MPF_2003_3 Max Planck Forschung

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Magazin des Max Planck Institutes

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  • MaxPlanckForschungMaxPlanckForschungDas Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

    B20396F3/2003

    PHYSIK

    Urknall im Speicherring

    KOMPLEXCHEMIE

    Die Elixiere des Lebens

    KOMPLEXCHEMIE

    Die Elixiere des Lebens

    FOKUS

    MikrobenFOKUS

    Mikroben

    PHYSIK

    Urknall im Speicherring

    ESSAY

    Sich waffnen gegen eine Seevon Plagen

    ESSAY

    Sich waffnen gegen eine Seevon Plagen

  • 3 / 2 0 0 3 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 32 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3 / 2 0 0 3

    INHALT

    NOTIZEN des Prsidenten 4 Wissen ist Gold wert

    FORSCHUNG aktuell 5 Heie Funde im eisigen Nordmeer7 Dem Chaos eine Richtung weisen8 Auch Affen lesen in Gesichtern9 Der Schalter im Ohr10 Lernen will gelernt sein12 Woraus besteht die Erde des Mars?13 Telegramm

    ESSAY 14 Sich waffnen gegen eine See von Plagen

    FOKUS Mikroben20 Ein Bakterium als Tamagotchi26 Genjger auf Tauchgang30 Infektionen mit dem Keim erstickt34 Stickstoff-Hndler im Schwarzen Meer

    FASZINATION Forschung 40 PhysikUrknall im Speicherring

    WISSEN aus erster Hand 46 KomplexchemieDie Elixiere des Lebens

    WISSENSCHAFTSgeschichte 52 BotanikDas Lwenmulchen eine mustergltige Pflanze

    FORSCHUNG & Gesellschaft 56 RechtsgeschichteWas nach dem Weltkrieg Recht war

    NEU erschienen 61 Seelische Labyrinthe61 Fantastische Landschaften

    Zur PERSON 62 Oliver Schmidt

    INSTITUTE aktuell 68 Merlins Suche nach dem Heiligen Gral69 ber Physiologie und Genese71 Keine Doppelbestrafung in Europa72 Integration als Luxus?73 Eine Lanze fr die Grne Gentechnik74 Zum Tod von Hans Elssser

    STANDorte 75 Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft

    75 Impressum

    BlickPUNKT 76 Das krperliche Gleichgewicht

    30LEBENSKNSTLER: Ein marines Bakterium passt sich dank eines groen Genoms bestens an seine Umgebung an und bereitet den Bioinformatikern viel Kopfzerbrechen.

    LICHTBLICK: In einem virtuellen Labor wollen Biologen und Systemtheoretiker mathematische Modelle entwickeln, die das Verhalten lebender Zellen simulieren.

    RISIKO: Krankheitserreger sind gefhr-lich doch Forscher kommen manchen von ihnen allmhlich auf die Schliche.

    SPURENSUCHE: Eine neue Bakterienspezies, auf die Wissenschaftler im Schwarzen Meer gestoen sind, ent-puppt sich als Global Player im Stickstoff-Kreislauf.34

    ZUM TITELBILD: Kultur in der Schale Mikroorganismen zhlen zu den faszinierendsten Lebewesen der Erde.FOTO: CORBIS

    BIOMAX: Vom Vorteil, etwas anders zu sein warumLeben auf Biodiversitt setzt GEOMAX: Schornsteine fr Methan wie Reisanbau das Klima killt

    Fokus Mikroben

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    SPURENSUCHE: Eine neue Bakterienspezies, auf die Wissenschaftler im Schwarzen Meer gestoen sind, ent-puppt sich als Global Player im Stickstoff-Kreislauf.

  • NOTIZEN des Prsidenten

    4 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3 / 2 0 0 3

    Freiheit Wissenschaft ist ein ffent-liches Gut. Wissenschaft lebt davon, dass ihre Ergebnisse ein groes Publikum findenund von Experten diskutiert werden. Dazuexistiert ein traditionelles Modell: Die Verf-fentlichung in Fachzeitschriften. Der Autorbertrgt das Copyright oder eine exklusiveLizenz an einen Verlag, der die Arbeit dannvermarktet. Doch Analysen wie die krzlichverffentlichte Studie des Wellcome Trustzeigen, dass diese Art der Marktstruktur amCharakter der Wissenschaft vorbeizielt. Hierkommt das Internet ins Spiel. Es bietet dieMglichkeit, Wissen weltweit jederzeit frjeden zugnglich zu machen Open Access heit das Zau-berwort. Mehr als 120 Exper-ten trafen sich auf Einladungder Max-Planck-Gesellschaftim Berliner Harnack-Haus,um ber diesen offenen Zu-gang drei Tage lang ausfhr-lich zu beraten. Denn diesesneue Prinzip wird die Publi-kationspraxis und das bishe-rige System der Qualittssi-cherung in den Natur- undGeisteswissenschaften starkverndern. Die Tagung endetemit der Berliner Erklrung:Darin bekennen sich diegroen deutschen Wissen-schaftsorganisationen sowie internationaleForschungs- und Kultureinrichtungen zu einem freien Zugang zum Wissen und set-zen gleichzeitig ein Signal fr den freierenAustausch zwischen den Wissenschaftlern.Die Max-Planck-Gesellschaft fhlt sich diesen Grundstzen verpflichtet. Sie befr-wortet die Publikation von Arbeiten in Zeit-schriften, die dem Open-Access-Prinzip folgen, sie untersttzt die Anerkennung von Open-Access-Beitrgen bei der Begut-achtung von Forschungsleistungen und siefrdert die Archivierung von Ergebnissen in institutionellen oder offenen Archiven.Das tut sie in der berzeugung, dass derfreie Zugang zu wissenschaftlichen Ergeb-nissen fr die Gesellschaft der Zukunft unverzichtbar ist.

    Investition An die Zukunft denkenmuss auch, wer heute investiert. Zahlt sichdas Vermgen aus, oder steht man eines Tages mit leeren Hnden da? Das beschftigtden Einzelnen ebenso wie die Politik dernichts Geringeres obliegt, als die Zukunft

    eines ganzes Staates zu sichern. In einem an Ressourcen armen Land wie der Bundes-republik steht der Rohstoff Wissen an ersterStelle. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und die Parteien stimmen darin berein. Nur: In Zeiten staatlicher Finanznte vermag ichmutige Schritte zu Investitionen in Bildungund Forschung nicht deutlich genug zu er-kennen. Zwar soll der Haushalt des Bundes-ministeriums fr Bildung und Forschung imkommenden Jahr um 6,3 Prozent wachsen jedoch einschlielich der Aufwendungen des Sonderprogramms zur Einrichtung vonGanztagesschulen. Ohne dieses Programm

    dagegen schrumpft der Haus-halt um 1,9 Prozent. Der re-duzierte Etat enthlt die vomBundeskanzler angekndigte3-prozentige Wachstumsratefr die Forschungsorganisa-tionen die Projektfrderungsinkt allerdings um 8,2 Pro-zent. Das heit: Die For-schung in Deutschland mussletztlich weitere Krzungenhinnehmen. Ein deutlichesSignal setzte jngst der Pr-sident der Bundesbank, Ernst Welteke. Er schlug vor,Teile der milliardenschwerenGoldreserven fr die spezi-fische Frderung von Bil-

    dungs- und Forschungsaktivitten zu ver-kaufen. Dabei msste der Erls nicht direktden einzelnen Einrichtungen zuflieen, sondern knnte als Grundstock eines Fondsdienen, aus dessen Ertrgen Bildung undForschung dauerhaft zu frdern wren.Folgte der Staat diesem Vorschlag, dannstnde er in Zukunft sicher nicht mit leerenHnden da und knnte demonstrieren, dass ihm Wissen Gold wert ist.

    Renommee In punkto Forschungs-frderung sind wir von den USA weit ent-fernt. Allein die Harvard-University inves-tiert in einen weiteren Campus 3 MilliardenDollar weit mehr als das Doppelte einesJahresetats der Max-Planck-Gesellschaft.Doch was unser Renommee betrifft, brau-chen wir uns nicht zu verstecken. Davonkonnte ich mich krzlich whrend einerUSA-Reise berzeugen: Unser Rat ist ge-fragt, unsere Wissenschaftler genieen hohes Ansehen. Nicht zuletzt haben wir 54und damit ein Fnftel unserer Direktorenaus den USA berufen ...

    Wissen ist Gold wert

    Peter Gruss, Prsident der Max-Planck-Gesellschaft

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    Unter dem Meereis derArktis verbirgt sich derGakkel-Rcken ein Ge-birgszug, so mchtig wie dieAlpen: Seine Gipfel ragen aus einer Tiefe von 5500Metern bis 600 Meter unter den Meeresspiegel. Der Gakkel-Rcken markiertdie Nahtstelle der Kontinen-talverschiebung im Nord-meer und war unlngst Ziel einer internationalen Expedition, an der auch Wissenschaftler des MainzerMax-Planck-Instituts frChemie teilnahmen. Dabeistieen die Forscher, andersals erwartet, im Ost- wie imWestteil des Gebirgsrckensauf berraschend starkemagmatische Aktivitt sowieauf uerst ergiebige Quellenheien vulkanischen Wassers (NATURE, 26. Juni 2003).

    Der Gakkel-Rcken erstrecktsich unter dem Arktischen Meer

    samsten spreizende Ozean-rcken auf der Erde ist zwan-zig Mal langsamer als etwa der Ostpazifische Rcken. Auf-grund dieser Trgheit erwarteteman am Gakkel-Rcken einennur schwachen, anmischen Vulkanismus sowie keine oder allenfalls eine nur geringe hydrothermale Aktivitt. Tatschlich aber fanden dieForscher eine ungemein starkeVulkanaktivitt. Wir hatten erwartet, der Magmatismuswrde von Westen nach Ostenstetig schwcher und schlie-lich ganz zum Erliegen kom-men. Stattdessen war die Mag-maproduktion im mittleren

    GEOLOGIE

    Heie Funde im eisigen Nordmeer

    ber 1800 Kilometervom Norden Grnlands bis nachSibirien. Er bildet den nrdlich-sten Auslufer des weltum-spannenden mittelozeanischenRckensystems: jener 75 000Kilometer langen vulkanischenGebirgskette unter den Ozea-nen, in der durch aufsteigendesMagma neuer Meeresboden ozeanische Kruste entstehtund dabei durch Spreizung die jeweils angrenzenden Kon-tinentalschollen auseinanderdrngt.Fr Geowissenschaftler ist derGakkel-Rcken deshalb interes-sant, weil er mit einem Zenti-meter pro Jahr der am lang-

    Spitzbergen nrdlicher mittelatlantischer Rcken

    Grnland

    Baffin Island

    EllesmereIsland

    Alaska

    NowajaSemlja

    Russland

    Gakkel-Rcken

  • FORSCHUNG aktuell

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    FORSCHUNG aktuell

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    Bereich des Rckens vllig er-loschen, stieg dann aber nachOsten hin wieder dramatischan, sagt Dr. Jonathan Snow,Leiter der Forschungsgruppeam Max-Planck-Institut frChemie in Mainz, die fr diepetrologischen und geoche-mischen Untersuchungen dergefundenen Gesteinsprobenzustndig war.Auch heie Quellen sprudelnim Gebiet des Gakkel-Rckensviel zahlreicher als erwartet.Wir gingen von einem hydro-thermal toten Rcken aus, soSnow, aber jedes Mal, wennwir unser Messinstrument ausdem Meer zogen, lieferte esHinweise auf hydrothermaleAktivitt und einmal sahenwir sogar eine aktive heieQuelle auf dem Meeresboden.Die Biologen, die an der Expe-dition teilnahmen, vermutenan diesen heien Quellen pri-mitive Lebensgemeinschaften,die ber lange Zeit von jederVerbindung zu den anderenWeltmeeren ausgeschlossenwaren und deshalb mglicher-weise archaische Formen kon-serviert haben.Die zentrale Region des Gakkel-Rckens, weil bar jeglichermagmatischen Aktivitt, erwiessich als einzigartig im mittel-ozeanischen Rckensystem.Denn dort lagert keinerlei vul-kanische Kruste: Die Wissen-

    Atome oder Molekle in Gasen und Flssigkeiten sindstndig in Bewegung. Diesesvllig regellose thermischeRauschen bekannt als Brownsche Molekularbewe-gung in eine gerichtete Bewegung umzuwandeln, ist jetzt Physikern am Max-Planck-Institut fr Mikro-strukturphysik in Halle gelun-gen: Sie entwickelten eineMembran, die das chaotischeZittern der Partikel ber eineArt Ratschen-Mechanismus in einen gerichteten Teilchen-strom verwandeln (NATURE, 3. Juli 2003).

