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16 | MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019 DER STANDARD Forschung spezial Mehr als nur Mitläufer S tatt eines Titels hatte der Text bloß ein Hakenkreuz als Überschrift. Darunter hieß es: „Auch die österreichische Tierärzteschaft hat für das Zustan- dekommen der heutigen staats- politischen Lage in Österreich sich eingesetzt, dafür gekämpft und Opfer in großer Zahl ge- bracht.“ Diese Zeilen erschienen einige Wochen nach dem „An- schluss“ 1938 in der Wiener Tier- ärztlichen Monatsschrift; Autor war David Wirth, einer der führen- den österreichischen Fachvertre- ter im 20. Jahrhundert. War das bloß eine nötige Anbie- derung an die neuen Machthaber? Oder entsprach Wirths Darstel- lung den Tatsachen? Das sind nur zwei der Fragen, denen die Zeit- historikerin Lisa Rettl in einem Projekt nachging, das sich der Ge- schichte der Wiener Tierärztli- chen Hochschule (heute: Vetmed Vienna) in den Jahren zwischen 1930 und 1947 widmete. Diese Hochschule war damit zwar eine der letzten Unis in Ös- terreich, die sich der eigenen NS- Geschichte stellte. Die Aufarbei- tung durch das Team um Rettl er- folgte dafür umso gründlicher und setzt durchaus für andere Unis Maßstäbe – obwohl sich die wich- tigsten Rechercheergebnisse gut ins Bild der Hochschulen in der Mit Verspätung wurden die „dunklen Jahre“ der heutigen Vetmed Vienna in Buchform aufgearbeitet. Haupterkenntnis: Auch die Tierärztliche Hochschule war eine „Hochburg des Nationalsozialismus“. Klaus Taschwer Aus dem Familienalbum des Veterinärmediziners und Rektors David Wirth – links als Assistent 1913, rechts mit seiner Enkelin 1940, der späteren Physikerin Lore Sexl. Wirths Karriere steht exemplarisch für die politischen Kontinuitäten an der Tierärztlichen Hochschule. Fotos: Privatarchiv Lore Sexl GEISTESBLITZ Charakterstudien an Eisenerz-Sinter Die Geologin Birgit Bückner arbeitet an der Verbesserung der Sinterqualität. Foto: K1-Met D ass sie als studierte Geologin in der Me- tallurgie gelandet ist, sei wohl ein Zufall, meint Birgit Bückner schmunzelnd. Ob- wohl sich bei genauerer Betrachtung durchaus einige Kausalitäten für ihre Beschäftigung mit Eisenerz-Sinter am metallurgischen Kompe- tenzzentrum K1-Met in Leoben herauskristalli- sieren. Etwa der Umstand, dass sie als Geowis- senschafterin auch Spezialistin für die Charak- terisierung von Mineralen ist. Genau dieses Wissen spielt beim Sinterpro- zess eine zentrale Rolle. „Damit die fein aufge- mahlenen Erze im Hochofen zu Roheisen wei- terverarbeitet werden können, muss das Fein- eisenerz ‚stückig‘ gemacht, also zu kleinen, fes- ten, porösen Stücken zusammengebacken wer- den“, erklärt die 34-jährige Obersteirerin. Das passiere etwa beim Pelletieren oder Sintern. Dem Pelletieren von Eisenerzen, also der Herstellung wenige Zentimeter großer Kügel- chen aus Eisen und verschiedenen Zuschlag- stoffen, hat sie ihre vor einem halben Jahr ab- geschlossene Doktorarbeit gewidmet. Nun geht es die nächsten vier Jahre hauptsächlich um das Sintern. Dabei werden die Feinerze mit Koks und weiteren Zuschlagstoffen versetzt und durch hohe Temperaturen zu einem „Sinter- kuchen“ zusammengebacken, der dann im „Brecher“ in Stücke gebrochen wird. Nach wei- teren Aufbereitungsschritten ist der Sinter dann bereit für den Transport in die Hochöfen. Welche Minerale in welcher Menge im Sin- ter vorkommen, wie diese miteinander ver- wachsen sind und wie die Porengröße aussieht, all diese Faktoren wirken sich unmittelbar auf die Qualität des Eisenerz-Sinters aus. Um die- se auf gleichmäßig hohem Niveau zu halten bzw. zu verbessern, muss der Sinterprozess entsprechend gesteuert werden. Durch eine op- timale Prozesssteuerung lassen sich auch Kos- ten einsparen und der CO 2 -Ausstoß reduzieren. Bisher ist die Beurteilung der Sinterqualität je- doch sehr aufwendig. Birgit Bückner arbeitet deshalb zurzeit an der Entwicklung eines speziellen Softwarepakets zum Erfassen von Mineralen mittels Bildver- arbeitung. „Mit unserer VisuMet-Software kön- nen wir die Bewertung der Sinterqualität deut- lich vereinfachen“, sagt die Geowissenschafte- rin, die seit 2012 im K1-Met tätig ist, das durch das Kompetenzzentrenprogramm Comet der Förderagentur FFG unterstützt wird. Konkret werden von dieser Software auf Basis mikro- skopischer Aufnahmen vom fertigen Sinter automatisch die eisenhaltigen und mineralogi- schen Anteile bestimmt und in Hinblick auf ihre mineralogische Qualität beurteilt. Gegen die These, dass die gebürtige Kindber- gerin aus reinem Zufall im K1-Met in Leoben ihren beruflichen Ankerplatz gefunden hat, spricht neben ihrer mineralogischen Expertise übrigens auch ihre starke Verbundenheit mit der obersteirischen