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Melk in der barocken Gelehrtenrepublik Die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez, ihre Forschungen und Netzwerke herausgegeben von Cornelia Faustmann, Gottfried Glaßner OSB und Thomas Wallnig 2014

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Melk in der barocken Gelehrtenrepublik—

Die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez,ihre Forschungen und Netzwerke

herausgegeben von Cornelia Faustmann, Gottfried Glaßner OSB und Thomas Wallnig

2014

© Bayerische Staatsbibliothek: Abb. 39© Bibliothèques-Médiathèques de Metz / Département Patrimoine: Abb. 40Abubakar Sidyk Bisayew (© Stift Melk): Abb. 7, 10, 11, 13, 16, 18, 20, 27, 36Cornelia Faustmann (© Stadtmuseum Ybbs): Abb. 26Cornelia Faustmann (© Stift Melk): Abb. 21, 25, 28, 32, 33Cornelia Faustmann (Universitätsbibliothek Wien): Abb. 17, 37Sonja Führer (Stiftsbibliothek St. Peter in Salzburg): Abb. 19Christine Glaßner (© Stift Melk): Abb. 2, 3, 24, 29, 30, 31© Hauptstaatsarchiv München: Abb. 34Gerald Hirtner (© Archiv der Erzabtei St. Peter in Salzburg): Abb. 5Martin Haltrich (© Stiftsbibliothek Melk): Abb. 8, 9Ralf-Dieter Pausz: Abb. 4Stefan Seitschek (© Národní archiv Praha): Abb. 38Sezione di fotoriproduzione dell’Archivio di Stato di Padova, mit Genehmigung durch das Ministero

per i Beni Culturali e Ambientali, Concessione n. 06/2013 Prot. n. 01615 Cl. 28.13.07/1.2 del22/05/2013 (© Archivio di Stato di Padova): Abb. 14, 15

University of Stanford: Abb. 1Stiftsbibliothek Melk: Abb. 6, 12, 22, 35Thomas Wallnig: Abb. 23Wienbibliothek: Abb. 41

Umschlagbild: Bonifaz Gallner, Regula emblematica (1725), Ausschnitt aus Emblem Nr. xxviii,Cod. 510 (© Stiftsbibliothek Melk)

Angaben gemäß eingehender Recherchen der Bildrechte. Wir danken den aufgeführten Insti-tutionen und Personen für die Erlaubnis zur Reproduktion.

Abbildungsnachweis:

Impressum: Alle Rechte vorbehalten1. Auflage© Stift Melk 2014Kultur & Tourismus, Stift A-3390 MelkLayout und Umschlaggestaltung: Gottfried Glaßner OSBHerstellung: gugler GmbHAuf der Schön 2, A-3390 MelkISBN: 978-3-9502328-8-2

Bibliographische Informationen der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet die Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet abrufbar unter: http://dnb.ddb.de

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Inhalt

SeiteVorwort (Gottfried Glassner OSB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. Einleitung (Cornelia Faustmann / Gottfried Glassner OSB / Thomas Wallnig) . . . . . . 11

2. Wer waren die Brüder Pez?2.1 Cornelia Faustmann

Die Brüder Pez – barocke Gelehrsamkeit im monastischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2 Cornelia Faustmann / Thomas WallnigVerzeichnis der Werke von Bernhard und Hieronymus Pez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3 Cornelia FaustmannDer Briefwechsel der Brüder Pez – ein Beispiel für Gelehrtenkorrespondenzim 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2.4 Christine GlassnerDer Nachlass der Brüder Pez in der Bibliothek des Stiftes Melk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2.5 Irene Rabl / Thomas WallnigDer Nachlass der Brüder Pez im Archiv des Stiftes Melk und die Digitalisierungdes Gesamtnachlasses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

3. Die Brüder Pez und die „ältere Generation“3.1 Patrick Fiska

Anselm Schramb als Vertreter einer älteren Gelehrtengeneration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

3.2 Helga PenzDer Melker Stiftsarchivar Philibert Hueber und seine Austria ex archivisMellicensibus illustrata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.3 Patrick Fiska / Gabriela WinklerLeopold Wydemann als Gelehrter und Gärtner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

3.4 Gottfried Glassner OSBDas Buch als Quelle und Medium der Inspiration: Bonifaz Gallner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

4. Die Brüder Pez und die benediktinische Gelehrsamkeit4.1 Thomas Stockinger

Die süddeutschen Benediktiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

4.2 Thomas StockingerDie Maurinerkongregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

4.3 Claudia Sojer / Thomas WallnigDie Cassinenserkongregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

4.4 Thomas Wallnig / Manuela MayerDie Bursfelder Kongregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

5. Die Brüder Pez und und die oberdeutsche Ordensgelehrsamkeit5.1 Thomas Stockinger

Die Augustiner-Chorherren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

5.2 Patrick FiskaKartäusische Geschichtsschreibung und die Chartae capituli generalis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

5.3 Alkuin Schachenmayr OCistDie Zisterzienser – Chrysostomus Hanthalers Fasti Campililienses und ihre Vorbilder . . . . . 121

5.4 Thomas WallnigVorbild und Konkurrenz: Die Jesuiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

6. Die Brüder Pez und die Gelehrtenwelt6.1 Ines Peper

Bernhard Pez und der Wiener Hof: Ein labiles Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

6.2 Ines PeperDie Brüder Pez im Kontakt mit protestantischen Gelehrtenmilieus I:Leipziger Gelehrtenzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

6.3 Thomas WallnigDie Brüder Pez im Kontakt mit protestantischen Gelehrtenmilieus II:Hannover . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

6.4 Christine GlassnerBernhard Pez und die Pläne zur Gründung einer Benediktinerakademie . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

7. Die Brüder Pez im Spannungsfeld von Mönchtum und Gelehrsamkeit7.1 Thomas Stockinger

Der klösterliche Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

7.2 Thomas WallnigDer gelehrte Mönch und sein familiäres Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

7.3 Thomas Wallnig / Gabriela WinklerPeregrinatio oder Kavalierstour? Die gelehrten Reisen der Brüder Pez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

7.4 Christine GlassnerBernhard Pez als Melker Bibliothekar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

7.5 Thomas Stockinger / Thomas WallnigDas monastische Anliegen der positiven Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