    Die von den Forschern kons-truierte Membran besteht aus einer Siliziumscheibe, in die photo-elektrochemisch mehrals eine Million Poren eingetzt wurden feinste Kanle mit einem sgezahnartigen Profil,dessen Querschnitt sich mit derTiefe der Poren ndert.Die Funktion dieses Silizium-siebs zeigt sich, wenn man dieMembran als Trennwand zwi-schen zwei Behlter setzt, dieeine Dispersion aus Wasser undmikroskopisch kleinen Kgel-chen aus Latex enthalten. Solange dieses Wasser in Ruheist, schwirren die Latexkgel-chen darin regellos umher, undihre Konzentration bleibt in

    beiden Behltern konstant. Das ndert sich, wenn man dasWasser mit einer Frequenz von 40 Hertz also vierzigmalpro Sekunde so unter Drucksetzt, dass ein Teil davon jeweilsdurch die Poren der Membranhin- und wieder zurckstrmt.Dann bleibt zwar die Wasser-menge in jedem der beiden Gefe gleich es steigt aberdie Konzentration der Latex-kgelchen in einem der beidenBehlter. Das bedeutet: berlagert manden zuflligen, thermisch be-dingten Bewegungen der Teil-chen in einer Flssigkeit eineperiodische Strung, dann wir-ken die asymmetrischen Kanleder Membran hnlich wie dieasymmetrischen mechanischenSperren eines Ratschen-Schrau-benziehers oder einer Automa-tikuhr sie erlauben die Bewe-gung der im Wasser dispergier-ten oder gelsten Teilchen nurin eine Richtung und verlegenihnen den Rckweg. Und so er-zeugt der periodische Pump-vorgang am Ende eine geziel-te Bewegung der Partikel innur eine Richtung.Weitere Experimente zeigten,dass und wie sich die Form der Membrankanle und dieAmplitude der periodischenDrucknderungen auf dieTransportrichtung der Teilchen

    MIKROPHYSIK

    Dem Chaos eine Richtung weisen

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    Experimenteller Aufbau, a: Schematische Darstellung. Diehorizontal eingebaute Membranstruktur mit asymmetrischmoduliertem Porendurchmesser trennt zwei Behlter (U) und(L). b: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme des Quer-schnitts einer makroporsen Siliziumscheibe. Die Makroporensind in einem hexagonalen Gitter mit einer Gitterkonstantenvon 6 Mikrometern und einer Tiefe von 150 Mikrometern

    angeordnet. c: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmedes Querschnitts einer Membranstruktur aus moduliertemmakroporsen Silizium. Nach dem Trocknen kleben die kol-loidalen Kgelchen mit einem Durchmesser von 1 Mikrome-ter an der Oberflche. Der maximale Porendurchmesser be-trgt 4,8, der minimale 2,5 Mikrometer, die Periodenlnge8,4 Mikrometer. Insgesamt wurden 17 Modulationen getzt.F O

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    CHEM

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    Bergung einerGesteinsprobe an Bord des deutschen For-schungsschiffsPFS Polarstern.

    auswirkten und dass dieseTechnik berall dort einsetzbarist, wo es darum geht, empfind-liche biologische Objekte, etwa Viren oder Zellfragmente,auszusieben und auf engstemRaum voneinander zu trennen.Dabei arbeitet das neue Verfah-ren potenziell schneller als dieherkmmlichen Techniken derElektrophorese und die Mem-bran ist immer wieder zu ver-wenden. Denn durch sie lassensich, wie Experimente zeigten,auch Partikel transportierenund absondern, die wesentlichkleiner als die Poren des Sili-ziumsiebs sind, die deshalbkaum verstopfen. Und zugleichknnte man ber die Steuerungder Druckamplitude jeweils Einfluss darauf nehmen, welchePartikel den Filter passieren.Damit knnte dieses Verfahren,chaotische Teilchen in Gleich-schritt zu bringen, einen wich-tigen Schritt hin zu neuen Ana-lyse- und Diagnosetechniken in Biochemie und Medizin bedeuten.

    Weitere Informationen erhalten Sie von:DR. FRANK MLLERMax-Planck-Institut fr Mikrostrukturphysik, Halle/SaaleTel.: 0345/5582-725Fax: 0345/5511-223E-Mail: [email protected]

    schaftler konnten deshalb Ge-steinsproben heben, die direktaus dem oberen Bereich desErdmantels stammen der an-sonsten in jedem anderen Teilder Erde unter einer TausendeMeter dicken Schicht aus Krus-tengestein verborgen liegt. Ich traute meinen Augenkaum, als ich durch das Mikro-skop schaute, berichtet Snow,denn einige dieser Proben sahen aus, als wren sie wiedurch Zauber geradewegs ausdem oberen Erdmantel gekom-men: Sie zeigten nicht die Spur einer Vernderung durchMeerwasser.Die am Gakkel-Rcken gewon-nenen Erkenntnisse sind fr die Geowissenschaft neu.

    Sie zeigen, dass die Spreizungs-geschwindigkeit allein nochkein Ma fr die vulkanischeAktivitt in einem Gebiet lie-fert. Vielmehr tragen noch an-dere Faktoren wie etwa diechemische Zusammensetzungoder die Temperatur des Man-telgesteins in der Tiefe zurEntwicklung und den Eigen-schaften der ozeanischenRcken bei.

    Weitere Informationen erhalten Sie von:

    PD DR. JONATHAN SNOWMax-Planck-Institut fr Chemie, MainzTel.: 06131/305-202Fax: 06131/371-051E-Mail: [email protected]

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    Der amerikani-sche Forschungs-eisbrecher USCGC

    Healy (vorne) und das deutscheForschungsschiff

    PSF Polarsternauf Expedition imArktischen Meer.

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  • Unsere Umwelt nehmen wir mithilfe unserer Sinnewahr: Spezialisierte Rezep-toren in Auge, Haut oderZunge ermglichen es uns,Licht, Berhrung, Schmerzoder Klte zu registrieren. Als eines der letzten nochunbekannten sensorischenRezeptormolekle wurde nunein Ionenkanal identifiziert,der fr die Umwandlung der mechanischen Energie in elektrische Impulse an den Haarzellen des Innenohrsverantwortlich ist (SCIENCEEXPRESS 12. Juni 2003).

    ber diese Zellen, die an ihrerOberflche ber mit winzigenHrchen besetzte Fortstzeverfgen, nehmen wir mecha-nische Reize wie Schall oderBewegung wahr. Werden dieHrchen durch Schall oder Bewegung verbogen, strmenIonen in die Zelle ein und me-chanische Energie wird in elek-trische Impulse umgewandelt.Auf welche Art die sensori-schen Haarzellen diese Ener-gieumwandlung auf moleku-larer Ebene schaffen, war bisher jedoch nicht bekannt;man wusste lediglich, dass bestimmte Ionenkanle dieseKonversion vermitteln. Nunkonnten Forscher des Max-Planck-Instituts fr Entwick-lungsbiologie (Tbingen) undfr medizinische Forschung(Heidelberg) gemeinsam in derinternationalen FachzeitschriftSCIENCE ber die Identifizierungdes fr diese Signalumwand-lung verantwortlichen Rezep-tor-Molekls beim Zebrafischberichten. Alle Sinneswahrnehmungen beruhen auf der Umwandlungvon Reizen in elektrische Sig-nale, die an das Gehirn weiter-geleitet werden. Fr die Um-wandlung oder Transduktiondes Signals verwenden vieledieser sensorischen Rezeptorenden gleichen Typ von Ionen-

    kanlen, die transient receptorpotential channels oder TRP-Kanle. Die Ionenkanle sindProteine, die je nach Stimulus in der Zellmembran winzigePoren bilden und selektiv kleineMolekle in die Zelle einstr-men lassen.Bei der Identifizierung von ander Wahrnehmung beteiligtenMoleklen haben sich bishergenetische Studien an Organis-men wie Wurm und Fruchtflie-ge als hilfreich erwiesen. EinDurchbruch fr das molekulareVerstndnis der Mechanosensa-tion, der Umwandlung mecha-nischer Stimuli in elektrischeSignale, gelang Walker undKollegen [R. Walker, A. Willing-ham, C. Zucker, SCIENCE 287,2229 (2000)] vor drei Jahren. Damals identifizierten die For-scher einen neuartigen TRP-Kanal, der fr den Tastsinn derFruchtfliege bentigt wird. Frhherentwickelte Tiere konntejedoch in den Genom-Daten-banken kein homologes Gengefunden werden, ein Indizdafr, dass dieser besondereKanal mit dem Namen NompCmglicherweise nur bei wirbel-losen Tieren vorkommt. Die Hoffnung, dass NompCauch an der Transduktion insensorischen Haarzellen betei-

    ligt ist, hatte man beinahe auf-gegeben. Ein groer Fortschrittist den Wissenschaftlern in Tbingen und Heidelberg jetztmit der Identifikation einesdem NompC-Rezeptor entspre-chenden Ionenkanals beim Zebrafisch gelungen. Die Eli-mination dieses Kanals und damit auch seiner Aktivittfhrt bei Zebrafisch-Larven (3-4 Tage alt) zu Taubheit.Elektrische Ableitungen, die an sensorischen Haarzellen von Zebrafischen durchgefhrtwurden, zeigten, dass NompCtatschlich fr die Transdukti-on eines mechanischen Reizesbentigt wird.Somit deutet der Nachweis,dass die Wahrnehmung vonmechanischen Reizen bei nie-deren wie bei hheren Tierenvon einem entwicklungsge-schichtlich verwandten Ionen-kanal, NompC, gesteuert wird,auf einen gemeinsamen Vor-fahren von Gliederflern undWirbeltieren hin, der diesesspezielle sensorische Systemausgebildet hat.

    Weitere Informationen erhalten Sie von:DR. TERESA NICOLSONMax-Planck-Institut fr Entwicklungsbiologie, TbingenTel.: 07071/601-377Fax: 07071/601-384E-Mail: [email protected]

    FORSCHUNG aktuell

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    FORSCHUNG aktuell

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    beim Sprechen lchelt odergrimmig blickt. Ob allerdingsauch Tiere Laute und Mimik ihrer eigenen Spezies als eineEinheit wahrnehmen, war bis-her unbekannt. Vielmehr galt,dass nur der Mensch ber dieseFhigkeit verfgt und des-halb wurden Tiere bislang nicht daraufhin getestet.Dr. Asif Ghazanfar und Prof. Nikos Logothetis vom TbingerMax-Planck-Institut fr biolo-gische Kybernetik haben nununtersucht, ob Rhesusaffen(Macaca mulatta) eine Spe-zies mit einem komplexen Repertoire an mimischen undstimmlichen Ausdrucksformen in der Lage sind, die Zusam-mengehrigkeit von auditivenund visuellen Signalen im Rah-men ihrer Kommunikation zuerkennen. Dazu fhrten sie elfAffen zwei Videos synchron ne-beneinander vor, die jeweils den gleichen Affen, aber jeweilsmit einer ganz anderen mimi-schen Artikulation zeigten, dieim einen Fall zu Drohrufen, imanderen zu Gurr-Rufen passte. Gleichzeitig hrten dieAffen ber Lautsprecher eineLautuerung, die nur mit ei-nem der beiden Videos ber-einstimmte. Den meisten Affen(65 Prozent) fiel sofort auf, zuwelchem Gesichtsausdruck derLaut passte und schauten sofortauf den Bildschirm mit der ent-sprechenden Mimik.

    Diese Versuche belegen, dassRhesusaffen bestimmte Lautemit jeweils gleichlautendenGesichtsausdrcken ihrer Art-genossen in Zusammenhangbringen. Asif Ghazanfar gehtdavon aus, dass es sich bei die-ser Fhigkeit der Affen um eineevolutionre Vorstufe fr diekomplexe Sprachwahrnehmungbeim Menschen handelt. Frhe-re Verhaltensstudien ber ver-netzte Wahrnehmungen bei Affen hatten sich ausschlielichauf den Zusammenhang zwi-schen visuellen und taktilenReizen konzentriert. Die neuenResultate korrespondieren engmit Befunden, die gleichartigeTests mit Kleinkindern brach-ten: Babys knnen Stimmenund Mimik bereits im Alter von zwei Monaten miteinander verbinden lange bevor sieSprechen lernen. Es knnte also sein, dass der Mensch die-sen Trick von seinen tierischenVorfahren geerbt hat. Aus Untersuchungen am Men-schen ist bekannt, dass dertemporale Cortex bei der Inte-gration verschiedener Kommu-nikationsformen im Gehirn eine wichtige Rolle spielt. DieWissenschaftler wollen nunklren, welche Neuronen undNeuronenverbnde im Prima-tengehirn zur Vernetzung unterschiedlicher Wahrneh-mungen beitragen und wie dieser Zusammenhang kodiertwird. Die Frage ist auch: Gibt es bereinstimmende Bereicheim menschlichen und nicht-menschlichen Primatengehirn und damit eine Spur zurckzum tierischen Ursprung undzur frhen Entwicklung dermenschlichen Sprache?

