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programm journal 2015 onomato künstlerverein

onomato künstlerverein / journal 2015

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programm journal 2015

onomato

künst ler vere in

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EDITORIAL

Nach längerer Zeit erscheint wieder ein Programmheft mit den Veranstaltungen und Themen vom ›onomato‹.

In einem ersten Schritt ist es erstmals auch als Journal mit re-daktionellen, literarischen und essayistischen Beiträgen gestaltet: Als Nullnummer gleichsam eines demnächst umfassenden Jour-nals für Kunst, Dichtung, Klangkunst und Philosophie.

Die Künstlergruppe des onomato, der onomato-künstlerverein, ist aus einer Verabredung zum Gespräch entstanden, welche die einzelnen Kunstgattungen zugleich überschreiten und umfassen.Die Veranstaltungen, besonders die Werkgespräche und das jährli-che Stipendium sind von diesem Interesse und auch der Intention zur Entwicklung einer besonderen Kultur des Austausches und Gespräches geprägt.

Schon beinahe über 20 Jahre behandelt die Gruppe beim ›Montagsgespräch‹, einem öffentlichen jour fixe am runden Tisch, Themen im Übergang von Bildender Kunst, Sprache, Dichtung und Philosophie.

In diesem Jahr beschäftigen wir uns mit naheliegenden aber doch wenig geläufigen Fragen um den Charakter des Erlebens von Zeit. Auf den Seiten 3 bis 6 ist das Thema in Umrissen vorgestellt. Auch ein Großteil der Veranstaltungen steht im Zusammenhang mit dem Thema.

Die ›Montagsgespräche‹ sind öffentliche Veranstaltungen. Sie kön-nen gerne jederzeit daran teilnehmen. Die Gesprächstermine und einen Hinweis auf Quellen und Materialien finden Sie auf Seite 8.

Ausschnitte aus: Hanna Koch „curtain“

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INHALT

Zum Jahresthema 4

Veranstaltungen 9

Bukawu - Karl Hans Müller 20

Lyrik / Malerei - Jens Stittgen 26

müßiggehen - Schülke / Klepsch 31

Veranstaltungen (Symposium löschen) 39

Katharina Mayer - Auf der Suche nach dem existentiellen Bild 46

Rainer Rabowski (Raum für Notizen) 47

Veranstaltungen 48

Melancholia 50

Reihe zu Pier Paolo Pasolini 56

onomato Stipendium 60

onomato kepos 62

Lyrikreihe: Bekannt trifft Unbekannt 64

Internationale Künstler im onomato 66

Veranstaltungen 72

Rainer Rabowski (Raum für Notizen) 73

Alle Veranstaltungen auf einen Blick 77

Bild- und Textnachweise 80

IMPRESSUM

onomato künstlerverein e.v.

Birkenstr. 97 / 40219 Düsseldorf / tel. 0211 / 398 38 36

[email protected] / www.onomato-verein.de

Mit freundlicher Unterstützungder Stadt Düsseldorf

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CHRONOS / KAIROS ZUM THEMA ZEITGEFÜHL

„Ich weiß, dass ich sterben werde, aber ich glaube es nicht. Ich weiß, dass ich sterben werde, aber ich bin nicht eigentlich davon überzeugt.“

So der französische Autor Jacques Madaule, ein Hinweis auf eine unse-rer ›Begabungen‹ zum Erleben von Zeit.

Bei dem Jahresthema chronos / kairos – zum Zeitgefühl, beschäftigen wir uns mit verschiedenen Zeitbildern – auch in den „Falten und Schatten der kulturellen Tradition des Westens“ – verfolgen deren Repräsentanzen in der Kunst, befragen aber auch, wie und auf welche Weise die verschie-denen Erlebnisarten, Vorstellungen und Narrative von Zeit in die Gesell-schaft und auf uns selbst wirken.

Bei den Montagsgesprächen werden die Aspekte anhand von litera-rischen und philosophischen Texten sowie künstlerischen Positionen und Arbeiten behandelt. Die Veranstaltungen und Werkgespräche stehen größtenteils mit dem Thema in Beziehung.

Werkgespräch - Dieter Kiessling (Seite 17)Freitag 09.09.2015 20 Uhr

Dieter Kiessling,: Wurf, 2010

Fotografie, 64 x 223 cm

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„Die Elemente einer anderen Zeiterfahrung liegen verstreut in den Falten und Schatten der kulturellen Tradition des Westens. Es genügt, diese zu beleuchten, damit sie wie Bruchstücke einer Mitteilung aufleuchten, die zu verifizieren hier unsere Aufgabe ist. (…)

Es ist gewiß kein Zufall, daß das zeitgenössische Denken immer, wenn es versucht hat, die Zeit neu zu denken, notwendigerweise mit einer Kritik der kontinuierlichen und quantifizierten Zeit beginnen mußte. Auf einer solchen Kritik gründen (…) Benjamins geschichtsphilosophische Thesen „Über den Begriff der Geschichte.“ (…)

Bei Benjamin ist dieselbe jüdisch-messianische Intuition am Werk, die Kaf-ka dazu veranlaßt hatte zu schreiben, daß »das Jüngste Gericht [...] eigent-lich [...] ein Standrecht sei, und die Vorstellung einer sich in der unend-lichen und linearen Zeit entwickelnden Geschichte durch das paradoxe Bild einer statuarischen Geschichte zu ersetzen, in der das grundlegende Ereignis nie abgeschlossen und das Ziel nicht fern in der Zukunft, sondern immer schon gegenwärtig ist. (…)

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Rimma ArslanovAusstellung: 24.-25.08. / Werkgespräch: Freitag 21.08.2015 19 Uhr

Der Vorstellung (…) des Historismus, wonach der Fortschritt des Menschen in der Geschichte „von der Vorstellung ihres eine homogene und leere‘ Zeit durchlaufenden Fortgangs nicht abzulösen ist, setzt [Benjamin] das revolutionäre „Bewußtsein, das Kon-tinuum der Geschichte aufzusprengen“, entgegen. Gegen den leeren und quantifizierten Zeitpunkt setzt er die „jetzt-Zeit“ als messianischen Stillstand der Ereignisse, der »in einer ungeheueren Abbreviatur‘ die Geschichte der ganzen Menschheit zusammenfaßt (…)

Es gibt aber eine unmittelbare und für jedermann zugängliche Erfahrung, in der eine neue Zeitauffassung ihre Grundlage finden könnte. Diese Erfahrung ist etwas derart dem Menschen Wesentliches, daß sie in einem antiken Mythos des Westens die ur-sprüngliche Heimat des Menschen darstellt. Es handelt sich um den Genuß. (…)

Der wahre historische Materialist ist nicht derjenige, der in der unendlichen li-nearen Zeit den schwachen Schein eines kontinuierlichen Fortschritts sucht, sondern derjenige, der jederzeit imstande ist, die Zeit im Eingedenken daran stillzustellen, daß die ursprüngliche Heimat des Menschen der Genuß ist. Genau diese Zeit wird in au-thentischen Revolutionen erfahren, die, wie Benjamin bemerkt, stets als ein Stillstand der Zeit und als Unterbrechung der Chronologie erlebt werden.

Rimma Arslanov,

Bad Eye, Good Eye, 2015

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Aber eine Revolution, der nicht eine neue Chronologie,

sondern eine qualitative Veränderung der Zeit (eine Kairologie) ent-

springen würde, wäre die an Folgen schwerwiegendste und die einzige,

die von der Restauration nicht eingenommen werden könnte. Derjeni-

ge, der in der Epoche des Genusses der Geschichte als seiner ursprüng-

lichen Heimat eingedenkt, wird nämlich dieses Eingedenken in alles hi-

neintragen, wird in jedem Augenblick dieses Versprechen fordern: Er

ist der wahre Revolutionär und der wahre Hellseher, der nicht erst im

Millennium von der Zeit befreit ist, sondern jetzt. (Giorgio Agamben)

Heike Pallanca

Werkgespräch Montag, 21.09.2015 20 Uhr

Fotoinstallation für 6 Fenster, Berlin 2011

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DIE MONTAGSGESPRÄCHE

Die Gespräche sind öffentliche Veranstaltungen. Sie sind gerne zur Teilnahme eingeladen.Texte und Materialien finden Sie unter:www.onomato-verein.de/thema

Montag, 31.08. 2015, 19 UhrMontag, 14.09.2015, 19 UhrMontag, 28.09.2015, 19 UhrMontag, 12.10.2015, 19 UhrMontag, 26.10.2015, 19 UhrMontag, 09.11.2015, 19 UhrMontag, 23.11.2015, 19 UhrMontag, 07.12.2015, 19 UhrMontag, 21.12.2015, 19 Uhr

„Das Leben ist keine symmetrisch angeordne-te Reihe von Kutscherlampen; das Leben ist ein schimmernder Lichtkreis, eine halbdurchsichtige Hülle, die uns vom Beginn unseres Bewusstseins bis zu seinem Ende umgibt.“ (Virginia Woolf)

“Vom Spielfeld der Knaben scholl Gebrüll her-über. (…)- Die Wege des Schöpfers sind nicht unsere Wege, sagte Mr. Deasy. Alle Geschichte bewegt sich auf ein einziges großes Tor zu: die Offenba-rung Gottes.Stephens Daumen schnellte hoch und wies auf das Fenster: - Das ist Gott!Hurrah! Aaah! Jaaaaah!- Was? fragte Mr. Deasy.- Ein Gebrüll auf den Gassen, (…)“

(James Joyce, „Ulysses“)

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Veranstaltungen

GABRIELE HORNDASCHStereoskopie

Eröffnung, Fr. 17.07.2015 - 19:00 Uhr Werkgespräch, So. 26.07.2015 - 17:00 UhrEin mit Stoff umwickeltes Objekt hinter den spiegelnden Scheiben der Birkenstraße entpuppt sich für diejenigen, die bereit sind, genauer hinzusehen, als 2-Kanal-Videoins-tallaion, gebaut für das Onomato. Jeweils ein Video für je-des Auge. Die Erfahrung zeigt, dass die Synchronität des 3D nur bei ausgewählten Personen erreicht wird.

WerkgesprächKARIN HOCHSTATTERMi. 24.06.2015 - 20:00 UhrIm Gespräch mit Jens Stittgen“Eine ambivalente Beziehung zur Zeit wird spürbar: einer-seits immer neue Formen der Vergeblichkeit, etwas wirk-lich Dauerndes zu schaffen, andererseits der unentwegte Blick auf das Allerflüchtigste, fast Abstrakte, was noch am ehesten sich selber zu bleiben verspricht.” (Jens Stittgen)

WerkgesprächKATJA GÄRTNERFr. 26.06.2015 - 20:00 UhrTechniken die sich an einer klassischen Malerei orientie-ren erzeugen eine Raumwirkung. Nicht um ihrer selbst Willen werden unterschiedliche Wirkungsweisen des Materials untersucht, sondern um Grenzen der Malerei auszuloten und aufzuweisen. Rahmen und Ornamente in-szenieren die Farbe in ihrer Eigenwirkung und fokussieren einzelne Bildausschnitte. Wie eine zweite Folie legen sie sich über das Bild. / Gesprächsleitung: Beate Maisch

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NOMÁDES …Audio-visuelle Kompositionen aus der WeltLeitung und Klangregie:Claudia Robles-Angel(onomato-Stipendiatin 2014)

Fr. 31.07.2015 - 20:00 UhrAbsicht der internationalen Konzertreihe Nomádes ist, audiovisuelle Arbeiten, in denen Video und Musik den gleichen Grad von Bedeutung haben, auf der ganzen Welt zu verbreiten. Die Konzerte sind, gemäß dem Terminus „nomádes“, nicht an einen Ort oder ein Land gebunden, ,Die Nomades-Reise führte bisher durch: New York City Electroacoustic Music Festival, Festival de la Imagen Manizales, Centro Cultural Universidad de los Andes Bogotá, ON – Neue Musik (Alte Feuerwache Köln), Gheorghe Dima Music Academy in Cluj-Napoca, Matik-Matik Kolumbien, Goethe-Institut Alexandria.nomadesconcerts.blog.com

HEIKE FINKEisheimatDo. 30.07.2015 - 20:00 UhrIm vergangenen Jahr berichtete Heike Fink im onomato über die Arbeit an ihrem Film „Eisheimat“, der Film war jedoch noch nicht zur Aufführung freigegeben. Auf vielfachen Wunsch zeigen wir nun den Film zum Vortrag in ganzer Länge und in Farbe."Eisheimat" erzählt die Ge-schichte von 238 Frauen, die nach dem Zweiten Welt-krieg auf eine Annonce des isländischen Bauernver-bands auf die ihnen unbekannte Insel im Nordatlantik auswandern. Sechs von diesen Frauen (Aníta, Ursúla, Harriet, Anna, Uschi und Ilse) berichten im Rahmen dieser Dokumentation von ihren Schicksalsschlägen, ihren Erlebnissen und Entscheidungen und ziehen mit über 80 Jahren eine Lebens-Bilanz.