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7.6 Manuela MayerBernhard Pez im Umgang mit urkundlichen Quellen des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

7.7 Thomas WallnigDer Konflikt zwischen Bernhard Pez und Abt Berthold Dietmayr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

8. Die Brüder Pez und die „jüngere Generation“ – erste Schritte in Richtung„monastische Aufklärung“?8.1 Joëlle Weis

Johann Friedrich Schannats Historia Fuldensis und der Gelehrtenstreit mitJohann Georg von Eckhart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

8.2 Irene RablFrobenius Forster – ein bayerischer Vertreter der Pez’schen Nachfolgegeneration . . . . . . . . . . 205

8.3 Cornelia FaustmannDie benediktinische Gelehrtengesellschaft und Oliver Legipont als ihr Verfechter . . . . . . . . . 211

8.4 Johannes Frimmel„Freye Liebe“: Die übernächste Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

9. Die europäische Gelehrtenrepublik zur Zeit der Brüder Pez (Martin Mulsow) 223

Orts- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

Register der ungedruckten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Das Interesse eines Hobby-Astronomen der älterenGeneration, Mr. Giles Davison, an frühneuzeitli-cher astronomischer Literatur in der Melker Stifts-bibliothek und die Einrichtung einer Ausstellungzum Internationalen Jahr der Astronomie 2009 inder Barockbibliothek durch zwei aufstrebendeProfi-Astronomen der jungen Generation, Dr.Georg Zotti und Mag. Paul Beck, regten die 2009vom Stift Melk herausgegebene Begleitpublikationzur Astronomie-Aussstellung an. Indem sie alsBand 1 einer neuen Serie Thesaurus Mellicensis dasLicht der Welt erblickte, war die Latte hoch gelegtund der Vorfreude auf weitere Bände Nahrung ge-geben, die sich dem Anspruch stellen, Bekanntesund Unbekanntes, Neues und Altes aus der „Mel-ker Schatztruhe“ hervorzuholen und zum Leuch-ten zu bringen.Nach einer Durststrecke von fünf Jahren, in denendie Vorfreude hoffentlich nicht ganz geschwundenist, wird denn doch mit Thesaurus MellicensisBand 2 das Versprechen eingelöst, dass es im Mel-ker Kloster und in seinem näheren Umfeld nochvieles gibt, das es wert ist, entdeckt und neu be-trachtet zu werden. Und es wird, wie ich meine, aufeine eindrucksvolle Weise eingelöst: mit Blick aufdie „Gelehrtenrepublik“ rund um die Melker His-toriker Bernhard und Hieronymus Pez, insoferndas Stichwort „Thesaurus“ ja an den Titel vonBernhard Pez’ Hauptwerk, den Thesaurus anecdo-torum novissimus, anknüpft; mit Blick auf diegroße Zahl vor allem junger „Gelehrter“ unsererTage, die mit Engagement und Akribie die Welt ba-rocker Gelehrsamkeit erforschen, die über die Brü-der Pez so wichtige Impulse erhalten hat; mit Blickauf die große Bereitschaft der Autorinnen und Au-toren zum Diskurs über Fachgrenzen hinweg, nichtunähnlich dem Diskurs, den die Brüder Pez imSpannungsfeld von Kloster und Gelehrsamkeit ini-tiiert haben; schließlich mit Blick auf die großzü-gige finanzielle Unterstützung durch das Stift

Melk, die diesen Austausch zwischen der Welt desKlosters und der Welt wissenschaftlicher For-schung im Hier und Jetzt erst ermöglicht hat.Ich gestehe, dass die Namenswahl für die neue Mel-ker Publikationsreihe schon auch von dem im Jahr2008 initiierten FWF-START-Projekt „Monasti-sche Aufklärung und die Benediktinische Gelehr-tenrepublik“ inspiriert war, das am Institut für Ge-schichte der Universität Wien sowie am Institut fürÖsterreichische Geschichtsforschung angesiedeltist und sich der Edition der Pez-Korrespondenzwidmet. Schon damals, bei den Vorbereitungen derBegleitpublikation zur Astronomie-Ausstellung,reifte der Entschluss, das Team, das so engagiertdem Impuls nachspürte, den Bernhard und Hiero-nymus Pez von Melk aus in die Welt barocker Ge-lehrsamkeit eingebracht haben, an den geographi-schen und spirituellen Brennpunkt des Forschungs-projekts „zurückzuholen“ und so zugleich zu be-kunden, dass die heute in Melk lebenden und wir-kenden Mönche die Ergebnisse dieser Forschungenzu schätzen wissen. Ich danke Herrn Dr. ThomasWallnig, dem Leiter des START-Projekts, dass ermeinen Vorschlag, im Rahmen der laufenden For-schungen und der sich dabei abzeichnenden Er-kenntnisse einen Melker Thesaurus-Band über dieBrüder Pez und ihr gelehrtes Netzwerk zu konzi-pieren, so bereitwillig aufgegriffen hat. Ich dankeAbt Georg Wilfinger und meinen Melker Mitbrü-dern, dass sie die finanziellen Mittel für eine gedie-gene Vorbereitung und Abwicklung des Publikati-onsprojekts bewilligt haben. Ich danke Frau Dr.Cornelia Faustmann, auf deren Schultern dieHauptlast der anfallenden organisatorischen Auf-gaben, der Redaktion der Beiträge und der Erstel-lung des Registers lag, für die umsichtige und ziel-strebige Betreuung des Projekts. Schließlich dankeich im Namen meiner Mitbrüder allen, die ihrenBeitrag zum Gelingen des Werks geleistet haben.Es ist eine durchaus beeindruckende Reihe von Na-

