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auch der Arzthaftpflicht-Experte mehr als einmal lesen. Die Ausfüh- rungen werden hier wie stets in dem Werk durch weitere Literatur- hinweise, Zusammenfassung, Merkkasten und Tipp memoriert und auf die Praxissituation angewandt. An zahlreichen Stellen finden sich allgemein zudem Übersichtstabellen und -schemata, die die juris- tische Situation für den Arzt verständlich nachzeichnen. Dass das Risikomanagement dem Autor ein besonderes Anliegen ist, kommt in der ausführlichen Darstellung hierzu einschließlich der Aufzählung ärztlicher Fehler deutlich zum Ausdruck. Weidingers ab- schließender Appell zu einer kritischen Selbstvalidierung des Arztes und zu Empathie im Umgang mit Patienten ist in dieser Form für ein Buch zur Arzthaftung ungewöhnlich, unterstreicht aber umso mehr sein Bemühen um die Prävention von Schadensfällen. Der Ti- tel „Die Praxis der Arzthaftung“ ist deshalb gut gewählt: Ersichtlich ist für den Autor „Arzthaftung“ neben dem Arzthaftungsrecht und Arzthaftpflichtrecht auch das persönliche Verantwortlichsein des Arztes für sein ärztliches Tun. Alles in allem ist Patrick Weidingers „Praxis der Arzthaftung“ ein Buch, in dem sämtliche für den Arzt im Zusammenhang mit (möglichen) Arzthaftpflichtfällen relevanten Themenbereiche abgedeckt und anschaulich dargestellt sind. Gerade die ausführliche Darstellung zur Betriebs- und Berufshaftpflichtver- sicherung ist nicht nur für den Arzt, sondern auch für den Arzthaf- tungsrechtler von Interesse. Brennpunkte des Wirtschaftsstrafrechts im Gesundheitswesen. Von Michael Lindemann und Rudolf Ratzel. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2010, 138 S., geb., € 32,00 Das Buch hat es in sich! Ratzel (S. 113) warnt vor Verlockungen will- fähriger, pfiffiger oder trickreicher (Rechts)Berater zur Umgehung ohnehin weit gefasster Kooperationsmöglichkeiten im ärztlichen Bereich. In deutlicher Sprache greift er die von der Rechtsprechung entschiedenen vielfältigen Umgehungsstrategien mit Verstößen ge- gen § 31 MBO, § 263 StGB etc. auf. Er zeigt wenig Verständnis dafür, dass trotz klarer Regelungen und ergänzender Rechtsprechung in der Praxis doch immer wieder unzulässige, rechtswidrige und strafbare Kooperationsmodelle empfohlen und praktiziert werden. Wichtig ist diese Warnung schon deswegen, weil der BGH an die anwaltliche Beratungspflicht im Vertragsarztrecht erhöhte Anforderungen stellt (vgl. BGH, MedR 2007, 354). Ratzels Text liest sich wie eine War- nung vor dem, was in der Praxis nicht zulässig ist, mag es auch noch so verlockend sein. Teilgemeinschaftspraxen z. B. bezeichnet er als „geeignete Korruptionsbeschleuniger“ (S. 115). ähnlich aufrüttelnd sind die Beiträge von Wostry (S. 55 ff.) und Köl- bel (S. 37 ff.). Nach der historischen Darstellung auch fachübergreifen- der Kooperationen in der vertragsärztlichen Versorgung geht Wostry