Region zwischen Mur und Mürz. Mit Ehemann, zwei Kindern und einem Blockhaus im idyllischen Waldstein ist sie hier solid verankert – nicht erst seit dem Studium an der Montan-Universität Leoben. Und wenn sich neben ihrer Forschungsarbeit, Familie, Haushalt und Garten noch das eine oder ande- re Zeitfenster auftut, klettert sie schnell hinaus, um die fantastische Natur rund um die Mon- tanstadt hautnah zu genießen. (grido) Zwischenkriegszeit einfügen, das erst in den letzten Jahren eine wichtige Nachschärfung erfuhr: So wie alle anderen Unis war auch die Tierärztliche Hochschule spä- testens ab 1930 kein Hort des Wi- derstands gegen den Faschismus, sondern im Gegenteil eine „Hoch- burg des Nationalsozialismus“, wie Rettl es prägnant formuliert. Wegbereiter für das NS-Regime fanden sich nicht nur bei den Pro- fessoren: Bereits bei den Studen- tenwahlen Anfang 1931 siegten auch an der Tierärztlichen Hoch- schule die Vertreter des National- sozialistischen Studentenbunds und dominierten die ohnehin schon völkisch ausgerichtete Deutsche Studentenschaft. „Sicherster“ Wiener Rektor Rektor der Tierärztlichen Hoch- schule war in dieser Zeit David Wirth, der bei der Nazi-Studen- tenvertretung großes Vertrauen genossen hat. Wirth wurde zwar erst 1942 NSDAP-Mitglied. Der Veterinärmediziner, der 1910 pro- moviert hatte, war aber Burschen- schafter und bereits vor dem Ers- ten Weltkrieg Mitglied des Deut- schen Klubs geworden, eines radi- kal deutschnationalen Vereins. All das machte ihn für die Nazis 1933 zum „sichersten Mann unter den Wiener Rektoren“. Rettl und ihre Mitarbeiter ha- ben sich im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF finan- zierten Projekts seit 2014 vier Jah- re lang mit den dunklen Jahren der Vetmed Vienna befasst, davon zwei Jahre lang in verschiedenen Archiven im In- und Ausland. Da- raus gingen gleich zwei Bücher hervor. Das erste erschien bereits 2018, ist als eine Art Gedenkbuch zu verstehen und enthält vor al- lem akribisch recherchierte Bio- gramme von jüdischen Studieren- den, von denen nicht allen die Flucht ins Ausland gelang. In dem neuen Buch steht dann die eigentliche Geschichte der Tierärztlichen Hochschule zwi- schen 1930 und 1947 im Zentrum und nimmt, wie bereits angedeu- tet, nicht nur die Zeit nach dem „Anschluss“ unter die Lupe, son- dern auch dessen Vorgeschichte. Dazu gehört auch ein von Linda Erker verfasstes Kapitel über die Zeit des Austrofaschismus, der damals bereits in die Autonomie der Unis und die Wissenschafts- freiheit eingegriffen hat. 1938 stellte dann, und das kam auch für Rettl überraschend, an der Tierärztlichen Hochschule al- les andere als ein Jahr des Um- bruchs dar: Im Vergleich zu ande- ren Unis gab es nicht mehr viel zu „säubern“. Insgesamt nur sechs Studierende jüdischer Herkunft wurden aus rassistischen Grün- den vertrieben und nur zwei Leh- rende aus politischen Gründen entlassen. Alle anderen Professoren blie- ben sowohl im Austrofaschismus als auch im Nationalsozialismus an der Hochschule. Trotz dieser erstaunlichen Personalkontinui- tät, die ein weiterer Beleg für die weitverbreitete NS-Gesinnung an der Hochschule ist, war diese nach 1938 von der Schließung be- droht. Doch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kam den Ve- terinärmedizinern nicht zuletzt wegen der massenhaften Einfuhr von Schlachtvieh ins Deutsche Reich eine neue Bedeutung zu. Kontinuitäten nach 1945 Das Kriegsende 1945 und die Jahre danach brachten dann aber- mals erstaunliche personelle Kon- tinuitäten, die sich an der Karrie- re von David Wirth illustrieren lassen: Obwohl 1944 zum Dozen- tenbundführer ernannt, konnte Wirth nach dem Krieg noch kurz als Rektor amtieren, ehe er erst Anfang 1946 frühpensioniert und als minderbelastet eingestuft wur- de: Sein Verhalten würde „kein Gewähr“ bieten, „jederzeit rück- haltlos für die unabhängige Re- publik Österreich einzutreten“. Nahezu bruchlos konnte Wirth danach seine Karriere an der Uni München fortsetzen. Und spätes- tens 1959 war dann auch in Öster- reich vergessen, was in den ersten Nachkriegsjahren noch belastend war: Wirth erhielt das Ehrenzei- chen für Wissenschaft und Kunst, die höchste staatliche Wissen- schaftsauszeichnung Österreichs. Buchpräsentation am 24. 9. um 14 Uhr im Festsaal der Vetmed Vienna, Veteri- närplatz 1, 1210 Wien Lisa Rettl, „Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tier- ärztlichen Hochschule 1930–1947. Wege – Spuren – Schicksale“. € 20,50 / 360 Seiten. Wallstein- Verlag, Göttingen 2018 Lisa Rettl, „Die Wiener Tierärztliche Hochschule und der Nationalsozialis- mus. Eine Universitätsgeschichte zwischen dynamischer Antizipation und willfähriger Anpassung“. € 41,10 / 356 Seiten. Wallstein- Verlag, Göttingen 2019

