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1 Pina Bausch ... Gabriele Bellenberg ... Thomas Baumgärtel ... Gerald Böse Ulrike Hüppe ... Jan und Christian Paschen ... Manfred Paul ... Jürgen Roters Sebastian Schneberger ... Klaus-Peter Schöppner ... Hans H. Stein ... Martin Vesper Wie weiter Frau Sommer? MAGAZIN FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER IN NORDRHEIN-WESTFALEN WIRTSCHAFT . POLITIK . LEBEN . Ausgabe 09 September 2009 Preis: 3,00 € www.nrwjetzt.de Ausgabe 09 September 2009 Preis: 3,00 € NRW. jetzt NRW. jetzt Starke Frauen Portrait Christiane Underberg Interview Maritim-Chefin Dr. Monika Gommolla Wege aus der Krise Fördergelder für die Forschung Jetzt Geld richtig anlegen Von Kamp Lintfort nach Indien Abschied US-Generalkonsul Matthew G. Boyse über Deutsche und Amerikaner Die Schulministerin im Interview Metropole Ruhr OB Baranowski: Zusammenrücken! Zapfsäulen ohne Autos

NRW.jetzt - Sept 2009

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Magazin für Entscheidungsträger in NRW

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Pina Bausch ... Gabriele Bellenberg ... Thomas Baumgärtel ... Gerald Böse Ulrike Hüppe ... Jan und Christian Paschen ... Manfred Paul ... Jürgen Roters

Sebastian Schneberger ... Klaus-Peter Schöppner ... Hans H. Stein ... Martin Vesper

Wie weiter Frau Sommer?

MAGAZIN FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER IN NORDRHEIN-WESTFALEN

WIRTSCHAFT.POLITIK.LEBEN.

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t.de Ausgabe 09 September 2009 Preis: 3,00 €

NRW. jetztN

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Starke FrauenPortrait Christiane UnderbergInterview Maritim-Chefi nDr. Monika Gommolla

Wege aus der KriseFördergelder für die ForschungJetzt Geld richtig anlegenVon Kamp Lintfort nach Indien

AbschiedUS-Generalkonsul Matthew G. Boyseüber Deutsche und Amerikaner

Die Schulministerin im Interview

Metropole RuhrOB Baranowski: Zusammenrücken!Zapfsäulen ohne Autos

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CHAMPAGNE LANSON DER GROSSE CHAMPAGNER FÜR GROSSE MOMENTE

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Editorial

das neue Schuljahr hat begonnen, und es hat etwasErhebendes. Meine älteste Tochter hat die Grundschule erfolg-

reich absolviert und darf nun auf eine weiterführende Schule gehen. Die Tage vor den Sommerferien hatten meine Frau und

ich unsere Freizeit im Wesentlichen damit verbracht, auf Verab-schiedungs- und Begrüßungsfeiern für Schüler zu sitzen und uns

unsere Rührung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Theaterspiele, Klassenfahrten, Lieder singen, Vorlese-Nacht in der Turnhalle, und gelernt haben die Kleinen auch noch was.

Wenn diese vier Grundschuljahre auch bei uns Eltern etwas bewirkt haben, dann dies: Unsere Hochachtung vor dem Beruf

des Lehrers ist mächtig gewachsen. Wir vertrauen unsere Kinder fremden Leuten an, damit sie ihnen das Wissens-Rüstzeug fürs

spätere Leben vermitteln. Und wir denken an unsere eigene Schulzeit zurück. Und wir hoffen, dass alles gut laufen wird.

Schließlich sind wir begeistert, wenn wir feststellen, mit wie viel Engagement, Feingefühl und Gespür für die Talente unserer

Kinder offenbar viele Lehrer ihrer Arbeit nachgehen.

Wir reden seit Jahrzehnten viel über die Bildungspolitik, über die Vor- und Nachteile differenzierter und integrativer Systeme. Wir schimpfen grundsätzlich auf die zuständigen

Minister(innen), egal welcher Partei sie zufällig gerade ange-hören. Und wir schauen neidisch auf die vielen Ferien, die so

ein Lehrer faktisch hat. Doch ich finde, die meisten von ihnen leisten einen Riesenjob – nicht nur für unsere Kinder, sondern

für unsere Gesellschaft insgesamt.

Es ist wichtig, dass unsere Schulen baulich in gutem Zustand sind, dass es ausreichend Lehrmaterial und Computer gibt und

dass die Lerninhalte stimmen. Ob längeres gemeinsames Lernen oder das frühzeitig aufgegliederte Schulsystem die besseren

Voraussetzungen bieten, lasse ich hier mal dahin gestellt. Das Wichtigste aber, das ist mir in den vergangenen Jahren klar

geworden, sind gut ausgebildete und motivierte Lehrer. Davon haben wir viele an den Schulen in Nordrhein-Westfalen. Und

wenn wir in dieser Ausgabe von NRW.jetzt wieder über die richtige oder falsche Bildungspolitik schreiben, so beginnen wir

das an dieser Stelle mit einem herzlichen Dankeschön an die Pädagogen in unserem Land und ihre Leistung.

Klaus KelleChefredakteur

Liebe Leserinnen und Leser,

Anze

ige.

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MAGAZIN FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER IN NORDRHEIN-WESTFALEN

WIRTSCHAFT. POLITIK . LEBEN.

NRW. jetztInhalt.03 Editorial

WIRTSCHAFT06 Vodafone vergibt Innovationspreis08 Herr Heuwinkel goes India10 Sicherheiten für den Mittelstand11 Zweites Krickenbecker Kolloquium12 Die Kräuterfee: Portrait der Unternehmerin

Christiane Underberg15 Lichtwelten an Fassaden16 Geld anlegen in der Krise18 Vermögen sichern durch Gold?20 Interview mit MARITIM-Chefin Dr. Monika Gommolla26 Aus den Unternehmen28 Der Niedergang der Schumag Holding AG30 Yello Strom und Google in einem Boot

POLITIKTitelgeschichte: Bildungspolitik in NRW32 Interview mit Schulministerin Barbara Sommer (CDU)35 Plädoyer für mehr integrativen Unterricht37 Vernunft siegt im Aachener Schulkampf38 SPD will Kultur-Rucksack für Kinder39 Prof. Dr. Bellenberg: Länger gemeinsam Lernen!40 Der Nichtwähler, das unbekannte Wesen42 Interview mit Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner

Metropole Ruhr . Spezial44 Emscher Landschaftspark 201046 Türkische Textilgeschäfte fürs Revier48 OB Baranowski: Metropole Ruhr rückt zusammen50 Elektro-Zapfsäulen, keine Autos

52 Farewell-Gruß von US-Generalkonsul Matthew G. Boyse54 Unser Mann in Brüssel: Hans H. Stein56 Interview mit Jürgen Roters, SPD-Kandidat für Köln58 Forschungsgelder für den Mittelstand60 Aus unseren Städten

LEBEN62 NRW – Das Land der Alleen63 Aufmarsch der Nerds64 Interview mit Gerald Böse, Chef der Koelnmesse66 Der König der Adler68 Ein Zuhause für gedruckte Schätze70 Bonn feiert Beethoven71 Erinnerung an Pina Bausch

Impressum72 Menschen aus Nordrhein-Westfalen: »Sieben von uns«74 Thomas Baumgärtel ist der Bananen-Sprayer77 Viel los beim Polopicknick in Münster80 Veranstaltungs-Kalender82 Die Letzte: Politiker sind besser als ihr Ruf

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Ihre Adressen im Herzen der pulsierenden

Hansestadt

ABC- Strasse 52 20354 HamburgTel: 040 3505 0

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Kein Zweifel, der Mann ist ein Genie. Hochauflösendes TV, Videokonferenzen, Internet und Fern-sehen auf dem Handy – all das funktioniert so reibungslos und schnell, weil es den Videostandard H.264 gibt. Und der Mann, der den maßgeblich mit entwickelt hat, heißt Prof. Dr. Thomas Wiegand. Die Vodafone-Stiftung für Forschung zeichnete den Wissenschaftler vor kurzem mit ihrem Innova-tionspreis 2009 aus.

Die Preisträger: (v.l.) Prof. Dr. Thomas Wiegand, Dr. Susanne Stingel und Dr. Tobias Josef Oechtering

Der Veranstaltungsort war bestens gewählt. Im architektonisch faszinierenden Muse-um der Langen Foundation in Neuss über-reichten Vodafone-Chef Friedrich Joussen und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Preis an Wiegand, der zuvor unter anderem für seine Entwicklungsarbeiten schon mit dem renommierten amerikani-schen Fernsehpreis „Emmy“ ausgezeichnet worden war. H.264 – das ist ein Verfahren, mit dem sich Filme wesentlich effizienter komprimieren lassen. So wird die Daten-menge bei der Übertragung eines Videos

gegenüber dem Vorgängerstandard um mehr als die Hälfte reduziert – bei gleicher Qualität. Prof. Dr. Wiegand forscht am Fraunhofer-Institut für Nachrichtentech-nik, Heinrich-Hertz-Institut (HHI) in Berlin und hat wesentlichen Anteil an der Entwicklung des H.264, der heute nahezu in allen Multimedia-Endgeräten zu finden ist.Wiegand erhielt den mit 25.000 Euro dotierten Preis und sorgte auch noch für Heiterkeit bei den 200 geladenen Gästen, als er – Minuten nach seiner Dankesrede

– zurück ans Rednerpult eilte, Moderato-rin Nina Ruge unterbrach, um auch noch seiner Frau für ihre langjährige Unterstüt-zung zu danken. Mit Wiegand wurden zwei weitere Wissenschaftler mit dem Förderpreis der Vodafone-Stiftung aus-gezeichnet: Dr. Susanne Stingel für ihre Studie zum Tarifwahlverhalten von Ge-schäftskunden und Dr. Tobias Josef Oech-tering. In seiner Dissertation hat er Wege aufgezeigt, wie sich die Erreichbarkeit in drahtlosen Kommunikationsnetzen verbessern lässt.

Vodafone ehrte Prof. Dr. Wiegand

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Die fünf wichtigsten Argumente in Gold und Silber zuinvestieren:

Kontakt:

Gold – die intelligente Investition. Edelmetalle als Vermögensanlage, Altersvorsorge,Inflationsschutz und Krisenwährung

Sachwert schlägt Geldwert

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„Das hier sind nicht unsere Mitarbeiter, sondern Bekannte, Freunde und Nach-barn. Wir kennen deren Ehepartner und auch ihre Kinder“, so beschreibt Michael Heuwinkel (40) seine Belegschaft. Und deshalb ist für ihn und seinen Partner Georg Boenig (49) klar: „Entlassen geht gar nicht!“ Das aber ist ein Szenario, mit dem sich die beiden Eigentümer der Firma Heuwinkel & Boenig Hydraulik GmbH seit einigen Monaten beschäfti-gen müssen. Die Wirtschaftskrise hat aus früher 1,8 Millionen Euro Jahresumsatz wenig mehr als 1,2 Millionen gemacht.

Wenn sich nichts tut, so versichern Beide, müssen sie ihren Betrieb im November schließen. Eine Horrorvorstellung, denn als die Beiden 1998 das Unternehmen, das sich mit der Instandsetzung von Hydrau-lik-Komponenten beschäftigt, gründeten, legte jeder seine Ersparnisse von 1.000 DM ein. Seither ging es stetig bergauf. Ein schmuckes Firmengebäude wurde errich-tet mit einer 900 Quadratmeter großen Werkstatt, alles ist sauber und gepfl egt, das Team arbeitet reibungslos und pro-fessionell zusammen. Der Kundenstammreicht von Kamp-Lintfort bis ins Sauer-

land, nach Stuttgart, den Niederlanden und Österreich. Man hat sich einen Na-men gemacht.

Doch dann kam die Krise, die Aufträge wurden weniger, inzwischen ist Kurzar-beit angesagt. Heuwinkel und Boenig sind keine Leute, die sitzen und auf bessere Zeiten warten. Ein neuer Markt wurde ge-sucht, um den Laden wieder in Schwung zu bringen. Die weltweit größten Märkte heutzutage sind China und Indien. So griff en die beiden Unternehmer zum Tele-fon, riefen bei Firmen an, die diese Märk-

WIE EIN KLEINES UNTERNEHMEN DIE KRISE MEISTERN WILL

Herr Heuwinkel goes IndiaIn Kamp-Lintfort haben sich zwei Kleinunternehmer zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen. Um ihre wirtschaftli-che Existenz und die 15 Arbeitsplätze zu retten, gründen sie eine Filiale in Indien. Klaus Kelle

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te aus eigenem Erleben kannten. Deren Auskunft: Geht nach Indien, da werden Verträge immer eingehalten und Rech-nungen immer bezahlt.

Und so ließen Heuwinkel und Boenig ihren Firmenprospekt ins Englische übersetzen. Anfang Dezember 2008 machte sich Heu-winkel auf den Weg ins indische Banga-lore zur Maschinenbau-Messe MDA und verteilte seine Werbebroschüren an den Ausstellungsständen. Am nächsten Tag

fl og er zurück. „Als ich zuhause ankam, war mein Mail-Ordner schon voll“, kommt er ins Schwärmen, wenn er an die Resonanz zurückdenkt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon professionelle Hilfe, denn beiden Unternehmern war klar: „Wir brauchen einen Inder!“ Den fanden sie im Diplomingenieur Shailendra Mohan Tiwary, einem Bekannten von Boenigs ehema-ligem Vermieter. Tiwary, 72 Jah-re jung, war Rentner, lebte seit 50 Jahren in Deutschland und hatte einst Metallurgie studiert. Damit wurde er vom Fleck weg engagiert. Hilfe leistete auch das

NRW-Wirtschaftsministerium in Düsseldorf und die Deutsch-Indi-

sche Handelskammer.

Alle Anträge sind inzwischen eingereicht, drei Monate hat das gedauert. Heuwinkel: „Die Bürokratie in Indien ist zehn Mal schlimmer als bei uns.“ Doch schließlich hat alles funktioniert. Anfang Juni waren sie wieder vor Ort, hatten Termine bei möglichen Kunden, suchten nach einer geeigneten Halle, denn die Zeit drängt. „Die Schlinge wird immer enger“, sagt Heuwinkel, dessen Belegschaft in dieser schweren Zeit zusammenhält und das Indien-Abenteuer ihres Chefs uneinge-schränkt unterstützt. „Wir stecken unsere letzte Kohle in das Projekt“, sagt Heuwin-kel, der für die Expansion ins ferne Indien ganze 40.000 Euro zur Verfügung hat. Was er braucht, sind einige kleinere Aufträge zum Start der neuen Heuwinkel & Boenig Private Ltd. mit Sitz in Pune, einem indus-triellen und kulturellen Zentrum mit drei

Millionen Einwohnern. Die Stadt war in den 70er Jahren bei Hippies aus aller Welt bekannt, gründete doch hier Sektenführer Bhagwan seinen ersten „Ashram“.

Doch Heuwinkel und Boenig sind alles an-dere als Hippies, sie arbeiten und kämpfen um ihre wirtschaftli-che Existenz. „Es muss einfach klappen“, sagt Heuwinkel fast beschwörend. „Wenn dieersten Ru-pien rol-len“, wird er selbst für einige Monate nach Pune ziehen, begleitet von seiner Frau Waltraud („Ich vertraue ihm bedingungslos“) und zwei Mitar-beitern. Alles ist vorbereitet, es gibt nun kein Zurück mehr. Eine Halle, eine Fräse, eine Drehbank und Werkzeug brauchen

sie in Pune. Und Aufträge. „Das Vorhaben beschäftigt uns natürlich jeden Tag und jede Nacht“, gibt Heuwinkel zu, dass ihm manchmal mulmig vor der eigenen Zivil-courage ist. Doch, so sagt er, „selbst wenn es nicht funktioniert und wir dichtmachen müssen, so will ich wenigstens sagen kön-nen: Wir haben alles versucht!“

WIRTSCHAFT. Krise

Auf großer Reise: (v.l.) Georg Boenig, Sheilendra Mohan Tiwary und Michael Heuwinkel

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Eine Firma, die sich mit dem Wunsch um einen Investitionskredit an ihre Bank wendet, hat es in der Regel relativ ein-fach – sofern die Bonitätsdaten gut sind. Eine Investition, das heißt, da soll etwas angeschafft werden, das auch einen Wert besitzt. Und in Zeiten wie diesen gibt es kaum etwas, das einen Banker so sehr in-teressiert wie Sicherheit.

Doch die Unternehmen im Lande haben derzeit andere Sorgen. Viele brauchen Be-triebsmittelkredite, um die Durststrecke überstehen und trotzdem pünktlich Ge-hälter und Rechnungen bezahlen zu kön-nen. Die NRW.Bank bietet dazu spezielle Mittelstands-Kredite an, die die Bürg-schaft gegenüber der jeweiligen Hausbank des Unternehmens gleich beinhaltet – ge-stellt von der Bürgschaftsbank des Landes NRW. Und während es bei den normalen Mittelstandskrediten 2008 gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang um 15 Prozent gab, stiegen die Anträge auf die Bürg-schaftsvariante um 47,9 Prozent Prozent.

Blickt man genauer hinter diese Zahlen werden deutliche Unterschiede bei der Krisenbetroffenheit sichtbar. So machte sich bei Betrieben aus dem verarbeitenden Gewerbe die gegenwärtige Krise deutlich stärker bemerkbar als etwa im Handel oder bei den Dienstleistungen. Die Anträge aus dem Bausektor schrumpften übermäßig stark. Doch in der Baubranche gehen die Uhren jetzt sowieso anders, denn hier wird man besonders von den Konjunk-turprogrammen der Bundesregierung profitieren. Experten erwarten sogar einen regelrechten Bauboom.

Bei der NRW.Bank erwartet man indes für das dritte Quartal 2009 einen weiteren deutlichen Anstieg der Kreditanfragen mit Bürgschaft. Voraussetzung dabei ist aller-dings, dass auch die Hausbank der jeweili-gen Firma mitspielt. Dr. Klaus Bielstein, Sprecher der NRW.Bank: „Wir verlassen uns auf die Risikoeinschätzung der Ban-ken und Sparkassen. Sagen die ja, steigen wir ein.“ Und die Hausbanken wissen,

wenn die Bürgschaftsbank des Landes den Kredit absichert, müssen sie kein Risiko fürchten. Das ist ein Kreislauf, der für alle Beteiligten zufriedenstellend sein sollte.

Erst beim letzten Spitzengespräch der nordrhein-westfälischen Kreditwirtschaft zur Mittelstandsfinanzierung stellte Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) unmissverständlich klar: „Es ist von herausragender Bedeutung für un-seren wirtschaftlichen Erfolg, dass die Finanzierung des Mittelstands gerade in Rezession und internationaler Finanzkrise durch Sparkassen und Banken sicherge-stellt wird.“ Und deshalb hat das Land die Kredit-, Bürgschafts- und Beratungs-programme ausgebaut. Die NRW.Bank hat sogar eine Info-Hotline eingerichtet, bei der Interessenten eine erste vertrau-liche Beratung bekommen können. Dr. Klaus Bielstein: „Wir wollen nicht marode Unternehmen fördern, sondern gesunde Firmen, die durch die Krise in Schwierig-keiten gekommen sind.“

MIT NEUEN PROGRAMMEN HILFT NRW UNTERNEHMEN BEI DEN BETRIEBSMITTELN

Sicherheiten für den MittelstandDie Wirtschaftskrise zwingt auch an Rhein und Ruhr immer mehr Unternehmen, die im Kern gesund und seit vielen Jahren erfolgreich im Markt sind, um Hilfe zu bitten. Schon jetzt hat der Bürgschaftsausschuss des Landes 170 Millionen Euro bewilligt – Tendenz steigend.

WIRTSCHAFT. Bürgschaftsflut

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Die WestLB Akademie Schloss Krickenbeck in Nettetal ge-hört zu den schönsten und exklusivsten Tagungsorten in Deutschland. Das wird nie-mand bestreiten, der einmal dort gewesen ist, und das wird auch immer wieder durch Um-fragen unter Führungskräften und mit der Verleihung hoch-karätiger Auszeichnungen un-ter Beweis gestellt. In 2008 hatte Geschäftsführerin Gita Tripathi mit dem 1. Krickenbecker Kolloquium den Startschuss zu einer neuen hochklassigen Veranstaltungsreihe gegeben. Im Juni bot sie mit dem re-

nommierten Zukunftsforscher und Innovationsexperten Prof. Dr. Eckhard Minx erneut ein intellektuelles Schwergewicht auf, der sich auf das Bedürf-nis vieler Unternehmen nach seriösen Zukunftsszenarien in Zeiten der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise einließ. Minx, Leiter des Forsch-ungslabors „Gesellschaft und Technik“ der Daimler AG,

stellte gleich zu Beginn seines zweistündigen Vortrags eines klar: „Ich weiß auch nicht, was kommt.“ Doch dann nahm er sein Auditorium aus Vertretern namhafter Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen mit auf eine „kleine Reise durch das Jetzt, um mögliche Konsequen-zen für das Morgen zu finden“.

Die Zukunft, daran lässt Minx keinen Zweifel, lässt sich nicht vorhersagen, aber sie lässt sich erkunden. Seinen Zuhörern gab er dazu zwei Leitsätze mit auf den Weg. Erstens: Es gibt immer mehrere Sichtweisen.

Zweitens: Es gibt nicht nur eine Zukunft.

Was auf den ersten Blick verwir-rend erscheint, löste der Wis-senschaftler anhand schlüssiger Beispiele auf. „Die Zukunft“, so Minx, „ist ein offenes Ren-nen, das wir selbst gestalten.“ 90 Prozent all dessen, was noch vor wenigen Jahren als „Spin-nerei“ galt, sei heute technische

Realität. Deshalb gelte es, sich aktiv mit der Zukunft zu be-schäftigen, statt nur bemüht zu sein, Fehler zu vermeiden. Der Referent entwickelte dazu ver-

schiedene Methoden, die für intensive Diskussionen sorgten, denn: „Die Frage ist nicht, was passieren wird, sondern was passieren könnte.“

2. KOLLOQUIUM AUF SCHLOSS KRICKENBECK

Ein Blick auf was passieren könnteDie Veranstalter hatten im Vorfeld Großes versprochen: „Dieser Tag wird Ihre Sicht auf die Zukunft verändern.“ Und was beim 2. Krickenbecker Kolloquium geboten wurde, erfüllte die Erwartungen der gut 60 hochkarätigen Teilnehmer vollauf.

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Professor Minx zog das Publikum in seinen Bann

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Christiane Underberg empfängt mich im Stammhaus des Familienunternehmens im pittoresken Rheinberg. Ein impos-antes, denkmalgeschütztes Haus – genau genommen ein ganzer Straßenzug – mit-ten in der Innenstadt, dahinter ein sorg-fältig angelegter Kräutergarten. Den hegt und pflegt die Herrin des Hauses selbst, was ihr bei ihrem Mann den lieb ge-meinten Spitznamen „meine Kräuterfee“ eingebracht hat. Im Inneren zwei Emp-fangsräume voller edler Vitrinenschränke, gefüllt mit Firmengeschichte. Produkt-packungen, Modellautos der Underberg-Lieferwagen, antike Bücher über Kräuter… Keine Frage, die Familientradition spielt hier eine große Rolle. Und ganz oben auf dem Schrank (wer den Blick nicht hebt, würde ihn übersehen): Jesus Christus,

schützend breitet seine Statue beide Arme über die Besucher des Hauses aus, die un-terhalb von ihm in riesigen, underberg-grünen Ohrensesseln Platz nehmendürfen.

Christiane Underberg ist so ganz anders als erwartet. Unkomplizierter, unkaprizi-öser. Weit entfernt von Standesdünkel, den sie angesichts all ihrer Wohltaten un-eingeschränkt einfordern könnte. Doch es ist nicht ihre Art, sich ausgiebig loben zu

lassen, für das was sie tut. Dafür hat sie im Übrigen auch keine Zeit, denn das nächste Projekt wartet meistens schon. „Ehrenamt ist kein Zweitberuf“, sagt sie. Was sie in ihre Hände nimmt, macht sie nicht, weil sie zuviel Freizeit hat, sondern weil sie es als Aufgabe betrachtet. Und offenbar kann sie auch an keinem ungelösten Problem einfach vorbeigehen. „Sicher habe ich auch etwas Missionarisch-es“ gibt sie schmunzelnd zu. „Ich will im Leben etwas gestalten, etwas zum Besseren verändern“, sagt Christiane Underberg. Untrennbar sind mit ihrem Handeln Ethik, Christentum, Werte und Verant-wortung verbunden. „Ich bekenne mich zu meinem christlichen Menschenbild“, sagt die Familienunternehmerin und möchte damit auch andere Firmenlenker ermuti-

gen, es ihr gleich zu tun. „Ich bin für Flagge zeigen“, erklärt sie ihre Motivation. Und: Aus dem Status einer erfolgreichen Unternehmerin heraus, kann sie es sich auch leisten. Vielleicht ist gerade das der

Grund, warum Christiane Underbergnie in die Politik gegangen ist. Perso-nalkarussell und Ränkespiele sind ihr zuwider. Nur kurz war sie Vorsitzende der CDU-Frauenvereinigung in Xanten: „Doch dann hab ich dem Bürgermeis-ter gesagt, ich weiß nicht, wofür wir hier eine Frauenvereinigung haben. Ich kenne kein Problem, das ohne die Männer gelöst werden könnte.“ Dieser Satz sagt viel über die Rastlose aus: Pragmatisch Handeln, nicht nur reden; die Dinge angehen, lösen

und dann weiter zum Nächsten. „Wenn ein Kind laufen kann, muss man es loslas-sen“, und so macht sie es auch mit ihren Projekten. Die Unternehmerin ruft sie ins Leben, bringt die Dinge zum Laufen und zieht sich wieder zurück, wenn es ohne sie weiter geht, anstatt in noch einem weit-eren Gremium herumzusitzen.

So schied sie auch aus dem „Rat für nach-haltige Entwicklung“ der Bundesregierung aus, dem sie wirklich gerne angehört hatte. Aber die Gesundheit machte nicht mit. Eine Krebserkrankung Ende 2008 raubte ihr die Kraft. „Ich war einfach die statistische Nummer acht“, verweist sie auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen jeder Achte in Deutschland an Krebs erkrankt. Und deswegen hadert sie auch nicht mit ihrem Schicksal oder Gott und beschäftigt sich auch nicht mit Ge-danken wie „Warum ausgerechnet ich?“. Eine Krankheit ist für sie etwas, das in den normalen, großen, gottgewollten biolo-gischen Kreislauf gehört.

Auch das kehrt immer wieder, wenn Chris-tiane Underberg erzählt. Alles ist Natur, alles ist immer Teil eines großen Ganzen: „Auch ein Unternehmen ist wie ein Or-ganismus, Hand, Fuß, Herz, jedes ein-zelne Glied ist wichtig an seinem Platz.“ Mit dieser Einstellung wird das Unterneh-men noch von ihr und ihrem Mann Emil geführt und nun an Tochter Hubertine weiter gereicht. „Familienunternehmer sind anders, die wollen etwas bewahren. Die geben ihren Job abends nicht an der

Christiane Underberg hat schon so viele ehrenamtliche Projekte initiiert, dass es für drei Lebenreicht. Gerade erst hat sie den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen erhalten. Sie ist Unternehmerin, Ehefrau, Mutter von vier Kindern – und jedes einzelne davon bewusst und in eigener Definition. In diesem Jahr wird eine unermüdliche Dame 70 Jahre jung. Birgit Kelle

Die KräuterfeePORTRAIT DER UNTERNEHMERIN CHRISTIANE UNDERBERG

»Sicher habe ich auch etwas Missionarisches an mir«

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Anzeige. WIRTSCHAFT. LichtweltenWIRTSCHAFT. Portrait

Garderobe ab“, so beschreibt Christiane Underberg ihre Philosophie. „Natürlich muss man als Unternehmer auch mal Mit-arbeiter entlassen, aber es kommt darauf an wie!“ Ob Frauen Unternehmen anders führen als Männer, will ich noch wissen. „Wenn sie denn Frauen sind, und nicht eines dieserandrogynen Wesen aus der Wirtschaft“, sagt sie. Frauen, da lässt sie keinen Zweifel aufkommen, müssten ihre angeborenen weiblichen Talente nutzen, gerade in der Führung von Menschen.

Und von Menschen versteht sie viel. Als gelernte Sozialarbeiterin kann sie andere Menschen gut einzuschätzen. „Man kommtda mit vielen Randgruppen in Berührung“, erinnert sie sich an ihre frühere Tätigkeit: Obdachlose, Arme, und Prostituierte. Sie

lernt verstehen, was es heißt, in echter Not zu leben. Das motiviert sie bis heute, auf vielfältige Art und Weise zu helfen.

In vielen Dingen war Christiane Under-berg Vorreiterin. Sie war eine Grüne, als es die Grünen noch gar nicht gab, engagiert sich für die Umweltstiftung WWF und setzt sich bis heute dort im Stiftungsrat für Nachhaltigkeit ein. Sie war eman-zipiert, als noch niemand Alice Schwarzer kannte, macht als eine der ersten Frauen in Deutschland 1958 einen Jagdschein – definiert Feminismus aber in ihrer eigenen, christlich-katholischen Weise. Auf die Frage, was sie denn nun als erster Stelle sei, Unternehmerin, Mutter oder Ehefrau ant-wortet sie mit herrlich unkonventionellen Sätzen, die heute jede Feministin schwind-eln lassen würde: „Meine erste Aufgabe ist

Christiane Underberg

Zur Person

Christiane Underberg, gebo-ren 1939 in Frankfurt/Oder, flüchtet als Kind mit ihrer Familie nach Dortmund. 1962 heiratet sie Emil Underberg, sie haben vier Kinder.Die gelernte Sozialarbeite-rin und Meisterin der Haus-wirtschaft führt mit Ehemann Emil und Tochter Hubertine in vierter bzw. fünfter Generation das Familienunternehmen.Sie ist Vorsitzende der Arbeits-gruppe „Jagdliche Ethik“ im CIC-International, im Pro-grammausschuss des WWF, Vorstandsmitglied im Förder-verein Kloster Mörmter e.V, Gründungsmitglied der Eu-ropäischen St. Norbert Stif-tung und in vielen weiteren Institutionen engagiert.Zahlreiche Preise wurden ihr verliehen, u.a. 1998 der Benediktspreis, 2000 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 2004 das Bundes-verdienstkreuz 1. Klasse und die Paulusplakette des Bis-tums Münster und zuletzt 2009 der Verdienstorden des Landes NRW.

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WIRTSCHAFT. Portrait

deln lassen würde: „Meine erste Aufgabe ist es, dass mein Mann im Lot ist“. Und sie sieht beileibe nicht unterdrückt dabei aus. Liebevoll spricht sie von ihrem Mann, ihrer Familie, den vier Kindern, den zwölf Enkelkindern, die ihr immer wichtigwaren. „Natürlich hatten wir Personal. Wenn man ein Unternehmen führt und reisen muss, geht es gar nicht anders. Aber die Erziehung meiner Kinder habe ich mir nie aus den Händen nehmen lassen“. Deswegen ist sie auch unzufrieden mit der aktuellen Familienpolitik von Ursula von der Leyen, die zu sehr auf staatliche Er-ziehungsangebote setze und Müttern und Vätern zu wenig Raum lasse.Unzählige Preise hat Christiane Underberg schon verliehen bekommen für ihre ehre-namtliche Arbeit, zuletzt den Verdienst-orden des Landes Nordrhein-Westfalen „Weil ich sie nicht rechtzeitig verhindern konnte“, wie sie sagt. Am meisten hat sie sich über die Ehrung mit der „Goldenen

Handwerkernadel“ gefreut, als Meisterin der Hauswirtschaft, einer ihrer zahlreichen Zweitberufe. Und sie singt ein Loblied auf den Handwerker an sich. Menschen, „die etwas durch ihre Hände gehen lassen“, so sagt sie, „sind eher im Gleichgewicht.“

Die aktuelle Wirtschaftskrise habe das Hause Underberg noch nicht voll erwischt,auch wenn schon spürbar sei, dass die Menschen weniger ausgehen. In gewisser Hinsicht, empfi ndet sie die Krise sogar als reinigend. „Wir hatten zuviel von Allem. Zu viel Geld, zu viele Artikel, zu viel Aus-wahl, zu viele Möglichkeiten“. Sie wün-sche sich ein neues, „genussvolles Mit-telmaß“ zwischen Überfl uss und Mangel. „Ich glaube, dass mit der Krise der Lebens-stil im Sinne der Nachhaltigkeit überdacht werden wird“. Sie liebt das Einfache, das Selbstgemachte. Ein bisschen klingt das wie „zurück zu den Wurzeln“, und so ist es wohl auch gemeint. Deswegen lässt sie bei Führungskräftetreff en dicken Linsenein-topf servieren – „und Sie glauben nicht, wie die reinhauen“ – und deswegen muss-ten ihre Kinder auch selbstverständlich die Kleidung der älteren Geschwister auftragen.

Eineinhalb Stunden dauert unser Ge-spräch, und wahrscheinlich würde ich auch heute noch in einem der beque-men Ohrensessel sitzen und einfach nur Geschichten aus einem faszinierendenLeben hören, wenn es nicht auch noch ge-schäftliche Verpfl ichtungen für ChristianeUnderberg gäbe. Zum Abschluss drücktsie mir herzlich die Hand und schenkt mir einige hochprozentige Produkte, der Firma Underberg. Erst da fällt mir wiederein, dass sie ja hauptsächlich Unterneh-merin ist…..

»Ich glaube, dass mit der Krise der Lebensstil im Sinne der Nach-haltigkeit überdacht werden wird«

Zum Unternehmen

Die semper idem Underberg AG wurde 1846 von Hubert Underberg I. und seiner Frau gegründet und befi ndet sich seither in Familienbesitz.

Bekannt geworden ist das Un-ternehmen mit dem gleich-namigen Magenbitter, gebraut nach einem Geheimrezept mit Kräutern aus 43 Ländern. Das aufwendige Herstellungsver-fahren nennt sich „semper idem“ – lateinisch für „immer das Gleiche“.

Die Underberg-Gruppe ist in-zwischen ein internationales Spirituosen-, Wein- und Sekt-haus, aufgegliedert in über 30 verschiedene Einzelgesell-schaften. Neben dem Magen-bitter gehören verschiedene Getränkemarken und Firmen zum Unternehmen Underberg. Dazu zählen unter anderem Asbach Uralt, Münchner Kindl, Schlumberger Sekt, Pitú und Unicum.

Das in Rheinberg angesiedelte Unternehmen wird heute in vi-erter bzw. fünfter Generation von Christiane und Emil Un-derberg, bzw. deren Tochter Dr. Hubertine Underberg-Ruder geleitet. Underberg erwirtschaftet mit den rund 1000 Mitarbeitern jährlich einen Umsatz von über 500 Millionen Euro.