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Vorwort

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men, ein Netzwerk von Historikern, Theologen,Literaturwissenschaftlern des 21. Jahrhunderts, dashier in der Beschäftigung mit Leben und Werk derBrüder Pez und im gemeinsamen Diskurs um Stel-lung und Bedeutung ihrer historischen Forschun-gen im Kontext barocker Gelehrsamkeit zusam-mengefunden hat. Hervorzuheben ist an dieserStelle auch die kompetente verlegerische Betreuungdurch das Büro für Kultur und Tourismus unter derLeitung von Martin Rotheneder OSB und der Bei-trag der Wiener Städtischen Versicherung zurDrucklegung. Besonderer Dank gilt Maria Prüllerfür das Lektorat.Man sollte – ganz im Sinne des monastischen Ho-rizonts, in dem wir uns bewegen, – bescheiden blei-ben: Das Buch, das Sie in Händen halten, öffnetdie Tür zur gelehrten Welt der Brüder Pez geradeeinmal einen Spalt breit. Einen wesentlich ein-drucksvolleren Einblick in die barocke Gelehrsam-keit bietet der große Saal der Melker Barockbiblio-thek. Sie spiegelt in ihren Beständen den Pionier-geist der Melker Historiker in den ersten Jahrzehn-ten des 18. Jahrhunderts wider und sie holt in ihrerkünstlerischen Ausstattung – man denke nur an diein den Fensternischen später übermalten, hinterder Übermalung inzwischen durchscheinendenPorträts der Benediktiner-Gelehrten oder an dieInschriften über den beiden Eingängen – die res pu-blica literaria, in der sich der Bibliothekar Bern-hard Pez bewegte, in den Brennpunkt seiner For-schertätigkeit.1735, im Todesjahr von Bernhard Pez, war die neueMelker Barockbibliothek vollendet und die Bücheran ihrem neuen repräsentativen Bestimmungsorteingestellt. Pez’ großes Forschungsvorhaben, dieBibliotheca Benedictina generalis, blieb unvollen-det, aber, wie Martin Kropff, sein wohl bedeutend-ster Schüler und ab 1739 (bis 1763) sein Nachfol-ger als Bibliohekar, am Schluss der 62 Druckseitenumfassenden Würdigung des Lebenswerks seines

Meisters1 festhält, zeugen immerhin fünf in der Bi-bliothek aufbewahrte große Behälter von der Füllean Materialien, die er zu diesem Zweck gesammelthat.2 Kropffs Werk zur Geschichte der Melker Bi-bliothek und besonders die im Rahmen seiner Bi-bliotheca Mellicensis unter den Titel Bibliotheca Be-nedictino-Mellicensis 1747 publizierte Bio-Biblio-graphie der Melker Benediktiner-Autoren von denAnfängen des Klosters bis zu Hieronymus Pez’1746 erschienenem Werk über Markgraf Leopoldkann als kongeniale, nunmehr auf Melk be-schränkte Fortsetzung von Bernhard Pez’ groß an-gelegtem Forschungsvorhaben gelten.Eine glückliche Fügung und die gute Zusammen-arbeit mit Thomas Wallnig (Konzept, Objektbe-schreibungen) und Cornelia Faustmann (Reise von1717, geographische Visualisierung der Korrespon-denz) ermöglichten für die Dauer der Saison 2013die Einrichtung einer Ausstellung über die BrüderPez und die barocke Gelehrsamkeit in den Vitrinender Melker Stiftsbibliothek und damit im Zentrumihres Wirkens als Mönche und Gelehrte. Sie botdem interessierten, in Melk bekanntermaßen sehrzahlreichen Publikum die einmalige Gelegenheit,den Forscherpersönlichkeiten damals im 18. Jahr-hundert wie auch den Historikern heute bei ihrerArbeit über die Schultern zu schauen, und dieFremdenführer brauchten nur auf die Sonderaus-stellung zu verweisen, wenn wieder einmal dieFrage zu beantworten war, ob denn noch jemanddie alten Bücher lese. Der in der Melker Stiftsbi-bliothek eingerichtete Themenschwerpunkt hathoffentlich auch dazu beigetragen, das Interesse andem angekündigten und mithin vorliegenden Mel-ker Thesaurus-Band zu wecken.Das Motiv auf dem Rückdeckel führt zum Stich-wort „Bescheidenheit“ zurück: Es entstammt Bo-nifaz Gallners Regula emblematica und erinnertmit dem Totenkopf vor dem aufgeschlagenen Buchund dem Schriftzug „Paucis ad bonam mentem li-

1) Martin Kropff, Bibliotheca Mellicensis seu Vitae etscripta inde a sexcentis et eo amplius annis Benedictino-rum Mellicensium (Wien 1747) 546–608.

2) „Quantum iam collegerit pro hac Bibliotheca Benedictinacomponenda, testantur quinque grandes thecae, quae col-lectionibus et materiis acceptis impletae in bibliotheca nos-tra asservantur.“ Ebd., 607.

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bris et literis indigemus“ eindringlich an die Ver-gänglichkeit allen Bücherwissens. Um zu einer gu-ten Haltung und Einstellung zu finden, braucht esnur wenige Bücher, d.h. es kommt auf die richtigeAuswahl an. Die Bücher, die sich marktschreierischals „Bestseller“ in den Vordergrund drängen, sindin aller Regel nicht die, die die Zeiten überdauern.Ich denke, Thesaurus Mellicensis Band 2 gehört zujener Sorte von Publikationen, die es sich leistenkönnen, zurückhaltend und eher „bescheiden“ imkleinen Verlag und ohne großartige äußere Aufma-chung aufzutreten, weil das, was hier mit aller ge-botenen Sorgfalt und im gemeinsamen Diskurs zuPapier gebracht wurde, Bestand haben wird.Prof. Dr. Marc-Aeilko Aris hat in seinem Vortragbei der Jahrestagung der Historischen Sektion derBayerischen Benediktinerakademie am 26. Okto-ber 2013 in Freising das Münchener Forschungs-projekt zu Bernhard von Wagings Schrifttum vor-gestellt und in diesem Zusammenhang von „Bil-dungsräumen“ gesprochen, die der TegernseerMönch und Prior seines Klosters abseits der Uni-versitäten und der Bildungseinrichtungen der Men-dikantenorden auf dem Boden der Melker Reform

des 15. Jahrhunderts und ihres gelehrten Netz-werks über das Medium der lateinischen Spracheerschlossen hat. Die Parallele zu dem von Bernhardund Hieronymus Pez im 18. Jahrhundert im Bene-diktinerorden und weit darüber hinaus angestoße-nen Diskurs und den auf diese Weise erschlossenen„Bildungsräumen“ ist frappierend. Auch wenn derim Netzwerk der Melker Reform aufgebrocheneDiskurs zwischen Kloster und Welt nicht die Pola-risierungen im Zeitalter der Reformation verhin-dern konnte und die Geschichte lehrt, dass solcheDiskurse immer wieder durch widrige Umständezum Erliegen kommen, so zeigt der an der MelkerReform anknüpfende, von Melk ausgehende For-schungsimpuls des 18. Jahrhunderts doch auch,dass solche „Bildungsräume“ das Potential in sichtragen, widrige Zeiten zu überdauern und überra-schend zu neuem Leben zu erwachen.Möge Thesaurus Mellicensis Band 2 auf seine Weisevon der „Vitalität“ des gelehrten Netzwerks derBrüder Pez Zeugnis ablegen und, inspiriert durchdie Beschäftigung mit der Vergangenheit, der Ge-lehrsamkeit des 21. Jahrhunderts Wege in die Zu-kunft ebnen: Vivant sequentes!