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16 | MITTWOCH, 18. SEPTEMBER 2019 DER STANDARDForschung spezial

Mehr als nur Mitläufer

S tatt eines Titels hatte derText bloß ein Hakenkreuz alsÜberschrift. Darunter hieß

es: „Auch die österreichischeTierärzteschaft hat für dasZustan-dekommen der heutigen staats-politischen Lage in Österreichsich eingesetzt, dafür gekämpftund Opfer in großer Zahl ge-bracht.“ Diese Zeilen erschieneneinige Wochen nach dem „An-schluss“ 1938 in der Wiener Tier-ärztlichen Monatsschrift; AutorwarDavidWirth, einerder führen-den österreichischen Fachvertre-ter im 20. Jahrhundert.

War das bloß eine nötige Anbie-derung an die neuen Machthaber?Oder entsprach Wirths Darstel-lung den Tatsachen? Das sind nurzwei der Fragen, denen die Zeit-historikerin Lisa Rettl in einemProjekt nachging, das sich der Ge-schichte der Wiener Tierärztli-chen Hochschule (heute: VetmedVienna) in den Jahren zwischen1930 und 1947 widmete.

Diese Hochschule war damitzwar eine der letzten Unis in Ös-terreich, die sich der eigenen NS-Geschichte stellte. Die Aufarbei-tung durch das Team um Rettl er-folgte dafür umso gründlicher undsetzt durchaus für andere UnisMaßstäbe – obwohl sich die wich-tigsten Rechercheergebnisse gutins Bild der Hochschulen in der

Mit Verspätung wurden die „dunklen Jahre“ der heutigen Vetmed Vienna in Buchform aufgearbeitet.Haupterkenntnis: Auch die Tierärztliche Hochschule war eine „Hochburg des Nationalsozialismus“.

Klaus Taschwer

Aus dem Familienalbum des Veterinärmediziners und Rektors David Wirth – links als Assistent 1913, rechts mit seiner Enkelin 1940,der späteren Physikerin Lore Sexl. Wirths Karriere steht exemplarisch für die politischen Kontinuitäten an der Tierärztlichen Hochschule.

