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Paul Schreckenbach Der deutsche Herzog E RSTES BUCH I. Auf einem Sturzacker nahe bei der kleinen Stadt Lüt- zen hielt ein Reiter und blickte unverwandt hinüber nach der Richtung, wo sich, wie man ihm berichtet hatte, die Heerstraße hinzog, die nach Leipzig führte. Schwarz war sein Roß, und seine schlanke, geschmei- dige Gestalt steckte vom Kopf bis zu den Knien in ei- nem Harnisch von derselben Farbe. Alles an ihm war wohlgepanzert und verwahrt, wie es einem Krieger ge- ziemt, der zum Kampfe auszieht. Nur das Antlitz war unverhüllt – ein feines, etwas bleiches Antlitz mit leicht gebogener Nase, dunkelblondem Schnurr- und Kne- belbart und zwei so eigentümlich glänzenden, durch- dringend blickenden Augen, wie sie nur selten einmal die Natur einem Menschen verleiht. Aber dem dich- ten, weißen Novembernebel gegenüber, der das weite Blachfeld bedeckte, waren auch diese falkenscharfen Augen machtlos, und der Reiter konnte, so sehr er sich anstrengte, auch nicht einen Stein von der Straße er- spähen, die wohl nicht weiter als zweihundert Ellen vor ihm sich dehnte.

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  • Paul SchreckenbachDer deutsche Herzog

    ERSTES BUCH

    I.

    Auf einem Sturzacker nahe bei der kleinen Stadt Lüt-zen hielt ein Reiter und blickte unverwandt hinübernach der Richtung, wo sich, wie man ihm berichtethatte, die Heerstraße hinzog, die nach Leipzig führte.Schwarz war sein Roß, und seine schlanke, geschmei-dige Gestalt steckte vom Kopf bis zu den Knien in ei-nem Harnisch von derselben Farbe. Alles an ihm warwohlgepanzert und verwahrt, wie es einem Krieger ge-ziemt, der zum Kampfe auszieht. Nur das Antlitz warunverhüllt – ein feines, etwas bleiches Antlitz mit leichtgebogener Nase, dunkelblondem Schnurr- und Kne-belbart und zwei so eigentümlich glänzenden, durch-dringend blickenden Augen, wie sie nur selten einmaldie Natur einem Menschen verleiht. Aber dem dich-ten, weißen Novembernebel gegenüber, der das weiteBlachfeld bedeckte, waren auch diese falkenscharfenAugen machtlos, und der Reiter konnte, so sehr er sichanstrengte, auch nicht einen Stein von der Straße er-spähen, die wohl nicht weiter als zweihundert Ellenvor ihm sich dehnte.

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    »Verwünscht!« murmelte er endlich. »Es ist wie ver-hext. Der Starrschedel kommt auch nicht wieder! Manhört nichts, man sieht nichts. Werde noch ein Stückvorwärts reiten!«

    Der hagere Mann in halb bäuerlicher, halb geistli-cher Tracht, der neben ihm stand, zuckte zusammen.»Um Gotteswillen, gnädiger Herr! Keinen Schritt mehrvorwärts! Hört Ihr die Turmuhr von Lützen? Es schlägtacht. Man sollt’s nicht denken, weil es noch so dun-kel ist. Aber horch! Der Schall ist deutlich. Wir sindganz nahe an der Stadt, und die ist von oben bis un-ten voll von Friedländischem Volke. Brechen sie her-aus, dann Gnade uns Gott! Wer weiß, ob Euch die dortheraushauen könnten!« Er wies auf einen Reitertrupp,der nur dreißig Schritte hinter den beiden hielt, aberim Nebel kaum zu erkennen war. Über das Gesicht desKriegsmannes huschte ein Lächeln. »Nun, mich und dieMeinen brächten wohl die Beine unserer Pferde raschin Sicherheit,« erwiderte er heiter. »Aber du, Schulmei-ster, wärest trotz deiner langen Stelzen in einer üblenLage.«

    »Ach Herr,« versetzte der Lange ernst und bedächtig,»um mich ist mir’s nicht. Ich spreche mit Jakob: Wenigund böse war die Zeit meines Lebens, und mit Salo-mo: Alles ist eitel. Was ich von der Welt gesehen habe«– er spuckte heftig nach der andern Seite aus – »allesJammer und Schande und Kreuz und Elend, Herr! Je-den Tag will ich fort, wenn mich der Herr ruft, jeden

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    Tag! Und könnte wohl der alte Schulmeister von Meu-chen besser und anständiger von der Welt kommen, alswenn ihn eine Kugel träfe bei einem Kundschafterdien-ste, den er dem Herzog Bernhard von Weimar leistet?«

    Der Reiter warf verwundert den Kopf herum. »Woherweißt du, daß ich’s bin?«

    »Es hat mir einer von der grünen Brigade, der bei mirlag, gestern abend alle die großen Herren gezeigt, diebeim Könige waren. Ich hab’ Euch nur von ferne gese-hen, Herr, aber ich hab’ Euch gleich wieder erkannt anEurem schwarzen Panzer und dem roten Helmbusche.«

