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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2013) 107, 592—596 Online verfügbar unter www.sciencedirect.com ScienceDirect journal homepage: http://journals.elsevier.de/zefq SCHWERPUNKT Overviews — Status Quo, Potentiale und Ausblick Overviews — status quo, potentials and perspectives Dawid Pieper 1,, Roland Brian Büchter 2 , Sunya-Lee Antoine 1 , Michaela Eikermann 1 1 Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Fakultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke, Campus Köln 2 Faculty of Medical and Human Sciences, University of Manchester Eingegangen/submitted 15. August 2013; überarbeitet/revised 21. Oktober 2013; akzeptiert/accepted 22. Oktober 2013 SCHLÜSSELWÖRTER evidenzbasierte Medizin; Meta-Analyse; Übersichtsarbeit; Forschungsdesign; Publikationstyp Zusammenfassung Neben systematischen Reviews entwickelt sich mit Overviews, die Ergeb- nisse auf Basis von SR zusammenfassen, ein neuer Typ der Evidenzsynthese. Bei steigenden Publikationszahlen können Overviews mehrere potentielle Vorzüge gegenüber traditionellen SRs zugeschrieben werden. Zu nennen ist hierbei insbesondere eine schnellere Erstellung, die Darstellung einer breiteren Evidenzlage insbesondere für Entscheidungsträger, neue Vergleichs- möglichkeiten (z.B. zwischen Interventionen) sowie die Analyse diskordanter SRs. Obwohl die Erstellung eines Overviews mit der eines systematischen Reviews deckungsgleich ist, müssen methodische Besonderheiten wie sich überschneidende Reviews, Bewertung der methodischen Qualität der SR oder Updaterecherchen berücksichtigt werden. Bisherige Analysen zeigen, dass hier noch viel Forschungsbedarf besteht. Um sicherzustellen, dass der neue Publikationstyp sei- nen Zweck erfüllt und einen inhaltlichen, methodischen und praktischen Fortschritt bedeutet, sind eine einheitliche Definition, methodische Forschung und Standards sowie entsprechende Richtlinien zum Berichten von Overviews erforderlich. KEYWORDS Evidence-based medicine; Summary The increase in scientific literature has led reviewers to conduct overviews, hereby creating a new publication type. Overviews of reviews may have several advantages. For exam- ple, they can be conducted in a shorter time frame, they offer the opportunity of providing decision makers with a broader summary of the evidence, allowing comparison of multiple treat- ments, and they can be helpful in investigating discordant findings from multiple systematic Korrespondenzadresse: Dawid Pieper, MPH Abteilung für evidenzbasierte Versorgungsforschung, IFOM - Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Direktor: University-Prof. Dr. Prof. h.c. Edmund A. M. Neugebauer, Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin, Universität Witten/Herdecke gGmbh, Ostmerheimer Str. 200, Haus 38, 51109 Köln. Tel.: +49 (0)221 98957-0; Fax: +49 (0)22198957-30 E-Mail: [email protected] (D. Pieper). 1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.10.024

Overviews – Status Quo, Potentiale und Ausblick

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Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

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CHWERPUNKT

verviews — Status Quo, Potentiale undusblickverviews — status quo, potentials and perspectives

awid Pieper1,∗, Roland Brian Büchter2, Sunya-Lee Antoine1,ichaela Eikermann1

Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Lehrstuhl für Chirurgische Forschung,akultät für Gesundheit, Universität Witten/Herdecke, Campus KölnFaculty of Medical and Human Sciences, University of Manchester

ingegangen/submitted 15. August 2013; überarbeitet/revised 21. Oktober 2013; akzeptiert/accepted 22. Oktober 2013

SCHLÜSSELWÖRTERevidenzbasierteMedizin;Meta-Analyse;Übersichtsarbeit;Forschungsdesign;Publikationstyp

