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VII--X. Kleinere Mittheilungen, VII. Operative Entfernung eines dureh R51~tg'enstrahlen nachgewiesenen Concremcntes yon kohlensaurem Kalk aus dem Nierenbeeken. Von Oberar~.t Dr. Carl Lauenstein, Hamburg. (Mit einer Abbildung.) Bei der Seltenheit der Falle~ wo Nierensteine am Lebenden mit Genauigkeit dutch X-Strahlen bisher nachgewiesen worden sind~ halte ieh es fur wichtig genug~ hier kurz die Hauptdaten sines kilrzlich operirten derartigen Falles mitzutheilen. Der jetzt 47j~ttlrige Pat, Herr S., ein geborener Schweizer~ wurde in seiner Jugend zweimal tlberfahren~ einmal von einem leeren und ein- real yon einem mit Kartoffeln beladenen Wagen. Seh~digungen sollen danaeh nieht zurtickgeblieben sein. Im 22. Lebensjahre Infection mit Syphilis; derentwegen mchrfachc Inunetionscur und hiiufiger Gebrauch yon Dampfb~idern his in dic jetzige Zeit. Mit 24 Jahren verheirathet. 9 Kinder, yon denen vier an Lebenssehwache und Breehdurehfall gestorben sind. Ehefrau gesund. Im 32. Lebensjahre iiberstand er einen Ileotyphus yon 6--7 Woehen Dauer. Sehon Anfang der zwanziger Jahre soll hS.ufig ~Nierensand, jedoeh nur unter geringem Brcnnen~ abgegangen sein. Dieser Abgang wurde sp~tter h~tufiger, und die dabei auflretende Schmerzempfindung, nament- lich Brennen in der Blase, immer heftiger. Anfang des Jahres 1898 eine ~iusserst sehmerzhafte l'~ierenkolik~ die 2 Tage und 2 Nitchte dauerte. Drei kleine Steine gingcn damals ab. Die damals schon beginnende Eiterabsonderung aus den tIarnwegen ist bis jetzt bestehen geblieben. Zuweilen, besonders nach Erregungen, ist aueh Blut im Urin gewesen. Frtihjahr 1S90 Cur in Wildungen, nach der Pat. sich besser ffihlte; aber es blieben constant Schmerzen in der rechten Seite zuriick. Einen eigentlichen KolikanfaU hatte Pat. nicht wieder~ doch waren seine Sehmerzen an InfensitKt ungleich. Wenn sie heftiger warcn~ wurde das ganze reehte Bein kalt bis oben him Seit dem Kolikanfall t~glich mehrmals auftretender Spasmus im Musculus orbicularis oculi beiderseits. Dieser Spasmus stellte sich besonders naeh dem Essen und nach Be- 13*

Operative Entfernung eines durch Röntgenstrahlen nachgewiesenen Concrementes von kohlensaurem Kalk aus dem Nierenbecken

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VII--X.

Kleinere Mittheilungen,

VII.

O p e r a t i v e E n t f e r n u n g e i n e s d u r e h R 5 1 ~ t g ' e n s t r a h l e n n a c h g e w i e s e n e n C o n c r e m c n t e s y o n k o h l e n s a u r e m K a l k

a u s d e m N i e r e n b e e k e n .

Von

Oberar~.t Dr. Carl Lauenstein, Hamburg.

(Mit einer Abbildung.)

Bei der Seltenheit der Falle~ wo Nierensteine am Lebenden mit Genauigkeit dutch X-Strahlen bisher nachgewiesen worden sind~ halte ieh es fur wichtig genug~ hier kurz die Hauptdaten sines kilrzlich operirten derartigen Falles mitzutheilen.

Der jetzt 47j~ttlrige Pat , Herr S., ein geborener Schweizer~ wurde in seiner Jugend zweimal tlberfahren~ einmal von einem leeren und ein- real yon einem mit Kartoffeln beladenen Wagen. Seh~digungen sollen danaeh nieht zurtickgeblieben sein. Im 22. Lebensjahre Infection mit Syphilis; derentwegen mchrfachc Inunetionscur und hiiufiger Gebrauch yon Dampfb~idern his in dic jetzige Zeit. Mit 24 Jahren verheirathet. 9 Kinder, yon denen vier an Lebenssehwache und Breehdurehfall gestorben sind. Ehefrau gesund. Im 32. Lebensjahre iiberstand er einen Ileotyphus yon 6--7 Woehen Dauer.