Christiane Underberg und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bei der Verleihung des

Verdienstordens des Landes NRW

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Weltweit führend in der Disziplin der Mediatektur ist ag4. Von der Idee bis zur Installation und Bespielung ist die Kölner Firma auch bei der PSD Bank in Münster federführend. Die Bank integrierte ihre Fassade 2008 in ein Neubauprojekt am Hafen. Die Fassade lässt 80 Prozent des Tageslichts in die Büroräume durchschei-nen. Dank eines speziellen Programms bewegen sich die Panoramabilder im Takt mit dem DAX. Doch was soll das Ganze überhaupt? Ralf Müller, geschäftsführender Gesellschafter von ag4: „T-Mobile schafft damit Identi-fikation mit dem Unternehmen. Der Ort wird als Signet für Interviews genutzt, auch

das Rad-Team wurde vor dieser Kulisse vorgestellt. In Münster wollte die Bank der Stadt ein visuelles Geschenk machen. Es ist eine Geste an die Gegend. Außerdem setzt die Bank stark aufs Internet, insofern passt die elektronische Präsentation.“

Das neueste Projekt der ag4 ist die Ver-wirklichung der größten Medienfassade der Welt. Ab Spätsommer 2009 leuchtet an der ehemaligen Konzernzentrale der Bayer AG ein bis zu 40 Meter großes Fir-menlogo, ausgestattet mit 5,6 Millionen LEDs.Doch Medienfassaden sind kostspielig und nicht für ewig. Zum Baupreis kommen

Energiekosten hinzu, die durch Photovol-taik-Anlagen auf dem Dach indes reduzi-ert werden. Und nicht nur das, wie Ralf Müller weiß: „Alles wird mit intelligenter Software gesteuert. Nachts werden nur 13 Prozent der Energie gebraucht, und tags-über wird bei direkter Sonneneinstrahlung abgeschaltet. Die LEDs halten bei maxi-maler Leuchtintensität 70.000 Stunden. Die garantierte Laufzeit der Fassaden sind zehn Jahre, sie halten aber viel länger. Die Unternehmen wissen, dass alles einem steten Wandel unterliegt. Das Firmenlogo ist nur artifiziell. Mit dieser modernen Art des Branding kann auch auf Namensän-derungen reagiert werden.“

Es werde LichtMedienfassaden sind der Renner in der Architektur. Nicht nur am Times Square in New York erobern multimediale Bilderwelten die Häuserwände. Bestes Beispiel ist die 2003 entstandene transparente Medienfassade von T-Mobile in Bonn mit modernster Leuchtdiodentechnik (LED) auf 300 Quadratmetern. Stefan Kleefisch

WIRTSCHAFT. Design

Seit 2004 nutzt T-Mobile die Fassade für öffentliche Kommunikation

Die ehemalige Konzernzen-trale der Bayer AG wird zur

Medienfassade umgebaut

Die PSD-Bank-Fassade zeigt markante Orte von Münster. Die Bilder bewegen sich im Takt mit dem Dax.

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WIRTSCHAFT. IG Metall

Die historisch verbürgte erste Spekula-tionsblase mit ähnlichen Auswirkungen auf die Wirtschaftslage war die berühmte Tulpenzwiebelkrise im 17. Jahrhundert: Hier wurde in den Niederlanden mit Tul-penzwiebeln (!) spekuliert, die schließlich den vergleichbaren Preis eines heutigen Hauses kosteten. Die nächsten Jahrhun-derte brachten immer wieder Krisen his-torischen Ausmaßes hervor, die letztlich Folge von Gier und Herdentrieb waren: Gustave le Bon hat dazu treffend bemerkt, in der Masse akkumuliere sich nicht Mut-terwitz, sondern Dummheit.

Wie konnte es, trotz der enormen Fortschritte der Wirtschafts- und Finanz-wissenschaften, wieder so weit kommen?

Lassen sich neue Exzesse vermeiden ? Und: Was kann der Anleger heute tun?1952 veröffentlichte der 25-jährige Dok-torand und spätere Nobelpreisträger Harry Markowitz einen kleinen, zunächst kaum beachteten Aufsatz mit dem Titel „Portfolio Selection“. Er begründete darin mit einfachen mathematischen Mitteln, warum ein Kapitalanleger nicht alle Eier in einen Korb legen sollte. Seine Erkennt-nis: Kauft man außer einer vermeintlich „konservativen“ Einzelanlage (z.B. einer Versorgeraktie) noch einen „riskanteren“ Wert (z.B. einen Autohersteller), so kann man mehr Geld verdienen als mit der konservativen Aktie allein. Dies erscheint banal. Erstaunlich aber ist, dass das Ge-samt-Risiko des Depots unter dasjenige

des konservativen Papiers allein sinken kann! Voraussetzung dafür ist, dass die beiden Aktienkurse sich nicht stets in die gleiche Richtung bewegen. Deswei-teren wird unterstellt, dass die Kurse mit großer Wahrscheinlichkeit wenig schwan-ken; mithin sollten Börsencrashes und -euphorien relativ unwahrscheinlich sein. Und – last but not least – geht die darauf aufgebaute Theorie vom Menschenbild des „homo oeconomicus“ aus. Die Fach-welt, die diesen Ansatz in der Breite über-nahm, war folglich fortan bestrebt, dem „rationalen Investor“ die „Diversifikation“ seiner Gelder in „gering korrelierende“ „Assets“ zu empfehlen. Deren erwartete Renditen wären als „normal verteilt“ ein-zuschätzen.

DIE ENTZAUBERUNG EINES NOBELPREISTRÄGERS:

Geld anlegen in der Krise2008 war – gemessen am amerikanischen Aktienindex S&P 500 – das zweitschlechteste Börsen-jahr seit 1886. Die Finanzkrise wirkte sich auf alle Börsen des Globus gleichermaßen aus: Aktien wie Rohstoffe und Immobilien stürzten weltweit mehr oder weniger steil ab. Und wie schon 1929, so sorgte auch dieses Mal das Platzen spekulativer Blasen auf den Immobilien- und Finanzmärk-ten für eine Konjunkturkrise selten erlebten Ausmaßes. Dr. Martin Stockhausen

Der AutorDr. Martin Stockhausen (50) ist einer der Geschäftsführer des bankenunabhängigen Vermögensverwal-ters SMS & Cie. Vemögensmanagement GmbH, Köln. Vorher war er als leitender Angestellter Anlageberat-er im Bereich Private Wealth Management einer deutschen Großbank. Seit vielen Jahren bildet er als Dozentder Frankfurt School of Finance and Management angehende Bankbetriebswirte im Fach „Portfolio-Management“ weiter.

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Anleger wie Berater waren sich sicher, dass bei „gut gestreuten“ Vermögen „nichts anbrennen“ werde, da ja Verluste einer Vermögensklasse in aller Regel durch entsprechende Erträge anderer Depot-teile ausgeglichen würden – wenn nicht sofort, so doch „mittel- bis langfristig“.

Alle Beteiligten haben übersehen, dass Harry Markowitz und seine Apologeten sich in einem Modell bewegen. Ein Mod-ell aber ist bekanntlich nur ein verklein-ertes Abbild der Realität, vergleichbar einer Landkarte. Man sollte ein Modell tunlichst nicht mit der Realität selbst verwechseln. Stellen sich die Annahmen als unrealistisch heraus, sind es die Ergebnisse ebenfalls. Angenommen, die Renditen der Kapitalmärkte (verstanden als Preisbewegung-en zuzüglich Ausschüttungen) würden sich im Zeitverlauf tatsächlich in Form der Gaußschen Glockenkurve bewegen, wäre die Finanzkrise mit den stärksten Börseneinbrüchen seit 1931 in der Tat ausgeschlossen.

Offensichtlich gab es aber in den wenigen Jahren seit 1987 bereits mehrere hand-feste Börsenkrisen. Hinzu kommt, dass der Mensch keineswegs rational agiert. Vielmehr hat die Behavioral Finance, ein Wissenschaftszweig, der simultan Erkennt-nisse der Ökonomie und der Psycholo-gie nutzbar machen will, dies zweifels-frei widerlegt. Gier und Angst treiben die Mehrheit des Publikums; Phäno-mene, wie beispielsweise ausgeprägter Herdentrieb, führen zu irrationalem Über-schwang – oder dem genauen Gegenteil.

Der Schutz durch gute Streuung des Ver-mögens versagt mithin genau dann, wenn er wirken soll.

Leider sind wir nicht in der Lage, den Anfang einer Krise oder Ansteckung-serscheinungen zu prognostizieren. Der amerikanische Wissenschaftler Taleb weist darauf hin, dass wir umso weniger die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ab-schätzen könnten, je seltener es auftrete. Wohl aber könnten und sollten wir die Auswirkungen einer Krise auf unser Ver-mögen abschätzen lernen.

Was folgt daraus für den krisengebeutelten Anleger? Es mag überraschend klingen, aber auch künftig ist sinnvolle Streuung eines Vermögens unverzichtbar. Allerdings reicht dies nicht aus. Vielmehr gehört an-gesichts der desaströsen Erfahrungen der vergangenen Monate und Jahrhunderte unbedingt ein striktes Risikomanagement zu jeder Strategie. Anleger und Vermö-gensverwalter haben die Risikotoleranz des Investors herauszufinden. Der Anleger – und nur dieser – hat zu entscheiden, welche Beträge keinesfalls bei der näch-sten Krise gefährdet werden dürfen. Der Vermögensverwalter sollte seinem Kunden hierbei als Sparringspartner dienen. Er hat im wohlverstandenen Interesse seines Gegenübers zu beraten, und nur dafür sollte er auch entsprechend hono-riert werden.

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Gier und Angst treiben die Mehrheit des Publikums

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Herr Neuf, viele Menschen haben in der derzeitigen Krise Angst um ihr Vermögen, Experten sagen für die kommenden Jahre eine deutliche Inflation voraus. Belebt das Ihr Geschäft?Absolut, die Nachfrage nach Goldanla-gen ist stark angestiegen. Von den sechs Billionen Euro, die an Spareinlagen in Banken und Sparkassen liegen, wurden bisher lediglich 1,7 Prozent in Edelme-talle angelegt. Die Zahl der Anleger, die das gemacht haben, lag sogar unter einem Prozent. Nun ist spürbar, dass insbesondere kleine Anleger ihr Vermögen umschichten zu mehr Edelmetallen. Der Trend zur Um-schichtung bzw. die Angst vor Geldverlust oder Geldentwertung ist besonders in Ost-europa groß. Dort verzeichnen wir zur Zeit den größten Umsatz. In den letzten zwölf Monaten hatten wir insgesamt eine Umsatzsteigerung von 500 Prozent.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Zentralbanken in eine Situation kommen

könnten, in der sie gezwungen sind, Gold im großen Stil zu verkaufen, um liquide zu bleiben? Immerhin besitzen diese Banken rund ein Fünftel des weltweiten Goldbe-standes. Ein massiver Verkauf würde den Wert des Goldes nach unten drücken…Das hatten wir zwischen 1980 und 2000 schon einmal, aber das wird nach meiner Einschätzung so nicht wieder passieren. Im Gegenteil, viele Staaten und Notenbanken kaufen derzeit wieder Gold hinzu. Nehmen Sie das Beispiel der Schweiz. Als das Land 1998 dem Internationalen Währungsfond beitrat, wurden im Anschluss etwa 50 Prozent der Goldvorräte verkauft. Heute gibt es in der Schweiz erheblichen Druck, auch aus der Bevölkerung, die Goldreser-ven wieder aufzustocken.

Steht uns, Ihrer Meinung nach, ein Crash bevor?Ich denke, er hat bereits begonnen. Die Triade Börsencrash, Bankencrash, Real-crash lässt sich kaum aufhalten – das eine

ist unweigerlich mit dem anderen verbun-den, was ich auch in meinem Buch „Bank weg! Haus weg! Geld weg!“ beschrieben habe. Wenn die Wirtschaft zusammen-bricht, Unternehmen und Arbeitsplätze bedroht sind, geht nichts über die eigene Vorsorge. Auf politische Entscheidungen sollte man dann nicht mehr warten, es könnte bereits zu spät sein.

Was muss ein Anleger wissen, der mit Gold noch keine Erfahrung hat, sich aber dafür interessiert?Das Wichtigste ist, dass er sich klar macht, dass Gold in Bezug auf eine Wertsteigerung nicht voraussehbar ist. Gold und Sil-ber sind eine inflationsgeschützte und Kaufkraft-sichernde Währung. Jemand, der bisher mit Aktien spekuliert, weil er auf schnelle Wertsteigerungen hofft, ist bei Edelmetallen falsch. Man kauft Gold, um sich vor Krisen – wie etwa einer Hy-perinflation, einer Währungsreform oder weltweiten Finanzkrise – zu schützen.

Was empfehlen Sie Anlegern, wie sie ihr Vermögen sinnvoll aufteilen sollen?Mein Rat ist, dass ein Anleger etwa 25 Prozent seines Vermögens in Edelmetalle investieren sollte. Und er sollte Geld in Sachwerte stecken und nicht in Geldwerte. Ich glaube persönlich, dass eine viel um-fangreichere Finanzkrise erst in sechs bis zehn Jahren kommen wird. Dann müssen die Anleger raus aus den Geldwerten sein.

Worauf begründet sich Ihre Einschätzung?Schauen Sie sich in Osteuropa um! In Un-garn, Rumänien, Serbien und der Ukraine droht eine Hyperinflation. Die Ukraine stand doch vor Kurzem schon vor dem

INTERVIEW MIT GEORG NEUF, PRÄSIDENT VON IQ INVEST

»Die Anleger müssen raus aus den Geldwerten«

Viele Anleger suchen in der Krise nach Alternativen, ihr Vermögen zu sichern. NRW.jetzt sprach mit dem Buchautor und Anlageexperten Georg Neuf über die Flucht ins Gold.

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WIRTSCHAFT. Interview

Staatsbankrott und konnte nur durch eine Soforthilfe von 6,5 Milliarden Euro durch die Europäische Union vor dem Staats-bankrott bewahrt werden. Und wenn es in Serbien innerhalb von 35 Jahren zum vier-ten Mal zu einer Hyperinflation kommt, verlieren die Leute dort wieder ihr ganzes Vermögen. Wir sind das erste Unterneh-men, das in Osteuropa in nennenswertem Umfang Edelmetalle verkauft und haben für unser Investitionskonzept in Gold und Silber zum Teil auch dort eine Genehmi-gung erhalten, wo es bislang nicht möglich war.

Aber Serbien und Rumänien sind nicht Deutschland und Frankreich…Richtig, hier wird die nächste große Krise erst später kommen als in Osteuropa, aber glauben Sie mir: Die EU hat irgendwann nicht mehr die Kapazitäten alle finanziell angeschlagenen Staaten zu stabilisieren. Bereits nach fünf Jahren haben die Euro-Gründungsnationen Deutschland und

Frankreich die Stabilitätskriterien erstmals selbst verletzt. Es könnte eine Zeit kom-men, in der man von einem deutschen, französischen oder griechischen Euro spricht…. Auf den neuen Euro-Banknoten von der Banque Centrale du Luxembourg hat man in gewisser Weise schon vorge-sorgt. Neben der elfstelligen Seriennum-mer befindet sich nun auch ein Buchstabe als Ländercode. Eine Kennzeichnung, die im Falle eines Auseinanderbrechens des europäischen Währungssystems recht hilf-reich sein kann. Oder schauen Sie in die USA! Dort wird jetzt eine Milliarde neuer Dollars gedruckt und in Umlauf gebracht. Und das, ob-wohl der Dollar als Leitwährung der Welt höchst gefährdet ist.

Das Problem der Scheinblüte ist ein welt-weites. Viele Menschen haben die Geld-schwemme in den Neunziger Jahren für echten Wohlstand gehalten und dabei übersehen, dass sich das Geldvolumen in

den letzten 30 Jahren um das Vierzigfache erhöht hat, das Volumen der Güterproduk-tion jedoch nur um das Vierfache. D.h. die Finanzwelt hat sich deutlich von der Welt der realen Güter getrennt. Eine Korrektur diese Fehlentwicklung ist deshalb früher oder später die logische Folge.

Sie handeln mit Gold-Dinar Münzen, die in den vereinigten Arabischen Emiraten geprägt werden. Warum setzen Sie nicht direkt auf den südafrikanischen Krüger-rand oder eine andere als Zahlungsmittel eingeführte Goldwährung?Der Dinar und der Dirham werden seit 1993 wieder geprägt, mit dem Ziel, diese Medaillen wieder weltweit zur Anerken-nung kommen zu lassen. Dazu muss eine Notenbank nur Ja sagen. Für die Anleger ist das sehr gut, denn wenn der Dinar Zahlungsmittel wird, kommt ja noch der Sammlerwert hinzu, und das bedeu-tet wahrscheinlich eine erhebliche Wert-steigerung für die Anleger.

Georg Neuf

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Frau Dr. Gommolla, Maritim stand immer für Tagungen und Kongresse, in den letz-ten Jahren verstärkt auch für Urlaub. Was ist eigentlich Ihre Philosophie, was macht die Maritim-Hotels aus?Die Maritim-Hotels unterscheiden sich maßgeblich dadurch von anderen, dass wir große Kongresskapazitäten in unseren Häusern anbieten – und das in zwei-facher Form. Einmal, wenn wir selber unsere Hotels bauen, in der Weise, dass wir die Kongresszentren in unsere Hotels integrieren. Oder andererseits, dass wir mit Städten zusammenarbeiten, die ein städtisches Kongresszentrum planen, aber nicht wissen, wie es zu vermarkten und zu betreiben ist. In diesem Fall werden die städtischen Kongresszentren an uns angeschlossen und durch uns geführt. Wir bieten im gehobenen Vier-Sterne-Plus-Segment wie keine andere Hotelge-sellschaft große Kongresskapazitäten an. Das sind teilweise enorme Investitionen. Die meisten Mitbewerber scheuen sich, so viel Geld in die Hand zu nehmen. Auf der anderen Seite haben wir dadurch ein Alleinstellungsmerkmal und die Vermark-tung ist ganz anders: Wir akquirieren einen Kongress und haben unser Hotel dann eben drei Tage komplett ausgelastet.

Das erste Maritim-Hotel wurde vor 40 Jahren in Timmendorf gebaut. Warum gerade dort?Mein Vater war im Maschinenbau tätig. Nach dem Krieg hat er die Spanplatte mit

erfunden, war dann Mitgesellschafter der weltweit führenden Firma, die Holzbear-beitungsmaschinen für Spanplatten baute, und hat sein Geld, nachdem er nach Bad Salzuflen zog, in den Wohnungsbau hier in der Region investiert. Dabei kam er mit Architekten zusammen und ist dann, weil er das spannend fand, als Kaufmann in ein Architekturbüro eingestiegen. Mit diesem Architekturbüro fing man im Bauträgergeschäft an und gründete eine Baufirma, Innenaus-baufirmen und alles, was eben so nötig ist für den Bau von Wohnungen, Schulen, Hospitälern, etc. Als der größte Bedarf weitgehend gedeckt war, mussten die Mitarbeiter weiter beschäftigt werden. So kam mein Vater, der im Maschinenbau auf der ganzen Welt unterwegs war und dann immer in Hotels übernachtete auf die Idee, ein eigenes Hotel zu bauen.Er hat dann in Timmendorf einen geeigneten Standort gefunden und das Hotel mit dem eigenen Architekturbüro geplant und gebaut. Es sollte nur eins werden. Es wurden dann aber doch mehr…… im Augenblick entsteht gerade das 50. Maritim Hotel weltweit….…eben weil es dieses Segment Luxus-hotellerie außerhalb der norddeutschen Großstädte nach dem Krieg gar nicht gab. Die Hotels und Pensionen in Tim-

mendorf waren im Winter geschlossen, wir waren das erste Hotel, das auch im Winter geöffnet hatte, weil wir eben auch im Herbst und im Frühjahr große Tagungen bekamen. Und weil das so viel Aufsehen erregte, dieses Konzept von Tagen und Wohnen unter einem Dach, sind dann ganz schnell andere Städte auf uns zugekommen und haben uns Grund-stücke angeboten.

Sie bauen derzeit in Peking ein großes Kongresshotel, ein weiteres ist in Shanghai geplant. Ist der deutsche Markt demnach gesättigt?Es hängt jedenfalls nicht mit der Wirtschaftslage zusammen, sondern damit, dass wir tatsächlich mit unseren Hotels in Deutschland flächendeckend vertreten sind. Viel mehr Häuser würden wir auch in Deutschland nicht führen wollen, weil wir uns damit selber kanni-balisieren. Also muss ich ins Ausland. Wir haben in den letzten Jahren erhebliche Neuprojekte hinzubekommen. Wir sind mit vier Hotels in Ägypten vertreten, mit drei Häusern in der Türkei und schon seit vielen Jahren in Mauritius, in Malta, in Spanien etc.. Und im Moment sind wir schwerpunktmäßig in China unterwegs.

Vor 40 Jahren wurde das erste Maritim-Hotel gebaut. Inzwischen ist Maritim eine Erfolgsge-schichte, die derzeit in China fortgesetzt wird. Zum Firmenjubiläum sprach Hotelchefin Dr. Monika Gommolla mit NRW.jetzt über ihr Unternehmen, ihre Philosophie und, was überaus selten ist, auch über sich.

»Eigentlich sollte es nur ein Hotel werden…«

INTERVIEW MIT MARITIM-CHEFIN DR. MONIKA GOMMOLLA

»Wir waren das erste Hotel, das auch im Winter geöffnet hatte.«

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WIRTSCHAFT. Interview

Und dort werden Sie ihrem Ruf gerecht, sich um jedes Detail selbst zu kümmern?Ja, natürlich. Aber man muss sich auch mit dem Eigentümer abstimmen, was teilweise sehr hilfreich ist, denn wir wis-sen nicht immer, welche Behörden man ansprechen muss, damit man etwaige Sondergenehmigungen bekommt, das können die Partner vor Ort viel besser.

Aber es fällt auf, dass Europa in Ihren Planungen derzeit nicht stattfindet…

Nein keineswegs, ich suche auch in Europa. Das Schwierige ist nur, ein innerstädtisches Grundstück in einer Großstadt zu finden, das groß genug ist, um ein Hotel mit einem Kongresszen-trum darauf zu bauen. Wir haben das Problem, dass wir nicht nur in die Höhe bauen können. Andere Hoteliers, die nur Zimmer anbieten, können natürlich einen schlanken Hochhausturm nehmen und sind damit hochzufrieden. Wenn wir einen Saal von 3.000 Quadratmetern Grundfläche bauen, der stützenfrei ist,

dann kann man natürlich aus statischen Gründen nicht darüber in die Höhe bauen. Es ist deshalb sehr mühsam, in Paris, Budapest oder Wien geeignete Grundstücke zu finden.

Sie machen mit Maritim deutlich über 400 Millionen Euro Jahresumsatz und haben 49 Hotels – gibt es einen Masterplan, wohin die Reise noch gehen soll? Wenn ich Ihnen erzähle, dass ich hier in Deutschland bei den Projekten zwischen acht und 14 Jahre brauche, bis ich einen

Dr. Monika Gommolla

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Standort identifiziert, das richtigeGrundstück gefunden und das Hotel gebaut habe, dann können Sie sich vorstellen, dass das nicht immer so im Sekundentakt planbar ist. Wir sind in vielen Ecken auf der Welt unterwegs, und natürlich ist es wünschenswert, wenn wir wachsen. In China wollen wir jetzt relativ schnell wachsen, weil China ein so großer Markt ist. Da macht es Sinn, sehr schnell mehrere Hotels anzubieten, um erst einmal die Marke Maritim bekannt zu machen. Und das scheint uns auch zu gelingen. Den Vertrag für Shanghai haben wir unterschrieben, das Hotel wird bereits im Frühjahr eröffnet. Wir sind aber in anderen Standorten in China auch unterwegs und hoffen, dass wir in einigen Wochen noch weitere Verträge unterschreiben können.

Ist das beschauliche Bad Salzuflen eigent-lich der richtige Sitz für ein global aktives Unternehmen dieser Größe? Wären da

nicht Metropolen wie Berlin, München oder Düsseldorf bessere Standorte?Ja, das wäre auch schön. Ich würde dann wohl München bevorzugen. Einige Mitarbeiter würden auch mitgehen, aber man muss wissen: Wir sind ein Unterneh-men, das hier gewachsen ist. Einige unserer Mitarbeiter sind 30 oder 40 Jahre bei uns. Wenn wir umziehen, dann würden wir mindestens die Hälfte des Know-Hows verlieren. Und das kann ich meinem Unternehmen nicht antun, da bin ich vorsichtig. Jeder einzelne Mitar-beiter hier hat so viel Wissen angesam-melt, das macht die Zusammenarbeit sehr komplikationslos. Hier brauchen wir keine großen Meetings, weil jeder genau weiß, wo die Schnittstellen sind, oder wann er jemanden informieren muss. Und es kommt noch etwas Zweites hinzu. In Zeiten, in denen man mit e-Mail, Handy etc. auf der ganzen Welt erreich-bar ist, ist es völlig egal, wo man sitzt und arbeitet.

Uns fällt auf, dass Ihre Preispolitik sehr moderat ist, viele Businesshotels liegen preislich viel höher. Welche Rolle spielt jetzt in der Wirtschaftskrise die Preispoli-tik? Würden die Leute bei zehn Euro mehr nicht auch noch zu Ihnen kommen? Das glaube ich nicht. In Zeiten der Krise geht es leider immer auch um den Preis. Wobei man sagen muss: Wir sind Dienstleister, und wenn man vergleicht, was man für einen Klempner bezahlt, der die Anreise schon mal berechnet und dann für fünf Euro eine neue Schraube einsetzt, dann müssen wir unseren Gästen auch klar machen, dass wir auch nicht billiger sein können als jeder Andere. Wir zahlen unseren Mitarbeitern ordentliche Löhne. Ich denke, dass wir mit mode-raten Preisen auch schlechte Zeiten gut überstehen. Es ist erwiesen – ich bin ja auch in den Gremien von Hotelverbän-den aktiv – dass die Fünf-Sterne-Hotels als erstes in so einer Krise leiden. Viele Firmen, die Tausende von Mitarbeitern abbauen müssen, können es sich gar nicht leisten, dass ihre Führungskräfte jetzt noch im Fünf-Sterne-Hotel absteigen. Die Pharmaindustrie hat seit mehreren Jahren einen Kodex, der besagt, dass man nur in Ausnahmefällen in Fünf-Sterne-Hotels tagen darf. In Berlin habe ich von Fünf-Sterne-Hotels gehört, die ihren fünften Stern wieder zurück gegeben ha-ben, damit sie wieder buchbar für Firmen werden, die ihren Mitarbeitern verboten haben, Fünf-Sterne-Hotels zu buchen.

Sie haben ein neues Konzept entwickelt bei Maritim, die sogenannten Patientenho-tels. Was ist denn das?

Richtfest für das erste Maritim Hotel

Das erste Maritim Hotel entstand 1969 in Timmendorf

WIRTSCHAFT. Interview

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Eine ganz neue Idee, die hoffentlich demnächst auch in die Umsetzung geht. Es ist kein normales Hotel, sondern ein Hotel für Patienten eines Klinikums. Klinikum und Gesundheitswesen müssen heute mehr auf die Kosten achten. Es hat sich herausgestellt, dass man allein für die Verpflegung und Reinigung des Zimmers ca. 170 bis 190 Euro braucht. Also das, was wir typischerweise als Hotel auch machen – wir können es aber wesentlich günstiger. Weil wir eben nicht hochquali-fizierte Krankenschwestern das Essen bringen lassen, sondern durch Serviceper-sonal aus der Gastronomie und Hotelle-rie. Und so ist der Gedanke entstanden, dass die Kliniken entlastet werden, wenn sie sogenannte Low Care-Patienten kurz vor der Entlassung die letzten Tage in ein Hotel verlegen, das sich auf dem Klinik-gelände befindet, sodass die Patienten unter ärztlicher Aufsicht bleiben.

Sie sind Volljuristin, war das für Sieselbstverständlich, dass Sie irgend-wann in die Fußstapfen Ihres Vaters als Hotelchefin treten? Oder hatten Sie ganz andere Pläne? Also ich hab mir die Freiheit gelassen, zu studieren und zu lernen, was ich wollte. Meine Eltern haben mich darin auch bestärkt, meinen Lebensweg selber zu finden. Ich habe Jura studiert, weil man mit dieser Ausbildung später eine breite Auswahl an Möglichkeiten hat. Ich bin auch an der Universität geblieben und habe dort promoviert. Aber dann ergab es sich, dass der letzte Mitgesellschafter meines Vaters aus dem Unternehmen aussteigen wollte und da haben meine Schwester und ich entschieden, dass wir seine Anteile aufkaufen, sodass es ab dann ein reines Familienunternehmen war, unser eigenes Unternehmen. Ich fand es interessant, im eigenen Unterneh-men zu arbeiten und die Hotelwelt von innen heraus kennenzulernen. Heute stellt sich mir nicht mehr die Frage nach einer Alternative: Meine Arbeit macht mir Spaß!

Sie sind seit zwölf Jahren Aufsichtsrats-vorsitzende und seit 1986 in leitender Funktion im Unternehmen.

Was ist heute Ihre Motivation? Geht’s ums Geld verdienen, geht’s um den Wettbe-werb, geht’s darum, vorn zu sein oder einfach nur um Pflichtbewusstsein?Pflichtbewusstsein wäre wohl ein bisschen wenig, wenn man so viel Zeit opfert wie ich. Da muss es ein bisschen mehr sein. Man muss motivieren und versuchen, die Mitarbeiter mitzuziehen und auch Ver-ständnis für Entscheidungen zu wecken. Auf der anderen Seite ist es einfach ein tolles Arbeitsumfeld, das ich mir eigent-lich nicht schöner vorstellen kann. Ich hätte ja auch eine Schraubenfabrik erben können. Dann hätte ich es mit rechts- und linksdrehenden Schrauben zu tun. Das wäre vielleicht auch prickelnd, man kann damit auch Geld verdienen, aber da ist doch unsere Branche viel interessanter. Wir bewegen uns ständig in Luxushotels, die an den schönsten Standorten auf der ganzen Welt stehen. Ich muss demnächst wieder nach Mauritius. Viele würden gerne mitkommen. Oder ich muss mal

schnell für 14 Tage nach China. Da reise ich durch Städte, deren Namen ich noch nie gehört habe, um mir neue Standorte anzuschauen. Es sind interes-sante Zielorte, an denen viele Leute gerne mal Urlaub machen würden. Man hat immer gutes Essen und Trinken, man hat interessante Gesprächspartner, trifft auf unterschiedlichste Kulturen, wenn man unterwegs ist. So ein schönes Arbeitsum-feld wie in der Hotellerie gibt es nirgend-wo anders. Und dann kommt natürlich auch der Austausch mit den Mitarbeitern, die hoffentlich motiviert sind, wenn ich ab und an mal in unsere Hotels komme.

…auch mal überraschend oder immer mit vorheriger Ankündigung? … manchmal auch überraschend. Unerkannt kann ich mich leider nicht be-wegen, da bin ich dann doch zu bekannt. Aber ich denke, dass viele Mitarbeiter sich auch freuen, mich mal persönlich kennenzulernen. Ich versuche auch

»Ich hätte ja auch eine Schraubenfabrik erben können«

Eingangsbereich des Maritim Art-Hotels in Berlin.

WIRTSCHAFT. Interview

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immer zu vermitteln, dass ich genauso wie jeder andere Mitarbeiter vor Ort hart arbeite. Nur wenn jeder sein Bestes gibt, werden wir gute Ergebnisse erzielen und unsere Gäste zufrieden stellen.

Man sagt Ihnen nach, dass Sie sehr sparsam sind und dass Sie sich ab und zu selbst um kleinste Details kümmern – bis hin zum Auswählen der Teppiche für alle Ihre Hotels.Nicht nur ab und zu, ständig, ja. Zu

unserem Konzern gehört bis heute dieses Architekturbüro, das unsere Hotels plant und baut, wie z.B. unser neuestes Haus in Düsseldorf. Und natürlich ist das Konzept, wie wir das Hotel planen vom ersten Pinselstrich an mit mir und der Geschäftsführung abgestimmt.

Haben Sie überhaupt noch Freizeit oder leben Sie nur fürs Hotelgeschäft?Ein bisschen freie Zeit gibt es noch. Aber Sie müssen sich vorstellen, die Reisen, die

ich unternehme, finden natürlich speziell am Wochenende statt, damit ich hier im Büro nicht viel fehle. Und gerade wenn man in den Nahen Osten fliegt oder nach China, dann braucht man die Wochenen-den schon noch dazu, um wenigstens ein paar Tage vor Ort sein und sich alle Dinge anschauen zu können oder Partner zu treffen. Also, die Wochenenden sind sehr begrenzt, an denen ich privat Zeit habe. Ich gehe gern mal in eine Oper oder ein Konzert. Ich wandere auch

Ein Bild wie aus 1001 Nacht: Das Maritim-Hotel „Galatzo” auf Mallorca.

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WIRTSCHAFT. Interview

manchmal mit Freunden wenige Tage im Jahr in den Alpen. Golf spiele ich auch gern auf dem Maritim-eigenen Golfplatz in Warnsdorf an der Ostsee – nur leider viel zu wenig.

Gibt es irgendwo auf der Welt ein entle-genes Fleckchen, wo Sie sagen, da werde ich irgendwann ein Hotel bauen?Dazu bin ich zu realistisch. Hotels zu bauen und erfolgreich zu betreiben, ist harte Arbeit. Wir suchen uns schon die

Standorte aus, von denen wir denken, dass wir Geld verdienen können. Trotz-dem kann sich die Wirtschaftlichkeit eines Standortes im Verlauf der Zeit ändern, wie unser Haus in Gelsenkirchen zeigt. Zu Boomzeiten errichtet, kam dann der Umbruch im Ruhrgebiet, und das Hotel hat dann natürlich auch gelitten. Jetzt läuft es seit vielen Jahren wieder gut. Was ich sagen will: Man muss bei einer Immobilie sowieso schon immer relativ vorsichtig sein, weil man langfristig den-

ken muss und Einflüssen ausgesetzt ist, die man nicht immer in der Hand hat.

Glauben Sie, dass Frauen für die Hotel-lerie besondere Fähigkeiten haben, weil sie quasi die geborenen Gastgeberinnen sind? Nein, eigentlich nicht. Eine Gastgeber-rolle zu spielen und zu verinnerlichen, das ist einfach eine Philosophie in der Hotellerie, die bei Männern und Frauen gleich ist.

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WIEDER SCHWARZE ZAHLEN Köln. Der Axa-Konzern schreibt wieder schwarze Zah-len. Europas zweitgrößter

Versicherer verdiente im ersten Halbjahr diesen Jahres 1,3 Milliarden Euro. Das waren zwar rund 40 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Doch im Vergleich zum Milliardenverlust im zweiten Halb-jahr 2008 ist ein deutlicher Aufwärtstrend feststellbar.

SCHWACHE CHEMIESPARTE Monheim. Die welt-weite Krise hat Bayer

im zweiten Quartal einen Rückgang beim Umsatz und Ergebnis beschert. Vor allem wegen der Chemiesparte MaterialScience verringerte sich das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen im Vergleich zu 2008 um 6,9 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro. Der Umsatz sank um 5,9 Prozent auf acht Milliarden, das Konzernergebnis um 7,3 Prozent auf 532 Millionen Euro.