Zusammenfassung Neben systematischen Reviews entwickelt sich mit Overviews, die Ergeb-nisse auf Basis von SR zusammenfassen, ein neuer Typ der Evidenzsynthese. Bei steigendenPublikationszahlen können Overviews mehrere potentielle Vorzüge gegenüber traditionellenSRs zugeschrieben werden. Zu nennen ist hierbei insbesondere eine schnellere Erstellung, dieDarstellung einer breiteren Evidenzlage insbesondere für Entscheidungsträger, neue Vergleichs-möglichkeiten (z.B. zwischen Interventionen) sowie die Analyse diskordanter SRs. Obwohl dieErstellung eines Overviews mit der eines systematischen Reviews deckungsgleich ist, müssenmethodische Besonderheiten wie sich überschneidende Reviews, Bewertung der methodischenQualität der SR oder Updaterecherchen berücksichtigt werden. Bisherige Analysen zeigen, dasshier noch viel Forschungsbedarf besteht. Um sicherzustellen, dass der neue Publikationstyp sei-nen Zweck erfüllt und einen inhaltlichen, methodischen und praktischen Fortschritt bedeutet,sind eine einheitliche Definition, methodische Forschung und Standards sowie entsprechendeRichtlinien zum Berichten von Overviews erforderlich.

Summary The increase in scientific literature has led reviewers to conduct overviews, hereby

creating a new publication type. Overviews of reviews may have several advantages. For exam- KEYWORDS

Evidence-basedmedicine;

ple, they can be conducted in a shorter time frame, they offer the opportunity of providingdecision makers with a broader summary of the evidence, allowing comparison of multiple treat-ments, and they can be helpful in investigating discordant findings from multiple systematic

∗ Korrespondenzadresse: Dawid Pieper, MPH Abteilung für evidenzbasierte Versorgungsforschung, IFOM - Institut für Forschung in derOperativen Medizin, Direktor: University-Prof. Dr. Prof. h.c. Edmund A. M. Neugebauer, Lehrstuhl für Chirurgische Forschung, Fakultätfür Gesundheit, Department für Humanmedizin, Universität Witten/Herdecke gGmbh, Ostmerheimer Str. 200, Haus 38, 51109 Köln.Tel.: +49 (0)221 98957-0; Fax: +49 (0)22198957-30E-Mail: [email protected] (D. Pieper).

865-9217/$ – see front matterttp://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2013.10.024

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Overviews — Status Quo, Potentiale und Ausblick 593

meta-analysis;review;research design;publication formats

reviews. However, there are some specific characteristics concerning methodology in conductingoverviews. Questions that arise are how to deal with overlapping reviews, how the quality ofthe included reviews should be assessed, how discordant results should be dealt with, whetherand how additional searches for current primary studies should be conducted. Overviews ofreviews often lack methodological rigour. Methodological standards and reporting guidelines

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Einleitung

Systematische Reviews (SRs) stellen den Eckpfeiler derevidenzbasierten Medizin (EbM) dar [1] und leisten einenwesentlichen Beitrag zu einer besseren Gesundheitsver-sorgung. Allein in der Datenbank Medline werden täglichelf SRs und 75 Trials veröffentlicht [2]. Es darf davonausgegangen werden, dass diese Zahlen noch weiter anstei-gen werden, wenn sich der aktuelle Trend der steigendenPublikationszahlen weiterhin fortsetzt. Die große Menge anLiteratur ist selbst im eigenen Forschungsgebiet häufig kaumnoch überschaubar. Dies gilt für Wissenschaftler, Praktiker,aber ebenso für Entscheidungsträger im Gesundheitswe-sen.

Dies ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass sich inden letzten Jahren ein neuer Publikationstyp herausgebil-det hat, der versucht, dem oben geschilderten Problemzu begegnen. Wie Primärstudien in SRs zusammengefasstwerden, lassen sich auch Reviews systematisch zusammen-fassen und aufarbeiten. Es hat sich bislang kein einheitlicherName für diese neue Form der Evidenzsynthese heraus-gebildet. In Anlehnung an die Cochrane Collaborationverwenden wir den Begriff Overview. Andere geläufige Syn-onyme sind review of reviews, umbrella review oder metareview.