    Weitere Informationen erhalten Sie von:

    DR. ASIF GHAZANFARMax-Planck-Institut fr biologische Kybernetik, TbingenTel.: 07071/601-654Fax: 07071/601-652E-Mail: [email protected]

    KOGNITIONSFORSCHUNG

    Auch Affen lesen in Gesichtern

    Mimik zu interpretieren isteine Voraussetzung, um Spra-che zu verstehen und geht in der Evolution der Sprach-entwicklung voraus. Wissen-schaftler des Max-Planck-Instituts fr biologische Ky-bernetik in Tbingen habenjetzt nachgewiesen, dass nichtnur Menschen, sondern auchRhesusaffen in der Lage sind,Mimik und Lautuerungenihrer Artgenossen als Einheitzu verstehen (NATURE, 26. Juli2003). Die Forscher sehen in dieser Fhigkeit der Affeneine evolutionre Vorformder menschlichen Sprach-wahrnehmung.

    Die artspezifischen Lautue-rungen von Affen sind wesent-lich fr deren soziale Interak-tionen, fr ihren Reprodukti-onserfolg und ihr berleben.Die Tiere erzeugen ihre Lautedabei hufig in Verbindung mitganz bestimmten Krperhal-tungen und Gesichtsausdr-cken. Bei den meisten Prima-tenarten so auch beim Men-schen sind diese verschieden-artigen Signale sehr komplex,was sich am deutlichsten an dermenschlichen Sprache illustrie-ren lsst. Denn bei unsererWahrnehmung spielt die Kom-bination gehrter und gesehe-ner Signale eine bedeutendeRolle: So macht es einen gro-en Unterschied, ob ein MenschFO

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    Rhesusaffen verfgen ber eingroes Repertoire

    an Lauten undGesichtsaus-

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    SINNESPHYSIOLOGIE

    Der Schalter im Ohr

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    Elektronenmik-roskopische Auf-nahme einer fnfTage alten Zebra-fisch-Larve. ZweiCluster mit Haar-sinneszellen desSeitenlinienorganssind oberhalb desMauls und wei-tere Cluster in der Nhe der Augen zu sehen.Fische und Am-phibien benutzendas Seitenlinien-organ, um Bewe-gungen im Wasserzu registrieren.

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    Unteres Quartil Zweites Quartil Drittes Quartil Oberes Quartil

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    FORSCHUNG aktuell

    BILDUNGSFORSCHUNG

    Lernen will gelernt sein

    Weitere Informationen erhalten Sie von:DR. ANTONIA RTGER

    Max-Planck-Institut fr Bildungsforschung, BerlinTel.: 030/82406-251Fax: 030/824 99 39E-Mail: [email protected]

    Erfolgreiches Lernen hngtnicht nur von gutem Unter-richt und guten Rahmenbe-dingungen ab, sondern auchdavon, welche EinstellungSchler zum Lernen haben.Dies besagt ein neuer Berichtder OECD (Organisation frwirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung), derauf Erhebungen der PISA-Studie basiert. Motivation,Selbstvertrauen und die An-wendung von Lernstrategientragen demnach entschei-dend zu besseren schulischenLeistungen bei.

    Insgesamt 43 Lnder haben inzwischen an der PISA-Studie(Programme for InternationalStudent Assessment) teilgenom-men, die in Deutschland unterder Federfhrung des BerlinerMax-Planck-Instituts fr Bil-dungsforschung von einem nationalen Konsortium durch-gefhrt wurde. In 26 Lndernwurden 15-Jhrige dabei nichtnur auf ihre Lesekompetenz undKompetenzen im mathemati-schen und naturwissenschaft-lichen Bereich getestet, sondernauch gefragt, ob und welcheStrategien sie beim Lernen nut-zen, wie hoch ihre Motivationund ihr Selbstvertrauen beim

    Wissenserwerb sind und ob sieeher kooperative oder wett-bewerbsorientierte Lernformenbevorzugen. Die Ergebnissewurden nun in einem eigenenBericht zusammengefasst.Die Daten belegen, dass Schlerbessere schulische Leistungenerzielen, wenn sie motiviertsind, ber effektive Lernstrate-gien verfgen und sich selberauch zutrauen, ihr Lernen zusteuern. Um solche Einstellun-gen und Techniken in Zukunftstrker zu frdern, mssenSchulen nicht nur Unterrichts-inhalte, sondern auch das Wie des Lernens vermitteln.Schler brauchen reichhaltigeErfahrungen mit dem Lernen,um zu begreifen, wie sie am besten lernen, welche Metho-den effektiv sind und wie sieVerantwortung fr ihr eigenesLernen bernehmen knnen.Erst wenn sie diese Lernkompe-tenz entwickelt haben, werdensie auch nach der Schulzeitselbststndig weiterlernen undden Anforderungen des Berufs-lebens gewachsen sein, sagtdie Psychologin und Lernfor-scherin Cordula Artelt, die amBerliner Max-Planck-Institutfr Bildungsforschung dem PISA-Team angehrt.Nach ihren eigenen Angaben

    zum Lernen lassen sich dieSchler vier verschiedenenLernergruppen zuordnen. DieGruppe der lernstrksten Sch-ler zeichnet sich sowohl durchhufigen Einsatz von effektivenLerntechniken und -strategienaus als auch durch Einstellun-gen und berzeugungen, diedas Lernen frdern. Diese Sch-ler verwenden vorrangig Stra-tegien, die auf das Verstehenund Durchdringen des Gelern-ten abzielen und die als Elabo-rations- und Kontrollstrategienbezeichnet werden. Auerdemtrauen sich diese Schlerinnenund Schler auch zu, schwie-rige Lernziele zu erreichen(Selbstwirksamkeit) und sindbereit, Anstrengung und Aus-dauer in ihre eigenes Lernen zuinvestieren. Schler aus dieserGruppe der strksten Lernerschneiden auf der PISA-Skalaim Schnitt 63 Punkte oder rundeine Kompetenzstufe besser abals die Schler aus der Gruppeder lernschwachen Schler".Dieser positive Zusammenhangzwischen den Lernmethoden,der Motivation und dem Selbst-vertrauen der Schler auf dereinen und der schulischen Leis-tung der Schler auf der ande-ren Seite findet sich in allen ander Studie beteiligten Lndern.

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    Schler undSchlerinnen haben in allenLndern mehr Zutrauen in ihreverbalen Fhig-keiten und ihreLesekompetenzals in ihre mathe-matischen Fhig-keiten.

    *Unterrichts-sprache in den jeweiligen Lndern.

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    Dnemark schneiden Schler,die sich etwas zutrauen, besserab als solche mit wenigerSelbstvertrauen.Darber hinaus zeigt die Studie,dass sich auch Geschlechtsun-terschiede, der Einfluss der Familie und der Migrationshin-tergrund oft in unterschied-lichen Lernvoraussetzungenund Einstellungen zum Lernenniederschlagen: Obwohl Jun-gen schlechter beim Lesen ab-schneiden, haben sie insgesamteinige Lernvorteile. Sie vertrau-en zum Beispiel eher als Md-chen darauf, dass sie Lernauf-gaben erfolgreich bewltigen.Andererseits halten Mdchenmehr von ihren Lesefhigkeitenund haben greres Interesseam Lesen.Schler aus sozial begnstig-ten Schichten lernen auch bes-ser. Sie glauben insbesondereeher daran, dass sie Erfolg ha-ben werden, verwenden hufi-ger effektive Lernstrategien undsind interessierter am Lesen. Der in PISA gezeigte Leistungs-vorteil von Schlern aus sozialbessergestellten Familien lsstsich dabei zu einem erheblichenAnteil darauf zurckfhren,dass diese Schler ber bessereLernvoraussetzungen im Sinnevon Motivation, Lernstrategienund Selbstvertrauen verfgen.Schler aus Einwandererfami-lien, deren Leseleistung in denmeisten Lndern wesentlichschwcher als die der Einhei-mischen ist, verfgen nicht ge-nerell ber schlechtere Lernvor-aussetzungen. In der Mehrzahlder Lnder sind ihre Herange-

    hensweisen hnlich wie die dereinheimischen Schler und ineinigen Lndern, wie Australienund Neuseeland, weisen Mig-ranten sogar bessere Lernvo-raussetzungen auf. In Deutsch-land verwenden Migranten inder Regel weniger Elaborations-strategien und trauen sich imFach Deutsch weniger zu. IhrInteresse an Mathematik ist je-doch strker ausgeprgt als dasihrer deutschen Mitschler.Insgesamt zeigt die Studie, dassdie Lerneinstellungen einenberraschend starken Einflussauf die Lesekompetenz haben.Rund ein Fnftel der Leistungs-unterschiede in der Lesekompe-tenz der Schler lsst sich aufihre unterschiedlichen Lernvor-aussetzungen im Sinne vonStrategien, Motivation und leis-tungsbezogenem Selbstvertrau-en zurckfhren. Fr CordulaArtelt steht darum fest: Wennman aus diesem Ergebnis eineKonsequenz ziehen will, dannsollte das Wie des Lernensstrker zum Unterrichtsgegen-stand werden. Lehrer knntenihre Schler dabei untersttzen,ein Repertoire an effektivenLernstrategien aufzubauen undihnen auch helfen, Zuversichtund Interesse zu entwickeln.Solche pdagogischen Unter-sttzungsprozesse sollten auchein zentrales Element der Leh-rerausbildung sein.

    Ein weiteres gemeinsamesMerkmal aller Lnder ist jedochauch, dass es an allen Schuleneine Reihe von Schlern gibt,deren Lernzugnge als verbes-serungswrdig zu bezeichnensind: Diese Schler weisen eingeringes Selbstvertrauen auf,sind kaum motiviert und verf-gen ber wenig effektive Lern-strategien. Die Ergebnisse derStudie zeigen, dass gerade dieseGruppe der lernschwachenSchler besonders stark davonprofitieren wrde, wenn ihnendie Schule Hilfestellung beimselbstgesteuerten Lernen gebenwrde. Denn die Leistungszu-wchse zwischen der Gruppevon Lernern, die sehr selten Ge-brauch von Kontrollstrategienmacht und der Gruppe von Ler-nern, die diese regulativen Stra-tegien wenigstens manchmalanwenden, sind besonders hoch.In allen Lndern bewertenSchler ihre eigenen Fhigkei-ten im Lesen positiver als jenein Mathematik. Trotz dieser Ge-meinsamkeiten finden sich aberauch deutliche Unterschiedezwischen den Teilnehmerstaa-ten: So haben dnische Schlerdas hchste und koreanischeSchler das geringste Vertrauenin ihre akademischen Fhigkei-ten, sowohl was die Lesekompe-tenz als auch die Mathematikbetrifft. Die Mittelwerte imSelbstvertrauen sind zwar inden beiden Lndern verschiedenhoch, was auch kulturell be-dingt sein mag, aber auf der individuellen Ebene zeigen sichdennoch die gleichen Zusam-menhnge: In Korea wie in

    Sie knnen die Studie auch als PDF-Dokument herunterladen:www.pisa.oecd.org.

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    Schlerleistungen im PISA-Lesetest in Abhngigkeit von der Hufigkeit des Einsatzes von Lern- und Kontrollstrategien

    Die Lnder sindnach dem Leis-tungsunterschiedzwischen denSchlern des obe-ren und unterenQuartils sortiert.

    *Die Schlerbetei-ligung ist zu gering,um Vergleichbarkeitzu gewhrleisten.

