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Z Rheumatol 2007 · 66:533–535
DOI 10.1007/s00393-007-0186-0
Online publiziert: 5. Juli 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
B. Manger
Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Erlangen
Nephrogene systemische FibroseMedizinische Detektivarbeit im 21. Jahrhundert
Standpunkte
Am Tatort
Im Jahr 1997 trat erstmals ein bis da-
hin unbekanntes Krankheitsbild bei
einem niereninsuffizienten Patienten un-
ter Dialysetherapie auf. Cowper et al. [7]
beobachteten bis 2000 15 Patienten, die
eine ausgeprägte subkutane Fibrose vor-
wiegend an den Extremitäten (mittle-
rer Oberarm bis Handgelenk und mittle-
rer Oberschenkel bis Sprunggelenk), sel-
tener auch am Stamm entwickelten. Kli-
nisch imponierte dies als irreguläre Ver-
härtungen und subkutane Knotenbil-
dungen mit rötlich-bräunlicher Verfär-
bung und Einziehungen der Haut. Die
histologischen Veränderungen zeigten ei-
ne Vermehrung von spindelförmigen Fi-
broblasten-artigen Zellen in der Dermis,
verdickte und gewundene Kollagenbün-
del und Muzinablagerungen. Am ehes-
ten war das histologische Bild vergleich-
bar dem eines Skleromyx ödems, jedoch
fand sich kein IgG-Paraprotein, das sonst
bei diesem Krankheitsbild vorliegt.
Gerangel um Zuständigkeiten
Nachdem differenzialdiagnostisch eine
progressive systemische Sklerose, Mor-
phaea, eosinophile Fasziitis, Eosinophilie-
Myalgie-Syndrom, „Toxic-oil-Syndrom“,
Amyloidose, Pannikulitis, Kalziphyla-
xie und andere dermatologische Erkran-
kungen ausgeschlossen werden konnten,
wurde die Beobachtung im Jahr 2000 als
neue Krankheitsentität eingestuft und als
nephrogene fibrosierende Dermopathie be-
zeichnet [8]. Ein Internet-basiertes Regis-
ter für diese seltene Beobachtung wurde
eingerichtet (http://www.icnfdr.org) und
bis Ende 2006 über 200 Fälle zusammen-
getragen.
Aus diesem Datenpool wurde schnell
klar, dass es sich um eine prognostisch un-
günstige Erkrankung mit hoher Mortalität
handelt, was auf einer häufigen viszeralen
Beteiligung beruht. So betrifft der Fibro-
seprozess nicht nur die Haut, sondern
auch Faszien, Muskulatur (Diaphragma
und Psoas), Herz und Lunge. Aus diesem
Grund schlugen Jiménez et al. [14] die Be-
zeichnung Dialyse-assoziierte systemische
Fibrose vor.
In der Zwischenzeit waren jedoch
schon Fälle beobachtet worden, bei de-
nen die Patienten zwar eine deutliche
Einschränkung der Nierenfunktion auf-
wiesen, jedoch noch nie dialysiert wor-
den waren, sodass sich 2005 letztendlich
als Fachterminus die nephrogene syste-
mische Fibrose (NSF) durchgesetzt hat [6,
10]. Doch auch dies ist möglicherweise
nur ein Zwischenstadium, denn die ent-
scheidenden pathogenetischen Erkennt-
nisse standen zu diesem Zeitpunkt ja aus
und konnten noch keinen Eingang in die
Nomenklatur finden.
Falsche Verdächtige
Die Tatsache, dass das Krankheitsbild vor
1997 auch an großen nephrologischen
Zentren noch nicht beobachtet worden
war, wies darauf hin, dass ein relativ neues
exogenes Agens hierfür verantwortlich zu
Gd-Kontrastmittelgabe von Juni 2005 -Juni 2006
n = 4236
GFR < 60ml/min/1,73m2 nein
stationäre Patienten
proinflammatorisches
Ereignis
Inzidenz
einer NSF
0 von 3843
nein0 von 139
nein0 von 123
6 von 131
ja
ja
jaAbb. 1 7 Einjahres-inzidenz für eine NSF
nach Gadolinium-Kon-trastmittelapplikation (GFR glomeruläre Fil-
trationsrate, errechnet nach der MDRD-For-
mel). (Mod. nach [24])
533Zeitschrift für Rheumatologie 5 · 2007 |
machen ist. Angeschuldigt wurden Dialy-
seflüssigkeit [17], Erythropoietin [25] und
ACE-Hemmer [9]. Auch Calcineurin-In-
hibitoren (Ciclosporin, Tacrolimus) wur-
den aufgrund ihrer Fähigkeit, das fibrose-
fördernde Zytokin TGF-β („transforming
growth factor β“) zu induzieren, verdäch-
tigt. Letztendlich fand sich jedoch keine
durchgängige Assoziation der Erkran-
kung mit irgendeiner Form der Thera-
pie [21]. In einer kleinen Serie von 4 Fäl-
len wurde eine Assoziation mit antinukle-
ären Antikörpern und Phospholipidanti-
körpern diskutiert [18], und auch bei 2 Pa-
tienten mit Lupusnephritis bzw. glomeru-
lären Mikrothrombosen bei Antiphos-
pholipidsyndrom wurde eine NSF be-
schrieben [23].
