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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
Migration, Kindheit und Sozialisation in unterschiedlichen kulturellen Kontexten:
Welche Ideen könnte man für die Praxis ableiten?
Dipl. Psych. Anna Dintsioudi
Fachforum Migration, Kassel, 31.01.2013
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Vortragsinhalte
• Migration nach Deutschland: Ein paar Daten und Fakten • Sozialisation und kultureller Kontext • Projekte der Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und
Kultur zu Sozialisation in unterschiedlichen Kontexten: Fokus Migration
• Relevanz für die Praxis?
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
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Relevanz des Themas
• In Deutschland haben aktuell:
- 19,5 % Migrationshintergrund - 1/3 davon haben selbst keine Migrationserfahrung (2. oder 3.
Generation) - 34,9% aller 5 Jährigen einen Migrationshintergrund - 52 % aller Vorschüler mit Migrationshintergrund sind in einer Kindertagesbetreuung untergebracht
• ....
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
(BAMF, 2011; deStatis, 2011, 2012)
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Sozialisation
• Wie werden Kinder in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sozialisiert?
• Wie werden Kinder in Deutschland mit und ohne Migrationshintergrund (mMH) sozialisiert?
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
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Kulturelle Kontexte
• Was ist eigentlich ein kultureller Kontext?
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
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Kulturelle Kontexte • Kultur = geteilte Deutungsmuster (Werte, Normen) und
Verhaltenspraktiken • Kultur ≠ Herkunftsland, Religion oder Ethnie • Lebenswelten mit bestimmten soziodemographischen
Eigenschaften bestimmen Kultur: • Geographischer Raum (Stadt-Land) • Sozioökonomischer Status / Bildung • Familienstruktur
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
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Soziokultureller Kontext: SÖS, Bildungsgrad, Familienform
Entwicklung
Aut
onom
ie
Verb
unde
nhei
t
Kulturelles Modell
Sozialisationsziele
Parentale Ethnotheorien
Elternverhalten
Keller, 2007
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• Kulturelle Familienmodelle und deren Konsequenzen für Entwicklung und Bildung
• Kulturabhängige soziale und kognitive Entwicklungsmuster • Kulturspezifische Formen des Lernens und des
Informationserwerbs • Repräsentation von Kultur im Alltag, in der Familie, in
Institutionen (z.B. Kita)
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
Exemplarische Forschungsbereiche
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
• Betrachtung des Alltags und dessen Struktur • Rückschlüsse auf kulturelle Praktiken und Bedeutungssysteme • Betrachtung der Interaktion verschiedener kultureller
Kontexte und ihrer Implikationen
Vorgehen
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
Kontext Migration
„Immigration kann Veränderungen in elterlichen Verhaltensweisen und Erziehungszielen /- praktiken nach sich ziehen resultierend aus der Interaktion von verschiedenen Faktoren, wie z.B. dem Druck zur Anpassung durch die Aufnahmegesellschaft“
(Garcia-Coll & Magnuson, 1997)
Die kulturellen Modelle von Herkunftskontext und Aufnahmekontext stehen meist im Widerspruch zueinander!
Einfluss auf kindliche Entwicklung
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
• Familienmigration und ihr Einfluss auf Sozialisationsziele • Sprachkultur in der Kita • Kinderzeichnungen • Nubbek • Einstellungen von bildungsfernen Familien mit Migrationshinter-
grund zum Besuch ihrer Kinder in Kindertageseinrichtungen
Exemplarische Projekte
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Familienmigration und ihr Einfluss auf Sozialisationsziele
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Ziel:
Erfassung der Migrationserfahrungen (Deutschland, Israel) bzw. der Erfahrungen als ethnische Minderheit (Herkunftskontext: Ex-UdSSR) und der damit zusammenhängenden Sozialisationsziele
Russisch-jüdische Großmütter-Mütter-Dyaden mit einem Zielkind im Alter von 0-6 Jahren wurden befragt (Interviews und Fragebögen)
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• Die Generationen und Kontexte unterscheiden sich im Ausmaß, wie sich die Befragten in den „neuen“ Lebenskontext einbringen:
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
2,05
2,1
2,15
2,2
2,25
2,3
2,35
2,4
2,45
2,5
Deutschland Israel
Mitt
elw
erte
Lebenskontexte
Involviertheit in neuen Lebenskontext
2,05
2,1
2,15
2,2
2,25
2,3
2,35
2,4
2,45
2,5
Mütter Großmütter
Mitt
elw
erte
Generation
Involviertheit in neuen Lebenskontext
(N= 105)
*** ***
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• Mütter und Großmütter unterscheiden sich in ihren Sozialisationszielen:
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
0 0,5
1 1,5
2 2,5
3 3,5
4 4,5
Mitt
elw
erte
Sozialisationsziele
Mütter Großmütter
Dintsioudi, in prep. (N= 86)
*** * **
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• Die kulturellen Kontexte unterscheiden sich in den Sozialisationszielen:
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
0 0,5
1 1,5
2 2,5
3 3,5
4 4,5
5 5,5
Mitt
elw
erte
Sozialisationsziele
Deutschland Israel Ehemalige Sowjetunion
Dintsioudi, in prep.