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Werkgespräch

MARKUS MUSSINGHOFFFr. 07.08.2015 - 20:00 Uhr„In Markus Mußinghoffs Kunst verschmelzen die Pole Werk und Arbeit auf erstaunliche wie einzigartige Weise miteinander. Arbeit bedeutet für ihn die permanente Aneignung der Welt mittels Kopf und Hand – Werk wiederum bedeutet die einer-seits punktuelle, andererseits auch raumgreifende Entäußerung des Angeeigneten eben auf diesem Wege: sei es als ideelles Konzept, als technisches Produkt oder als manuales Werk. Das Wurzeltiefe spiegelt sich dabei gerade auch in seinem Interes-se an Gelebtem (im eigenen Video) wie an Gewachsenem (in seinem Holzskulpturen) wieder.Die Verknüpfung dieser durchaus gegensätzlichen künstlerischen Handlungspunkte zeigt, dass sein Gesamtwerk der Performance näher steht und sie auf ganz neue und eigene Art und Weise interpretiert.“ (Adolf H. Kerkhoff)

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Di. 12.8.2015 - 20:00 Uhr

I. „ … im Kino gewesen.“ Franz Kafka machte immer ein sehr verwundertes Gesicht, wenn ich sagte, dass ich im Kino gewesen sei. Einmal reagierte ich auf den Wandel seines Gesichtsausdruckes mit der Frage: „Sie lieben das Kino nicht?“ Kafka antwortete nach kurzer Überlegung: „Eigentlich habe ich nie darüber nachgedacht. Es ist zwar ein großartiges Spielzeug. Ich vertrage es aber nicht, weil ich vielleicht zu ‚optisch‘ veranlagt bin. Ich bin ein Augenmensch. Das Kino stört aber das Schauen. Die Raschheit der Bewegungen und der schnelle Wechsel der Bilder zwingen den Menschen zu einem ständigen Überschauen. Der Blick bemächtigt sich nicht der Bilder, sondern diese bemächtigen sich des Blickes. Sie überschwemmen das Bewusstsein. Das Kino bedeutet eine Uniformierung des Auges, das bis jetzt unbekleidet war.“(aus G. Janouch: Gespräche mit Kafka)

ZWEI AKUSTISCHE PROJEKTIONEN

VON JOACHIM RÜSENBERG

II. Die Stadt(am fernen Horizonte…)Neue Strophen aus dem Container.

Eine Übermalung in Anlehnung an: DIE STADT von Heinrich Heine und Franz Schubert.

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Camille Corot, Festhalten des Augenblicks als neuer Gegenstand der Malerei, später: Rückzug des Malers aus seiner Gegenwart

Vortrag von Jens StittgenDi. 18.8.2015 - 20:00 Uhr

Camille Corot (1796 -1875), französischer Maler, wurde durch seine frühen Landschaftsbilder zum Vorläufer des Impressionismus und damit einer Malerei, die ausschließlich das jetzt und hier Gesehene als Motiv zulässt. Im reifen Werk zeigt er dagegen eine dieser Unmittelbarkeit entrück-te Welt stilisierter Natur.

ZUM JAHRESTHEMA

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RIMMA ARSLANOVAusstellung, 21.-25.08.2015

Eröffnung mit Werkgespräch Fr. 21.08.2015 - 20:00 UhrKunstpunkt 150, AtelierpräsenzFreitagabend der Off-Räume

Offenes Gastatelier im Rahmen der Kunstpunkte Sa. 14-20 Uhr und So. 12-18 Uhr

Born in Tajikistan (1978), I have been growing up absorbing a unique combination of oriental, Muslim and Soviet culture influences. Acting from an autobiographic perspec-tive, I refer my works as a means to examine relations between my past in the former USSR and current day to day experience. My practice, which is deeply affected by archi-tectural language, revolves around a continual exploration of friction points between common perceptions of ‘old’ and ‘new’. I often use craft made techniques integrated into contemporary modes of production, and cross between exacting ornamentation and abstract imagery. www.rimmaarslanov.com

Bad Eye, Good Eye, 2015

Untitled, detail, 2015

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„DU SOLLST DIR KEIN BILDNIS NOCH IRGENDEIN GLEICHNIS

MACHEN“

Eine archäologische Spekulation über die Ursprünge des Zweiten Gebotes

VORTRAG VON DR. DAVID ILANMi. 26.08.2015 - 20:00 Uhr

Warum wurden Götzenbilder von Gott in Exodus 20:4 verboten? Warum sind Bilder von Gottheiten praktisch aus dem archäologischen Befund der frühen Eisenzeit verschwunden? Der israelische Altertumswissenschafter Dr. David Ilan wird einige Bronzezeit-Figuren und de-ren ikonografische Attribute untersuchen und darauf aufbauend eine materialisti-sche Erklärung vorschlagen, warum diese Figuren nicht mehr hergestellt wurden. Seine Erklärung entspricht nicht derjeni-gen der traditionellen Bibelwissenschaft.

Vortrag in englisch mit deutschen Zwi-schentiteln und Bildlegenden.

Dr. David Ilan ist Direktor der Nelson Glueck School of Biblical Archaeology in Jerusalem.

Bad Eye, Good Eye, 2015

Untitled, detail, 2015

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Internationale Künstler im onomato Kuratiert von Enis Vardar

In Zusammenarbeit mit der Galerie Archiraar

CAROLINE LE MÉHAUTÉSYLVIO MARCHANDPIERRE REBUFY28.08. - 06.09.2015 Siehe Seite 66

Archiraar GalleryRue de la Tulipe, 31A

1050 Brussels

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Werkgespräch

DIETER KIESSLINGFr. 09.09.2015 - 20:00 Uhr

Dieter Kiessling, geb. 1957 in Münster, seit 2005 Professor für Medienkunst an der Kunsthochschule Mainz, pflegt ein besonderes Verhältnis zur Zeit. Sein künstlerisches Tun zeichnet sich durch besondere Ruhe und Akribie der Vorbereitung sowie durch wohldurchdachte, unbeeilte, unspektakuläre, Darbietung aus.„Arrested movement“ (Titel eines Einzelkatalogs 2010) kann wie ein Überbegriff für die Eigenheit vieler seiner Arbeiten im Bereich der Skulptur, Video- oder Fotoarbei-ten stehen. Exemplarisch zeigen Arbeiten wie der Mauerfilm/1982, Mädchen/2002; 60 Minuten, 360Grad/2008, Wurf/2010 Charakteristika seines Vorgehens.Es soll versucht werden, die Einholung der zeitlichen Dimension in Kiesslings Arbei-ten zu durchleuchten bzw. vorzustellen. www.dieter-kiessling.de

Wurf, 2010

Fotografie, 64 x 223 cm

APOSTEL, 2003

Bearbeitete Fotografie,

86 x 86 cm

zum jahresthema

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Werkgespräch

HEIKE PALLANCAMo. 21.09.2015 - 20:00 UhrHeike Pallancas Auseinandersetzung mit Na-turgeschichte und existentiellen Phänomen wie Vulkanausbrüchen oder Erdbeben findet in ihrer plastischen Arbeit eine Umsetzung mit unterschiedlichsten Materialien und Me-dien. Sie benutzt Steinzeugmosaik und Be-tonplatten, Fundstücke aus der Natur wie Gesteine, Mineralien und Fossilien, aber sie integriert auch Fotografien und Leuchtkäs-ten oder Texte in ihre meist raumgreifenden Installationen. Immer ist der Faktor Zeit ein wesentliches Element ihrer Arbeit, der Bruch-teil eines Augenblicks erscheint eingefroren in ein plastisches Bild. Ihr Interesse gilt dabei den übergeordneten Themen, die fern unserer momentanen, flüchtigen Realität ihre Gültig-keit bewahren.

Heike Pallanca studierte an der Kunstakade-mie Düsseldorf Bildhauerei und Integration Bildende Kunst/Architektur und ist Meister-schülerin von Prof. Irmin Kamp. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Preise und hatte Lehraufträge und Gastprofessuren für Bild-hauerei, u.a. an der Kunstakademie Münster und der Universität Siegen.

Installation aus Steinzeugmosaik, Düsseldorf 2006

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Werkgespräch

USCHI STRÖBELEDi. 29.09.2015 - 20:00 Uhr

Ursula Ströbele (geb. 1961) liest und spricht mit Jens Stittgen.

1965 – 1975. Texte zum Bodensee Krach und Sturm Der See bei Sturm ist unendlich viel grö-ßer und überall gibt´s Möglichkeiten, da reinzukommen - in eine andere Welt, in eine andere Daseinsform. Bei stillem Wasser kann man nur in die Tiefe denken. Bei Sturm kann man in jede Richtung denken. Das ist wie in einem Ge-mälde, wo´s wild zugeht. Da ist auf einmal alles offen. Da braucht man nicht hochzugucken, da braucht man nicht runterzugucken, da kannst du egal wo hingucken, es ist alles offen. Aber wenn der Sturm dann wieder vorbei ist, dann muß man auch zusammen mit dem Wasser zurückgehen. Die Menschen müssen mit dem Wasser zurückgehen. Denn das, was man während des Sturms gemacht hat, ist nicht verständlich, wenn der Sturm vorbei ist.

Was gute Kunst ausmacht. Qualiätskriteri-en der zeitgenössischen Kunst

Vortrag vonMartin Leyer-PritzkowFr. 25.09.2015 - 19:00 UhrMartin Leyer-Pritzkow ist freier Kurator und Koautor des Kunstkaufbuchs - das erste Buch über die Qualitätskriterien der zeitgenössischen Kunst. In seinem Vortrag analysiert er, was gute Kunst ausmacht. Die Qualität und der Preis eines Kunstwerks werden in den Zeiten des Kunstbooms schnell durcheinandergebracht. Und damit werden die Schwächen und Stärken des Kunstmarkts erkennbar. Eine Aufforderung an alle, über Entwicklungen , Tendenzen und Konsequenzen zu reflektieren und zu diskutieren. www.mlpart.com

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BUKAWU - CHIFFRE DER UTOPIE

Das einzige was Kunst kann, istSehnsucht zu wecken nach einemanderen Zustand der Welt.Diese Sehnsucht ist revolutionär

Jean Genet

BUKAWU, Text und Fotoserie in 50 Bildern, 1986 / 2015 Karl Hans Müller

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BUKAWU - CHIFFRE DER UTOPIE

„in paradiesischer Freundschaft mit diesem Tier leben“- nein, es wäre nicht möglich gewesen und sehr schnell an seine Grenzen gekommen, in diesem Fall, im Gehege der Gorillas - ich bin nicht Timothy Tread-well, der dann doch noch von einem seiner geliebten Grizzlys gefressen wurde. „Bukawu“ ist eine Metapher, diesen Zustand zu sehen, haben zu wollen, da drin zu sein, weil er schön ist, weil er ein Tor öffnet für eben diese Sehnsucht nach einem anderen Zustand der Welt, nicht nach einer anderen Welt, sondern nach einem Zustand dieser Welt, in der die An-mutungen, die ich mehr noch beim Betrachten der Fotografien später als in den flüchtigen Momenten vor dem Käfig der Gorillas hatte, reale und nicht bloß metaphorische Macht haben: Melancholie und Kindhaftigkeit, Charme der Posen, Eigensinn in purer Präsenz; all diese, ich möchte sie personale Qualitäten nennen, ge-langen eigentlich erst unter der Bedingung der Gefangenschaft in den Be-reich des anhaltend Sichtbaren, sie erscheinen als autonome Figuren, weil das Tier buchstäblich nichts anderes zu tun hat als da zu sein, als sichtbar zu sein - die Gefangenschaft als Voraussetzung für die Inszenierung von Posen - diese personalen Qualitäten sind dem Tier selbst ebenso verschlos-sen wie mir die Tore des Paradieses, behaupte ich mal, denn ich weiß ja nicht, was dem Tier verschlossen ist und was nicht, ebenso wie ich nicht weiß, wie sich das Paradies anfühlt da es ja ›dort‹ keine Unterscheidungen (mehr) geben soll. Ich habe nur gewisse Zeichen mir diesen Zustand zu deuten, vorzustellen , daß es ›sehr schön‹ sein soll, das Paradies, das sich aber mitsamt seinen Zeichen sofort verflüchtigt, oder in den verschiedens-ten Phantasmagorien vermenschlicht, wenn wir versuchen, es unseren Wunsch- und Denkmustern zu unterwerfen, den Verhaltenscodices, die auf Aneignung, Verfügbarkeit und Kontrolle getrimmt sind. So wurde dann auch das Liebeserlebnis eines Hirtenjungen im chi-lenischen Hochland auf brutale Weise reguliert, nachdem er in einer Art

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Gerichtsverhandlung vor die Lama-Herde geführt und in einer bezau-bernden Geste von dem von ihm gefickten Alpakaweibchen als Liebe-striebtäter angezeigt wurde: es löste sich aus der Herde und stellte sich vor dem Jungen auf. Das galt der Versammlung als Beweis, er war der Sodomie überführt und mit Entmannung bestraft, die daraufhin vollzo-gen wurde. Wir wissen auch hier nicht, was sowohl in dem Lama als auch in dem Jungen vor sich ging - vielleicht hatte das Alpakaweibchen etwas ganz anderes im Sinn, vielleicht hatten ja beide, um ein Weniges versetzt, den gleichen Traum – So ereignen sich die wirklichen Dinge wie in einer anderen Zeit: das Gleichnis ist die Wirklichkeit der Kunst, das macht ihre andauernde Wir-kungslosigkeit in der Realität aus, aber auch ihre Wirkungsmacht als eines Versprechens, das seiner Einlösung harrt: es ist da, es steht in der Klarheit des Moments, es umgibt uns von allen Seiten, und durchaus nicht als Gleichnis – der Begriff bezeichnet genau diese Grenze, den Punkt der Ver-wandlung. Es gibt also die Möglichkeit, dass Im-Geichnis-sein zu denken und im Modus des Gleichnisses zu sein – es wäre aber ein fataler Irrtum, diesen Zustand für die Realität wie die, die wir kennen und praktizieren, zu halten – wir könnten nicht darin leben ohne „Gefahr des Untergang des Leibes“, ohne dieses Andere zu zerstören, dass Versprechen, von dem die Kanditaten, die den Tod lieben, glauben, dass es ihnen im Paradies zusteht – es ist schon zerstört, bevor sie . . .