Sehon Anfang der zwanziger Jahre soll hS.ufig ~Nierensand, jedoeh nur unter geringem Brcnnen~ abgegangen sein. Dieser Abgang wurde sp~tter h~tufiger, und die dabei auflretende Schmerzempfindung, nament- lich Brennen in der Blase, immer heftiger. Anfang des Jahres 1898 eine ~iusserst sehmerzhafte l'~ierenkolik~ die 2 Tage und 2 Nitchte dauerte. Drei kleine Steine gingcn damals ab. Die damals schon beginnende Eiterabsonderung aus den tIarnwegen ist bis jetzt bestehen geblieben. Zuweilen, besonders nach Erregungen, ist aueh Blut im Urin gewesen. Frtihjahr 1S90 Cur in Wildungen, nach der Pat. sich besser ffihlte; aber es blieben constant Schmerzen in der rechten Seite zuriick.

Einen eigentlichen KolikanfaU hatte Pat. nicht wieder~ doch waren seine Sehmerzen an InfensitKt ungleich. Wenn sie heftiger warcn~ wurde das ganze reehte Bein kalt bis oben him Seit dem Kolikanfall t~glich mehrmals auftretender Spasmus im Musculus orbicularis oculi beiderseits. Dieser Spasmus stellte sich besonders naeh dem Essen und nach Be-

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196 VII. Kleinere Mittheilungen.

wegungen ein. Ein Augenleiden konnte trotz mehrfacher Uniersuchung dureh Augen~rzte nieht constatirt werden.

S t a t u s am 15. Nov. 1888. Ueber mittelgrosser~ schlanker~ eher magerer Mann. Brustorgane gesund. Leib etwas aufgetrieben. Deswegen und well die Bauchdeeken ziemlieh dick sind~ gelingt es nicht~ die Nieren zu palpiren. Die Gegend der rechten Niere sowohl yon vorn, als yon hinten her bei tieferem Eindrilcken schmerzempflndlich. Appetit herab- gesetzt~ Zunge dtinn weisslich belegt. Stuhl regelm~tssig. Puls, Athmung~ Temperatur normal.

Der helle Urin zeigt einen feinen wolkigen Niederschlag~ in dem mikroskopisch wenige Eiterk(irperchen, ganz vereinzelte rothe Blutk~rper- chen und Epithelzellen gefunden werden. Spee. Gew. 1020~ Reaction stark sauer. In einem Pr@arat , das naeh l~i~ngcrem Stehen des Urins gemacht wird, finden sich aueh vereinzette Krystalle yon oxalsaurem Kalk.

Die auf Grund tier klinischen Erseheinungen gestellte Diagnose: ,,Rechtsseitige ~qephrolithiasis", wurde dutch zwei yon den Herren Dr. E n o e h und Dr. M a n n h e i m e r angefertigte RSntgenplatten besti~tigt. Man sah auf den Abdrticken einen mit dem gr(issten Durehmesser parallel tier K(irperaxe geriehteten liingsovalen Schatten yon 2 : 3 era. Dieser Schatten lag 3 cm unterhaib des nnteren Randes der zw(ilften reehten Ripp% 4 em yore Rande des WirbelkSrpers und S cm yon der Dornfortsatzlinie entfernt.

Auf den Wunsch des Pat. wurde am 17. ~Nov. a. e. die Operation yon mir ausgeftihrt. ~Naeh Anlegung des Schr~gschnittes und ErSffnung der Fettkapsel wurde die /qiere zunaehst an ihrem unteren Pole freigelegt und mit Hiilfe der Fettkapsel mtigliehst nach abwarts gezogen. Ihre Sub- stanz war weieh~ und ihre Oberflitche mit Einziehungen versehen. Ohne die ~iere ganz auszulSsen, konnte ieh sie bequem yon vorn sowie yon hinten abtasten; aber es gelang nicht, iu derselben ein Concrement zu ftihlen. Da ieh wegen der weiehen Beschaffenlieit tier ~qiere ftirchten musste, dieselbe zu zerreissen, so verziehtete ich auf eine vSllige Aus- 15sung derselben und maehte im Vertrauen auf das Ergebniss tier RSntgen- durehleuchtung auf der eonvexen Seite tier ~Niere nahe dem unteren Pole eine ca 3 cm lange Incision his in das Nierenbecken, in alas ich sofort den Zeigefinger nachschob. Ieh fiihlte in demselben ohne weiteres den glatten Stein~ der sigh vor der Fingerkuppe in dem erweiterten [Nieren- beeken naeh oben versehob. Ich extrahirte ihn leieht mit einer ein- geftihrten Zange.