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    VerbalesSelbstkonzept

    MathematischesSelbstkonzept

    Durchschnittliche Zustimmung zu Aussagen wie:Im Fach Deutsch* lerne ich schnell, Ich war schon immer gut in Mathematik

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  • FORSCHUNG aktuell

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    FORSCHUNG aktuell

    12 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3 / 2 0 0 3

    nen (siehe MAX-PLANCKFORSCHUNG3/2002, Seite 84).Auf der Jahresta-gung der Meteo-ritical Society in

    Mnster prsen-tierte das GRS-Team

    Ende Juli neue vor-lufige Daten der planetarenWassersuche: Danach sind amNordpol sehr hohe Werte bis zu etwa 80 Prozent und amSdpol niedrigere Werte vonetwa 40 Prozent Wasserquiva-lent im Marsboden vorhanden.Seit im Juni 2002 der sechs Meter lange Trgerarm derSonde, an dessen Ende die GRS-Instrumente installiert sind,ausgefahren wurde, konzentrie-ren sich die Forscher nun auchauf weitere chemische Elemen-te in der Marskruste. Bei derAnalyse der Daten mussten dieWissenschaftler auch die Sonneim Auge behalten: Solange solare Protonen den Detektortreffen, werden diese Daten von der allgemeinen Kartierungder Oberflche ausgeschlossen. Das Gleiche gilt fr saisonal mit gefrorenem Kohlendioxidberzogene Polargebiete, dienur Signale von der dickenCO2-Schicht aussenden.Basierend auf der chemischenAnalyse des Marsstaubs amLandeort der Mars Pathfinder-Sonde (Analysegert entwickeltam MPI fr Chemie), konntenjetzt aus den GRS-Daten gro-rumig Konzentrationen wich-tiger Elemente fr das Ober-flchengestein ermittelt wer-den. Die Forscher fanden, dassdie Konzentration von Siliziumje nach Region nur wenigschwankt, zwischen 19 und 23 Gewichtsprozent. Eine str-kere Ortsabhngigkeit zeigtesich beim Eisen, dessen Vor-kommen zwischen 11 und 17Prozent im rostroten Staub und Gerll variiert.Am Max-Planck-Institut frAeronomie in Katlenburg-

    Lindau hat sich unterdessen Wojciech Markiewicz die Daten des Thermal EmissionSpectrometers (TES) an Borddes zweiten Marssatelliten, des lteren Global Surveyor,vorgenommen. Dabei nahm der Forscher zusammen mitKollegen aus Polen und denUSA insbesondere die exo-tischen Landschaften in derNhe des Marssdpols ins Visier. Diese so genannten Polygonal Features sind von Grben durchzogene Gebiete,die einem saisonalen Kreislaufaus Gefrieren und Verdampfenvon CO2-Eis im Marsboden unterworfen sind. Mit einerModellrechnung konnte dasTeam krzlich im FachmagazinPlanetary and Space Sciencezeigen, dass die TES-Tempera-turdaten am besten erklrtwerden knnen, wenn Wasser-eisgehalte von mindestens 30 Volumenprozent in den ersten beiden Metern desMarsbodens vorhanden sind.

    KOSMOCHEMIE

    Woraus besteht die Erde des Mars?

    Whrend eine internationaleRaumsonden-Flotille unseremroten Nachbarplaneten ent-gegen fliegt, arbeitet derNASA-Satellit Mars Odysseybereits vor Ort sein wissen-schaftliches Pensum ab. Einespektakulre Entdeckung ge-lang Odyssey mithilfe seinesBordgertes, dem Gamma-Ray-Spectrometer (GRS),schon im vergangenen Jahr:Betrchtliche Mengen Was-serstoff, hchstwahrschein-lich in Form von Wassereis,sind im Marsboden gespei-chert. Wenn der Mars vonkosmischen Strahlen getrof-fen wird, entstehen Neutro-nen und Gammastrahlen, diedie Bodenschichten wiederverlassen, erklrt JohannesBrckner vom Max-Planck-Institut fr Chemie dasFunktionsprinzip des Spek-trometers. Der Kosmochemi-ker aus Mainz ist am GRS-Experiment im Marsorbit beteiligt.

    In einer polaren Umlaufbahnzieht Odyssey ber die Mars-oberflche und spht mit demGamma-Spektrometer nach derStrahlung, die aus maximal ei-nem Meter Bodentiefe stammt.So kann die Sonde in 400 Kilo-metern Hhe gleichsam denFingerabdruck des Wasser-stoffs nehmen, so Brckner.Dass die Signatur des leichtes-ten Elements von Wassereis im Boden stammt, bezweifeltkaum noch ein Wissenschaftler.Auf farbigen Landkarten dar-gestellt, zeigen die GRS-Resul-tate die hchsten Werte indunkelblau gefrbten Regio-

    CO2-Eis und Wassereis in den sd-lichen Breiten des Mars. Die Kanten-lnge des Bildausschnittes oben linksbetrgt rund 1,5 Kilometer. Die siebenNahaufnahmen unten zeigen saisonalenderungen der Polygonal Features.

    Falschfarbdar-stellung der glo-balen Eisenver-teilung auf derMarsoberflchenach GRS-Mes-

    sungen. Rote Ge-biete entsprechenhoher Eisenkon-zentration, dun-

    kelblaue Regionenzeigen geringe

    Eisenwerte.

    Weitere Informationen

    erhalten Sie von:DR. JOHANNES BRCKNERMax-Planck-Institut fr Chemie, MainzTel.: 06131/305-294Fax: 06131/371-290E-Mail: [email protected]. WOJCIECH MARKIEWICZMax-Planck-Institut fr Aeronomie, Katlenburg-LindauTel.: 05556/979-294Fax: 05556/979-240E-Mail: [email protected]

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    DIE ZNDENDE THEORIE FR SUPERNOVAE steht noch immer aus denn auch die auf-wndigsten je durchgefhrten Computersimu-lationen zum Gravitationskollaps massereicherSterne, krzlich vollzogen am Garchinger Max-Planck-Institut fr Astrophysik, brachtennicht den theoretisch erwarteten Knalleffekt.In ihren Modellrechnungen gingen die Wissen-schaftler von Sternen mit mehr als zehn Sonnenmassen aus, in deren Kernregionen sich Eisen anreichert: Diese Eisenkerne werdenschlielich instabil und kollabieren unter ihrerSchwerkraft zu Neutronensternen. Dabei, sodie derzeit gngige Theorie, entweichen ausdem Zentrum gewaltige Mengen an Neutrinos,die einen Teil ihrer Energie auf die nach wievor zusammenstrzende Materie auerhalb des Neutronensterns bertragen und dieseNeutrinoheizung sollte schlielich den

    Stern mit Urgewalt sprengen und ihn als Supernova explodieren lassen. Doch in den Simulationen geschah nichts dergleichen, obwohl darin die Wechselwirkungen von Ele-mentarteilchen, die Rotation des kollabieren-den Sterns sowie Konvektionsprozesse mit bislang unerreichter Genauigkeit nachvoll-zogen wurden: Die Stowellen, erzeugt durchden Kollaps, verpufften wirkungslos noch inden Zentren der Modellsterne. Die Theorie derSupernovae, so das Fazit der Forscher, mussneu durchdacht und mit mehr Sprengkraft angereichert werden.

    BUNG SCHULT DAS GEHIRN und kann, was diesem Organ an Intelligenz fehlt, zumin-dest im Alltagsgebrauch ersetzen: Das habenForscher des Berliner Max-Planck-Instituts fr Bildungsforschung und der Universitt Grazin einer Versuchsreihe an Taxifahrern gefun-den. Den Testpersonen wurde in einem erstenDurchlauf eine aus ihrem Beruf vertraute Auf-gabe gestellt, die im wesentlichen die Kenntnisdes Grazer Straennetzes voraussetzte. Unab-hngig von ihren unterschiedlichen Leistungenin Intelligenztests lsten alle Teilnehmer dieseAufgabe ohne besondere geistige Anstrengung,wie aus Aufzeichnungen ihrer Hirnstrme her-vorging. Anders jedoch, als man den Taxifah-rern eine unvertraute Aufgabe stellte, die anihre rumliche Intelligenz appellierte: an dieFhigkeit, sich binnen 30 Sekunden ein fiktivesStraennetz einzuprgen. Dieses Problem ls-ten die Intelligenteren mit deutlich wenigergeistigem Energieaufwand als ihre Kollegen,die beim Intelligenztest schlechter abgeschnit-ten hatten. Vorwissen, bung und Motivation

    knnen eine niedrigere Intelligenz durchauswettmachen und auch Menschen mit wenigergnstigen Voraussetzungen zu ebenso effizien-tem Hirneinsatz verhelfen wie Hochintelli-genten.

    KILLERZELLEN ZU ENTSCHRFEN ist nachOrgan-Transplantationen, bei Autoimmunlei-den sowie manchen chronischen Infektionennotwendig. Dabei geht es darum, die Kampf-stoffe auszuschalten, mit denen Killerzellenarbeiten: die so genannten Proteasen oderGranzyme, die normalerweise Krebszellen odervon Viren befallene Krperzellen zerstren die fallweise aber auch transplantiertes odergesundes krpereigenes Gewebe attackieren.Eine dieser Proteasen, das Granzym A, ist jetztan den Max-Planck-Instituten fr Biochemieund Neurobiologie in Martinsried bei Mnchensowohl in seinem molekularen Feinbau als auch in seiner Funktion entschlsselt worden.Zugleich gelang es, ein neues, kostengnstigesVerfahren zur Herstellung von Granzym A zuentwickeln. Beides ist wichtig, um die bereitsverfgbaren Protease-Blocker Medikamente,die Proteasen und damit Killerzellen von ihremzerstrerischen Werk abhalten weiter zu optimieren oder sie durch neue, gezielter wirkende Substanzen zu ersetzen.

    GREISE MUSE LERNEN SCHLECHTER als ihre jungen Artgenossen, und auch ihr Erinne-rungsvermgen schwindet ein Schicksal, das sie mit dem Menschen teilen. Doch den senilen Musen kann jetzt geholfen werden.Denn bei der Suche nach den neurophysio-logischen Hintergrnden der vermindertenHirnleistung alternder Muse wurden Forscherdes Gttinger Max-Planck-Instituts fr experi-mentelle Medizin im Hippocampus dieser Nager fndig, in einer stammesgeschichtlichalten Struktur der Grohirnrinde: Es zeigtesich, dass im Hippocampus lterer Muse ver-mehrt ein bestimmter, durch Calcium aktivier-ter Kalium-Kanal gebildet wird ein Schleu-sen-Protein in der Membran der Nervenzellen,das an deren Funktion beteiligt ist. Und dannfolgte die berraschung: Indem sie die ber-produktion dieses Kalium-Kanals gezielt dros-selten, konnten die Forscher den Abfall derLern- und Gedchtnisleistung bei den lterenMusen unterbinden. Sollte sich erweisen, dass auch beim alternden Menschen ein sol-cher Zusammenhang zwischen einem spezifi-schen Kanal-Protein und der eingeschrnktenHirnleistung besteht, wrde das einen neuentherapeutischen Ansatz bedeuten: Dann lieesich an Pharmaka denken, die auf diesen Kanalund damit als eine Art Jungbrunnen fr das Gehirn wirken.

    +++Te legramm+++

    Mehr zu diesen Themen finden Sie unter www.maxplanck.de

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  • ESSAY

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    INFEKTIONSbiologie

    SARS dieses Krzel schreckte um die Jahreswendedie Weltffentlichkeit auf: Das Schwere Akute Re-spiratorische Syndrom, eine infektise Erkrankung derLunge, breitete sich weltweit aus. Ihren Ausgang hattedie Krankheit Ende 2002 von Guandong in Sdchinagenommen, wahrscheinlich von Fleischmrkten. Seit-dem sind weltweit in rund 30 Lndern mehr als 8000Menschen an SARS erkrankt und mehr als 800 gestor-ben, davon die meisten in China.

    So leidvoll diese Bilanz ist: Sie markiert nur die Spitzeeines Eisbergs. Denn den 800 Opfern, die SARS bislanggefordert hat, stehen 500 Menschen gegenber, die jedeStunde auf dem Globus von AIDS und Tbc dahingerafftwerden; an diesen beiden Krankheiten sind im vergan-genen Jahr weltweit fnf Millionen Menschen gestor-ben. Und den 8000 an SARS Erkrankten in der ersten

    Hlfte des Jahres 2003 stehen mehr als 30 000 Men-schen gegenber, die tglich an Tbc und AIDS erkran-ken. Allein in Deutschland gibt es mehr als 40 000 HIV-Infizierte, und 2002 waren mehr als 1800 Neuin-fektionen mit HIV und 600 Todesflle durch AIDS zuverzeichnen. Ganz hnlich liegen die Dinge bei der Tbc:An ihr waren im vergangenen Jahr in Deutschland na-hezu 8000 Menschen erkrankt und etwa 500 gestorben allerdings in der Mehrzahl so genannte sozial Schwa-che und Auslnder: Wohl deshalb dringt dieses Problemnicht ins allgemeine Bewusstsein...