AppendixDiese eigenartige Fähigkeit der Natur, physische und mentale, ja spiritu-elle Sensationen hervor zu bringen, in ihren Millionen Jahren Evolution, die von uns umstandslos okkupiert und so behandelt werden, als wären wir die geborenen Besitzer ihrer Werke. Was uns aber aus den Bildern Bukawu anschaut, sind wir, wie wir waren als dieses eine in zehntausend Wesen, bevor wir die Bühne des Lebens betraten, unsere Präexistenz auf Erden sozusagen –

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Karl Hans Müller Notiz

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Jens Stittgen Lyrik / Malerei

der künstlerwarum schreibt er das kleiner ist kein solcher wie ein andererschon gewesen ist wer sagte dastun ist ihm lassen das klingt doch wie echtbezahlt werden sollte derkünstler nicht von ihm selbstbezahlt machen sollte sichalles von selbst was er macht nicht fürgeld das braucht schon ein andererer ist nicht oben er istvom rand aus gesehen eherseitlich davon und trägt nägelfünf an jedem finger einensie wachsen ihm ohne sein zutun haare stecken in seiner hautmal mehr mal wenigerje nachdem wosolche künstler gibt es hier wie sand am meerund wenn man ganz leise isthört man sie singender wind der an solchen tagen heftiger gehtträgt das fort in gebrauchten plastiktütendiese sind schon rissig unddrinnen glänzt es„nach gold“ ergänzt der ungeduldige kritiker

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der wohlwollende journalistder interessierte betrachterkann nichts erkennensein hinterkopf gleicht dem des künstlers sagt das kind das hinter ihm im bus sitzt ich habe dich fürdich gehaltendas erzeugt verwunderungder künstler ist zufrieden mit dieser antwort ohne die es die unzufriedenheit mit dieser antwortbeim künstler nicht gäbeer ist nicht überrascht über die bäume andieser stellesie überragen ihn er schaut hinauf in ihrwinterliches geästnicht nur der künstler geht in diesem dezember abend lichtstrenggenommenist es gar kein wasser was mannicht sieht das könnte auchhier stattfinden denn er weiß schonworauf es hinauslaufen sollder künstler ist unzufrieden mitdieser antwortder stein den die neben ihm gehende aufhob wiegt schwer in seiner handund ist kalt

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was denkt jetzt der der das liestnur der künstler?im geländewagen sitzt die konkurrenz sowill er es meinenabends wenn es ihn nicht einschlafen lässtdas wovon er nichts weiß hat er aufgehört mit dem versuch sich etwas einzubilden ererschrickt wenn nach durchwachter nacht am frühen morgenzuviel wirklichkeit an sein bewußtsein dringtdiese sirenenhafte frische des kindheitserlebensdas lächeln der gorgo mit dem ersten frühwind durchsoffene fenster der künstler hat zuvielflausen im kopf er ist nicht herr seiner phantasiedas liebt sein publikum so an ihmfährt dann aber lieber in urlaubder künstlerbezeichnet sich selber nicht soer betrachtet das gras unter seinen füßendort unten gehen diese darüber schrittfür schritt in der tiefeder fortschreitenden nachtdraußen das elektrische lichthinter den augenist nichtsvon dem vergessen

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dieses gedicht soll es schwer habenes beginnt auf der falschen seite

nimm es in die andere hand wo es schwerer

wiegtjedes einzelne wort

zählt jetztsieh dich um

wer gleicht dir nundie anderen tragen

ihren namen zurecht und

so leicht!

du bist der einzige der

sich über die last in seiner hand so wundert

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müßiggehenText: Anne Schülke

Fotos: Detlef Klepsch

Es gibt die schönsten Klischees von einem vergeudeten Tag: Auf der Rennbahn, im Kasino, wetten, spielen, pokern, in Clubs, tanzen, trinken, rauschen, heute, jetzt, shoppen, Schaufenster entlang laufen, begehren, zugreifen, schöner werden, aufblühen, flanieren, flirten, essen, sich bedienen lassen, jetzt, Wellness, Sauna, Massagen aus Thailand, heute, Bordell, Abenteuerleben und Räuberei, also Geschäftsfrau sein, eine, die alles riskiert, die erregt ist, wenn Tausende freigestellt werden, beim ersten Mal, beim zweiten Mal pocht das Herz in der Brust, geil, geil, geil, auf einem Schiff anheuern, Fremdenlegionärin, Kriegsberichterstatterin, im schmuddeligen Hotel an die Decke starren, den Blick in einem Ventilator kreisen lassen bis ein Smartphoneklingelton mich aus den Tagträumen weckt, die zurückführen in den nahezu bewegungslosen Zustand, den mein bewusstes Erleben bedeutet, meine Dauer.

Flore legt den Stift bei Seite. Ihr Leben als Müßiggängerin soll frei sein von Klischees. Abgearbeitet hat sie schon: das lange Schlafen, das ausgiebige Frühstücken, das Wein Trinken, das Gedichte Lesen, das Angeln, das sehr langsame Gehen oder Wandeln. Zu erforschen sind da noch: das fortwährende Reisen, das Übernachten in wechselnden Hotels, das Pfeife Rauchen und das lang andauernde aus dem Fenster Schauen. Eine ihrer Reisen führt sie nach Berlin, zu einem Schriftsteller an die 70. Er hat ein Erlebnis am Ende seiner Jugend zum Anlass genommen für einen Roman, in dem er vom Aufstieg und Fall eines Traumorts schreibt. Dieser andere Ort soll die Verbindung von Kunst, Technik und lebendigem Alltag sein. Eine Bar mit Bäumen, Wiesen und Wasserläufen. Die psychedelische Revolution, die soziodelische Revolution für das tanzende Volk. Die Muße-Gesellschaft. Basierend auf dem Willen nach grundsätzlicher Veränderung, dem Willen frei zu sein, nichts zu wollen, in ekstatischer Bedürfnislosigkeit ziellos dahinzutreiben. Flore sitzt im Zug und notiert:

Da werden Tagediebe und Kälber sein. Da wird flaniert und fabuliert. Da wird anderen auf der Tasche gelegen und Zeit totgeschlagen. Da wird kindisch daher geredet und in die Sonne hinein gegähnt. Da werden Introvertiertheit und Trägheit gepflegt. Da wird maßlos hergeschenkt und sich verschwendet.

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Der Mann, den sie dann vor sich sieht, sitzt an einem aufgeräumten Schreibtisch und schaut ein wenig müde und abgeschlagen aus. Aber, das freut sie sehr, er spricht über Kulturgeschichte und raucht Pfeife, hier kann sie etwas lernen:

Der Müßiggänger ist eine Denkfigur. Und es kommt darauf an, wie man diese Denkfigur kippt. Es ist eine Figur aus ganz gesicherten Verhältnissen. Im Feudalismus, Monarchismus, 17., 18. Jahrhundert da gab es wahrscheinlich Leute, die man Müßiggänger nennen könnte. Aber die flanierten eigentlich schon wieder. Ein Müßiggänger ist einer, der nicht arbeiten muss, der vom Zwang aller anderen freigesetzt ist. Der genug Kohle hat. Heute wäre es der Shareholder, einer der so ein Päckchen unter dem Arm hält. Na, und da hat man’s gleich: Es ist eigentlich eine negative Figur. Wenn wir es aber in die künstlerische Ebene heben, in die uns sympathische Richtung, also in Richtung Bohème, Flaneur, Dandy, dann sind diese Leute aber doch keine richtigen Müßiggänger gewesen. Sie sind uns ja doch nur bekannt, weil sie etwas gemacht haben. Der reine Müßiggänger, der würde ja nichts mehr machen. Der ergeht sich in Muße. Er hat auch keine Schärfe, er braucht sie nicht. Der Mensch ist aber kein Müßiggänger. Das ist eben der Punkt. Er hat schöpferische Interessen. Ein Leben im Müßiggang über Jahrzehnte zu führen erscheint mir unmöglich. Ich kenne Leute, so nachgemachte Dandys hier in Berlin, die seit zwanzig Jahren nichts tun. Lehrer und Studienräte, die mit 40 frühpensioniert werden, die dann so ein Müßiggängerleben anfangen. Das endet dann irgendwann im Desaster. Denn irgendwann ist das Programm nicht mehr zu halten. Der Tag wird zu lang, und wenn das jahrelang, jahrzehntelang so geht, dann füllt man das mit irgendwelchen seltsamen Sachen.

Hier wird es interessant. Cailloux klopft seine Pfeife aus, stopft sie mit frischem Tabak.

Der Müßiggang ist eine Strategie des Sich Entziehens. Wie weit das nun bewusst durchdrungen ist oder die Figuren das aktiv umgesetzt haben, das ist was anderes. Von einem Punkt der Gesellschaft aus gesehen, wenn man noch glaubt an Entwicklung von Gesellschaften oder Menschen, ist der Müßiggang eine der Techniken des Sich

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Entziehens, die immer da war. Gammler, Hippies, das sind alles Versuche, sich von den Ansprüchen, die die Gesellschaft an den Einzelnen stellt, abzusondern. In den bürgerlichen Zeiten hat der Müßiggänger das vielleicht geschenkt bekommen, da musste er nicht dafür kämpfen, aber die nachfolgenden mussten schon was dafür geben. Denken wir das mal bis hin zu der jetzigen Coolness-Szene. Das sind doch auch Entziehungsstrategien. Die wollen auch im Grunde mit Nichts was zu tun haben. Mit nichts was problematisch, was Gesellschaft, was Politik ist. Sie wollen nicht denken. Sie wollen cool sein.

Flore hört noch eine Weile zu und ändert munter die Richtung ihres Denkens, kippelt dabei mit ihrem Stuhl und der Figur des Müßiggängers hin und her. Cailloux hält ihren Blick auf ihn für einen bildungsbürgerlichen. Ein Wunsch stecke dahinter, der mit der Realität, auch der historischen, nicht viel zu tun habe. Mit ihrem Sprechen über Verschwendung kann er nicht viel anfangen. Auch utopische Städte, andere Orte, an denen Müßiggänger zweckfrei umherschweiften, kennt oder mag er nicht, auch die Situationisten und die Gabe nicht, mag Muße nicht, das Gehen und Flanieren mag man heute sowie so nicht, sagt er, weil schon Walter Benjamin es entlarvt habe, als was, das hat Flore vergessen, auf jeden Fall sei es draußen auch unansehnlich, hässlich, die Realität der Städte nicht aushaltbar: Der Müßiggang kommt hier einfach nicht gut weg.

Da ist eine Stadt, sich leerend und verarmend.Dort gibt es allerhand erledigte Leute.Dort ist wenig oder gar keine Freude.Wenig Wärme und gar keine Herzlichkeit.Da sind lichte Agenturen und helle Ämter,Firmen mit steilen und flachen Hierarchien,freistehende Bürogebäude und volle Flächenfür Aufführungen, Darstellungen, Vorstellungen.Dort sind Menschen, deren Beruf es ist,

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sich auszudrücken und andere auszudrücken,die ausdrücken, was die anderen sagen.Das sind einige der allerhand Erledigten.Da und dort sind die Schwebenden,ohne festes Ziel lassen sie sich treiben,gewinnen ihre letzten Helligkeitenaus kleinen Beobachtungen.Irgendwo, fern ab,nimmt jemand wahr,die Vergangenheit in der Gegenwart,die verschiedenen Schichten der Erinnerung.

Flore klappt ihre Kladde zu. Cailloux hat gesagt, Müßiggänger entwickelten auf Dauer verstiegene Ideen. Genau hier, glaubt Flore, in diesen Nischen des Bewusstseins kann etwas entstehen. Eine Erfahrung, eine Vision oder: Poesie. Sie liegt auf dem Bett eines Hotelzimmers, raucht Pfeife und schaut aus dem Fenster. Gerade fällt ihr wieder ein, was Benjamin gegen den Flaneur einzuwenden hatte:

Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschierte. Das Gehen gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt; immer geringer werden die Verführungen der Läden, der Bistros, der lächelnden Frauen, immer unwiderstehlicher der Magnetismus der nächsten Straßenecke, einer fernen Masse Laubes, eines Straßennamens.

Dagegen wurde die Arbeits- und Werkmoral erfunden. Dann kommt der Hunger. Er will nichts von den hundert Möglichkeiten, ihn zu

stillen, wissen. Wie ein asketisches Tier streicht er durch unbekannte Viertel, bis er in tiefster Erschöpfung auf seinem Zimmer, das ihn befremdet, kalt zu sich einlässt, zusammensinkt.

In der Kontemplation, die sich jetzt anschließt, gefriert die Zeit und sie fließt ab in den Müßiggang.