Eine Naht tier ~ierenwunde machte ich nieht, sondern beschri~nkte reich darauf, die aussere Wunde mit steriler Gaze zu tamponiren. Der Verlauf war in jeder Hinsieht giinstig. Bis zum 4. Tage bestand ein jedoch tiiglich abnehmender Blutgehalt des Urius. Die Menge desselben betrug schon am Tage nach der Operation fiber 1 Liter. Aus der Wunde floss iiberhaupt kein Urin heraus. Am 24. Nov. verkleinerte ieh die Wunde durch 2 Seeund~trni~hte. An diesem Tage enthielt tier Urin noeh reiehlieh Eiterkiirperehen. Am 28. Nov. war derselbe vSllig frei yon Eiweiss, und Pat. verliess bereits far kurze Zeit das Bett. Von den alten Sehmerzen ist e r seit der Operation ganzlich befreit.

Der Stein ist li~nglich, platt oval und misst in seinen Durchmessern 21/% 13/4 und 1 cm~ Gewieht 8g. Die chemische Untersuchung~ die

VII. KMnere Mittheilungen. 197

Herr Oberapotheker Naumann vom alten allg. Krankenhause auszuftlhren die grosse Gtite hatte, er/ab~ dass die ausgesehabten Partien (der Stein wurde bei der Untersuchung' nicht ganz zerstSrt) aus kohlensaurem Kalk bestanden mit Beimengung yon oxalsaurem Kalk und yon tIarns~ture.

Die Oberfl~iche des Steines~ dessen RSntgenbild naeh der tteraus- nahme in dem beifolgenden Abdruek wiedergegeben ist, hatte eine glatte, mit eingetroeknetem Blut bedeekte Oberfl~tche.

Die drei fl'tiher dem Patienten abgegangenen Stein- chen, die derselbe uns tibergeben hatte, wurden gieich- falls untersueht. Sie bestanden aus harnsaurem Ammoniak.

Das Interesse des Falles liegt in der Genauigkeit des P~6ntgenbildes, d'~s der iln K6rper sitzende Stein bei seiner Durehleuchtung lieferte. Wie zuverlSssig dasselbe war, gebt aus dem Ablanf der Operation hervor. Naeh Freilegung tier Niere getang es dem yon vorn und hinten die Niere ahtastenden Finger nieht~ den Stein zu ft~hlen. Offenbar versehob der sehr glatte und runde Stein sleh vor der Fingerspitze in dem er- weiterten Nierenbeeken. Man wiirde olme Zweifel hier alas Conerement wohl naeh der v/ilIigen Aussehfilung der Niere dutch Palpation von zwei 8eiten her gefiihlt haben. Doeh hielt ieh dies Verfahren nieht ftir an- gebraeht~ um die Niere nieht zu gefS, hrden. Ieh sehnitt vielmehr im Vertrauen auf die Durehleuehtung direct, d. b. yon dem eonvexen Rande her bis in das erweiterte Nierenbeeken. Ieh maehte die Incision in die Niere nieht gr~isser 7 als gerade nOthig war~ um den Finger einzuftihren und die Extraction vorzunehmen. Das ist jedenfalls aueh sehon ein wesentlieher Vortheil~ den die RiJntgenstrahlen im einzelnen F:flle ge- wghren~ dass wir niimlieh den ,Seetionsselmitt" da~ we wir den Stein uns vorher dureh die X-Strahlen ansiehtig gemaeht haben, vollkommen entbehren kSnnen, ja dass wit aueh auf die Ausl/3sung der Niere ganz verziehten d~irfen.

