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II. Teil: Sitzungsbericht A. Erl~iuterungen zum Referat Neurologische Diagnostik bei endokraniellen Komplikationen yon oto-rhinologischen Erkrankungen 1. K. J. Zi~LCH-KSln: Neurologische Diagnostik bei endokraniellen Komplikationen yon oto-rhinologischen Erkrankungen Berichtet man fiber die Mitarbeit des •eurologen bei der Bestim- mung der intrakraniellen Komplikationen oto-rhinologischer Erkrankun- gen, so muI~ man die Grenzen neurologischer Diagnostik fiberhaupt bestimmen, da hier am ehesten MiBverst~ndnisse zwischen den beiden Fachrichtungen entstehen kSnnen. Dies um so mehr, als in Darstellungen fiber neuropsychiatrische Diagnostik moderne ,,Hirnkarten" beim ober- fl~chlichen Ansehen Hoffnungen erwecken kSnnten, die nieht realisierbar sind. Die Funktionsschemata des Hirns -- so sieht es wenigstens beim ersten Anschein aus -- mfil~ten bei exakter Untersuchung doch mSglich maehen, jeden krankhaften Prozel~ -- an der Hirnoberfis oder in der Tiefe -- mit Exaktheit und geradezu punktfSrmig zu lokalisieren. Die moderne Lokalisations]ehre beginnt eigentlich erst mit unserem Landsmann GALL, dessen ,Phrenologie" -- die Lokalis~tion bestimmter Charakterzfige und Kategorien der Temperamente in bestimmten Hirn- teilen -- zwar noeh yon ganz mystischen und versehwommenen Ge- danken gezeichnet war, doch hatte er fiber die Pyramidcnbahn schon ganz konkrete Vorstellungen. Unsere systematische Darstellung h~tte mit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu beginnen, wo die motorische Zentralwindung durch Reiz und Abtragung zum erstenmal exak~ untersucht und be- stimmt wurde. Dieser experimentell-physiologischen Analyse yon Itirn- teilen folgen die Erfahrungen der ersten ttirnchirurgen, in Deutschland besonders yon FE])o~ I~vs~ und 0r162 Fo~s~ his hin zu den exakten Untersuchungen yon CLr~TON WOOLSF,~- in USA fiber die Auf- gliederung des Hirns beim Affen oder bis zu den recht exakten Experi- menten zur Lokalisation auch veget~tiver Funktionen im Zwischenhirn, die dem Zfiricher Physiologen tt~ss den Nobelpreis eingebracht haben. Arch. Ohr.-, Nas,-, u. Kehtk.-HeUk., Bd. 183 (Kongre~bericht 1964) 6

Neurologische Diagnostik bei endokraniellen Komplikationen von oto-rhinologischen Erkrankungen

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II. Teil: Sitzungsbericht

A. Erl~iuterungen zum Referat Neurologische Diagnostik

bei endokraniellen Komplikationen yon oto-rhinologischen Erkrankungen

1. K. J. Zi~LCH-KSln: Neurologische Diagnostik bei endokraniellen Komplikationen yon oto-rhinologischen Erkrankungen

Berichtet man fiber die Mitarbeit des •eurologen bei der Bestim- mung der intrakraniellen Komplikationen oto-rhinologischer Erkrankun- gen, so muI~ man die Grenzen neurologischer Diagnostik fiberhaupt bestimmen, da hier am ehesten MiBverst~ndnisse zwischen den beiden Fachrichtungen entstehen kSnnen. Dies um so mehr, als in Darstellungen fiber neuropsychiatrische Diagnostik moderne , ,Hirnkarten" beim ober- fl~chlichen Ansehen Hoffnungen erwecken kSnnten, die nieht realisierbar sind.

Die Funktionsschemata des Hirns - - so sieht es wenigstens beim ersten Anschein aus - - mfil~ten bei exakter Untersuchung doch mSglich maehen, jeden krankhaf ten Prozel~ - - an der Hirnoberfis oder in der Tiefe - - mit Exakthei t und geradezu punktfSrmig zu lokalisieren.