    »Es schadet auch nichts, wenn du’s weißt,« erwiderteder Herzog ruhig. »Aber sage mir, Alter, was ist das miteinem Male für ein Geruch? Das riecht wie ein Haus-brand.«

    Der Schulmeister witterte und schnoberte in den Ne-bel hinein. »Ihr habt recht, gnädiger Herr,« sagte er,»das ist ein Brand und kein kleiner. Das mußte ja sokommen. Wo die Wallensteiner sind, die Hunde, dagibt’s Mord und Brand!«

    Der Herzog wollte eben den Mund zu einer Erwi-derung öffnen, als unweit vor ihm mehrere Schüsseaufblitzten. Wie schwache rote Punkte zeichnete sichder Feuerstrahl aus den Musketen im Nebel ab, undder Schall klang, als wenn einer mit der flachen Handauf hartes Leder aufschlägt. Zugleich jagten vier Rosseheran. Eines war ledig und brach zur Seite aus, auf denandern saßen schwedische Reiter.

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    »Retirieren, fürstliche Gnaden!« schrie der Rittmei-ster Starrschedel. »Da vorn steht alles voll von Mus-ketieren, und meinen Reitknecht haben sie durch denKopf geschossen!«

    Der Herzog wandte sein Roß. »Der erste Tote an die-sem Tage! Es werden ihm noch viele folgen!« murmel-te er und setzte laut die Frage hinzu: »Nur Musketiere?Kein berittenes Volk?«

    »Ich habe keines gesehen.«»Dann können wir gemächlich reiten. Sie werden

    uns schwerlich verfolgen bei dem Nebel. Nicht schnel-ler, als der da laufen kann! Geht Not an den Mann, sonehmen wir dich aufs Pferd, Schulmeister. Und nun,was habt Ihr erkundet, Starrschedel?«

    »Fürstliche Gnaden, da vorn hinter der Straße setzensie Batterien fest. Es mochten wohl so zehn bis zwölfschwere Kanonen sein, und links und rechts werfen dieMusketiere Gräben aus zu ihrem Schutze.«

    »Ah!« rief der Herzog, und ein Blitz fuhr über seinAntlitz hin. »So haben wir ihn also wirklich fest ge-macht, den alten Wolf! Endlich will er sich zum Kamp-fe stellen.«

    Der Rittmeister rapportierte weiter in seinem hartenDeutsch: »Auch schien mir, als ob Lützen brenne. Zusehen war wenig, aber man roch den Qualm, und mirwar’s, als hörte ich das Feuer knattern.«

    In des Herzogs Antlitz erschien ein harter Zug. »Dasdünkt mich glaublich,« sagte er. »Der Friedländer wird

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    die Stadt in Brand gesteckt haben. Sie deckt ihm dann,kommt es zur Schlacht, die rechte Flanke.«

    »Und was schiert den Erzschelm das Ketzernest!«knurrte der Schwede grimmig.

    »Sagt lieber: Was schiert den Tschechen die deutscheStadt! Denn Ketzer oder nicht – pah – was kümmertdas den Wallenstein! Er selbst glaubt nicht einmal anGott, geschweige an irgendeine Lehre seiner Kirche.«

    »Herr Herzog von Weimar!« klang es da den Reiten-den aus dem Nebel entgegen und noch einmal ein dün-ner, zerflatternder Schrei: »Herr Herzog von Weimar!«

    »Hier!« rief der Fürst. »Wer ruft nach mir?«Aus dem weißen Schleiergewölk tauchte eine ju-

    gendliche Gestalt zu Pferde auf. Es war der achtzehn-jährige Nürnberger Patriziersohn August von Leubel-fing, der dem Schwedenkönig aus seiner Vaterstadt insFeld gefolgt war und seit etwa einem Jahre die blauund gelbe Tracht der königlichen Aufwärter trug. DerJüngling keuchte von dem scharfen Ritte, und seinerunden Wangen glänzten dunkelrot.

    »Die Majestät sucht Eure fürstlichen Gnaden,« mel-dete er mit fliegendem Atem. »Es sind Boten aus-geschickt nach allen Seiten. Die Majestät hat einesehr importante Zeitung erhalten, es kommt sicher zurSchlacht.«

    »Gut. Wir wollen eilen,« gab der Herzog zur Antwortund spornte sein Roß, aber der Page erkühnte sich, sei-ne Hand in die Zügel zu legen. »Fürstliche Gnaden,«

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    bat er in flehendem Ton, »vergönnt mir eine kurze Bit-te!«

    »Was willst du?« fragte Bernhard verwundert. Er sahmit Befremden, daß der Junge am ganzen Leibe zit-terte und daß in seinen sonst so lustigen Augen dickeTränen standen.