Der vorliegende Diskussionsbeitrag gibt einen Überblicküber diesen neuen Publikationstyp, indem insbesondereseine potentiellen Vorzüge als auch Nachteile dargestelltwerden. Die Basis hierzu sind eigene von den Autoren durch-geführte Arbeiten, deren Inhalte auf den EbM-Kongressen2012 und 2013 in ähnlicher Form vorgestellt wordensind.

Potential von Overviews

Ein Hauptanliegen von Overviews ist es, Klinikern und Ent-scheidungsträgern zu ermöglichen, mit der wachsenden Zahlan Studien Schritt zu halten. Die neue Publikationsform hatjedoch noch eine Reihe von anderen Vorteilen: Gründenfür Diskordanz zwischen unterschiedlichen systematischenReviews zur gleichen Fragestellung auf den Grund zu gehen;Nutzern ermöglichen, ihre Entscheidungen bzgl. Popula-tion, Intervention, Endpunkte und Setting auf die für sieam ehesten übertragbare Evidenz zu gründen; und indi-rekte Vergleiche zwischen unterschiedlichen Interventionenzu ermöglichen (wenngleich dies besondere methodischeHerausforderungen mit sich bringt) für die es keine direkt

vergleichenden Studien gibt. Ferner ist zu erwarten, dassdurch den Overview Ansatz in kürzerer Zeit mehr Fragenbeantwortet werden können als durch herkömmliche SRs aufBasis von Primärliteratur.

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rove the quality of this new publication type.

islang bleiben Overviews hinter ihremotential zurück

iner Auswertung der methodischen Charakteristika vonverviews aus dem Jahr 2011 zufolge schöpfen viele Autorenon Overviews das Potential dieser Publikationsform bislangicht aus [3]. So zeigte sich, dass methodische Entschei-ungen — etwa die Auswahl der Literaturdatenbanken —ur selten begründet wurden, ein gutes Drittel der Arbeiteneine methodische Bewertung der eingeschlossenen Reviewsornahm und gerade einmal 5% der Arbeiten eine Nach-echerche nach Primärstudien durchführte. Ebenso wenigerbeiten berichteten von methodischen Strategien zummgang mit diskordanten SRs. Im Median wurden pro Over-iew 16 SRs eingeschlossen. Eine weitere methodischerbeit zur Berichtsqualität von Overviews kommt zu nochrnüchternderen Ergebnissen: In 39% wurden Suchzeiträumend Datenbanken nicht berichtet, in lediglich 39% wurdeie Literaturauswahl durch zwei Autoren durchgeführt, dieethoden der Datenextraktion wurden in 40% der Arbeitenicht berichtet, Qualitätsbewertungen wurden in nur 37%er Arbeiten durchgeführt [4].

eine einheitliche Definition

ie Tatsache, dass die Potentiale von Overviews bislang nichtusgeschöpft werden, mag nicht überraschend sein: Der-eit liegt noch keine allgemeingültige Definition für dieseneuen Publikationstyp vor. Unserem Verständnis nach ist einverview eine Synthese von Reviews, die über eine syste-atische Literaturrecherche identifiziert werden. Analog zu

Rs lässt sich auch von systematischen Overviews sprechen,enn die Autoren die eingeschlossene Literatur hinsichtlich

hrer methodischen Qualität bewerten. In unserer erstenrbeit zum Umgang mit Overviews definierten wir ferner,ass die im Overview eingeschlossenen Reviews alle zumelben oder einem ähnlichen Thema und/oder einer ähnli-hen Intervention veröffentlicht wurden [3]. Diese Definitioncheint jedoch nicht stringent genug zu sein und lässt sichchwer operationalisieren. Durch sie werden unter anderemein methodische Arbeiten, die z.B. die Qualität von Reviewsn einem bestimmten Bereich behandeln sowie andere irre-evante Treffer, ausgeschlossen [5].

angelnde Transparenz bei HTA-Agenturen

ie Cochrane Collaboration widmet Overviews in der aktuel-

en Version des Cochrane Handbooks ein eigenes Kapitel [6].er Fokus liegt hier auf Fragestellungen zur Effektivität von

nterventionen zu gesundheitlichen Fragestellungen. Hier-ei können mehrere Fragestellungen unterschieden werden,

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594 D. Pieper et al.