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Dass sie als studierte Geologin in der Me-tallurgie gelandet ist, sei wohl ein Zufall,meint Birgit Bückner schmunzelnd. Ob-

wohl sich bei genauerer Betrachtung durchauseinige Kausalitäten für ihre Beschäftigung mitEisenerz-Sinter am metallurgischen Kompe-tenzzentrum K1-Met in Leoben herauskristalli-sieren. Etwa der Umstand, dass sie als Geowis-senschafterin auch Spezialistin für die Charak-terisierung von Mineralen ist.

Genau dieses Wissen spielt beim Sinterpro-zess eine zentrale Rolle. „Damit die fein aufge-mahlenen Erze im Hochofen zu Roheisen wei-terverarbeitet werden können, muss das Fein-eisenerz ‚stückig‘ gemacht, also zu kleinen, fes-ten, porösen Stücken zusammengebacken wer-den“, erklärt die 34-jährige Obersteirerin. Daspassiere etwa beim Pelletieren oder Sintern.

Dem Pelletieren von Eisenerzen, also derHerstellung wenige Zentimeter großer Kügel-chen aus Eisen und verschiedenen Zuschlag-stoffen, hat sie ihre vor einem halben Jahr ab-geschlossene Doktorarbeit gewidmet. Nun gehtesdienächstenvier Jahrehauptsächlichumdas

Sintern. Dabei werden die Feinerze mit Koksund weiteren Zuschlagstoffen versetzt unddurch hohe Temperaturen zu einem „Sinter-kuchen“ zusammengebacken, der dann im„Brecher“ in Stücke gebrochen wird. Nach wei-teren Aufbereitungsschritten ist der Sinterdann bereit für den Transport in die Hochöfen.

Welche Minerale in welcher Menge im Sin-ter vorkommen, wie diese miteinander ver-wachsen sind und wie die Porengröße aussieht,all diese Faktoren wirken sich unmittelbar aufdie Qualität des Eisenerz-Sinters aus. Um die-se auf gleichmäßig hohem Niveau zu haltenbzw. zu verbessern, muss der Sinterprozessentsprechend gesteuertwerden.Durch eine op-timale Prozesssteuerung lassen sich auch Kos-ten einsparen und der CO2-Ausstoß reduzieren.Bisher ist die Beurteilung der Sinterqualität je-doch sehr aufwendig.

Birgit Bückner arbeitet deshalb zurzeit anderEntwicklung eines speziellen Softwarepaketszum Erfassen von Mineralen mittels Bildver-arbeitung. „Mit unserer VisuMet-Software kön-nen wir die Bewertung der Sinterqualität deut-

lich vereinfachen“, sagt die Geowissenschafte-rin, die seit 2012 im K1-Met tätig ist, das durchdas Kompetenzzentrenprogramm Comet derFörderagentur FFG unterstützt wird. Konkretwerden von dieser Software auf Basis mikro-skopischer Aufnahmen vom fertigen Sinterautomatisch die eisenhaltigen und mineralogi-schen Anteile bestimmt und in Hinblick aufihre mineralogische Qualität beurteilt.

Gegen die These, dass die gebürtige Kindber-gerin aus reinem Zufall im K1-Met in Leobenihren beruflichen Ankerplatz gefunden hat,spricht neben ihrer mineralogischen Expertiseübrigens auch ihre starke Verbundenheit mitder obersteirischen Region zwischen Mur undMürz. Mit Ehemann, zwei Kindern und einemBlockhaus im idyllischen Waldstein ist sie hiersolid verankert – nicht erst seit dem Studiuman der Montan-Universität Leoben. Und wennsich neben ihrer Forschungsarbeit, Familie,Haushalt und Garten noch das eine oder ande-re Zeitfenster auftut, klettert sie schnell hinaus,um die fantastische Natur rund um die Mon-tanstadt hautnah zu genießen. (grido)

Zwischenkriegszeit einfügen, daserst in den letzten Jahren einewichtige Nachschärfung erfuhr:So wie alle anderen Unis war auchdie Tierärztliche Hochschule spä-testens ab 1930 kein Hort des Wi-derstands gegen den Faschismus,sondern im Gegenteil eine „Hoch-burg des Nationalsozialismus“,wie Rettl es prägnant formuliert.

Wegbereiter für das NS-Regimefanden sich nicht nur bei den Pro-fessoren: Bereits bei den Studen-tenwahlen Anfang 1931 siegtenauch an der Tierärztlichen Hoch-schule die Vertreter des National-sozialistischen Studentenbundsund dominierten die ohnehinschon völkisch ausgerichteteDeutsche Studentenschaft.