RECHTE FÜR 8.000 SONGSGütersloh. Das Joint Venture

zwischen dem Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts und Bertelsmann trägt Früchte. KKR und Europas größter Medien-konzern haben einen 8.000 Lieder umfas-senden Musikrechte-Katalog von der ame-rikanischen Investmentfirma Cargill Inc. erworben. Dazu gehören Songs von Ricky Martin und Britney Spears. Die Rechte sind 100 Millionen Dollar wert.

TRENNUNG VON TOCHTERDüsseldorf. Der Energie-konzern E.ON hat seine

Tochter Thüga für 2,9 Milliarden Euro an ein Bündnis aus rund 50 Stadtwerken un-ter anderem aus Hannover, Frankfurt und Nürnberg sowie an eine Gruppe um den Freiburger Versorger Badenova verkauft. Lediglich fünf Thüga-Beteiligungen, da-runter die Berliner Gasag, waren nicht Bestandteil der Transaktion. Sie sollen auf E.ON Ruhrgas übertragen werden.

MASSIVER GEWINNEINBRUCHEssen. Bei Evonik ist im ersten Halb-

jahr der Konzerngewinn gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 92 Prozent auf 43 Millionen Euro eingebrochen. Der Um-satz sank um 21 Prozent auf 6,28 Milli-arden Euro. 2008 hatte der Konzern noch einen Gewinn von 285 Millionen Euro bei einem Umsatz von 15,87 Milliarden Euro erwirtschaftet.

MEISTER KOMMT VON CELESIODuisburg. Stefan Meister, bislang Per-

sonalvorstand und stellvertretender Ar-beitsdirektor der Celesio AG, tritt zum 1. Januar 2010 in den Vorstand der Franz Haniel & Cie. GmbH ein. Bei Haniel wird Meister für den Personalbereich sowie die Unternehmensbeteiligungen CWS-boco und ELG verantwortlich sein. Haniel ist mit 55,81 Prozent an Celesio beteiligt.

TÜFTLER PAUL RIEGEL IST TOTBonn. Eine Süßwaren-Legende ist tot: Paul

Riegel, Miteigentümer des Gummibär-chen-Konzerns Haribo, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Viele Produkte gehen auf seinen Erfindergeist zurück. Riegel galt als der Tüftler im Familienunternehmen, war für Produktion und Technik zuständig. Zu seinen Erfindungen gehört unter anderem eine Lakritzschnecken-Wickelmaschine.

AUSSICHTEN VERBESSERTDüsseldorf. Die Aussich-ten des Konsumgüterher-stellers Henkel haben sich

im zweiten Quartal dank starker Marken wie Persil oder Pril leicht verbessert. Keine Entwarnung gab es für die krisengebeutel-te Klebstoffsparte Adhesive Technologies. Der Konzernumsatz ging gegenüber dem gleichen Vorjahresquartal um fünf Prozent auf 3,5 Milliarden Euro zurück. Das ope-rative Ergebnis (Ebit) lag mit 279 Millio-nen Euro über dem Vorjahreswert von 113 Millionen Euro.

WACHSTUM DURCH ZUKÄUFEKöln. Die Lufthansa ist dank der mehrheit-

lichen Übernahme von British Midland auf einen kräftigen Wachstumskurs zu-rückgekehrt. Im Juli wurden konzernweit 7,2 Millionen Passagiere gezählt, das sind 12,1 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die größte deutsche Fluggesellschaft hatte ih-ren Anteil an British Midland von rund 30 schrittweise auf 80 Prozent erhöht.

KONSUMSCHWÄCHE SPÜRBAR Düsseldorf. Der Handelskonzern ME-

TRO hat im zweiten Quartal die Kon-sumschwäche und den Währungsverfall in Osteuropa zu spüren bekommen. Der Konzernumsatz sank um 3,8 Prozent auf 15,338 Milliarden Euro. In Deutschland hielt sich der Umsatz einigermaßen stabil. Zugute kam dem Konzern das Osterge-schäft, das in das zweite Quartal fiel. Das um Sondereffekte bereinigte EBIT sank von 327 auf 307 Millionen Euro.

OSTEUROPA IST DIE ZUKUNFTLünen. Der Entsor-gungskonzern will

sich zunehmend in Osteuropa engagieren. In der südukrainischen Stadt Saporoshje hat Remondis eine zwei Millionen Euro teure Sortieranlage in Betrieb genommen. Remondis hatte im vergangenen Jahr ei-nen Gesamtumsatz von 5,6 Milliarden Euro erzielt. Das Unternehmen sieht in der Ukraine und in Russland die Wachs-tumsmärkte der Zukunft.

FEINKOSTMÄRKTE ERHALTENKöln. Der Rewe-Kon-zern will seinen Teil zur

Rettung der insolventen Karstadt-Häuser beitragen. Rewe betreibt in 50 Filialen die Perfetto-Feinkostmärkte und will den dauerhaften Fortbestand dieser sichern. Die Märkte sind ein Joint Venture von Karstadt (75 Prozent) und Rewe (25 Pro-zent). Sie erwirtschaften einen Jahresum-satz von 350 Millionen Euro.

aus den Unternehmen

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WIRTSCHAFT. Meldungen

CHEF GIBT SPARKURS VORKöln. Gerhard Zeiler, CEO der RTL Group, hat der TV-Zentrale ein

Sparpaket verordnet. In der Mitarbeiter-zeitung „Backstage“ verkündete er einen Einstellungsstopp. Die Gehälter werden eingefroren. „Die Zentrale sollte mit gu-tem Beispiel vorangehen“, sagte Zeiler. Bei RTL Deutschland spart Geschäftsfüh-rerin Anke Schäferkordt schon lange bei der Produktion.

GEWINNE SIND GESTIEGENEssen. Beim Energiekonzern

RWE haben im ersten Halbjahr höhere Strompreise und ein um das Zwanzigfa-che gestiegene Ergebnis der Handelssparte die Gewinne steigen lassen. Der Umsatz fiel um 1,4 Prozent auf 24,39 Milliarden Euro. Die Gewinne wuchsen um 3,8 Pro-zent. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen kletterte von 4,86 auf 5,05 Milliarden Euro.

AUFTRAG FÜR TOCHTERKöln. Die Strabag Tochter Ed. Züb-

lin AG wird als Generalunternehmen die Einkaufsgalerie „Neues Thier-Areal“ am Dortmunder Westenhellweg für insge-samt 300 Millionen Euro bauen. Die Er-öffnung der Galerie ist für das Jahr 2011 geplant. Der Dortmunder Westenhellweg ist eine der meistbesuchten Einkaufstras-sen Deutschlands.

DUALE KARRIEREPLANUNGBonn. Die Deutsche Telekom erweitert ihr

Förderprogramm für Spitzensportler in Kooperation mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Dies gaben beide Partner am Rande der Leichtathletik-WM in Berlin bekannt. Im Vordergrund steht dabei die Vereinbarkeit von Spitzensport und beruf-licher Entwicklung. In diesem Rahmen wird sie eine entsprechende Duale Karri-ereplanung unterstützen.

EIN PLUS AUCH OHNE PLUSMülheim an der Ruhr. Der Handelskonzern Tengelmann hat im ersten Halbjahr den

Umsatz um drei Prozent gesteigert. Im Geschäftsjahr 2008 (Mai bis Dezember) war der Umsatz um sechs Prozent auf 12,4 Milliarden Euro geklettert. Heraus ge-rechnet ist das Deutschland-Geschäft von Plus, das Anfang 2009 verkauft wurde. Zu Tengelmann gehören die Obi-Baumärkte, die Kik-Textilmärkte und Kaiser`s.

VERBESSERUNG ERWARTET Essen. Thyssen-Krupp erwartet für

das kommende Geschäftsjahr 2009/10 (30. September) eine Ergebnisverbesse-rung. Die Effekte aus den eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen und der Kostenreduzierung sollen dafür sorgen. Der Stahlkonzern geht in seinem Neun-monatsbericht von einer moderaten Sta-bilisierung beim Umsatz im Jahr 2009/10 aus.

HYBRIDABSATZ SOLL STEIGENKöln. 7.000 Stück des neuen Hybridautos Pri-

us will Toyota im ersten Jahr in Deutsch-land absetzen. Seit dem Marktstart im Juni liegen 2.000 Bestellungen vor. Der Prius wird von einer Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor ange-trieben und soll 3,9 Liter Kraftstoff auf 100 Kilometern benötigen. Seit 2000 hat Toyota in Deutschland 25.000 Fahrzeuge mit der Spritspartechnik verkauft.

PARTNERSCHAFT VERTIEFT Düsseldorf. Der Mobilfunk-betreiber Vodafone Group und der Anbieter von Spei-

cherlösungen EMC vertiefen ihre Zusam-menarbeit. EMC wird für die nächsten drei Jahre auf dem europäischen Markt der bevorzugte Partner von Vodafone für Speicher-Produkte. Vodafone verwendet bereits Speichersysteme und Software von EMC in seinen weltweiten Datenzentren.

UMZUG NACH MÜNCHENEssen. Die WAZ zieht mit den Zeitschriften „Das Goldene Blatt“,

„Echo der Frau“, „Frau Aktuell“ und „Neue Welt“ von Düsseldorf nach Mün-chen um. Dort werden bereits „Frau im Spiegel“, „Die Aktuelle“, „Gong“ und „Bild und Funk“ produziert. Die Zusam-menführung wertet der Geschäftsführer Christian Nienhaus als „klares Bekenntnis zu unseren Zeitschriften.“

DIE ERSTE BAD BANKDüsseldorf. Die WestLB nutzt als erstes Kreditin-

stitut das Bad-Bank-Gesetz. Die Landes-bank stellte einen Antrag beim Rettungs-fonds Soffin. Zum 30. September sollen Wertpapiere in Höhe von 6,4 Milliarden Euro ausgegliedert werden. Das Gesetz soll Banken helfen, ihre Bilanzen von toxi-schen Wertpapieren zu entlasten.

GEWINNPROGNOSE GEKAPPTPaderborn. Die Wincor Nixdorf AG hat nach einem

schwachen dritten Quartal die Gewinn-prognose für das Geschäftsjahr 2008/09 gekappt. Der Hersteller von Geldauto-maten und Kassensystemen rechnet mit einem Ergebnis unter Vorjahresniveau. Der Umsatz sank um elf Prozent auf 496 (Vorjahr: 555) Millionen Euro. Das EBI-TA brach zwischen April und Juni um ein Drittel auf 35 (51) Millionen Euro ein.

NEUE GESCHÄFTSFÜHRUNGKöln. Dr. Tobias Canz und Uli Huener sind ab dem 1. Sep-tember neue Geschäftsführer

der Yello Strom GmbH und bilden mit Martin Vesper die Geschäftsführung. Dr. Tobias Canz übernimmt die Verantwor-tung für die kaufmännischen Belange. Uli Huener verantwortet die Schwerpunkte Marketing, Produktmanagement und Vertrieb. Martin Vesper wird wie bisher die Bereiche Operations und technische Innovationen weiterentwickeln.

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WIRTSCHAFT. Insolvenz

Das Hauen und Stechen um die die Zu-kunft der Schumag Holding GmbH geht weiter. Nach der Eröffnung des Insolvenz-verfahrens im April 2009 sollte die erste Gläubigerversammlung am 2. Juli Klarheit über den Fortgang des Aachener Tradi-tionsunternehmens Schumag AG bringen. Doch während Insolvenzverwalter Bernd Depping aus Essen versucht, die korrekten Besitzverhältnisse der Aktien zu ermitteln und einen neuen Investor zu finden, drän-gen einige Anteilseigner darauf, die Wert-papiere schnellstmöglich zu verkaufen. Selbst über die Person des erfahrenen und kompetenten Insolvenzverwalters streiten die gegnerischen Parteien. Depping selbst lässt sich durch juristische Spitzfindig-keiten nicht verunsichern und ist weiter bemüht, den Schaden für die Schumag AG so gering wie möglich zu halten. Fest steht: Die Schumag Holding als Inves-

tor des aus der Babcock-Borsig-Insolvenz gekauften Unternehmens Schumag AG ist gescheitert. Doch der Grund liegt nicht in unternehmerischen Fehlentscheidungen, denn die börsennotierte Schumag AG an sich ist heute gut aufgestellt. Verant-wortlich für diese Insolvenz ist vielmehr die Gier der Geldgeber nach einem schnellen Profit. Als die Schumag Holding GmbH 2007 von der griechischen Familie Kazina-kis gegründet wurde, um mit dem (ge-liehenen) Geld zweier Hedgefonds die Schumag AG für 41 Millionen Euro zu erwerben, schien die Zukunft des 1830 als Nadelmanufaktur gegründeten Unterneh-mens gerettet. Galt es doch einst als Perle der 2002 insolvent gegangenen Babcock Borsig AG. Nur anderthalb Jahre später zeigte sich, dass sämtliche Erwartungen übertroffen

worden waren: Die Maschinenbausparte der Schumag AG mit über 400 Mitarbei-tern konnte für 40 Millionen Euro an die Düsseldorfer Unternehmensgruppe SMS weiterverkauft werden. Der Vorstand war auf dem richtigen Weg. Er hatte aus einem „lahmenden Gaul“ innerhalb kürzester Zeit ein erfolgreiches Unternehmen gemacht und wollte sich nun ganz auf die Präzisionsmechanik-Sparte konzentrieren. Das neu gewonnene Geld aus dem Verkauf wollte man reinvestieren, unter anderem um konkurrierende Unternehmen mit Zukunftstechnologie zu erwerben. Dies sollte die Schumag AG langfristig wieder dort positionieren, wo sie vor dem Verkauf der Maschinenbausparte schon einmal ge-standen hatte.Doch den Geldgebern ging das offenbar nicht schnell genug. Der britische Hedge-fonds Concordia, zu dessen Gunsten rund

WENN EIN „RETTER“ NUR AUF SCHNELLES GELD AUS IST...

Der Name Schumag Holding ist verbranntÜber die Pleite der Investorengesellschaft und das Schicksal eines Unternehmens, das eigentlich gut funktioniert hat. Prof. Sebastian Krause

Inzwischen ist es längst 5 nach 12

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80 Prozent der Anteile verpfändet sind, klagte schon Ende 2008 darüber, dass die Kazinakis-Familie ihren Zahlungsver-pflichtungen nicht nachkäme. Concordia drängte auf eine kurzfristige Rückzahlungder Kredite, obwohl die langfristige Fi-nanzierung aus unternehmerischer Sichtzwingend geboten war, um die zuvor definierten Ziele erreichen zu können. Weil die Familie Kazinakis sich diesem Ansinnen widersetzte, sollten die Schu-mag-Aktien zu Beginn des Jahres öffent-lichkeitswirksam zwangsversteigert werden. Das konnte die Kazinakis-Familie gerichtlich verhindern. Im Januar war das Chaos dann endgültig perfekt, als Aufsichtsratsmitglied Peter Ko-schel behauptete, er habe mit einer seiner Beteiligungsgesellschaften den 80-Prozent-Anteil von Concordia übernommen. Damit sei er Mehrheitseigentümer der Schumag AG. Der Familie Kazinakis ge-lang es, diesen Verkauf zu unterbinden. Seitdem verklagen sich die beiden Kontra-henten gegenseitig. Eine unkontrollierte Übernahme hätte je-doch unmittelbare Auswirkungen für die Schumag AG. Sie würde ihren Verlustvor-trag aus der Vergangenheit verlieren. Dies wiederum würde sich auf den Gewinn und die Liquidität des Unternehmens un-mittelbar auswirken.Über die Eigentumsverhältnisse herrscht bis heute Unklarheit. Die Aktien lie-gen nach wie vor auf einem Depot der Sparkasse Krefeld. Es ist zu erwarten, dass die Aktien erneut von einer fonds-gestützten Gesellschaft gekauft werden. Zu erwarten ist aber auch, dass der Name

Schumag Holding nicht fortgeführt wird, gilt er doch im globalen Dorf, in dem sich jede Information in weiten Kreisen schnell verbreitet, als verbrannt. Immerhin: Auf das operative Geschäft der Schumag AG hat das Insolvenzverfahren keine Auswirkung. Doch auch wenn das Management seit dem Verkauf 2007 un-bestritten sehr gute Arbeit leistet – erst im Februar 2009 hat das amerikanische Unternehmen Caterpillar nach eigenen Angaben die Schumag AG als einen der 50 besten Zulieferer weltweit ausge-zeichnet – leidet das Unternehmen unter den negativen Schlagzeilen. Irritationen bei Kunden, Banken, Kreditversicherun-gen sind programmiert, gerade in Zeiten einer weltweiten Wirtschaftskrise. Mit Unverständnis wird auf das Chaos inner-halb der Holding und auch auf das Insol-venzverfahren reagiert. Denn das Eigen-kapital der Schumag AG ist bekannt: Das börsennotierte Unternehmen verfügt über knapp 40 Millionen Euro bei einer Eigen-kapitalquote von 40 Prozent und bewegt sich damit im Branchendurchschnitt auf hohem Niveau.

Trotzdem: Von den aktuell rund 600 Ar-beitsstellen der Schumag AG werden ca. 200gestrichen. Aufgrund der Wirtschaftskrise, die einen Umsatzrückgang in dieser Branche von fast 60 Prozent zur Folge hat, muss das Unternehmen kräftig sparen. Vor allem aber muss Ruhe einkehren. Das geschieht spätestens dann, wenn sich ein neuer Kapitalgeber findet, der dem Vor-stand die Möglichkeit bietet, das volle Po-tenzial des Unternehmens auszuschöpfen.

Der AutorProf. Dr. Sebastian Krause studierte Rechtswissenschaften in Mainz und Münster. Seine Promotion absolvierte er in Münster und Maastricht. Heute arbeitet er als Fachanwalt für Insolvenzrecht und Steuerrecht und als Notar. Seit 2005 ist er Dozent an der Fachhochschule für Ökonomie & Ma-nagement in Essen, seit 2008 hält er dort eine Professur für Wirtschaftsrecht. Von Dezember 2008 bis Mai 2009 gehörte er dem Aufsichtsrat der Schumag AG an.

Vom Siemens-Fachinformatiker über das MBA-Studium an der FOM zum Geschäftsführer einer hochwertigen Systemgastronomie: Der Werdegang von Rainer Gunz ist ebenso interes-sant wie das Konzept, mit dem er sich – gemeinsam mit drei Freunden – in die Selbständigkeit gewagt hat. Als Mitgründer der MIMA Bruscadineria ist der 29-Jährige zuständig für Per-sonal und Produktentwicklung. „Mit Bruscadina, Rotolini und Crescione verkaufen wir original italienische Spezialitäten, dazu handgerösteten Kaffee und ausgefallene Salate. Ver-glichen mit klassischem Fastfood sind unsere Produkte gesund und leicht. Also echte Lifestyle-Produk-te.“ Den zwei eigenen Standorten in Köln (Agnesviertel und Ehrenfeld) sollen weitere folgen. „Anfang Au-gust wird ein Franchise-Partner den dritten MIMA-Standort in der Kölner Innenstadt eröffnen. Unser Ziel ist es, das Konzept über Franchisenehmer bundesweit zu etablieren.“ Kontakt: [email protected]

FRANCHISE-TIPP: MIMA

NRW. jetzt

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Der Strompreis ist in aller Munde. Und das nicht erst seit der Liberalisierung des Strommarktes und angesichts zahlreicher neuer Anbieter überall im Land. Nicht wenige Verbraucher gehen hierzulande morgens nach dem Aufstehen zum Zähler, um nachzuschauen, wie der aktuelle Stand ist. Ein nutzloses, da wenig aussagekräftig-es Unterfangen, addieren doch die oft-mals Jahrzehnte alten Geräte einfach die Kilowattstunden. Eine Differenzierung nach verschiedenen Zeiten und Tarifen ist damit meistens unmöglich.

Im Dezember 2008 schreckte Yello Strom die Konkurrenz mit der Einführung eines sogenannten „intelligenten Stromzählers“ auf. Am Anfang noch belächelt, ziehen die anderen Stromanbieter inzwischen nach. „Es gibt immer mehr IP-Geräte in den Haushalten, das Internet ist allge-genwärtig“, sagt Yello-Geschäftsführer Martin Vesper, der das Gerät maßgeblich mit entwickelt hat. Und kampflustig weiter: „Kann mir jemand erklären, weshalb man

zu verbrauchen. Rund um die Uhr kann ein Nutzer online auf seinem PC zu Hause den Stromverbrauch im Gebäude ablesen. Das Einschalten einer Lampe oder des Fernsehapparats wird in sekundenschnelle in seiner Wirkung auf Stromverbrauch und Kosten visualisiert. Ganz automatisch kann der Kunde reagieren, bestimmte Ener-gieverbräuche reduzieren oder zu kosten-günstigeren Zeiten laufen lassen.

Intelligente Stromzähler, so schrieb das Wirtschaftsmagazin „Capital“ unter Bezug auf eine Studie der Beratungsgesellschaft Kearney, werden bis 2015 in der Hälfte der 40 Millionen deutschen Haushalte in-stalliert sein und die Beziehung zwischen Energieversorgern und Kunden revolu-tionieren. So könnten die Versorger ihren Kunden signalisieren, wann der Strom am günstigsten ist. Die Verbraucher könnten wiederum elektrische Geräte wie Wasch- oder Geschirrspülmaschinen per Zeitschaltuhr zu genau diesen Zeiten starten.

Des einen Freud, des anderen Leid. Während eine steigende Zahl von Strom-kunden die neuen Möglichkeiten gern nutzt, ist die Innovation für Daten-schützer ein Graus. Missbrauch wird befürchtet, die technische Erfassung der Lebensgewohnheiten vieler Menschen bis hin zu der Information, wann ein Haus z. B. urlaubsbedingt leer steht. Von Hacker-Angriffen ganz zu schweigen.

Doch der Trend dürfte nicht mehr auf-zuhalten sein, denn Yello ist längst nicht mehr allein. So startete RWE ver-gangenes Jahr in Mülheim damit, 100.000 Haushalte mit intelligenten Messgeräten auszustatten. Ein Modellversuch, den sich der Essener Stromriese immerhin 20 Mil-lionen Euro kosten lässt.

Ab Herbst können die Besitzer von Yello-Geräten via iGoogle einen neuen Schritt in die Zukunft wagen. Mit einem „Google Power-Meter“-Gadget lässt sich viertel-stündlich aktualisiert von jedem Com-puter aus, ein Blick auf den Stromver-brauch zu Hause werfen. Stromsparen als Alltagsgeschäft, zwischen Sportergebnis-sen und Wirtschaftsnachrichten im welt-weiten Netz.

WIRTSCHAFT. Energie

Alles unter KontrolleMit einem intelligenten Stromzähler hilft Yello Strom seinen Kunden seit Ende 2008, Geld zu sparen. Über eine Kooperation mit Google soll nun die Kontrolle des eigenen Stromverbrauchs Alltag für Internetnutzer werden.

Martin Vesper

in den Zählern noch Grammo-phon-Technik ha-ben soll?“

Mit den neuen gel-ben Stromzählern, die Anfang 2009 wegen ihres schick-en Aussehens sogar mit dem Design-preis der Bundesre-publik ausgezeich-net wurden, soll die Transparenz er-höht und den Ver-brauchern so die Möglichkeit eröff-net werden, effizi-ent und damit kost-ensparend Strom

Stromverbrauch auf einen Blick

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Auf großer Reise: (v.l.) Georg Boenig, Sheilendra Mohan Tiwary und Michael Heuwinkel

MAGAZIN FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER IN NORDRHEIN-WESTFALEN

WIRTSCHAFT.POLITIK.LEBEN.

NRW. jetzt

Da, wo wir zu Hause sind.

Ab August auch im Abo. Informationen unter www.nrwjetzt.de

NORDRHEIN-WESTFALEN

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Schulministerin Barbara Sommer

Politik.

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Politik. Schule

Frau Ministerin, die Schulferien sind kaum vorbei, da hagelt es schon wieder Kritik der Opposition. Angeblich können die neu geschaffenen Lehrerstellen gar nicht besetzt werden. Sind also Ihre Erfolgs-meldungen nur Augenwischerei?Die Kritik von SPD und Grünen gehört wohl zum Ritual einer Opposition. Allerdings finde ich es unanständig, dass die SPD bei ihren Vorwürfen mit ein-deutigen Unwahrheiten arbeitet. Wenn meine Vorgängerin behauptet, über 5.000 Lehrerstellen in unserem Land seien nicht besetzt, dann lügt sie. Fakt ist: Von den ausgeschriebenen Stellen konnten zum Schuljahresbeginn 800 nicht besetzt werden. Auch das ist eine hohe Zahl. Unser Problem besteht aber darin, dass wir nicht genügend Lehrer-Nachwuchs haben. Auf einen Bedarf von insgesamt 8.000 Stellen in diesem Jahr kommen lediglich 6.200 Referendare, die ihre Ausbildung abschließen.

Vor den Sommerferien haben Tausende Schüler auch in NRW für eine bessere Bildungspolitik demonstriert. Haben die mit ihren Forderungen nicht ein Stück weit recht?Beim Regierungswechsel 2005 haben wir ein Bildungssystem vorgefunden, das nicht mehr zeitgemäß und sozial un-gerecht war. Deshalb waren grundlegende Veränderungen notwendig. Ich weiß, dass wir Schülern und Lehrern durch diese Vielzahl an Veränderungen Einiges zuge-mutet haben. Aber Maßnahmen wie die Verkürzung der Schulzeit am Gymnasium oder die Einführung des Zentralabiturs

waren notwendig, um der jungen Genera-tion die Zukunftschancen bieten zu kön-nen, die sie verdienen. Ich bin mir sicher, dass sich die Erfolge bereits in wenigen Jahren deutlich zeigen werden.

Der Landtag hat kürzlich ein neues Gesetz zur Lehrerausbildung beschlossen. Waren die Lehrerinnen und Lehrer in NRW nicht mehr auf der Höhe der Zeit?In den vergangenen Jahren haben wir an unseren Schulen viel verändert. So haben wir zum Beispiel im Schulgesetz das Recht auf individuelle Förderung eingeführt. Da war es wichtig, die neuen Anforderungen auch in der Lehrer-ausbildung festzuschreiben. Mir ist es außerdem wichtig, dass die angehenden Lehrkräfte schon früh einen Praxisbezug erhalten. Deshalb haben wir im Gesetz festgelegt, dass schon vor Aufnahme des Studiums eine Eignungsfeststellung durchgeführt wird. Damit verhindern wir, dass jemand Lehrer wird, ohne auch nur einmal erfahren zu haben, ob er für den Beruf überhaupt geeignet ist.

Sie sind ja selbst gelernte Pädagogin, haben an verschiedenen Schulen unter-richtet. Mal ganz grundsätzlich gefragt: Was muss die Schule heutzutage leisten? Was müssen Schüler gelernt haben, wenn sie ihre Schule verlassen?Die Schüler müssen heute anderes lernen als früher. Das ist eine Tatsache. Hinzu kommt, dass man gerade auch im Grund-schulbereich viele Dinge nicht mehr voraussetzen kann, die früher selbst-verständlich waren. Und das Ende der

Schulzeit bedeutet für die jungen Men-schen nicht mehr, „ausgelernt zu haben“, wie es früher häufig hieß. Jeder muss sich immer wieder auf neue Situationen einstellen, auf diese stetig neuen Heraus-forderungen wollen wir unsere Schülerin-nen und Schüler vorbereiten. Deswegen müssen die Jugendlichen vor allem die Techniken draufhaben, selbstständig zu lernen. Auch wenn wir uns noch so sehr bemühen, es ist nicht möglich, den Kindern alles verfügbare Wissen in den Kopf einzupauken. Auch nicht in zwölf, 13 oder sonst wie vielen Jahren. Aber zu sagen, wie komme ich denn an Wissen heran? Gibt es gewisse Lerntechniken, die ich später nutzen kann? Wie strukturiere ich zum Beispiel einen Text – das sind oft einfache Dinge, die für das spätere Leben wichtig sind. Und es geht außerdem darum, die Stärken eines jungen Men-schen während der Schulzeit zu erkennen. Übrigens auch ein Grund, warum die Diagnosekompetenzen der Lehrerrin-nen und Lehrer verstärkt werden müs-sen. Und darum ist mir auch so wichtig, dass wir Schüler nicht nur als Menschen sehen, die z. B. naturwissenschaftliches Wissen anhäufen, sondern die auch eine Sozialkompetenz entwickeln. Sie sollen lernen, im Team zu arbeiten, auf Andere zuzugehen, ihr Wissen auch anderen Menschen vermitteln zu können.

Es gibt Stimmen, die auch andere Lern-inhalte fordern. Aus der Wirtschaft hört man immer wieder, dass Schüler mehr Grundwissen über marktwirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt bekommen

»Es gibt Tage, die sind ganz grau«

Interview mit Schulministerin Barbara Sommer

Nur wenige Minister in der Landesregierung stehen ständig so unter Beobachtung und im Kreuzfeuer der Kritik wie Barbara Sommer. Wem die Menschen ihre Kinder anvertrauen, den oder die beäugen sie eben besonders misstrauisch. Ein Gespräch.

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Für das Leben wird gelernt

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Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Profilklassen für Hochbegabte, um das PISA-Desaster aufzufangen, E-Schulen für Kinder mit sogenannten sozio-emo-tionalen Behinderungen, weil unser Sys-tem auf das Verhalten der nachwachs-enden Generation keine Antwort mehr hat. Das zusätzlich mindestens sie-bengliederige Sonderschulsystem wird bei der Zählung gar nicht erwähnt. Und genau das wird nun zum Stein des Anstoßes. Die in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention verbietet, Kinder mit Behinderungen weiterhin gegen ihren Willen in Sondereinrich-tungen zu schicken, verpflichtet uns zur Bereitstellung eines inklusiven Schulsys-tems, in dem sie gemeinsam mit allen anderen Altersgenossen in der Schule vor Ort beschult werden. Im Rest Europas ist das nichts Neues. Die durchschnittliche Integrations-quote liegt bei 78 Prozent, 13 Prozent sind es in NRW. Individuelle Förderung aller Kinder im gemeinsamen Unter-richt ist ein Erfolgsmodell. In sozialer Hinsicht sowieso, Social Skills sind ge-fragt. Der Umgang mit Behinderung wird ebenso selbstverständlich wie die Akzeptanz von Stärken und Schwächen, Verhaltensauffälligkeiten aller Kinder gehen zurück. Jeder erlebt sich als wich-tiger Teil des Ganzen, so wie er ist. Die hieraus erwachsenden Ingenieure von Morgen werden nicht vergessen, Barrie-refreiheit einzuplanen, Eltern können sich für ihr behindertes Kind entschei-den ohne Angst vor lebenslanger Aus-grenzung. Teilhabe muss man erleben, sie kann nicht auf einer Förderschule unterrichtet werden.Und die schulischen Leistungen? Un-ter den Gewinnern von Schulprei-sen finden wir in jüngster Zeit all die

Schulen, die sich vorzeitig mit eigenen Konzepten auf den Weg zur Inklu-sion begeben haben. Manchmal sogar im Streit mit dem Schulministerium unter Umgehung von Vorgaben, z.B. zur Notengebung. Unter den PISA-Gewinnern sind regelmäßig Staaten, die inklusiv beschulen. In NRW haben die Schulversuche schon vor 20 Jahren die guten Leistungen der Schüler im gemeinsamen Unterricht mit Nichtbe-hinderten belegt. Die Landes-regierung hat erkannt, dass das gesamte System hin zu individueller Förderung für jedes Kind, egal ob behindert oder nicht, umgebaut werden muss. Die Grund-schulen haben sich längst auf den Weg gemacht. Konsequent folgen muss ein Strukturwandel mit in Zahlen gefass-ten Zielvorgaben zur Überführung des Sondersystems in ein inklusives Schulsystem. Die Landesregierung darf jetzt nicht aus ideologischen Gründen an einem System festhalten, das den Bedürfnissen aller Kinder längst nicht mehr gerecht wird.

Ein Wahlrecht für Kinder mit Behin-derungen ist ein Schritt, der jetzt kom-men muss, ein erster Schritt hin zu einer besseren Schule für ALLE.

Politik. Schule

Integrativer Unterricht als Chance im SchulsystemDass unser dreigliedriges Schulsystem selektiv ist, daran sind wir längst gewöhnt. Gegen im internationalen Vergleich ab-fallende Leistungen bilden wir immer homogenere Schüler-gruppen, sind Klassifizierungsweltmeister. Ulrike Hüppe

Warum nicht tatsächlich den Handwerks-meister in der Schule – vorübergehend natürlich nur – warum nicht eine Koop-eration mit dem Wirtschaftsbetrieb vor Ort? Diese Möglichkeiten haben wir für Schulen geschaffen.

Seit Jahrzehnten wird in NRW über Schul-strukturen gestritten. Durch die mageren Ergebnisse der PISA-Studie wurde das eher noch verstärkt. Kurz gefragt: Was spricht dagegen, dass Schulkinder länger zusammen in einer Schule lernen? Grundsätzlich dürfen wir uns neuen Erkenntnissen nicht verschließen. Es gibt aber keine eindeutigen wissenschaftlichen Beweise, die für eine längere Grund-schulzeit sprechen. In der Forschung gibt es Stimmen für längeres gemeinsames Lernen ebenso wie für eine frühzeitige Aufteilung der Kinder entsprechend ihren Begabungen. Es gibt zum Beispiel Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass lernstarke, begabte Kinder benach-teiligt werden, wenn sie nicht schon früh besonders gefördert werden. Eine Schulstrukturdebatte hilft deswegen nicht weiter. Wichtig ist vielmehr die Qualität des Unterrichts. Wenn mich Eltern auf eine mögliche Reform der Strukturen ansprechen, frage ich sie: Was ist Ihnen

Ulrike Hüppe (44) ist stellvertretende Landesvorsitzende des Verbandes

„Gemeinsam leben-Gemeinsam lernen e. V.“

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sollten. Andere fordern Familie und Kin-dererziehung als Schulfach. Was halten Sie von solchen Überlegungen?Das sind durchaus schlaue Gedanken. Auf der anderen Seite kann man nicht erwarten, dass die Schule alles leisten kann. Wir haben im Laufe der Jahre viel zu viele Dinge auf Lehrerschultern abgeladen. Und nun kann ich nicht kom-men und den Kolleginnen und Kollegen sagen: Nun könntet Ihr ja auch noch ein bisschen Familientherapeut sein und ein bisschen Schulpsychologe. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich abzugrenzen. Das hat auch etwas mit Würdigung der Leistung eines Lehrers zu tun, wenn wir ihm oder ihr sagen: „Du machst einen guten Unterricht.“ Und nun gibt es Her-ausforderungen an die Schüler, die nicht unmittelbar in diesen Bereich Erziehung und Unterricht hinein fallen. Das heißt zum Beispiel: Wie vermittele ich wirklich authentisch Wirtschaft, um das Beispiel aufzunehmen. Das heißt, da muss ich mir Kompetenzen ins Haus holen.