Tabelle 1 Ziel und Eignung für Cochrane Overviews.

Ziel Eignung für Cochrane Overview

Vergleich von verschiedenen Interventionen möglicherweise/jaVergleich von verschiedenen Outcomes gelegentlich/seltenVergleich von verschiedenen Populationen gelegentlich/seltenEvidenzsynthese zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen seltenGlobaler Überblick über Thema, einschließlich bisher in SR nicht berücksichtigter Studien nein

Quelle: nach Becker LA, Oxman AD. Overviews of Reviews. Cochrane Handbook for Systematic Reviews of Interventions: John Wiley &

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ie im Rahmen eines Cochrane Overviews beantwortet wer-en sollen (siehe Tabelle 1). Die ,,Fragestellung/Intention‘‘,inen globalen Überblick über ein Thema zu geben und dabeiisher in SRs nicht berücksichtigte Studien einzuschließen,st prinzipiell begrüßenswert, für die Cochrane Collaborationedoch von geringerer Relevanz, da Cochrane Reviews ohne-in in regelmäßigen Abständen aktualisiert werden (sollten).

Neben der Cochrane Collaboration bedienen sich mittler-eile auch viele HTA-Agenturen des neuen Publikationstyps.

eilweise sind bereits Informationen zur Erstellung vonverviews in Methodenhandbüchern einiger HTA-Agenturen

estgehalten worden. Insbesondere deutschsprachige Agen-uren halten hier bereits Informationen vor. Das Ludwigoltzmann Institut in Österreich schreibt die Erstellungines Overviews im Rahmen eines Rapid Assessments vor,ofern bereits Reviews zu der interessierenden Fragestel-ung vorhanden sind. Overviews im Rahmen eines sog.apid Assessment lassen sich darüber hinaus in meh-eren HTA-Agenturen finden, wobei der Begriff Rapidssessment ebenfalls nicht einheitlich definiert ist. Das

nstitut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheits-esen (IQWiG) bietet in seinen ,,Allgemeinen Methoden.0‘‘ (vom 23.09.2011) Hinweise zur Erstellung von Over-iews. Demnach ist eine Evidenzsynthese auf Basis von SRsur akzeptabel, sofern die im Overview eingeschlossenenRs eine ausreichende methodische Qualität aufweisen. Soerden bei Anwendung des Overview Quality Assessmentuestionnaire (OQAQ) nur diejenigen SRs als ausreichendezeichnet, die mit mindestens fünf von sieben Punktenewertet werden. Das IQWiG hat bereits mehrere Berichteeröffentlicht, die auf Basis von SR erstellt wurden (mehrereerichte zu PET bzw. PET/CT).

In einigen HTA-Agenturen, die Overviews veröffentli-hen, ist die methodische Basis hierfür bislang intranspa-ent, da sich keine entsprechenden Einträge in den Manualennden lassen (falls existierend). Zu nennen sind hier insbe-ondere die HTA-Agenturen ASERNIP-S (Australian Safety andfficacy Register of New Interventional Procedures — Surgi-al), CADTH (Canadian Agency for Drugs and Technologiesn Health), VATAP (Veteran Affairs Technology Assessmentrogram) und MSAC (Medical Services Advisory Committee),elches ebenfalls mehrere Overviews zur PET bzw. PET/CTrstellt hat. Das DIMDI hat ebenfalls HTA-Berichte veröffent-icht, die der Overview Methodik folgen. Hierbei ist jedoch

m Gegensatz zu den zuvor genannten HTA-Agenturen, beienen ohne vorliegendes Methodenmanual die Berichteennoch einer einheitlichen Methodik folgen, kein einheitli-hes methodisches Vorgehen festzustellen. Dies ist insofern