Die moderne Lokalisations]ehre beginnt eigentlich erst mi t unserem Landsmann GALL, dessen ,Phrenologie" - - die Lokalis~tion best immter Charakterzfige und Kategorien der Temperamente in best immten Hirn- teilen - - zwar noeh yon ganz mystischen und versehwommenen Ge- danken gezeichnet war, doch hat te er fiber die Pyramidcnbahn schon ganz konkrete Vorstellungen.

Unsere systematische Darstellung h~tte mi t den 80er Jahren des vorigen Jahrhunder ts zu beginnen, wo die motorische Zentralwindung durch Reiz und Abtragung zum erstenmal exak~ untersucht und be- s t immt wurde. Dieser experimentell-physiologischen Analyse yon Itirn- teilen folgen die Erfahrungen der ersten ttirnchirurgen, in Deutschland besonders yon FE])o~ I ~ v s ~ und 0r162 F o ~ s ~ his hin zu den exakten Untersuchungen yon CLr~TON WOOLSF,~- in USA fiber die Auf- gliederung des Hirns beim Affen oder bis zu den recht exakten Experi- menten zur Lokalisation auch veget~tiver Funktionen im Zwischenhirn, die dem Zfiricher Physiologen t t~ss den Nobelpreis eingebracht haben.

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80 K.J . ZiiLe~:

In diesen Tagen setzt sich die mfihselige 1Kosaikarbeit der Aufkl~rung fort in den Untersuchungen, die l~eurochirurgen und Neurologen bei stereotaktischen Operationen durchffihren, um den Sitz einer Elektrode ffir die spiitere Koagulation yon I-Iirngewebe genauestens zu bestimmen. Hier gibt die Antwort auf den Reiz beim wachen Menschen -- z .B. exakt lokalisierte Paraesthesien -- weitere Beitri~ge zu dem ausgedehnten Funktionsmosaik des grofen Organs ,,Zentrales Nervensystem".

Eine andere Enswicklungslinie entsprang aus den Beobachtungen der Klinik. Die Anf~nge waren auch hier noeh stark phflosophisch be- stimmt, wie etwa die Vorste]lung des genia]en englischen l~eurologen J. H. JAeKsos fiber den hierarchischen Schichtenbau der Funktionen im Z1WS, wobei er den Ansatz aus dem philosophischen System seines Freundes I-IERBV.~T Se~CE~ entlehnt hatte. Fie] die oberste Funktions- schicht aus, dann sollte die nachstniedere mit ihren Funktionen die Lficke sozusagen ffillen und nun in ihrer Wertigkeit erkennbar machen.

In der Folge wurden die Beobachtungen der Kliniker sch~rfer und exakter, etwa die Befunde ]3ROCAS fiber die Steuerungszentren der Sprache, die sparer yon WEaSICXE weiter fortgeffihrt wurden und ihre Gfiltigkeit noch heute behalten haben.

Aber auch diese Arbeitsrichtung fand ihren Gipfel und die I~She, wo sie sich fiberschlug und eine Kritik in breiter Front hervorrufen muf te . Dies muff festgestellt werden yon dem im Ansatz grofartigen Versueh KArL KL~ISTS, seine Beobachtungen fiber die Zuordnung psy- chischer und kSrperlicher Symptome zu herdfSrmigen Seh~den des Itirns bei vascularen, blastomatSsen oder traumatischen L~sionen des Hirns durchzuffihren.

Aus der Kritik sei zitiert, daI3 man die Methodik nicht zureiehend land und daf die Bestimmung eines anatomischen tterdes nieht exakt gewesen sei, denn das R5ntgenbild des Seh/idels reiche nicht aus, um die tatsi~chliehe SehKdigung der darunterliegenden Hirnsubstanz zu be- stimmen. Der Sitz eines Tumors -- wie makroskopisch bestimmt -- bei der Operation entspreche nieht den tatsachlichen Einwirkungen auf die Hirnsubstanz. Zndem k5nnten dureh Massenversehiebungen Fern- symptome hervorgerufen werden (deren Bedeutung in der Otologie H o ~ I ~ I C H dargestellt hat). Die anatomische Untersuehung der Hirne, soweit durchgeffihrt, zeige nicht die notwendige Exaktheit .