Dagegen wurde die Arbeits- und Werkmoral erfunden. Der Müßiggang kann als eine Vorform der Zerstreuung oder des Amusements

betrachtet werden. Er beruht auf der Bereitwilligkeit, eine beliebige Abfolge von Sensationen allein auszukosten, zu erleben. Benjamin dechiffriert den Flaneur oder die Flanerie als einen Rausch, der durch die Struktur des Warenmarktes erzeugt wird. Auch der Müßiggang hat

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diesen Makel. Im Mittelalter war Faulheit heroisch, in der bürgerlichen Welt hat sie aufgehört, heroisch zu sein. Die Arbeiter sagten, der Müßiggänger sei feudal und parasitär.

Flore schaut noch immer aus dem Fenster, als der Idler, man könnte sagen, wie ein Blitzstrahl vor sie hinfährt. Er bringt ein Internet-Magazin heraus, schreibt Bücher und Kolumnen, mit seiner Frau Victoria Hull betreibt er in London die Idler Academy, einen Laden, in dem sie Bücher und Kurse verkaufen. Bis vor kurzem haben sie auf einem Bauernhof in Devon gelebt, mit Kindern und Nachbarn, Feste gefeiert, den Garten gepflegt. Flore will ihn fragen, ob es wohl eine Gesellschaft geben kann, in der auch andere ein wenig so leben, in der viele Menschen müßiggehen, in der Arbeit nicht die vorherrschende moralische Maxime ist. Sie fährt wieder nach Berlin und trifft Tom Hodgkinson an den Ufern der Spree.

Du willst nicht wirklich nichts machen. Wir machen immer irgendwas: Selbst wenn du schläfst arbeitet dein Gehirn und dein Blut tröpfelt durch deinen Körper. Die einzige Möglichkeit vollständig müßig zu sein, wäre die, tot zu sein. Die Worte, über die du sprichst, sind ‚freiwillig’ und ‚kreativ’. Ich arbeite ziemlich hart und bin ziemlich produktiv in meinen Projekten. Aber ich habe es gewählt. Das hier jetzt ist auch eine Art Arbeit. Aber ich habe erkannt, dass ich diesen Weg gewählt habe und darum fühlt es sich nicht wie Arbeit an. Wo ist die Trennungslinie zwischen Spiel und Arbeit? Wir könnten hier jetzt auch einfach nur spielen. Es ist nur eine mentale Sache dir zu sagen: Das ist Spiel oder das ist Arbeit. Es ist bequemer einen Fulltimejob zu haben. Müßiggänger sind Freiberufler. Wenn du ein Müßiggänger bist, bist du selbstverwaltet, du regelst deine eigene Zeit. Wenn du einen 9to5-Job hast, ist es viel leichter in einen Zombie-Zustand zu geraten: Du stehst auf, kommst rein, sitzt da, schaust auf die Uhr, um 5, 6 rennst du weg, zum Fernseher oder in die Kneipe. Es ist leichter als auf dich selbst zu achten.

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Flore will wissen, ob es eine Gesellschaft geben kann, in der viele Menschen so leben.

Betrachte es historisch: Je weiter du zurückgehst, desto weniger wichtig war die Arbeit. Historiker haben mir erzählt, dass sich der Mensch im Mittelalter nicht einzig als Arbeiter verstand. Ganz gleich ob du ein Bauer, ein Ritter oder ein Geistlicher warst: Du hattest eine Vorstellung von deiner Rolle hier in der Welt. Die bürgerliche Idee der Arbeit kam viel später. Im Mittelalter galt es als falsch, hart zu arbeiten. Es war unfair und es zeigte dein Misstrauen gegenüber der Vorsehung. Die Menschen im Mittelalter waren sehr fatalistisch. So was findest du heute noch in Mexiko. Es ist ein katholisches Land. Dort gibt es eine vollkommen andere Haltung. Die Menschen dort arbeiten, aber sie sind viel entspannter. Sie haben nicht den Stress Nordeuropas: Deutschland, England, Frankreich. Und in Papua-Neuguinea arbeiten sie auch nicht im geringsten so wie wir hier. Sie mögen andere Probleme haben, aber sie leiden nicht unter Stress. Also, ja: Ich glaube, dass es möglich ist eine Gesellschaft zu haben, in der Arbeit nicht das herrschende ethische Prinzip ist. Harte Arbeit als eine moralische Pflicht.

Flore findet es schwierig, Müßiggang immer nur in Abgrenzung zur Arbeit zu beschreiben.

Klar, wenn du weiterhin die Arbeit angreifst, wirst du dich an jeder Form der Arbeit stoßen. Du wirst dich über Arbeit ärgern. Aber wir erschaffen Arbeit – als etwas Schönes, das wir gewählt haben. Ich mag besonders die mittelalterliche Organisation der Arbeit in Gilden. Hier war Arbeit in kleinen Gruppen selbstverwaltet. Die Regeln rund um die Arbeit wurden von den Arbeitern bestimmt. Die Arbeiter und die Chefs waren die gleichen Leute. Das ist eines der Probleme mit der Arbeit: Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Der Herr und der Knecht und wie wir da rauskommen. Es wäre gut beides zu verschmelzen in selbstverwalteten, selbstbestimmten, autonomen kleinen Gruppen, die zusammenarbeiten.

Das klingt sehr schön. Flore glaubt, dass es sicher nicht einfach wird, das für eine große Menge von Menschen umzusetzen.Natürlich! Regierungen lieben Arbeit. Sie glauben, dass Arbeit wirklich wichtig ist und sie möchten, dass alle sehr hart arbeiten. Also: Vergiss die Regierung! Wenn Menschen allein gelassen werden, machen sie Dinge selber, für sich selber. Das ist alles, was du tun musst!

Tom steht auf. Da war ein Typ vorhin, der hatte ein Baby bei sich. Er kam die Treppe herunter mit einem Baby-Björn, ging in ein Café und der andere Mann hinter der Theke

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sagte: ‚Oh, wann wurde es geboren? Wie läuft’s denn so?’ Sie sprachen wie zwei Frauen. Das ist wirklich schön! Weil sie nicht den ganzen Tag so hart arbeiten müssen!

Flore verabschiedet sich von Tom. Sie denkt an den Mann mit Baby-Björn, der nicht hart arbeitet und nicht in den Krieg zieht.

Dann sitzt sie wieder im Zug, schaut aus dem Fenster und wirft einen unscharf gezeichneten Blick in ihre Innwelt. Dort sieht sie eine Frau, die es sich angewöhnt hat, die Dinge nicht länger zu beschreiben. Sie schaut unter oder neben die Dinge. Sie beträumt sie. So sieht sie auch das, was sich seiner Umgebung nahezu angepasst hat.

Aber ich tue es nicht für die arbeitende Klasse. Ich tue es, damit ich selber eine kleine Aristokratin sein und mit den Hufen scharren kann, wie ein fröhlicher entlaufener Esel.

Begleiter:Bernd Cailloux: „Das Geschäftsjahr 1968/69“, 2005Walter Benjamin: „Das Passagen-Werk“,1892-1940Tom Hodgkinson: „Anleitung zum Müßiggang“, 2004 und idler.co.uk

Auszug aus dem Projekt „Randerscheinungen“ von Detlef Klepsch und Anne Schülke.

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Unsere Geschichte perpetuiert und rechtfertigt sich über Akkumulation. Der Begriff des “Fortschritts” gibt Zeugnis davon. “Zeit” wird hier verstanden als ein Kontinuum, in das unendlich viel Wollen eingefügt werden kann. Das Kunst-werk “Kontinuität” von Max Bill, eine aus Marmor gehauene unendliche Schleife, die sich die Deutsche Bank in Frank-furt/M. vor ihr Tore platziert hat, gibt Zeugnis solchen Zeit- und Geschichtsverständnisses.Jenseits dessen jedoch gab und gibt es Versuche, das Diskontinuierliche herauszufordern, durch Stillstellung der Bewegung etwa (Walter Benjamin), im Zögern, verkleinern, maskieren oder auch durch Prozesse des Löschens.Das Symposium widmet sich eben diesem Begriff. Löschen als Form soll unter literarischen, philosophischen, religiö-sen und künstlerischen Gesichtspunkten befragt und zur Diskussion gestellt werden. Dabei wählt das Symposium 3 verschiedene Darstellungsformen: Vortrag, Konzert und Ausstellung.

http://www.symposium-loeschen.de

löschenDas Symposium wird kura-tiert von Christoph Korn und Katharina Mayer.Das vollständige Programm und weitere Informationen:www.symposium-loe-schen.de

Symposium und Ausstellung über das Weniger Werden01. - 11. November 2015

Veranstaltungen symposion: löschen

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„Michel de Certeau - oder: die theologischen Implikationen der Praxis digitalen Löschens“

Vortrag von Dr. Marco Sorace

Do. 01.10.2015 - 19:00 UhrIm Informationszeitalter machen wir die Erfah-rung, dass digitale Daten unseres Handelns, die wir gerne löschen würden, oft eine unkontrol-lierbare Permanenz haben. Wenn man dieses zunächst nur technische und profane Phäno-

men in den Kontext der jüdisch-christlichen Kultur überträgt, rührt es an fundamentale theologische Fragen: Ist jede unserer Handlungen im „Buch des Lebens“ verzeichnet oder kann daraus unter gewissen Umständen etwas „gelöscht“ werden? Mit kaum zu übertreffenden Scharfsinn hat sich bereits der französische So-ziologe, Psychoanalytiker und Theologe Michel de Certeau (1925-1986) auch solcher Zusammen-hänge angenommen. Von seinen Analysen soll im Vortrag die Rede sein.

20:30 UHR HÖR-KONZERTChristoph Korn: SIMEON (2013)

Ein Sinuston wird über einen mitten im Raum platzierten und am Boden liegenden einzelnen Chassis Speaker widergegeben. Der Sinuston in sei-ner raumgreifenden Materialität er-füllt den Raum mit Klang. Über einen Zeitraum von 20 Minuten jedoch löscht sich der Sinuston sukzessive. Auf diese Weise leert sich der Raum Stück für Stück und gerät in ein gan-zes Schweigen. Dauer: 20 Minuten

ERÖFFNUNG UND EINFÜHRUNG

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KONZERT UND VORTRAG VON ANTOINE BEUGER“nichts als der ort wird am ort geschehen sein“

Fr. 02.10.2015 - 19:00 Uhr

Vortrag von Antoine BeugerAnschließend Konzert: Antoine Beuger: keine fernen mehr (2010) leises Pfeifen, das blaue glühen, der ritter-sporn - nur asche, im ersten dämmern

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Vortrag und KonzertSa. 03.10.2015 - 19:00 Uhr

Vortrag

UBBO KÜGLER Palimpsest

Am Anfang steht die Löschung der Infor-mation auf einem Blatt durch Abschaben oder Übermalen. Die Oberfläche wird wieder verwendet. Unter der neuen In-formation taucht der gelöschte Inhalt als Schatten oder Erinnerung wieder auf. Das Palimpsestieren kann auch als Metapher für geistige und kreative Prozesse verwen-det werden.

Konzert

MIKI YUI: MAMAGOTOMiki Yui: audio recorder, audio player, spe-aker, diverse materials variable dimensions Miki Yui often takes interestMiki Yui often takes interest in small sounds bordering the limits of our perception, and produce simple almost minimalistic set-up’s, which heighten the spectator’s at-tention to environmental and produced sound. Investigating sound as a mediation between the experienced physical space and spaces of memory and imagination, her work deals with appearance, disappearance and existence. Miki Yui lives and works in Dusseldorf, Germany.Her work „mamagoto“ refers to a game that children play from time immemorial across the world (in this case, obviously, it refers to Japanese children) that consists in imitating adults‘ culinary practices: as a matter of fact, the word ‚mama‘ (which belongs to baby talk and is borrowed from the ancient spoken language) means ‚food‘, especially rice, while ‚goto‘ (or ‚koto‘) means ‚thing‘, or ‚object‘.Dauer: ca. 20 Minuten

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Löschen/Streichen?Über das Entfernen in der Literatur

VORTRAG VON CLAAS MORGENROTHMi. 07.10.2015 - 19 Uhr

Zu den seltsamen Freuden der Editionsphi-lologie gehört, all die Spuren und Zeugnisse, die im Zuge des Schreibprozesses zurück-bleiben, wieder sichtbar zu machen um auf diese Weise dem Ereignis des Schreibens zum Leben zu verhelfen. Sie stößt dabei auf den erstaunlichen Umstand, dass dem Schreiben immer auch das Nicht-Schreiben, Tilgen, Löschen und Entfernen innewohnt. Und so hat der französische Literaturwis-senschaftler Jean Bellemin-Noël darauf hin-gewiesen, dass nach frz. litté-rature (rature, ‚Streichung‘) der Begriff der Literatur nicht ohne das Streichen gedacht werden kann. Er kann sich hier auf eine lange Vorgeschichte berufen, die bis zum Stilbegriff der Rhetorik zurückreicht. Dort übernimmt das Strei-chen eine bedeutende Funktion im Ornatus, der der detractio (Wegnahme/Unterdrü-ckung) und der immutatio (Auswechslung/Vertauschung) einen bedeutenden Anteil an der stilistischen Arbeit zurechnet. Wie aber lässt sich die produktive Negativität des Löschens wieder zum Vorschein bringen?Und wie stellt sich die Rekonstruktion des Entfernten und des Ent-fernens im Rückspiegel der Geschichte und ihrer Textzeugnisse dar? Schließlich zählt es zu den Eigenarten des Löschens, nicht mehr gesehen und gehört werden zu wollen. Wie das gelingt und misslingt, zeigt die Li-teratur – an diesem Abend an ausgewählten Manuskripten von Heinrich Heine, Georg Trakl und Rainer Maria Rilke.