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in wenig erstaunlich, als dass bereits im Jahre 2003 ein‘Methodenmanual für HTA-Schnellverfahren’’ in der Schrif-enreihe des DIMDI erschienen ist, jedoch nicht festen Einzugn die DIMDI HTA-Berichtserstellung gefunden hat.

rstellung von Overviews

m Allgemeinen folgt die Erstellung eines Overviews densel-en Schritten, wie die Erstellung eines SRs. Nichtsdestotrotzind bei der Erstellung von Overviews besondere Aspekte underausforderungen zu berücksichtigen.

ystematische Literaturrecherche

ie systematische Literaturrecherche folgt den gleichenrinzipien. Suchfilter für SRs erweisen sich hierbei als hilf-eich und können vergleichbar zu etablierten Suchfilternür randomisierte kontrollierte Studien eingesetzt werden.ies ist ein erheblicher Vorteil, denn für viele Studientypenz.B. Kohortenstudien oder Fall-Kontroll-Studien) existierenoch keine etablierten und validierten Suchfilter. Der Einsatzon Suchfiltern für SRs limitiert die Trefferanzahl erheblich.nsgesamt sind weniger Treffer zu screenen als bei eineruche nach Primärstudien, woraus für den Screening- undelektionsprozess sehr wahrscheinlich von einer Zeiterspar-is ausgegangen werden kann.

ualitätsbewertung der eingeschlossenen SR

bwohl es viele Instrumente gibt, mit denen die methodi-che Qualität von SRs bewertet werden kann, haben sichnsbesondere der OQAQ und das ,,assessment of multipleystematic reviews‘‘ (AMSTAR) Tool etabliert, wobei daraufinzuweisen ist, dass AMSTAR u.a. auf Basis des OQAQ erar-eitet und validiert worden ist. Bei der Anwendung vonMSTAR im Rahmen von Overviews stellen sich einige Fra-en, die bislang noch nicht beantwortet worden sind. Sost AMSTAR ursprünglich für SRs von RCTs entwickelt wor-en. Es ist bislang nicht untersucht worden, in wie fern sichMSTAR auch für SRs von nicht-RCTs eignet. Momentan sindie Entwickler von AMSTAR jedoch dabei, dieser Frage nach-ugehen und ggf. eine entsprechende Adaption des Tools zu

ntwickeln. Im Rahmen von Overviews kann es auch pas-ieren, dass SRs identifiziert werden, die sowohl RCTs alsuch nicht-RCTs einschließen. Dieser Fall sollte bereits beier Definition der Einschlusskriterien berücksichtigt werden.
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Overviews — Status Quo, Potentiale und Ausblick

Abgesehen von der Bewertung der SRs, sollte auch dieBewertung der Primärpublikationen in den eingeschlossenenSRs bedacht werden. Als Ersteller eines Overviews wird mansich hier auf die Einschätzung in den SRs ,,verlassen‘‘ müssen.Die Studienbewertung bleibt jedoch bis zu einem gewissenGrad subjektiv. Selbst einem relativ etabliertem Tool wiedem Risk of Bias Tool der Cochrane Collaboration ist zuletzteine relativ geringe Reliabilität bescheinigt worden [7].

