neuwal im Gespräch mit Heiner Geissler

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  • 7/31/2019 neuwal im Gesprch mit Heiner Geissler

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    neuwal.com

    neuwal im Gesprch mit Heiner Geiler

    zu seinem aktuellen Buch Sapere aude

    Originalversion

    Dieter Zirnig (neuwal.com), Dienstag, 4. Juni 2012

    Artikel mit Podcast auf neuwal.com (ab 5. Juni 2012)http ://neuwal.com /index .php /2012/06/05/sapere -aude -heiner -geissler -interview

    Heiner Geiler: Ich beschreibe die heutige Situation in meinem Buch Sapere aude! sehrnachdrcklich und eindeutig: Das jetzige Weltwirtschaftssystem, das man auch dasKapitalistische nennen kann, ist im Grunde genommen eine Vernichtungsmaschine fr dieMenschen und die Natur. Die drei Prinzipien des Kapitalismus, nmlich Produzieren, immermehr konsumieren und Kapital akkumulieren lassen sich nur durch eine immer weiterfortschreitende Ausbeutung der Natur und des Menschen verwirklichen.

    Die jetzige Welt ist in Unordnung. Das heit, sie steht im Gegensatz zu den Zielen wie sieschon Aristoteles verstanden hat, nmlich als Bemhen, das geordnete Zusammenleben derMenschen zu ermglichen. Wir haben auf der Welt keine Ordnung, aber viele Kriege. Vorallem

    haben wir den Prozess der kapitalistischen Ausbeutung der Menschen. Die Armut wird grer.

    Die Kmpfe um Trinkwasser werden beginnen. Die Rohstoffe gehen zurck bzw. versiegen. ImJahre 2030 gibt es kein Kupfer, Chrom und Bauxit mehr. Die fossilen Brennstoffe gehen in derMitte dieses Jahrhunderts zu Ende. Das heit, wir stehen vor der dramatischen Frage:Entweder reformiert sich die Welt oder wir sterben.

    Wie nehmen sie die Ausbeutung des Menschen wahr?

    Der Mensch ist zum Kostenfaktor degradiert. Wichtigste gesellschaftliche Bereiche orientierensich in ihrer Entwicklung nicht mehr am Wohl des Menschen sondern an den Kapitalinteressen.

    Das jngste Beispiel in Deutschland ist die Hochschulreform: Das Scheitern des Bologna-Systems mit Bachelor und Master. Diese Hochschulreform ist ausdrcklich unter dem Mottoeiner arbeitsmarktgerechten Hochschulausbildung verndert worden: eine totale Verschulungdes Studiums mit kurzen Studienzeiten.

    Die Folge ist, dass dies von der Wirtschaft, obwohl sie es gefordert hat, gar nicht mehrakzeptiert werden kann. Wer heute in Deutschland einen Bachelor macht, findet kaum mehr

    http://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interviewhttp://neuwal.com/index.php/2012/06/05/sapere-aude-heiner-geissler-interview
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    neuwal.comeine Einstellung in der Wirtschaft. Und fr den Master werden begrenzt nur die Bestenzugelassen.

    Sie schreiben im Buch ber unterschiedliche Formen und Mechanismen von

    Absolutismen. Ein Bereich sind auch Kirchen und Religionen. Was denken Sie, welcheRolle knnte die Kirche im derzeitigen Wandel einnehmen?

    Die Kirche msste eigentlich, wie vor 60 Jahren, die Aufgabe bernehmen, diesenVernderungsprozess geistig und ethisch zu begleiten. Die soziale Marktwirtschaft war ja einethisches Bndnis zwischen dem Ordoliberalismus, der Freiburger Schule (Walter Eucken,Wilhelm Rpcke,Alfred Mller -Armack, spter Ludwig Erhard) und der katholischen Soziallehre(Oswald von Nell-Breuning, Hirschmann, Gundlach , etc.) sowie der evangelischen Sozialethik.

    Wir brauchen wieder die Erneuerung des ethischen Fundamentes fr das wirtschaftlicheGeschehen. Das ethische Fundament steht in der absoluten Anerkennung der Menschenwrde

    eines jeden Menschen. Der Mensch darf nicht zum Kostenfaktor degradiert werden. Zur Zeit gilter um so mehr, je weniger er kostet. Und er gilt umso weniger, je mehr er kostet.

    Gleichzeitig ist die Wirtschaft so auszurichten, dass Solidaritt zwischen der konomie auf dereinen Seite und den Menschen und der Natur auf der anderen Seite aufgebaut wird. Das sinddie eigentlichen Aufgaben, die vor uns stehen.

    Der Mensch ist zum Kostenfaktor degradiert, neben dieser Tatsache gibt es auch eine

    groe Anzahl von Arbeitslosigkeit, vorallem unter Jugendlichen...

    Vorallem die Jugendarbeitslosigkeit ist auf der ganzen Welt dramatisch. Inzwischen auch inEuropa. Wir haben Jugendaufstnde und Protestaktionen auf der ganzen Welt: von Washingtonbis nach Moskau, von Tunesien bis nach Berlin und Stuttgart. Die Occupy-Bewegung, Attac,Greenpeace, die ganzen Bewegungen und Aktionsbndnisse, Brgerinitiativen bringenBewegung in die Politik und auch in das Denken der konomen.

    Aber, um die verlorene Generation nicht zu einer revolutionren Generation werden zu lassen,brauchen wir Arbeitsmarktprogramme und Investitionen. Deswegen ist es hchste Zeit, dass diePolitik darauf entsprechend reagiert. Wir brauchen Bildungsprogramme, die finanziert werdenmssen; dazu wrde eben auch diese internationale Finanztransaktionssteuer dienen.