Noch viel schi~rfer kritisiert wurde aber wohl der erkenntnistheore- tisehe Ansatz seiner Lokalisationslehre. Wenn auch bei dieser Gelegen- heir weder GOLDS~EIN noch v. W~IZS;4CKE~ als Kritiker auftraten, so standen ihre sehon seit langem gebrauchten Einwgnde mahnend im Hintergrund. Was wurde denn nun eigentlich lokalisiert? Normale ]~unk- tion oder krankhaftes Symptom ? Erregungs- oder Liihmungsbild? Krank-

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heitscinheit oder geistige Werkzeugleistung~. J~rgerlich h a t t e v . WEIz- si~cK]~ yon einer intellektuellen Barbarei gesprochen und man brauchte nicht erst bei dieser Gelegenheit auf den Satz yon JAci~so~ hinweisen: ,,To locate the damage which destroys speech and to ]ocalise speech are two different things." Den StSrungsherd des Sprechens zu lokali- sieren ist etwa anderes als ein Sprachzentrum zu lokalisieren. Es ffihrte zu welt, wollte ich bier Einzelheiten bringen. Aber die Kri t ik an diesem fiberspitzten Versuch KL~ISTS hat in Europa oder zum mindesten in Deutschland auf Jahrzehnte alle weiteren Arbeiten an der Lokalisations- lehre einfrieren lasscn.

Erst fiber die Verhaltensforschung sind neue Versuche mit ver- besserter Methodik und korrektem Ansatz zu beobachten. Diese Ans~tze gclten der Aufkls des limbischen Systems yon Tier und Mensch, das das Fachgebiet der Oto-Rhinologie wegen der Art der Symptome der betroffenen l~egionen besonders interessieren wird. Lange haben die ,,Uncinatusanf~lle" mit ihrer eigcnartigen Mischung von kSrperlichen Symptomen - - Geruchshalluzinationen, Schmeck- und Schmatz- bewegungen und weiteren T~tigkeiten des Oralsinnes - - mit best immten seelischen, racist halluzinatorischen Erlebnissen das Interesse der Kli- niker auf diese l~egionen gerichtet. Ein bei doppelseitiger Temporal- lappenspitzen-Exstirpation bei Affen auftretendes und sps auch beim Menschen wiedergesehenes Syndrom (Klfiver-Bucy-Syndrom) wies dar- anf hin, dal3 darfiber hinaus Geds best immte gesell- schaftliche Verhaltensweisen, abet auch animale Triebe wie El~lust und sexuelles Verhalten eng mit Steuerungen dieses ]imbischen Systems gekoppelt waren. Mir scheint dieser Ansatz zu zeigen, dal] hier exakte Methodik unter Einhaltung der Grundregeln wissenschaftlieher Er- kenntnistheorie eine grol~e Bereicherung neuropsychiatrischer Erkennt- nisse fiber die yore Organ ausgehenden Steuerungen bringen kann und ~drd (PLooG). Das wirkt sich nicht nur im wissenschaftlichen Bereich ans, sondern kann auch fiir die Therapie Konsequenzen haben.

Sic werden ans diescr freimfitigen Kri t ik an den MSglichkeiten zur neurologischen Lokalisation crkannt haben, welche Grenzen unserem Fache in maneher Richtung gesetzt sind. Denn man weiI~ nicht - - und man kann nicht vorraussagen - - ob ein gewisses Symptom bei StSrung einer best immten Region mit Sicherheit auftreten wird oder nicht. Aus- nahmen yon dieser Regel gelten eigentlich nur ffir die Prims der Motorik und Sensibflit~t, der Sehbahn sowie des Skelets der Him- nerven und ihren Kerncn der Medulla oblongata. Das gilt noch mit Einschr~nkung ffir das Zwischenhirn, Mitre]him und andere Integrations- orte grol]er Bahnensysteme, wo wit immerhin noch ausreichend um- schriebene St5rungssyndrome kennen. In alien anderen Gebieten sind die Syndrome oft noch reichlich verschwommen.

