöpferischer Kraft, und wurde in Gestalt

der Gottheit Ehecatl (Windgott) verehrt, die eng

mit Quetzalcoatl verbunden war. In keinem Instru-

ment wird dieser Bezug deutlicher als in einer Pfei-

fe der Golfküstenkulturen Mexikos, die sich in den

Sammlungen der Reiss-Engelhorn-Museen befi n-

det, und zeigt, dass sich diese Vorstellungen nicht

nur auf die Kultur der Azteken beschränken. Die

Pfeife (Abb. 1) ziert die Gestalt des Windgottes mit

seiner charakteristischen Schnabelmaske. Genauer

gesagt handelt es sich hier um eine so genannte

Kolbenpfeife (spanisch: „fl auta de émbolo“), denn

in ihrem Inneren befi ndet sich ein Tubus, der in Auf-

und Abwärtsbewegung durch die Röhre der Pfeife

gleitet und Flatterklänge hervorruft. Der Spieler

musste seinen Kopf dazu in den Nacken werfen

und dann in der Rückwärtsbewegung sein Kinn auf

die Brust fallen lassen, wobei die Figur des Ehecatl

zunächst dem Himmel entgegen und dann nach

vorne gerichtet war.

Bei einem anderen Instrument der Reiss-Engel-

horn-Museen handelt es sich um eine polyglobu-

lare Gefäßfl öte der Maya-Kultur, die das Gesicht

des Alten Gottes Izamná ziert (Abb. 2). Das hervor-

ragend erhaltene Instrument ist randgeblasen und

hat in den unteren beiden Kammern jeweils zwei

Griffl öcher, die vorne mit den Zeigefi ngern und

hinten mit dem Daumen geöffnet und geschlos-

sen werden können. Das Gesicht des Gottes mit

seinen charakteristischen Falten zeigt beim Spiel

nach vorne und stellt wie bei vielen anderen Blasin-

strumenten mit fi gürlichen Applikationen eine Art

Maske dar. Mit der Flöte lässt sich ein warmer, tiefer

Klang produzieren, der aufgrund der Ausformung

des Mundstücks zugleich sehr „windig“ klingt.

Um ein wirkliches Maskeninstrument handelt

es sich bei einem weiteren Objekt der Reiss-Engel-

horn-Museen, das den Golfküstenkulturen Mexikos

zuzuordnen ist (Abb. 3). Es stellt den Fledermaus-

gott dar, in dessen Körper eine Pfeife mit großem

Sekundärresonator integriert ist. Das Instrument

Abb. 3 (vorherige Dop-pelseite) Vorder- und Rückseite einer Pfeife in Form des FledermausgottesGolfküste, MexikoUm 600 n. Chr.Keramik, FarbmittelH 34 cm x B 22 cm x T 15 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung FreudenbergInv.-Nr. V Am 7164

Gesang der Götter

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3Mannheimer Geschichtsblätter

Arnd Adje Both

Abb. 4 Statue des Xochipilli Azteken, Mexiko1350-1520 n. Chr.Vulkanischer SteinH 74,5 cm x B 26 cm x T 31 cmReiss-Engelhorn-Museen MannheimSammlung von MaxInv.-Nr. V Am 1085

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Musik der Gottheiten Sonderveröffentlichung 3 Mannheimer Geschichtsblätter

mit der applizierten Maske des Xochipilli, die das

Schallloch verdeckt. Ähnliche Vorstellungen leben

bis heute in ethnischen Gruppen Mexikos fort. So

weisen die vergöttlichten Keramiktrommeln der

Maya-Lacandón (Selva Lacandona, Chiapas) Schall-

löcher auf, die ähnlich jenen der aztekischen Kera-

miktrommeln so angebracht sind, dass der Klang

hinter dem Bildnis der Gottheit entweicht. Die im

Klangkörper der Standfußtrommeln der Huichol

(Sierra Madre Occidental, Nayarit und Jalisco) ange-

brachten Löcher werden als „Mund“ der Trommel-

gottheit bezeichnet. Wie schon anhand der oben

genannten Maya-Flöte gezeigt, wurde das Kon-

zept in vorspanischen Kulturen auch auf andere

Instrumente übertragen, besonders auf Keramik-

fl öten, die Götter darstellen. Quellen aus dem 16.

Jahrhundert zufolge sprach Tezcatlipoca durch die

Flöte und tat den Menschen auf diese Weise seinen

Willen kund.

Musiker nahmen also die Stellung von erfah-

renen Mittlern ein, die zu einer Kommunikation

mit der spirituellen Welt fähig waren und deshalb

hohes Ansehen genossen. Da sie der Stimme von

Göttern zum Ausdruck verhalfen, liegt es auf der

Hand, dass die Musik in diesem Zusammenhang

als göttlicher Gesang aufgefasst wurde. Dabei gab

es keinen Unterschied zwischen Vokal- und Instru-

mentalmusik, ein Musikinstrument zu spielen, hieß

„auf ihm zu singen“, so wie der Tanz als ein „Gesang

mit den Füßen“ verstanden wurde.

Der hohen Grad der Formalisierung vorspa-

nischer Musikpraktiken, zu denen besondere

Schutzvorkehrungen wie Rauchopfer und die Wei-

hung der Instrumente zählten, ist auf dieses Ver-

ständnis zurückzuführen.

Musik und Opfer. Bemerkenswert ist, dass an den

Seiten der Trommel Jaguarfelle dargestellt sind, es

sich hier also um die Darstellung eines Instruments

handelt, das aus einer Schlitztrommel und einer

doppelseitig bezogenen Felltrommel besteht.