Streichungen bei Heinrich Heine, Arbeitsmanuskript zu

Artikel LVIII der Lutezia, 1843/1854, DHA 14/1, S. 64 f.

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AUSSTELLUNG ZUM THEMA LÖSCHENVom 04.-11.10.2015

Ausstellungs-Eröffnung / Einführung: Katharina MayerSo. 04.10.2015 - 19:00 UhrÖffnungszeiten: Sa. und So. 14-17 Uhr und nach Vereinbarung ([email protected])

FINISSAGE DER AUSSTELLUNGSo. 11.10.2015 - 19:00 Uhr

Eine Stimme zarten SchweigensTheologie ohne TheosFINISSAGE UND VORTRAG VON AXEL GRUBESo. 11.10.2015 - 17 UhrEine Methodik des „Löschens“ mag nicht zum Nichts führen. Vielleicht umso mehr wenn - wie etwa in der Arbeit von Christoph Korn - der Vorgang (wie ich meine) auf eine besondere Hörsamkeit, ein Horchen, den „Genuss“: Die Heimat eines Horchens hindeutet. Die Möglichkeit des Vernehmens einer schweigenden Stimme?

In meinem Vortrag möchte ich – besonders auch in analogischen Ver-weisen bei Kafka und Hölderlin – die verborgene wie lebendige Spur einer „Theologie ohne Theos“ aufzeichnen, die, so sehr Sie Ihren Weg über das Unerkennbare nimmt, ganz auf das praktische Leben gerichtet ist.

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Wulf AschenbornArmin HartensteinSusanne HartmannThomas KellerChristoph KornJulia KröpelinUbbo KüglerKatharina Mayer

Emmanuel MirStephan PabstMads Dahl PedersenGerhard RichterAnne WissmannGabriele FecherNorbert KrausFrank Schablewski

Thomas BrandtInrid BacherKlaas MorgenrothEva DaxlHelmuth SchweizerMiki YuiHanna Koch

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Katharina Mayer Installation Mutter 2014

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Auf der Suche nach dem existentiellen Bild

“...wie wenig wir festhalten können, was alles und wie viel ständig in Vergessenheit gerät, mit jedem ausgelöschten Leben, wie sich die Welt sozusagen von selbst ausleert, indem die Geschichten, die an den ungezählten Orten und Gegenständen haften, welche selbst keine Fähigkeit zur Erinnerung haben, von niemandem je gehört, aufgezeichnet oder weitererzählt werden.” (W.G. Sebald. In: Austerlitz)

Immer wieder die Frage stellen: Was ist das existenzielle Bild?Der Traum führt uns in seine Richtung, weil unverstellt. Er gibt preis

und verdeckt, lässt verschwinden und auftauchen. Gleichzeitig palavert er nur und macht uns zu Lacan`schen „Parlètres“, diesen Sprechwesen, welcheTräume produzieren, ohne sie erklären zu können.

Das Gelöschte ist all das, was wir erinnern möchten und nicht mehr finden können.

Es ist nichts Materielles. Daher ist das existentielle Bild immer auch ein Bild vom Verschwinden und rückt in die Nähe des Zustandes von Schlaf, Unbewusstem und zum Tod.

Prozesse des Löschens gibt es überall, bewusst und unbewusst. Clear Memory ! Löschen und klären !

Sehnsucht nach dem totalen Anfang oder dem totalen Ende?

Monatelang trug ich die alten Erinnerungs - und Familienfotos meiner verstorbenen Mutter mit mir herum.

Im Kopf und dann auch im Koffer. Verbrennen?Wegwerfen? Weglegen? Deponieren? Archivieren? Toten?

Im Kopf lebt sie ja weiter und ist gleichzeitig unwiderruflich weg aus dieser materiellen Welt.

An der Umsetzung dieses Löschvorgangs bin ich gescheitert.Ich hab es nur geschafft, die Bilder umzudrehen. Immerhin haben die blanken Rückseiten eine beruhigende Wirkung.Das existentielle Bild sucht Transformation und verbündet sich daher

oft mit den Prozessen des Erinnerns und Löschens.Katharina Mayer

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(Raum für Notizen.)

Sofort,

sagte sie, den Kopf über eine ihrer Kuvertrückseiten gebeugt: Ich schreib das hier nur rasch noch zu Ende. Und wozu all das Anhäufen, dachte ich: Wo die Wörter

dieselben sind wuchern alle zuletzt mit dem Selben: Gott Liebe Tod Vaterland - ich fühlte Düsternis sich senken, noch jedes Poem hat Amtscharakter, schnitzt seinen Fabrikengel

und bestätigt die Norm. Nacht stand mir, ein Angstfilm, auf der Stirn. Ich brachte mein Gesicht näher ans Geschwärzte, ich las und durch die Worte fiel noch ein wenig Tageslicht.

Bloß nicht!, rief ich, Halts Maul Gedicht! Ich nahm das Zeichen in Aussicht, ich wusste nicht ... rasch, gibt es andere Leben? Es war der Gott ... das Kleingedruckte des Gedichts.

Noch sein Schmerz so ein elendes Gekrakel, ein vom Ausgestrichenen überlaufender Rand von Zetteln, den es zerriss. Das war sie, die Finsternis. Ja, sagte sie, sanft mich umfangend, keine Deutung

ist unschuldig. Und das war ihr letztes Wort. Hier Kritischer Abbruch, Löschen! Alle wirkliche Poesie sucht ihre Vermeidung, jeder bessere Text verlangt nach einer anderen Form,

sofort.

Rainer Rabowski

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ΣήμαΣώμαELISABETH MÜHLENAusstellung und Werkgespräch 17.10. - 25.10.2015

Zeichen - Körper: Eine Zwillingszone von Malerei und Zeichnung entwerfen die Arbeiten von Elisabeth Mühlen: eine erspürte Trennung, ein wandernder Blick auf die Umgebung und die Bilder, Zweiheit in den Augen und das in einer strichweise gemessenen Zeit. Die Öffnungszeiten der Ausstellung werden noch bekanntgegeben.

Eröffnung Einführung: Norbert Kraus Fr. 16.10.2015 - 19:00 Uhr

Werkgespräch Gesprächpartner: Jens Stittgen Di. 20.10.2015 - 20:00 Uhr

Foto: Takahiro Kudo

Veranstaltungen

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Internationale Künstler im onomato Kuratiert von Enis Vardar:THOMAS BERNADET Documents Travaillés - Worked Documents (Ausstellung)

06. - 14.11.2015 (Siehe Seite 70)

JACKSON POLLOK, Malerei als Spur des in der konkreten Zeitstattgehabten malerischen Aktes

VORTRAG VON JENS STITTGEN Di. 27.10.15 - 20:00 UhrJackson Pollock (1912 - 1956), amerikanischer Maler, macht als ein Hauptvertreter des amerikanischen abstrakten Expressionismus das Bild zum Zeugnis der in Raum und Zeit durchgeführten Malhandlung, deren Spuren auf der Leinwand im späte-ren Werk nichts anderes zeigen wollen als sich selbst („dripping“) - subjektive Selbstentäu-ßerung des Künstlers als Durchbruch zu übergreifender Wahrheit.

Zum Jahresthema

VORTRAG VON JENS STITTGEN Di. 17.11.2015 - 20:00 UhrPhilip Guston (1913 - 1980), amerikanischer Maler, schert aus dem abstrakten Expressionismus seines Frühwerks aus und findet zu einer neuen Gegenständlichkeit, die existentiell und trivial den Anspruch des abstrakten Expressionismus auf eine heroisch die äußere Wirk-lichkeit und ihre Geschichtlichkeit transzendierende Subjektivität verabschiedet.

PHILIP GUSTON, Verabschiedet den Anspruch seiner Generationsgenossen auf Wahrhei-ten, die von den Niederungen und Trivialitäten der jeweiligen Gegenwart unabhängig seien

PAUL CEZÀNNE, Überwindung des Konzepts des bloßen Momen-tanismus zugunsten Erarbeitung überzeitlicher Wahrheit mithilfe des

Bildes.

VORTRAG VON JENS STITTGENFr. 23.10.15 - 20:00 Uhr

Paul Cézanne (1839-1906), französischer Maler, sucht in seinen Bildern von der Verwiesenheit in den bloßen Augenblick wie beim Impressionismus zu einer bildnerischen Formulierung zu gelangen, die überzeitliche Gesetzmäßigkeit allein aus den Mitteln der Malerei erzeugt, bzw. erkennbar werden lässt. „Kunst ist eine Harmonie parallel zur Natur“.

Zum Jahresthema

Zum Jahresthema

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MELANCHOLIAEin Expose ́ mit 4 BeiträgenMelancholia - Rückzug oder Denk-Ort?Fr. 18.11.2015 - 20:00 Uhr

- Vorschau: „Melancholopoly. Ein Spiel mit der Zeit“ - Elisabeth Luchesi - Vortrag: „ Lähmung und Antrieb“ - Dr. Lorenz Wilkens, Berlin - Hörstück: „ Aus der Spur“ von Joachim Rüsenberg - Karaoke mit Elisabeth Luchesi: aus der „Winterreise“ (Franz Schubert) sowie Stücke von Henry Purcell und Morton Feldman

Ob es ein Gefühl des „Zu-spät-seins“, des „nicht-mehr“, der Sinnlosigkeit und Verlorenheit ist oder – im Gegenteil – das der gesteigerten Präsenz: diese Befindlichkeiten sind durch spezielle Zeit-Bezüge gekennzeichnet. Alles eine Frage des Zeitpunkts, der Stimmung, der Perspektive?Die Zeit, sei es als unbewusst gelebte oder als bewusst erlebte, ist immer zugleich ein Verhältnis zu den anderen. (Thomas Fuchs)

Christian Morgenstern

Gespräch einer Hausschneckemit sich selbst

Soll i aus meim Hause raus?Soll i aus meim Hause nit raus?Einen Schritt raus?Lieber nit raus?Hausenitraus –HauserausHauseritrausHausenausRauserauserauserause ...

Friedrich Rückert

Ich bin der Welt abhanden gekommen,Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,Sie hat so lange nichts von mir vernommen,Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!

Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,Ob sie mich für gestorben hält,Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,Und ruh‘ in einem stillen Gebiet!Ich leb‘ allein in meinem Himmel,In meinem Lieben, in meinem Lied!

(Melodie - Gustav Mahler, 1902)

melancholia

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„Ich bin, wie Mark in seiner Hülle, abgesperrt, einsam, arm, einsam. Weingeist in der Flasche. Die grabähn-liche Wohnung hemmt mir den Flug. Spinnen und ihre Schwestern weben hier staubgraue Werke. Wer gegessen hat oder Arznei nahm, scheißt vor meiner Tür. Ich lerne den Geruch der Urinarten in der Ab-flußrinne unterscheiden, den Gestank von Narren, die nachts umhertreiben, Katzen und Aas, Nachttöpfe und Dungpfannen, wer auch nur Geräte dieser Art zu entleeren hat, kommt ganz sicher zu mir. Meine See-le ist allerdings meinem Körper gegenüber im Vorteil, denn wenn auch die das alles riechen würde, würde sie nichts mehr bei sich behalten, weder Brot noch Käse. Husten und Kälte schüttelt mich; wenn ich ’un-ten’ atmen könnte, würde aus dem Mund bald wohl kein Hauch mehr dringen. Ausgeleiert bin ich, zerris-sen, zerbrochen durch all’ die Müh’, und tot sind alle Wirtshäuser, wo ich einst aß. Meine Freude ist die Melancholie, meine Ruhe die Qualen. Als Narrenfi-gur wär’ ich gut, mit dieser Hütte hier, mitten unter prächtigen Palästen. Die Liebesflamme ist erloschen, die Seele kahl. Ich schwätz’ wie eine Wespe im Krug. Ein Lederbeutel bin ich, voll Knochen und Sehnen, und Steine hab ich im Bauch. Die Augen sind trüb und krank, die Zähne abgegriffen, sie klappern beim Spre-chen. Im (einen) Ohr nistet eine Spinne, im andern eine Grille. Das katarrhalische Gekratze raubt mir den Schlaf. Die Liebe, die Musen, die blühenden Grotten, alles in Unrat erstickt. Was hilft’s , soviel Puppen ge-macht zu haben, wenn man so endet, wie der, welcher den Ozean überqueren wollte und im Sumpf absackt! Die wohlgelobte Kunst, von der ich so viel wußte, brachte mich hierher. Arm, alt, anderen untertan. Ich löse mich auf, wenn ich nicht bald sterbe.“

(Michelangelo Buonarroti, zit. aus: Hocke, Rene´. Die Welt als Labyrinth, S. 59. Hamburg 1983)

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Christian Morgenstern

Gespräch einer Hausschneckemit sich selbst

Soll i aus meim Hause raus?Soll i aus meim Hause nit raus?Einen Schritt raus?Lieber nit raus?Hausenitraus –HauserausHauseritrausHausenausRauserauserauserause ...