auf die verschiedenen missbräuchlichen Fallgestaltungen bei der Ge- meinschaftspraxis/Berufsausübungsgemeinschaft einschließlich der Scheingesellschaften und den Verstößen gegen das Gebot der persönli- chen Leistungserbringung ein. Wer als Anwalt ärzte berät, sollte diese Hinweise mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen kennen. Kölbel (S. 37 ff.) berichtet über erste Ergebnisse eines DFG-For- schungsprojektes zur Phänomenologie, zu den Ursachen und Bekämp- fungsmöglichkeiten von Abrechnungsmanipulationen im Kranken- haus (Uni Bielefeld). Er beschreibt unterschiedliche Fallgestaltungen der betrügerischen Abrechnung (insbes. Falschkodierung und Ab- rechnung nicht erbrachter oder unberechtigter Leistungen) und hält dabei u. a. die Abrechenbarkeit von Leistungen, die das Krankenhaus an nicht angestellte Vertragsärzte delegiert, – auch nach geändertem AOP-Vertrag – für unzulässig. Beklagt wird die organisatorisch oder sonstwie bedingte geringe Bereitschaft der Krankenhäuser, Abrech- nungsmanipulationen konsequent aufzudecken oder gar bei den Straf- verfolgungsbehörden anzuzeigen. Kerber (S. 70 ff.) beschreibt die Stellen zur Bekämpfung von Fehl- verhalten im Gesundheitswesen nach § 81a SGB V aus sozialrechtli- cher Sicht sachlich und rechtlich überzeugend. Mühlhausen (S. 91 ff.) tut dies zu § 81a SGB V engagiert aus eher einseitiger Sicht eines Rechtsanwalt Dr. iur. Gernot Steinhilper, Wennigsen, Deutschland Staatsanwalts. Er hält die Regelung trotz vieler auslegungsbedürfti- ger Begriffe (geringfügig, soll, Unregelmäßigkeiten, zweckwidrig, Anfangsverdacht) für hinreichend eindeutig, obgleich in der nur teil- weise zitierten Literatur daran erhebliche Bedenken geäußert werden. Er begrüßt die Anzeigepflicht der KVen nach § 81a SGB V, und zwar ohne Bagatellgrenze von z. B. 50,– €; dagegen bestehen angesichts der KV- und äK-internen Sanktionsmöglichkeiten erhebliche Beden- ken (Staatsanwaltschaften und KVen müssten ihren Personalbestand erheblich erhöhen, sollten all diese Fälle strafrechtlich abgehandelt werden; interne Regulierungsmechanismen reichen aus; Strafrecht muss ultima ratio bleiben; wichtig wäre in diesem Zusammenhang allerdings, dass auch bei den Staatsanwaltschaften ausreichend erfah- rene Mitarbeiter gravierende Fälle möglichst rasch – auch aus gene- ralpräventiven Gründen – bearbeiten können, so dass nicht etwa ein Staatsanwalt bei der KV erst fragen muss, was denn EBM, HVM, RLV etc. bedeuten). Entbehrlich war der Hinweis von Mühlhausen auf den überholten rechtswidrigen, weil ohne gesetzliche Grundlage ergangenen Erlass des MAGS (NRW) von 1985 zur Anzeigepflicht. Einleitend behandelt Lindemann (S. 9 ff.) sehr differenziert und gut dokumentiert das Thema „Kopfprämien“ (auch Fangprämie genannt) und Zuweisungen gegen Entgelt, und zwar getrennt für den Krankenhausbereich und die Vertragsärzte. Der gegenwärtige Meinungs- und