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DaB griindliche neurologisch-k6rperliche Untersuchung verbunden mit - - und gefolgt yon -- der Anwendung der lgilfsmethoden wie der Elektrencephalographie, der Kontrastmittel-Neurologie, Serienangio- graphie, Pneumographie, der Echoencephalographie, der Gammaenee- phalographie mit l%adioisotopen, besonders radioaktiven Albuminen heute in oft miihevoller Mosaikarbeit doeh zu recht erfreuliehen diagno- stisehen Ergebnissen ffihren, m6chte ieh zum SehluB betonen. Meine kritische Einffihrung solite nieht eine Xritik an diesem doch reeh~ exakt arbeitenden I-Iandwerkszeug des Neurologen darstellen, sondern sollte nur Grenzen und Reichwei~e der neurologisehen Lokalisation abgrenzen.

Beim zweiten Thema meines Referates, bei den arteriellen und venSsen Durchblutungsst6rungen des ~irns, stehen wit vor einer rasehen Entwieklung unserer Kenntnisse fiber die Pathogenese und Diagnostik und sehen erfreu]iehe Folgen ffir eine rationelle Therapie. Die Serien- angiographie hat uns bier ebenso interessante Aufklgrung fiber den zeit- lichen and 5rtlichen DurchfluB des Blares durchs I~irn gebracht und damit manehe Durehblutungsst6rnng des Itirngewebes aufgekl&rt. DaB am Him noeh wesentliehe Fragen ungekl~rt sind, beweist etwa der Widerspruch der Arbeiten yon WInHEL~ L6g~ und anderen Neuro- chirurgen and der interessanten Untersuchungen yon DE~ECXE fiber die Str6mungen naeh Unterbindung der Carotis communis. Dieses Problem is~ fiir die Frage der zweizeitigen Carotisligatur yon groBer Bedeutung.

Ich mSehte besonderen Wert legen auf die Bedeutung ausreichender h~modynamiseher Bedingungen ira Angenbliek einer Ligatur einer Arterie bzw. der Diagnose einer arteriellen Thrombose. Das Ein- springen der Kol]ateralen, we neben dem Circulus arteriosus Wfllisi heute besonders die ,,meningealen Anastomosen" yon Bedeutung er- seheinen, bedarf eines ausreichenden arteriellen Blutdruekes, damit das Passieren dieser h&modynamisch als Stenose zu definierenden Umwege gew~hrleiste% wird. Hier braucht jeder Patient ,,seinen" notwendigen t~lutdrnck. Ieh mSehte aus zahlreiehen Arbeiten zu diesem Thema bier nur das Behandlungsprogramm noch einmal kurz skizzieren, das sogleieh beim Auftreten arterieller Blockaden einznleiten ist: 1. die Wieder- herstellung der 5rtliehen Durehblutung, d. h. die Beseitigung der h~mo- dynamisehen, racist dureh Druekabfall entstandenen eerebro-vaseul&ren Insuffizienz; 2. die Sieherung der Konstanz dieser Duehblutung, d .h . die Stabilisierung bzw. Wiederherste]lung ausreiehender tIerzleistung; 3. der Kampf gegen die -- sp~teren -- I~ypoxiefolgen, insbesondere in Form des 0dems, insgesamt eventuelle sofortige ,,Sehockbehandlung".

l~an wird sieh bei dieser Behandlung gem der I~ilfe des Internisten oder Anaesthesisten bedienen woUen.

MAr seheint es Ms Iqeurologen besonders aufsehluBreieh, die venSsen Abflfisse des tt irns noeh einmal genau zu studieren. Trotz Serienangio-