    Von 56 Millionen vorzeitigen Todesfllen, die jhr-lich auf der Welt zu beklagen sind, gehen rund 17 Mil-lionen auf das Konto von Infektionskrankheiten diedamit alle zwei Sekunden ein Opfer fordern: Fast so vie-le, wie durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und mehr

    Sich waffnengegen eine See

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    Alle zwei Sekunden stirbt irgendwo auf der Erde ein Mensch

    an einer Infektionskrankheit. Und Seuchen wie Grippe oder jngst

    SARS erinnern uns immer wieder daran, dass wir die Welt mit

    mikroskopisch kleinen Erregern teilen, die uns stndig belauern.

    Wie sehr sind wir von alten oder auch neuen Seuchen bedroht?

    Wie knnen und mssen Medizin, Grundlagenforschung

    und Politik die Situation entschrfen? Mit diesen Fragen be-

    schftigt sich PROF. STEFAN H. E. KAUFMANN, Direktor am

    MAX-PLANCK-INSTITUT FR INFEKTIONSBIOLOGIE in Berlin.

  • ESSAY

    3 / 2 0 0 3 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 17

    Mikroben entwickelten sich vor mehr als drei Milliar-den Jahren. Sie hatten bereits smtliche Nischen auf derErde besetzt, ehe die Menschheit vor fnf MillionenJahren auf den Plan trat. Vor etwa 30 000 Jahren hattensich die menschlichen Gemeinschaften so weit verdich-tet, dass Seuchenerreger sichere Bedingungen fr ihrebertragung fanden. Zur Verdeutlichung: Wenn die drei Milliarden Jahre seit dem Ursprung der ersten Bak-terien auf einer Landkarte 3000 Kilometer entsprechen,dann liegen die Anfnge der Menschheit nur fnf Kilo-meter entfernt und die 30 000 Jahre menschlicherSeuchengeschichte machen in diesem Mastab gerademal 30 Meter aus.

    Das Erfolgsgeheimnis der Mikroorganismen beruhtauf einem ganz einfachen, doch zugleich sehr bewhr-ten Trick: in der Kombination aus rascher Vermehrungund rascher Vernderung. Viele Bakterien verdoppelnsich einmal in einer halben Stunde. Wofr der Menschmit seiner langen Generationszeit ein Jahrtausendbentigt, das schaffen Bakterien und Viren innerhalbweniger Tage. Und wenn auch die meisten Mutationenund Rekombinationen (also genetisch bedingte Vernde-rungen) fr die neu entstandenen Erreger schdlich odersogar tdlich sind: Die wenigen vorteilhaften Vernde-rungen setzen sich dennoch rasch durch, und ihre Tr-ger erobern eine neue Nische. Das macht Mikroorganis-men zu Meistern der Anpassung.

    Die Entwicklung des Menschen nahm einen anderenWeg den der Arbeitsteilung durch Spezialisierung undKomplexitt. Der Mensch sieht sich gemeinhin als daskomplexeste aller Lebewesen und verleiht sich, rechtunbescheiden, den Titel Krone der Schpfung. SeineOrgane nehmen unterschiedliche Aufgaben wahr: Ma-gen, Darm und Leber beschftigen sich mit seiner Ver-dauung, die Lunge dient der Atmung, das Herz betreibtdie Blutzirkulation, und dem Gehirn obliegen Sinnes-wahrnehmung und Denken. Auch im Kampf gegenMikroorganismen setzt der Mensch auf Spezialisierung.Er verfgt ber eine spezielle Abwehr das Immunsys-tem, das die Mikroorganismen im Krper aufsprt undbekmpft.

    Geschwindigkeit und Variationsfhigkeit der Erregerliegen in stndigem Wettkampf mit Spezialisierung undKomplexitt als den Strken des Menschen: Die Zeitwird zeigen, wer am Ende siegt. Mit der Entwicklungvon Impfstoffen hat der Mensch dank seiner Denkfhig-keit eine Strategie gefunden, seine Spezialeinheit fr dieAbwehr von Mikroorganismen wirkungsvoll zu unter-sttzen. Mit Impfungen lsst sich das Immunsystem aufAngriffe vorbereiten und trainieren.

    Allerdings, und das ist bedauerlich, lassen sich bio-medizinische Erkenntnisse auch pervertieren. So wurdedie Welt Ende des Jahres 2001 mit einer neuen Dimen-sion der Bedrohung durch Krankheitserreger konfron-

    versetzen. Das lehren uns die Seu-chenausbrche der jngsten Zeit:Die Natur ist der schlimmste Bio-terrorist. Dabei trgt auch derMensch unbewusst zum Aufkom-men neuer Seuchenerreger bei: AIDSentsprang in den Urwldern Afrikas,wo der enge Kontakt zwischen Affeund Mensch zur bertragung undanschlieenden Ausbreitung vonHIV fhrte. Und SARS ist das Er-gebnis der unhygienischen Verarbei-

    tung von Zibetkatzen und anderen Tieren zu Mittags-mens auf sdchinesischen Mrkten.

    AIDS und SARS, aber auch BSE und die alle Jahre neuauftretenden Grippeviren zeigen, dass Erreger vom Tierauf den Menschen berspringen und neue Seuchenzgeauslsen knnen. Die meisten dieser Erreger sind inihren berlebensstrategien auf den tierischen Wirt aus-gerichtet. Nur wenige sind dafr gerstet, sich in einemneuen Wirt zurechtzufinden. Dass sie dann manchmalauch noch bedrohliche Krankheiten hervorrufen, ist einemgliche, aber keine zwingende Konsequenz. Wir kn-nen also noch froh sein, dass die meisten Erreger beimArtensprung versagen und nur wenige Erfolg haben.

    INFEKTIONSbiologie

    16 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3 / 2 0 0 3

    als durch Krebs und alle anderen Krankheitsgruppen zuTode kommen. Die Zahl der Todesflle infolge AIDSoder Tbc allein bersteigt die Summe aller durch Kriege(einschlielich des Irak-Kriegs) sowie Diabetes, Alzhei-mer, Parkinson, Multiple Sklerose, Brustkrebs und rheu-matische Erkrankungen getteten Menschen.

    Nun sagt die Zahl der Opfer noch nichts darber aus,welche Bedeutung eine Krankheit fr die Volkswirtschafteines Landes besitzt. Der Tod 15- bis 50-jhriger Men-schen wiegt konomisch schwerer als der von Kleinkin-dern oder lteren Menschen. Experten der Weltbank haben deshalb den Begriff DALY eingefhrt. Er steht fr Disability adjusted life years und liefert ein Ma frden Verlust an gesunden Lebensjahren durch Krankheitund Invaliditt. Wenngleich diese Gre individuellesmenschliches Leid ignoriert, ist sie doch als rein kono-misch-statistische Formel aufschlussreich. Denn zum ei-nen fallen Kranke und Invalide als Arbeitskrfte aus,zum anderen kostet ihre Pflege Geld.

    Nach diesen Berechnungen gehen knapp 40 Prozentaller verlorenen Lebensjahre auf das Konto von Infek-tionskrankheiten, also weit mehr als durch Unflle,Kriege, smtliche neuropsychiatrischen Strungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs, die in der Statistikdie nchsten Rnge einnehmen und die, gemessen amDALY, nur in ihrer Summe in derselben Grenordnungwie die Infektionskrankheiten liegen.

    tiert: mit dem bewussten Miss-brauch von Erregern fr bioterroris-tische Zwecke. In den USA fhrtenAnschlge mit Anthrax-Erregern zuvier Todesfllen und zahlreichenMilzbranderkrankungen, die in derBevlkerung eine Hysterie ausls-ten. Die Warnung, dass Pockenviren die eigentlich als ausgerottet gal-ten und nur noch an zwei sicherenStellen in den USA und Russlandverwahrt sein sollten in falscheHnde gelangt sein knnten, fhrte dazu, dass vieleLnder, einschlielich Deutschland, den Pocken-Impf-stoff wieder lagern. Zwar stellt der Angriff mit Biowaf-fen ein Risiko von geringer Wahrscheinlichkeit dar; soll-te er jedoch eintreten, wren katastrophale Folgen zubefrchten.

    Damit nicht genug: Die modernen Methoden der Bio-technologie und Immunologie knnen zur Generierungvon Erregern mit neuen Eigenschaften missbraucht wer-den. So abschreckend die Milzbrand-Attacken Ende2001 in den USA waren: Sie wurden mit klassischenStmmen gefhrt, die gegenber Antibiotika empfind-lich sind. Doch in den Biowaffenschmieden der frherenSowjetunion wurden bereits rekombinante Milzbrand-Stmme konstruiert, die gegen die wichtigsten verfg-baren Antibiotika resistent sind. Ebenso wurden Pest-erreger gentechnisch so verndert, dass sie gleichzeitigdas Diphtherie-Toxin bilden und damit das Risiko vonPest und Diphtherie kombinieren.

    Auch die Mglichkeit, krpereigene Mechanismen zubeeinflussen, hat man fr Kriegszwecke ins Bse ver-kehrt, indem man Endorphin exprimierende Erreger-stmme erzeugte: Sie sollen bei den Befallenen Glcks-gefhle auslsen, damit sie, anstatt sich im Bett zu kurieren, herumlaufen und weitere Menschen anstecken.Ebenso wurde ein Verfahren ersonnen, das krpereigeneImmunsystem zu einer Art Brgerkrieg aufzustacheln.Dazu entwickelte man Legionellen-Stmme, die denNervenbestandteil Myelin bilden und damit eine auto-aggressive Reaktion des Immunsystems provozieren, dieschwerste Nervenschden zur Folge hat. Zu all demkommen neue Befunde australischer Forscher: Sie gene-rierten Musepocken-Viren, die einen krpereigenenBotenstoff freisetzen; dieser lst die Produktion von An-tikrpern aus, unterdrckt aber zugleich die schtzendeImmunitt gegen die Viren. So entstand ein Pockenvi-rus, gegen das jeglicher Impfschutz versagt: Bestrzenddie Vorstellung, dass solches auch fr die Pocken desMenschen gelten knnte!

    Im Grunde aber bedarf Bioterrorismus keiner Gentech-nik. Denn das natrliche Arsenal an Krankheitserregernreicht voll aus, um die Welt in Angst und Schrecken zu

    Die Angst vor dem unsichtbar Kleinen

    Krankheitserreger kennen keine Grenzen

    Obschon sie vor diesem Hintergrund eher marginal erscheinen, sorgen Krankheiten wie SARS fr ein wach-sendes Seuchenbewusstsein und fhren uns vor Augen, dass ansteckende Krankheiten keineswegs aus-gerottet sind und eine reale Bedrohung bleiben was siefr die Menschheit schon immer waren: Seuchen habenGeschichte geschrieben, sie haben Vlkerwanderungenausgelst, ganze Vlker ausgelscht und Kriege ent-schieden. An Infektionskrankheiten starben die MalerRaffael und Holbein, die Komponisten Schubert undMozart, die Denker Nietzsche und Marx.

    Die Angst vor Seuchen ist untrennbar mit der Erkennt-nis verknpft, dass sie durch mikroskopisch kleine Orga-nismen bertragen werden: durch Bakterien, Viren, Pilzeoder Protozoen, doch manchmal auch durch Wrmeroder wie wir seit BSE wissen durch simple Eiwei-stoffe, die Prionen. Der Mensch lebte von Anfang an engmit Mikroorganismen zusammen; sie existierten schonlange, bevor es die Menschheit berhaupt gab, und sieberdauerten smtliche Katastrophen auf der Erde. Esliegt deshalb eine gewisse berheblichkeit darin, zu mei-nen, wir knnten die Mikroben in Schach halten. Viel-mehr liee sich die umgekehrte Sicht vertreten: DieMenschheit wurde fr die Mikroorganismen geschaffen.

    Tierreservoirs stellen allerdings ein groes Problemdar. Denn sie erschweren die Bekmpfung eines Erregersund machen seine Ausrottung unmglich und das be-sonders dann, wenn die Tiere nicht erkranken. Nachdemnun Coronaviren in verschiedenen Tieren nachgewiesenwurden, mssen wir uns wohl damit abfinden, dassSARS so schnell nicht mehr von der Erde verschwindet.In diesem Sommer konnte SARS unter Kontrolle ge-bracht werden; doch schon im Winter wird es mgli-cherweise wiederkehren. Man kennt solche Zyklen vomSchnupfen, hinter dem ebenfalls Coronaviren stecken.Selbst wenn Seuchen weit entfernt von Europa entste-hen, wre es vllig falsch, sich in Sicherheit zu wiegen.Denn Krankheitserreger scheren sich nicht um politischeGrenzen: Mehr als 1,5 Milliarden Flugpassagiere undmehr als 500 Millionen Grenzberschreitungen jhrlichmachen jede Abschottung unmglich. Im globalen Dorfist niemand vor Seuchen gefeit. Keine Erkrankung hatuns das deutlicher vor Augen gefhrt als SARS.