    Wie kann sich die Welt reformieren, in welche Richtung kann sich das System verndern

    und wo soll begonnen werden?

    Man muss das Wirtschaftssystem wieder vom Kopf auf die Fe stellen. Dazu brauchen wir einKonzept. Nur wenn ich ein Konzept habe, kann ich die Menschen berzeugen und dadurchMehrheiten schaffen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus#Alexander_R.C3.BCstow.2C_Wilhelm_R.C3.B6pke_und_Alfred_M.C3.BCller-Armackhttp://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus#Alexander_R.C3.BCstow.2C_Wilhelm_R.C3.B6pke_und_Alfred_M.C3.BCller-Armackhttp://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus#Alexander_R.C3.BCstow.2C_Wilhelm_R.C3.B6pke_und_Alfred_M.C3.BCller-Armackhttp://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus#Alexander_R.C3.BCstow.2C_Wilhelm_R.C3.B6pke_und_Alfred_M.C3.BCller-Armackhttp://de.wikipedia.org/wiki/Ordoliberalismus#Alexander_R.C3.BCstow.2C_Wilhelm_R.C3.B6pke_und_Alfred_M.C3.BCller-Armack
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    neuwal.comWir brauchen eine Renaissancen der sozialen Marktwirtschaft. Wir brauchen eine weltweiteErgnzung, eine internationale kosoziale Marktwirtschaft. Am besten, mit einem globalenMarshall-Plan verbunden. Wir brauchen klare Reformen und Regeln fr die internationaleFinanzindustrie, wie sie von den G20-Staaten in Edinburgh vor ber drei Jahren beschlossen

    worden ist. Wir brauchen vor allem eine Beschrnkung der Spekulation und der Hedgefonds.Wir brauchen eine Standardisierung der Finanzprodukte, die Einfhrung einer internationalenFinanztransaktionssteuer.

    Es ist nicht einzusehen, dass wir alle fr jede Windel und fr jede KaffeemaschineUmsatzsteuer bezahlen, aber Devisenhndler und Spekulanten, bei einem brsentglichenUmsatz von zwei Billionen Dollar sich mit keinem Cent an der Finanzierung der humanen

    Aufgaben beteiligen mssen.

    Wer kann diesen Wandel vollziehen?

    Das sollte einerseits die Politik machen. Die Brgerinnen und Brger mssen sich selber inOrganisationen der Zivilgesellschaft zusammen schlieen und politischen Parteien mssen sichmit ihnen verbinden. Ich selber bin Mitglied von ATTAC und der Christlich DemokratischenUnion.

    Es braucht Selbstinszinierungen der Zivilgesellschaft, ATTAC, Greenpeace, der ganzenNaturschutzverbnde aber auch der CARITAS, die Evangelischen Diakonie. All dieseBewegungen innerhalb der Zivilgesellschaft sind Partner der Politik.

    Die Reform des internationalen Weltwirtschaftssystems muss durch die Staaten erfolgen. DieEuroper sind bereits soweit, dass sie dieses Ziel anstreben - auch die Deutschen und die

    sterreicher. Die einzigen, die sich noch sperren, sind Englnder. Dann muss man diesenWandel eben ohne Englnder machen. Bis wir eine Weltregierung haben, die eines Tageskommen wird - daran kann gar kein Zweifel bestehen - muss diese Reform multilateral realisiertwerden, so wie das in Edinburgh beschlossen worden ist.

    Sie haben Zivilgesellschaft angesprochen. Ist es im Sinne der regierenden Parteien und

    wie reagieren ihrer Meinung nach die politischen Parteien auf diesen Wandel?

    Die politischen Parteien sind in Deutschland und in sterreich, so weit ich das verfolge, nochunsicher. Sie haben die Dramatik des Geschehens durchaus erkannt und mssen erkennen,dass die Zivilgesellschaft nicht Gegner der politischen Parteien sind, sondern, sie sind die

    wichtigsten Verbndeten.

    Kann die Piratenpartei eine dieser Schnittstellen zwischen Zivilgesellschaft undetablierten politischen Parteien sein?

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    neuwal.comGanz sicher setzt die Piratenpartei wichtige moderne Probleme. Die Piratenpartei istinsbesonders eine Internetpartei. Andere politische Parteien knnen davon lernen, in dem siedieses weite, neue und groartige Feld der Information auch fr die Darstellung ihrer politischenZiele nutzen. Ob die Piratenpartei bei den Wahlen politisch einen Erfolg haben wird, das kannich nicht voraus sagen. Im Moment sieht es so aus, als ob sie Erfolge bei den Landtagswahlen,

    mglicherweise auch bei den Bundestagswahlen htten. Ob das auf die Dauer ist, kann manheute seriserweise nicht beurteilen.

    Zum Abschlu noch zu Stuttgart 21: Hat Ihr Wirken ihre Ambition erfllt?

    Ja, natrlich. Die Schlichtung hat ja ein Ergebnis gehabt. Das heit, der Bahnhof kann gebautwerden, allerdings nur unter bestimmten Auflagen und Verbesserungen. Und das wird imMoment realisiert. Die Schlichtung war auch die unverzichtbare Voraussetzung fr dieVolksabstimmung.

    Wie beurteilen sie es: Ging die Schlichtung in die Hose, oder wars einigermaen OK?

    Es war nicht einigermaen OK, sondern es war berhaupt OK. Denn, das war dieumfassendste Information, die es zu dem Thema berhaupt geben konnte. Mit absoluterTransparenz, mit einer Diskussion auf Augenhhe, einem Faktencheck, bei dem alle an einemTisch saen. Die Schlichtung ist soweit als ein Prototyp fr die Vorbereitung und Durchfhrungvon Groprojekten der Zukunft zu bezeichnen.

    Vielen herzlichen Dank fr das Gesprch und alles Gute!