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Politik. Schule

jetzt wichtig? Wie die Schule heißt und wie lange man mit wem in einer Klasse sitzt? Oder dass – unabhängig von der Schulform – Lehrer und Lehrerinnen da sind, die herausfinden, welche Stärken ihr Kind hat? Und dann entscheiden sie sich in fast allen Fällen für die zweite Variante. Also, ich glaube, wir müssen uns erst ein-mal auf das Wesentliche konzentrieren, nämlich noch mehr hoch qualifizierte Lehrer in die Schulen zu bringen und uns noch mehr auf die individuelle Förderung zu konzentrieren. Aber die grundsätzliche Frage lautet: Kann man bei neunjährigen Schülern

schon feststellen, was für Fähigkeiten und Begabungen sie haben, die sie für die weitere Schullaufbahn qualifizieren?Diese Frage entscheidet ja nach Klasse 4nicht über das zukünftige Leben. Die letzte Entscheidung für den Übergang in die Klasse 5, das ist richtig, hat die Schule. Aber die Lehrkräfte beraten sich von Anfang an. Eltern steuern ihre Sicht-weise bei, im Idealzustand von Klasse 1 an. Das heißt, ich als Vater oder Mut-ter bringe ein, was ich für die Zukunft meiner Kinder für das Beste halte. Und so entwickelt sich langsam eine Tendenz, wo die Stärken des Kindes am Besten zu fördern sind. Und da spielt es letztlich keine Rolle, ob das in Klasse 4 oder 5

oder 6 ist. Im Gegenteil, ich habe auch an meinen eigenen Kindern erlebt, dass sie sich in Vorpubertät und Pubertät noch einmal deutlich verändert haben. In dieser Zeit eine Festlegung über die weit-ere Schullaufbahn zu treffen, halte ich für noch schwieriger.

Versuchen wir es noch einmal von der an-deren Seite, ohne Aspekte wie Begabung oder Ideologie. Der Geburten- und damit Schülerrückgang zwingt auch CDU-Bür-germeister in NRW über neue Strukturen und Zusammenlegung von Haupt- und Re-alschulen nachzudenken. Ein Vorschlag,

den ja auch die Landes-FDP auf-gegriffen hat…Wir haben ja im Schulgesetz für

solche Fälle Möglichkeiten verankert. Ich glaube, dass gerade diese Modelle des Verknüpfens von Haupt- und Realschu-len in einer Verbundschule gangbare Wege sind. Die Verbundschulen bieten attraktive pädagogische Möglichkeiten. Es wird gemeinsam unter einem Dach gelernt, jedoch begabungsgerecht in verschiedenen Bildungsgängen. Die Identität der jeweiligen Schulform bleibt erhalten. Die Durchlässigkeit ist in diesen Schulen besonders gut gegeben, da dafür kein Ortswechsel notwendig ist. Die Schülerinnen und Schüler behalten ihr gewohntes Lernumfeld, ihre bekannten Lehrerinnen und Lehrer und nicht zuletzt auch ihre Freunde. Unter diesen Bedin-

gungen kann ein Wechsel in die für das Kind oder den Jugendlichen besser pas-sende Schulform besonders gut gelingen.Da, wo dieses Modell umgesetzt wurde, sind die lokalen Entscheidungsträger höchst zufrieden. Wir ermöglichen es den Städten und Gemeinden, ihre Schulen im Ort zu behalten. Ich weiß, welche große Bedeutung eine Schule für das Leben in einer Gemeinde hat. Schulen sind wichtige Zentren für das gesellschaftli-che Leben des Ortes. Aber auch für die örtliche Wirtschaft ist der Erhalt von weiterführenden Schulen ein wichtiger Standortvorteil. Deswegen ist es unser Ziel, ein wohnortnahes und qualitativ hochwertiges Schulangebot zu erhalten.

Während Ihrer Amtszeit wurden die Plätze für Offene Ganztagsschulen massiv aus-geweitet. Das wurde allgemein begrüßt. Dennoch gibt es auch viel Kritik an der praktischen Handhabung….Zu Beginn meiner Amtszeit wurde mir immer wieder von Eltern gesagt: Sie müssen gerade in der OGS mehr Qualität reinbringen. Man kann aber nur wirklich Qualität leisten, wenn man auch weiß, was man a) machen will und b) wer zur Verfügung steht. Deswegen ist die von einigen Eltern gewünschte Flexibilität nicht möglich. Wenn ich jetzt sage, da ist ein Defizit am Vormittag, und das will ich auf ganz an-dere, vielleicht spielerische, Weise in einer kleinen Gruppe herausarbeiten, kann ich das nicht leisten, wenn gesagt wird:

»98 Prozent der Entscheidungen fällenEltern und Lehrer gemeinsam«

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Politik. Schule

„Das ist der pädago-gische Wahnsinn“, hatte Manfred Paul (Foto), seit 16 Jahren Leiter der Hauptschule Aretzstrasse in Aachen, die Pläne

des Stadtrates bezeichnet, die nun Dank der Entscheidung der Bezirksregierung Köln endgültig vom Tisch sind. Eine politisch ungewöhnliche Koalition von SPD, CDU, Grünen und der Linken im Aachener Stadtrat hatte über drei Monate die Eröffnung einer vierten Ge-samtschule forciert. Demnach sollten im problem-belasteten Ostviertel der Stadt die Hauptschule Aretzstrasse, die Hugo-Junkers-Realschule und das Ge-schwister-Scholl-Gymnasium ab Schul-jahr 2010/11 zu Gunsten einer neuen Gesamtschule weichen. Die Stimmung kochte hoch. Schulleiter Paul, langjäh-riges Mitglied der Grünen, hatte sogar aus Protest die Partei verlassen. Größter Irrsinn bei der ursprünglichen Planung: Es hätte überhaupt kein Schulgebäude gegeben, um alle neuen Gesamtschüler zu fassen, und man hätte wahrschein-lich die bisherigen Schulgebäude der aufzulösenden Lehranstalten als drei Standorte beibehalten müssen.

Ausgangspunkt der ganzen Debatte waren die schlechten Anmeldezahlen am Geschwister-Scholl-Gymnasium und das Bestreben der Lokalpolitiker, im Ost-viertel die Möglichkeit des Gymnasial-Abschlusses zu bewahren. Die beiden Studienkollegs, an denen das Fachabitur schon jetzt möglich ist, hatte man of-fenbar ausgeklammert. Dafür war man bereit, drei gesunde Schulen zu opfern.Regierungspräsident Hans Peter Lindlar hat nun Fakten geschaffen und mit dem

„Nein“ der Bezirksregierung zu einer vier-ten Gesamtschule einen Schlussstrich unter die Debatte gesetzt. Stattdessen nun das Modellprojekt „Schulverband Ostviertel“. Kernpunkte des Konzeptes,das die drei Schulleiter Klaus Becker(Gymnasium), Herbert Strohmeyer (Realschule) und Manfred Paul (Hauptschule) der Bezirksregierung schmackhaft gemacht haben, sollen eine besondere Durchlässigkeit zwischen den Schulformen und schulübergreifender Unterricht. Obendrauf gab Lindlar eine Bestandsgarantie für die drei be-troffenen Schulen für die kommenden fünf Jahre – das ist sogar mehr, als man erhofft hatte. Das Frohlocken der betroffenen Schü-ler, Eltern und Lehrer teilt im Stadtrat derweil kaum einer. Die Zustimmung zu dem Modellprojekt gab man not-gedrungen – es blieb ja nichts anderes übrig. Und ein bisschen mutet es doch seltsam an, wenn der SPD-Fraktionsvor-sitzende im Rat, Heiner Höfken, ange-sichts der erfolgreichen Bürgerbewegung von „Bremsern“ in der Landesregierung spricht, die angeblich aus ideologischen Gründen die Gesamtschule verhindern wollten.

Sieg der VernunftDie Proteste von Schülern, Lehrern und Eltern in Aachen haben sich ausgezahlt: Ihre drei Schulen werden nicht ge-schlossen und in eine Gesamtschule umgewandelt. Stattdes-sen startet in Aachen ein modellhaftes Projekt besonders in-tensiver Kooperation innerhalb eines Stadtviertels.

Heute bin ich aber nicht da, heute muss ich zu einem Geburtstag oder so etwas. Ich glaube, dass man Beides nicht unter einen Hut bringen kann. Entweder will man konstante Qualität oder die flexible Lösung. Dann muss man aber auch in Kauf nehmen, dass die Qualität darunter ein Stück weit leidet.

Ein Thema, das viele Eltern nach den Amoktaten in Winnenden und St. Augus-tin beschäftigt, ist die Sicherheit. Müssen wir die Sicherheitsvorkehrungen an unseren Schulen ausbauen?Mir ist wichtig, dass Eltern ihre Kinder unbesorgt zur Schule schicken können. Eines ist aber auch klar: Selbst mit den schärfsten Schutzmaßnahmen wird man solche Fälle niemals komplett verhin-dern können – weder in den Schulen noch sonst irgendwo in unserer Gesell-schaft. Experten sprechen jedoch von Warnsignalen und Hilferufen, welche die Täter vorher aussenden. Wir müssen alle genau hinschauen und hinhören, ob ein Kind Anzeichen für ein Abdriften aussendet. Diese Kultur des Hinsehens ist ein wichtiger Beitrag, um Amoktaten bereits im Vorfeld zu verhindern. Ich möchte aber nicht, dass unsere Schulen zu Hochsicherheitstrakten werden. Schulen müssen offene Orte bleiben.

Bestärkt durch eine aktuelle Erklärung der Vereinten Nationen fordern Behin-dertenverbände auch in NRW die freie

Der Protest hat sich gelohnt

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Kulturelle Bildung ist ebenso wichtig wie Schulerfolg oder individuelle Förderung, sagt die NRW-SPD. Mit dem neuen Pro-jekt „Kultur-Rucksack“ sollen Kinder und Jugendliche verstärkt in Museen, The-ater und Ausstellungen gelockt werden. Zielgruppe sind Kids ab Kindergarten bis zum 16. Lebensjahr. Alljährlich sol-len sie „Bildungs- und Kreativangebote“ in den Bereichen Theater, Tanz, Musik,

bildende Kunst und Literatur“ in einem Rucksack erhalten. Und diese Angebote sollen kostenlos sein. Dazu setzen die Genossen besonders auf die Kommunen im Land und deren Bereitschaft, attraktive Angebote bereit zu stellen. SPD-Chefin Hannelore Kraft hofft, auf diese Art und Weise insbesondere einkommensschwache Familien zu erreichen: „Kultur muss allen Kindern offen stehen.

Mit dem Rucksackins Museum…Nordrhein-Westfalens Sozialdemokraten wollen auch einkommensschwachen Fami-lien mehr Zugang zu Kultur verschaffen.

Schulwahl für behinderte Kinder – bis hin zur völligen Abschaffung der Förderschulen. Sie sind dagegen. Weshalb eigentlich? Das ist ein wenig auch eine ganz persönliche Sache. Meine erste Schule, an der ich gearbeitet habe, war eine Förderschule. Und die Eindrücke, die ich während meiner Arbeit dort gewonnen habe, beeinflussen mich natürlich bei der Beurteilung dieses Themas, denn ich weiß, wie wertvoll Förderschulen sein können. Meine Überzeugung ist, dass mehr Integration in allgemeinen Schulen möglich ist. In dieser Zielsetzung unterstützt uns auch die UN-Kon-vention. Deutschland hat allerdings eine Tradition darin, Menschen mit Behinderungen eine gesellschaftliche Teilhabe und Zugang zu Bildung durch personalintensive Förderung in Förderschulen zu ermöglichen. Die Vielfalt der Organisationsformen und die Pluralität der Förderorte sind eine Bereicherung. Nicht alle Eltern wollen für ihre Kinder eine Förderung in allgemeinen Schulen und fachlich kann der Besuch einer Förderschule ebenfalls im Einzelfall sinnvoller sein – zum Beispiel, weil dort eine Förderung in kleineren Gruppen möglich ist. Das Ziel ist, mehr Förderung in allgemeinen Schulen zu erreichen. Der Anteil der Kinder mit sonderpäda-gogischem Förderbedarf, der ja ganz verschieden sein kann – von der geis-tigen Behinderung, über Lernbehin-derungen bis zu Körperbehinderungen und Sinnesschädigungen etc. – ist seit Anfang der 90er Jahre von gut zwei Prozent auf mehr als zwölf Prozent gestiegen. Hier ist noch mehr Integra-tion möglich und sinnvoll und auch von den Eltern gewünscht. NRW geht deshalb in 20 Pilotre-gionen mit einem neuen Konzept neue Wege – mit Kompetenzzentren für sonderpädagogische Förderung, deren Ziel es ist, in Kooperation mit allge-meinen Schulen eine bessere wohnort-nahe und präventive Förderung von Kindern zu ermöglichen.

An den Schulen in NRW hat sich seit 2005 viel verändert. Es gibt mehr

SPD-Chefin Hannelore Kraft

Durch das Programm "Kultur und Schule" haben die Kinder der Carl-Sonnenschein-Schule in Bergheim mit Künstlern wie Purple Schulz das Musical "Zaubermaus reißt aus" inszeniert.

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Politik. Schule

Diese Situation ist in einigen ländlichen Gebieten des Landes bereits jetzt einge-treten und die Kommunen ringen um attraktive Lösungen für ihr regionales Bildungsangebot. Dabei ist das Ziel der Schulträger, ihren Schülerinnen und Schülern möglichst wohnortnah alle Bildungsoptionen offen zu halten.

Andererseits liegt die Herausforderung aber auch in den großen Schwächen des gegliederten Systems, welche die em-pirische Schulforschung belegt hat: Für die Hauptschulen gilt beispielsweise, dass je weniger Schüler dort lernen, desto anregungsärmer das Lernmilieu und desto weniger erfolgreich lassen sich Lernprozesse für diese Schülergrup-pe initiieren. Zudem erfolgt der Über-gang von der Grundschule in die Sekun-darschulformen nicht leistungsgerecht, sondern Faktoren wie beispielsweise die soziale Herkunft spielen eine Rolle.

Die großen Schulleistungsstudien haben uns zudem gezeigt, dass es leistungs-fähigere und auch bildungsgerechtere Schulsysteme als das nordrhein-west-fälische gibt: Ein wichtiger Faktor zu einer Erhöhung der Bildungsgerechtig-keit ist die möglichst spät einsetzende Verteilung der Schülerinnen und Schül-er auf unterschiedlich anspruchsvolle Bildungswege, im günstigsten Fall erst nach Beendigung der Pflichtschulzeit.

Hierzu zählt auch die möglichst weit rei-chende Integration von Förderschülern im Regelschulsystem. Mindestvorausset-zung für alle an die Grundschule an-

schließenden Bildungsgänge muss es deshalb sein, dort ohne Umwege und Zeitvergeudung zur allgemeinen Hoch-schulreife gelangen zu können.

Aus erziehungswissenschaftlicher Sichtist eine solche Strukturreform aber unbedingt durch eine Reform der Lehrerbildung wie des Unterrichts zu ergänzen, um zur Qualitätssteigerung und Erhöhung der Bildungsgerechtig-keit beizutragen.

Die Veränderung der nordrhein-west-fälischen Schullandschaft, die auf diese Problemlagen antwortet, muss nicht überall im Land gleichzeitig erfolgen, sondern sollte in die regionalen Bildungs-landschaften eingebunden sein und von den Regionen mitgetragen werden.

Prof. Dr. Gabriele Bellenberg, Inhaberin des Lehrstuhls für Schulpäd-agogik und Schulforschung am Institut

für Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Sie ist außerdem

geschäftsführende Leiterin des Zentrums für Lehrerbildung.

Politik. Schule

Nordrhein-Westfalen steht gegenwärtig vor der Herausforderung der Umgestaltung seines Schulwesens. Nach heutigem Stand kann aufgrund des anstehenden massiven Schülerzahlenrückgangs in Zukunft das gegliederte System nicht mehr überall aufrecht erhalten werden. Prof. Dr. Gabriele Bellenberg

Freiheiten, neue Lern-Schwerpunkte, aber auch viel Kritik. Wie sieht Ihre Bilanz aus? Stehen die Schulen im Land heute besser da als vor vier Jahren?Wir haben unsere Schulen zukunftsfest gemacht und sie so ausgestattet, dass die Kinder und Jugendlichen optimal gefördert werden können. Beispielhaft möchte ich hier nur die rund 7.000 zu-sätzlichen Lehrerstellen nennen, die wir seit 2005 geschaffen haben. Damit reduz-ieren wir den Unterrichtsausfall deutlich und ermöglichen eine bessere indivi-duelle Förderung. Der einzelne Schüler steht heute stärker im Mittelpunkt, das ist entscheidend. Keiner darf verloren gehen. Als ich mein Amt übernommen habe, wurde gesagt: Was will die denn? Die kommt doch selbst aus der Schule und müsste wissen, dass individuelle Förderung pädagogisch gar nicht mach-bar ist. Inzwischen ist es umgekehrt. Da werden Schulen gefragt: „Was? Ihr habt das Gütesiegel für individuelle Förderung noch nicht? Wo seid ihr denn?“ Den Ein-zelnen in den Blick zu nehmen, das rührt mich fast zu Tränen. Das ist eine schwere Aufgabe, an der man manchmal verzweif-eln könnte, aber jedes Kind soll erfahren, dass es wichtig ist und dass seine Stärken erkannt werden.

Zum Abschluss eine persönliche Frage: Sie sind eine Quereinsteigerin, die ohne klassische Parteikarriere plötzlich zur Ministerin berufen wurden. Und weil sie im politischen Betrieb keine Erfahrung hatten, wurden sie häufig massiv kritisiert. Gab es auch Momente, in denen Sie bereut haben, die Aufgabe der NRW-Schulminis-terin übernommen zu haben?Ja, die gab es. Es gibt Tage, die ganz grau sind. Und die sind deswegen ganz grau, weil man menschliche Enttäuschungen erlebt. Das hätte ich vorher nicht so erwartet. Und das ist schon schwer an so einem Tag. Aber am nächsten Morgen steht man wieder auf und macht seine Ar-beit, weil man sich sagt: Ich tue es für die Kinder. Und wenn dadurch – und daran glaube ich fest – Kinder in Nordrhein-Westfalen mit unseren Schulen und unseren Lehrerinnen und Lehrern glück-licher werden, dass ihnen die Zukunft offen steht, dann ist das der tollste Job, den man sich wünschen kann.

Mehr Bildungsgerechtigkeit:Lernen ohne Umwege

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Politik. Wahl

Früher war es klar, wie dieses Gespräch ausgeht: In den 60er Jahren gingen mehr als 90 Prozent der Einwohner zur Wahl. Wer nicht teilnahm, galt aus Außenseiter. Heute hat sich die Beteiligung mindestens halbiert. Wer wählen geht, wird in man-chen Kreisen schon etwas mitleidig ange-guckt.

Was aber führt zu diesem Mentalitätswan-del, zu diesem Verzicht, die Geschicke des eigenen Landes mitzubestimmen? Das ist schwierig zu erforschen, denn Nichtwähler entziehen sich nicht nur der Stimmabgabe, sondern meist auch der Befragung durch Wissenschaftler oder Journalisten. Fakt aber ist: Es gibt verschiedene Gruppen, die zum Vakuum im Wahlergebnis beitragen. Zum einen sind da die „technischen Nicht-

wähler“, die faktisch gar nicht am Urnen-gang teilnehmen können – zum Beispiel diejenigen, die durch falsche Wahlverzeich-nisse nicht oder unkorrekt erfasst sind, aber auch kurzfristig Erkrankte oder Ver-reiste. Experten schätzen diesen Anteil auf bis zu fünf Prozent.

Der große Rest der Wahlverweigerer ent-scheidet sich bewusst dazu, keiner Partei die eigene Stimme zu leihen. Vielleicht machen das manche auch, weil sie eine „abstrakte Zufriedenheit“ empfinden, gar keine Veränderung wollen und es nicht für notwendig erachten, den Sonntag zum Wählen zu opfern. Ein Randphänomen dagegen sind diejenigen, die Anarchie-Zeichen auf die Stimmzettel malen oder ihn einfach durchstreichen, um so gegen

Vorschriften wie die Erstattung der Wahl-kampfkosten zu protestieren. Andere, und das ist der Kern des modernen Nicht-wählertums, sind einfach uninteressiert oder resigniert. In einer Welt voller attrak-tiver Freizeitangebote stellt sich für sie die Frage, warum man am Sonntag ausgerech-net in ein Wahllokal gehen soll.

„Die machen doch sowieso was sie wollen“, ist da eine weit verbreitete Haltung. Die findet man eben nicht nur bei höherer Pro-millezahl an den Stammtischen, sondern inzwischen auch in gebildeten und auf-geklärten Kreisen. Das Politikangebot der Parteien hat sich seit den Hochzeiten der Wahlbeteiligung auch deutlich verändert: Parteien wirken austauschbar, Politiker farblos und Lösungskompetenzen ver-

DIE EUROPAWAHL HAT GEZEIGT: DIE ZAHL DER NICHTWÄHLER STEIGT WEITER

Wer geht denn noch von Haus zu Haus?Ein Sonntagmittag in einem Wohnzimmer an Rhein oder Ruhr. Die Familie sitzt beisammen. „Was machen wir denn heute?“, lautet die Frage. Die Eltern sagen, sie wollen noch wählen gehen. Die Kinder stöhnen auf, sie wollen lieber was erleben. Mutter und Vater kommen ins Nachdenken. Ist wählen wirklich so wichtig? Oder sollen wir „was unternehmen“? Frank Überall

Der Gang zur Wahlurne ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr

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Politik. Wahl

waschen. Auf ein Stammklientel, das sei-nen politischen Vertretern zumindest in der Wahlkabine bedingungslos den Stift führt,kann sich keine Partei mehr verlassen. Wechselwählen ist angesagt, und das steht in Konkurrenz zu anderen Verlockungen des individualisierten Lebens.

Nichtwähler sind meist jung, und sie le-ben allein. Dass zeigt, sie werden vom politischen Diskurs kaum noch erreicht. Die Repräsentation wird durch niedrige Wahlbeteiligung geschwächt, beispiels-weise wenn wie bei der Oberbürgermeis-terwahl in Düsseldorf im Herbst 2008 nur noch 38,5 Prozent der Stimmberechtigten überhaupt an der Wahl teilnehmen. „Es geht ja um nichts“, ist da zu hören. Jeder wägt selbst ab, ob es sich „lohnt“, zur Wahl zu gehen. Eine persönliche Zeitökonomie bestimmt den Tagesablauf, Zweckhan-deln steht im Mittelpunkt – und welchen Zweck soll es haben, eine anonyme Ent-scheidergruppe auszuwählen, mit deren Zielen man sich kaum noch ernsthaft aus-einander setzt?

Das ist nicht nur ein Problem der Wählen-den, sondern auch derjenigen, die sich zur Wahl stellen. Wer macht denn noch einen engagierten Straßenwahlkampf, wer zieht denn noch von Haustür zu Haustür, um Menschen zu überzeugen? In der indivi-dualisierten Gesellschaft wäre das ein Weg, die Einzelnen noch zu erreichen. Das ist mühsam, und gerade für Menschen, für die Politik zum Geschäft geworden ist, wird diese Mühe als wenig zweckmäßiges Handeln gesehen.

Trotzdem bleibt es wichtig, sich mit Poli-tik und Politikern auseinander zu setzen. Denn es wäre völlig falsch, Wahlmüden zu unterstellen, sie würden pauschal wo-möglich für den Stimmenfang radikaler oder gar extremistischer Parteien empfäng-lich sein. Das widerspricht auch empiri-

schen Befunden zum Thema. Nichtwähler lassen sich weder in eine radikale Ecke noch auf eine politisch linke oder rechte Seite stellen. Sie sind meist enttäuschte Ex-Wähler, die die Demokratie lieber als Zuschauer beobachten als selbst daran mit-zuwirken. „Lieber nicht wählen als Protest wählen“, hat der Tübinger Politikwissen-schaftler Michael Eilfort diese weit verbre-itete Haltung zusammen gefasst. Gleich-wohl gibt es ein klares Stadt-Land-Gefälle: „Auf dem Dorf“ wird häufiger gewählt als in Großstädten wie Duisburg, Essen oder

Köln. Das ist der Grund, warum kon-servative Parteien tendenziell von einer niedrigeren Wahlbeteiligung profitieren.

In einer diskursarmen Gesellschaft aber ha-ben Populisten mit zugespitzten Rezepten immer größere Chancen: Erst recht in einer Zeit, in der Charakterköpfe in den großen Parteien fehlen. Nehmen wir mal die CDU: Wo sind die rechten Alfred Dreggers und die linken Rita Süssmuths in dieser Partei? Der Appell zur Geschlos-senheit in Dauerwahlkampfzeiten droht zur Gefahr für den kultivierten Streit zu werden. In der Politik aber ist gerade in Krisenzeiten ein allzu gemütlicher Schmusekurs eben nicht sexy.

Natürlich muss am Ende einer inhaltli-chen Auseinandersetzung eine Lösung ste-hen. Ohne Kompromiss wird Demokratie nie gelingen. Aber die Positionen müssen wieder aufrichtig ausgetauscht werden. Alternativen sind abzuwägen, auch wenn es weh tut. Volksparteien sind keine Per-sonen-Wahlvereine sondern spannende Gebilde wie Familien: Wer dauerhaft schwelende Konflikte mit Harmoniesucht übertüncht, wird langweilig. Da kann das Angebot des über die Stränge schlagenden Opas, der wild und angetrunken durch die Gegend schreit, ein erlösendes Amüse-ment sein. Genauso können Radau-Poli-tiker extremer Parteien Farbe ins graue Bild der Politik bringen. In beiden Fällen weiß man aber, dass das keine Leitlinie für ein friedliches Zusammenleben sein kann.

Zugegeben, die Arenen der Politik sind meist weit vom eigenen Leben entfernt. Es macht Mühe, sich mit Programmen und Personen, die zur Wahl stehen, ausein-ander zu setzen. Man wird in der Regel nie-manden finden, der (oder die) die eigene Weltsicht umfassend repräsentiert. Gerade deshalb haben wir in der Demokratie aber alle eine Bringschuld: Dazu brauchen wir Bürger nicht in verrauchte Hinterzimmer zu veralteten Veranstaltungsformen ren-nen, die von lustlosen Parteimanagern organisiert wurden. Die Politiker müssen uns ihre Politik noch verständlicher ma-chen, sie müssen dabei auch zu modernen Mitteln greifen. Und sie müssen auch häufiger ihre Ecken und Kanten zeigen. Unangenehme Wahrheiten müssen ausge-sprochen werden – und zwar vor der Wahl.

Es geht nicht um einen eitlen Beliebt-heitswettbewerb, sondern um die Frage, wer Probleme am besten lösen kann. Politik als Schönwetterfärberei kann tatsächlich nicht mit einem Familienaus-flug am Wahlsonntag konkurrieren.

Der Autor Dr. Frank Überall, 38, lebt in Köln. Er ist promovierter Politikwissenschaftler und lehrt an der Fachhochschule Düsseldorf. Sein Schwerpunkt ist die politische Kulturforschung. Als Journalist berichtet er regelmäßig unter anderem für die Radio- und Fernsehredaktionen von WDR und ARD, aber auch für die Deutsche Presse-Agentur und verschiedene Zeitungen.

www.politikinstitut.de

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Herr Schöppner, dürfen sich die Parteien an Rhein und Ruhr bald wieder auf eine rege Beteiligung der Wähler freuen?Wir haben es seit einiger Zeit mit einem deutlichen Rückgang der Wahlbeteili-gung zu tun. Die Politik insgesamt hat an Glaubwürdigkeit und in den Augen der Bürger an Kompetenz verloren. Das war schon länger spürbar, ist aber durch die Ereignisse rund um die Landtagswahlen in Hessen verstärkt worden. Es kommt etwas hinzu: In einer Zeit, da die großen Parteien kleiner und die kleinen Parteien größer werden, wird die Entscheidung für eine bestimmte Partei immer unwich-tiger. Der Wähler weiß nicht, in welcher Koalition sich die Partei seiner Wahl anschließend wiederfindet. Nehmen Sie die SPD, die koaliert teilweise mit der CDU, aber auch mal wie in Berlin mit der Linken.

Welche Partei profitiert von der aktu-ellen Wirtschaftskrise?Interessanterweise ist derzeit eher der Typ Krisenmanager gefragt, der den Leuten ein Sicherheitsgefühl vermittelt. Davon profitieren seriöse Politiker wie Merkel und Steinbrück in Berlin, die mit ihrer „Schutzschirm-Politik“ das Vertrauen in den Staat wieder etwas stärken konnten. Nicht aber die SPD, so lange sie keinen klaren Kurs fährt.

Gibt es demoskopische Erkenntnisse darüber, welche Leute nicht zur Wahl gehen?Es gibt eine Gruppe von etwa zehn

Prozent der Bevölkerung, die sich kom-plett von der Politik abgewandt haben. Das sind Leute, die werden die Parteien auch auf absehbare Zeit nicht wieder zurück holen können. Dann gibt es weitere zehn Prozent, die mit der Partei, der sie normalerweise ihre Stimme geben, unzufrieden sind. Auf Bundesebene ist da derzeit die CDU betroffen, von der sich bisherige Stammwähler aus ordnungs-politischen Gründen zurück ziehen. Ein Viertel der Merkel-Wähler von 2005 sind derzeit nicht auf die Kanzlerpartei festgelegt. Acht Prozent würden zur FDP wechseln, aber mehr als zwölf Prozent zu Hause bleiben.

Ist diese Stimmung noch zu drehen?Grundsätzlich gilt, je näher der Wahlter-min rückt, desto geringer ist das Protest-verhalten. Der Wähler überlegt sich, was es für seine politische Zukunft bedeutet, wenn er nicht zur Wahl geht. Stärkt er damit Parteien, die er auf gar keinen Fall will? Und geht er nicht vielleicht mit zusammengebissenen Zähnen doch lieber hin? Angela Merkel ist in einer schwie-rigen Lage als Parteivorsitzende und Kanzlerin. Sie ist Chefin einer Regierung aus zwei etwa gleichstarken Partnern, und sie muss Rücksicht auf die SPD nehmen. Sie muss andererseits aber auch ihren Wählern überzeugend klarmachen, dass sie eine andere Politik machen würde, wenn Sie könnte. Sicher ist, je werteori-entierter und älter die Menschen sind, desto sicherer gehen sie zur Wahl. Eine geringere Wahlbeteiligung nutzt üblicher-weise eher der Union, weil sie die meis-

ten Wähler hat, für die „Wählen gehen“ noch einen wichtigen Wert darstellt.

Wie ist die politische Stimmung in Nordrhein-Westfalen?Anders als in früheren Jahren steht die CDU in NRW deutlich besser da als die CDU im Bund. Hier liegt die Zustim-mung der Wähler derzeit bei etwa 40 Prozent, bundesweit kommt die Union nur auf 35 Prozent. Das hängt wesentlich damit zusammen, dass es dem Minis-terpräsidenten Rüttgers gelingt, einen Teil der früheren SPD-Wähler für sich einzunehmen.

Also gibt es den „Faktor Arbeiter-führer“ tatsächlich?Ja. Die SPD hat zwei Flügel. Der eine, das sind die klassischen Arbeiter, gewerk-schaftlich organisiert aber mit Verständnis für die Wirtschaft. Das sind Leute, die wollen etwas leisten und vom Erfolg ihrer Unternehmen auch im Geldbeutel profi-tieren. Die erreicht Rüttgers ganz gut, auch im Ruhrgebiet. Der andere Teil sind Beamte oder Angestellte im Staatsdienst, Empfänger von Transferleistungen, denen wirtschaftliche Notwendigkeiten ziemlich fremd sind, also die „Gutmenschen“, Diese Wähler erreicht er nicht.

Und wie steht die SPD insgesamt da?Frau Kraft liegt in den Umfragen deutlich hinter Jürgen Rüttgers. Viel wichtiger ist aber, dass auch die NRW-SPD noch un-ter den Vorgängen in Hessen leidet. Seit der Taktiererei von Frau Ypsilanti achten die SPD-Sympathisanten besonders

Die Europawahl liegt schon drei Monate zurück, in wenigen Tagen ist Kommunalwahl. Kurz: der Wahlmarathon hat begonnen. Drei Mal werden die Wähler im größten Bundesland bis Mai 2010 noch an die Urnen gerufen. Zur Stimmung im Wahlvolk sprach NRW.jetzt mit dem Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner.

Glaubwürdigkeit verlorenINTERVIEW MIT KLAUS-PETER SCHÖPPNER

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43Ostwestfalen-Lippe Spezial.

POLITIK. Interview

darauf, wie es ihre Partei mit der Linken hält. Und das ist im Land Nordrhein-Westfalen weiter ungeklärt. Auch in-haltlich muss die Partei noch mehr brin-gen. Bei der Frage nach der Kompetenz der Parteien in den Sachfeldern liegt die SPD nur bei der „sozialen Gerechtigkeit“ vorn. In allen anderen Bereichen, übri-gens auch bei der Bildungspolitik, hat die CDU deutlich höhere Kompetenzwerte als die Sozialdemokraten.

Wird die Linke in den NRW-Landtag einziehen?Vor einem halben Jahr lag die Partei bei acht Prozent, einem relativ hohen Wert. Ob sie 2010 in den Landtag kommt, kann jetzt noch keiner sagen. Das hängt

besonders davon ab, ob es der SPD ge-lingt, ihr linkes Profi l zu schärfen. Die Linke lebt momentan davon, dass der zukünftige SPD-Kurs nicht klar ist. Und dann kommt es auch auf das Ergebnis der Bundestagswahl an. Gewinnt Schwarz-Gelb wird es die Linke nach unserer Einschätzung im Land leichter haben, reinzukommen.

Und die Rechtsextremisten?Die Rechten gibt es in Nordrhein-West-falen nur marginal, wir sehen sie landes-weit bei etwa einem Prozent, im Ruhrge-biet allerdings höher, etwa drei Prozent. Die Gefahr eines Einzugs rechter Parteien in den Landtag besteht also nicht.

Zur Person

Der im Jahr 1949 geborene Klaus-Peter Schöppner stu-dierte Psychologie, BWL und Publizistik in Münster. 1975 ging er als Studienleiter zum EMNID-Institut, erstellte ca. 500 Studien für Parteien, Ministerien, Verbände und Medien. Seit 1990 ist er Ge-schäftsführer des Meinungs-forschungsinstituts. Schöppner publiziert regel-mäßig in den führenden deutschen Medien und berät Politiker, Parteien, Verbände und große Unternehmen.