    Statt auf Abschottung mssen wir auf Abwehr setzen und dabei in erster Linie auf Impfungen. Weltweit wer-den jhrlich 8 Millionen Menschen durch Impfung geret-tet, also alle 5 Sekunden ein Menschenleben. Und das zueinem uerst gnstigen Preis, denn Impfungen sind oh-ne Zweifel das kostengnstigste Instrument der Medizin.Leider wird ihr Nutzen noch nicht vollstndig ausge-

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    INFEKTIONSbiologieESSAY

    18 M A X P L A N C K F O R S C H U N G 3 / 2 0 0 3

    schpft: Schon heute lieen sich injedem Jahr weitere 2 bis 3 MillionenMenschen retten, in der MehrzahlKinder, wenn sie die Chance htten,geimpft zu werden.

    Wo immer Vakzinierungsprogram-me konsequent durchgefhrt wer-den, zeitigen sie frappierende Er-folge und senken etwa bei Masern,Kinderlhmung, Rteln, Mumps,Keuchhusten und Diphtherie die Er-krankungsziffern fast gegen Null.Die wenigen noch auftretenden Flle gehen gewhnlichauf eine nicht vllig deckende Durchimpfung, nicht aberauf Impfversagen zurck.

    Bisher wurden Impfstoffe weitgehend empirisch ent-wickelt. Man nutzte dabei nur selten die rasanten Er-kenntnisfortschritte der Grundlagenforschung. DieseStrategie ist inzwischen an ihren Grenzen angelangt.Denn die bislang verfgbaren Impfstoffe zielen im Prin-zip auf solche Erreger, die auf direktem Weg Krankhei-ten verursachen. Dagegen operieren viele jener Keime,gegen die Impfstoffe noch ausstehen, als raffinierte, ja manchmal hinterhltige Untergrundkmpfer, diesich ausgeklgelter Strategien bedienen, um der kr-pereigenen Abwehr zu entgehen. Impfstoffe gegen dieseErreger lassen sich nur mithilfe der modernen Infek-tionsbiologie entwickeln jener Sparte der Grundlagen-forschung, die sich mit den zellulren und molekularenEreignissen an der Grenzflche zwischen Erreger undMensch beschftigt.

    schlieenden vorklinischen Unter-suchungen sprengen hufig denRahmen der Mglichkeiten derGrundlagenforscher. Sptestens,wenn die klinischen Studien anste-hen, ist fr die Grundlagenfor-schung das Ende der Fahnenstangeerreicht.

    Deshalb ist hier vor allem die Industrie gefragt die jedoch zu-nchst die Amortisation der einge-setzten Investitionen im Auge hat.

    Die Ausrottung der Pocken- und nchstens wohl der Polio-Erreger zeigen das Dilemma der Impfstoff-For-schung auf: Ihr Ziel ist es, die Krankheit zu eliminieren.Doch je rascher und grndlicher dies gelingt, desto we-niger lsst sich damit am Ende verdienen.

    Dazu kommt, dass man Impfstoffe gegen viele Seu-chen am dringendsten in Lndern bentigt, die dafrdas wenigste Geld zur Verfgung haben. Kein Wunder,dass die Industrie nicht sonderlich motiviert ist, dieMglichkeiten der modernen Immunologie und Moleku-larbiologie mit voller Kraft in die Entwicklung vonImpfstoffen umzusetzen. Die Renditen sind fr die In-dustrie zu gering. Deshalb mssten sich ffentliche undprivate Hand verbinden und zwar nicht allein aussachlichen Grnden, sondern deshalb, weil das beson-ders dem ffentlichen Gesundheitswesen zugute kme.

    Um das Interesse der Industrie zu wecken, msste manentsprechende Anreize schaffen: Steuerermigungenfr Impfstoffproduzenten gewhren, fr sichere Absatz-mrkte in Entwicklungslndern sorgen, geteilte Preisegestatten (also hhere Preise in Industrielndern, niedri-gere in Entwicklungslndern) sowie zinsgnstige Darle-hen bis hin zu Schuldenerlassen durch die Weltbankfr breit angelegte Impfkampagnen bereitstellen.

    Lsst sich so etwas berhaupt bezahlen? Rentiert essich? Von den weltweiten Gesundheitsausgaben, die sich im Jahr 1996 auf knapp 6000 Milliarden US-Dollarbeliefen, flossen weniger als 0,2 Prozent in Impfungen.Und von den Geldern, die im selben Jahr weltweit frForschung und Entwicklung im Bereich Gesundheit aufgewendet wurden knapp 60 Milliarden US-Dollar ,entfielen mit einer Milliarde US-Dollar weniger als 2 Prozent auf die Impfstoff-Forschung. Selbst wenn dieStze heute etwas hher liegen drften, hat sich an denProportionen wenig gendert. Noch einige Zahlen zuden Kosten von Seuchen: SARS hat der Wirtschaft inAsien mehr als 11 Milliarden US-Dollar an Einbuen be-schert und dem gesamten Flugverkehr 6 Milliarden US-Dollar Verluste gebracht davon allein der Lufthansamehr als 500 Millionen Euro.

    In den vergangenen Jahren hat sich indes auch eini-ges bewegt. Als Antwort auf die Ereignisse des 11. Sep-

    Die Forschung steckt im Dilemma

    tember 2001 und auf die Anthrax-Attacken im Oktober2001 hat die US-Regierung im Jahr 2003 fr die Infek-tionsforschung 1,7 Milliarden Dollar bereitgestellt. Zwargalt dieses Geld primr der inneren Sicherheit sowie derVerhinderung und Behandlung von Krankheiten mitbioterroristischer Ursache. Daneben sollen aber auch ge-nerelle Probleme der Infektiologie angegangen werden,was auch der Forschung zur Bekmpfung der groenSeuchen einen krftigen Schub verleihen wird.

    Die deutsche Forschungslandschaft blieb indessenweithin unberhrt. Doch hat die EU der Forschung umdie so genannten armutsassoziierten Erkrankungen wieAIDS, Tbc oder Malaria im 6. Rahmenprogramm einehohe Prioritt eingerumt. Man geht nun daran, einePlattform fr klinische Impfstudien fr diese Krankhei-ten zu etablieren. Als Schritt in die richtige Richtung istauch zu werten, dass krzlich in Deutschland mit Unter-sttzung seitens des Bundesforschungsministeriums dieVakzine Management GmbH ins Leben gerufen wurde,um die Verbindung zwischen ffentlicher und privaterHand zu verbessern.

    Forschung und Entwicklung kosten Geld. Dass aberInvestitionen in Forschung langfristig hohe Dividendenbringen, wird nur selten thematisiert. Dabei bietet gera-de die Impfstoffentwicklung ein eindrucksvolles Beispieldafr, wie gut sich Forschungsgelder auszahlen. Die Ex-perten von Weltbank und Weltgesundheitsbehrde ha-ben den Wert von Impfungen und anderen Manahmenermittelt. Impfungen zhlen demnach zu den preisgns-tigsten Manahmen der Medizin: Jeder Euro, der fr ei-ne Impfung gegen Masern, Mumps, Rteln, Diphtherie,Keuchhusten oder Tetanus ausgegeben wird, spart 10 bis20 Euro. Die Impfung gegen Kleinkind-Tuberkulose, Te-tanus, Kinderlhmung, Masern oder Hepatitis B verln-gert zum Preis von 10 bis 40 Euro pro Impfung ein Le-ben in Gesundheit um ein Jahr. Von der Impfung profi-tiert nicht nur jeder Einzelne von uns auch die Allge-meinheit spart enorme Kosten.

    Die Investitionen in die Forschung fr die heute verfgbaren Impfstoffe liegen allerdings Jahrzehnte zu-rck. Wir profitieren somit vom finanziellen Einsatzfrherer Generationen. Das Geld, dass jetzt in die Ent-wicklung von Impfstoffen investiert wrde, knnte indiesem Millennium Dividenden in hnlicher Gren-ordnung abwerfen und das umso mehr, als inzwischenauch der Weg fr die Entwicklung von Impfstoffen ge-gen Autoimmunerkrankungen, Allergien und Krebs bereitet ist.

    Die Uhr der Seuchen tickt und wir wissen nicht, wiespt es ist: ob noch 5 vor oder schon 5 nach 12. Doch injedem Fall ist es dringend an der Zeit, zu handeln. Denn,so hat es Voltaire auf den Punkt gebracht: Wir sindverantwortlich fr das, was wir tun aber ebenso frdas, was wir nicht tun.

    Das vorrangige Ziel der neuen Impfstoff-Generationist die Bekmpfung sowohl alter als auch neuer Infekti-onskrankheiten, dabei vor allem der drei groen Geielnder Menschheit: Malaria, Tbc und AIDS. Dann geht esum neue Impfstoffe gegen die Erreger von solchen Er-krankungen, die vor kurzem noch als nicht bertragbargalten: gegen Hepatitis-B-Viren als Auslser von Leber-karzinomen, gegen Papillom-Viren als Verursacher vonZervikalkrebs, ferner gegen Helicobacter pylori, der Ma-gengeschwre und bestimmte Formen von Magenkrebshervorruft, sowie gegen Chlamydia pneumoniae, der alsCo-Faktor bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen verdchtigtwird. Und dazu kommen noch die Erreger neuer Krank-heiten, deren Gefahrenpotenzial sich derzeit nur schwerabschtzen lsst wie beispielsweise SARS.

    Leider ist der Weg von der Grundlagenforschung biszum Einsatz von Impfstoffen langwierig und geht weitber die Mglichkeiten von Forschungsinstituten hin-aus. Grundlagenforschung liefert zwar die Basis fr einerationale Impfstoffentwicklung; doch schon die an-

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  • FOKUS

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    MIKROBEN

    Wir wollen unabhngige Knig-reiche vermeiden, sagt ErnstDieter Gilles ber die ungewhnlichflexible Organisation am Magde-burger Max-Planck-Institut. Der Di-rektor legt Wert darauf, dass jedeneue Forschungsaufgabe von einemeigens dafr geformten Team ange-packt wird. So entsteht ein Netz-werk junger Wissenschaftler, die keine Grenzen zwischen verschiede-nen Disziplinen oder Abteilungenkennen. Die Forschungsobjekte amInstitut reichen von technischen Sys-temen wie etwa Brennstoffzellen(MAXPLANCKFORSCHUNG 1/2001, Seite30 f.) bis hin zu Organismen wieBakterienzellen. Was alle diese Sys-teme verbindet? Ihr dynamischesVerhalten lsst sich im Prinzip durchmathematische Netzwerke mit ver-schiedenen Regelgren beschreiben.Zu den grten Herausforderungengehrt die mathematische Modellie-rung lebender Zellen mit ihren unge-heuer vielfltigen und komplexenbiochemischen Ablufen.

    Der rasante Fortschritt der moder-nen Lebenswissenschaften hat dasDetailwissen explodieren lassen. Diegroen Datenmengen verstellen je-doch den Blick auf grere Zusam-

    An einem virtuellen Labor, das Biologen neue Mglichkeiten zum

    Experimentieren erffnet, bauen die Forscher um PROF. ERNST DIETER GILLES

    am MAX-PLANCK-INSTITUT FR DYNAMIK KOMPLEXER TECHNISCHER

    SYSTEME in Magdeburg. Dazu arbeiten Biologen und Systemtheoretiker unter

    einem Dach eng zusammen: Auf Basis spezieller Softwarepakete entwickeln

    sie mathematische Modelle, die das Verhalten lebender Zellen simulieren sollen.

    menhnge und Gesetze,die eine Zelle regieren.Angesichts des Daten-Overkills ergeht es denForschern wie dem Wan-derer, der vor lauter Bumen den Wald nichtmehr sieht: Die Wissen-schaftler knnen zwar diekomplizierten biochemi-schen Reaktionen einesOrganismus in wandgro-e Karten einzeichnen,doch diese aufwndigenDiagramme sind statisch.Einem Foto hnlich hal-ten sie nur einen kleinen Zeitaus-schnitt fest das ganzheitliche, dy-namische Verhalten einer Zelle odereines zellulren Teilsystems zeigensie nicht.

    Daher mchten die MagdeburgerForscher ein Computerprogramm ausvielen Modulen schaffen, das dieentscheidenden Lebensprozesse dy-namisch nachzubilden vermag. AufKnopfdruck soll ihre virtuelle Zellein einer virtuellen Umwelt losle-ben: So knnen die Wissenschaftleram Bildschirm verfolgen, wie dieZelle auf Nahrungsentzug reagiert,ob sie in Stress gert oder sich wohl

    fhlt und folglich schneller ver-mehrt. In Analogie zur realen La-borsituation sollen diese Experimen-te auf effiziente Weise im Computerlaufen, beschreibt Doktorand JrgStelling das Ziel der Gruppe.