W~ihrend man bis vet kurzem noeh glaubte~ dass nur Oxalsiture- steine dureh X-Strahlen gesehen werden kSnnten~ so zeigt also diese Beobaehtung einwandfrei, dass aneh der kohlensaure Kalk so undureh- litsslg t'iir sic ist, dass wir Coneremente yon demselben im KSrper sleher naehweisen kSnnen. Ob damit die Reihe der naehweisbaren Steine sehon abgeselflossen ist, wie es naeh den Prtffungen~ die yon Dr. R i n g e l unter K ii mme 1 l's Leitung im Neuen allg. Krankenhause zu Eppendorf gemaeht worden sind i)~ wabrseheinlieh ist~ bleibt abzuwarten. Durehleuehtungen yon zahlreiehen Conerementen der versehiedenartigsten Zusnmmensetzung~ wie sic auf meine Bitte sehon vor lfingerer Zeit IIerr Dr. Albers -SehSn- berg zu maehen die G~ite lmtt% selMnen m[r naelt Vergleiebung der ver- sehiedenen BiIder ztt ergeben, dass wir Tripelphosphatsteine wahrseheinlieh aueh im KSrper werden entdeeken kSnnen. Denn sic liefern ebenso seharf begrenzte Bilder~ wie Oxalsiiure und wit kohlensaure Kalksteine.

Dass in uuserem bier besehriebenen Falle das R6ntgenbild des 8teines in allen Dnrehmessern etwas grSsser ersehien~ als die wirkliehen Maasse

I) Sitzung des ~rztl[chen Vereins ztt tlamburg. Demonstration am IS. Oct. 1898. Mtlnch. med. Wochcnschr. Nr. 44. 1898. S. 1421.

198 VIII. Kleinere Mitheilungan.

sich naehher herausstellten, h~ngt mit der Entfernung zusammen~ in der der Stein im KSrper yon der Aufnahmeplatte lag.

VIII.

Aus der chirurgischen Universithts-Poliklinik der Charit~.

E i n F a l l y o n h y s t e r i s e h e r S k o l i o s e .

Yon

Oberarzt :Dr. Wegner, Assistant der Poliklinik.

Unter den ausserordentlieh mannigfaltigen Formen der hysterisehen Contracturen ist die hysterische Skoliose erst in den letzten Jahren riehtig 5tiologisch erkannt. H o f f a ftlhrt sie erst in tier 2. Auflage seines Lehrbuehes fiber orthopadische Chirurgie mit auf. Bisher ist es fast ausschliesslich die franz~sische Litteratur gewesen~ die siah mit diesem Gegenstand besch~ftigt hat. H a l l i on 1) ftlhrt zuerst bet der Besahrei- bung der neuropathisehen Verkrfimmungen der Wirbelsaule die Hysteric als Ursache ftlr eine durch Contractur bedingte Skoliose an und bemerkt dabei~ dass frtihere Beobachtungen yon L a n d r y ~ G r a n a h e r , Dure t~ Hirt~ die allgemein eine Neurose als Aetiologie angeben, wohl dahin gehSren. Derselbe citirt einen Fall yon J a s i n s k i (ira Referat S c h m i d t ' s Jahrb. 18907 S. 227), in dem as sich bet einem jungen Mann mit eho- reatischcn Bewegungen um eine reehtsseitige cervieodorsale Skoliose durch Contractur des linken Sterno~ mit sehr starker compensatorisaher Skoliose der Lendenwirbels~,ule bandelte. Eine weitere Beobaehtung wird yon P r a v a z angaftihrt. Infolge ether Aufregung entstand eine Contrac- tur des rechten Trapezius mit reehtsseitiger Skoliose~ bet der das Sahulter- blatt mit seinem unteren Winkel auffallend stark naah aussen und hinten verzogen war. Ebenso plStzlieh~ wie sie entstanden war~ heilte die De- formitKt naah Ablanf eines Jahres.

Vie 2) ftigt diesen Fallen noah zwei eigene Beobaahtungen hinz% ferner einen von L a n d o i s und einen yon B o u r d o n . Letzterer~ bet dem die Skoliosa bet einem zum Skelett abgemagerten jungen Madehen neben starken Contracturen in den Beinen bestand~ zeiehnete siah dureh einen eelatanten Erfolg der Suggestionstherapie aus.

Mi r al 1 i d :~) betont die bTothwendigkeit~ die hysterische Skoliose~ bet tier ein sicher naebgewiesenes hysterisahes Stigma vorhanden sein muss~ von den allgemein neuropathiseben Skoliosen zu trennen. Neben seinem eigenen Fall will er nur den zweiten eigener Beobaahtung yon Vie als einwandsfrei gelten lassen.

In ether spateren Arbeit 4) yon demselben und G h a p u i s wird ein

1) Des d6viations vertSbr, neuropath. Nouv. lconographie de la Salp. T.V. 1892. 2) De la skol. hyst. Th~se de Paris. 1892, 3) Revue d'orthop6d. IS96. 4) Revue d'orthop6d. 1898. Janv.