Rechtsprechungsstand ist übersichtlich dargestellt. Die Schnittstellen zu §§ 263, 266 und auch zu §§ 331 ff., 299 sowie zu §§ 240 und 253 StGB sind verlässlich dokumentiert. Frister (S. 99) befasst sich mit der nach wie vor aktuellen, weil vom BGH noch nicht entschiedenen Frage, ob der Vertragsarzt Beauf- tragter der Krankenkassen in deren geschäftlichem Bereich i. S. des § 299 StGB ist (so u. a. OLG Braunschweig, MedR 2010, 497). Der Autor wägt Argumente dafür und dagegen ab; er sieht u. a. die Wi- dersprüchlichkeit, wenn der Apotheker bei Zuwendungen an einen Vertragsarzt wegen Bestechung strafbar ist, bei Geldflüssen an den- selben Arzt als Privatarzt aber nicht. Rechtswidrig ist beides, strafbar soll es nur beim Vertragsarzt sein! Letztlich spricht sich Frister für die Anwendbarkeit des § 299 StGB in sehr differenzierter Form aus. Die kontroverse Diskussion dazu wird allerdings nicht vollständig dokumentiert. Neuerdings hat sich auch die KBV in ihrem Bericht vom 21. 12. 2010 zu § 81 a SGB V gegen die Anwendbarkeit des § 299 StGB bei Vertragsärzten ausgesprochen und gegen eine Gesetzge- bungsinitiative der SPD (BT-Dr. 17/3685) zu einer ausdrücklichen Normierung ausgesprochen. Die Veröffentlichung gibt die Referate einer Tagung vom 4. 11. 2010 in Düsseldorf (Uni Düsseldorf und Arge Medizinrecht im DAV) wieder. Erfreulich rasch sind die Texte gedruckt worden. Sie werden durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Hinweise über die Verfasser ergänzt. Die Veröffentlichung ist hilfreich für jeden, der sich mit Abrechnungsbetrug von ärzten und anderen Delikten im Gesundheitswesen befassen muss. DOI: 10.1007/s00350-011-2890-7 Medizinrecht (Beck’sche Kurz-Kommentare, Bd. 64). Herausgegeben von Andreas Spickhoff. Verlag C. H. Beck, München 2011, XXXIII u. 2554 S., geb., € 178,00 Das erfreulicherweise gebundene, voluminöse Gemeinschaftswerk von fünfunddreißig Autoren, meist Rechtsanwälten, Richtern, Pro- fessoren, erörtert nicht weniger als dreiundvierzig Gesetze und Ver- ordnungen unterschiedlicher Qualität: AMG, AMPreisV, ApoG, Apo- BetrO, ärzte-ZV, BäO, BGB (Auszug), ZPO (Syst. Darst.), BPflV, BtMG (Auszug), BtMVV, Europarecht (Auszüge), EMRK (Auszug), ESchG (Auszug), GG (Auszug), GenDG, GenTG, GewO (Auszug), GOä, GOZ, HeilprG, HeilprG-DVO, HWG, IPR-Rom I/II-VO (Auszug), KHEntgG, KHG, MBO (aber keines der Kammergesetze!), MPG, MWBO, PsychThG, SGB V, XI, XII (Auszüge), SGG (syst. Darst.), StGB (Auszug), StPO (syst. Darst.), StZG, TFG, TPG, TSG, UWG (Auszug), VVG (Auszug), ZHG (Auszug) – ein weites Feld un- sicherer Kontur mit verschiedensten Materien, die sich gewiss nicht in einem umfassenden Medizin-Gesetzbuch kodifizieren ließen. Ei- nen Schwerpunkt freilich bildet noch immer der ärztliche Beruf mit Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Adolf Laufs, Heidelberg, Deutschland Rezensionen MedR (2011) 29: 257–258 257