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Walther von der VogelweideIch saz uf eime steine

Ich saz ûf einem Steine und dahte bein mit bein. dar ûf satzt ich den ellenbogen. ich hete in mîne hant gesmogen daz kinne und ein mîn wange. dó dâhte ich mir vil ange, wie man zer welte solte leben. deheinen rât kond ich gegeben, wie man driu dinc erwurbe, der keinez niht verdurbe. diu zwei sint êre und varnde guot, daz dicke ein ander schaden tuot: daz dritte ist gotes hulde, der zweier übergulde.

diu wolte ich gerne in einen schrîn: jâ leider desn mac niht gesîn, daz guot und weltlich êre und gotes hulde mêre zesamene in ein herze komen. stîg unde wege sint in benomen; untriuwe ist in der sâze, gewalt vert ûf der strâze, fride unde reht sint sêre wunt. diu driu enhabent gleites niht, diu zwei enwerden ê gesunt.

Übersetzung

Ich saß auf einem Stein, und schlug ein Bein über das andere, darauf stütze ich meinen Ellenbogen In meine Hand legte ich mein Kinn und meine Wange Da dachte ich angstvoll darüber nach, wie man in der Welt leben sollte. Ich konnte keinen Rat finden, wie man drei Dinge erwerben könnte, so dass keines verderbe.die [ersten] zwei sind Ehre und vergängliche Güter [Besitz], die einander ziemlich schaden: das dritte ist die Huld [Gnade] Gottes, das die beiden [anderen] übertrifft. Die drei hätte ich gerne in einem Schrein: ja leider wird das wohl nicht möglich sein, dass weltliches Gut und Ehre und Gottes Huld zusammen in ein Herz kommen. Stege und Wege sind ihnen verwehrt, Untreue liegt im Hinterhalt Gewalt herrscht auf der Straße, Frieden und Recht sind sehr verletzt, die drei haben keinen Schutz, bevor die beiden nicht genesen.

Textgrundlage: Die Gedichte Walthers von der Vogelweide. Hrsg. von Karl Lachmann. 13., aufgrund d. 10., von Carl von Kraus. bearb. Ausg. neu hrsg. von Hugo Kuhn. Berlin: de Gruyter, 1965, S. 222–226. Übersetzung: © Ernst Klett Verlag GmbH, Redaktion Oliver Tekolf 2008.

melancholia

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Bald sind sie (die Melancholiker) frohge-mut, bald ungehalten: und wie ein Mann,

den die Flöhe plagen oder der den Schlaf flieht und der sich im Bett herumwälzt, so findet auch ihr rastloser Geist keine Ruhe und Entspannung; sie bringen nicht die Ge-duld auf, ein Buch zu Ende zu lesen, ein Spiel zu Ende zu spielen, eine Meile zu Fuß zu-rückzulegen, eine Stunde stillzusitzen, son-dern sie sind fast gleichzeitig munter und niedergeschlagen, unternehmungslustig und nach einer kritischen Bemerkung schon wieder entmutigt.

Die Leidenschaft treibt sie um, und wo-nach es sie verlangt, dessen suchen sie mit Ungestüm habhaft zu werden. Begierig sind sie und übereifrig, misstrauisch und furcht-sam, neidisch und heimtückisch, mal ver-schwenderisch, mal knauserig, aber meis-tenteils habgierig, mürrisch missvergnügt, unzufrieden, verdrießlich, ewig beklagen sie sich und grollen, sind rachsüchtig, schnell in Sorge, mit hitziger Einbildungskraft be-

gabt, nicht leutselig und ohne Talent zum Einschmeicheln, vielmehr griesgrämig, trüb-sinnig, niedergeschlagen, abweisend, ganz in ihre Gedanken versunken. Sie gleichen der traurigen Dame in Albrecht Dürers Dar-stellung der Melancholie, die ihren Kopf in die Hände gestützt, starr vor sich hinblickt und nicht auf ihre in Unordnung geratene Kleidung achtet. Deshalb werden sie für ein-gebildet, weich, beschränkt und halbverrückt gehalten (...). Trotz allem aber besitzen sie einen weiten Horizont und eine hervorra-gende Auffassungsgabe, sind vernünftig, klug und geistreich; denn ich bin mit Howard der Meinung, dass die schwarze Galle den Ver-stand schärft, wie kein anderer Körpersaft und der geistigen Regsamkeit förderlicher ist als Alkohol oder Wein.

Burton, Robert. Anatomie der Melancholie. (Ursache Argwohn/Misstrauen) Aus: Über die Allgegenwart der Schwermut, ihre Ursachen und Symptome sowie die Kunst, es mit ihr auszuhalten / 1988 Artemis Verlag; aus dem Englischen übertragen von Ulrich Horstmann (Orig. The Anatomy of Melancholy. Oxford 1621) S.318

Tiere können wie Menschen überrascht und enttäuscht werden, aber für sie

hört dann eine Situation auf, und eine neue beginnt, ohne dass sie der Gefangenschaft in Situationen entgehen. Dem Menschen bringt die Enttäuschung dagegen die Chance, dass aus dem Zusammenbruch der durch Ent-täuschung entzauberten Situation einzelne harte Tatsachen hervortreten, sowohl aus der verlorenen als auch aus der neuen Lage, und mit ihnen neue Programme, enttäuschte sowohl, die bis dahin in die binnendiffuse Be-deutsamkeit der verlorenen Situation einge-bunden waren, als auch neue Strategien zur Bewältigung des neu Gegebenen, und erst

recht neue einzelne Probleme. Diese Ver-einzelung ist bei der Enttäuschung zugleich Entfremdung; die Subjektivität fällt von vie-len Bedeutungen ab, die Eigenheit von vielen Sachen. Diese Neutralisierung und Entfrem-dung ist ein großer Gewinn, den der Mensch dem Tier voraus hat. Ohne Neutralisierung befände er sich trotz Vereinzelung seiner

selbst und vieler ande-rer Einzelheiten in ei-ner hilflosen Lage wie in schweren Träumen, wo man trotz Vereinzelung, satzförmiger Rede und Selbstzuschreibung in

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Die Grundgefühle des 20. Jahrhunderts sind Angst, Unsicherheit, Fremdheit

und eine alles in ihren Strudel ziehende Bo-denlosigkeit. In ihnen wirkt eine Trauer nach über die Verluste des unerschütterlichen Fundaments, der Vertrautheit mit der Welt, der Selbstverständlichkeit des Handelns und des naiven Wohlbefindens. Eine gigantische Industrie aber verdeckt und verschleiert die-se kognitive Melancholie des Zeitalters durch Zwänge zu Geschäftigkeit, Geschwindigkeit

und Mobilität, durch Angebote illusionärer Sicherheit, durch banale Hoffnungsträger, synthetisches Glück aus der Apotheke nicht des Heiligen, sondern des pharmazeutischen Geistes und besinnungslose Unterhaltung. Und eben das wird zur Falle für den Absturz der Melancholie in die Depression. Diese erzwingt nun die Besinnung, die durch die Verschleierung der Melancholie nicht mehr möglich ist.

In diesem gesellschaftlichen Rahmen, der zugleich in die Melancholie treibt und sie verschleiert, vollziehen sich die individuellen Dramen: die Verlusterlebnisse mannigfacher Art und die Einbrüche der Relationen. Man darf all dies keineswegs auf nahe Bezugsper-sonen einengen, wie es so oft in der Psych-iatrie geschieht. Es gibt auch Verluste von Zugehörigkeiten zu einem sozialen Ensem-ble, Verluste von Handlungsspielräumen, von Funktionalitäten, Anerkennungen, Gütern und Symbolen; es gibt Beziehungen zu und mit Tieren, Pflanzen, Gegenständen – kurz: zu allem, was uns «ans Herz gewachsen» ist. Was immer davon eine verletzliche Stelle unserer Existenz trifft, kann sie nachhaltig er-schüttern und jenem Punkt zutreiben, den man im Emmental «D’Gnepfi» nennt und der griechisch «Krisis» heisst, dem Punkt oder vielleicht auch Grat der Balance, auf dem sich entscheidet, ob der Weg in die Katastrophe oder in die Verwindung führt.“

Saner, Hans - Melancholie und Leichtsinn – Grenzstim-mungen der Vernunft / Schweizer Archiv für Neurolo-gie und Psychiatrie

Die meisten Menschen haben gar nicht das Bedürfnis, klar über ihre Zustän-

de zu werden; sie wollen nur hindurch, wie etwa durch eine Krankheit. Diese gewinnen im Leben keine Resultate, sie machen nicht einmal Erfahrungen: ihr ganzes Leben ist vielmehr eine immerwährende Flucht durch Gefängnisse, und sie täten wahrlich wohl, sich an das erste beste zu gewöhnen, weil

sie dann doch einen Standpunkt hätten, von dem aus sie die Welt, gut oder schlecht, be-trachten können.

Hebbel, Friedrich. Tagebücher. (S.55). Stuttgart: Reclam 2013

der Situation gefangen bleibt, weil man sich nicht distanzieren, die Subjektivität nicht von den Bedeutungen und die Eigenheit nicht von den Sachen abschütteln kann.“

Schmitz, Hermann. Psychiatrie der Subjektivität ohne Seele., S.12 http://www.psychosomatik-basel.ch/deutsch/bildung/dienstagmittagfortbildung/pdf/2013/schmitz260213v.pdf

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WERKGESPRÄCH MIT STEFAN ETTLINGERDi. 24.11.2015 - 20:00 Uhr

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The Long Road of the Sand

Ausstellung vonCHANTAL VEYKuratiert von Enis Vardar

27.11. - 06.12.2015

Eröffnung Einführung von Enis Vardar Mi. 27.11.2015 - 19:00 Uhr

Werkgespräch So. 06.12.2015 - 17:00 Uhr

Pier Paolo PasoliniIn Zusammenarbeit mit der Filmwerkstatt Düsseldorf

Initiiert von der französischen Künstlerin Chantal Vey und angeregt von ihrer aktuellen Arbeit zu Pasolini, „Contro-Corrente“, veranstaltet das onomato gemeinsam mit der Filmwerkstatt Düsseldorf eine Veranstal-tungsreihe um den italienischen Autor und Ausnahmekünstler.

Allein sein Blick auf die Gesellschaft Italiens der sechziger und siebzi-ger Jahre, die Wahrnehmung einer subtilen, internalisierten Form des Fa-schismus in der konformistischen Anpassung an die Formen eines neuen Kapitalismus mit dem entsprechenden kleinbürgerlichen Menschenty-pus; Die latente Gewalt gegen jedes Anderssein und Außergewöhnliche im Zuge des Verfalls jeglicher ethischen Musikalität und Schönheit im Wertgefühl, ist von erschütternder Aktualität.

Der Mensch ist ein Schuft. Er gewöhnt sich an Alles. (F.M. Dostojevskij)

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Inspiriert durch „Die lange Straße aus Sand“, einer Arbeit Pasolinis zu seiner Reise entlang der italienischen Küste im Jahr 1959, folgte ich seiner Reiseroute in umgekhrter Richtung, beginnend in Triest und der Ge-gend seiner Kindheit.

Angeregt von Texten Pasolinis entwickel-te sich meine Reise im Zuge der Begegnun-gen mit den Menschen entlang der Route.

Der Straße und den zufälligen Begeg-nungen folgend, wollte ich die Motive in Pasolinis Berichten nacherleben wie auch neu interpretieren; im Umgang mit den Menschen, so wie Pasolini es liebte.

Nach „Contro-corrente # 1“ im Jahr 2014 setze ich die Reise mit in weiteren Abschnit-ten fort:

– „Contro-corrente # 2“ im Jahr 2015: entlang der ligurischen und der tyrrheni-schen Küste Menton nach Rom-Ostia (dem Endpunkt jenen Anschnitts, der Ort, an dem PPP 1975 ermordet wurde).

– „Contro-corrente # 3“ im Jahr 2016: ich folge den südlichen Küsten des Landes, von Pescara nach Rom-Ostia.

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TEOREMAI 1968 / 97 Min. / OmU / R: Pier Paolo Pasolini mit Terence Stamp, Silvana Mangano, Mas-simo Girotti, Anne Wiazemsky

Do. 03.12.2015 - 20:00 Uhr / Filmwerkstatt

In die Familie eines reichen italienischen Fabrikanten kommt ein Gast, dessen eigenar-tigem Wesen alle verfallen. Von dem geheimnisvollen Erwecker zu bewußtem Leben ge-rufen, finden die Menschen - verändert, aber nicht befreit - keine Möglichkeit, ihr Leben positiv zu gestalten. Nur einem Dienstmädchen gelingt der Ausbruch aus den eingefah-renen Bahnen seiner Existenz. Vieldeutiger, für verschiedene Interpretationen offener Film, in dem Pasolini seine aus Christentum und Marxismus gezogenen Erkenntnisse für die Notwendigkeit einer geistigen und sozialen Umwandlung des Menschen formuliert. Der künstlerisch beachtliche Film verknüpft thesenhaft knapp Sozialismus, Kapitalismus, Religiosität und Sexualität und verdichtet sich zu einer nur schwer zu entschlüsselnden Parabel, beruhend auf allegorischen Figuren- und Bildarrangements.