„Sicherster“ Wiener RektorRektor der Tierärztlichen Hoch-

schule war in dieser Zeit DavidWirth, der bei der Nazi-Studen-tenvertretung großes Vertrauengenossen hat. Wirth wurde zwarerst 1942 NSDAP-Mitglied. DerVeterinärmediziner, der 1910 pro-moviert hatte, war aber Burschen-schafter und bereits vor dem Ers-ten Weltkrieg Mitglied des Deut-schen Klubs geworden, eines radi-kal deutschnationalen Vereins.All das machte ihn für die Nazis1933 zum „sichersten Mann unterden Wiener Rektoren“.

Rettl und ihre Mitarbeiter ha-ben sich im Rahmen eines vomWissenschaftsfonds FWF finan-zierten Projekts seit 2014 vier Jah-re langmit dendunklen JahrenderVetmed Vienna befasst, davonzwei Jahre lang in verschiedenenArchiven im In- und Ausland. Da-raus gingen gleich zwei Bücherhervor. Das erste erschien bereits2018, ist als eine Art Gedenkbuchzu verstehen und enthält vor al-lem akribisch recherchierte Bio-

gramme von jüdischen Studieren-den, von denen nicht allen dieFlucht ins Ausland gelang.

In dem neuen Buch steht danndie eigentliche Geschichte derTierärztlichen Hochschule zwi-schen 1930 und 1947 im Zentrumund nimmt, wie bereits angedeu-tet, nicht nur die Zeit nach dem„Anschluss“ unter die Lupe, son-dern auch dessen Vorgeschichte.Dazu gehört auch ein von LindaErker verfasstes Kapitel über dieZeit des Austrofaschismus, derdamals bereits in die Autonomieder Unis und die Wissenschafts-freiheit eingegriffen hat.

1938 stellte dann, und das kamauch für Rettl überraschend, ander Tierärztlichen Hochschule al-les andere als ein Jahr des Um-bruchs dar: Im Vergleich zu ande-ren Unis gab es nicht mehr viel zu„säubern“. Insgesamt nur sechsStudierende jüdischer Herkunftwurden aus rassistischen Grün-den vertrieben und nur zwei Leh-rende aus politischen Gründenentlassen.

Alle anderen Professoren blie-ben sowohl im Austrofaschismusals auch im Nationalsozialismusan der Hochschule. Trotz diesererstaunlichen Personalkontinui-tät, die ein weiterer Beleg für dieweitverbreitete NS-Gesinnung ander Hochschule ist, war diese

nach 1938 von der Schließung be-droht. Doch mit dem Beginn desZweiten Weltkriegs kam den Ve-terinärmedizinern nicht zuletztwegen der massenhaften Einfuhrvon Schlachtvieh ins DeutscheReich eine neue Bedeutung zu.

Kontinuitäten nach 1945Das Kriegsende 1945 und die

Jahre danach brachten dann aber-mals erstaunliche personelle Kon-tinuitäten, die sich an der Karrie-re von David Wirth illustrierenlassen: Obwohl 1944 zum Dozen-tenbundführer ernannt, konnteWirth nach dem Krieg noch kurzals Rektor amtieren, ehe er erstAnfang 1946 frühpensioniert undals minderbelastet eingestuft wur-de: Sein Verhalten würde „keinGewähr“ bieten, „jederzeit rück-haltlos für die unabhängige Re-publik Österreich einzutreten“.

Nahezu bruchlos konnte Wirthdanach seine Karriere an der UniMünchen fortsetzen. Und spätes-tens 1959 war dann auch in Öster-reich vergessen, was in den erstenNachkriegsjahren noch belastendwar: Wirth erhielt das Ehrenzei-chen für Wissenschaft und Kunst,die höchste staatliche Wissen-schaftsauszeichnung Österreichs.Buchpräsentation am 24. 9. um 14 Uhrim Festsaal der Vetmed Vienna, Veteri-närplatz 1, 1210 Wien

Lisa Rettl, „Jüdische Studierendeund Absolventen der Wiener Tier-ärztlichen Hochschule 1930–1947.Wege – Spuren – Schicksale“.€ 20,50 / 360 Seiten. Wallstein-Verlag, Göttingen 2018Lisa Rettl, „Die Wiener TierärztlicheHochschule und der Nationalsozialis-mus. Eine Universitätsgeschichtezwischen dynamischer Antizipationund willfähriger Anpassung“.€ 41,10 / 356 Seiten. Wallstein-Verlag, Göttingen 2019