Medizinrecht (Beck’sche Kurz-Kommentare, Bd. 64)

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Page 1: Medizinrecht (Beck’sche Kurz-Kommentare, Bd. 64)

auch der Arzthaftpflicht­experte mehr als einmal lesen. Die Ausfüh­rungen werden hier wie stets in dem Werk durch weitere literatur­hinweise, zusammenfassung, Merkkasten und tipp memoriert und auf die Praxissituation angewandt. An zahlreichen Stellen finden sich allgemein zudem Übersichtstabellen und ­schemata, die die juris­tische Situation für den Arzt verständlich nachzeichnen.

Dass das Risikomanagement dem Autor ein besonderes Anliegen ist, kommt in der ausführlichen Darstellung hierzu einschließlich der Aufzählung ärztlicher fehler deutlich zum Ausdruck. Weidingers ab­schließender Appell zu einer kritischen Selbstvalidierung des Arztes und zu empathie im umgang mit Patienten ist in dieser form für ein Buch zur Arzthaftung ungewöhnlich, unterstreicht aber umso mehr sein Bemühen um die Prävention von Schadensfällen. Der ti­tel „Die Praxis der Arzthaftung“ ist deshalb gut gewählt: ersichtlich ist für den Autor „Arzthaftung“ neben dem Arzthaftungsrecht und Arzthaftpflichtrecht auch das persönliche Verantwortlichsein des Arztes für sein ärztliches tun. Alles in allem ist Patrick Weidingers „Praxis der Arzthaftung“ ein Buch, in dem sämtliche für den Arzt im zusammenhang mit (möglichen) Arzthaftpflichtfällen relevanten themenbereiche abgedeckt und anschaulich dargestellt sind. Gerade die ausführliche Darstellung zur Betriebs­ und Berufshaftpflichtver­sicherung ist nicht nur für den Arzt, sondern auch für den Arzthaf­tungsrechtler von interesse.

Brennpunkte des Wirtschaftsstrafrechts im Gesundheitswesen.

Von Michael Lindemann und Rudolf Ratzel. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2010, 138 S., geb., € 32,00

Das Buch hat es in sich! Ratzel (S. 113) warnt vor Verlockungen will­fähriger, pfiffiger oder trickreicher (Rechts)Berater zur umgehung ohnehin weit gefasster Kooperationsmöglichkeiten im ärztlichen Bereich. in deutlicher Sprache greift er die von der Rechtsprechung entschiedenen vielfältigen umgehungsstrategien mit Verstößen ge­gen § 31 MBO, § 263 StGB etc. auf. er zeigt wenig Verständnis dafür, dass trotz klarer Regelungen und ergänzender Rechtsprechung in der Praxis doch immer wieder unzulässige, rechtswidrige und strafbare Kooperationsmodelle empfohlen und praktiziert werden. Wichtig ist diese Warnung schon deswegen, weil der BGH an die anwaltliche Beratungspflicht im Vertragsarztrecht erhöhte Anforderungen stellt (vgl. BGH, MedR 2007, 354). Ratzels text liest sich wie eine War­nung vor dem, was in der Praxis nicht zulässig ist, mag es auch noch so verlockend sein. teilgemeinschaftspraxen z. B. bezeichnet er als „geeignete Korruptionsbeschleuniger“ (S. 115).

ähnlich aufrüttelnd sind die Beiträge von Wostry (S. 55 ff.) und Köl-bel (S. 37 ff.). Nach der historischen Darstellung auch fachübergreifen­der Kooperationen in der vertragsärztlichen Versorgung geht Wostry auf die verschiedenen missbräuchlichen fallgestaltungen bei der Ge­meinschaftspraxis/Berufsausübungsgemeinschaft einschließlich der Scheingesellschaften und den Verstößen gegen das Gebot der persönli­chen leistungserbringung ein. Wer als Anwalt ärzte berät, sollte diese Hinweise mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen kennen.

Kölbel (S. 37 ff.) berichtet über erste ergebnisse eines DfG­for­schungsprojektes zur Phänomenologie, zu den ursachen und Bekämp­fungsmöglichkeiten von Abrechnungsmanipulationen im Kranken­haus (uni Bielefeld). er beschreibt unterschiedliche fallgestaltungen der betrügerischen Abrechnung (insbes. falschkodierung und Ab­rechnung nicht erbrachter oder unberechtigter leistungen) und hält dabei u. a. die Abrechenbarkeit von leistungen, die das Krankenhaus an nicht angestellte Vertragsärzte delegiert, – auch nach geändertem AOP­Vertrag – für unzulässig. Beklagt wird die organisatorisch oder sonstwie bedingte geringe Bereitschaft der Krankenhäuser, Abrech­nungsmanipulationen konsequent aufzudecken oder gar bei den Straf­verfolgungsbehörden anzuzeigen.