* **
(N= 86)
***
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
„Gesellschaftliche Integration“ abhängig von:
Faktoren (unter anderem):
• Bewertung des Anpassungsnutzens • Bildungschancen für den Nachwuchs
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• Bewertung des Anpassungsnutzens: - Positive Bewertung des deutschen Bildungssystems
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Bildungsmöglichkeiten
M: Also, sie entwickeln die Kinder in Sport, in der physischen Entwicklung. Und in der Entwicklung kreativer Fähigkeiten, der kreativen Entwicklung. (3M)
M: Aber ich meine, dass Deutschland jetzt alle Möglichkeiten dafür hat, dass das Kind absolut entwickelt ist/wird. (14M)
M: <lacht>. Das äh, grundsätzlich denke ich, hier mehr Möglichkeiten sich entwickeln. Also, also. Jede, jede Mensch kann hier was machen, hier. Also wenn er will lernen, dann kann er lernen #I: mhmh# Abendschule oder Tagschule oder Fernschule, und äh, <man hört Sohn im Hintergrund> jedenfalls ähm, ähm das strukturiert Deutschland diese Aktivitäten ist gut. (12M)
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Bewertung des Anpassungsnutzens: – Negative Bewertung des deutschen Bildungssystems
Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
M: Und die Lehrerin sagt zu ihr: «Also, die Drei ist eine gute Note.» Und Ich meine, dass es die ganz und gar NICHT GUTE Note für mein Töchterchen ist. #I: Mhm.# und deshalb, es entspannt sie, solche Position und sie strebt nach einer Eins nicht [....] Nein, ich kann sie [die Lehrer] sogar nicht beschuldigen, dass sie nicht interessiert sind. Sie haben einfach einen anderen Standpunkt. ***. Was muss sich nicht zu sehr anstrengen, wenn es dir gefällt, dann kannst du es so machen und es ist gut so. (D3M)
M: Spaß auch gut, aber wir erwarten Leistungen. (D12M)
M: mir scheint bei uns in Russland äää mit Ihnen beschäftigt man sich mehr, allgemein versucht man und ursprünglich ja, aus irgendeinem, na ja die Eltern streben zu etwas, damit sie gute Bildung haben #I: ja# beschäftigen sich anders. Hier habe ich das nicht gemerkt, als ich das Kind in den Kindergarten gebracht habe, ich war einfach davon schockiert. (13M)
Grundhaltung zur Leistungsexzellenz
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Sprachkultur in der Kita
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
Ziel:
Sprachbildung alltags“basiert“ und kultursensitiv in die Kitas zu bringen.
Trainiert wurden jeweils „alle Erzieher“ von Kitas in Niedersachsen und untersucht wurden alle Kinder der jeweiligen Kita im Alter von 3 Jahren. Erzieher und Kinder wurden insgesamt je 1 Jahr lang begleitet.
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Autonomie orientierte Kulturen
Relationalität orientierte Kulturen
Struktur Fragen Ausschmückungen Rückmeldungen
Vorgaben Wiederholungen Wenig Rückmeldung
Inhalt Kindzentriert Sozialer Inhalt (andere Personen)
Der elaborative Stil über das Kind
Der repetitive Stil über andere Personen
SOZ.-ZIEL Psycholog. Autonomie Hierarch. Relationalität (Schröder, et al., 2011)
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
Autonomie orientierte Kulturen
Relationalität orientierte Kulturen
Struktur Fragen Ausschmückungen Rückmeldungen
Vorgaben Wiederholungen Wenig Rückmeldung
Inhalt Kindzentriert Sozialer Inhalt (andere Personen)
(Schröder, et al., 2011)
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Messzeit Was wurde gemacht?
t1 K: SETK, Erzählkompetenz, Soziale Kompetenz (EL & ER) EL: Soziodemographische Daten ER: Soziodemographische Daten, Sprachstil (Video)
Tr1 Training 1: Grundlagen und Übungen Tr1-2 ER: Sprachstil (eigene Aufnahmen)
Tr2 Training 2: Festigung der Elemente Tr1 t2 (1 W nach Tr2)
ER: Sprachstil (Video)
t3 K: SETK, Erzählkompetenz, Soziale Kompetenz (EL & ER) ER: Sprachstil (Video)
t4 K: SETK, Erzählkompetenz, Soziale Kompetenz (EL & ER) ER: Sprachstil (Video)
6 Monate
1 Jahr
nach Training
Vor Training
2 Wochen
Indi
vidu
elle
Beg
leitu
ng
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Erste Ergebnisse Sprachstilveränderung bei pädagogischen
Fachkräften
Nach 6 Monaten:
• stellen die Erzieherinnen signifikant MEHR offene und WENIGER geschlossene Fragen...