UCCELLACCI E UCCELLINI - GROSSE VÖGEL, KLEINE VÖGELI 1965 / 88 Min. / OmU / R: Pier Paolo Pasolini mit Totò, Ninetto Davoli, Femi Benussi

Di. 01.12.2015 - 20:00 Uhr / Filmwerkstatt

Ein Mann und sein Sohn begegnen während ihrer Wanderschaft durch die italienische Provinz einem sprechenden Raben, der sie in politisch-philosophische Debatten über

Gott und die Welt, Marx und Chris-tus, Geschichte und Revolution verwi-ckelt. Pasolinis verschrobene Filmfabel ist eine ebenso witzige wie tiefsinnige Meditation über Geschichte und Bestimmung des Menschen; der spie-lerische Umgang mit Ideologien und deren Rückführung auf die Praxis des Alltags bereitet ästhetischen Genuß und intellektuelles Vergnügen

Reihe zu Pier Paolo Pasolini

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VORTRAG VON ERWIN MICHELBERGERFilmemacher KölnSa. 05.12.2015 - 20:00 UhrFilmwerkstatt oder onomato (wird noch bekannt gegeben)

PASOLINI TEMA

Eine Einführung von Angela FeliceDirektorin der Pasolini Stiftung PPP / Casarsa

Fr. 04.12.2015 - 20:00 Uhr

Filmwerkstatt oder onomato (wird noch bekannt gegeben)Vortrag in Englischer Sprachehttp://www.centrostudipierpaolopasolinicasarsa.it

Reihe zu Pier Paolo Pasolini

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Seit 7 Jahren betreibt das onomato das Werksti-pendium für 10 Teilnehmer im Bereich Video-kunst, Klangkunst und Animation. Initiert wurde es von Hanna Koch und Katharina Mayer.

Im Zusammenspiel von technischer Betreu-ung, Gesprächen und Kursen in einem Umfeld und Künstlerkreis der sich schon seit 20 Jahren um eine möglichst übergangsloses Wechselspiel und den gegenseitigen Verweis von Dichtung, Videokunst, Philosophie, Klangkunst und Sprachgestaltung be-müht erstellen 10 Künstlerinnen und Künster im Zeitraum von 4 Monaten zeitbasierte künstleri-sche Arbeiten.

Dabei stehen Ihnen erfahrene Künster aus dem Umfeld des onomato zu Seite, im Gespräch, zur technischen Hilfestellung

onomato stipendium

Anmeldung zum Stipendium 2015 bis zum 5.10.2015

Beginn des Stipendiums: 1.11.2015

Abschlussveranstaltung und Ausstellung 26.02.2016

Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler des onomato:

Enis VardarInken BojeNorbert KrausDr. Frauke TomczakProf. Katharina MayerAxel GrubeJoachim RüsenbergGul Ramani

Das Stipendium wird organi-siert und betreut von Veroni-ka Peddinghaus und Norbert Kraus

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onomato kepos

Erinnerung Vorschau Zur Ausprägung eines Ortes für ein be-sonderes Zusammenspiel von Kunst, Dich-tung und Philosophie – einem Grundmotiv des onomato – gab es unter dem Begriff „kepos“ grundsätzliche Überlegungen.Im Journal des kommenden Jahres werden diese Überlegungen in neuer Form vorge-legt werden.

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Der Begriff ist entlehnt von dem epiku-räischen Garten, dem zeitgenössischen Konkurrenzunternehmen des Garten-hains des Akademos, der platonischen Akademie.Mit dem Wort des „Interdisziplinären“ wäre unsere Ambition nur unzurei-chend beschrieben.

„Aber müssen die Künste wirklich auseinandergehen in einem Augenblick, in dem jedes Verfehlen eine versäumte Rettung ist, jedes Verkennen von Geist in einem ähnlichen Geist die Todtraurigkeit befördert? Obwohl wir, wie nie zuvor, leicht geneigt sind, preiszugeben, uns abzufinden, behalten wir den Verdacht, daß eine Spur von der einen zur anderen Kunst führt. Es gibt ein Wort von Hölderlin, das heißt, daß der Geist sich nur rhyth-misch ausdrücken könne. Musik und Dichtung haben nämlich eine Gangart des Geistes. Sie haben Rhythmus, in dem ersten, dem gestaltgebenden Sinn. Darum

vermögen sie einander zu erkennen. Darum ist da eine Spur.“

(Ingeborg Bachmann)onomato kepos

„Man sagt doch von einem Gleichnis auch, das es ein Bild sei. Und ebenso gut ließe sich von jedem Bild sagen, daß es ein Gleichnis wäre. Aber keines ist eine Gleichheit. Und eben daraus, daß es einer nicht nach Gleichheit, sondern nach Gleichnishaftigkeit gerordneten Welt angehört, läßt sich die große Stellvertre-tungskraft, die heftige Wirkung erklären, die gerade ganz dunklen und unähnli-chen Nachbildungen zukommt.“

(Robert Musil)

Die Überlegungen und die Entwick-lung zielen auf Form und Methodik einer tiefergehenden Möglichkeit der metapherein: Eine Kultivierung der metaphorischen Verweismöglichkeit und möglichst weitgehende, freie Prä-senz im Überschreiten aller Genres und Gattungen.

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Lyrikreihe

BEKANNT TRIFFT UNBEKANNTkuratiert, organisiert und moderiert von Frauke Tomczak

Die Lyrikreihe BEKANNT TRIFFT UNBEKANNT fand bereits zwei Mal mit wachsender Resonanz bei den LyrikerInnen, dem Publikum und bei der Presse in den Räumen der Künstler-gruppe ONOMATO statt: der erste Teil der Reihe, der wie die anderen jeweils vier Lyrikabende umfasst, von Dezember 2013 bis März 2014, der zweite Teil von Dezember 2014 bis März 2015. Wir hoffen sehr, einen dritten, komplettierenden Teil der Lyrikreihe BEKANNT TRIFFT UNBEKANNT von Dezember 2015 bis März 2016 realisieren zu können.

Der Titel ist Programm: eine im deutschen Sprachraum be-kannte Poetin, ein bekannter Poet wird mit einer, einem weni-ger bekannten aus Düsseldorf kombiniert. Nach den Lesungen schließt sich ein ausführliches Gespräch zwischen den Dich-tern über die Lyrik an. Die Abende werden akustisch aufge-zeichnet und in einer anschließenden Lyrikedition publiziert.

Die Reihe mitsamt der Edition versteht sich nicht einfach nur als Plädoyer für die Gattung Lyrik und als Scheinwerferspot für bisher unterbelichtete Werke. Sie ist von Anfang an aufs Vielfache angelegt und schließt ein gegenseitiges Zuhören und eine poetische Auseinandersetzung mit ein. Es geht ihr um die VIELSTIMMIGKEIT poetischen Sprechens und seines Nach-denkens, eines Nachdenkens über Poesie und ein poetisches Nachdenken.

Bisher waren im 1. Teil die folgende LyrikerInnen dabei: Andreas Altmann und Sina Klein, Jan Wagner und Jens Stittgen, Ulf Stol-terfoht und Frauke Tomczak, Yoko Tawada und Johanna Hansen. Im 2. Teil: Kurt Drawert und Ferdinand Scholz, Norbert Hum-

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melt und Ille Chamier, Barbara Köhler und Niklas Stiller, Nora Gomringer und Pamela Granderath. Nicht allein durch die il-lustren Namen, sondern gerade durch die Kombination haben sich in der abwechselnden Lesung der Gedichte und ebenso in den anschließenden Gesprächen interessante Spannungsbögen ergeben, die teils nachdenkliche, teils überraschende, teils hu-morvolle Wirkungen entfalteten und der Lyrikreihe insgesamt den Ruf eingetragen haben, den sie beabsichtigt und dem sie gerecht werden will: ein EREIGNIS POETISCHER VIELSTIM-MIGKEIT nicht nur zu präsentieren, sondern POESIE im POE-TISCHEN NACHDENKEN zu reflektieren.

Der für 2015/16 geplante dritte Teil der Reihe wird die Ly-rik erweitern um Formen lyrischer Kurzprosa und „poesie en prose“. Angefragt sind Elke Erb, Marie T. Martin, Gerhard Rühm und Lutz Seiler für die bekannten, Vera Henkel, Regina Ray und Sven André Dreyer für die weniger bekannten PoetInnen.

„Das gibt es ja heute kaum noch, dass so intensiv über Gedichte gesprochen und nachgedacht wird.“Yoko Tawada nach der Lesung mit Johanna Hansen.

„Ein ungewöhnliches Projekt: eine Lyrikreihe, bei der so ausführlich über Poesie nachgedacht wird, wo gibt es das noch?“Barbara Köhler nach der Lesung mit Niklas Stiller.

Mit freundlicher Unterstützungder Stadt Düsseldorf und der Kunststiftung NRW

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Négociation 64 : S‘alléger un peu

Internationale Künstler im onomatoKuratiert von Enis Vardar

Künstler der Archiraar Galerie Brüssel stellen ausTitel der Ausstellung: 51.227620, 6.814009

CAROLINE LE MÉHAUTÉ (Brüssel)SYLVIO MARCHAND (Paris)PIERRE REBUFY (Brüssel)28.08. - 06.09.2015

Eröffnung Einführung von Enis VardarFr. 28.08.2015 - 19:00 UhrÖffnungszeiten: Sa. und So. 14 - 20 Uhr und nach Vereinbarung.

Internationale Künstler im onomato

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Archiraar GalleryRue de la Tulipe, 31A

1050 Brussels

Négociation 60 : Echappée verticale

Negociation 36 - 5113‘ 40%22N, 6°48‘50%22E

Caroline Le Méhauté

Lives and works at Marseilles and BruxellesArt Master, College of Fine Arts, Marseille, 2007Visual Art Degree, College of Toulouse le Mirail, 2004http://archiraar.com/caroline-le-mehaute/http://www.carolinelemehaute.com/

Land XXXXI // watercolor and black stone on paper // 56 x 80 cm

Négociation 64 : S‘alléger un peu

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GEYSERS #1, 2014. Synthetic plaster, dimensions variable.© Karine Labrunie

FOLLOW ME, 2014. Synthetic plaster, marble, 140 x 75 x 165 cm (exhibition view, Le Salon Montrouge, Paris)

GEYSERS #4, 2014. Synthetic plaster, dimensions variable. © Karine Labrunie

CHEVAL DE TROIE, 2014. Wood, Marble, resin, 68 x 50 x 150 cmSylvio Marchand - Paris

http://archiraar.com/sylvio-marchand

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johnchapinandmichelmaharbiz

Pierre Rebufy - Brüssel

http://archiraar.com/pierre-rebufy

UNTITLED (NEONATIVE INSTRUMENT #2), 2013. Wood, hamster game, old radio, fur, metal, 20 x 30 x 21 cm

John Chapin and Michel Maharbiz, 2014, paint on XPS casted in acrylic (69/73/6 cm)

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THOMAS BERNADETDocuments Travaillés - Worked Documents (Ausstellung)06. - 14.11.2015Thomas Bernardet (born 1975 in Fréjus, France) lives and works in Brussels.http://www.thomasbernardet.net

Eröffnung Einführung: Enis Vardar

Fr. 06.11.2015 - 19:00 UhrÖffnungszeiten: Sa. und So. 14-20 Uhr und nach Vereinbarung:[email protected]

Document-de-travail-number-00890031 Document-de-travail-number 1_p1160447

Internationale Künstler im onomato

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Anzeige

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Veranstaltungen

FRANZ KAFKA UND THOMAS MANNZwei Arten des Schöpferischen

Ein Vortrag von Jürgen Born

Anschliessend Gespräch

Fr. 11.12.2015 20:00 UhrJürgen Born, der Begründer der Forschungsstelle für Prager deutsche Literatur und Mitbegründer der Kritischen Ausgabe der Schriften, Tagebücher und Briefe Kafkas, wirft in seinem Vortrag ein Licht auf zwei doch grundlegend verschiedene Naturen. Bei allem Wohlwollen und der tatkräftigen Unterstützung Thomas Manns für Kaf-kas Schriften ist bei dem „hanseatischen Humanisten“ stets auch eine Distanz und Fremdheit gegenüber dem Prager Dichter zu erkennen.

Born stellt eine wohltuende Ausnahme im Chor der Stim-men zu Kafka dar.Seine positive Deutung der Türhüterlegende etwa, Teil eines gerade in überarbei-teter un erweiterten Form erschienenen Essay-Bandes, scheint nur einem fühlenden Denken möglich, dem die Er-fahrung einer „moralische[n] Zartheit“ (Robert Musil) in der Prosa Kafkas nicht fremd sein kann.

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(Raum für Notizen.)

Also Blut, oder wie soll ich es nennen? Solche Buchstäblichkeit … eine Punktion? Fast muss ich lachen, Leben, nicht auszudenken - an einem Blatt Papier sich den Finger aufzuschneiden!

Wofür die ganze Anämie? Und das ist es auch schon. Ein Scherz, ein Eckchen im Unreinen. Un coeur mis à nu zu beflennen, was sich selber lieber dauernd verschließt.

Erde unter den Nägeln. Eine Heftzwecke, im Herzen kalt. Der einzige Sinn.

Eines Augenblickes Gunst. Gelingen: auch so eine Konvention. Und es reicht kaum hin. Stattdessen wieder nur so ein getrickster Sermon, in dem kein Blut fließt - das ist keine Kunst.