Kerber (S. 70 ff.) beschreibt die Stellen zur Bekämpfung von fehl­verhalten im Gesundheitswesen nach § 81 a SGB V aus sozialrechtli­cher Sicht sachlich und rechtlich überzeugend. Mühlhausen (S. 91 ff.) tut dies zu § 81 a SGB V engagiert aus eher einseitiger Sicht eines

Rechtsanwalt Dr. iur. Gernot Steinhilper, Wennigsen, Deutschland

Staatsanwalts. er hält die Regelung trotz vieler auslegungsbedürfti­ger Begriffe (geringfügig, soll, unregelmäßigkeiten, zweckwidrig, Anfangsverdacht) für hinreichend eindeutig, obgleich in der nur teil­weise zitierten literatur daran erhebliche Bedenken geäußert werden. er begrüßt die Anzeigepflicht der KVen nach § 81 a SGB V, und zwar ohne Bagatellgrenze von z. B. 50,– €; dagegen bestehen angesichts der KV­ und äK­internen Sanktionsmöglichkeiten erhebliche Beden­ken (Staatsanwaltschaften und KVen müssten ihren Personalbestand erheblich erhöhen, sollten all diese fälle strafrechtlich abgehandelt werden; interne Regulierungsmechanismen reichen aus; Strafrecht muss ultima ratio bleiben; wichtig wäre in diesem zusammenhang allerdings, dass auch bei den Staatsanwaltschaften ausreichend erfah­rene Mitarbeiter gravierende fälle möglichst rasch – auch aus gene­ralpräventiven Gründen – bearbeiten können, so dass nicht etwa ein Staatsanwalt bei der KV erst fragen muss, was denn eBM, HVM, RlV etc. bedeuten). entbehrlich war der Hinweis von Mühlhausen auf den überholten rechtswidrigen, weil ohne gesetzliche Grundlage ergangenen erlass des MAGS (NRW) von 1985 zur Anzeigepflicht.

einleitend behandelt Lindemann (S. 9 ff.) sehr differenziert und gut dokumentiert das thema „Kopfprämien“ (auch fangprämie genannt) und zuweisungen gegen entgelt, und zwar getrennt für den Krankenhausbereich und die Vertragsärzte. Der gegenwärtige Meinungs­ und Rechtsprechungsstand ist übersichtlich dargestellt. Die Schnittstellen zu §§ 263, 266 und auch zu §§ 331 ff., 299 sowie zu §§ 240 und 253 StGB sind verlässlich dokumentiert.

Frister (S. 99) befasst sich mit der nach wie vor aktuellen, weil vom BGH noch nicht entschiedenen frage, ob der Vertragsarzt Beauf­tragter der Krankenkassen in deren geschäftlichem Bereich i. S. des § 299 StGB ist (so u. a. OlG Braunschweig, MedR 2010, 497). Der Autor wägt Argumente dafür und dagegen ab; er sieht u. a. die Wi­dersprüchlichkeit, wenn der Apotheker bei zuwendungen an einen Vertragsarzt wegen Bestechung strafbar ist, bei Geldflüssen an den­selben Arzt als Privatarzt aber nicht. Rechtswidrig ist beides, strafbar soll es nur beim Vertragsarzt sein! letztlich spricht sich Frister für die Anwendbarkeit des § 299 StGB in sehr differenzierter form aus. Die kontroverse Diskussion dazu wird allerdings nicht vollständig dokumentiert. Neuerdings hat sich auch die KBV in ihrem Bericht vom 21. 12. 2010 zu § 81 a SGB V gegen die Anwendbarkeit des § 299 StGB bei Vertragsärzten ausgesprochen und gegen eine Gesetzge­bungsinitiative der SPD (Bt­Dr. 17/3685) zu einer ausdrücklichen Normierung ausgesprochen.

Die Veröffentlichung gibt die Referate einer tagung vom 4. 11. 2010 in Düsseldorf (uni Düsseldorf und Arge Medizinrecht im DAV) wieder. erfreulich rasch sind die texte gedruckt worden. Sie werden durch ein umfangreiches literaturverzeichnis und Hinweise über die Verfasser ergänzt. Die Veröffentlichung ist hilfreich für jeden, der sich mit Abrechnungsbetrug von ärzten und anderen Delikten im Gesundheitswesen befassen muss.