Gottfried Glaßner OSB

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1) Bonifaz Gallner, Regula emblematica sancti Benedicti(Wien 1780). – Gallner wurde am 9. November 1678in Ried im Innkreis geboren, legte am 5. Oktober 1698Profess ab und starb am 8. April 1727: StiB Melk, Cod.493, 74v.

2) Vgl. Gottfried Glassner, Via Benedicti Mellicensis.Die „Regula Emblematica“ des P. Bonifaz Gallner(1678–1727) als Beispiel der Auseinandersetzung mitder Benediktsregel im Melker Kloster. In: MarekMatějek / Heidemarie Bachhofer (Hrsg.), Benedik-tiner. Leben, Geschichte und Gegenwart (St. Pölten2012) 28–49.

3) Wie schon Beda Schuster im Vorwort zur Druckausgabeder Regula emblematica hervorhebt (**3rv), ist Chrysos-tomus Hanthalers (⇒5.3) Erschließung der Benedikts-regel in 50 Emblembildern Quinquagena symbolorumheroica in praecipua capita et dogmata sacrae Regulaesanctissimi monachorum patris et legislatoris Benedicti(Linz–Augsburg 1742), das erste im Druck erschieneneemblematische Werk zur Benediktsregel, aber GallnersWerk, das der Öffentlichkeit bislang vorenthalten wor-den sei, liege zeitlich voraus und könne in jeder Hinsichtneben Hanthalers Werk bestehen.

4) Vgl. besonders die Wendung „excitante nos scriptura acdicente“ in RB, Prolog 8–9 (die Heilige Schrift alsStimme, die „uns wachrüttelt“).

5) Michaela Puzicha, Die Heilige Schrift in der Regel Be-nedikts = Weisungen der Väter 7 (Beuron 2009) 9.

1. Von der Benediktsregel zur „Regula emblematica“Das Hauptwerk des Melker Professen BonifazGallner ist zweifellos seine 1725 vollendete Regulaemblematica, die im Melker Cod. 510 als Auto-graph vorliegt und 1780 mit einem Vorwort desMelker Bibliothekars Beda Schuster im Druck er-schien.1 Der Inhalt der Benediktsregel, der blei-bend gültigen Quelle benediktinischer Lebens-form, wird in 187 Emblembildern erschlossen undzugleich verdichtet und verschlüsselt. Man ist indiesem Werk mit einer Herangehensweise an denText konfrontiert, die von der Symbolwelt und denAusdrucksformen des Barock geprägt ist, diese aberzugleich auf höchst innovative Weise verarbeitet.2Nicht nur, dass hier zum ersten Mal3 der Versuchunternommen wird, den gesamten Text der Bene-diktsregel mit den in der Emblematik an die Handgegebenen Ausdrucksformen aufzubereiten, derMelker Autor der Regula emblematica schafft mit

diesem Werk gewissermaßen einen neuen künstle-rischen Kosmos. Es geht um die Tiefendimensiondes Textes, die nur „geschaut“ werden kann, indemdem Erfassen der Inhalte in Form der Embleme einStolperstein in den Weg gelegt wird, der einen allzudirekten und plakativen Zugang verwehrt, den Textgleichsam auf Distanz hält und zur Reflexion derhermeneutischen Voraussetzungen anregt.Es liegt nahe, dass dem Motiv „Buch“ im emblema-tischen Kosmos der Regula emblematica eine zen-trale Rolle zukommt. Denn schon im Text der Re-gel selbst ist der Verweis auf die „Bücher“ des Altenund Neuen Testamentes, besonders auf das Buchder Psalmen, allgegenwärtig. So ist der aus einemkunstvollen Gewebe von Schriftzitaten bestehendeProlog eine eindringliche, an den Adressaten undLeser ergehende Aufforderung, in dem hier vorge-stellten „Buch“ die Stimme der Heiligen Schrift zuvernehmen,4 und im Schlusskapitel lässt Benediktdas dem Regeltext zugrunde liegende hermeneuti-sche Prinzip der Vernetzung von Regel und Bibelnoch einmal ausdrücklich in Form einer rhetori-schen Frage anklingen: „Ist denn nicht jede Seiteoder jedes von Gott beglaubigte Wort des Altenund Neuen Testaments eine verlässliche Wegwei-sung für das menschliche Leben?“ (RB 73,3) „Auf-gabe einer Regel ist es gerade nicht, die HeiligeSchrift zu ersetzen, sondern zur ganzen Schrift hin-zuführen, ihre Weisungen zu verdeutlichen und zuleben. […] Nur von ihrem biblischen Hintergrundher gewinnt die RB ihre Durchschlagskraft im Le-ben der Mönche.“5 Da die Heilige Schrift der Aus-