Evidenzsynthese

Ferner stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Wahldes Bewertungstools einen Einfluss auf das Ergebnis derEvidenzsynthese haben kann. Diese Frage ist in der EbM-Szene bislang relativ unbeachtet geblieben. Dies mag beiOverviews als einem relativ jungen Publikationstyp weni-ger verwundern als es das im Bereich der ,,traditionellen‘‘SRs auf Basis von Primärstudien der Fall ist. Unseres Wissensliegt zu der Fragestellung, ob die Wahl des Bewertungstoolseinen Einfluss auf die Evidenzsynthese hat, nur eine einzigeStudie vor, die dies im Public Health Kontext beleuch-tet und hier Unterschiede festgestellt hat, wenn auch inkeinem gravierenden Maße [8]. Die Evidenzsynthese stelltzudem weitere Herausforderungen an potentielle Erstel-ler von Overviews. In der Regel wird es nicht möglichsein all die vorhandene Evidenz ,,summativ‘‘ zusammen-zufassen, wie es bei SRs der Fall ist. Bei der Erstellungvon Overviews ist man mit dem Problem konfrontiert, dasssich die Studienpools der eingeschlossenen SRs überlappenkönnen, wie kürzlich eine im BMJ veröffentliche Analyseeindrucksvoll gezeigt hat [9]. Eine rein summative Zusam-menfassung der Ergebnisse ist daher nicht möglich. Dieswird insbesondere bei dem Versuch einer Meta-Analysedeutlich. Auch wenn es theoretisch denkbar wäre, Ergeb-nisse aus Meta-Analysen in einer sog. Meta-Meta-Analysezu poolen, würde dies im Falle von Überschneidungen dieEffektschätzer verzerren. Gleichwohl sind bereits Metho-den für das Poolen von Meta-Analysen entwickelt worden[10]. Das dort angewandte Beispiel enthielt jedoch keiner-lei Überschneidungen, weshalb es für die Praxis von geringerRelevanz bleiben dürfte. In einer eigenen Analyse fandenwir heraus, dass von 60 analysierten systematischen Over-views alle das Problem der Überschneidungen aufwiesen.Im Median waren 25% der Primärpublikationen in mehr alseinem Review eingeschlossen. Dieser Umstand ist von denAutoren der jeweiligen Overviews bei der Evidenzsynthesejedoch oftmals nicht berücksichtigt worden, was daran lie-gen mag, dass das methodische Instrumentarium hierfürnoch nicht sehr weit entwickelt ist. Eine einfache gra-phische Darstellung wäre beispielsweise eine Kreuztabellemit eingeschlossenen Reviews als Spalten und Primärpub-likation als Zeilen. Ist eine Primärpublikation in einemReview eingeschlossen, wird das jeweilige Feld der dazu-gehörigen Zeile und Spalte markiert. So lässt sich für denLeser relativ leicht nachvollziehen, welche Primärpubli-kation wie häufig und in welchen Reviews eingeschlossenworden ist. In Abhängigkeit der Anzahl der eingeschlossenen

Primärpublikationen kann die Anzahl der Zeilen jedoch sehrlang und damit unüberschaubar werden. Entsprechende Dar-stellungen benötigen dann entweder mehrere Seiten oderdie einzelnen Primärstudien sind kaum zu identifizieren,

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595

eshalb diese Darstellungsweise für HTA-Berichte (i.d.R.enige oder keine Platzbeschränkungen) eher geeignet seinag als für Publikationen in Fachzeitschriften. Wünschens-ert erscheint daher die Berechnung einer Maßzahl, diels Gradmesser für den Überschneidungsgrad dienen kann.olch eine auf einer Kreuztabelle basierende Maßzahl istürzlich entwickelt und validiert worden [11].

ich überschneidende SR

lle bisherigen Darstellungen haben jedoch ein Problememeinsam. Die Analysen der Überschneidungen beruhenuf den Angaben der Autoren in den Reviews. Nicht inllen Reviews lassen sich die eingeschlossenen Primärpubli-ationen ohne weiteres identifizieren. Es erscheint daherberlegenswert, solche Reviews aus der Evidenzsyntheseuszuschließen. Ganz bewusst war bisher immer von Pri-ärpublikationen anstatt von Primärstudien die Rede —enn eine Primärstudie kann in mehreren Publikationenünden. Dies stellt bei der Analyse der Überschneidun-

en ein Problem dar. Eine Überschneidung liegt vor, wennn zwei oder mehreren Reviews dieselbe Referenz ange-eben wird. Es ist jedoch möglich, dass bei Vorliegen vonehreren Publikationen aus einer Studie die Reviewauto-

en unterschiedliche Primärpublikationen zitieren, obgleichie dieselben Daten berichten. Dieses Problem ist de factoicht lösbar, sofern man nicht die Analyse auf Ebene derrimärpublikationen fortführen möchte, was extrem zeit-ufwendig wäre. Das hier beschriebene Problem kann jedochuch umgekehrt auftauchen. So können aus einer Primär-ublikation unterschiedliche Outcomes in unterschiedlicheneviews berichtet werden. In diesem Fall würde man fälsch-icherweise von einer Überschneidung ausgehen, obwohleweils unterschiedliche Daten verwendet worden sind. Imahmen eines Cochrane Overviews, der es sich zum Zielesetzt hat mehrere SRs zu einer Interventionen hinsicht-ich unterschiedlicher Outcomes zu vergleichen, ist dies einicht ganz unwahrscheinliches Szenario.