Rainer Rabowski

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WUNDERWERKWerkgespräch mit Erwin Michelberger

Fr. 22.01.2016 - 20:00 Uhr

LUDWIG: Du bist doch heulend aus dem Kino gelaufen, als Student.Ich weiß nicht mehr wer mir das erzählt hat, dass du heulend aus dem Kino raus bist aus dem Straub Film, wo die Laien ganz emotionslos auf ihre eigene Art den Empedokles rezitieren. Der unbekannte Laie, von dem man nur die Beine sieht, man hört seine unprofessionelle schöne Stimme und dann hättest du im Hinter-grund der Szene gesehen, wie der Wind die Gräser bewegt und da hättest du hemmungslos geheult.

GRÄSER. Die Wucht des Lebendigen, auch des lebendigen Laien. Des Leben-digen, des Unverstellten. ERWIN: Ich stelle mir vor wie viele Regisseure , Drehbuchautoren und vor allem Produzenten sich die Hände reiben, den Boden küssen vor der ehemaligen Reichs-kanzlei, dass die Nazis Gott sei’s gedankt, da waren, damit sie heute mit perfekten Schauspielern immer wieder Filme drehen können, den Horror großartig recyceln können. Endlos. Was glaubst du wie Tarrantino den Südstaatenboden geküsst hat, vor seinem Sklavenfilm.

LUDWIG: Nein. Sie wollen nachempfinden. Sie arbeiten auf ihre Art für wenn du so willst für die Aufklärung. Sie glauben an das was sie tun auch aus dem Wunsch heraus, dass sich was ändert.

ERWIN: Was heißt nachempfinden. Weiß ich, kann ich fühlen wie ein Sklave, eine Sklavin damals zerschunden wurden, Hunger hatten, ihren Gott anflehten oder verfluchten? Ich weine. Aber was weiß ich vom Weinen derer die dort krepiert sind. Sie haben wenig zu essen bekommen. Ich weiß nicht was ist: wenig. Wenn Tar-rantino in der Drehpause vom Chauffeur ein Steak geholt bekommt. Und nach der Pause die schwarzen Schauspieler Leiden spielen lässt. Was heißt nachempfinden?!Sentimentale Gefühlsfürze.

LUDWIG: Erwin. Erwin.

ERWIN: Als der Beuys mit seiner Hasenaktion und dass er blutig geschlagen wur-de. Von Kunstgegnern. Das fand ich o.k.

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Ich schrieb so ein mini Manifest und hab’ es an die Flurwand in der Akademie gepinnt. „Mit unserem Blut sollen die Filme gemacht sein.“ Oder „Aus unserem Blut . . .“ „Gegen jede Berechnung, gegen jede Täuschung, gegen jede Verachtung.“Jemand kritzelte darunter: Endlich! Fang an!Auf dem Klo war hingekritzelt: Nicht jeder schafft Kunst. Aber Kunst schafft jeden. Ich war ziemlich durcheinander. Es gab fast nichts. Jedenfalls stach ich mir in den Finger. Bevor ich die Hände in den Dunkelsack steckte um die Filmnegativrolle in die Kamera zu laden. Ich spürte dass Blut lief. Und dieses, mein Fingerblut schmierte ich auf das Filmmaterial. In der Hoffnung dass später, beim Entwickeln im Kopierwerk, dass da Spuren von meinem Blut auf den Aufnahmen zu sehen sein werden. Ich hab’s nicht rumerzählt. Es war ganz wenig zu sehen, nachher in der Projektion auf der Leinwand, ein paar schleierige Randspuren. Was war das?Der lächerliche Versuch wenigstens ein Fitzelchen Realität hineinzubringen.

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SIGMAR POLKE – Von den 60ern in die 90er: aus dem ausklingen-den Nachkriegsdeutschland in die wiedervereinigte Republik, Pop und Höhere Wesen markieren die beiden Pole seines Schaffens - Aktualität und sog. „ewige Mächte“ als Antipoden?

VORTRAG VON JENS STITTGEN

Di. 26 01.2016 - 20:00 Uhr

Sigmar Polke (1941 - 2010), deutscher Maler und Fotograf, begann seine Laufbahn zusammen mit Konrad Lueg und Gerhard Richter mit einer Ausstellung des sog. Kapitalistischen Realismus. Polkes Werk bewegt sich einerseits in der Nähe zur Pop Art, zum anderen hinterfragt er auf oft iro-nische Weise Mythen und Sichtweisen moderner Kunst und der Kunst im Allgemeinen. Sinnsetzung und Sinnfindung, die Mehrdeutigkeit unserer Sicht auf die Dinge, zusammen mit der Trivialität unserer Lebensverhältnisse sind wichtige Themen. Zeitgebundenheit (ein anderes Wort für „Aktualität“) und Zeitlosigkeit bzw. Überzeitlichkeit (kann es so etwas geben?) seiner bildnerischen Interessen sollen befragt werden.

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Werkgespräch - Karin HochstatterMi. 24.06.2015 20:00 Uhr / S. 9

Werkgespräch - Katja GärtnerFr. 26.06.2015 20:00 Uhr / S. 9

Gabriele Horndasch - StereoskopieEröffnung, Fr. 17.07.2015 19:00 Uhr / S. 9Werkgespräch, So. 26.07.2015 17:00 Uhr

HEIKE FINK - EisheimatDo. 30.07.2015 - 20:00 Uhr / S. 10

Nomádes …Audio-visuelle Kompositionen aus der WeltClaudia Robles-AngelFr. 31.07.2015 - 20:00 Uhr / S. 10

Werkgespräch - MARKUS MUSSINGHOFFFr. 07.08.2015 - 20:00 Uhr / S. 11

Zwei Akustische Projektionenvon Joachim RüsenbergDienstag, 12.8.2015 20 Uhr / S. x12

Camille Corot, Festhalten des Augenblicks als neuer Gegenstand der Malerei, später: Rückzug des Malers aus seiner GegenwartVortrag von Jens StittgenDi. 18.8.2015 - 20:00 Uhr / S. 13

Rimma ArslanovAusstellung, 21.-25.08.2015 Eröffnung mit WerkgesprächFr. 21.08.2015 20:00 Uhr / S. 14Kunstpunkt 150, AtelierpräsenzFreitagabend der Off-RäumeSa. 14-20 Uhr und So. 12-18 Uhr

Eine archäologische Spekulationen überdie Ursprünge des Zweiten GebotesVortrag von Dr. David IlanMi. 26.08.2015 - 20:00 Uhr / S. 15

Internationale Künstler im onomatoTitel der Ausstellung: 51.227620, 6.814009Caroline le Méhauté, Sylvio MarchandPierre Rebufy28.08. - 06.09.2015 / S. 16 und S. 66Eröffnung. Einführung von Enis VardarFr. 28.08.2015 - 19:00 UhrÖffnungszeiten: Sa. und So. 14 - 20 Uhr

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 31.08. 2015, 19 Uhr

Werkgespräch - Dieter KiesslingFr. 09.09.2015 - 20:00 Uhr / S. 17

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 14.09.2015, 19 Uhr

Werkgespräch - Heike PallancaMo. 21.09.2015 - 20:00 Uhr / S. 18

Was gute Kunst ausmacht. Qualiätskriterien der zeitgenössischen KunstVortrag von Martin Leyer-PritzkowFr. 25.09.2015 - 19:00 Uhr / S. 19

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 28.09.2015, 19 Uhr

Werkgespräch - Uschi StröbeleDi. 29.09.2015 - 20:00 Uhr / S. 19Ursula Ströbele (geb. 1961) liest und spricht mit Jens Stittgen.

Alle Veranstaltungen auf einen Blick

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Symposium - Löschen (Seite 39)

„Michel de Certeau - oder: die theologischen Implikationen der Praxis digitalen Löschens“Vortrag von Dr. Marco SoraceDo. 01.10.2015 - 19:00 Uhr / S. 40

Ein Abend mit Antoine Beuger“nichts als der ort wird am ort geschehen sein“Fr. 02.10.2015 - 19:00 Uhr / S. 41

Vortrag und KonzertSa. 03.10.2015 - 19:00 Uhr / S. 42Vortrag: Ubbo Kügler - PalimpsestKonzert: Miki Yui: mamagoto

Löschen/Streichen?Über das Entfernen in der LiteraturVortrag von Claas MorgenrothMi. 07.10.2015 - 19 Uhr / S. 43

Eine Stimme zarten SchweigensTheologie ohne TheosVortrag von Axel GrubeSo. 11.10.2015 - 17 Uhr / S. 44

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 12.10.2015, 19 Uhr

Ausstellung zum Thema LöschenVom 04.-11.10.2015 / S. 44Ausstellungs-EröffnungEinführung: Christoph KornSo. 04.10.2015 - 19:00 UhrÖffnungszeiten: Sa. und So. 14-17 Uhr Finissage Der AusstellungSo. 11.10.2015 - 19:00 Uhr

Elisabeth MühlenAusstellung und Werkgespräch17.10. - 25.10.2015 / S. 48Eröffnung. Einführung: Norbert KrausFr. 16.10.2015 - 19:00 UhrWerkgespräch - Gesprächpartner: Jens StittgenDi. 20.10.2015 - 20:00 Uhr

Paul Cezànne, Überwindung des Konzepts des bloßen Momentanismus zugunsten Erarbeitung überzeitlicher Wahrheit mithilfe des Bildes.Vortrag von Jens StittgenFr. 23.10.15 - 20:00 Uhr / S. 49

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 26.10.2015, 19 Uhr

Jackson Pollok - Malerei als Spur des in der konkreten Zeit stattgehabten malerische AktesVortrag von Jens StittgenDi. 27.10.15 - 20:00 Uhr / S. 49

Internationale Künstler im onomato Kuratiert von Enis Vardar: Thomas BernadetDocuments Travaillés - Worked DocumentsAusstellung 06. - 14.11.2015 / S. 49 und 70Eröffnung, Einführung: Enis VardarFr. 06.11.2015 - 19:00 Uhr

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 09.11.2015, 19 Uhr

Philip Guston – Verabschiedet den Anspruch seiner Generationsgenossen auf Wahrheiten, die von den Niederungen und Trivialitäten der jeweiligen Gegenwart unabhängig seienVortrag von Jens StittgenDi. 17.11.2015 - 20:00 Uhr / S. 49

Melancholia - Ein Expose ́ mit 4 BeiträgenMit Elisabeth Luchesi, Joachim Rüsenberg und Lorenz WilkensFr. 18.11.2015 - 20:00 Uhr / S. 50

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Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 23.11.2015, 19 Uhr

Werkgespräch mit Stefan EttlingerDi. 24.11.2015 - 20:00 Uhr / S. 55

Reihe zu Pier Paolo PasoliniIn Zusammenarbeit mit derFilmwerkstatt Düsseldorf

The Long Road of the SandAusstellung von Chantal Vey27.11. - 06.12.2015 / S. 56Eröffnung - Einführung von Enis VardarMi. 27.11.2015 - 19:00 UhrWerkgesprächSo. 06.12.2015 - 17:00 Uhr

Uccellacci e Uccellini - Große Vögel, kleine VögelI 1965 / 88 Min. / OmU / R: Pier Paolo PasoliniDi. 01.12.2015 20:00 Uhr, Filmwerkstatt, S. 58

TeoremaI 1968 / 97 Min. / OmU / R: Pier Paolo PasoliniDo. 03.12.2015 20:00 Uhr, Filmwerkstatt, S. 59

Pasolini TemaEine Einführung von Angela FeliceDirektorin der Pasolini Stiftung PPP / CasarsaFr. 04.12.2015 - 20:00 Uhr / S. 59Filmwerkstatt oder onomato(wird noch bekannt gegeben)

Vortrag von Erwin MichelbergerFilmemacher KölnSa. 05.12.2015 - 20:00 Uhr / S. 59Filmwerkstatt oder onomato(wird noch bekannt gegeben)

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Mo. 07.12.2015, 19:00 Uhr

Thomas Mann und Franz KafkaEin Vortrag von Jürgen BornAnschliessend GesprächFr. 11.12.2015 20:00 Uhr

Montagsgespräch (Thema S. 4 - 8)Montag, 21.12.2015, 19 Uhr

WunderwerkWerkgespräch mit Erwin MichelbergerFr. 22.01.2016 - 20:00 Uhr / S. 74

Sigmar Polke – Von den 60ern in die 90er: aus dem ausklingenden Nachkriegsdeutschland in die wiedervereinigte Republik, Pop und Hö-here Wesen markieren die beiden Pole seines Schaffens - Aktualität und sog. „ewige Mächte“ als Antipoden?Vortrag von Jens StittgenDi. 26 01.2016 - 20:00 Uhr / S. 76

BILD UND TEXTNACHWEISE

Abbildungen Umschlag vorn und Seite 2-3

Hanna Koch „curtain“Öl auf Tuch (Ausschnitte)www.hannakoch.com

Texte zum Jahresthema

Giorgio Agamben, Kindheit und Geschichte Zerstörung der Erfahrung und Ursprung der Geschichte (Bibliothek Suhrkamp

Virginia Woolf, „Modern Fiction“In: „Collected Essays Bd. 2, London 1966, S. 106

James Joyce, „Ulysses“Übersetzt von Hans Wollschläger, Sonderausga-be, Frankfurt am Main 1979, S. 49/50.