Gottfried Glaßner OSB

Das Buch als Quelle und Medium der Inspiration: Bonifaz Gallner

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legung bedarf, ist der mit der Regel eröffnete Weg,wenn er das Ziel, den Aufstieg zu Gott und das Tundes Wortes Gottes, nicht aus den Augen verlierensoll, auf weitere Bücher als „Werkzeuge“ auf demWeg zu Gott („instrumenta virtutum“) angewie-sen, nämlich die „Bücher der heiligen katholischenVäter“ (RB 73,4), unter denen einige, die in beson-derer Weise der Orientierung dienen, herausgegrif-fen werden: Die „Unterredungen der Väter“ undihre „Einrichtungen“ (die Collationes und Institu-tiones des Johannes Cassian als Summe östlicherMönchsspiritualität), die „Lebensbeschreibungender Väter“ (Vitae patrum), die das breite Spektrummonastischer Viten-Literatur abdecken, und alseinziger Autor, der in der Regula Benedicti mit Na-men genannt und somit in seinem Einfluss beson-ders hervorgehoben ist, Basilius mit seinem Regel-werk (RB 73,5–6).6Der Eintritt in ein Benediktinerkloster und die inder Profess feierlich bekräftigte Bindung an einekonkrete Klostergemeinschaft bedeuten zugleichRückbindung und Konzentration auf einen – da-mals ausschließlicher als heute – im Medium Buchzugänglichen Kanon von Schriften. Die Auseinan-dersetzung mit ihren Inhalten, die Lektüre und dasStudium der Bücher, in denen das geistige Erbe derMönchsväter versammelt ist, sind unverzichtbarerTeil klösterlicher Lebensführung. Bonifaz GallnersZuwendung zu den Basistexten benediktinischenMönchtums zielt allerdings nicht wie bei seinemZeitgenossen und Mitbruder Bernhard Pez darauf,die in den Archiven und Bibliotheken schlum-mernde literarische Hinterlassenschaft der Bene-diktiner-Autoren zum Ruhme des Benediktineror-dens im Medium des gedruckten Buches in dieWelt barocker Gelehrsamkeit einzubringen, son-dern auf die den Inhalten angemessene Vermittlungals solche. Das bedeutet: Das Medium Buch –nicht das für eine breite Öffentlichkeit bestimmte,gedruckte Buch, sondern die mit der Formenspra-

che der Kalligraphie und Buchkunst gestalteteHandschrift – wird zum eigentlichen Thema. Inder Auslotung der Verstehenszugänge, in motivi-schen Querverweisen und in der Schaffung einesReferenzsystems bildet sich das Ringen um eineSprache ab, die Gallners geistlichen Weg als Bene-diktiner adäquat zum Ausdruck bringt.

2. Notizen zum künstlerischen WerdegangIn Gallners Biographie7 lässt sich die Hinwendungzum Buch, die sein künstlerisches Œuvre kenn-zeichnet, gut nachvollziehen. Die mit zwei Skizzenuntermauerten Argumente zugunsten des Neubausder Stiftskirche mit Doppelturm-Fassade im Wes-ten und Abbruch des südlichen Chorturms aufdem Abstimmungsblatt vom 30. Juli 1701 weisenihn als Architekten mit Sinn für Proportionen unddas Zusammenspiel von Baukörpern aus.8 Die An-sicht des Südtrakts mit der Stiftskirche auf dem vonJohannes Andreas Pfeffel gestochenen Frontispizzu Hieronymus Pez’ 1713 zu Krems gedruckterAbhandlung Acta sancti Colomanni regis et marty-ris, für das Gallner die Vorzeichnung lieferte, erin-nert an die Skizzen im Abstimmungsblatt. Der ein-drucksvoll in typischer Wechselwirkung zwischenWort und Bildmotiv komponierte Stich dürfte daseinzige Werk Gallners sein, das zu seinen Lebzeiteneinen größeren Adressatenkreis erreichte und inspäteren Kompositionen wieder aufgegriffenwurde, etwa im Frontispiz der 1747 zu Wien er-schienenen Bibliotheca Mellicensis von MartinKropff.9 Wohl in die Frühzeit seiner kalligraphi-

6) Vgl. Michaela Puzicha, Kommentar zur Benediktus-regel (St. Ottilien 2002) 613–615.

7) Vgl. Martin Kropff, Bibliotheca Mellicensis seu Vitaeet scripta inde a sexcentis et eo amplius annis Benedicti-

norum Mellicensium (Wien 1747) 540–543. Zum fa-miliären Hintergrund und Werdegang: Karl Meissl,RRP Bonifacius Gallner OSB (1678–1727). Asket –Künstler – Kalligraph. Sein Leben – sein Werk. In: DerBundschuh. Schriftenreihe des Museums InnviertlerVolkskundehaus 2 (Ried/Innkreis 1999) 86–94.

8) Vgl. Leonore Pühringer-Zwanowetz, Zur Planent-wicklung des Melker Stiftsbaus unter Abt Berthold Diet-mayr (1700–1739). In: Stift Melk. Geschichte und Ge-genwart 1 (1980) 120–171, hier 144–146, Abb. 143.

9) In Frage kommt eventuell noch die Mitwirkung Gall-ners bei der künstlerischen Ausstattung des von Mat-thäus Stainhauser als Autor gezeichneten Lobgedichts

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schen Arbeiten weist das Werk Theoriae solis et lu-nae (Cod. 511, undatiert). Es handelt sich hierbeium eine Abschrift des mittelalterlichen LehrbuchsDe sphaera des englischen Mathematikers Johannesde Sacrobosco, wobei die akribisch ausgeführtenund elegant ins Buchlayout eingepassten astrono-mischen Schemata besonders ins Auge stechen.Gallners bedeutendstes Kunstwerk abseits seinerkalligraphischen Arbeiten, das reich dekorierte undmit Edelsteinen besetzte „Bruderschaftskreuz“, dassich seit 1975 in der ehemaligen Kartause Gamingbefindet, ist im Zusammenhang mit seiner vor al-lem in Cod. 217 dokumentierten Beschäftigungmit der Passionsgeschichte zu sehen. Wie in Cod.511 verdient die für Gallner typische Kombinationvon Wort (teils lateinische, teils hebräische In-schriften in Medaillons) und Bild (Motive zur Pas-sion) besondere Beachtung.