Archäologische Funde im Zentrum von Mexiko-

Stadt belegen, dass mehrere Schreine des azte-

kischen Tempelbezirks den Göttern der Musik

geweiht waren.

Diese Strukturen, die „Roten Tempel“, bargen

nicht nur eine Fülle an Miniaturnachbildungen

der aztekischen Musikinstrumente – Metallschel-

len, Keramiktrommeln, Flöten, Klangsteine, und

andere Instrumente – sondern auch Statuen der

Götter der Musik, die wohl ursprünglich auf den

Schreinen platziert waren und dort, umringt von

den Nachbildungen des Instrumentariums, verehrt

wurden. Berichten aus der frühen Kolonialzeit und

Darstellungen in Bilderhandschriften zufolge wur-

den diese Statuen, von denen sich eine sehr gut

erhaltene des Gottes Xochipilli in den Sammlungen

der Reiss-Engelhorn-Museen befi ndet (Abb. 4), im

Rahmen großer Kreistänze geschmückt und in das

Zentrum des Tanzes gestellt. Auch hier fi nden wir

wieder eine Anlehnung an die vier Weltrichtungen

und das Zentrum der Welt.

Der aztekische Mythos von der Entstehung der

Musik auf der Erde legt nahe, dass Musikinstru-

mente als Gefäße aufgefasst wurden, die während

des Spiels von der jeweiligen Gottheit bewohnt

waren. Ihre Klänge wurden in diesem Zusammen-

hang als die Stimme oder der „Blumengesang“

(xochicauicatl) der Götter wahrgenommen. Kein

Instrument verdeutlicht dieses Verständnis so ein-

deutig wie aztekische Gefäßtrommeln aus Keramik

Gesang der Götter

Page 12: Mannheimer Geschichtsblätter Sonderveröffentlichung 3

Sonderveröffentlichung 3Impressum Mannheimer Geschichtsblätter

208

Begleitbuch „Musik-Welten“

Herausgeber

Hermann Wiegand

Alfried Wieczorek

Claudia Braun

Michael Tellenbach

Inhaltliche Konzeption

Alfried Wieczorek

Michael Tellenbach

Arnd Adje Both

Wendy Eixler

Autoren

Dr. Arnd Adje Both

Dr. Claudia Braun

Wendy Eixler M. A.

Prof. Dr. Silvain Guignard

Liselotte Homering

Dr. Erich Kasten

Andreas Krock M. A.

PD Dr. Andreas Meyer

Volker Meyer-Dabisch

Dr. Bärbel Pelker

Dr. Ludwig Pesch

Dr. Alexander Pilipczuk

Dr. Alexis Th. von Poser

Prof. Dr. Horst Pulkowski

Dr. Diana Riboli

Susanna Rühling M.A.

Dr. Markus Schindlbeck

Friedemann Schmidt

Christof Nikolaus Schröder,

Mag. rer. publ.

Prof. Dr. Gretel Schwörer-Kohl

PD Dr. Michael Tellenbach

Tanja Vogel M. A.

Dr. Sabine Vogt

Dr. Heiko Wandler

Markus J. Weber

Prof. Dr. Gert-Matthias

Wegner

Dr. David-Emil Wickström

Exponatfotografi e

Jean Christen

Wissenschaftliche Redaktion

und Lektorat

Claudia Braun

Luisa Reiblich

Jutta Hitzfeld

Tanja Vogel

Graphische Gestaltung

Reiss-Engelhorn-Museen

Mannheim

Produktion

Verlag Regionalkultur,

Heidelberg – Ubstadt-Weiher

– Basel

Druck

NiNO Druck GmbH

Neustadt a. d. Weinstr.

Abbildungen

© Reiss-Engelhorn-Museen

Mannheim (Fotograf Jean

Christen oder rem-Archiv),

wenn nicht ausdrücklich

andere Rechteinhaber

benannt sind.

Sollten Rechteinhaber nicht

benannt oder nicht ausfi ndig

gemacht worden sein können,

bitten wir um entsprechende

Nachweise bezüglich der

beteiligten Urheberrechte, um

diese in künftigen Publika-

tionen zu berücksichtigen

oder/und im Rahmen der

üblichen Vereinbarungen für

den Bereich wissenschaftliche

Publikationen abgelten zu

können.

© 2011 Reiss-Engelhorn-

Museen Mannheim und

Mannheimer Altertumsverein

von 1859 – Gesellschaft der

Freunde Mannheims und der

ehemaligen Kurpfalz

ISBN 978-3-89735-720-4

Alle Rechte vorbehalten. Ohne

ausdrückliche Genehmigung

ist es nicht gestattet, dieses

Buch oder Teile daraus auf

fotomechanischem Wege

(Fotokopie, Mikrokopie) zu

vervielfältigen oder unter

Verwendung elektronischer

Systeme zu verarbeiten oder

zu verbreiten.

Abbildung auf der Vorderseite:

Musik-Welten

Foto: Jochen Hähnel

Siehe Seite 9

Abbildung auf der Rückseite:

Die Reiss-Engelhorn-Museen

mit dem Museum Zeughaus

im Zentrum, dem Museum

Weltkulturen in der rechten

unteren Bildhälfte und dem

Museum Bassermannhaus für

Musik und Kunst in der linken

unteren Bildhälfte

Foto: rem, Jean Christen