DOI: 10.1007/s00350-011-2890-7

Medizinrecht (Beck’sche Kurz-Kommentare, Bd. 64).

Herausgegeben von Andreas Spickhoff. Verlag C. H. Beck, München 2011, XXXIII u. 2554 S., geb., € 178,00

Das erfreulicherweise gebundene, voluminöse Gemeinschaftswerk von fünfunddreißig Autoren, meist Rechtsanwälten, Richtern, Pro­fessoren, erörtert nicht weniger als dreiundvierzig Gesetze und Ver­ordnungen unterschiedlicher Qualität: AMG, AMPreisV, ApoG, Apo­BetrO, ärzte­zV, BäO, BGB (Auszug), zPO (Syst. Darst.), BPflV, BtMG (Auszug), BtMVV, europarecht (Auszüge), eMRK (Auszug), eSchG (Auszug), GG (Auszug), GenDG, GentG, GewO (Auszug), GOä, GOz, HeilprG, HeilprG­DVO, HWG, iPR­Rom i/ ii­VO (Auszug), KHentgG, KHG, MBO (aber keines der Kammergesetze!), MPG, MWBO, PsychthG, SGB V, Xi, Xii (Auszüge), SGG (syst. Darst.), StGB (Auszug), StPO (syst. Darst.), StzG, tfG, tPG, tSG, uWG (Auszug), VVG (Auszug), zHG (Auszug) – ein weites feld un­sicherer Kontur mit verschiedensten Materien, die sich gewiss nicht in einem umfassenden Medizin­Gesetzbuch kodifizieren ließen. ei­nen Schwerpunkt freilich bildet noch immer der ärztliche Beruf mit

Prof. Dr. iur. Dr. h. c. Adolf laufs, Heidelberg, Deutschland

Rezensionen MedR (2011) 29: 257–258 257

Page 2: Medizinrecht (Beck’sche Kurz-Kommentare, Bd. 64)

dem Heilauftrag. Die alphabetische Anordnung des Stoffes lässt die­sen umstand nicht hervortreten. Das bürgerliche Recht mit u. a. den Arztverträgen, der Aufklärung, der Arzthaftpflicht, der Betreuung nimmt nicht einmal ein zehntel des Gesamtumfanges des Kommen­tars ein und wird vom Sozialrecht, das deutlich mehr als ein Drittel des Bandes beansprucht, fast erdrückt. Die Artikel 1, 2, 3, 6, 12, 20 und 74 GG erscheinen für sich inmitten des Buches. So erfährt die PiD bei Art. 1 Bescheid, ohne das Stichwort Selektion und deren me­dizinische Kriterien, und dann eingehender in Art. 2 und im eSchG (beide Male mit der tendenz: zurückhaltend). Wiederholungen lie­ßen sich so nicht ausschließen. Die prozessrechtlichen systematischen, also nicht kommentierenden Darstellungen schließen sich durchaus benutzerfreundlich den materiell­medizinrechtlichen Kommentaren an und bieten auf eher knappem Raum das einschlägige, so der titel zPO etwa die Schlichtungsstellen und Gutachterkommissionen.

Den zusammenhalt des Ganzen stärken eine prägnante einleitung mit Grundbegriffen (14 S.) und ein umfängliches Sachverzeichnis (43 S.), in dem der leser freilich manches Stichwort vergeblich sucht. es fehlen beispielsweise die termini Kostendruck und therapiefrei­heit; das Stichwort Berufsfreiheit gibt zu wenig her. und schon in der einleitung genannte lemmata wie Autonomie, Gesundheitsfonds, „Kind als Schaden“, Partnerschaft, Vertrauen bleiben ungenannt.