In der Tat war nicht selten ein zeit-
licher Zusammenhang der Erstmanifes-
tation der Hauterscheinungen mit vas-
kulären thromboembolischen Ereignis-
sen, entzündlichen Systemerkrankungen
oder chirurgischen Eingriffen mit Gefäß-
rekonstruktion und Organtransplantati-
onen erkennbar [5, 19].
Der entscheidende Hinweis
Im Januar 2006 gelang der entscheidende
Durchbruch für die Entschlüsselung
dieses Krankheitsprozesses. In einer klei-
nen Fallserie aus dem Krankenhaus Wie-
ner Neustadt berichtete Grobner [11] über
9 Dialysepatienten bei denen eine Ma-
gnetresonanzangiographie mit dem Kon-
trastmittel Gadolinium-DTPA durchge-
führt worden war, von denen 5 innerhalb
von 2–4 Wochen die NSF-typischen Haut-
veränderungen entwickelten. Der einzige
Unterschied zu den 4 nicht Erkrankten
war, dass die Dialysedauer bei den Be-
troffenen im Mittel länger war und nur bei
diesen eine metabolische Azidose nachzu-
weisen war [11].
Überführung des Täters
Nach dieser Schlüsselbeobachtung häuf-
ten sich im letzten Jahr Publikationen, die
diese Argumentationskette unterstützen.
So wurde diese enge zeitliche Assoziation
in der Folge auch in retrospektiven Unter-
suchungen aus Dänemark und den USA
bestätigt [2, 3, 15, 20]. Außerdem konnte
in Hautbiopsien aus betroffenen Arealen
die Ablagerung von Gadolinium nicht nur
nachgewiesen sondern sogar quantifiziert
werden [1, 12, 13].
> Bei nahezu allen Patienten ist eine Gadolinium-Exposition in den vorausgehenden 2–3 Monaten eindeutig nachweisbar
Das als paramagnetisches Magnetreso-
nanzkontrastmittel eingesetzte Gadolini-
um ist in freier Form ein hoch toxisches
Schwermetallion und liegt daher in allen
für die Diagnostik zugelassenen Präpara-
ten in Form eines Chelats vor. Bei der re-
trospektiven Analyse der im NSF-Regis-
ter der Yale-Universität erfassten 215 Pa-
tienten ist eine Gadolinium-Exposition
2–3 Monate vor Auftreten der Symptome
bei nahezu allen Patienten eindeutig nach-
weisbar [16]. Bei allen europäischen und
bei der überwältigenden Mehrzahl (etwa
90%) der amerikanischen NSF-Patienten
war eine Verabreichung von Gadodiamid
(Omniscan®) erfolgt, obwohl Gadodiamid
weltweit bei nur etwa 15% aller Gadolini-
um-Injektionen eingesetzt wird [26].
Gadodiamid ist im Gegensatz zu al-
len anderen in Deutschland zugelassenen
Präparaten ein nichtionisches, lineares
Chelat, das eine niedrigere thermodyna-
mische Stabilitätskonstante aufweist als
die anderen verfügbaren ionischen oder
zyklischen Chelate [22]. Somit ist plausi-
bel, dass insbesondere bei zusätzlich vor-
liegender Azidose eine vermehrte Freiset-
zung von Gd3+-Ionen stattfinden kann,
die dann aufgrund der eingeschränkten
glomerulären Filtration in der Dermis
oder anderen Organen den Fibrosepro-
zess induzieren.