Klaus-Peter Schöppner

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20 Städte, zwei Landkreise, der Regio-nalverband Ruhr (RVR), Emscher-Genos-senschaft und das Land Nordrhein-West-falen haben hier im Herzen des Ruhrgebiets der postindustriellen Landschaft ein ganz eigenes Gesicht gegeben. Der Emscher Landschaftspark ist der zentrale Park der Metropole Ruhr. Es gibt grandiose Panora-ma-Ausblicke und faszinierende Einblicke in den Wandel einer urbanen Landschaft. Mehrere hundert Kilometer stillgelegte Bahntrassen und Uferwege wurden in be-queme Radwege umgebaut. Industriekul-tur und Landschaftskunst gehen hier eine perfekte Symbiose ein.

Neue Lebens- und Wohnqualität, Parks und Freizeitangebote sind die Säulen eines Konzeptes, das seinen Ursprung Ende der 80er Jahre hatte. Da startete das Land mit der Internationalen Bauausstellung Em-scherpark (IBA) eine Initiative mit dem Titel „Wiedergewinnung von Landschaft – Sichern, Verbinden, Qualifizieren“, ein zunächst auf zehn Jahre angelegtes Pro-gramm. Ziel war es, den Strukturwandel in einer alten Industrieregion des nördli-chen Ruhrgebiets voran zu bringen, und das in kultureller, sozialer und städtebauli-cher Hinsicht.Rund 120 Projekte wurden in den ersten

zehn Jahren verwirklicht, umgerechnet 2,5 Milliarden Euro ausgegeben. Doch mit der Übernahme des Emscher Land-schaftsparks Anfang 2007 in die Träger-schaft des Regionalverbandes Ruhr wurde die Entwicklung eher noch beschleunigt. Seitdem baut der Verband auf Grundlage des Masterplans Emscher Landschaftspark 2010 den Regionalpark für das kommende Jahrzehnt aus. Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. „Alles wird noch attraktiver und erlebbar gestaltet. Die Menschen werden begeistert sein“, sagt Frank Bothmann von der Arbeitsgemeinschaft Neues Emsche-

IM EMSCHER LANDSCHAFTSPARK WERDEN GIGANTISCHE VISIONEN ZUR REALITÄT

Kultur und Kunst im Einklang

Metropole Ruhr . Spezial44

Metropole Ruhr . Spezial

Blick über das Neue Emschertal mit Schurenbachhalde in Essen

Der Erfolg des ambitionierten Projekts Emscher Landschaftspark beweist: Es ist möglich, dass im Ruhrgebiet alle Städte an einem Strang ziehen - wenn es einen überzeugenden Grund gibt.

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tal. Eine wichtige Rolle nimmt im Rah-men der Kulturhauptstadt 2010 die Em-scher-Insel als eines der Leitprojekte ein. Sie wird Kulisse für viele kulturelle Vorha-ben von unterschiedlichen Initiatoren sein. Die Insel erstreckt sich zwischen den Wasserflächen von Emscher und Rhein-Herne-Kanal und von Castrop-Rauxel bis Oberhausen auf einer Länge von 34 Kilo-metern und einer Breite von bis zu zwei Kilometern.„Und für den Mechtenberg haben wir auch ein Konzept entwickelt, das derzeit in der Testphase ist. In dieser Hügellandschaft werden in den Gefällelinien bald schon die unterschiedlichsten Früchte angebaut. Ein Bauer wird unser Vorhaben umsetzen, er soll sich seinen Lebensunterhalt damit verdienen“, schwärmt Bothmann. Der Mechtenberg auf Essen-Krayer Stadtge-biet ist der einzig natürlich entstandene Berg im südlichen Emschertal, ein Relikt der letzten Eiszeit mit einer bewegten Kul-turgeschichte von über 2000 Jahren.Weitaus ambitionierter und langfristiger angelegt ist der Bau von neuen, leistungs-fähigen Kläranlagen, die Verlegung von

rund 400 Kilometer Abwasserkanälen, um die offenen Schmutzwasserläufe vom Abwasser zu entfrachten und die anschließende Renaturierung von rund 350 Kilometer Gewässerstrecke. Dieses Unterfangen wird die Planer wohl noch zehn Jahre beschäftigen. „Das ist ein gi-gantisches Projekt von insgesamt rund vier Milliarden Euro. Wir haben jetzt in Dortmund damit begonnen. Irgendwann strömt dann Rheinwasser anstelle von Ab-wasser“, freut sich Bothmann jetzt schon auf dem Moment, wenn aus der Vision eine Realität werden wird. Um die verbandseigenen Flächen zu pfle-gen und zu unterhalten, hat der RVR drei Parkstationen eingerichtet. Ihre Standorte sind Haus Ripshorst in Oberhausen, der Emscherbruch in Gelsenkirchen sowie die Ökologiestation Bergkamen. Die Parksta-tionen organisieren die Pflege und Unter-haltung der einzelnen Parks und haben darüber hinaus Beobachtungsfunktion für alle Freiflächen des Emscher Land-schaftsparks und sind Kommunikation-sorte für Partner des RVR und Bürger. In neuem Glanz wird in Oberhausen im kommenden Jahr das Interieur erstrahlen. „Haus Ripshorst erhält eine neue medi-ale Ausstattung“, berichtet Bothmann zufrieden. Waren früher Karten, Pläne und Grafiken vorherrschend, bestimmen künftig Videos, Filme und eine interak-tive Technik das Erscheinungsbild. Multi-medial wird der Besucher dort demnächst umfassend informiert. Im Emscherpark steht das Rad nie still…

45Metropole Ruhr . Spezial

Halde Rheinelbe in Gelsenkirchen mit künstlerischer Inszenierung „Himmelstreppe“

Sonnenuhr auf der Halde Hoheward

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Bekannt geworden waren die Pläne erst-mals am Rande des 2. „NRW-Tages der Deutsch-Türkischen Wirtschaftsbegeg-nung“ Ende Mai im Kongresszentrum der Dortmunder Westfalenhallen. Dort wur-den die deutsch-türkischen Geschäfte von vielen Teilnehmern in höchsten Tönen gelobt. Im Ruhrgebiet sind die türkischen Unternehmen die größte Gruppe auslän-discher Firmen. Nach Aussage der IHK gibt es allein in Dortmund 100 ins Han-delsregister eingetragene türkische Firmen

liardenkonzern zum Einstieg in den deutschen und europäischen Markt werden. Das hat man inzwischen auch in Gelsenkirchen gemerkt, denn die City wird möglicherweise Standort einer der ersten Filialen des türkischen Textilun-ternehmens, das in den nächsten Jahren bis zu 120 Häuser in Deutschland eröff-nen will. Drei Immobilien auf der Bahn-hofstraße haben die Projektentwickler im Auge. Das „Boecker”-Haus am Haupt-bahnhof, das leer stehende Sinn & Leffers-

Gebäude und der Neubau Bahnhofstraße 12/14 – das Geschäftshaus am Neumarkt gilt dabei nach Informationen der „West-deutschen Allgemeinen Zeitung“ als Favorit.

Hinter dem Namen MOL steckt ein Zusammenschluss türkischer Textilun-ternehmen, die einen Jahresumsatz von 3,5 Milliarden Euro im Rücken haben. Als mögliche Revierstandorte gelten ne-ben Gelsenkirchen und Dortmund noch Essen und Mülheim.

„Die türkische Textilindustrie ist groß und stark”, weiß Ralf-Michael Schulz. Der Dortmunder Immobilienmann ist als Projektentwickler für MOL aktiv. „Wir sind kurz vor dem Ziel”, formuliert Schulz und weiß dabei nur zu gut, dass der großangelegte Sprung über den Bosporus nicht leicht ist. Mit dem MOL-Konzept, unter dessen Dach sich 78 Betriebe zusam-men geschlossen haben, will die türkische Textilbranche auch angesichts der Krise der Warenhäuser die Vermarktung selbst in die Hand nehmen.

Vier bis fünf MOL-Läden sollen laut Schulz noch dieses Jahr an den Start ge-hen. Zielgebiet sind zunächst das frequenz-starke Ruhrgebiet und die Rheinschiene.

Um die 3.000 Quadratmeter Verkaufs-fläche sollen die MOL-Filialen haben – „Esprit-Qualität zum Preis von KiK” sei die Devise von MOL, sagt Schulz. Preis-werte Textilien ohne Ramsch-Ambiente: Das habe in Deutschland C&A mit seiner neuen Kette „avanti” vorgemacht – eines ihrer ersten Häuser öffnete auch in Gelsen-kirchen, in der ehemaligen Kaufhalle.

Metropole Ruhr . Spezial46

ÜBER DAS REVIER IN DEN EUROPÄISCHEN MARKT

Türkischer Textilriese MOL sucht nach Ladenlokalen Von wegen Dönerbuden! Die türkische Textilwarenkette MOL will innerhalb von drei Jahren in Deutschland 120 Geschäfte eröffnen. Die Firmenzentrale soll nach Dortmund kommen, in anderen Revier-Städten werden bereits passende Immobilien in Augenschein genommen.

und etwa 1.000 K l e i n g e w e r b l e r aus Einzelhandel, Baugewerbe und Gastronomie. Die Geschäfte laufen augenscheinl ich gut.

Auch umgekehrt übrigens. Immer mehr deutsche Un-ternehmer eröffnen Dependancen am Bosporus, und erst vor gut einem Jahr eröffnete die landes-eigene Wirtschafts-förderung NRW.Invest eine Re-präsentanz in Istan-bul.

Nun also MOL. Etwa 50 neue Ar-beitsplätze würden allein in Dortmund entstehen. Das Ruhrgebiet soll für den türkischen Mil-

Die Bahnhofstraße in Gelsenkirchen

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KULT.Metropole

www.waz-mediengruppe.de

Die WAZ Mediengruppe – mit über 500 Printtiteln europaweit –ist die kulturelle Stimme des Ruhrgebiets.

Unsere Medien informieren und berichten über alle Highlights von RUHR.2010:standhaft, streitbar, intensiv.

Herzlich willkommen!

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Manchmal werden Entscheidungen nicht von der Politik, sondern von der Wirklich-keit getroff en. Das engere Zusammenwach-sen der Städte im Ruhrgebiet scheint mir so ein Fall zu sein. Hier hat sich die Politik jahrzehntelang nicht gerade als Gestalterin hervorgetan. In der Zwischenzeit jedoch hat die Realität längst die Fakten ge-schaff en, denen die Politik nun Rechnung zu tragen hat.

Fakt ist: Die Einwohner der Ruhrgebiets-städte sind selbstverständliche Bürger der Metropole Ruhr, weil sie in Es-sen einkaufen, in Bochum studieren, in Gelsenkirchen ins Musiktheater gehen und in Herne wohnen. Das geht. Alles nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Fakt ist: Wir können nicht mehr so tun, als befänden wir uns in der vorindustriel-len Phase vor 1850, in der Gemarkungen wie Westfalen und Rheinland die ent-scheidenden Orientierungs- und Identi-fi kationsräume darstellten. Heute, 150 Jahre nach seiner Entstehung, hat sich das Ruhrgebiet mit mindestens ebensolcher Bindungskraft und ganz eigenen Identi-fi kationsmerkmalen zwischen den beiden althergebrachten Landstrichen konsoli-diert. Hier ist ein ganz eigenständiger Kul-turraum entstanden, der mit Rheinland und Westfalen nicht mehr viel zu tun hat.

Fakt ist: Die Geographie des Reviers zwingt zur Zusammenarbeit. Die Städte im Ruhrgebiet sind einfach viel zu eng beieinander, als dass irgendjemand einen Ego-Trip unternehmen könnte, ohne an-deren Schaden zuzufügen. Wenn wir ver-suchen, in einen Standortwettbewerb um

Gewerbeansiedlungen und Leuchtturm-projekte einzusteigen, würden wir unsere Städte kaputtmachen – übrigens auch die Städte, die kurzfristig als Sieger aus einem solchen hervorgingen, weil sie es oft um jeden Preis tun. Kann es etwa in 15-Kilo-meter-Abständen von Innenstadt zu In-nenstadt je ein Einkaufszentrum von der Größe eines CentrO geben? Steigert sich denn auch die Kaufkraft mit jedem neuen Einkaufszentrum? Und wenn nein, sollte es dann so sein, dass, wer zuerst baut, wer das größte baut oder wer am aggressivsten vorgeht, gewinnt und die anderen auf der Strecke bleiben?

Fakt ist: Die Finanzlage der 53 Kommu-nen des Ruhrgebiets ist jetzt schon stark angespannt. Im Zuge der Finanzkrise und der ständig wachsenden kommunalen Aufgabenlast, ohne entsprechenden fi -nanziellen Ausgleich durch Bund und Land, droht sie nun wirklich dramatisch zu werden. Kooperationen und Auf-gabenteilung sind angesichts dessen eine Frage des Überlebens. Vieles kann man gemeinsam besser, billiger und effi zienter machen. Und nicht jeder muss alles ma-chen, sondern man kann sich absprechen und Aufgaben teilen.

Fakt ist: Auch der demografi sche Wandel, der das Ruhrgebiet schneller ereilt als den Rest der Republik, wird uns weitere und viel engere Formen der Zusammenarbeit aufnötigen, wo wir sie nicht selbst suchen. Für die Bevölkerung im Ruhrgebiet des Jahres 2030 werden die einzelnen Städte eine viel zu überdimensionierte Infrastruk-tur vorhalten, wenn wir nicht intelligente Formen der gegenseitigen Unterstützung

fi nden werden.

An dem Grad der Zusammenarbeit ent-scheidet sich also die Zukunftsfähigkeit der Städte des Reviers. Die Zukunft des Ruhrgebiets ist eine gemeinsame – oder es ist gar keine.

In vielen Bereichen gibt es bereits viel versprechende Kooperationen: Am Regio-nalen Einzelhandelsentwicklungskonzept Östliches Ruhrgebiet etwa beteiligen sich jetzt schon 23 Städte. Einen gemeinsamen regionalen Flächennutzungsplan haben die Städte Bochum, Essen, Gelsenkirch-en, Herne, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen aufgestellt. Der gemeinsame Gewerbeimmobilienpool funktioniert be-reits gut. Und natürlich ist auch die Kul-turhauptstadt 2010 ein weiteres Beispiel dafür, was dabei herauskommen kann, wenn Egoismen überwunden werden.

Diese Kooperationen werden in den näch-sten Jahren weiter und tiefer gehen müs-sen. Aber wir werden auch über neue Strukturen nachdenken müssen. Nur auf diese Weise kann eine intensivere Koope-ration gelingen. Ich halte einen politischen Repräsentanten für notwendig, der die In-teressen des Reviers nach innen wie nach außen vertritt. Dieser „Regierende Bürger-meister“ der Metropole Ruhr sollte direkt gewählt werden, um den Oberbürgermeis-tern der Städte auf Augenhöhe begegnen zu können. Ein ebenfalls direkt gewähltes Ruhrparlament wäre für die demokratische Legitimierung dieser Entscheidungsin-stanz sinnvoll und wichtig. Nur auf diese Weise wird ein Ruhrparlamentarier nicht mehr in erster Linie der Stadt verpfl ichtet

»Die Zukunft des Reviers ist eine gemeinsame – oder gar keine«

Metropole Ruhr . Spezial48

Der AutorFrank Baranowski, geboren am 17. Juni 1962, ist seit 2004 Oberbürgermeister von Gelsenkirchen. Er ist Sprecher der Ruhr-SPD und Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) in Nordrhein-Westfalen.

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sein, die ihn entsendet, sondern dem Re-vier. Die Interessen der Städte könnte eine zweite Kammer wahren – bestehend aus den Oberbürgermeistern und Landräten. Sie würde dafür sorgen, dass die getroff -enen Entscheidungen nicht nur von den Städten akzeptiert würden, sondern dort auch Verbindlichkeit genießen und zügig umgesetzt werden. Ein auf diese Weise re-formierter Regionalverband Ruhr (RVR) hätte politisches Gewicht und wäre ein auch außerhalb der Region ernst zu nehm-ender Akteur. Was dort entschieden wird, das gilt dann!

Nötig ist auch eine Verständigung der Städte darüber, welche Kompetenzen diese gemeinsame Instanz erhalten soll. Auf jeden Fall die für die regionsweiten Be-reiche Verkehrsinfrastruktur, Nahverkehr, Kultur, Exzellenzinitiativen und Flächen-entwicklung. Dass derzeit Straßenbahnen im Revier an Stadtgrenzen enden, weil Nachbarstädte unterschiedliche Spur-weiten haben, ist eine Posse, die sich nicht wiederholen darf und nicht wiederholen wird.

Bei all dem geht es nicht um eine Aufl ö-sung von Städten. Die oft benutzten Be-griff e „Metropole Ruhr“ oder „Ruhrstadt“ sind im Grunde ein Platzhalter für etwas, wofür es auf der Welt noch kein Vorbild gibt: eine Stadt der Städte, ein stark ver-klammertes Ensemble von Kommunen.

Man darf sich da-runter nicht vorstellen, dass es eine Stadt mit einem ein-deutigen Zentrum und einer ein-deutigen Peripherie geben soll. Das hieße ja gerade, dem Ruhrgebiet seine beson-deren Qualitäten nehmen. Denn die lie-gen in der Vielfalt, in der polyzentrischen Struktur, die gepfl egt werden muss.

Aber eines ist auch klar: Diese Qualität von Kooperation, erst recht die Auf-gabenteilung, bedarf in viel stärkerem Maße der Sichtbarkeit der verbindenden Klammer. Dass sich in unserer Region die Menschen jetzt schon, ohne dass es eine starke Klammer gibt, dem Ruhrgebiet ver-bunden fühlen, zeigt, wie groß das Poten-zial dieser „Marke“ ist. Um wie viel stärker wäre die Identifi kation, wenn es ein klares, sichtbares und starkes Identifi kationsange-bot gäbe?

Warum das wichtig ist? Der Bochumer wird nicht freiwillig auf ein Konzerthaus verzichten, nur weil in Essen eines steht. Davon hat er nichts. Er kann nicht sagen: Wir haben ein Konzerthaus. Der Essener hat’s. Der Gelsenkirchener wird nicht frei-willig auf das Deutsche Fußballmuseum verzichten, damit Dortmund es bekom-mt. Auch er kann nicht sagen: Er hat ein Fußballmuseum. Erst wenn das Wahrnehm-

ungskonto sich über das gesam-

te Ruhrgebiet er-streckt, erst wenn

also der Bochumer über das Essener Konzerthaus sagen kann: Das ist unser Konzerthaus, wenn

es also auch nicht nur das Essener Konzerthaus,

sondern das Revierkonzerthaus ist, nur dann wird diese Art von Auf-

gabenteilung und Kooperation zu machen sein.

Nehmen wir Berlin: Der Neuköllner hat kein Brandenburger Tor, keine Museums-insel, keinen Reichstag, kein Berliner En-semble. Trotzdem identifi zieren wir ihn und er sich selbst damit, weil er verbrieft und offi ziell Berliner ist. Gleichwohl aber haben die Berliner Bezirke ein hohes Maß an Eigenständigkeit, eigene Verwaltung-en und sorgen dafür, dass die Metropole nicht zu einem Moloch wird. Da müssen wir hin kommen.

Identifi kationen fallen nicht vom Him-mel. Sie entwickeln sich durch Angebote. Die müssen wir machen. Ich halte es da gar nicht einmal für eine ganz abwegige Idee, in Zukunft auch einmal über solche Sachen wie ein gemeinsames Autokenn-zeichen oder eine gemeinsame Vorwahl nachzudenken.

So oder so: Die Zukunft unserer Städte liegt in der Gemeinsamkeit. Aber diese Gemeinsamkeit klappt nur durch die frei-willige und partnerschaftliche Koopera-tion der Städte.

Metropole Ruhr . Spezial

49Metropole Ruhr . Spezial

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Wenn ein Besucher in der Zentrale des RWE-Konzerns in Essen versehentlich den Namen Shi Agassi erwähnt, dann verfinstern sich die Mienen ringsherum. Der israelische Geschäftsmann und früh-ere SAP-Vorstand möchte mit seinem neuen Projekt Better Place zum Vorreiter einer globalen Revolution im Automarkt werden: der Umstellung vom Verbren-nungs- zu Elektromotoren beim Automo-bil. Und dazu sucht der umtriebige und wohl auch kapitalstarke Entrepreneur Bal-lungszentren weltweit, in denen er seine Ladestationen aufbauen kann. Tatsächlich hatte Agassi seine Augen vor einiger Zeit auch schon einmal auf das Ruhrgebiet

gerichtet, doch hier wartet so richtig Nie-mand auf ihn.

Ende August eröffnete RWE in der Landeshauptstadt Düsseldorf seine ersten „Tankstellen der Zukunft“, eine davon lediglich provisorisch – im Rahmen einer bundesweit angelegten Roadshow – am Tonhallenufer, eine in der Garage des nob-len Hotels Nikko, und bald kommt eine weitere am Fürstenwall hinzu. Gemein-sam mit dem Parkgaragen-Betreiber Apcoa soll in Düsseldorf und darüber hinaus ein dichtes Netz solcher Stromzapfsäulen ent-stehen. Die Landeshauptstadt entwickelt sich damit wohl zu einem Kampfplatz der

besonderen Art, hatten doch erst wenige Tage zuvor die heimischen Stadtwerke, Tochter eines anderen Energieriesen na-mens EnBW, ihre erste öffentliche Strom-Tankstelle im Parkhaus am Carlsplatz in Betrieb genommen und weitere 45 für die kommenden zwei Jahre angekündigt.

In Essen gibt es Stromzapfstellen, in Dort-mund soll ein knappes Dutzend entstehen. Grundsätzlich könnte so ein E-Auto übri-gens auch an einer ganz normalen Steck-dose in der heimischen Garage aufgeladen werden. Das würde aber für eine Batterie rund acht Stunden dauern, mehr als dop-pelt so lange wie an der Zapfsäule.

E-MOBILITY WIRD ZUM RENNER BEI POLITIK UND STROMKONZERNEN

Nun fehlen nur noch die AutosObwohl es bisher kaum Elektroautos gibt, wächst die Zahl der Elektro-Tankstellen an Rhein und Ruhr. Für den Stromkonzern RWE und andere ist das eine Investition in die Zukunft. Klaus Kelle

Metropole Ruhr . Spezial50

Trommeln für den Autostrom: RWE-Chef Jürgen Großmann und Wirtschaftsministerin Christa Thoben

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Alles ein Irrsinn, könnte man nun mei-nen, denn wo fährt schon ein Elektroauto? Doch die Konzerne denken langfristiger – ebenso wie die Politik. Und so ließen es sich weder RWE-Vorstandschef Jürgen Großmann noch NRW-Wirtschaftsmi-nisterin Christa Thoben (CDU) nehmen, beim Start der RWE-Stromtanke persön-lich am Tonhallenufer zu erscheinen. Und die Ministerin, nicht gerade fürs Zaudern bekannt, versprach: „Nordrhein-Westfalen wird die erste große Modellregion für Elektromobilität.“

Zu dem Szenario passt, dass auch die Bundesregierung in diesen (Wahlkampf-) Tagen das Thema Elektroautos entdeckt hat. Mit einem sogenannten „Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität“ will sie Deutschland zum Elektroauto-Land Nr. 1 machen. Bis 2020, so sagt Bundes-verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) voraus, werden in Deutschland mehr als eine Million Elektroautos un-terwegs sein (davon 250.000 in NRW). Doch wer nach finanziellen Anreizen für die potentiellen Autokäufer sucht, sucht hier vergeblich – anders als etwa in den USA oder Japan, also in Ländern, in denen auch die technische Entwicklung in puncto Antriebssysteme nach Experten-meinung weiter ist als hierzulande.

Als Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im Februar 2009 in Detroit auf-tauchte, um mit Rick Wagoner, damals mächtiger Boss des Autogiganten Ge-neral Motors, über die Zukunft von Opel zu verhandeln, bekam er zuvor eine gute Stunde lang den neuen US-Hoffnungs-träger am Elektroauto-Himmel präsenti-ert: den Chevrolet Volt. Schnittig sieht der aus, doch das Grundproblem aller Elek-troautos bleibt ungelöst: die vergleichs-weise geringe Reichweite. Wenig mehr als 60 Kilometer legt so ein batterie-betriebener Volt zurück, bevor über einen kleinen Verbrennungsmotor (!) die Akkus

wieder geladen werden müssen. Immer-hin: Die deutsche Version des Volt – der Opel Ampera – soll ab 2011 dem Markt zur Verfügung stehen. Und natürlich ar-beiten auch die Forschungsabteilungen der anderen großen Automobilhersteller in Deutschland mit Hochdruck an diesem Zukunftsthema. Denn eins ist kaum zu

bezweifeln: Elektroautos werden irgend-wann in einigen Jahren die Straßen domi-nieren. Knapper werdende Öl-Ressourcen und steigende Benzinpreise sind der öko-nomische Aspekt. Doch immer wichtiger wird auch der ökologische, sind doch die angestrebten Elektrofahrzeuge umweltver-träglicher und wesentlich leiser.

Metropole Ruhr . Spezial

51Metropole Ruhr . Spezial

Ein Blick ins Innere des Volt: Die Batterie dominiert alles.

Das Auto der Zukunft? Der Chevrolet Volt.

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Unsere Familie verlässt Düsseldorf mit Erinnerungen, die uns ein Leben lang be-gleiten werden.

Wir hoffen, dass unser Beitrag ähnlich positiv war. Zu den vielen Veranstaltun-gen des Konsulats haben wir Tausende von Menschen aus unterschiedlichen Be-reichen eingeladen. Und weitere Tausende haben wir bei anderen Veranstaltungen kennengelernt, und auch dabei viele Freunde gewonnen. Dass wir mit engagier-ten Partnern in der Domstadt und aus an-deren Städten eine Nachfolgeinstitution für das ehemalige Amerika Haus Köln ins Leben rufen konnten, bietet Deutschen,

Amerikanern und anderen ein zusätzliches transatlantisches Forum.

Als wir im August 2006 ankamen, war die Politik meiner Regierung nicht besonders beliebt. Das hat die Zusammenarbeit je-doch auf Regierungsebene, im Bereich Handel und Investitionen sowie die direk-ten Beziehungen zwischen den Menschen unserer Länder kaum beeinträchtigt. Wie viele hunderttausende Familien in bei-den Ländern unmittelbar von unseren Wirtschaftsbeziehungen profitieren! Dieserwirtschaftliche Aspekt wird oft unter-

schätzt und die Größenordnung ist selbst vielen Experten nicht immer bekannt.

Die Beziehungen NRW-USA sind so leb-haft und eng wie kaum zuvor. Das gegen-seitige Interesse an unseren Ländern ist enorm. Reisen in die USA von offizieller Seite, darunter die jährlichen Besuche von Ministerpräsident Dr. Jürgen Rüttgers, ha-ben für NRW und unsere Bundesstaaten viel Positives bewirkt, wie z.B. die Partner-schaft mit Pennsylvania.

Als Diplomat gehört es zu meinen Aufga-ben, mein Land und seine Politik nicht nur zu vertreten, zu erläutern und, wenn nötig,

auch zu verteidigen, sondern auch den Menschen im Gastland genau zuzuhören. Präsident Obama hat das Bild der USA in Deutschland verbessert und eine neue Dynamik ausgelöst, was meine Arbeit leich-

ter macht. Nicht alle meine Gesprächs-partner sind jedoch optimistisch, was die Zukunft unserer Beziehungen angeht. Viele meinen, lockerere Verbindungen zu Amerika seien im deutschen nationalen Interesse.

Aus meiner Sicht ist es genau umgekehrt.

Unsere Länder haben ein enormes gemein-sames Interesse, dass sich die Beziehungen auch in Zukunft so erfolgreich entwickeln wie in der Vergangenheit. Nach tausen-den von Gesprächen und gewonnenen

Eindrücken, habe ich dazu einige eigene Schlussfolgerungen:

Wir müssen besser über einander Be-scheid wissen. Dass meine Landsleute sich mehr mit Deutschland beschäfti-gen sollten, ist nichts Neues. Aber ich habe auch hier überraschende Wis-senslücken über die USA festgestellt, auch unter ansonsten gut informi-erten Leuten. Dabei ist es durch die moderne Kommunikation, günstige Reisemöglichkeiten und das Internet heute leichter denn je, andere Länder zu verstehen. Wir sind füreinander zu wichtig, um diese Möglichkeiten unge-nutzt zu lassen.

Wir sollten einander mehr zuhören und die Komplexität unserer Politik und Gesellschaften vor Augen haben. Wir haben uns Vieles zu sagen und sollten offener für die Ansichten des Anderen sein. Wir brauchen auch mehr Nuancen und mehr Differenzierung in unserem Dialog. Wie einer meiner Pro-fessoren immer wieder fragte: „Are you sure?“

In unseren Ländern basiert der poli-tische Diskurs auf Kritik und Diskus-sion, und wir sind für konstruktive Kritik. In Straßburg sagte Präsident Obama: „Aber in Europa gibt es einen Anti-Amerikanismus, der beiläufig ist, der aber auch hinterhältig sein kann.

Farewell-Gruß von US-Generalkonsul Matthew G. Boyse

Die drei Jahre, in denen meine Frau Eleanore und ich das Privileg hatten, die Vereinigten Staaten in Nordrhein-Westfalen zu vertreten, waren groß-artig. Wir haben Tausende von interessanten Menschen kennengelernt und zahllose wunderbare Erlebnisse gehabt.

»Wir müssen stets an unserer Beziehung arbeiten«

»Wir brauchen auch mehr Nuancen in unserem Dialog«

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Politik.Diplomatie

Statt das Gute anzuerkennen, das die Vereinigten Staaten so oft auf der Welt bewirken, gab es Zeiten, in denen die Europäer den Amerikanern die Schuld für viel von dem gaben, was schlecht war.“ Es gibt sicher Probleme, für die die USA Verantwortung tragen; es gibt andere, für die auch andere Staaten mitverantwortlich sind; und es gibt solche, an denen wir kaum beteiligt sind. Trotzdem gibt es eine weitver-breitete Tendenz, im Zweifel Amerika verantwortlich zu machen.

Idealismus ist in unseren Gesellschaften tief verankert, und beide haben viel Gutes in der Welt geleistet. Doch in unserem Bestreben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, müssen wir auch realistisch sein. Realpolitik – also die Welt zu nehmen, wie sie ist – ist ja ein deutsches Konzept. In schwierigen Zeiten sind wir besonders gefordert, re-alpolitisch und strategisch zu denken.

Weltoffenheit und Isolationismus konkurrieren in unseren beiden Län-

dern um Einfluss. Deutschland hat sein Engagement im Ausland in den letzten Jahren beträchtlich ausgeweitet, was aber in der Bevölkerung nicht populär ist. Ähnlichen Widerstand gibt es auch bei uns. Unsere Länder stehen ernsten internationalen Herausforderungen gegenüber, denen wir nicht aus dem Weg gehen und die wir nur durchZusammenarbeit lösen können.

Auch sollten wir die junge Generation stärker in die beiderseitigen Beziehun-gen einbinden. In dem Maße, wie die vom Nachkriegskonsens geprägten Generationen langsam von der Bühne abtreten, wird die Nachfolgegeneration mit ihren anderen Erfahrungen an ihre Stelle treten. Wir müssen sicherstellen, dass auch sie verstehen, wie unverzicht-bar unsere globale Partnerschaft ist.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat unsere Allianz unseren Ländern und der gan-zen Welt enormen Nutzen gebracht. Aber wie Präsident Obama vor kurzem bemerkte, sollten wir uns nicht auf ver-

gangenen Erfolgen ausruhen. Wir müs-sen an unserer Beziehung arbeiten und dürfen uns gegenseitig nicht für selbst-verständlich nehmen.

Deutschland und die USA haben umfas-sende und historisch gewachsene Bezie-hungen zueinander, die Frieden, Freiheit und Wohlstand für beide Gesellschaften garantiert haben. Diese müssen sich auch weiterhin bewähren, denn die Probleme, die vor uns liegen, sind enorm. Wie Vizepräsident Joe Biden in München im Februar bemerkte: „Wir haben uns niemals mehr gebraucht als jetzt.“ Wir sollten uns weniger auf die geringe Zahl von Proble-men konzentrieren, bei denen wir unter-schiedlicher Meinung sind, und uns mehr auf unsere gemeinsamen Interessen besin-nen, zum Nutzen unserer beider Gesell-schaften und zukünftigen Generationen.

Herzlichen Dank für drei wunderbareJahre! Deutschland und Nordrhein-West-falen haben einen engagierten Freund in den Vereinigten Staaten!

Der Autor Matthew G. Boyse ist seit August 2006 Generalkonsul der USA in Düsseldorf. Der aus Grosse Pointe, Michi-gan stammende Diplomat bekleidete davor zahlreiche Ämter im Bereich Wirtschaft und Politik, vor allem an Botschaften in Europa und Südasien. Boyse hat einen B.A. Abschluss des Haverford College in Lateinischer und Griechischer Philologie, sowie einen M.A. in sowjetischen und osteuropäischen Studien der Columbia University. Im August hat Boyse eine neue diplomatische Aufgabe in Kabul/Afghanistan übernommen.

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Wenn sich Hans H. Stein, Direktor der NRW-Landesvertretung bei der EU, etwas wünschen dürfte, dann wäre es etwas mehr Europabegeisterung in der deutschen Hei-mat. „Man darf den schwarzen Peter nicht immer nach Brüssel schieben“, macht er seinem Unmut über die üblichen Stereo-typen angesichts der angeblich übertrie-benen EU-Bürokratie Luft. Und er sagt: „Ich wünschte mir, dass die Politik in Deutschland die europäischen Debatten viel früher aufgreift.“ Und dann kann er Beispiel auf Beispiel nennen, wo Unterneh-men, Land und Kommunen von der so ungeliebten Europäischen Union massiv profitiert haben. Aber, so sagt Hans Stein, wenn ein Bürgermeister Unterstützung

aus Europa für ein Projekt erhalte, werde halt zu Hause gern mal verschwiegen, dass die EU auch beteiligt ist.

Würden sich die Bürger nur mit den Fak-ten beschäftigen, da ist der 43-jährige Volkswirt sicher, dann würden sie auch den großen Nutzen Europas für ihr Le-ben erkennen. So wie damals, als der Or-kan Kyrill für schwere Verwüstungen in den Wäldern Südwestfalens sorgte. Der damalige NRW-Europaminister Michael Breuer reiste nach Brüssel und pochte darauf, dass nicht nur die Waldbrände in Griechenland, sondern auch ein Orkan in Nordrhein-Westfalen eine Naturkatastro-phe ist. Die EU stellte daraufhin aus ihrem

Solidaritätsfonds 97 Millionen Euro zur Verfügung.Hans H. Stein ist Europäer durch und durch. Vor seiner aktuellen Aufgabe war er Bundesgeschäftsführer der ASU – Die Familienunternehmer. Und schon damals übernahm er auch das Amt des Gene-ralsekretärs des europäischen Familien-unternehmer-Verbandes. Heute, als der Direktor der NRW-Vertretung, ist es seine wichtigste Aufgabe, zusammen mit seinen 30 Mitarbeitern die Landesregierung früh-zeitig über alle wichtigen Entwicklungen auf EU-Ebene zu informieren. Etwa 80 Prozent aller Gesetze in Deutschland ha-ben dort inzwischen ihren Ursprung, sei es bei Energiepolitik, Landwirtschaft, Um-

ZU BESUCH BEI HANS H. STEIN IN DER RUE MONTOYER

Unser Mann in BrüsselDie Europawahlen 2009 sind vorbei, die erneut geringe Wahlbeteiligung hat für Ernüchterung gesorgt. Es herrscht Europamüdigkeit im Volk, das ist unübersehbar. Hans H. Stein hat dafür kein Verständnis. Er hält die NRW-Fahne in Brüssel hoch. Klaus Kelle

Das Haus der Landesvertretung NRW liegt im Regierungsviertel von Brüssel

Hans H. Stein

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welt- oder Verbraucherschutz. Aber interessiert die hohen EU-Kommis-sare auch umgekehrt, was ein deutsches Bundesland zur Politik der mächtigen Staatengemeinschaft zu sagen hat? Hans H. Stein lehnt sich in seinem Sessel zurück: „Wir werden hier ernst genom-men, daran gibt es keinen Zweifel.“ Die Lage Nordrhein-Westfalens, seine Größe und Wirtschaftskraft seien Grund genug, darauf zu hören, was aus Düsseldorf for-muliert wird.