3. Das Buch als Medium der InspirationCod. 217, der vermutlich in zeitlicher Nähe der1712 datierten Psalmenhandschrift Cod. 512 ent-standen ist, markiert wie diese einen Wendepunktin Gallners Schaffen, insofern hier auf neue und in-tensive Weise sein durch strenge Askese geprägtesmonastisches Ideal in seine künstlerische Arbeiteinfließt. Besonders in der Gestaltung der Titelseiteder Handschrift, die die Leidensgeschichten dervier Evangelien mit abschließendem Gebetsteil ent-hält und in eindringlicher Konzentration auf Wortund Schriftzug ohne jegliches Bildmotiv aus-kommt, wird deutlich, dass der Schreiber („D G“für „Dominus Gallner“) sich selbst durch das spie-gelbildlich wiederholte „tolle“ – die Initiale T stehtfür das Kreuz – dazu aufgefordert weiß, das Kreuzauf sich zu „nehmen“. Auf derselben Linie steht dasabschließende Bußgebet, das mit den Worten „in-dignus Bonifatius“ (in der Psalmenhandschrift zumSiglum „IB“ verkürzt) endet, wobei „Bonifatius“deutlich kleiner geschrieben ist als der gesamte üb-

rige Text. Der Künstler Bonifaz Gallner verstehtsich als „unwürdiges“ Werkzeug, seine kalligraphi-schen Arbeiten sind geistliche Übung auf dem Wegder Kreuzesnachfolge Christi.Den Bild-Text-Kompositionen der Regula emble-matica, Gallners Hauptwerk aus dem letzten, vonKrankheit und harten Bußübungen gekennzeich-neten Lebensjahrzehnt, sind kaum konkrete Hin-weise auf die Persönlichkeit des Künstlers und Kal-ligraphen zu entnehmen. Sie wirken abgeklärt undstreng durchdacht. Gerade einmal in der Wahl desBasistextes, nämlich der Benediktsregel, und in derbewussten Reduktion der Formen und Motive magman den konsequent auf das Wesentliche konzen-trierten10 geistlichen Lebensweg des Autors abge-bildet finden. Aber es gibt zumindest eine Emblem-Komposition, die auch direkt Gallners Rolle alsKünstler thematisiert: Emblem Nr. cxxv mit demMotto „audientes aedificet“ (Abb. 8).11

Kapitel 47 der Benediktsregel enthält Grundsätzezur würdigen Feier des Psalmengebets, wobei un-terschieden wird zwischen einem Part, den alle derReihe nach zu absolvieren haben (Rezitation vonAntiphonen und Psalmen), und einem Part, dennur jene übernehmen sollen, die die Zuhörer er-bauen (Vortrag von Gesängen und Lesungen). Diebeiden kreisförmig um das göttliche Dreieck miteingeschriebenem Tetragramm gelegten Notensys-teme können als bildliche Umsetzung dieser Un-terscheidung gedeutet werden. Demnach würde

über den Heiligen Koloman: Unio pretiosus Mellicen-sium id est Vita et mors pretiosa divi Colomanni regiset martyris, monasterii Mellicensis sancti patroni (Wien1724).

10) Einschlägig ist in diesem Zusammenhang der 1 Kor 2,2aufgreifende Schriftzug „non enim iudicavi scire me ali-quid nisi Iesum Christum et hunc crucifixum“ auf der Ti-telseite der Passionshandschrift Cod. 217 der Stiftsbi-bliothek Melk, der leicht abgewandelt noch einmal inder „mane“-Titulatur der ebendort aufbewahrten Psal-menhandschrift Cod. 512, 84r, als Schriftzug in einemauf einem Pult präsentierten Buch begegnet; nur Chris-tus, und zwar dem Gekreuzigten, gilt alles Sinnen undTrachten des Schreibers und Kalligraphen; in eine ähn-liche Richtung geht die an das Doppelgebot der Gottes-und Nächstenliebe (Mk 12,32f.) anklingende Beischriftin der „meridie“-Titulatur 169r: „Si quid dilexero praeterte destrue me.“

11) Vgl. dazu Glassner, Via Benedicti Mellicensis (wieAnm. 2) 48f.

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Abb. 8: Bonifaz Gallner, „Regula emblematica“: Nr. cxxv (Stiftsbibliothek Melk, Cod. 510, 129r)

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der innere Kreis den Part repräsentieren, der allenzusteht, der äußere Kreis, dem der eingeschriebeneLiedtext zugeordnet ist, aber den Part, der nur vonjenen vorzutragen ist, die mit ihrem Gesang die Zu-hörer erbauen. Die Tatsache, dass es sich bei dereingeschriebenen Textzeile um einen hebräischenText in lateinischer Transkription handelt, für des-sen Vortrag es bestimmter Voraussetzungen bedarf,ist wie die Gegenüberstellung von Sopranstimme(äußere Notenzeile, der der Text zugeordnet ist)und unbeziffertem Bass (innere Notenzeile)12 einHinweis darauf, dass Gallner seine Bildkomposi-tion tatsächlich so verstanden wissen wollte. Dasexakte Pendant in hebräischen Lettern findet sich,kalligraphisch auf zwei Buchseiten verteilt, in derPsalmenhandschrift. Der Satz auf 83v gegenüberder Titelseite zum Abschnitt „mane“ (84r) ent-spricht dem Text in der rechten Hälfte des Medail-lons („Beschem El chaj hegion leschonenu beodruach chajim beappenu“, „Im Namen des lebendi-gen Gottes Stammeln unserer Zunge, solange Le-bensodem in unserer Nase“); der Satz auf 168v ge-genüber der Bildseite zum Abschnitt „meridie“(169r) entspricht dem Text in der linken Hälfte desMedaillons („Eth ruchacha kadosch ana schelachlanu chi hu jesamach badad beemeth libbenu“,„Deinen Heiligen Geist von oben sende auf uns he-rab, denn er allein erfreut in Wahrheit unser Herz“).Mit dem Rückgriff auf die Psalmenhandschrift unddie dort von ihm eingebrachten kalligraphischenGestaltungselemente macht Gallner deutlich, dassseine Kunst als Kalligraph in Analogie zur Kunstdes Kantors und Lektors zu sehen ist. Wenn undinsofern sie ihrem Auftrag, die Zuhörer/Leser zuerbauen, nachkommt, leistet sie einen wertvollen,ja unverzichtbaren Beitrag zum würdigen Vollzugdes Gotteslobes im Kloster. Zentrales Stichwort in