Einschätzung des Risikos
Erstmals lässt sich nun in retrospektiven
Analysen großer Patientenkohorten das
tatsächliche Risiko für die Entwicklung
einer NSF abschätzen. Die Inzidenz und
unabhängige Risikofaktoren wurden an
einem Zentrum ermittelt, an dem über
4000 Patienten innerhalb eines Jahres
Gadolinium-Kontrastmittel erhalten hat-
ten. Es wurden in diesem Zeitraum 6 Fäl-
le von NSF registriert. Diese traten nur bei
stationären Patienten mit einer errechne-
Zusammenfassung · Abstract
Z Rheumatol 2007 · 66:533–535
DOI 10.1007/s00393-007-0186-0
© Springer Medizin Verlag 2007
B. Manger
Nephrogene systemische Fibrose. Medizinische Detektivarbeit im 21. Jahrhundert
Zusammenfassung
Die nephrogene systemische Fibrose ist ein
erstmals im Jahr 2000 beschriebenes neues
Krankheitsbild bei niereninsuffizienten Pati-
enten, das durch eine Fibrosierung von Der-
mis und viszeralen Organen charakterisiert
ist. Vor kurzem konnte die Ätiologie dieser
Erkrankung entschlüsselt werden. Der Ein-
satz Gadolinium-haltiger Kontrastmittel bei
der Magnetresonanztomographie kann bei
eingeschränkter Nierenfunktion zu einer Ab-
lagerung des Gadoliniums im Gewebe und
zur Auslösung eines Fibroseprozesses führen.
Zahlreiche Publikationen der letzten Monate
unterstützen diese Hypothese und haben zu
aktuellen Empfehlungen der Gesundheits-
behörden für einen restriktiven Gebrauch
von Gadolinium bei niereninsuffizienten Pati-
enten geführt.
Schlüsselwörter
Nephrogene systemische Fibrose · Dialyse ·
Niereninsuffizienz · Gadolinium
Nephrogenic systemic fibrosis. Medical detective work in the 21st century
Abstract
Nephrogenic systemic fibrosis is a new dis-
ease entity which was first described in 2000.
It is characterized by dermal and visceral fi-
brosis in patients with impaired renal func-
tion. Recently, the etiology of this disease
has been unveiled. The application of gad-
olinium-containing contrast media in pa-
tients with decreased renal function can lead
to gadolinium deposition in various tissues
which induces the fibrotic process. Numerous
publications within the last few months have
supported this hypothesis and have led to
recommendations by the health authorities
to carefully weigh the benefits and risks of us-
ing gadolinium in patients with impaired re-
nal function.
Keywords
Nephrogenic systemic fibrosis · Dialysis ·
Renal disease · Gadolinium
534 | Zeitschrift für Rheumatologie 5 · 2007
ten glomerulären Filtrationsrate <60 ml/
min/1,73 m2 auf, die zusätzlich ein „pro-
inflammatorisches Ereignis“ (throm-
boembolische Komplikationen, chirur-
gische Eingriffe mit Gefäßrekonstrukti-
onen oder systemische Infektionen) auf-
wiesen (. Abb. 1). Dieser Risikogruppe
gehörten insgesamt 131 Patienten an, so-
dass für diese von einer Inzidenz von 4,6%
auszugehen ist [24].
Vorbeugende Maßnahmen
Eine aktuelle Stellungnahme der ameri-
kanischen „Food and Drug Administrati-
on“ (FDA) empfiehlt, bei mäßiger und ter-
minaler Niereninsuffizienz (<60 ml/min/
1,73 m2) den Einsatz Gadolinium-haltiger
Kontrastmittel sorgfältig abzuwägen und,
wenn irgendwie möglich, eine alternati-
ve Methode der Bildgebung zu wählen.
Ist die Verwendung von Gadolinium un-
ausweichlich, sollte die niedrigste mög-
liche Dosis gewählt werden und so bald
wie möglich anschließend eine Hämo-
dialyse durchgeführt werden (http://www.
fda.gov/cder/drug/InfoSheets/HCP/gcca_
200612HCP.htm, [4]).
Die deutsche Ärzteschaft wurde am
7. Februar 2007 durch einen Rote-Hand-
Brief der Firma GE Healthcare Buchler,
dem Hersteller von Gadodiamid (Om-
niscan®), informiert, dass dieses Produkt
bei schweren Nierenfunktionsstörungen
(<30 ml/min/1,73 m2) und bei erfolgter
bzw. geplanter Lebertransplantation kon-
traindiziert ist.
KorrespondenzadresseProf. Dr. B. MangerMedizinische Klinik III, Universitätsklinikum ErlangenKrankenhausstraße 12, 91054 [email protected]
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor
gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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