Die NRW-Vertretung ist, genau genom-men, ein Lobbyisten-Büro. Hier werden Informationen gesammelt und eigene In-formationen verbreitet. Dazu dient der direkte enge Kontakt mit den 20 Euro-paparlamentariern aus dem Bundesland, dazu dienen Hintergrundgespräche, Informationsveranstaltungen und der regelmäßige informelle Austausch mit den anderen deutschen Bundesländern, besonders Baden-Württemberg und Bay-ern. Und dann sind die Büros an der

Rue Montoyer in Brüssel auch Anlauf-stelle für Verbände und Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen, die hier Rat oder Insider suchen, die bei der EU Türen öff-nen können. Schließlich bemüht man sich

auch intensiv um Kultur und die Pflege heimatlicher Gefühle. Alle Räume auf den 1.800 Quadratmetern sind nach Künstlern benannt, Heinrich Heine, Heinrich Böll, Annette von Droste-Hülshoff und andere. Hier finden Lesungen und Konzerte statt, hier werden Vorträge gehalten. Europaab-geordnete aus SPD und FDP haben einen regelmäßigen Ruhrgebiets-Stammtisch

und einen Münsterland-Kreis organisiert. Und zur Weiberfastnachts-Party im ver-gangenen Jahr erschienen 800 Gäste, fast alle kostümiert.

Die Wirtschaftskrise hat die Agenda in Brüssel verändert. Ging es früher vorrangig um Klimawandel und Verbraucherschutz, so stehen heute die Kontrolle der interna-tionalen Finanzmärkte oder der Wunsch nach Beihilfen im Vordergrund.

Und die EU leistet gute Arbeit, ist Direktor Stein sicher. Europa, das ist für ihn nicht in erster Linie die vielzitierte „Gurken-Krüm-mungs-Verordnung“, die übrigens maßgeb-lich auf Betreiben Deutschlands erlas-sen wurde. Wenn dann aber auch noch dieselben Leute, die einst im Rat verhin-dert haben, dass die Verordnung wieder abgeschafft wird, heute auf Wahlveran-staltungen in Deutschland die „Gurken-Krümmungs-Verordnung“ als Beispiel für die ausufernde EU-Bürokratie geißeln, dann ist Herr Stein wirklich sprachlos.

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Herr Roters, Sie wohnten bisher in Düs-seldorf. Warum möchten Sie Oberbürger-meister in Köln werden?Köln ist eine lebendige und innovativeStadt, auch wenn sie in den letzten Monaten etwas schlecht in der öffent-lichen Meinung weggekommen ist. Es reizt mich, meine Erfahrung, die ich als Behördenleiter gesammelt habe, mit einzubringen. Ich will eine moderne Ver-waltung schaffen, in der eine besondere Verwaltungskultur mit klarer Führungs-philosophie erkennbar wird.

Haben Sie nicht ein bisschen Angst vor dem Sumpf-Faktor in der Kölner Politik?Nein, ich glaube, hier wird manches übertrieben. Weil es ja so schön ist, den Kölner Klüngel zu brandmarken, werden hier auch manche Vorurteile bedient.

Natürlich gibt es teilweise ein bleiernes Netz von Verfilzung und von gegenseiti-ger Abhängigkeit. Aber das unterscheidet sich nach meinen Erfahrungen nicht in besonderer Weise von anderen Städten.

Brauchen Sie denn nicht auch ein Netz, um getragen zu werden?Ich bin ja relativ unabhängig, und niemand hat mich gezwungen, für dieses Amt anzutreten. Ich möchte wirklich etwas gestalten. Da braucht man natür-lich die Unterstützung von Menschen. Wir brauchen mehr Motivation von Menschen aus unterschiedlichen Gesell-schaftskreisen, man muss Entscheidungs-träger zusammenbringen. Diese Art der Vernetzung hat nichts mit negativem Klüngel zu tun.

Kölns amtierendem Oberbürgermeis-ter Fritz Schramma werden Defizite bei der Verwaltungsführung nachgesagt, er wird aber für seine gute Repräsentation geschätzt. Sie sind Verwaltungsfachmann, aber haben Sie auch Spaß an öffentlichen Auftritten?Man muss eine gute Balance zwischen den Aufgaben, die man als Oberbürger-meister hat, finden. Man muss nah bei den Bürgern sein, um ihre Sorgen und Erwartungen aufzunehmen. Das kann man nicht nur vom Schreibtisch aus. Aber es gibt auch großes Verständnis dafür, dass man nicht auf allen Terminen präsent sein kann. Man muss die Arbeits-kraft, die man hat, gut verteilen. Ich werde nicht bei Dutzenden von Karne-valsveranstaltungen anwesend sein, man kann das auch ein bisschen reduzieren.

INTERVIEW MIT OB-KANDIDAT JÜRGEN ROTERS

Jürgen Roters war schon Regierungspräsident und Polizeipräsident. Als Kandidat von SPD und Grünen zieht er nun in den Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters in Nordrhein-Westfalens größter Stadt: Köln.

»Man genügt sich selbst«

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Politik. InterviewPolitik. Interview

Macht Ihnen als Düsseldorfer der Kölner Karneval denn keinen Spaß?Ich feiere gerne Karneval. Aber solche Veranstaltungen können auch zur Qual werden, wenn man schon zum 28. oder zum 30. Mal unterwegs gewesen ist. Man weiß ja immer, dass man am nächsten Tag wieder fit sein und andere Aufgaben erfüllen muss – dann ist es schon eine Belastung. Aber zum Glück gibt es ja noch ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die man dann sehr viel stärker einsetzen kann.

Wenn man Köln mit anderen Städten ver-gleicht, was muss Köln insgesamt besser machen, um wieder besser dazustehen?Köln ist wirtschaftlich gesehen sehr breit aufgestellt, ist nicht abhängig von einem Monopol-Unternehmen, sondern hat vom Dienstleistungssektor bis zur In-dustrieproduktion ein breites Spektrum. Hinzu kommt das Lebensgefühl der Menschen, die hier einfach eine bestim-mte Form des Miteinanders haben, wo man sich schnell wohl fühlen kann. Die andere Seite ist die, dass Köln es versäumt hat, in den letzten Jahren häufiger über den Tellerrand zu schauen. Da ist eine gewisse Selbstverliebtheit festzustellen. Man genügt sich selbst und erkennt nicht hinreichend, dass andere Städte sich weiterentwickelt haben. In Zukunfts-branchen wie dem Kultursektor oder im Bereich der Medienkompetenzen müssen neue Ideen aufgenommen werden, damit man bald wieder sagen kann, Köln ist ein strahlender Stern.

Würden Sie jemand sein, der die lang gepflegte Feindschaft zwischen Köln und Düsseldorf als Oberbürgermeister ein bisschen abbaut?Das würde ich gerne tun. Natürlich gibt es mentale Unterschiede, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Das merkt man schon daran, wie man jeweils Karneval feiert, das habe ich ja in beiden Städten erlebt. Dieses Ursprüngliche und etwas Wildere, das gibt es nur in Köln. Diese Unterschiede muss man ja nicht alle negieren. Wir müssen aber eine stärkere Vernetzung zwischen den Städten an der Rheinschiene herbeizuführen, und dazu

gehört auch Düsseldorf. Wenn man sich einmal den europäischen oder interna-tionalen Maßstab ansieht, dann sind das ja Städte, die fast aneinandergrenzen. Bei der Kooperation der Verwaltungen, bei Messen, bei der Kulturvermarktung müssen wir uns doch besser abstimmen können!

Und das Ruhrgebiet muss dabei draußen bleiben?Ja, man muss ja irgendwo Grenzen ziehen, aber keine willkürlichen. Wenn man von einer Metropolregion spricht, kann das nicht beliebig sein. Es muss ein bestimmtes Maß an Zusammengehörig-keit und gleichen Interessen da sein. Der erste Schritt in der regionalen Zusam-menarbeit wäre der etwas kleinere in der Region Köln-Bonn mit Leverkusen und den anliegenden Landkreisen. Der zweite Schritt wäre dann, eine engere Zusam-menarbeit auch mit Düsseldorf, vielleicht auch mit Krefeld und mit Gladbach. Da-nach erst kann man weiter nachdenken.

Einer, mit dem Sie als Kölner Oberbürger-meister kooperieren müssten, wäre Minis-terpräsident Jürgen Rüttgers. Wie macht denn der seinen Job aus Ihrer Sicht?Ich glaube, auch Nordrhein-Westfalen könnte besser dastehen, auch im Wettbe-werb mit anderen Bundesländern. Es gibt positive Ansätze, das will ich gar nicht bestreiten, zum Beispiel in einigen Fragen der Wirtschaftsförderung. Aber in der Sozialpolitik gibt es Mängel, so sind beim Kinderbildungsgesetz die Strukturen nicht in Ordnung. Überhaupt werden in der Bildungspolitik die alten Fehler, die auch unter Rot-Grün schon gemacht worden sind, fortgesetzt: immer neue, kleinere Projekte, ohne die grundlegende Struktur zu hinterfragen. Wir brauchen mehr gemeinsames Lernen und mehr individuelle Förderung. Losgelöst davon muss ich natürlich, wenn ich Oberbür-

germeister werde, auch mit der Landes-regierung eng zusammenarbeiten. Man ist ja aufeinander angewiesen. Es nützt dem Land nichts, wenn es der Stadt Köln schlecht geht, und umgekehrt gilt das auch.

Hat die Wirtschaftskrise den Menschen Jürgen Roters schon irgendwie persönlich getroffen?Nein, ich habe kein Aktiendepot, also von daher ist sie noch nicht so unmittel-bar bei mir angelangt. Ich bin überhaupt nicht jemand, der, sagen wir mal, finanz-politisch Wagnisse eingeht.

Ihre liebste Freizeitbeschäftigung?Ist natürlich selbstverständlich das Laufen, das mache ich ja seit über 50 Jah-ren schon regelmäßig, meinen Dauerlauf, aus Vergnügen, nicht als Last. Ich gehe gern in der freien Natur spazieren. Meine Lieblingsbeschäftigung ist klassische Musik hören, das ist etwas, was mir sehr viel auch innere Beruhigung bringt.

Gibt es auch eine Tätigkeit, die Ihnen besonders verhasst ist?Ja, Lochen und Heften.

Dafür gibt es ja wohl Mitarbeiter, wenn Sie Oberbürgermeister würden. Apropos: Der neue US-Präsident Obama hat seiner Familie damals für den Fall seiner Wahl versprochen, dass ein Hund als Haustier angeschafft wird. Haben Sie Ihrer Familie auch irgendwas versprochen?Nein, solche Versprechungen habe ich nicht gemacht. Aber ich bin sehr froh, dass die gesamte Familie hinter mir steht. Deswegen muss man doch nichts als Entschädigung anbieten. Meine Kinder haben sogar freiwillig angekündigt, dass sie sich in den Wahlkampf einbringen – beim Plakatkleben und bei Veran-staltungen. Das ist schon toll, dass sie innerlich auch dahinter stehen.

»Es gibt auch ein bleiernes Netz von Verfilzung und gegenseitiger Abhängigkeit.«

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Besonders kleine und mittelständische Unternehmen sind in der augenblickli-chen wirtschaftlichen Situation verunsi-chert. Nordrhein-Westfalens Innovations-minister Prof. Andreas Pinkwart (FDP) sieht aber gerade für diese Unternehmen den Schlüssel zur Bewältigung der Krise in Investitionen in Forschung, Entwick-lung und Innovationen. Statt den bis-herigen Status Quo der Unternehmen mit staatlicher Hilfe künstlich aufrecht zu halten, fordert Pinkwart ein grund-sätzliches Umdenken: „Wer nach der Krise vorne sein will, darf jetzt nicht kurzsich-tig agieren. Nach diesem Abschwung wird das Land ein anderes sein.“ Dann – so der Minister gegenüber NRW.jetzt – werden sich diejenigen Regionen in der natio-nalen und internationalen Konkurrenz behauptet haben, die Antworten auf tech-nologische Zukunftsfragen und Lösungen gefunden haben.

Um den Mittelstand dabei zu unterstüt-

zen, auch in der Krise in die Forschung und Entwicklung innovativer Produkte und Herstellungsverfahren zu investieren, wurde jetzt das Programm „Mittelstand.innovativ!“ gestartet. Damit soll erreicht werden, dass Wirtschaft und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen Synergien schaffen und gemeinsam Innovationen entwickeln. Die Unternehmen sollen vor allem von der dichtesten Hochschullandschaft Eu-ropas und ihrer Forschung profitieren – und umgekehrt die Hochschulen von dem praktischen Wissen der Unternehmen.

Im Kern besteht das Wachstumspaket aus drei Bestandteilen:

Mit sogenannten Innovationsgut-1.scheinen sollen sich innovative Un-ternehmen Know-How aus der Hoch-schulforschung einkaufen können.

Mit Innovationsdarlehen wird die 2.Möglichkeit geschaffen, kurzfris-

tig verbilligte Kredite für die Ent-wicklung neuer Produkte und Her-stellungsverfahren zu erhalten.

Das Land bezuschusst die Einstellung 3.von Hochschulabsolventen, sogenannt-en Innovationsassistenten, die Unterneh-men gezielt im Bereich von Forschung und Entwicklung verstärken sollen.

Für die verschiedenen Maßnahmen werden bis 2012 insgesamt 50 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt bereitge-stellt. Dr. Ralf Mittelstädt, Hauptgeschäfts-führer der IHK-Vereinigung, begrüßt die Innovationsfördermittel der Landes-regierung als wichtigen Schritt aus der Krise: „Passgenaue Innovationsförderung hilft dem Mittelstand gerade jetzt. Finan-zierung, Kooperation und Fachkräfte sind für KMU die Schlüssel zum Erfolg im In-novationsgeschäft.“ Die IHK stellt bereits jetzt große Zustimmung der mittelständi-schen Unternehmen in Nordrhein-West-

Bundeskanzlerin Angela Merkel betont bei ihren öffentlichen Auftritten stets, dass jede Krise auch Chancen eröffnet. Viele Unternehmen zeigen jedoch eine andere Reaktion. Sie zögern mit neuen Investitionen, stoppen Forschungsprojekte und entlassen Personal. Das NRW-Innovationsministe-rium will nun gegensteuern.

Durchstarten, wenn die Konjunktur anzieht

Politik. Stipendien & Forschung

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falen zum Förderprogramm fest.

Bereits zu Beginn der 90er Jahre erlebte Deutschland eine Rezession, wenn auch in abgeschwächter Form. Damals hatten die Unternehmen auf die Krise reagiert, indem sie massiv Personal abbauten. Die-ser Fehler dürfe sich heute nicht wieder-holen, sagt Pinkwart: „In dieser Situation die Köpfe zu entlassen, die Innovationen nicht nur denken, sondern diese auch entwickeln und zur Marktreife bringen, wäre ein fatales Signal. Wir müssen jetzt das Know-How entwickeln, das es uns er-möglicht durchzustarten, wenn die Kon-junktur wieder anzieht.“Dass dieses innovative Potenzial in Nord-rhein-Westfalen vorhanden ist, zeigt die Entwicklung der Studentenzahlen. Im vergangenen Wintersemester haben 71.300 junge Leute ein Studium in NRW

begonnen. So viele wie noch niemals zuvor. Auch in den naturwissenschaftli-chen und technischen Studiengängen stieg die Studienanfängerzahl an, im Bereich Maschinenbau/Verfahrenstech-nik beispielsweise um 20,4 Prozent. Um weiter für naturwissenschaftlichen und technischen Nachwuchs zu werben, hat das Innovationsministerium die „Initia-tive Zukunft durch Innovation“ (zdi) ge-startet. 25 Nachwuchsforschungszentren sollen bis 2010 landesweit entstehen, um Schüler möglichst früh für techni-sche Fächer zu begeistern und damit den Fachkräftenachwuchs zu sichern. Derzeit erreicht zdi jährlich rund 100.000 Schüler pro Jahr.

Um dieses Potenzial nun auch im Studium zu nutzen, sieht Pinkwart die Unterneh-men selbst in der Pflicht. Dazu hat der

Minister ein landeseigenes Stipendien-system auf den Weg gebracht. Unter-nehmer können einzelnen Hochschulen gezielt Fördergelder für die Vergabe von Leistungsstipendien bereitstellen, 150 Euro pro Monat und Stipendiat. Das Land stockt diese Mittel um noch einmal 150 Euro pro Monat und Stipendium auf. Die Unternehmen unterstützen so ihre regio-nale Hochschule, fördern den Nachwuchs, bauen den Kontakt zu besonders begabten Studenten auf und können auch einengroßen Werbeeffekt erreichen.

Ansprechpartner sind das Innovationsmi-nisterium oder die Hochschulen in NRW, die Kontingente für diese Stipendien be-reithalten. Die FH Köln geht als gutes Beispiel voran: sie hat innerhalb kürzester Zeit mit Unterstützung der lokalen Wirtschaft 51 Stipendien geschaffen.

Politik. Stipendien & Forschung

NRW.InnovationsdarlehenAdressaten: Mittelständische Unter-nehmen, die in innovative Produkte und Verfahren investieren wollen.Kreditvolumen: Von 25.000 bis zu fünf Millionen Euro.Konditionen: Der günstige Zinssatz der KfW-Bankgruppe wird für das Innovationsdarlehen um weitere 0,5 Prozentpunkte verbilligt. Hierfür stellt das Innovationsministerium bis 2012 insgesamt zehn Millionen Euro bereitBeantragung: Das Darlehen, das das Innovationsministerium über die landeseigene NRW.Bank in Koopera-tion mit der KfW Bankengruppe an-bietet, kann bei allen Banken in Nord-rhein-Westfalen beantragt werden.

InnovationsgutscheineAdressaten: Zunächst kleine und mitt-lere Unternehmen, die in Forschung

und Entwicklung im Technologie-bereich Mikro/Nano/Neue Werk-stoffe investieren. In einem weiteren Schritt sollen die Gutscheine auf die Zukunftsfelder Energie, Lebenswis-senschaften und Medizinforschung/Medizintechnik ausgedehnt werden.Wert: Mit den Gutscheinen können die Unternehmen innerhalb eines Jahres von einer deutschen oder auslän-dischen Hochschule oder Forsch-ungseinrichtung qualifizierte Bera-tung, fachliche und wissenschaftliche Unterstützung erhalten. Diese können sie bei der Einführung neuer Produk-te, Verfahren und Dienstleistungen oder für gezielte Forschungs- und Entwicklungsleistungen einsetzen. Der Wert des Gutscheins ist variabel; maximal beträgt er 6.000 Euro. Beantragung: Anträge auf einen oder mehrere Innovationsgutscheine können von interessierten Unterneh-

men jederzeit bei der Innovationsal-lianz der NRW-Hochschulen gestellt werden.

InnovationsassistentenAdressaten: Unternehmen, die Hochschulabsolventen naturwissen-schaftlicher oder technischer Fach-richtungen einstellen und im Bereich der betrieblichen Forschung oder Entwicklung einsetzen.Förderung: Für jeden neu einge-stellten Absolventen mit einem Be-schäftigungsverhältnis von mindes-tens 24 Monaten soll das Unterneh-men einen Festbetrag in Höhe von 15.000 Euro pro Jahr erhalten.Start des Programms: voraussichtlich im August diesen Jahres

Mehr Informationen unter www.mittelstand.innovativ.nrw.de

Hier gibt es Geld für Ihr Forschungsprojekt

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FONDS FÜR OSTVIERTELAachen. Das Stadtteilbüro hat für die Quartiere Ostvier-tel und Rothe Erde bis 31. Dezember dieses Jahres einen

Fonds mit einem Gesamtvolumen von 10.000 Euro eingerichtet. Alle Bewohner und Institutionen, die sich für eine nach-haltige Stadtentwicklung einsetzen wollen, erhalten so die Chance schnell und flexibel Projekte bis zu einer Höhe von 2.000 Euro auf den Weg zu bringen.

KLAGE GEGEN A 33 ERFOLGLOS Bielefeld. Das Bundesverwal-tungsgericht hat eine Klage von neun Anwohnern gegen den Bau eines acht Kilome-

ter langen Teilstücks der Autobahn 33 trotz eines Verfahrensfehlers im Planfest-stellungsbeschluss abgewiesen. Die Lücke zwischen Borgholzhausen und Bielefeld ist 27 Kilometer lang. Der Lückenschluss soll Ostwestfalen mit dem Osnabrücker Raum verbinden.

33 SCHULEN SIND BALD ZUBochum. Die Stadt muss spa-ren. Deshalb sollen laut dem „Zukunftskonzept“ bis 2015 jährlich 100 Millionen Euro

weniger ausgeben werden. Gestemmt werden soll dies unter anderem durch die Schließung von 33 Schulen und weni-ger Leistungen in den Bürgerbüros. Der Schuldenstand der Stadt betrug zum Jah-resende rund 1,3 Milliarden Euro.

VIDEO-ÜBERWACHUNG IM BADBonn. Das Hardtbergbad erhält nach mehreren Ein-brüchen eine Video-Überwa-chung mit Infrarotkamera.

„Eine Video-Überwachung ist in allen Bädern erforderlich, um Einbruchsdelikte aufzuklären oder potentielle Täter bereits im Vorfeld abzuschrecken. Wir streben an, alle Bäder Zug um Zug entsprechend auszurüsten“, so Hans Jürgen Hartmann, Leiter des Sport- und Bäderamtes.

GUTE NOTEN FÜRS AMTBottrop. Die Stadt hat ihr Ide-en- und Beschwerdemanage-ment für 2008 ausgewertet und einen Bericht vorgelegt.

Die Einrichtung hat sich etabliert. 1.010 Anregungen, Mängelhinweise und Be-schwerden wurden bearbeitet. 78 Prozent der Bürger gaben in einer Befragung an, dass sie zufrieden mit dem Service sind.

MEHR ANGEBOTE FÜR KINDERDortmund. Die Stadt wird bis Anfang 2011 an den Standor-ten Sunderweg, Borsigplatz und Burgholzstraße jeweils

eine fünfgruppige Tageseinrichtung und an der Uhlandstraße eine achtgruppige Ta-geseinrichtung für Kinder mit insgesamt 325 Plätzen errichten. An der Bülowstraße ist die Anmietung einer Einrichtung mit 85 Plätzen vorgesehen. Träger wird der Ei-genbetrieb der Stadt, FABIDO sein.

DIE EINWOHNERZAHL SINKTDuisburg. Laut einer Bevöl-kerungsprognose, die das Amt für Statistik im vergangenen Jahr erstellte, wird Duisburg

bis zum Jahr 2027 über 40.000 Einwoh-ner verlieren. Von heute rund 490.000 würde die Bevölkerung bis dahin auf etwa 446.000 schrumpfen. Zwischen 1990 und 2027 hätte der Bezirk Meiderich/Beeck als Spitzenreiter dann 25 Prozent seiner Be-wohner verloren.

INVESTITION IN SCHULENDüsseldorf. Die Stadt inves-tiert auch angesichts der Wirt-schaftskrise unvermindert in den Ausbau und die Sanierung

ihrer Schulen. Aus den Mitteln des Mas-terplans Schulen und des Konjunkturpa-ketes II (KP II) sollen allein in den Jahren 2009 und 2010 rund 112 Millionen Euro fließen. „Auch in den kommenden Jahren investieren wir weiter, 35 Millionen Euro pro Jahr“, sagt Oberbürgermeister Dirk Elbers.

BÜRGER SORGEN FÜR STROM Essen. Die größte Bürger-Solaranlage der Stadt auf dem Dach der Franz-Dinnendahl-Realschule in Kray (480

qm) liefert nun Strom in das öffentliche Stromnetz. Die Stromjahresleistung be-trägt 50.000 Kilowattstunden. 20 Bürger haben 240.000 Euro investiert. Es ist zu erwarten, dass sich das eingesetzte Kapital mit vier bis sechs Prozent verzinst.

SCHLAFSACK ALS GESCHENKGelsenkirchen. Um den plötzlichen Kindstod zu ver-hindern, schenkt die Stadt jedem Neugeborenen einen Babyschlafsack. So können die

Säuglinge nachts nicht an einer Bettdecke ersticken. Die Aktion ist Teil des Pro-gramms „Gesunder Start ins Leben“. Im letzten Jahr starben zwölf von insgesamt 2134 Neugeborenen.

NEUSTE TECHNIK FÜR AZUBIS Hagen. Pünktlich zum Aus-bildungsbeginn sind im Bildungszentrum der Süd-westfälischen Industrie- und

Handelskammer zu Hagen (SIHK) die Modernisierungsmaßnahmen beendet. Für 1,2 Millionen Euro wurden Dreh- und Fräsmaschinen, Schweißautomaten, Computer und CNC-Software ange-schafft. So soll die überbetriebliche Ausbil-dung der Fachkräfte von morgen auf dem höchsten Stand der Technik bleiben.

ABFALL GÜNSTIG ENTSORGTHamm. Die Abfall- und Ab-wassergebühren sind im Ver-gleich zu den Nachbarstädten laut einer Erhebung des Bun-

des der Steuerzahler gering. Nach dieser Studie sind in Hamm jährlich 147,62 Euro für die vierzehntägliche Entsorgung einer 120 Liter-Tonne fällig. Bei den kreis-freien NRW-Städten bedeutet dies den dritten Platz hinter Herne (139,41) und Bielefeld (136,59).

aus unseren Städten

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POLITIK. Meldungen

PREIS FÜR STRATMANNHerne. Der Kabarettist Ludger Stratmann erhält von der Stadt am 28. November die Aus-zeichnung „Tegtmeier 2009“.

Zur Begründung hieß es, Stratmann brin-ge als Jupp Kwiatkowski das Ruhrgebiet auf die Bühnen der Republik. Der gelernte Mediziner stehe damit ganz in der Tradi-tion eines Jürgen von Manger mit seiner Bühnenfigur des Adolf Tegtmeier.

ASYL FÜR ARCHIVALIENKöln. 300 Regalmeter Akten aus dem zusammengestürzten historischen Archiv der Stadt lagern in den nächsten drei

bis fünf Jahren im Keller des Rathauses von Freudenberg. Die leicht zerfledderten Rent-Quittungen aus dem 17. Jahrhun-dert sind für Kölner Stadthistoriker von unschätzbarem Wert. Anhand der Unter-lagen lässt sich nachvollziehen, wer zu wel-cher Zeit welche Abgaben leisten musste.

SOZIALER EINSATZ GEWÜRDIGTKrefeld. Sie gründete die Krefelder Tafel und führte sie lange Zeit mit. Mittlerweile ist Elisabeth Ploenes Ehrenvorsit-

zende des Vereins. Nun wurde sie für ihr soziales Engagement mit dem Rheinischen Ehrenpreis ausgezeichnet. Überreicht wur-de der Preis vom Landtagsabgeordneten Winfried Schittges bei einer Feierstunde im Rathaus.

HEIRATEN IN DER BAYARENALeverkusen. Die Stadt bietet künftig das Heiraten in der BayArena an. Für Samstag, den 12. Dezember, ist die Pre-

miere geplant. Zwölf Paare werden dann zwischen 10 und 18.15 Uhr getraut. An-meldungen sind telefonisch unter: 0214 406-3370, 3371 und 3372 möglich. Le-verkusen ist neben Berlin, Hamburg, Dortmund, Gelsenkirchen, Köln und Frankfurt die siebte Stadt mit diesem An-gebot.

VERMÖGEN VERSCHENKTMönchengladbach. Ilse Ma-rie Sophie Lommel, gebore-ne Stevens, hat ihr gesamtes Vermögen von rund 750.000

Euro der Stadt vermacht. Sie starb am 16. März 2007 und hat keine Nachkommen. Die Abwicklung des Erbes musste abge-wartet werden. „Die Summe ist für die Krankenpflege zweckgebunden“, erklär-te Sozialdezernent Dr. Michael Schmitz.

MEHR ARBEIT FÜR JUGENDMülheim. Überzeugende Er-gebnisse hat die Sozialagentur bei der Vermittlung von jun-gen Arbeitslosen vorgelegt.

Anfang 2007 lag die Arbeitslosenquote der unter 25-Jährigen noch bei 5,9 Pro-zent. Bis zum Juli 2009 wurde sie dank berufsfördernder Vollzeitmaßnahmen bis auf 1,3 Prozent gesenkt.

UMWELTZONE KOMMT 2010Münster. Ab 1. Januar 2010 wird der Stadtkern zur Um-weltzone. Dann dürfen nur noch Fahrzeuge mit gelber

oder grüner Umweltplakette diesen Be-reich befahren. Die Umweltzone wird im Norden von der Münzstraße, im Osten von der Eisenbahnstraße, im Süden von der Moltkestraße und im Westen vom Hindenburgplatz begrenzt. Ab dem 1. September können Anträge auf Ausnah-megenehmigungen gestellt werden.

EIN SPRECHENDER AUFZUGNeuss. Ein Aufzug, der spricht, besser lesbare Info-Schilder so-wie eine Induktionsschleife für

Träger von Hörgeräten im Ratssaal – das Rathaus hat eine wichtige Stufe bei der Errichtung einer „Barriere freien Stadt-verwaltung“ genommen. Behinderte, aber auch ältere Menschen werden in Zukunft bei Behördengängen schneller an ihr Ziel kommen. Die Investitionskosten belaufen sich auf rund 77.000 Euro.

DAS CENTRO WÄCHST STARKOberhausen. Das CentrO legt bis Herbst 2010 um ein Drittel zu. Europas größtes Einkaufs- und Freizeitzentrum wird um eine Bruttogeschoßfläche von

30.000 Quadratmetern erweitert. Es ent-stehen 700 Arbeitsplätze. Geschäftsführer Frank Pöstges rechnet mit Investitionen von 100 Millionen Euro. 14.000 Stellplät-ze werden danach vorhanden sein.

SERVICE AUS WUPPERTALRemscheid. Die Stadt hat sich aus Kostengründen dem Service-Center der Stadt Wup-pertal angeschlossen. Wer die

Rufnummer 1600 wählt, landet in Wup-pertal. Dort werden erste Fragen zu The-men wie Personalausweis oder Kfz-Zulas-sung beantwortet. Bei Problemen werden Anrufer mit der Fachverwaltung verbun-den. Das Team konnte dadurch von sechs auf drei Personen reduziert werden.

SANIERUNG ABGESCHLOSSENSolingen. Die Stadt investiert trotz angespannter Haushalts-lage in die Bildung der jun-gen Generation. Abgeschlos-sen wurde die Sanierung der

Grundschule Gerberstraße. Neue Klas-senräume ersetzen den alten Pavillon, die Schule erhielt eine Mensa und eine Ausga-benküche für den Offenen Ganztag. Ge-samtkosten: 1,6 Millionen Euro.

KEINE KIRCHENSCHLIESSUNGWuppertal. In der Stadt wird es in absehbarer Zeit keine Schließungen oder Umwid-mungen von katholischen

Kirchen geben. Trotz der zahlreichen Zu-sammenschlüsse von katholischen Pfarr-verbänden würden die Kirchen im Dorf bleiben, so Pastoralreferent Werner Klei-ne. 23 Prozent der Einwohner und damit 80.000 Wuppertaler gehören einer derkatholischen Gemeinden an.

Halten Sie uns auf dem Laufenden! [email protected]

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Leben.

395 Kilometer Alleen

Der nordrhein-westfälische Teil der Deutschen Alleenstraße führt jetzt Touristen durch die schönsten Stras-sen des Landes. Sie verläuft über ins-gesamt 395 Straßenkilometer durch zwölf Kreise und Städte. Angefangen in Höxter, wo die neue Teilstrecke an die bestehende Deutsche Alleenstraße anschließt, führt die Strecke über Lippe, Paderborn, Soest und Unna bis nach Dortmund. Durch den Ennepe-Ruhr-Kreis über das Oberbergische Land ins Rheinisch-Bergische und zuletzt in den Rheinsieg-Kreis, wie hier auf dem Foto bei Siegburg. „Die Deutsche Alleenstraße zeigt, wie gut sich Mobilität und Tourismus mit Natur und Kultur verbinden lassen“, betonte Verkehrsminister Lutz Lienenkämper (CDU) bei der Einweihung der Strecke. NRW besitzt über 2000 zum Teil gut erhaltene Alleen. Viele kulturelle und geschichtliche Höhepunkte wie Schloss Corvey, der Altenberger Dom und der Möhnesee liegen an der neu angebundenen Route.

MYTHOS VARUSSCHLACHTVor 2000 Jahren erlitten die nach Germanien vordringenden Römer im Teuto-burger Wald eine verheerende Niederlage. Die Streitmacht des Cherusker-Fürsten Arminius rieb drei ganze Legionen des römischen Feldherrn Quintilius Varus auf. Die Faszination dieser Schlacht lockt bis heute Zehntausende in die Ausstell-ungen, die auf drei Städte verteilt sind.So meldete das Varusschlacht-Museum in Bramsche bei Osnabrück Anfang Juli den 75.000. Besucher, das Römermuseum in Haltern lockte 50.000 und in Detmold wollten in diesem Jahr schon 30.000 Menschen die Schau „Imperium-Konfl ikt-Mythos“ sehen.

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Dass junge Leute aus ganz Europa zu Zehn-tausenden nach Köln pilgern, das hatte es zuletzt beim katholischen Weltjugendtag im Jahr 2005 gegeben. Doch die Besuch-er, die Ende August aufs Messegelände der Rheinmetropole strömten, hatten Anderes im Sinn als Gebet und Gesang. Als Nach-folger der Leipziger Games Convention präsentierte die Ausstellung 450 Anbieter, die Creme de la Creme, der elektronischen Unterhaltung.

Kaz Hirai, Präsident von Sony Computer Entertainment International, stellte im Überschwang Köln sogar in eine Reihe mit den weltweit führenden Veranstaltungen E 3 (USA) und Tokyo Game Show (Ja-pan). Nintendo, Eletronic Arts, Microsoft – was die Branchenriesen im Schatten des Doms präsentierten, sprengt grafisch und technisch alle bekannten Grenzen. Und das Publikum strömte – auch und gerade um zu spielen und zu feiern. Die Games-Crowd – Nerds nennen sich die Angehöri-gen dieser jugendlichen Subkultur, bei der sich fast alles um den Cyberspace dreht – hat ein neues Mekka.