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graphie endete fiir uns das Bliekfeld oft beim Eintr i t t des Blutes in die grogen Sinus der Dura. Die Bedeutung der Bloekaden der Sinus und die Entstehung des venSsen Kollateralkreislaufes lernen wit erst jetzt in ihrer Bedeutnng kennen. I-Iier bieten sieh Erfahrungen zu den Vor- stellungen fiber den arteriellen Kreislauf an, denn aueh dort war die Vorstellung fiber eine netzartige Verfleehtung gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bereits vorhanden, sie ging aber immer wieder aus dem Bewugtsein verloren. I-Iier hat die These yon CHA~L~S Sy~ON~)S fiber die Entstehung des ,,otitisehen Hydrocephalus" und die Kritik, der diese Auffassung ausgesetzt war, eine Diskussion in Gang gebraeht, die unsere Kenntnisse sehr bereiehert hat. Die Gefahr der akuten Sinus- blockade mug wegen der meist zum Zeitpunkt einer Ligatur nieht genau bekannten M6gliehkeiten anatomiseher Variation betont werden, znmal es ja meist Pr/idilektionen des Abflusses naeh einer - - meist der reehten -- Seite gibt. Es folgt zwangsl~ufig die 0dematisierung der ganzen Hirn- h/ilfte mit einem neurologisehen Syndrom, das der Originalbesehreibung GRADENIGOS gMeht. Studiert man die F/~lle des Sehrifttnms unter diesem Gesichtspunkt, so finder man viele nieht entziindhehe Fglle, die zum ,,Gradenigosehen Syndrom" geffihrt haben. Es scheint daher an der Zeit, diesen Fragenkomplex neu zu durehdenken und nur die F/~lle als echtes Gradenigosehes Syndrom zu bezeichnen, bei denen eine Eiterung der Pyramidenspitze und ihr Ubergreifen auf den Abdueens nachgewiesen werden kann.

Auch der Begriff des otitisehen I-Iydrocephalus sollte verschwinden, da es sieh zum mindestens in den ersten Woehen nicht um einen I-Iydro- eephalus handelt (dieser folgt erst der 0demseh~digung der weigen Substanz) und well die pathologischen Vorgange im I-Iirn nieht dureh einen entzfindlichen ProzeB, sondern hgmodynamiseh hervorgerufen sin& Die genane K1/~rung der AbflugverMltnisse in den Sinus, frfiher dnrch den Toby-Ayer-Test, im deutschen Spraehgebiet als,,Kindlersehes Zeiehen" bekannt, ist nur bis zu einer gewissen Wahrseheinliehkeit m6g- lieh und wird heute dureh die Serienangiographie exakt gegeben.W&hrend diese die tats/~ehliehen StrSmungsverh/tltnisse zeigt, lassen sieh die ana- tomisehen Kan~le besser dureh retrograde Jngularisdarstellung naeh GEJROT dnrehfiihren, mit der man aueh Tumoren z .B. des Glomus jugulare ausgezeiehnet abbilden kann.

NIit den Einzelheiten des Gradenigosehen Syndroms, insbesondere der Entstehung der Abdueensl/~hmung sollte man sieh also noeh einmal genauer befassen, wobei es mir seheint, als ob es zur Strangulation dieses Nerven an seinem gestauten Eingang in den Sinus eavernosus kommt, wie ich das im I~eferat genau ausgeffihrt habe.

Das dritte Thema, die Diagnose der eitrigen Komplikationen im tIirn, bedarf noch der Anwendung des ganzen I-Iandwerkszeuges neuro-

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logiseher Diagnostfl~. Erste Versuehe z .B. der Aufkl/irnng dureh das EEG gehen schon auf das Jahr 1949 zur/ick (DuE~Sr~CG u. u. K~STEN). Sie kSnnen heute dureh so manehe andere Methoden erg/inzt werden, die ich ira einzelnen aufgez~hlt habe.

Das vierte Thema der Neurologie des erkrankten und geseMdigten Facialis, sollte nut die Diskussion des Zeitpunktes der Dekompressions- Operation erneut einMten. Nach den Vorstellungen unseres Faehgebietes ist nur eine Frfihoperation [etwa 2 - -8 (bis 24?)Std naeh Beginn der Schs logisch oder eine Sp~toperation im 4. Monat. Die Opera- tion nach 8 Wochen kann eine rationale Indikation auf Grund der neuro- logisehen Erfahrungen nicht finden. Diese Vorstellungen k6nnen nur durch eine Statistik widerlegt werden, an die allerdings bestimmte An- forderungen zu stellen sind: Es mug genau unterschieden werden zwisehen einer Wiederkehr isolierter Bewegungen und yon Massen- bewegungen der drei Facialis~ste. Es mfissen genaue Angaben fiber den Zeitpunkt und die St/~rke der wiedergekehrten Bewegungen gegeben sein.