iskordante Ergebnisse der SR

s sind mehrere Beispiele bekannt, in denen SRs zur gleichenragestellung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Estellt sich also die Frage, wie bei der Erstellung eines Over-iews mit diskordanten SR umzugehen ist. Um die Ursachenür diskordante Ergebnisse aufzuspüren, ist ein Algorithmusntwickelt worden [12], welcher im Rahmen von Overviewsislang noch nicht erprobt worden ist.

pdaterecherchen

in Problem von SRs ist deren Aktualität. Sie wird zunächsterzögert durch die Zeitspanne zwischen letzter erfolgteriteraturrecherche und dem Publikationsdatum. Im weite-en Verlauf können neue Studien hinzukommen, welche diektualität eines SR beeinträchtigen können. Von entschei-

ender Bedeutung ist bei all dem die Frage, ob sich durchie neu publizierten Studien auch die Schlussfolgerung deseviews ändert. Es hat sich gezeigt, dass dies nach 5,5 Jah-en in der Hälfte der SRs der Fall ist, wobei das Ergebnis
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uch vom konkreten Forschungsgegenstand abhängt [13].ine Möglichkeit, dem im Rahmen von Overviews entge-enzuwirken, wäre das Durchführen von Nachrecherchenach Primärpublikationen. Streng genommen handelt es sichabei um ein Update der eingeschlossenen Reviews. Es lie-en bereits Methoden vor, um Reviews zu aktualisieren unden Bedarf für eine Aktualisierung zu ermitteln [14,15]. Jeach Fokus des Overviews kann es somit erforderlich sein,inzelne Reviews mit einer Nachrecherche zu aktualisierennd andere nicht. Entscheidend hierfür sollten nicht die ein-elnen Reviews, sondern die gesamte Evidenz sein. So wäres denkbar, dass in einem Overview der beispielsweise aufen Vergleich von unterschiedlichen Outcomes für die glei-he Population und Intervention abzielt, nur für eines vonnsgesamt drei betrachteten Outcomes ein Bedarf für einektualisierungsrecherche besteht. In diesem Fall würde manachrecherchen für dieses Outcome, aber nicht für die rest-

ichen zwei Outcomes durchführen.

usblick/Schlussfolgerung

verviews haben das Potential, klinischen und politischenntscheidungsträgern sowie anderen Nutzern von Evidenz-uellen eine Übersicht über den Stand des aktuellen Wissensu (mehr oder weniger spezifischen) gesundheitlichen Fra-enstellungen oder Themen zu geben, die Qualität derugrundeliegenden Evidenz zu bewerten und die Übertrag-arkeit auf spezifische Kontexte einzuschätzen. Bisherigeverviews bleiben jedoch hinter diesen Erwartungen zurück.m sicherzustellen, dass der neue Publikationstyp sei-en Zweck erfüllt und einen inhaltlichen, methodischennd praktischen Fortschritt bedeutet, sind eine einheitli-he Definition, methodische Forschung und Standards sowientsprechende Richtlinien zum Berichten von Overviewsrforderlich. Gleichzeitig ist es evident, dass Overviewsmso nützlicher werden, je höher die methodische Quali-ät der zugrundeliegenden SRs ist. Hierbei ist ggf. auch dierage zu diskutieren in welcher Detailtiefe SRs zu berichtenind, um eine möglichst optimale Verwendung für Overviewsicherzustellen.

nteressenskonflikte

ie Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte vorlie-en.

örderung

eine Förderung

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D. Pieper et al.

iteratur

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