Gallners Präsentation der 150 Psalmen ist – unterRückbezug auf das dreifache Vorkommen in Psalm51 – spiritus. Die den drei Titulaturen „vespere“,„mane“ und „meridie“13 zugeordneten hebräischenGebetsbitten kreisen um die belebende Kraft desHeiligen Geistes. Es geht um die Inspiration, dieerbeten und konkret erfahren wird im täglichenRhythmus des Psalmengebets vom Abend über denMorgen bis zum Mittag und die als kalligraphischgestaltete Handschrift auf neue Weise und dochanalog zum täglichen Psalmengebet Quelle undMedium der Inspiration geworden ist.Gallners besonderes Verhältnis zum Buch als Me-dium der Inspiration wird auch anhand der Rollegreifbar, die dem Motiv Buch in den Emblem-Kompositionen der Regula emblematica in unter-schiedlichsten Zusammenhängen zukommt: In 15Emblemen14 vertritt es die Benediktsregel, in zehnEmblemen15 verweist es auf die Bibel, den Psalter,Evangelien und liturgische Bücher, im nicht näherspezifizierten und profanen Kontext begegnet esfünfmal.16 Nur das die Personmitte und dasmenschliche Streben bezeichnende Motiv Herz17

ist in ähnlicher Häufigkeit und Streuung präsent.Mit Blick auf das zum Stichwort „Geist“ und „In-spiration“ Gesagte ist anzumerken, dass in den bei-den Eingangs-Emblemen programmatisch dieGeisttaube erscheint, in Nr. i mit Feuerzungen alsIllustration der dem Regeltext vorangestellten Bitteum den Heiligen Geist, in Nr. ii über dem aufge-schlagen liegenden Buch schwebend, in dem„Sancti Benedicti sacra Regula“ zu lesen ist. In die-

12) Vgl. Gregor M. Lechner, Bonifatius Gallners musik-thematische Icones in seiner Regula Emblematica SanctiBenedicti. In: Franz Körndle (Hrsg.), Musica Ecclesi-astica – Ars Sacra. Kirchenmusik als liturgische Kunst.Festgabe für Friedrich Wilhelm Riedel = Kirchenmusi-kalische Studien 11 (Sinzig 2007) 29–38, hier 32, 35,Abb. 11.

13) Wie das Stichwort „spiritus“ knüpft auch die Trias derTagzeiten, die das Buch der Psalmen in drei Abschnittezu jeweils 50 Psalmen gliedert, an ein Zitat aus dem Psal-ter an: „vespere et mane et meridie eloquar et resonabo“(„Am Abend, am Morgen, am Mittag seufze ich undstöhne“) (Ps 55,18).

14) Nr. ii, iv, xix, xxxi, xxxiii, xxxv, xlvi, lxv, lxxii, lxxiii, lxxxiii,cl, cli, clxx, clxxxvii.

15) Nr. lxii, lxiii, lvii, lxxvii, xvii, xc, cvi, cxxxiii, cxxiv, clxvi.16) Nr. xvi, cxxvi, cxxviii, cxxix, clv.17) Gezählte 25 Belege: Nr. vi, xxv, xxxvi, xlii, xliii, xlvii,

xlviii, xlix, l, lxiv, lxxi, lxxii, lxxiii, lxxix, lxxxiii, lxxxvi,xcvii, xcviii, c, ci, cxxix, cxxx, cxxxi, cli, clxxxvi.

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sem Fall ist es das von Benedikt selbst18 aufgetra-gene inständige Gebet um das Gelingen des begon-nenen Weges, das mit dem Wirken des HeiligenGeistes in Verbindung gebracht wird. Die Bild-Text-Komposition stellt demnach die Lektüre undAuseinandersetzung mit der Benediktsregel, wie sieGallner in der Regula emblematica vor Augenführt, in den Horizont der Geistsendung,19 diedem zuteil wird, der in der Haltung des inständigenGebets verharrt.Emblem Nr. lviii20 unterstreicht einen weiteren As-pekt von Gallners Beziehung zum Buch, die sichnicht in wissenschaftlicher Beschäftigung, in derFreude an schön gestalteten Einbänden und Illus-trationen oder oberflächlicher Lektüre erschöpft.Es steht mit dem im Ikon präsentierten Buch nichtmehr und nicht weniger als das Heil auf dem Spiel,das im Alten und im Neuen Testament begründetist, wie das Lemma „ex utroque salus“ verdeutlicht.Die Bild-Text-Komposition macht aus der in RB9,8 enthaltenen Bestimmung bezüglich der Lesun-gen der Vigil, die aus dem Alten und dem NeuenTestament zu nehmen sind, ergänzt mit Kommen-taren anerkannter katholischer Väter, eine Grund-satzaussage: Aus beidem, Altem und Neuem Testa-ment, entspringt Heil. Die von Mose aufgerichteteeherne Schlange auf der rechten Buchseite ist demKruzifix auf der linken Buchseite gegenübergestellt.In dem von oben einbrechenden Lichtschein, derbeide Buchseiten in gleicher Weise beleuchtet, istrechts das Tetragramm und links das Christusmo-nogramm eingeschrieben.

4. Eine barocke Emblem-Komposition zurBuch- und Lesekultur

In mehrfacher Hinsicht aufschlussreich ist dieKomposition zum Stichwort „Bibliothek“ nach RB48,15–16 (Emblem Nr. cxxviii mit dem Motto„facta iuvabunt“, Abb. 9). Der per Unterstreichung(in der Druckausgabe durch Kursivdruck) demIkon zugeordnete Regeltext lautet: „In quibus die-bus quadragesimae accipiant omnes singulos codicesde bibliotheca, quos per ordinem ex integro legant.Qui codices in capita quadragesimae dandi sunt.“Heute geht man davon aus, dass „bibliotheca“ ge-mäß dem Sprachgebrauch zur Zeit Benedikts dieSammlung der biblischen Bücher bezeichnet, ausder der Mönch jeweils einen Faszikel zu Beginn derFastenzeit erhalten soll, damit er ihn von Anfangbis Ende durchlese.21 Gallner setzt die heute geläu-fige Bedeutung von „Bibliothek“ voraus. Dement-sprechend zeigt das Emblembild ein mit Bücherngefülltes Regal, davor eine Ablage mit Totenschä-del, der sich einem geöffneten Buch zuwendet. Diemit einer Fülle von Details ausgestattete Szenerie,die Bücher mit ihren braunen Ledereinbänden, diemeisten mit für Melk typischer barocker Goldrü-ckenprägung, das an eine Studienbibliothek erin-nernde lockere Arrangement der Bände – sie sindnicht bloß Dekor, sondern es wird mit ihnen sicht-lich gearbeitet – und vor allem die Fülle an Bei-schriften machen deutlich, dass Gallner in diesemEmblem Grundlegendes zum Stellenwert einer Bi-bliothek und zum Umgang mit Büchern zu sagenhat. Es ist die einzige Komposition, in der er Lesenund Schreiben nicht vorrangig im Kontext geistli-cher Übung betrachtet, sondern generell die Fragenach der angemessenen Lesekultur stellt, womitsich eine interessante Schnittstelle zu der im vor-liegenden Band thematisierten barocken Gelehr-