    Damit ein solches Projekt Chancenauf Erfolg hat, arbeiten die System-theoretiker eng mit Biologen zusam-men, denn jedes programmierte Regelnetzwerk muss zu Messungenaus dem Labor passen. Trotz der Da-tenflut gibt es noch viele Wissens-lcken, die beim Modellieren vonbiochemischen Prozessen erst auf-tauchen. Solche Lcken versuchen

    Ein Bakterium als Tamagotchi

    Purpurbakterien frben die Lsung rtlich, die Ruxana Rehner in einen Fermenter fllt.

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    die Magdeburger Biologen danndurch gezielte Laborexperimente zuschlieen. Noch wichtiger ist ihre ak-tive Mitgestaltung am Modell dervirtuellen Zelle. Diese Aufgabe lsstsich nur multidisziplinr mit Bio-logen lsen, die Spezialisten auf denfr das Projekt wichtigen Gebietensind und mit am Tisch sitzen, sagtGilles. Ist es nicht trotzdem vermes-sen, eine lebende Zelle virtuell nach-bilden zu wollen? Diese Frage beant-wortet Gilles mit einem klaren Nein und erste beeindruckende Erfolgebesttigen ihn.

    KLEINE MEISTERWERKEDER EVOLUTION

    Die Magdeburger Max-Planck-Forscher konzentrieren sich unteranderem auf Bakterien prokaryoti-sche Zellen, die keinen echten Zell-kern besitzen und auch sonst vielsimpler aufgebaut sind als die eu-karyotischen Zellen hherer Organis-men. Das ndert nichts an der Le-benstchtigkeit von Bakterien. Diesekleinen Meisterwerke der Evolutionverblffen immer wieder mit ihren

    erstaunlichen Fhigkeiten. Sie exis-tieren selbst in lebensfeindlicherUmgebung, erschlieen dabei viel-fltige Nahrungsquellen und knnensich bei gnstigen Bedingungenenorm schnell vermehren.

    Einer der Hauptdarsteller in Mag-deburg heit Escherichia coli. DieserDarmbewohner zhlt zu den Lieb-lingstieren der Biologie: Man kannes leicht zchten und manipulieren,sagt Katja Bettenbrock ber das Bak-terium. Besonders attraktiv ist auchdie Fhigkeit zur schnellen Vermeh-rung; in nhrstoffreichen Mediendauert sein Zellzyklus also dieZeitspanne zwischen zwei Zellteilun-gen nur 20 Minuten. So lsst sichim Labor sehr rasch beobachten, wieeine gezielte genetische Vernderungdes Bakteriums sein Verhalten beein-flusst. Gerade genetische Fehler er-mglichen den Forschern tiefe Ein-blicke in biologische Regelsysteme.Die Kenntnis der genauen chemi-schen Struktur der beteiligten Mo-lekle erscheint dabei unwichtigerals die der Regelprozesse selbst, sagtBettenbrock.

    Der biologische Steckbrief von E.coli erscheint im Vergleich zu hhe-ren Zellen bersichtlich: Rund 4800Gene besitzt das Bakterium, etwa 50Stoffwechseleinheiten bringen es aufTrab. Je nach Situation und Aufgabe sei es Fressen, Vermehren oderFlucht setzt der Einzeller bis zu100 Regulationsnetzwerke ein. Dientigen Informationen ber seineUmgebung und den Zustand seinesInnenlebens bermitteln etwa 70Sensoren. Diese Sinne bestehenzum Beispiel aus verschiedenen Pro-teinmoleklen in der Hlle des Bak-teriums; einige signalisieren die Ge-genwart energiereicher Nhrstoffe,andere warnen vor zu hohen Tempe-raturen. Bei Bedarf produziert E. colibis zu 4800 verschiedene Enzymeund Proteine, etwa 2500 davon gibtes normalerweise in der Zelle. E. coli ist sozusagen ein evolutionrerKleinwagen: gnstig in Anschaffungund Unterhalt, bersichtlich in Aus-stattung und Technik und dabeiberaus praktisch und fahrtchtig.

    Aus systemtheoretischer Sicht lsstsich die Organisation einer bakteriel-

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    kleinen Lieblinge gezielt rgern.Zum Standardstress zhlt Hungern,sagt Katja Bettenbrock. Schon extre-mer sei Erhitzen: 50 Grad Celsiusberlebt E. coli gerade noch schlielich fhlt sich der Darmbe-wohner bei 37 Grad am wohlsten.Auch Alkohol kann das Bakteriumarg in Bedrngnis bringen.

    Eine besondere Sorte Stress stellengenetische Fehler dar. Sitzen sie inden Bauplnen des Bakteriums, kannes bestimmte Proteine nicht mit derrichtigen chemischen Struktur her-stellen oder gar keine mehr produ-zieren. Wie robust ist Leben gegen-ber solchen genetischen Fehlern? In unserer Welt unterliegen die Genestndig Einflssen, die sie vern-dern: UV-Strahlung (MAXPLANCK-FORSCHUNG 4/2002, Seite 7), natrli-che Radioaktivitt, Gifte und anderemutagene Faktoren. Jrg Stellingund seine Kollegen fanden krzlicham zentralen Stoffwechsel von E.coli erste Hinweise darauf, was le-bende Organismen so robust gegengenetische Fehler macht. Dazu arbei-teten die Magdeburger Wissenschaft-ler mit dem Bioinformatiker StefanSchuster zusammen, der heute ander Universitt Jena forscht.

    Das Team untersuchte, wie sichGendefekte auf die Lebensfhigkeiteines Bakteriums auswirken. Dazubauten Biologen und Systemtheo-retiker am Computer zunchst denzentralen Stoffwechsel des Bakteri-ums nach; er umfasst ein Netzwerkaus 89 verschiedenen Komponentenund 110 biochemischen Reaktionen.Anschlieend zerlegten die Forscherdas komplexe Netzwerk in relativbersichtliche Einheiten, die geradenoch autonom funktionieren, inElementarmoden.

    Nun stellten die WissenschaftlerExperimente an, bei denen sie die ge-netischen Informationen des virtuel-len E. coli systematisch nderten. Dieso manipulierte Genexpression be-kam Lcken in der Produktion vonwichtigen Enzymen was bestimmteBereiche des Stoffwechsels lahm legte. Die Wissenschaftler verfolgtennun, wann solchen Deletionsmutan-ten des Kolibakteriums die Fhigkeitverloren ging, eine bestimmte Stoff-wechselleistung zu vollbringen. IhreAnnahme: Fehlt ein Elementarmo-dus, der dem Bakterium in einer be-stimmten Situation Wachstum er-mglicht, dann berlebt das Bakteri-um diese Situation nicht. Mangelt es

    MIKROBEN

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    len Zelle wie E. coli elegant durchdas Stoffwechsel- und das Regula-tionsnetzwerk beschreiben. Ersteresfungiert als biochemische Fabrik derZelle: Es verarbeitet die aufgenom-mene Nahrung (Substrat) und ver-wandelt sie in organische Molekl-bausteine, welche die Zelle fr un-terschiedliche Lebensfunktionen bishin zur Reproduktion braucht;auerdem gewinnt es lebensnotwen-dige Energie und schafft unverwert-bare oder giftige Abfallprodukte ausdem Bakterium hinaus. Darberthront als zweiter Block das Regula-tionsnetzwerk. Es setzt die geneti-schen Programme fr alle Lebens-funktionen um und steuert das Ver-halten des Bakteriums. Dazu verar-beitet es Reize wie das elementareSignal Hunger! und antwortetauf diese durch eine Verhaltensnde-rung, zum Beispiel Nahrungssuche.In gewisser Weise denkt das Bakte-rium mit dem Regulationsnetzwerk.

    Die beiden Blcke verbindet einevielfache Vernetzung. Das Regula-tionsnetzwerk enthlt das Archiv mitder genetischen Information ber alle Stoffwechselprozesse: Folglichgibt es zu jeder Untereinheit imStoffwechselnetzwerk auch eine Un-tereinheit im Regulationsnetzwerk,die das notwendige Wissen bereit-stellt. Zusammen bilden beide einzellulres Teilsystem mit eigenerSteuerung. Und genau diese Subsys-teme sind der Schlssel zu einer er-folgreichen Computermodellierung,denn regelungstechnisch gesehenfunktionieren sie relativ unabhngig

    vom Rest des Bakteriums. Gelingt esden Forschern, ein solches Teilsys-tem richtig zu identifizieren, knnensie es als Modul programmieren:Fttern sie dieses Modul an seinenEin- und Ausgngen mit den richti-gen virtuellen Signalen und Stoffen,dann verhlt es sich wie in der Naturund zerlegt zum Beispiel virtuellenZucker in kleinere Molekle, die an-dere Subsysteme dann weiter verar-beiten. So wchst die virtuelle ZelleModul fr Modul heran.

    DAS BAKTERIUMALS BIOFABRIK

    In einer Zelle ordnen und steuernalso hoch effiziente Regulationsvor-gnge den scheinbar chaotischenTanz der vielen Milliarden Biomo-lekle. Besonders schn zeigt dasdie Organisation des Stoffwechsel-netzwerks eines Bakteriums: Es lsstsich gut in Subsysteme mit elemen-taren Aufgaben zerlegen. Man kannsich den Stoffwechsel (Metabolis-mus) wie eine biochemische Fabrikvorstellen mit vier Produktions-und zwei Serviceabteilungen. DieProduktionsabteilungen stellen ausden Stoffen, die das Bakterium berdie Nahrung aufnimmt, alle notwen-digen Vor- und Endprodukte her. Eine der beiden Serviceabteilungenbernimmt Transportaufgaben, vorallem bei der Nahrungsaufnahmeund der Entsorgung des anfallendenMoleklmlls aus der Zelle heraus;die zweite versorgt alle anderen Ab-teilungen mit Energietrgern undverschiedenen biochemischen Werk-

    FOKUS

    rung im Nahrungsangebot oder aufandere Reize aus der Umgebung.

    Die zweite Stufe der Pyramide um-fasst die genetisch gesteuerten Re-gelkreise, deren zentrale Aufgabe inder Genexpression liegt im Able-sen der genetischen Programmab-schnitte zur Herstellung von Enzy-men und Regulatorproteinen aus derDNA. Die Regulatorproteine habeneine steuernde Funktion in praktischallen biochemischen Prozessen derZelle. Die Genexpression bentigt einige Minuten.

    Innerhalb der zweiten Ebene gibtes, wie in jedem guten Beamtenstaat,natrlich eine feinere Hierarchie. Dereben geschilderte Ablauf entsprichtder einfachsten Form der Genexpres-sion der Produktion weniger Pro-teine mit hnlicher Funktion; dieBiologen sprechen von Operon.Tatschlich existieren bergeordneteRegulatorproteine, die mehrere Ope-rons steuern. Dieses mittlere Mana-gement heit Regulon. Schlielichdirigieren noch komplexere Regula-tionseinheiten (Modulons) ein gan-zes Orchester aus vielen Operons undRegulons. Diese Spitzenkrfte derzweiten Ebene vermgen die unter-geordneten Genexpressions-Einhei-ten koordiniert in Gang zu setzenoder zu stoppen.

    Der Zellzyklus besetzt die Spitzeder Pyramide Wachstum und Ver-mehrung sind Chefsache. Wie schonerwhnt, schafft E. coli unter gnsti-gen Bedingungen den Zyklus in etwa20 Minuten, dann schnrt es eineneue Tochterzelle ab. Dazu mssenallerdings die Sensorsignale dem Re-gulationsnetzwerk melden, dass dasBakterium sich dauerhaft im Schla-raffenland befindet. Der Stoffwech-selkreislauf luft dann auf Hochtou-ren, und die Assembly-Abteilungmontiert alles, was die Tochterzellefr ihren Start ins Leben braucht.