Die Vorzüge des Werkes fallen ins Auge. Die Vielzahl der im weiten medizinrechtlichen Sinne zusammengestellten Rechtsquel­len stellt der Herausgeber in einem einzigen stattlichen Bande leicht zugänglich zu Gebote. Die Aufschlüsse sind, der Kommentarform gehorchend, kompakt und praxisnah. Mit Grund nennt die um­schlag­Banderole das Buch ein „Medizinrecht für Praktiker“, deren zahl in jüngster zeit bekanntlich stark anstieg und weiter wächst. Die Kommentare führen den leser, oft durch Vorbemerkungen und Normzweckangaben, in den jeweiligen Stoff mit seinen eigenheiten und Rechtsänderungen ein. Die Nachweise wie die weiterführenden fingerzeige haben ihren Ort nicht in fußnoten, sondern – so durch­aus leichter fassbar in ihrer fülle – im text, dessen zugänglichkeit fettgedruckte Schlüsselworte auf bewährte Weise erhöhen. Die übli­chen Randnummern erleichtern das Auffinden und zitieren.

Die stoffgesättigten erläuterungen nach dem Stande vom September 2010 stehen, wie leseproben zeigen, auf der Höhe der zeit. Selbstver­ständlich werden die juristischen und rechtspolitischen Debatten um die neuralgischen Punkte nicht nur in der fortpflanzungsmedizin und in der Sozialversicherung weitergehen. Das Buch eröffnet die dafür er­forderlichen zugänge und bietet die Ausgangslagen auch im Blick auf die fortschreitende europäische Rechtsangleichung. Wollte der Rezen­sent auf begrenztem Raum einzelne Kontroversthemen hervorkehren, so müsste er willkürlich verfahren. An manchen Stellen wären zusätzli­che ärztliche oder medizinische Stimmen erwünscht, doch das gab der in einem „Kurzkommentar“ bemessene Platz wohl einfach nicht her. Nicht nur die fachanwaltschaft, auch Klinikverwaltungen, Pharmaun­ternehmen, Justiziare an verschiedenen Orten, Versicherungsleute, Richter, Kammerverwaltungen, Politiker, Rechtswissenschaftler, nicht zuletzt die Arzt­ und Medizinberufe selbst werden Nutzen aus dem Werk ziehen und dem Herausgeber hohen Respekt zollen.

§ 216 StGB als Verbot abstrakter Gefährdung. Versuch der Apologie einer Strafnorm.

Von Frank Müller. (Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Fol-ge, Bd. 220), Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2010, 250 S., kart., € 72,00 (auch als E-Book, € 64,00, sowie als Print- und E-Book-Ausgabe, € 86,00)

Die von Heribert Schumann betreute leipziger Dissertation versucht eine grundlegende Neuinterpretation des Straftatbestands der tö­tung auf Verlangen.

Priv.­Doz. Dr. iur. Bettina Weißer, Köln, Deutschland

Frank Müller beginnt seine untersuchung mit einer kurzen Dar­stellung der legitimationsprobleme der Strafdrohung des § 216 StGB im Spannungsfeld zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Ster­bewilligen und den Grundsätzen der prinzipiell straflosen aktiven Suizidteilnahme.

im zweiten teil wendet sich der Verfasser dem Hauptgegenstand seiner untersuchung zu und erforscht den Strafgrund des § 216 StGB. er analysiert zunächst eingehend die hierzu im Schrifttum vertrete­nen Ansätze, um diese schließlich durchweg abzulehnen.

So verwirft er zunächst die these von der absoluten indisponibili­tät des Rechtsguts leben, sieht in § 216 StGB auch nicht den zweck, vor Missbrauch zu schützen, und erteilt ebenso unter anderem der these vom durch § 216 StGB fundierten tötungstabu eine Absage. Ausführlicher setzt Müller sich sodann mit der frage auseinander, ob § 216 StGB Ausdruck eines paternalistischen lebensschutzes zuguns­ten des Sterbewilligen sei. Auch diesem Ansatz erteilt der Autor letzt­lich eine Absage, denn „das potentielle Überlebensinteresse eines to­ten muss mangels eines Subjektes, das ein solches interesse innehaben kann, eine (als solche nicht zum Schutzgegenstand einer Strafnorm taugende) fiktion bleiben“ (S. 87). Das kann man durchaus anders sehen, denn im maßgeblichen zeitpunkt der tat (und nicht danach) scheint es nicht generell ausgeschlossen, jedenfalls die Perspektive neuen lebensmuts als durchaus in der Persönlichkeit des Rechtsguts­inhabers angelegt zu sehen.