18) RB Prolog 5: „Vor allem: wenn du etwas Gutes beginnst,bestürme ihn beharrlich im Gebet, er möge es vollen-den.“

19) Das Lemma „petite et accipietis“ stellt eine assoziativeVerbindung zwischen dem Jesuswort „bittet und ihrwerdet empfangen“ (vgl. Mk 11,24) und der den Apos-teln verheißenen Geistsendung her (vgl. Apg 1,8 „sed ac-cipietis virtutem supervenientis Spiritus Sancti in vos“).

20) Vgl. Gregor M. Lechner (Hrsg.), Emblemata. Zur ba-rocken Symbolsprache. Katalog der 26. Ausstellung desGraphischen Kabinetts und der Stiftsbibliothek Gött-weig (Göttweig 1977) Nr. 22, 37f.

21) In diesem Sinn gibt auch die im Auftrag der SalzburgerÄbtekonferenz herausgegebene Neuübersetzung der RB(zuerst Beuron 1990) den Text wieder: „In diesen Tagender Fastenzeit erhält jeder einen Band der Bibel, den ervon Anfang bis Ende ganz lesen soll. Diese Bände wer-den zu Beginn der Fastenzeit ausgegeben.“ Dazu Puzi-cha, Kommentar (wie Anm. 6) 415.

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Abb. 9: Bonifaz Gallner, „Regula emblematica“: Nr. cxxviii (Stiftsbibliothek Melk, Cod. 510, 132r)

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samkeit im Umfeld der Brüder Pez ergibt: Warumsoll man sich Bücher anschaffen und lesen, undwelche Bücher sind es wert, dass man sich mit ih-nen befasst?Bereits das Lemma gibt die Richtung an: Nicht dieBücher als Bücher bringen etwas und „helfen“ (iu-vabunt), sondern weil und insofern sie die facta(„Taten“ bzw. „Tatsachen“) über die Zeiten hinwegpräsent halten und als Medium vergegenwärtigterGeschichte etwas bewirken können. Die Beischrif-ten über dem Regal („Lecta docent“) und unten aufdem Ablagebrett vor dem Regal („opera illorumenim sequuntur illos“) knüpfen hier an: Büchersind lehrreich und ihr Studium nützlich, weil dieGeschehenszusammenhänge, die in ihnen einge-gangen sind, eine Spur in der Geschichte ziehen.Der Schriftzug in dem auf einem Pult aufgeschla-gen liegenden Buch formuliert nun allerdings jeneMaxime, auf die es Gallner ankommt und auf diedie Komposition als ganze zielt: „Paucis ad bonammentem libris et literis indigemus.“ Damit ist wohlgesagt, dass unter den Büchern, die sich zur Lektüreund zum Studium empfehlen, eine kleine Auswahlgenügt, denn „zur rechten Gesinnung“ („ad bonammentem“), also um zu erkennen, was gut und ziel-führend ist, und entsprechend zu handeln, brauchtes nicht die Lektüre möglichst vieler Bücher.22 Im-plizit ist damit gesagt, dass die wenigen Bücher ge-nau die richtigen sein müssen. Der Totenschädel,der den Schriftzug in Augenschein nimmt, wäre so-mit als Hinweis zu lesen, dass auch das Bücherwis-sen vergänglich ist und deshalb nicht ziellos ange-

häuft werden soll, sondern in erster Linie (und viel-leicht ausschließlich) das lesenswert ist, was uns subspecie aeternitatis weiterbringt!Es ist nicht zu übersehen, dass in Bonifaz Gallnerskünstlerischem Œuvre die Akzente anders gesetztsind als im wissenschaftlichen Œuvre der BrüderPez. Trotzdem gibt es, wie das Emblembild zumThema „Lesekultur“ zeigt, auch Konvergenzen:Die betonte Zuwendung zu den facta, also den Er-eignissen, die dem, wovon die Bücher erzählen, vo-rausliegen und die ihre je eigene Wirkungsge-schichte entfalten, trifft sich mit dem kritisch prü-fenden Blick des Historikers auf die Quellen undihre Überlieferungsgeschichte. Allerdings erweitertGallner gegenüber den Melker Historikern des 18.Jahrhunderts an einem entscheidenden Punkt denVorbehalt gegenüber dem in den Büchern ange-häuften Wissen. Die Beschäftigung mit Büchern,sei sie noch so intensiv und seien die in den Bü-chern handschriftlich oder gedruckt vorliegendenWerke noch so sorgfältig erarbeitet und kritisch ge-prüft, „macht“ als solche nicht schon einen tugend-haften und vorbildlichen Mönch im Sinne Bene-dikts (⇒7.5). Dafür „genügt“ – allerdings als un-abdingbare Voraussetzung! – das Studium der we-nigen Bücher (der gezielten Auswahl an Büchern),die im Bildprogramm der Regula emblematica ihreherausragende Stellung behaupten und die Gallnerselbst ins Zentrum seiner als geistliche Übung be-griffenen Kunstfertigkeit gestellt hat: Allen vorandie Benediktsregel, dazu das Buch der Psalmen unddie Passionsgeschichten der Evangelien.

22) Bei diesem Sinnspruch dürfte es sich um eine Abwand-lung eines Satzes aus Seneca, Epist. 106,12, handeln, woes heißt: „paucis satis est ad mentem bonam uti litteris“(„zur tugendhaften Gesinnung braucht man nicht vielWissenschaft“) (Hinweis von Thomas Stockinger).