    Die Magdeburger Forscher interes-sieren sich nicht immer fr dasWohlbefinden von E. coli. Im Gegen-teil: Erst Stress liefert wichtige Infor-mationen ber das Bakterium. DieBiologen verfgen ber ein betrcht-liches Repertoire, mit dem sie ihre

    Die biochemische Fabrik im Bakterium: Das Stoffwechselnetzwerk (Katabolismus) zerlegt die Molekle der Nahrung. Die Monomersynthese produziert daraus Monomer-Grundbausteine aus denen die Polymersynthese die groen Biomolekle wie Proteine, DNA oder RNA aufbaut. Die Assembly-Abteilung montiert Strukturen fr neue Tochterzellen. Von den zwei Serviceabteilungen bernimmt eine Transportauf-gaben (links unten). Die andere (oben) stellt Energie, Redox-Kraft und biochemischeWerkzeuge wie Co-Enzyme zur Verfgung, ferner Alarmone fr den Signalaustausch. GR

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    Ein Bakterium wie Escherichia coli lsst sich durch zwei Regelnetzwerke darstellen. Das Regulationsnetzwerk verarbeitet Reize und antwortet darauf. Das Stoffwechselnetzwerk verarbeitetNahrung, gewinnt Energie und stellt die molekularen Bausteine fr alle Lebensfunktionen her.

    zeugen und stellt auch die Alarmonezur Verfgung, Stoffe fr Steuersig-nale.

    Die erste Produktionsabteilungheit Katabolismus. Sie zerlegt dieNahrungsstoffe in kleinere Molekle,so genannte Precursor. Die Precursorbilden den Grundbaukasten fr alleSubstanzen, welche die Zelle selbstproduziert. Der Katabolismus ge-winnt auch aus der Zersetzung dielebensnotwendige Energie; seinedritte Funktion besteht darin, Re-duktions- und Oxidationskraft (Re-dox) fr die chemischen Reaktionenzu gewinnen.

    Als nchste Abteilung folgt dieMonomersynthese. Sie setzt die Pre-cursor-Molekle zu greren Mo-leklen zusammen die eigentlichenBausteine des Lebens. Dazu gehrenAminosuren, Zucker, Fettsurenoder Nukleotide. Die nun folgendePolymersynthese baut daraus groeBiomolekle, also groe Molekl-ketten aus immer gleichen Mole-klbausteinen (Monomere); zu denproduzierten Biopolymeren zhlenDNA, RNA und Proteine. Die vierteAbteilung schlielich beherbergt dieso genannten Assembly-Reaktionenund stellt die kompletten Teile derneuen Tochterzelle her, die bei dernchsten Teilung des Bakteriumsentstehen soll (MAXPLANCKFORSCHUNG1/2003, Seite 50 f.).

    Fr die Modellierung des Regula-tionsnetzwerks ist eine hierarchischeOrganisationsform besser geeignet:eine dreistufige Pyramide. Dabei ver-dichten sich die Sensorsignale vonunten nach oben immer mehr,whrend die Stellsignale also dieBefehle von oben nach unten de-taillierter werden. Die unterste Stufebildet die metabolische Ebene undsteuert die Aktivitten der Enzyme.Diese Biokatalysatoren ermglichenviele wichtige Reaktionen berhaupterst oder beschleunigen sie zumin-dest stark. Die Prozesse dieser Stufezeichnen sich durch Schnelligkeitaus: Weil sie innerhalb von Millise-kunden (tausendstel Sekunden) ab-laufen, reagiert das Bakterium fastohne Verzgerung auf eine nde-

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    Grammel und seine Kollegen inte-ressieren sich dafr, welche bioche-mischen Signale das Bakterium dazubringen, je nach Umweltbedingun-gen seine Photosynthese-Membranauszubilden oder nicht. Mit einemTrick produzieren sie inzwischen ein interessantes Phnomen: Durch ein spezielles Kultivierungsverfahrenbringen wir R. rubrum dazu, in her-kmmlichen Bioreaktoren im Dun-keln maximale Mengen an photo-synthetischen Membranen zu ent-wickeln, sagt Grammel. Der Witzdabei: Ohne Licht haben die Mem-branen keinerlei biologische Funk-tion. Die Forscher haben den gene-tischen Schalter fr die Membran-herstellung also schon gefunden undknnen ihn auch umlegen. Nunmssen sie noch herausfinden, wieer genau funktioniert.

    Wie sieht sie denn nun aus, dievirtuelle Zelle? Endlich erscheint sieauf dem Computerbildschirm derDoktorandin Sophia Fischer. Die graphische Oberflche der Zelle isterwartungsgem recht abstrakt ge-staltet: Sie besteht aus drei Kstenmit fdigen Querverbindungen. DieIngenieurin zeigt, dass diese Drei-teilung recht anschaulich ist. Der linke Kasten stellt die Flssigphasedar, simuliert also die Umgebung derBakterien im Labor sei es ein Bio-reaktor oder ein Schttelkolben.

    MIKROBEN

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    FOKUS

    Die Pyramide des Regulationsnetzwerks: Die molekularen Prozesse der untersten Stufe brauchen nur Millisekunden (tausendstel Sekunden), die der genetischen Ebene dagegen schon Minuten. Ein kompletter Zellzyklus von E. coli bentigt mindestens 20 Minuten.

    der Mutante beispielsweise an einemEnzym, das sie zur Verdauung einerbestimmten Zuckersorte braucht, undenthlt die Umwelt nur diesenZucker, muss sie verhungern.

    Das komplizierte Stoffwechselmo-dell lsst sich grob in zwei wesent-liche Bereiche einteilen. Sie repr-sentieren zwei Stoffwechselsysteme,zwischen denen der Tausendsassa E. coli umschalten kann. Beide oxi-dieren, also zerlegen den aufgenom-menen Traubenzucker (Glukose) che-misch und gewinnen dabei Energie.Am meisten Energie produziert derCitratzyklus, der allerdings Sauer-stoff bentigt und tatschlich kannE. coli an Luft atmen. In seinernatrlichen Umgebung im Darm gibtes allerdings kaum Sauerstoff. Dortschaltet das Kolibakterium auf einenGrprozess um: Es fhrt den Citrat-zyklus herunter und startet die sogenannte Glykolyse. Mit diesemzweiten System baut E. coli die Glu-kose ebenfalls ab. Der Preis ist eingeringerer Energiegewinn was demBakterium nicht schadet: So kann esauch an Orten sehr gut berleben,wo die aggressive Konkurrenz derreinen Luftatmer ausfllt.

    Mit ihrem Modell haben die Max-Planck-Forscher tatschlich nachge-wiesen, dass E. coli auf genetischeFehler sehr robust reagiert. DerGrund liegt in der Komplexitt seinesStoffwechselsystems: Fllt einer dervielen eng vernetzten Pfade aus, fin-det das Bakterium fast immer einen

    alternativen biochemischen Weg, umdie Nahrung effektiv zu verwerten.Die Wissenschaftler beobachteten anihrem Modell auch, dass das Bakte-rium seinen Stoffwechsel mit einergeschickten Regulation der Genex-pression nicht nur an die momenta-nen Bedingungen optimal anpassenkann: Sogar auf kommende Strun-gen zeigt es sich gut vorbereitet.

    VON KNOTENUND HYPERGRAPHEN

    Dieses interessante Ergebnis knn-te direkte Konsequenzen fr unserBild von der Evolution haben. Offen-bar rstet gerade die Komplexittseiner Regulationsnetzwerke einenlebenden Organismus gegen pltz-liche Strungen: Weist dieser Befundauf ein grundlegendes Konstruk-tionsprinzip des Lebens hin? Tat-schlich herrscht unter den Biologenkeinesfalls Einigkeit darber, wel-ches zentrale Lebensziel schon eineinfaches Bakterium hat. Ist eswichtiger, als einzelne Zelle zu ber-leben oder sich zu vermehren?,fragt Katja Bettenbrock. Jrg Stellingmeint, dass die Systemtheorie hierwichtige Hinweise geben knne: Ro-bustheit sei durchaus eine zentraleAnforderung der Evolution an biolo-gische Systeme, aus der ihre Kom-plexitt unmittelbar folge.

    Elementarmoden scheinen alsoganz fundamentale Struktureigen-schaften von Stoffwechselnetzen dar-zustellen, fr die sich nun verstrkt

    Kryptische Krzel reprsentierenphysikalische Gren und chemischeSubstanzen, die Einfluss auf das virtuelle E. coli haben knnen:t_glce zum Beispiel symbolisiertdie Konzentration von Glukose imumgebenden Medium und ihre Aufnahmerate durch die Zelle de-ren Traubenzucker-Fressrate sozu-sagen.

    Das virtuelle Bakterium selbststeckt in dem rechten Kasten, dendas Bild eines dekorativ rot gefrb-ten E.-coli-Bakteriums schmckt. Beieinem virtuellen Experiment aktivie-ren und verndern die Forscher nundie physikalischen Gren und che-mischen Stoffe nach Bedarf undlassen sie so auf die Zelle einwirken.Das symbolisieren die Verbindungs-pfade zum mittleren Kasten bio-

    mass (Biomasse). Die Forscher kn-nen die Regulationsnetzwerke auchim Detail ansehen und dabei derendynamisches Verhalten beobachten.Fischer demonstriert das an einemBeispiel, bei dem das virtuelle E. coliLaktose (Milchzucker) aufnimmt undweiter verarbeitet.

    Auffallend ist die Leichtigkeit, mitder die Ingenieurin durch das viel-fltig vernetzte Programm des virtu-ellen Kolibakteriums navigiert. AuchBiologen finden sich erfahrungs-gem nach kurzer Zeit zurecht,weil das Programm alle elementarenbiologischen Vorgnge abbildet. Dasist aus Sicht von Ernst Dieter Gillesbesonders wichtig: Sein Ziel ist eineSystembiologie, die Biologie, Sys-temtheorie und Computerwissen-schaften vereint. Das virtuelle Laboraus Magdeburg soll zu einem Werk-zeug werden, mit dem Mikrobiolo-gen intuitiv und ohne Hilfestellungvon Computerwissenschaftlern ar-beiten.

    Ob virtuelle Zellen das Verstndnisbiologischer Systeme eines Tagesvertiefen, vermag heute niemand zusagen. Die Resultate der Magdebur-ger Forscher lassen hoffen wasauch eine wachsende Zahl von Ko-operationen mit renommierten Insti-tuten im In- und Ausland, darunterdas Massachusetts Institute of Tech-nology (MIT) im amerikanischenCambridge, besttigt. Vielleicht trgtdie Systembiologie entscheidend da-zu bei, dass die Forscher eines Tagesden Wald trotz aller Bume erken-nen. ROLAND WENGENMAYR

    die Biologen interessieren. Allerdingserscheint es fr den Austausch mitden Systemtheoretikern wichtig, dassbeide Disziplinen eine gemeinsameSprache sprechen. Das macht schonein Satz von Steffen Klamt deutlich:Stoffwechselnetzwerke sind Hyper-graphen. Ob ein Molekularbiologebereit ist, dem Systemtheoretiker soweit in die abstrakte Welt der Gra-phentheorie zu folgen?

    Klamt erlutert das Gesagte an-hand eines Vergleichs: Ein Graph be-sitzt Knoten und Kanten bei einemStraennetz wren das die Ortschaf-ten und die Straen, welche die Ortemiteinander verbinden. Zum Hyper-graphen wrde dieses Netz allerdingserst durch zustzliche Regeln wer-den. Zum Beispiel knnte man diefolgende einfhren: An zwei Orten A und B soll je ein Auto losfahren,whrend ihrer Reise sollen aus die-sen beiden Fahrzeugen drei Autoswerden, die an den Orten C, D, und Eankommen. Bei einem Verkehrsnetzwre diese Regel natrlich absurd.Sie gewinnt jedoch an Sinn, sobaldsie auf chemische Reaktionen ange-wendet wird wie auf jene in einerZelle. Sie wrde dann einfach denFall beschreiben, bei dem zwei Ein-gangssubstanzen zu drei Endproduk-ten reagieren. Und genau so lassensich die vielen Pfeile und Knoten derMagdeburger Computerprogrammeverstehen.

    Klamts Teampartner, der BiologeHartmut Grammel, forscht im Laboran einem Einzeller mit erstaunlichenEigenschaften: Das Swasserbakte-rium Rhodospirillum rubrum kannPhotosynthese betreiben muss abernicht. Es ist ein Allesknner, sagtGrammel, im Dunkeln wchst R. rubrum fast wie E. coli durch Sauer-stoffatmung oder Grungsstoffwech-sel. Wird der Sauerstoff knapp, stel-len die Zellen ihren Stoffwechsel aufPhotosynthese um vorausgesetzt,es ist hell. Dann gewinnen sie wie eine Pflanze Energie aus Licht. Frden Lichtfang bilden sie in ihremInneren intensiv rot gefrbte Mem-branstrukturen aus daher ihr NamePurpurbakterien.

    Virtuelles Modell: liquid phase (links) stellt die flssige Umwelt einer Zelle von E. coli in einem virtuellen Laborgef dar. Die Krzel bezeichnen physika-lische Gren wie Volumen und Volumenstrme (t_vol) und chemische Substan-zen in der Lsung. Der rechte Teil der Abbildung zeigt das Bakterium selbst.SC

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