Man wfirde sich als Neurologe bedenkenlos ffir eine Frfihoperation einsetzen k6nnen, wenn sie 1. vSllig gefahrlos ware, 2. wenn der Faeialis in den ersten 14 Tagen mit isolierten Bewegungen seiner •ste wieder restituierte. Denn erfahrungsgem/ig stellen sich bei 2/a tier Patienten in den ersten 14 Tagen isolierte Bewegungen spontan wieder ein und nur 1/a bedarf einer anatomischen Regeneration des Nerven, die dann zu den unseh6nen Massenbewegungen ffihrt. Um dieses letztgenannten Drittels wegen w/~re die Frfihoperation unter Umst~nden auch bei allen Patienten indiziert, wenn die Operation immer zur Wiederherstellung isolierter Bewegungen ffihrte.

I-Iingegen wird man eine strikte Indikation zur Dekompressions-Ope- ration im 4. Monat sehen kSnnen, wenn alle Regenerationszeiehen fehlen.

Die Anstrengungen der Neurologie m/issen dahin gehen, dureh eine Frfihmyographie oder andere Methoden festzustellen, welehe Patienten zu der Gruppe geh6ren, bei denen eine Operation unn6tig ist, da die Restitution in Kiirze zu erwarten ist. Ieh habe Einzelbeobaehtungen, bei denen die Fr/ihmyographie noeh eine elektrisehe Aktivit/~t ergab, obwohl die ~ste ,,kliniseh" vollstgndig gel/~hmt ersehienen. In dieser Riehtung mfissen also Bemfihungen in der Zukunft laufen.

Am Ende meines Beriehtes daf t ieh nur noeh meiner besonderen Freude darfiber Ausdruek geben, dab die Zusammenarbeit zwisehen den beiden F~ehern der Oto-Rhino-Laryngologie und der Neurologie dureh diesen KongreB einen neuen Auftrieb bekommen hat, naehdem auch auf unserem K61ner Neurologen-Kongreg 1962, den ich die Ehre hatte zu leiten, das Verhandlungsthema der ,,Diagnostik des Vestibularorganes" bei uns das Interesse ffir die Fragen einer engeren Zusammenarbeit bereits gefSrdert hatte. Vielleieht seheint Ihnen, dag in unseren Dis-

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kuss ionen Grundlagenwissenschaf t und Aufk ls der Pa thogenese zu sehr in den Vorde rg rund geste l l t wurden. Viel leicht vermissen 8ie pr/~- zise Schemata zur Diagnos t ik und Therapie . Das Leben hg l t sieh n ieh t an unsere Schemata , so ni i tz l ieh sie auch m a n c h m a l f/Jr rasches H a n d e l n sind. I c h glaube, da~ gerade bei den Schwier igkei ten neurologischer Diagnos t ik , die oben geschfldert wurden, nur eine genaue K e n n t n i s der Pathogenese zur vo l lende ten Diagnose u n d dann zur ra t ione l len Therap ie f i ihren kann. E ine re in empirische Diagnose - - e twa au f Grund vor- f ixier ter Syndrome - - mul~ versagen, sowie die ers ten Abweichungen yon den typ i sehen Ver laufsformen auf t re ten , die es gerade bei den cerebra len K o m p l i k a t i o n e n auf dem Gebie t der o to-rhinologisehen Er - k r ankungen so oft gibt .

Lassen Sie reich schlieBen mi t einer Abw a nd lung des Satzes yon NAEGELI U. VOL~A~D: , ,Vor die Diagnose und Behand lung h a b e n die GSt te r die Aufkl/~rung die Pa thogenese gese tz t" , und I h n e n ffir die MSgliehkei t dieser faehl iehen Ausspraehe noehmals meinen D a n k aus- spreehen.

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