Für die Koelnmesse ist die Akquisition der gamescom ein gewaltiger Erfolg, sticht sie

doch allein schon vom Publikumsinteresse her aus den anderen zehn neuen Events heraus, die in diesem Jahr gestartet wur-den. Und Erfolge kann die Kölnmesse wirklich gut gebrauchen. Vor eineinhalb Jahren erst hat Gerald Böse dort die Kom-mandobrücke übernommen. Als Erbschaft hinterließen ihm seine Vorgänger neue und schöne Nordhallen – und eine Ver-pflichtung, alljährlich rund 27 Millionen Euro Miete dafür zu bezahlen. Schwarze Zahlen sind für die Kölnmesse damit erst einmal in weite Ferne gerückt, und die ak-tuelle Wirtschaftskrise ist dabei auch nicht sonderlich hilfreich.

Dass die beiden Eigentümer der Messe – die Stadt Köln mit 80, das Land NRW mit 20 Prozent – noch nicht nervös ge-worden sind, hängt wohl damit zusam-men, dass die Kölnmesse noch immer von einer starken Eigenkapitalbasis getragen wird. Liquiditätsprobleme gibt es nicht. Der Bilanzverlust der Koelnmesse GmbH betrug im Jahr 2008 11,3 Mio. Euro (Vor-jahr: 11,2 Mio. €). Die liquiden Mittel zum Jahresende 2008 betrugen 27,8 Mio. Euro.

Messechef Böse sieht die vielen Chancen,

die ihm die gamescom für die Zukunft bietet. Gegenüber NRW.jetzt schwärmt er von dem neuen, jungen, kreativen Publi-kum. Und er hat die Chance genutzt, ein zukunftsträchtiges Event mitten in die Stadt zu tragen. Kritiker hatten schon vor Beginn seiner Amtszeit immer mal bemäng-elt, dass man in der Kölner City auch bei den besucherstarken Messen außen vor geblieben war. Anders bei der gamescom. Gerald Böse: „Jeden Abend gab es spek-takuläre Events: auf dem Messegelände, am Tanzbrunnen, in der LANXESS-Arena und in der Innenstadt.“

Die Koelnmesse kann mehr als professio-nelle Infrastruktur bereitstellen und Stände aufbauen – das ist eine zentrale Botschaft der gamescom. Und dieses Signal kommt zur rechten Zeit, denn bei einem anderen Aushängeschild am Rhein, der Umwelt-technik-Messe Entsorga hatte es zuletzt Kritik gegeben. Zu wenig Glamour, zu wenig Rahmenprogramm, zu wenige Ideen bemängelten die Veranstalter und drohten mit Abwanderung nach München. Doch die Koelnmesse versprach, mehr Kreati-vität zu investieren. Dass das möglich ist, wurde bei der gamescom eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

DIE ERSTE GAMESCOM WAR EIN GROSSER ERFOLG

Aufmarsch der NerdsWenn in Deutschland über Computerspiele gesprochen wird, geht es fast immer um geplante Verbote und Alters-Beschränkungen. Umso erstaunlicher ist der große Erfolg der Spielemesse gamescom, die erstmals in Köln stattfand.

Kein Platz mehr frei

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Herr Böse, Sie sind seit 18 Monaten Chef der Koelnmesse. Wie sieht Ihre Zwischen-bilanz aus?Die 18 Monate habe ich genutzt, um hier im Konzern und in der Stadt heimisch zu werden, die Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter kennenzulernen, ebenso unsere Kunden und die einzelnen Veranstaltung-en. Bei einem Portfolio von mehr als 70 Messen, die wir jährlich hier am Messe-platz Köln und weltweit durchführen, konnte ich über mangelnde Arbeit nicht klagen.

Welche Bedeutung hat die gamescom, die wohl spektakulärste Neuakquisition der Koelnmesse, für Ihr Geschäft?Wenn man eine wichtige Branche über-zeugt, von einem Standort zum anderen zu wandern, dann gibt das natürlich Im-pulse für den Messeplatz. Speziell im Be-reich von Medien und Kommunikation stellt die gamescom einen wesentlichen Eckpfeiler unserer zukünftigen Strategie dar. Wir haben ja darüber hinaus auch die

Leitmesse der digitalen Werbewirtschaft, die dmexco, erstmalig im Jahr 2009 hier bei uns auf dem Gelände. Wir haben die ANGA Cable im Bereich Satellitenfern-sehen, wir haben den RADIODAY, wir haben das medienforum.nrw, wir haben die photokina. Es gibt in Deutschland sicher keinen anderen Messeplatz, der in diesem Bereich so gut aufgestellt ist. Zur gamescom konnten Sie ein anderes, jüngeres Publikum begrüßen als zu den herkömmlichen Messen. Sehen Sie das als Chance, die Stadt Köln zukünftig

noch stärker in Ihre Aktivitäten mit ein-zubeziehen?Im Zusammenwirken mit der Stadt Köln und vielen weiteren engagierten Partnern haben wir über die Messehallen hinaus ein Top-Rahmenprogramm aufgestellt, das vor allem die jungen Zielgruppen bedient. Jeden Abend gab es spektakuläre Events: auf dem Messegelände, am Tanz-brunnen, in der LANXESS-Arena und in der Innenstadt. Wir sind fußläufig von

der Altstadt entfernt, die Leute wohnten in Hotels in der Umgebung. Wir haben hier im Sinne eines gemeinschaftlichen Destinations-Marketings in idealer Weise die Messe mit der Stadt und der Region verknüpft.

Das war die gamescom, aber was ist mit anderen Events?Wir haben dieses Konzept, unsere Messen in die Stadt zu tragen, schon im Vorjahr praktiziert, Beispiel photokina: Da haben wir ein Fotofestival angedockt – „Köln fotografiert“. Wir haben eine gigan-tische Party in den Rheinparkhallen mit über 5.000 Leuten veranstaltet. All das verstärkt die Bindung zwischen Stadt und Messe. Wir waren zur Kunstmesse „Art Cologne“ in einem größeren Radius aktiv, indem wir uns mit der Region Düsseldorf und Bonn zusammengetan haben – was vor allen Dingen auf Sammler-, Gale-risten- und Medienseite hervorragend ankam. Wir sind stark genug, um gegen Paris, Berlin oder London im Kunst-markt bestehen zu können – aber nur als Region.

Die popkomm hat Köln verlassen und ist nach Berlin gegangen. Jetzt ist sie dort gerade ausgefallen. Sehen Sie da Koope-rationsmöglichkeiten, um vielleicht über die gamescom und das junge Publikum die popkomm zurück zu holen?Diese Dinge miteinander zu vermengen, halte ich für schwierig. Ich glaube, eine popkomm alter Prägung, wie sie mal in Köln stattgefunden hat, wird es in Zukunft nicht mehr geben. Auch die popkomm hat in den letzten Jahren gra-vierende Veränderungen auf Konsumen-tenseite und auf technischer Ebene über sich ergehen lassen müssen, und das muss ein neues Format auch widerspiegeln.

Gerald Böse ist nicht zu beneiden. Vor eineinhalb Jahren übernahm er die geschäftliche Leitung der Koelnmesse und damit erhebliche finanzielle Belastungen für die nächsten Jahre. Doch der Manager hat ehrgeizige Pläne und sieht sein Unternehmen auf einem guten Weg.

Weiter Champions LeagueINTERVIEW MIT MESSECHEF GERALD BÖSE

Jeans und Streetwearauf der Modemesse JAM

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Anzeige. WIRTSCHAFT. LichtweltenWIRTSCHAFT. Interview

Aber Fakt ist, und darüber freuen wir uns, dass wir in Köln Formate wie c/o pop haben, die offensichtlich auch diese Industrie wieder anziehen.

Wir sprachen eben über den Kunstmarkt. Die ART COLOGNE war ein bisschen das Sorgenkind. Nun gibt es eine neue Konzeption, weniger Aussteller, mehr Qualität .... wie wird es mit der ART CO-LOGNE weiter gehen?Es war schon länger klar, dass im Bereich der Kunstmessen ein gewisser Opti-mierungsbedarf vorherrschte. Sie müssen sich vorstellen, die ART COLOGNE im Herbst war seit ihrem Bestehen ein fest-gesetzter Termin im Kalender, weltweit – die Mutter aller Kunstmessen. Man hat, glaube ich, die Terminverschiebung ins Frühjahr in ihrer Gesamtheit etwas unterschätzt. Wir sind dabei geblie-ben. Wir sind mit einer Cologne Fine Art & Antiques mit einem neuen Kopf an der Spitze in den Herbst gegangen. Auch die ART COLOGNE hat einen neuen künstlerischen Leiter. Das gibt uns die Chance, beide Veranstaltungen

mit einem klaren Profil zu entwickeln, in Konkurrenz nicht nur miteinander, sondern auch gegenüber den relevanten Wettbewerbsmessen. Wir sind noch lange nicht am Ziel. ART COLOGNE wie Cologne Fine Art & Antiques besitzen großes Potenzial. Köln ist und bleibt ein Kunststandort erster Klasse.

Ihre Vorgänger haben Ihnen ja mit dem Neubau der Nordhallen finanziell eine Erbschaft hinterlassen, die Sie wahrscheinlich nicht als allzu erfreulich empfinden. 27 Millionen Euro Miete pro Jahr. Wie wollen Sie in absehbarer Zu-kunft eigentlich jemals schwarze Zahlen schreiben?Realistisch betrachtet werden wir min-destens bis zum Jahr 2012 keine Gewinne ausweisen. Aber die Koelnmesse ist, auch was das Eigenkapital angeht, hervor-ragend aufgestellt, insofern braucht sich auch niemand Sorgen zu machen. Wir wollen aber ab 2012 schwarze Zahlen schreiben und haben dafür das Effizienz-programm 2012plus aufgelegt, das auch Kostensenkungen, Effizienz steigernde

Straffung der Strukturen und Prozesse sowie profitables Wachstum beinhaltet. Beim Personal haben wir die natürliche Fluktuation mit eingerechnet – allerdings keine betriebsbedingten Kündigungen.

Mit diesem Programm sind bis 2012 Kosteneinsparungen in Höhe von 50 Millionen Euro verbunden. Ob wir es schaffen, ab 2012 wieder schwarze Zahlen zu schreiben, hängt aber si-cher vom weltweiten Verlauf der Fi-nanz- und Wirtschaftskrise ab, die die Messewirtschaft zeitverzögert, im zweiten Halbjahr 2009 und 2010 treffen wird. Ich bin aber zuversichtlich. Es gibt in Deutschland keinen vergleichbaren Messeplatz, der in jüngster Vergangenheit mehr neue Veranstaltungen am eigenen Standort und auch international lanciert hat. Es tut sich eine Menge, und Köln hat das Potential, weiterhin in der Cham-pions’ League mitzuspielen. Ohne das neue Nordgelände allerdings – auch das muss man hier deutlich sagen – hätten wir uns aus der Top-Messeliga verabschie-den können.

Gerald Böse

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„Sie kriegen hier eine volle Bespaßung“, verspricht Benjaminn Aschmann seinem Publikum gleich zu Beginn. Es ist Sonn-tagmorgen, 11 Uhr, und in der Adlerwarte Berlebeck (bei Detmold) ist Freiflug. Fast 200 Personen drängen sich auf einer klein-en Tribüne um den jungen Mann, der ih-nen gleich erklären wird, wie das so ist mit den Adlern und den Geiern.

Im deutschen Schicksalsjahr 1939 hatte das Ehepaar Kati und Adolf Deppe den ungewöhnlichen Park gegründet, damals mit gerade einmal drei Vögeln. Heute locken 186 Greifvögel aus 46 verschie-denen Arten jährlich 100.000 Besucher in den kleinen Ort – ein echter Zuschauer-magnet am Teutoburger Wald.

Benjamin Aschmann läuft inzwischen zu Hochform auf. Der 25-Jährige ist einer

von drei hauptberuflichen Falknern auf der Adlerwarte. Er kümmert sich um die Vögel, und er ist eine Stimmungskanone, wie man sie nur selten findet. „Das sieht ja aus wie bei Captain Hook“, kalauert er, als sich ein Falke auf der Schulter einer verschüchterten Besucherin niederlässt. Kindern, die mit eingezogenem Kopf ei-nen nahenden Weißkopfseeadler ängstlich bestaunen, macht er Mut: „Der frisst nur Kleinsäuger!“ Der Mann ist ein Naturta-lent, positive Ausstrahlung, sympathisches Lächeln und einen flotten Spruch nach dem anderen. Eigentlich gehört so jemand ins Fernsehen. Aber Benjamin Aschmann hat sich für einen anderen Berufsweg ent-schieden.

Seit fünf Jahren ist der gebürtige Ver-ler Falkner. „Greifvogel-verrückt war ich schon immer“, erinnert sich der junge

Mann an die Anfänge. Damals, als er noch ein Kind war, mussten die Eltern ihn immer wieder nach Berlebeck bringen. Staunend beobachtete er dann stunden-lang die stolzen Tiere. Am liebsten hätte er dort, an diesem Hang und umgeben von herrlicher Natur, übernachtet. Doch dann kam erstmal alles anderes. „Irgend-wann wurden Frauen interessanter als Greifvögel“, gibt Aschmann zu. Wohl nur ein Zwischenspiel, denn als er eines Ta-ges hörte, in der Adlerwarte würden zwei Zivildienstleistende gesucht, war die alte Leidenschaft sofort wieder da. Statt wie geplant zur Bundeswehr zu gehen, wurde er Zivi bei den Adlern, blieb dann als 400-Euro-Jobber und bekam irgendwann den Job als hauptberuflicher Falkner, sein „absoluter Traumberuf“.

Fragt man Benjamin Aschmann nach sein-

ZU BESUCH BEI FALKNER BENJAMIN ASCHMANN

Der König der AdlerSie halten Johannes B. Kerner für schlagfertig? Sie halten Florian Silbereisen für einen Enter-tainer? Dann sollten Sie mal die Adlerwarte Berlebeck besuchen und Benjamin Aschmann erleben. Klaus Kelle

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er Leidenschaft, gerät er direkt ins Schwär-men. Dann spricht er vom „Majestätisch-en dieser Greifvögel“ und davon, dass die Jagd mit einem Greifvogel auf Wild die älteste Form der Jagd überhaupt ist. Er re-det davon, dass es besser ist, wenn Greifvö-gel von ihren Eltern aufgezogen werden, dass Vögel eine natürliche Scheu vor dem Menschen haben und warum Adler stets so grimmig dreinschauen.

„Ich war nie ein stilles Wässerchen“, gibt er zu, als unser Gespräch schließlich auf ihn selbst kommt. Denn, auch wenn er viel zu bescheiden ist, um das so zu sa-gen, auch Benjamin Aschmann selbst ist eine Attraktion, ein Entertainer, wie man sie nur selten findet. Bei ihm paar-en sich Professionalität mit Humor und Schlagfertigkeit. Als er die beiden Geier mit den sinnigen Namen „Wolle“ und „Petri“ vorführt, grinsen die Zuschauer. Dann erklärt er, dass diese Tiere Aasfresser

sind, die Ausschau nach leblosen Körpern halten. „Bleiben Sie also jetzt immer ein bisschen in Bewegung“, rät Aschmann und die Leute lachen herzhaft. Ein paar Sekunden genießt er das, um dann nach-zulegen: „Wenn wir hier Freiflug haben, liegt in Berlebeck niemand in der Sonne!“ Sein Publikum flippt aus, ja liegt ihm zu Füßen. Und er gibt noch einen obendrauf: „Einen Moment die Augen zu, und schon stehen die Jungs mit tropfendem Zahn um einen herum.“ Die Jungs, seine Jungs, „Wolle“ und „Petri“. Nach der halbstündi-gen Show, die täglich drei Mal stattfindet, bleiben viele noch stehen und suchen das Gespräch mit dem Falkner. Und wenn er zwischendurch mal durch den Park geht, sammeln sich immer sofort Menschen um ihn herum. Bei Fachfragen beweist er dann, was er wirklich drauf hat.

Etwa 13 Wochen dauert es, bis so ein Greif-vogel erzogen ist und bei einer Flugvorfüh-

rung mitmachen darf. Um die Ausbildung kümmert sich Aschmann gemeinsam mit seinen beiden Kollegen. Mit ihnen betreut er auch die verletzten Vögel, die von Polizei und Tierärzten immer wieder nach Berle-beck gebracht werden. Etwa 200 sind es pro Jahr. Liebevoll werden sie gesund ge-pflegt und dann wieder in die freie Natur entlassen – übrigens dort, wo sie zuvor ge-funden worden waren. Öffentliche Gelder des Landes – wie etwa in Niedersachsen – gibt es dafür nicht. Aber Menschen, die Patenschaften für einige der Greifvögel übernehmen und so einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Adlerwarte in Berle-beck eine Zukunft hat.

Benjamin Aschmann muss wieder zu sei-ner Arbeit. Die Kaffeetasse ist leer. Er verabschiedet sich höflich, schlendert herüber zu einem der Adler in unserer Nähe und ruft dem majestätischen Tier zu: „Was machst’n da? Komm, arbeiten!“

Leben.Traumjob

Adlerwarte BerlebeckDie Adlerwarte ist bis zum 15. November täglich von 9.30 bis 17.30 Uhr geöffnet. Freiflugprogramm ist um 11 und um 15 Uhr. Bis zum 30. September gibt es auch um 16.30 Uhr Freiflug.Erwachsene zahlen 5 Euro, Kinder 2,50 Euro, Schüler und Studenten 4 Euro Eintritt.

Wichtig: Hunde dürfen den Park nicht betreten!

So sieht ein Mensch aus, der seinen Traum-

beruf gefunden hat:Benjamin Aschmann

mit Weißkopfseeadler

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Leben. ?

Historische Vorbilder für die Excellence Bibliothek fand man in Einrichtungen gehobener Haushalte gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.

Paschen & Companie ist der führende Hersteller von Bibliotheken. Seit 2000 wurde der Umsatz auf knapp 45 Millionen Euro verdoppelt. Doch es werden keine Regal-Systeme von der Stange gefertigt sondern Maßarbeit. Handgefertigte Mo-delle aus edlen Hölzern. Der Marktanteil im Inland liegt bei 25 bis 30 Prozent. Das Exportgeschäft nach Asien oder Russland zieht kräftig an. Ende dieses Jahres soll der Anteil des Auslandsumsatzes 20 bis 25 Prozent betragen. „Wir fertigen Möbel für Menschen, die Büchern in ihrer Wohnung ein Zuhause geben möchten“, sagt Jan Paschen (44), der das Familienunterneh-

men mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder Christian in fünfter Generation führt. Gegründet wurde die Firma 1883 in Hamburg von Carl Paschen, der edel-ste Zigarrenkisten herstellte. Anfang der 90er Jahre stand es Spitz auf Knopf für Paschen & Companie. Der Betrieb war in einem desolaten Zustand. In den La-gern verstaubten Möbel und Hölzer, die keiner mehr nachfragte. Damals baute das Unternehmen noch Anbauelemente, Regalsysteme, Speisezimmer-Möbel und Esszimmer-Vitrinen. Günter Paschen, der 2005 verstarb, handelte damals geistesge-genwärtig. Er wollte etwas schaffen, was

für ihn selbst einen Wert darstellte. Und das war: Leben mit Büchern. Er machte keine Marktforschung. „Dinge sammeln sich an“, war sein Wahlspruch. Bücher waren für ihn Freunde, denen man eine Heimat schafft wie sich selbst. Seitdem baut Paschen ausschließlich Bibliotheken und besetzt sehr erfolgreich eine Nische. „Wir haben gründlich aufgeräumt und wahrscheinlich Millionen weggeschmis-sen“, erinnert sich Christian Paschen an den Zeitpunkt, an dem das Geschäftsmo-dell unter der Ägide seines Vaters radikal verändert wurde. „Wir brauchten Luft für einen Neuanfang.“ Jan stimmt ihm zu:

DAS FAMILIENUNTERNEHMEN PASCHEN IN WADERSLOH IST SOGAR IM VATIKAN EIN BEGRIFF

Ein Zuhause für gedruckte SchätzeUmgeben von satten, grünen Wiesen und knorrigen, alten Bäumen hat in Wadersloh ein Mittel-ständler seinen Sitz, der in Deutschland mit seinen Produkten Marktführer ist und auch weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus für kräftigen Absatz sorgt. Stefan Kleefisch

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Leben. Stil

„Es war kein Zug mehr im Geschäft. Jeder arbeitete vor sich hin, alles war veraltet. Wir haben damals Spießermöbel herge-stellt.“ Vier Tage und Nächte diskutierten die Brüder. „Dann haben wir Ja gesagt“, erinnert sich Christian. Von da an misch-ten die beiden kräftig im Unternehmen mit.

Ein Weg, der bis dahin nicht vorgezeich-net war. Jan machte sein Abitur in Berlin, studierte Musik, bekam einen Plattenver-trag und arbeitete als Orchestermusiker. Christian lernte Tischler und Bootsbauer, wanderte aus, stellte Yachten in Brasilien für eine Werft her, zwischenzeitlich zog er mit einem Kumpel um die Welt und landete auf den Fidschi-Inseln. Als Segler bestritt er die härtesten Rennen der Welt, darunter das Volvo Ocean Race, mit seiner Beneteau 25 wurde er Weltmeister. Heute ist Jan für das Marketing und die Finan-zen zuständig. „Als Musiker habe ich gutes Rüstzeug mitbekommen: Menschenkennt-nis und Streitkultur“, sagt er im Rück-blick. Christian kümmert sich um den

gestalterischen Bereich.Der typische Kunde ist Akademiker und über 50. Die Auftragssummen von Privat-personen oder Geschäftsleuten liegen in der Regel zwischen 6.000 und 10.000 Euro. Auf Wunsch wird auch nach dem Vorbild historischer Bibliotheken gebaut. Zu den Kunden des Möbelbauers zählt sogar der Vatikan. Nach dem Vorbild nie-derländischer Universitätsbibliotheken im Stil des flämischen Spätbarocks hat Pa-schen 2008 für Papst Benedikt XVI. eine Bibliothek erstellt. Derartige Sonderwün-sche sind nicht ungewöhnlich. „Wir bie-ten alle Stilrichtungen, Moderne, Klassik, Barock, Romantik, Bauhaus oder Rokoko. Wir bauen das, was der Kunde haben will – in allen Längen, Tiefen, Höhen und Breiten. Wir bohren den Kunden sogar die Wurmlöcher ins Holz, damit die Bi-bliothek möglichst alt aussieht“, sagt Jan. Gearbeitet wird nur auf Bestellung. Gefer-tigt wird am Firmensitz in Wadersloh. Nur dieser Standort garantiert hohe Qualität, eine termingerechte Logistik und einen schnellen Service.

Sorgen um einen geeigneten Nachfolger müssen sich die Paschen-Brüder nicht machen: Vater Günter war zweimal ver-heiratet und hat sechs Kinder. Bis auf den Jüngsten Maximilian (17) arbeiten alle im Unternehmen. Stefanie Paschen (37) kümmert sich um die Schulungen der Verkäufer im Handel, Sebastian (32) lei-tet die Paschen-Vertretung für Berlin und Brandenburg und Alexander (19) macht eine Lehre als Holzmechaniker. Jan Pa-schens Frau Vanessa ist für die Pressearbeit zuständig. Er und sein Bruder halten mit 66 Prozent die Mehrheit der Familienan-teile.

Im Herbst pflegt Jan Paschen dann wieder seine Liebe zum Buch. Sein Unternehmen gehört zu den Partnern des Deutschen Buchpreises, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Oktober ver-leiht. „Bücher nimmt man ans Herz, man verwahrt sie und geht gut mit ihnen um“, sagt Jan. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Jan (l.) und Christian Paschen

Der Firmensitz des Bibliotheken-Herstellers Paschen in Wadersloh. Hier wird aufIndividualität gesetzt, hier entstehenTraum-Bibliotheken.

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Leben. Beethovenfest

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Ludwig van Beethoven den Grundstein gelegt hat für das, was wir heute „Starkult“ bezeichnen? Sein Einfluss prägte nicht nur die Musik der Romantik, in der sich nahezu alle musikalischen Gattungen auf Beethovens Schaffen bezogen. Erstmals war der Solist im Mittelpunkt, als eigen-ständige Musikerpersönlichkeit, Ausgang-spunkt für verklärende Künstlerideale, der Genie- und Starkult war geboren! Und so versteht sich auch das diesjährige Motto des inzwischen international renommierten Betthovenfestes: „Im Licht“. Es richtet den Blick auf faszinierende künstlerische Positionen, hebt den Einzelnen heraus aus der Masse und gibt ihm Raum.

Das Beethovenfest Bonn 2009 findet vom 4. September bis zum 3. Oktober unter der Schirmherrschaft von Bundes-kanzlerin Dr. Angela Merkel statt. In 75 verschiedenen Veranstaltungen gastieren Stars und Virtuosen wie Kent Nagano, Sol Gabetta, David Garrett, Valery Gergiev, Gustavo Dudamel, Thomas Hengelbrock und Maurizio Pollini. Spitzenorchester

wie das London Symphony Orchestra rei-sen an, das City of Birmingham Sympho-ny Orchestra, das Pittsburgh Symphony Orchestra, das Deutsche Symphonie-Or-chester Berlin und das Mahler Chamber Orchestra. Erstmalig wird die Deutsche Kammerphil-harmonie Bremen – „Residenz-Orchester" des Beethovenfestes seit 2004 – alle neun Beethoven-Symphonien an vier Abenden unter der Leitung von Paavo Järvi spielen. Das abschließende Konzert des Zyklus mit der Aufführung der Symphonien Nr. 8 und Nr. 9 wird zum Public Viewing live auf den Bonner Marktplatz übertragen.

Als weiteres Highlight wird zum 60. Jah-restag der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages 1949 in Bonn der musikalische „Weg der Demokratie“ be-schritten: An sechs politisch bedeutsamen Stätten in Bonn wird jeweils ein Jahrzehnt musikalische Geschichte präsentiert: Im Museum Koenig, im Palais Schaumburg, im „Schürmannbau“ der Deutschen Welle,im Alten Wasserwerk, im Plenarsaal des Bundesrates und im Haus der Geschichte.

Beethovenfest Bonn

Das Beethovenfest reicht zurück bis ins Jahr 1845, als Franz Liszt die Beethovenstat-ue auf dem Bonner Münster-platz enthüllte. Konzeptionell neu belebt feiert es 2009 sein 10-jährigesJubiläum. Internationale Spitzenorchester, bedeutende Ensembles, prominente Solis-ten und vielversprechende Nachwuchskünstler zeigen innerhalb von vier Wochen in rund 60 Veranstaltungen ihr Können. Mit zum Konzept von Ilona Schmiel, Intendantin und Geschäftsführerin seit 2004, gehört - ausgehend von Beethovens Vermächtnis - dass alljährlich Genre-Grenzen und eingespielte Konzertrituale überwunden werden, wie in diesem Jahr mit „Klassik meets Hip Hop“.www.beethovenfest.de

„Sich selbst darf man nicht für so göttlich halten, dass man seine eigenen Werke nicht gelegentlichverbessern könnte.“ sagte einst Ludwig van Beethoven – seine Geburtsstadt Bonn ehrt ihn alljährlich mit einem eigenen Festival. Birgit Kelle

Bonn feiert wieder seinen großen Sohn

Der Rundfunkchor Berlin ist gesuchter Partner internationaler Spitzenorchester

Sol Gabetta Andris Nelsons David Garrett Die Spielstätte Beethovenhalle

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Impressum

erscheint im

NRW.jetzt Verlag GmbHKieshecker Weg 24040468 DüsseldorfTelefon 0211-69 55 [email protected]

Chefredakteur: Klaus KelleLeiter Nachrichten: Stefan KleefischChefin vom Dienst: Birgit Kelle

Art Director: Ideengestaltung Sonja LangnerBildbearbeitung & Titelfoto:Xandra Herdieckerhoff

Autoren in dieser Ausgabe: OB Frank Baranowski,

Dr. Gabriele Bellenberg, Matthew G. Boyse, Silke Fortmann, Ulrike Hüppe, Birgit Kelle, Stefan Klee-fisch, Prof. Dr. Sebastian Krause, Oliver Schmeer/WAZ, Dr. Martin Stockhausen, Dr. Frank Überall

Fotos: Frank Fremerey; Marco Borggreve; Frank Überall, M. Jenkins, EMI Music, Michael Jaspers, Alexander Paul Englert, RalphSondermann/Staats-kanzleiNRW, Kevin Westenberg, Universal Music 2009, Four Artists, Roy Beusker, Dieter Eikelpoth, Photocase.com: ig3l, Mr. Nico, Fotolia.com: Sushi King, Foustontene, Willi K, Yuri Arcurs, R. Andreas Klein, Bilderbaron, Christian Schwier, Elza, Klikk, Ioannis Kounadeas; Schloss Krickenbeck, kellecom, picture-alliance/dpa, Underberg, Xandra Herdie-ckerhoff, Maritim, Vodafone, Stadt Gelsenkirchen, Yello Strom GmbH, RWE AG, RVR/Maier-Jantzen/ Loermann&Schroedter, Claus Frömming Kommunikation, Different Stories, BB Promotion, Koelnmesse, Georg Wissel, Phantasialand, Tom Wagner, H. Flug, Kevin McIntosh, Oper am Rhein/Eduard Straub

Geschäftsführer: Michael Schultz

Druck: WAZ-Druck GmbH & Co. KGTheodor-Heuss-Straße 7747167 Duisburgwww.waz-druck.de

Vertrieb: IPS Pressevertrieb GmbH, Meckenheim, Tel.: 02225-8801-0, eMail: [email protected]

Einzelpreis: 3 Euro inkl. 7% MWSt.Anzeigenpreisliste Nr. 1/2009

Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Texte zu bearbeiten und zu kürzen. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotos übernehmen wir keine Haftung. NRW.jetzt darf nur mit Geneh-migung des Verlages in Lesezirkeln geführt werden.

MAGAZIN FÜR ENTSCHEIDUNGSTRÄGER IN NORDRHEIN-WESTFALEN

WIRTSCHAFT. POLITIK . LEBEN.

NRW. jetzt

Pina Bausch war nie unumstritten oder gar bequem. Ihre Choreographien han-delten vom Tod und vom Terror, von Ängsten und Sehnsucht. Mal ließ sie den Tanzboden mit Erde, Ästen und Blättern bedecken, mal zeigte sie groteske Szenen, nahm die Unfähigkeit vieler Menschen zur Kommunikation aufs Korn. Die Tradi-tionalisten wandten sich verstört ab, doch viele Menschen liebten den ganz eigenen Stil, der Pina Bausch schließlich weltweit bekannt machte. Im nach ihr benannten Tanztheater Pina Bausch in Wuppertal entwickelte sie aus Anfängen des Modern Dance eine Art des Balletttanzes, die mit Gesang, Alltagsgesten und Pantomime neue Elemente aufnahm. Ohne Über-treibung darf man sie die bedeutendste Choreographin der Gegenwart nennen, die einen eigenen Stil des Tanzes hinterlas-sen hat. Die Welt hat mit Pina Bausch eine großartige, unverwechselbare und zweifel-los unvergessene Künstlerin verloren.

Im September sollten die Dreharbeiten zu einer großen Dokumentation beginnen, die Wim Wenders seit Jahren geplant hatte. Doch dazu kam es nicht mehr. Pina Bausch, die große Dame der internationalen Tanzszene, ist tot. Völlig unerwartet starb die aus Solingen stammende 69-Jäh-rige nur fünf Tage nach einer Krebsdiagnose und 18 Tage nach der Premiere ihres letzten Stückes am Wuppertaler Opernhaus. Am 4. September wird der Verstorbenen in einer Trauerfeier gedacht.

Abschied von einer Choreographin

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DIE GASTGEBERINFür Cordula Waldeck ist der neue Job, eigentlich eine Heimkehr: Die bekennende Rheinländerin ist jetzt General Managerin des art`otel, das demnächst im modernen Rheinauhafen seine Pforten öffnen wird. Aufgewachsen im Bergischen Land zog es sie weit hinaus in die Welt. Düsseldorf, London, Leipzig, Baden-Baden oder auch Miami sind nur einige Stationen ihrer beruflichen Laufbahn. Jetzt ist sie wieder in NRW und als Kunstinteressierte ist die

DER AUFPASSERSein Auftrag ist die Sicherung von Mördern, Räubern, Vergewaltigern, Be-trügern: Reinhard Kleesiek (55) ist seit 25 Jahren Justizwachtmeister im Landgericht Detmold. In großen Strafprozessen sitzt er dicht hinter den Angeklagten, um ein-zugreifen, wenn diese auf dumme Ideen kommt. Im Notfall müsste Reinhard Kleesiek sein Leben riskieren, an die Ge-fahr denkt er nicht mehr. „Sie gehört zum Alltag“, sagt er gelassen. Einen türmenden Bankräuber konnte er einst erst vor dem Cafe stellen. Dieser flog mit dem Kopf in eine Scheibe und wurde von Kleesiek überwältigt. Erst vor wenigen Monaten erwischte er zwei Drogenbarone, als sie im Gerichtssaal Herointütchen aus-

DIE KUNST-EXPERTINDr. Bettina Paust arbeitet für die Kunst im Allgemeinen und für Joseph Beuys im Speziellen. Die Kunsthistorikerin ist seit dem 1. Mai neue Künstlerische Direk-torin der Stiftung Museum Schloss Moy-

DER KOSTÜM-SCHNEIDERMit einer Nähmaschine vom Flohmarkt fing alles an, mit “learning by doing” wurde es verbessert, und am Ende bekam der gelernte Goldschmied Horst Raack eine Auszeichnung, um die den Laien jeder professionelle Gewandschneider beneidet: Er belegte Platz eins im Wett-bewerb um die schönsten Kostüme des Carnevale di Venezia. „So etwas schafft man nur einmal im Leben.“ Mit den „Reisen des Marco Polo“ setzte sich seine Gruppe aus Ostwestfalen gegen 56 andere in der Lagunenstadt durch. Die Kostüm-kreationen im Barock- und Rokokostil ernteten das meiste Lob. Frisur, Acces-soires, Make-up, die edlen Stoffe – sechs Jahre lang hatte er alles immer weiter ver-feinert. „Wir sind nicht perfekt gewesen, aber gerade das machte den Charme aus. “ sagt Raack über sich und seine Mitstreiter Jochen Schlüter, Karina Holländer, Victo-ria Jimenez, Frank Neuhaus und Barbara Hensdiek. Seinen plötzlichen Ruhm will Raack nicht zu Geld machen, auch wenn ihn viele Leute ansprechen. „Würde ich meine Kreationen verkaufen, wäre ich in meiner Kreativität eingeschränkt.“

Menschen aus Nordrhein-Westfalenland. „Beuys ist einer der bedeutendsten Vertreter für zeitgenössische Kunst. Seine Arbeit war ganzheitlich, verzweigte sich in Bereiche wie Wissenschaft, Physik oder auch Politik“, schwärmt die 47-Jährige. Und das tut sie jetzt auch mit der hau-seigenen Sammlung: „Die Kunst nach außen tragen, mitten in die Gesellschaft.“ Im kleinen Bedburg-Hau wird immerhin die größte Joseph-Beuys-Sammlung welt-weit beherbergt, dazu das Beuys-Archiv, angeschlossen an die Kunstakademie Düsseldorf. Und diese will Bettina Paust gerne mit neuem Konzept einem größerenPublikum bekannt machen, nach außen tragen – ganz nach Beuys-Manier.

tauschten. Große Teile seiner Freizeit wid-met der Familienvater ehrenamtlichem Engagement. Seit 30 Jahren rettet Rein-hard Kleesiek in der freiwilligen Feuerwehr Menschenleben. Und gerade steht er in dem Schauspiel „Die Hermannsschlacht“ als Akteur auf der Bühne.

