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Vergiftungsfiille. -- 225 A 269 Nitrose Gase-, Kohlenoxyd. und Blaus~ure-Vergiftungen dutch Filmbrand. Bericht yon W. Straub, Pharmakologisches Institut der Universitiit Miinchen. Am 15. V. 1929 ereignete sich in einem K~ankenhause in Cleveland (Ohio) eine Massenvergiftung durch verbrennende RSntgen- filme. Im Keller dieses Hauses wurde die Zentralheizung repariert. In einem Raume, in dem die alten RSntgenfilme lagerte~n, befand sich eine defekte und stark iiberhitzte RShrenleitung. Anscheinend dutch diese Oberhitzung erfolgte in dem sonst feuertechnisch cinwandfreien Raum, kurz nachdem ein Arbciter diesen veflassen hatte, eine Explosion und kurze Zeit nachher eine zweite und dritte. Obschon diese Explosionen an sich nicht besonders stark waren, batten sie welt fiber 100 Menschen den Vergiftungstod gebracht. Bereits 2 Stunden nach der Katastrophe z~hlte man 85 Tote, an demselben Abend bereits fiber 100 und einige Tage spater wurden 126 gemeldet, auflerdem noch 80, die sich in einem lebensgef~hrlichen Zustand befanden. Als Ursache sind die RSntgenfilme aus Nitrozellulose, nicht der mo- dernen aus Azetylzellulose hergestellten, anzusehen. Sie waren in dem durch die defekte Heizung fiberhitzten, geschlossenen, unventilierten Raum schon einige Zeit im Zustande der langsamen Oxydation, die abet bei Luftzufuhr sofort zur raschen, explosiven Verbrennung mit Feuer ffihrt. Jenes Reaktionsgeschwindigkeits-0ptimum ist anscheinend durch den Arbeiter und die offene Tfir gebracht worden. Die Explosionsgase zogen, getrieben durch den Luftdruck der Explosionswellen wahllos durch das ganze Krankenhaus fiber die Korridore, Treppenhiiuser, Ventilations- sch~chte usw. Vielen Kranken braehten sie plStzlichen Tod. Viele lagen ohne Zeichen eines Todeskampfes im Bett. Manche konnten noch fliich- ten, aber auch sie kollabierten bald und starben. Nur wenige wurden von Feuerwehrleuten ins Freie gebracht, wo sie auf dem Klinikhofe alsbald starben. Andere, die sich nicht vergiftet glaubten, gingen naeh Hause, wo sie dann der Tod ereilte. Ein Mitinhaber der Klinik konnte noch Rettungsversuche leiten, er sta2b aber noch an demselben Abend. Ein anderer, der 20 Minuten im offenen Feaster lag, fuhr einige Stunden weit nach Hause, er starb 24 Stunden nach der Katastrophe in einem pli~tz- lichen Kollaps. Die Leichen wiesen entweder keine iiul~erlichen Symptome auf oder zeigten gelben Schaum, aus Mund und Nase fliel~end. Manche wiesen eine rotgelbe Gesichtshaut auf.

Nitrose Gase-, Kohlenoxyd-und Blausäure-Vergiftungen durch Filmbrand

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Vergiftungsfiil le. - - 225

A 269

Nitrose Gase-, Kohlenoxyd. und Blaus~ure-Vergiftungen dutch Filmbrand.

Bericht yon W. S t raub , Pharmakologisches Institut der Universitiit Miinchen.

Am 15. V. 1929 ereignete sich in einem K~ankenhause in Cleveland (Ohio) eine Massenverg i f tung durch ve rb rennende RSntgen- filme. Im Keller dieses Hauses wurde die Zentralheizung repariert. In einem Raume, in dem die alten RSntgenfilme lagerte~n, befand sich eine defekte und stark iiberhitzte RShrenleitung. Anscheinend dutch diese Oberhitzung erfolgte in dem sonst feuertechnisch cinwandfreien Raum, kurz nachdem ein Arbciter diesen veflassen hatte, eine Explosion und kurze Zeit nachher eine zweite und dritte. Obschon diese Explosionen an sich nicht besonders stark waren, batten sie welt fiber 100 Menschen den Vergiftungstod gebracht. Bereits 2 Stunden nach der Katastrophe z~hlte man 85 Tote, an demselben Abend bereits fiber 100 und einige Tage spater wurden 126 gemeldet, auflerdem noch 80, die sich in einem lebensgef~hrlichen Zustand befanden.