• benutzen die Erzieherinnen WENIGER kindzentrierte Inhalte
...in ihren Konversationen mit Kindern
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Erste Ergebnisse Sprachstandsentwicklung bei Kindern
Nach 6 Monaten verbessern sich die Kinder signifikant in den Bereichen:
• morphologische Regelbildung. (Haupteffekt für Zeit und Migrationshintergrund!)
• phonologisches Gedächtnis (Haupteffekt für Zeit)
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Kinderzeichnen
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Zentrale Fragestellung:
Wie zeichnen Kinder aus verschiedenen kulturellen Kontexten sich selbst und andere?
4-6 Jährige in Deutschland, der Türkei und Kamerun wurden gebeten sich selbst zu zeichnen
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Türkei - ländlich Migranten aus der Türkei
Türkei - städtisch Deutschland - städtisch
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Forschungsstelle Entwicklung, Lernen und Kultur
0
20
40
60
80
100
120
140
Osnabrück Emsland Migranten Ankara Marmara Nso
Mitt
elw
erte
in m
m
Figurhöhe der Selbstzeichnungen im Kulturvergleich
Deutschland Türkei
Soz.-ziele Osnabrück Emsland Migranten Ankara Marmara Nso
Autonomie +++ ++ +++ +++ ? + Verbundenheit ++ ++ +++ ++ ? +++
n= 72 n= 50 n= 53 n= 48 n= 21 n= 70
(Rübeling, H., Gernhardt, A., Keller, H., Böning, M., Lenk, M., & Schwarzer, S., 2011)
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Nubbek (Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern)
Kooperationspartner: DJI, IFP, München; FVM, Kandern; Universität Osnabrück, Universität Bochum, PädQuis, SOEP, Berlin
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Ziel:
Eine Basis an empirischem Grundlagenwissen bzgl. des Einflusses verschiedener Betreuungsformen auf kindliche Entwicklung, Erziehung und Bildung zu schaffen
Frage:
• Welche Kinder aus welchen Familien besuchen in welchem Alter welche Betreuungsform? • Wie stellt sich die pädagogische Qualität in den verschiede- nen Betreuungsformen dar?
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Untersuchungseinheiten
2-Jährige 4-Jährige
Settings o. MH r./t. MH o. MH r./t. MH gesamt
Kindergarten 146 - - 322 124 446
Krippe 118 323 54 - - 376
Altersgemischt 139 135 52 179 89 455
Tagespflege 164 235 5 - - 240
Familienbetreuung - 234 204 - - 436
gesamt 567 927 315 501 213 1956
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Hauptergebnisse:
http://www.nubbek.de
Ein Ergebnis exemplarisch:
Kinder mit Migrationshintergrund (türkisch, russisch) treten im Schnitt 8-12 Monate später in außerfamiliäre Betreuungs-formen ein als Kinder ohne Migrationshintergrund.
weniger außerfamiliäre Betreuungserfahrung
Ursachen: z.B. weniger wahrgenommen Betreuungsmöglich-keiten, Kostenfaktor, mangelnde Wohnungsnähe
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Einstellung von bildungsfernen Eltern mit Migrationshintergrund zum
Besuch ihrer Kinder in Kindertageseinrichtungen
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Ziel:
1. Analyse der Sozialisationsziele, Erziehungs- und Bildungskonzeptionen von bildungsfernen Müttern mit und ohne Migrationshintergrund
2. Ermittlung der Ein- und Vorstellungen bildungsferner Eltern ohne und mit türkischem und russischem Migrationshintergrund zum deutschen frühkindlichen Bildungssystem
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Welche Ideen könnte man für die Praxis ableiten?
• Erkenntnisse aus praxisnahen Projekten können evtl. genutzt werden für die tägliche Arbeit im Kita-Alltag
• z.B. kann die Kita sehr viel dazu beitragen, die (Sprach)-Entwicklung von (Migranten)kindern im Alltag zu stärken
– ohne großen Mehraufwand
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Welche Ideen könnte man für die Praxis ableiten?
• Basiswissen über kulturelle Kontexte und die dazugehörigen Erziehungsmuster können die Eltern-Erzieher-Arbeit erleichtern und viele kulturelle Missverständnisse ausräumen
• z.B. die Bewertung von Bildungsinstitutionen durch Migranten unterschiedlicher Herkünfte kann beeinflusst werden, um Bildungschancen und -erfolge zu stärken
GEGENSEITIGE WISSENSVERMITTLUNG
• z.B. muss man bei der Deutung von Kinderzeichnung vorsichtig sein, weil gängige Deutungsmuster sich am „westlichen Kulturkreis orientieren“
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Immigration kann zur Ko-existenz von Autonomie und Relationalität in unterschiedlichen Gewichtungen und mit unterschiedlichen Bedeutungen führen, beeinflusst durch die Anforderungen der „neuen“ ökokulturellen Umwelt
Wichtig:
Kultursensitive Zugangsweisen erleichtern die Zusammenarbeit mit Migrantenfamilien eher als kulturunsensitive Zugangsweisen
Fazit
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