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DER OBER-HOTELIERRolf Dieffendahl setzte auf Humor und Glauben und hatte Erfolg. Ausgestattet mit einer roten Pappnase und einem Rosenkranz erschien der gläubige Katholik und aktive Karnevalist zum Verbandstag des „Deutschen Hotel- und Gaststätten-verbandes NRW“ im Krefelder Dorint-Hotel. Und prompt wurde der Bedburger Gastronom für die kommenden drei Jahre zum Präsidenten des DEHOGA NRW gewählt. Der Besitzer der „Bed-burger Mühle“ repräsentiert nun mehr als 10.600 Mitglieder aus dem ganzen Land. Dieffendahl sprüht über vor lauter Taten-

drang. „Ich wollte diesen Posten haben“, sagt er ausdrücklich. Jede Woche will der zweifache Familienvater künftig einen Tag komplett im Büro in der Geschäftss-telle der DEHOGA NRW in Neuss ver-bringen. Und das erste wichtige Projekt hat er schon im Auge: „Einen reduzier-ten Mehrwertsteuersatz im Hotel- und Gastronomie-Gewerbe!“

DIE BAUMEISTERINHeike Theilmeier lebt einen Kindertraum – und auch den zahlreicher Erwachsen-

er: Die 33-Jährige ist Modellbauerin im Legoland Dicovery Center in Duisburg und darf den ganzen Tag mit den bunten Steinen Figuren, Gebäude oder auch gan-ze Landschaften bauen. „Es ist ein Traum-job“ versichert sie lächelnd. Ausgebildet ist Heike Theilmeier als gestaltungstech-nische Assistentin mit der Fachrichtung Produktdesign und Modellbau. Während des Studiums in Dortmund wurden vor Ort zufällig Mitarbeiter zur Unterstützung des Teams bei Lego gesucht und sie bekam den Job. Unzählbar sind die kleinen bun-ten Steine, die sie seither zusammengebaut hat, in ihrer Werkstatt. Das Miniland, mit Sehenswürdigkeiten aus dem Ruhrgebiet

DIE LYRIK-ENTHUSIASTINUrsula Krechel hat viele Berufe: Essayistin, Hörspiel- wie Theaterautorin, Erzählerin und Lyrikerin, Gastprofessorin im In- und Ausland. Fragt man sie aber nach ihrem Beruf, so bleibt nur eine Antwort: „Ich bin eine geborene Schriftstellerin“. Schon als Kind war sie fasziniert von dem Ge-heimnis des geschriebenen Wortes. Wann sie angefangen hat zu schreiben, kann sie nicht sagen, irgendwie schon immer, doch ein Lieblingsgenre hat sie, und das ist die Lyrik. Jetzt ist die in Berlin lebende Au-torin in Düsseldorf mit dem d.lit-Litera-turpreis 2009 der Stadtsparkasse Düssel-

Leben. Sieben von uns

7von uns

dorf für ihren neuesten Roman „Shanghai fern von wo“ ausgezeichnet worden. Eine Geschichte über 18.000 deutsche und österreichische Juden, die nach der Pro-gromnacht 1938 als letzten Ausweg eine Schiffspassage nach Shanghai wählten. Die Stadt faszinierte Ursula Krechel, besonders ihr „kolonialer Glanz“. Es wird nicht ihr letzter Besuch dort gewesen sein.

zum Beispiel. „Zwei Monate habe ich dafür gebraucht“, erzählt sie von dem Rie-senrad, dem Spielplatz und dem Ketten-karussell. Und was würde sie gerne einmal mit Legosteinen nachbauen? „Ein tolles Gebäude, zum Beispiel das Guggenheim in New York!“

Arbeit in einem „Kunst-Hotel“ natürlich ein Traum. Ginge es nach ihr, würden die Wände wohl hauptsächlich mit Paul Klee behangen, ihrem Lieblingsmaler. Bis zur Eröffnung ist noch viel zu tun: Mitarbeiter einstellen, die letzten Arbeiten beaufsichti-gen, sich mit dem Haus vertraut machen. Und sich mit den Fluren bekanntmachen, damit sich ihr kuriosestes Hotel-Erlebnis nicht wiederholt: „Im Ceasar`s Palace in Las Vegas habe ich mich an einem Tag zweimal verlaufen!” sagt sie schmunzelnd.

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Leben. ?

Auf dem Arbeitstisch von Thomas Baumgärtel stapeln sich angebrochene Dosen mit Sprühlacken. Vorsichtig setzt er sich eine Atemmaske auf und nimmt eine Papp-Schablone in die Hand, die er zuvor akkurat ausgeschnitten hat. Was er hier macht, ist Banane! Baumgärtel ist als Künstler damit berühmt geworden, Bananen auf alle möglichen Materialien zu bannen – auch auf Häuser.

Früher war er ein Rebell, der oft auch über die Grenzen des Legalen hinausging. Heute ist der prominente Kölner aus dem etablierten Kunstbetrieb kaum noch weg zu denken. Ausstellungen in New York, London oder Paris säumen seinen Weg – und doch hat er sich noch ein wenig von seiner anfänglichen Wildheit behalten können. Auch heute noch setzt er gerne auf freche Aktionen, provoziert bewusst öffentlichen Streit über (seine) Kunst.

Angefangen hat alles schon in frühen Jah-ren. Bevor Baumgärtel Psychologie und Kunst studierte, absolvierte er erst einmal seinen Zivildienst im katholischen Kran-kenhaus Rheinberg im Ruhrgebiet. Den Schalck hatte er schon damals im Nacken: Ein Holzkreuz an der Wand kam ihm so eintönig vor. Nachdem er eine Banane ge-gessen hatte, stülpte er die Schale einfach über das Kreuz. „Das hat damals einen ziemlichen Aufruhr gegeben“, erinnert sich der Künstler heute: „Die Ordens-schwestern waren natürlich erst mal nicht so begeistert. Trotzdem hatte ich in gewis-

ser Weise Narrenfreiheit, und schon diese Aktion hat dazu geführt, dass ich mit Patienten und Schwestern intensiv über Kunst diskutiert habe.“

An diesem Konzept fand Baumgärtel im-mer mehr Gefallen. Er fing an, Bananen-Motive aus Pappe zu schneiden und sich nachts mit Sprühdosen auf den Weg zu machen. In ganz Köln verzierte er Ge-bäudewände mit seinen farbigen Süd-früchten. Es gab so manchen öffentlichen Aufruhr und immer wieder auch Schaden-ersatzforderungen und Strafanzeigen. Der Kunst-Rebell ließ sich davon aber nicht einschüchtern. Umso stolzer war er, als er kürzlich seine inzwischen zum Kult avan-cierte Banane sogar an die ehrwürdigen Gemäuer des Oberlandesgerichts in Köln sprühen durfte – diesmal ganz legal. In einer begleitenden Ausstellung wurde sein Lebenswerk geehrt. „Für manche Richter, die mich früher verfolgen mussten, war das schon ein mulmiges Gefühl“, erin-nert sich Thomas Baumgärtel heute: „Ein ausgestelltes Werk bestand immerhin aus einer Strafanzeige der Polizei, die ich mit Bananenaufdrucken verziert habe.“

Heute ist die Baumgärtel-Banane zum Inbegriff einer internationalen Kunst-Aus-zeichnung geworden. „Man kann die auf-gesprühte Banane nicht kaufen, die mache ich nur freiwillig“, grinst er: „Da bin ich quasi unbestechlich.“ In diesen Tagen ist er im Ruhrgebiet unterwegs, bereitet einen Führer zu den besten Galerien im

Revier vor. Klar, dass jedes der verzeich-neten Häuser dafür auch eine Banane an die Tür gesprüht bekommt – aber immer-hin fragt er vorher um Erlaubnis… Zuvor hatte Baumgärtel dieses Projekt unter dem Arbeitstitel „100 Bananen für das Ruhrge-biet“ für die Kulturhauptstadt-Bewerbung eingereicht. Weil es dort abgelehnt wurde, macht er es jetzt auf eigene Faust: „In den Gremien zur Kulturhauptstadt hat offen-bar keiner wirklich Ahnung von bildender Kunst.“

Manchmal eben tun sich Verantwortli-che immer noch schwer mit dieser Art von Auszeichnung. So bei einem Dort-munder Museums-Komplex, der eine große Bananen-Installation auf dem Dach bekommen sollte. „Da ist schon eine gewisse Abwehrhaltung zu beobachten“, sagt der Künstler. Die strengen Auslegung-en von Bauvorschriften behindern derzeit das Projekt, die örtlichen Medien sind voll mit der Diskussion darüber. Baumgärtel hat so sein Ziel mal wieder erreicht, dass Kunst zum Gegenstand des gesellschaftli-chen Diskurses wird.

Überhaupt mischt sich der Kölner, der bei Essen geboren wurde und aufgewach-sen ist, gerne ein. Seine Bilder, die er im Atelier auf einem alten Industriegelände nahe der Kölner Innenstadt herstellt, sind oft politische Statements. Er hat den ehemaligen Post-Chef Klaus Zum-winkel nach Bekanntwerden von des-sen Steuer-Verfehlungen eine Banane als

Zwischen Kult und ProvokationThomas Baumgärtel ist der Bananensprayer. Geboren im Ruhrgebiet, startete der Künstler seine Karriere in seiner Wahlheimat Köln. Zur Kultur-Offensive im Revier hat der rebellische Maler seine ganz eigene Meinung. Frank Überall

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Leben. Kunst

"Metropole Ruhe", Acryl und Spraylack auf Leinwand. 170 x 200 cm

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lange Lügen-Nase ins Gesicht gemalt. Er zeigte den wegen Raserei zurück ge-tretenen NRW-Verkehrsminister Oliver Wittke als Portrait auf einem Metallschild zur Geschwindigkeitsbegrenzung. Und er bettet Bananen in die Deutschlandfahne ein: „Manchmal ist unser Land schon eine Bananenrepublik…“ Bei seinen Diskus-sionen über mögliche Großinstallationen merkt er das immer wieder. Bürokraten wollen Außergewöhnliches verhindern. So wird auch seit Monaten vergeblich über eine Bananen-Installation für die Zeche Zollverein verhandelt.

Inzwischen läuft Thomas Baumgärtel auch nicht mehr im Dunkel der Nacht durch die Straßen, sondern zieht es vor, ganz legal zu sprühen. Dann bleibt morgens auch mehr Zeit für ein leckeres Bananen-brot mit Brombeermarmelade von Mut-tern – immer noch die Lieblingsspeise des umtriebigen Weltenbummlers. „Ich finde es mittlerweile viel spannender, den offiziellen Weg zu gehen und direkt den Kontakt zu Verantwortlichen aufzuneh-men“, verrät Baumgärtel: „Dann sind die Leute noch viel mehr dazu gezwungen, sich mit meinen Ideen auseinander zu setzen.“ Wo immer aber eine Banane an einer Hauswand prangt, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich-keit davon ausgehen, dass sie vom Kölner Thomas Baumgärtel stammt: „Ich finde es gut, auch mal aus dem Atelier heraus zu kommen. Da kann man sich sonst völlig darin verlieren, an Dingen zu basteln – da kriegt man die Welt nicht mehr mit…“

Dass durch den Bananen-Kult der öffent-liche Blick auf das Gesamtwerk des Künst-lers überschattet wird, nervt ihn manchmal ein wenig. So stellt er bis 21. Juni im Wil-helm-Fabry-Museum in Hilden Werke unter dem Titel „Nicht alles Banane – der medizinischen Block“ aus. Die Schau geht zurück zu den Wurzeln des heute 49-Jähri-gen: Gemalte und gesprühte Betrachtung-en aus seiner Zeit als „Zivi“ im Kranken-haus sind hier zu sehen – und sogar das Original-Holzkreuz, das damals an der Wand gehangen hatte. Diesmal aber ohne jede Schmähung durch Bananenschalen, auch um die Ordensschwestern nicht zu be-leidigen, die ihm das Artefakt nach seiner frechen Aktion damals geschenkt hatten.

Baumgärtel in seinem Atelier neben dem Selbstportrait als "Sträfling"

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Die Reiter tragen Helme, Gesichts- und Knieschutz, die Pferdebeine sind banda-giert und durch Protektoren geschützt. Die Pferde beschleunigen in Windeseile auf 60 Stundenkilometer. Das Spiel kennt nur eine Richtung: nach vorn. Das Ab-drängen des Gegners ist die einzige Form der Verteidigung, wobei man die Linie des Gegenspielers nicht kreuzen darf. Die Tore sind unbewacht. Polo, das ist ein rasanter Sport, der auch hierzulande stetig an Be-deutung gewinnt.Schon zum sechsten Mal hatte Sebastian Schneberger auf einer sechs Hektar großen Wiese neben dem Hugerlandshof wieder zum Turnier eingeladen. Beim Polopick-

nick ist der Name Programm. Ein gemütli-cher Ausflug wird verbunden mit rassigem Sport. „Ich wollte auf keinen Fall die sonst üblichen Klischees. Polo ist ein exklusiv-er Sport, aber die Besucher sollen keine Berührungsängste verspüren. Jeder kann zu uns kommen. So, als ob man Freun-de trifft“, sagt der 38-Jährige. Wer Schneberger zuhört, bekommt die Faszination des Sports bildhaft vermit-telt. „Polo-Pferde sind für mich das Un-glaublichste, was es gibt. Sie sind hart im Nehmen, aber trotzdem hoch sensibel.“ 80 Prozent der Leistung bei einem Spiel wird von den Pferden erbracht. Und die müssen einiges leisten: Immer Vollgas

oder Vollbremsung. Auch deshalb hat der Schutz der Pferde beim Polo oberste Pri-orität. Löst sich bei einem Tier die Ban-dage, wird unterbrochen. Fällt ein Spieler vom Pferd und verletzt sich nicht, wird einfach weiter gespielt. Blaue Flecken und Knochenbrüche gehören zu einer Polo-Karriere dazu. Die Tiere sind auffallend schön und muskulös. Die Mähne ist geschoren, der Schweif eingeflochten. Damit sich der Stock beim Schlagen nicht darin verfängt.Ab 10.000 Euro kostet ein Exemplar dieser speziellen Mischung aus argentini-schen Arbeitspferden und englischen Voll-blütern. Die Tiere sind mit 1,55 Meter

32 Hufe donnern am Publikum vorbei, Sporen klirren, ein Gewirr aus Pferdebeinen und Schlägern jagt einem bis zu 180 Stundenkilometer schnellem Ball hinterher. Das ist Polo. Bereits zum sech-sten Mal veranstaltete Sebastian Schneberger in Münster ein Turnier um die schnellste nicht-mo-torisierte Sportart. Ein gesellschaftliches Ereignis ist es sowieso. Stefan Kleefisch.

Rasant, kraftvoll und schön BEIM POLOPICKNICK IN MÜNSTER WURDE DER ÄLTESTE MANNSCHAFTSPORT DER WELT PRÄSENTIERT

Leben. Polo-Sport

Wenn der Spieler den zirka 130 Gramm schweren Ball mit voller Wucht schlägt, erreicht er Geschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern.

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Leben. Polo-Sport

Die Polo-Pferde beschleunigen im Galopp auf bis zu 60 Stundenkilometer

4.000 Zuschauer erlebten in Münster bei strahlendem Sonnenschein ein rundum gelungenes Polo-Turnier.

Höhe relativ klein und dadurch wendig. Schneberger gehört mit Handicap 1 zu den besseren Spielern Deutschlands. Aber er betreibt Understatement: „Ich bin total-er Amateur. Polo ist für mich ein Ausgle-ich.“ Er leitet unter anderem eine eigene Werbeagentur, ist viel unterwegs, tourt um die Welt von Wettkampf zu Wettkampf.

„Beim Polo kommen Leute zusammen, die in ihrem Beruf extreme Einzelkämp-fer sind. Beim Polo müssen sie dann im Team arbeiten. Das ist schon ein wenig verrückt“, sagt er.Bis 1936 war Polo mehrfach olympische Sportart. Bereits die alten Perser spielten Polo – um Krieger und Pferde in Form zu

halten. Heutzutage gibt es insbesondere in Argentinien Profisportler, die vor mehre-ren Zehntausend Zuschauern antreten. In Europa ist Polo besonders in England populär. In Deutschland gibt es etwa 300 aktive Spieler. Die Regeln haben sich über die Jahre kaum geändert. Weiße Hosen sind vorgeschrieben. Und als Linkshänder hat man schlechte Karten. Laut Regelwerk darf der Ball nur mit dem „Stick" in der rechten Hand geschlagen werden. Rund 140 Pferde bringen die Spieler der acht Teams aus Argentinien, den USA, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien und Deutschland mit. Die Stallzelte und Trans-porter bilden eine kleine Stadt.Vielleicht, so hofft Organisator und Team-player Schneberger – sein Team heißt übrigens „Los Nocheros“ (die Nacht-schwärmer) – hat sich der ein oder andere der rund 4.000 Zuschauer an den Turnier-tagen auch vom Polo-Virus infizieren lassen, und probiert es selber einmal aus. Denn, so sagt er: „Im Grunde genommen kann jeder Polo lernen.“

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Ball: Der Poloball hat einen Durchmesser von zirka acht bis neun Zentimetern und wiegt ungefähr 130 Gramm. Früher wurde er aus Bambus gemacht, heute besteht er aus Kunststoff. Im Spiel erreicht er Ge-schwindigkeiten von bis zu 200 km/h.

Flagman: Torbeobachter, der eine Fahne über dem Kopf schwingt, wenn ein Tor erzielt wurde, oder aber unterhalb der Hüfte, wenn kein Tor gespielt wurde.

Handicap: Jeder Spieler besitzt – ähnlich wie beim Golf – ein individuelles Handi-cap. Die Einstufung der einzelnen Spieler reicht von -2 („platzreifer“ Spieler) bis +10 (Vollprofi). Fast 90 Prozent aller deutschen Spieler bewegen sich im Bewertungs-

bereich von -2 bis 0. Die Summe allerergibt das Teamhandicap. Vor dem Spiel erhält die Mannschaft mit dem niedrig-eren Teamhandicap eine Torvorgabe.

Pferde: Die Ponys sind ca. 1,55 Meter hoch und erreichen Geschwindigkeiten bis zu 60 Stundenkilometer. Die Spieler ha-ben meist drei bis vier Pferde am Platz, um die individuellen Fähigkeiten ihrer Ponys spielstrategisch einzusetzen. Ein Großteil des Regelwerks zielt darauf, die Pferde so weit wie möglich zu schützen. Beine und Gelenke sind hierfür dick bandagiert.

Spielfeld: Das „Field“ misst 300 Yard (ca. 270 Meter) x 200 Yard (ca. 180 Meter) und ist damit mehr als sechs Mal so groß

wie ein Fußballfeld. An den Längsseiten kann es mit Banden begrenzt werden.

Spielzeit: Ein Spiel besteht aus vier Spie-labschnitten (Chukker) à 7,5 Minuten netto. Das letzte Chukker dauert nur sie-ben Minuten. Bei Gleichstand kann um Extra-Chukker verlängert werden.

Team: Diese setzen sich aus vier Spiel-ern zusammen: Die Nummer „1“ ist der Stürmer. Die „2“ gilt noch als Angreifer, spielt aber mehr in der Mitte. Der Spieler mit der „3“ ist der Spielmacher und meist der beste Player des Teams. Die „4“ ist der Verteidiger.

Tore: Die Torpfosten aus Weidengeflecht liegen acht Yard (7,31 Meter) auseinander und sind wenigstens zehn Feet (drei Me-ter) hoch und leicht genug, um bei einer Kollision nachzugeben. Nach oben hin gibt es keine Begrenzung.

Torvorgabe: Die Differenz des Gesamt-handicaps einer Mannschaft wird durch die Zahl 6 dividiert und mit der Anzahl der Chukker des Spiels (4) multipliz-iert. Das ergibt die Anzahl der Tore, die als Vorgabe für die Mannschaft mit dem niedrigeren Handicap gegeben wird. Er-rechnete Bruchteile eines Tores zählen als halbes Tor.

Umpire: Einer von zwei berittenen Schiedsrichtern, die das Match überwa-chen. Sie sind dem unberittenen Third Man unterstellt.

Das Polo Wörterbuch

Weiße Hosen sind Vorschrift für alle Reiter

Sebastian Schneberger

Polopicknick

Begeistert verfolgten rund 4000 Zuschauer bei hochsommerlichen Tem-peraturen das packende Finale des sechsten Polopicknick-Turniers. Am Ende behielt das Team Schnitzler denkbar knapp mit 5:4 gegen das Team Volt Interactive die Oberhand. Positiver Nebeneffekt: Teile des Eintrittsgeldes, der Verkauf von modischen Polo-Shirts und der Erlös aus der Versteigerung eines Kinder-Holzpferdes gehen als Spende an das Deutsche Kuratorium für therapeutisches Reiten. Bei der Gesamtsumme handelt es sich um rund 5.000 Euro.

www.polopicknick.de

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Thriller live: Der King of Pop ist tot, doch in dieser Show werden seine größten Hits und sein unverwechselbarer Tanzstil live auf der Bühne lebendig. Die Originalshow aus London auf kurzem Gastspiel vom 22. September bis 4. Oktober im Musical Dome, Köln.

Münster Marathon: 7.000 Läufer gehen hier am 13. September an den Start. Da-runter 20 Topläufer aus Ke-nia, Lettland, Äthiopien, Russ-land, Polen und Deutschland. Startschuss fällt um 9 Uhr auf dem Hindenburgplatz, Zielein-lauf auf dem Prinzipalmarkt.

BAP Open Air: Auch nach 33 Jahren auf der Bühne zeigen sie keinerlei Ermüdungserschei-nungen und wollen ihren Fans noch einmal „gehörig einheiz-en”. Fr., 11. September, 19.30 Uhr, Roncalliplatz vor dem Dom, Köln

Feuerwerk Sternenzauber:Drei verschiedene Feuerwerks-künstler zeigen ihr professio-nelles Funken- und Lichtspek-takel – minutiös abgestimmt auf die Klänge der Musik. Sa., 19. September ab 19 Uhr, Westfalenpark an der Busch-mühle, Dortmund

„Different Places – Different Stories“: Öffentliche, orts-bezogene Kunstprojekte am Niederrhein sind bis Ende No-vember in Emmerich, Bedburg-Hau, Goch, Weeze, Moers(Foto), Duisburg, Viersen und Neuss zu entdecken. Infos: www.places-and-stories.eu

Op een dag in September: Der Niederländer Herman van Veen schrieb und komponierte ein besonderes Musikstück zum Varusjahr 2009. Letzte Vorstellung am 1. September, 20.30 Uhr, Waldbühne am Hermannsdenkmal, Detmold

5. Kölner Musiknacht: Einen Querschnitt der freien Musik-szene in Köln präsentiert die 5. Kölner Musiknacht am 19. September. In diesem Jahr stehen Jazz und improvisierte Musik im Fokus. 400 Künstler treten in 100 Konzerten an 25 Spielorten auf.

Ein Tag am See: So lässt sich der Sommer ausklingen. Open Air am Badesee mit coolen Acts wie Peter Fox (Foto), Cold Steel, Clueso und nicht zuletzt Rap-Urgestein Thomas D. Sa., 29. August, Dürener Badesee, Einlass ab 14.30 Uhr, Beginn 17 Uhr.

The Buddy Holly Story: Der Musical-Welterfolg um den tragisch ums Leben gekom-menen Musiker feiert im Ok-tober Premiere im Colosseum Theater Essen. Karten sind jetzt schon erhältlich unter www.musicals.de

Coldplay: Die britische Rock- und Pop-Band rund um Säng-er Chris Martin begeistert seit Jahren die Fans in Deutschland, nicht zuletzt durch ihren Mega-Hit „Bitter Sweet Symphony”. Jetzt sind die Engländer auf Tour. Do., 27. August, 19 Uhr, LTU Arena Düsseldorf.

No Angels: Die Girlband ist zurück und eröffnet mit einem Konzert die 6. LipperTage 2009 in Extertal. Am 4. Sep-tember ab 22 Uhr präsentieren sie ihre aktuelle Single „One Life” aus dem neuen Album „Welcome to the Dance!” und viele ihrer bisherigen Hits.

2. Vogelfestival: Exkursionen und Führungen mit Experten, die Greifvogelstation Wesel ist mit Falken, Adlern und Bussarden vor Ort. Kinder können Nistkäs-ten bauen oder Vögel erraten. 4. bis 6. September, Kemnader See, Bochum. Eintritt frei.

Veranstaltungen im September

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Leben. Veranstaltungen

Armin Mueller-Stahl: Der Schauspieler stellt noch bis zum 27. September seine „Über-malungen eines Drehbuch-es” aus. Entstanden sind die Werke während der Dreharbei-ten zu dem Film „Die Budden-brooks”. NRW Forum, Ehren-hof 2, Düsseldorf

Selig: Die Erfolgsband der 90er Jahre feiert nach zehn Jah-ren Pause in Originalbesetz-ung ein Comeback und tourt mit dem neuen Album „Und Endlich Unendlich” durch ganz Deutschland. Mo., 21. Sep-tember, 20.30 Uhr, Ringlok-schuppen, Bielefeld

Zelt Festival Ruhr: Täglich neue Highlights in den Zelten, u.a. mit Patricia Kaas, Milow, Stefan Gwildis, Heather Nova, Anett Louisan oder auch Amy MacDonald (Foto). Noch bis zum 6. September, Kemnader See, Bochum

Fantissima: Das Phantasia-land Brühl lädt ab 16. Sep-tember zur neuen Abendshow. James Smith und Roz Lewis entführen musikalisch in die Zeit des Funk und Soul, dazu ein atemberaubendes Varieté-Programm und kulinarische Highlights. www.fantissima.de

Giora Feidman: Der „King of Kletzmer” verzaubert mit den einzigartigen Klängen seiner Klarinette das Publikum. Seine Musik lacht und weint und erzählt Geschichten aus der jü-dischen Welt. Sa., 29. August, 20 Uhr, Open Air, Abtei Brau-weiler, Pulheim.

Martin Rütter: „Der tut nix” oder „Der will nur spielen” – giltjedenfalls nicht für Rütters Schnauze. Er nimmt sein Publi-kum mit auf eine Reise durch das tägliche Abenteuer Mensch und Hund. Mo., 14. September, 20 Uhr, Stadthalle Bielefeld

The BossHoss: Die Cowboys aus Berlin rocken diesmal das Polodrom in Jüchen, unter-stützt von Künstler-Kollegen wie J.B.O., D-A-D oder auch One Fine Day. Open Air-Fes-tival „Polo rockt!”, Sa., 5. Sep-tember, Einlass ab 14.45 Uhr, Polodrom, Jüchen

Tori Amos: Jenseits von kom-merziellen Zwängen präsen-tiert die Sängerin aus-drucksstark auf ihrer „Sinful Attraction Tour” wieder Songs voller Passion, bizarrer Poesie und rätselhafter Schönheit. Mo., 28. September, 20 Uhr, Tonhalle Düsseldorf

Mia: Die Band steht für Elek-tro-Punk, vier Männer und die stets laute Frontfrau Mieze. Mit dem Song „Tanz der Moleküle”brachten sie es wochenlang ganz nach oben in die Charts. Sa., 5. September, 20 Uhr, Philhar-monie, Essen

Dieter Nuhr: Mit seinem Pro-gramm „Nuhr die Ruhe” ist diesmal Omen nicht Nomen. Mit Witz und dem nötigen Ernst vereint er Comedy, Satire und Kabarett. Mi., 30. September, 20.30 Uhr, Das Krokodil im Kunstwerk, Mönchenglad-bach-Wickrath

Hier und anderswo – OWL2: Zum zweiten Mal widmet sich das Museum seit 2007 den Künstlern aus Ostwestfalen/Lippe, die auf ganz unter-schiedliche Weise mit der Re-gion verbunden sind. Noch bis zum 6. September, Museum Marta in Herford.

Un ballo in maschera: Der Maskenball von Verdi feiert eine exklusive Wiederauf-nahme mit Weltstars wie Eva Maria Westbroek in der Partie der Amelia. Sa., 26. September, 19.30 Uhr, Oper am Rhein, Düsseldorf

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Leben. Die Letzte

im Ansehen der Bevölkerung gibt es zwei Berufsgruppen, die bei jeder Befragung nach Beliebtheit regelmäßig ganz hinten landen. Das eine sind die Politiker, und das andere sind die Journalisten. Und da mein Berufsstand damit auch unten durch ist, nehme ich mir die Freiheit, heute mal einen Blick auf den Politiker an sich zu werfen.

Ein Politiker, egal welcher Partei, ist im Ansehen breiter Bevölkerungskreise jemand, der keine Ahnung von welcher Sachfrage auch immer hat, und der nur an sich, seine Diäten und vor allem seine üppige Altersversorgung denkt. Unglücklicherweise gibt es diesen Typus tatsächlich. Dennoch möchte ich heute eine Lanze für unsere Volksvertreter brechen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück von der SPD, früher auch mal Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat das mal sinngemäß sehr schön so ausgedrückt: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich der Anteil der Deppen in der Politik ähnlich verteilt, wie in der Bevölkerung insgesamt.“ Er hat das fein-sinniger und in seiner unnachahmlichen Art formuliert, aber seine Kernaussage war: Es gibt bei uns Politikern nicht mehr Abzocker und Idioten, als es sie überall gibt. Und damit hat Steinbrück recht.

Ein wenig muss ich dabei auch meinen eigenen Berufsstand geißeln, was

sich eigentlich nicht gehört. Aber tatsächlich kenne ich inzwischen in allen demokratischen Parteien eine Vielzahl von Politikern, die nicht vergessen, für welche Ideale sie mal beschlossen haben, sich zu engagieren. Frauen und Män-ner, die sich intensiv um jede Bürgerbe-schwerde kümmern, die auch an den Wochenenden von Termin zu Termin het-zen, und die ihren Beruf als Volksvertreter überaus ernst nehmen. In die Schlagzeilen kommen solche Leute nie, höchstens mal in die Lokalzeitung. Schlagzeilen machen Politiker, die Flugmeilen auf Kosten der Steuerzahler sammeln, die ihre Sekretärin um den Schreibtisch jagen oder sich von Unternehmen zu Lustreisen einladen las-sen. Abgeordnete, die einfach nur nachbestem Wissen und Gewissen ihre – zugegeben ordentlich bezahlte – Arbeittun, sind medial einfach nicht sexy genug.

Und die Spezies Volksvertreter ist an ihrem miesen Ansehen durchaus auch mitschuldig. Zu selten traut sich mal eine(r), bei Entscheidungen aus Partei-zwängen auszubrechen und dem Gewis-sen oder der persönlichen Überzeugung den Vorrang zu gewähren. Und das, obwohl das Mandat doch frei ist. Doch weil viele Abgeordnete darauf angewiesen sind, sichere Listenplätze bei ihrer Partei zu ergattern, schluckt man halt immer wieder Kröten. Ein Blick auf den

Karriereverlauf der vier Ypsilanti-Abweichler in Hessen wirkt da durchaus auch auf Politiker anderer Couleur aus-gesprochen disziplinierend.

Und so entdecke ich zunehmend, dass auch ein Mehrheitswahlrecht Vorteile haben könnte. Da gibt es in einem Stimmbezirk Kandidaten, die mit ihrem Programm und ihrer Persönlichkeit für etwas stehen, und die Bürger vor Ort entscheiden. Das hat was, und das würde auch den vielen Politikern zugute kom-men, die einen ordentlichen Job machen. Doch ja, ja, ich weiß: Große Wähler-gruppen würden dann gar nicht oder nicht entsprechend ihrer Stärke in der Bevölkerung auch im Parlament vertreten sein. Deshalb wird es wohl auch nichts mit der Änderung. Ich wollte nur einmal erwähnen, dass auch Großbritannien kein undemokratisches Land ist.

Schauen Sie ihren Politikern auf die Finger! Scheuen Sie sich nicht, mit ihren politischen Problemen zu ihren Volks-vertretern zu gehen! Und wenn sich diese nicht kümmern, wählen Sie sich andere! Aber stellen Sie nicht die Leute, die sich im Stadtrat, in Düsseldorf, Berlin oder Brüssel um die Interessen ihrer Wähler kümmern, unter Generalverdacht.

Das wäre nicht gut für unsere Demokratie, denke ich.

Liebe Leserinnen und Leser,

Politiker sind besser als ihr Ruf

Der Autor: Klaus KelleKlaus Kelle (49) ist seit 25 Jahren Journalist und Chefredakteur von NRW.jetzt. Das journalistische Handwerk lernte er beim Westfalen-Blatt, war in verschiedenen Funktionen für Medienunternehmen tätig, u. a. als Bremer Redaktionsleiter der Hamburger Morgenpost, Chefredakteur des Berliner Rund-funks, Chefredakteur von „20 Minuten Köln“ und zuletzt als stv. Redaktionsleiter von BILD NRW. Seit 2007 ist Kelle als Medienunternehmer selbständig.

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*Siehe www.computerbild.de/dslumfrage**Gilt bei Abschluss eines Vodafone-Kundenvertrags im Vodafone Zuhause DSL All-Inclusive-Paket: 24 Mon. Mindestlaufzeit, mtl. Paketpreis 19,95 € in den ersten 12 Mon., danach 29,95 € für DSL-Anschluss mit DSL 6000 (DSL-Flat-

rate inkl.) und Telefonanschluss mit Telefon-Flatrate für unbegrenzte Standardgespräche ins deutsche Festnetz, weitere verbrauchsabhängige Entgelte für nat. Standardgespräche in deutsche Mobilfunknetze 0,19–0,22 €/Min. Freischaltung von DSL technisch nur möglich, wenn bereits eine unbelegte Teilnehmeranschlussleitung vorhanden ist. Vodafone DSL ist bereits in vielen Anschlussbereichen verfügbar. Verfügbarkeit prüfen unter www.vodafone.de/dslcheck. Keine Nutzung von Call-by-Call oder Preselection möglich. Erforderliche Hardware Vodafone DSL EasyBox und Mobile Connect USB Stick 1,00 €. Versandkostenpauschale für Hardware 9,95 €. Angebot gültig bis 31.10.09.

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