Als Ursache sind die RSntgenfilme aus Nitrozellulose, nicht der mo- dernen aus Azetylzellulose hergestellten, anzusehen. Sie waren in dem durch die defekte Heizung fiberhitzten, geschlossenen, unventilierten Raum schon einige Zeit im Zustande der langsamen Oxydation, die abet bei Luftzufuhr sofort zur raschen, explosiven Verbrennung mit Feuer ffihrt. Jenes Reaktionsgeschwindigkeits-0ptimum ist anscheinend durch den Arbeiter und die offene Tfir gebracht worden. Die Explosionsgase zogen, getrieben durch den Luftdruck der Explosionswellen wahllos durch das ganze Krankenhaus fiber die Korridore, Treppenhiiuser, Ventilations- sch~chte usw. Vielen Kranken braehten sie plStzlichen Tod. Viele lagen ohne Zeichen eines Todeskampfes im Bett. Manche konnten noch fliich- ten, aber auch sie kollabierten bald und starben. Nur wenige wurden von Feuerwehrleuten ins Freie gebracht, wo sie auf dem Klinikhofe alsbald starben. Andere, die sich nicht vergiftet glaubten, gingen naeh Hause, wo sie dann der Tod ereilte. Ein Mitinhaber der Klinik konnte noch Rettungsversuche leiten, er sta2b aber noch an demselben Abend. Ein anderer, der 20 Minuten im offenen Feaster lag, fuhr einige Stunden weit nach Hause, er starb 24 Stunden nach der Katastrophe in einem pli~tz- lichen Kollaps.

Die Leichen wiesen entweder keine iiul~erlichen Symptome auf oder zeigten gelben Schaum, aus Mund und Nase fliel~end. Manche wiesen eine rotgelbe Gesichtshaut auf.

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Die Vergiftungen sind toxikologisch folgendermai3en zu erkliiren: Wenn Nitrozellulose im engen Raum bei behinderter Luftzufuhr ver- brennt, so geht diese Verbrennung nicht zu Ende (bis zur Kohlensaure und Salpeters~ure), sondern es bilden sich reichlich n i t rose Gase und Kohlenoxyd. Dieses kann in einer Konzentration von 1/2% rasch tSd- lieh wirken, jene aber sind unheimlicher und gefithrlicher, well sie lang- samer und spi~ter wirken. Da viele der Kranken einen Sp~ttod erlitten, ist anzunehmen, dab sie Opfer der nitrosen Gase geworden sind. Diese maehen Lungenreizung, Meth~moglobinbildung und Erstickung. Schliel~- lich bestreitet der Vergiftete seine Atmung mit dem Rest des unver~nder- ten tt~moglobins. Der zersetzte Blutfarbstoff geht durch die Niere und verursacht Infarkte. Kann schon durch eine derartige Blutzersetzung der Spattod eintreten, so noch mehr durch Schiidigung der Lungenober- fliiche (Pneumonie, LungenSdem) dutch die sauren Gase.

Es hat sich in dem Clevelander Falle gezdgt, dab die Behandlung der Vergiftung mit nitrosen Gasen wenig aussichtsreich ist. Bluttrans- fusion und Sauerstoffeinatmungen haben wenig Nutzen gebracht. Am zweckm~l~igsten erscheint ein ausgiebiger Aderla]. Zur Behandlung tier veratzten Lungenoberfliiche eignen sich Inhalationen vernebelter 2% iger Natriumbikarb0natlSsungen. Neuerdings wird von Boos (Mtinch. med. Wschr. 1928, S. 1469) Ammoniakeinatmung empfohlen.

Blutuntersuchungen an Opfern der Clevelander Explosion haben Muntwyler , Ray, Myers und Sol lmann (J. amer. med. Assoc. 9a, 512 [1929]) ausgeftihrt.

Aus der Clevelander Katastrophe ist die Lehre zu ziehen, RSntgen- filme nur in ungeheizten Rtiumen zu lagern und nur unverbrennliche Filme - - also keine aus Nitrozellulose - - zu verwenden.

Nachtr~glich wurde bekannt, da] dieser Filmbrand tiber 300 Todes- opfer gefordert, hat.

Weiter wurde festgestellt, dab neben K o h l e n o x y d und n i t rosen Gasen auch Cyanwasse rs to f f beim Verbrennen solcher Filme ent- stehen. Eine experimentelle Nachprtifung hat ergeben, dal3 sieh bei ungentigendem Luftzutritt in den Verbrennungsgasen 35% Stickoxyde, 35% Kohlenoxyd und 1% Cyanwasserstoff finden (Chem. Zbl. 1929/2, S. 2509; vgl. F lu ry u. Zernik: Sch~dliche Gase, S. 489, Berlin 1931). Naeh Naes lund (zit. nach Dtsch. Z. gerichtl. Med. 17, 262 [1931]) sind die rasch tSdlich verlaufenen F~lle wohl mehr dutch Cyanwasserstoff als durch Kohlenoxyd verursacht:

(Ausftihrlicher Bericht in Mtinch. reed. Wschr. 1929, Nr25, S. 1049.)

Referent: C. Bachem, Bonn.