Seine Analyse der vertretenen Standpunkte formuliert Müller zuweilen etwas forsch; und vielleicht hätte es dem Werk auch gut getan, einen teil der ausführlich in den fußnoten erfolgenden Dis­kussion (vgl. etwa fnn. 72, 88 f., 94 f., 596, 612) in den fließtext zu ver lagern.

im folgenden entwickelt der Autor seinen eigenen Standpunkt zum Strafgrund des § 216 StGB. Müller begründet eingehend, dass im zentrum des § 216 StGB die abstrakte Gefahr eines entweder von vornherein nicht freiverantwortlich gefassten oder im zeitpunkt der tat nicht mehr bestehenden Sterbewillens steht. Die Gefahr, dass Dritte einem nur vermeintlich wirksam bestehenden Sterbeverlan­gen nachgeben könnten, macht nach Müllers Konzept den eigent­lichen Gegenstand des durch § 216 StGB gewährleisteten lebens­schutzes aus. eine Ausführung eines nicht hinreichend gesicherten Sterbeverlangens soll durch § 216 StGB verhindert werden, indem grundsätzlich jede tötung auf Verlangen unter Strafe gestellt wird. § 216 StGB zerstört nach diesem Konzept das prinzipiell aus dem Selbstbestimmungsrecht des Rechtsgutsinhabers resultierende Ver­trauen des Dritten in die Wirksamkeit des geäußerten Sterbeverlan­gens. Der tatbestand entfernt sich durch diese interpretation von seinem Charakter als „klassisches“ tötungsdelikt und wird letztlich zum abstrakten Gefährdungsdelikt. Dieser Gedanke, § 216 StGB ließe sich auch als abstraktes Gefährdungsdelikt verstehen, wurde bereits von Jakobs formuliert (tötung auf Verlangen, euthanasie und Strafrechtssystem, 1998). Müller entwickelt hieraus einen eigenen Ansatz und wirft ein neues licht auf die Diskussion. Schon deswe­gen bietet die Arbeit eine Bereicherung für die wissenschaftliche Auseinandersetzung.

im folgenden dritten teil überprüft der Verfasser sein Modell an­hand der klassischen instanzen des Wortlauts der Norm, der Geset­zessystematik sowie der teleologie und kommt zu dem – konstruk­tiv durchaus nachvollziehbaren – ergebnis, dass seine Auslegung mit dem geltenden Recht vereinbar sei.

im vierten teil befasst Müller sich mit den folgerungen, die sich aus seiner Neukonzeption ergeben. Hervorzuheben ist hier, dass der Autor für Ausnahmefälle eine Aufweichung seiner interpretation des § 216 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt für zulässig hält: in Si­tuationen extremen leidens und zugleich fehlender Möglichkeit zur Selbsttötung hält Müller ein überwiegendes interesse des Rechtsguts­inhabers an der Beendigung dieses leidens und damit eine Rechtfer­tigung der tötung auf Verlangen über § 34 StGB für möglich – unter inkaufnahme eines „Restrisikos“ fehlender freiverantwortlichkeit des tötungsverlangens infolge situationsbedingter konstitutioneller entscheidungsdefizite.

insgesamt wirft das Werk einen frischen Blick auf eine schon lange währende Auseinandersetzung und vermag auch die heute aktuelle Diskussion zu bereichern. Deswegen ist der Arbeit eine breite leser­schaft zu wünschen.

Rezensionen258 MedR (2011) 29: 258