    »Fürstliche Gnaden, redet dem Könige zu, daß erden Panzer anlegt. Er weist ihn zurück, will nur denElenkoller, hört auf niemandes Rat. Ach, wäre die Köni-gin da, auf die hörte er gewiß! Vielleicht aber nimmt erauch von Euch einen Rat an. Wenn ihm ein Unglück zu-stieße« – – er brach ab und wischte sich mit zitternderHand die Tränen vom Gesicht, die ihm jetzt in schwe-ren Tropfen aus den Augen rollten, und mühsam seinSchluchzen hinabwürgend, stammelte er: »Die Maje-stät ist so seltsam, o so seltsam!«

    Der Herzog sah ihn an und nickte. Ja, seltsam warauch ihm der König in den letzten Wochen erschie-nen, wunderlich verwandelt gegen früher. Seine heite-re, gleichmäßige Ruhe, sein überlegener Humor schie-nen ihn ganz verlassen zu haben. Selbst er, sein ausge-sprochener Liebling unter den deutschen Fürsten, warvon ihm kurz und unfreundlich behandelt worden, alser, von seinem Siegeszuge in Süddeutschland zurück-kehrend, zu Arnstadt seine Völker mit dem königlichen

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    Heere wieder vereinigt hatte. Es war ihm fast so zumu-te gewesen, als neide ihm der König die frischen Lor-beeren, die er im Kampfe wider die kaiserlichen Ge-nerale gepflückt hatte. Allerdings war der Hochherzigeseitdem bemüht gewesen, ihn die Kränkung vergessenzu machen, aber noch öfter hatte er bemerken müs-sen, daß Gustav Adolf aus geringen Anlässen die Herr-schaft über sich selbst verlor, in heftigen Zorn geriet,harte Scheltworte brauchte, die er sonst nie über sei-ne Lippen gehen ließ. Dann mit einem Male, seit sei-nem Einzug in Naumburg, war diese reizbare Heftig-keit von ihm gewichen und hatte einer tiefen Traurig-keit Platz gemacht. Als dort in der alten Bischofsstadtdas protestantische Volk vor ihm auf den Knien lag,seine Hände, seinen Rocksaum, seine Stiefel küßte, dahatte er zu seinem Hofprediger Fabricius gesagt: »Die-se Menschen ehren mich wie einen Gott. Ich fürchte,der Himmel wird ihnen bald offenbaren, daß ich einarmer, sterblicher Mensch bin.« Seitdem hatte ihn dieTodesahnung nicht mehr verlassen. Fast immer ritt erernst und in sich gekehrt dahin, und manchmal schienes, als wäre sein Geist dieser Welt schon fast entrückt.Redete er mit den Seinen, so sprach er meist über dasSterben und die gewisse Hoffnung auf ein ewiges Le-ben, oder über das, was geschehen sollte, wenn ihnetwa ein plötzlicher Tod ereilen würde.

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    Der Herzog hatte, das alles überdenkend, den Pagenneben sich vergessen und schrak nun aus seinen Ge-danken auf, als der junge Mensch noch einmal mit halberstickter Stimme bat: »Nicht wahr, gnädiger Herr, Ihrredet dem Könige gut zu?«

    »Gewiß. Wo ist die Majestät?«»Sie wollte in der Kirche zu Meuchen noch einmal

    das heilige Abendmahl feiern. Dazu sollten wir Euchholen.«

    »Donnerwetter!« rief der Schulmeister, der mit lan-gen Schritten die Reiter begleitete. »Wer soll da die Or-gel spielen, wenn ich nicht dort bin?«

    Der Herzog lachte. »Ja, sputen wir uns! Ohne denhier geht’s nicht!« rief er. »Nimm ihn hinter dich aufsPferd, Leubelfing! Dich und den Dürren trägt schon dasstarke Tier.«

    Er trieb sein Roß zu schnellerer Gangart an, undbald war die Reiterschar an den Feldwachen und Vor-posten vorbei an das schwedische Lager herangekom-men. Seine Zelte und Wagenreihen umspannten imweiten, halbmondförmigen Bogen das stattliche Bau-erndorf Meuchen, und auch in den Straßen und Gär-ten, den Häusern und Scheunen hatten die Soldatengenächtigt. Der Herzog selbst hatte hier mit dem Kö-nige die Nacht in einer Kutsche sitzend unter freiemHimmel verbracht und war dann beim Morgengrau-en, da er seinen ungeduldigen Tatendrang nicht zü-geln konnte, auf Kundschaft ausgeritten. Jetzt wurden

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    die Regimenter aus Dorf und Lager herausgeführt, umvon ihren Obristen in der Schlachtordnung aufgestelltzu werden, die der König am Abend vorher entwor-fen hatte für den Fall, daß es zur Schlacht käme undder Friedländer nicht wieder einmal dem Treffen aus-gewichen wäre. Eben zogen die livländischen Reiter andem Herzog vorüber, die heute unter seinem Befehlkämpfen sollten. Die Krieger begrüßten ihn mit lautemHeilruf, und er dankte durch freundliches Neigen desHauptes.

    »Der Friedländer ordnet drüben seine Armada. Siegraben die Geschütze ein, warten also darauf, daß wirsie attackieren,« rief er dem vorüberreitenden Fürstenvon Anhalt zu.

    »Euer Liebden bestätigen, was der König seit einerViertelstunde weiß,« erwiderte der Anhalter. »Er war-tet nur darauf, daß der Nebel fällt oder steigt.« Ha-stig sprechend setzte er hinzu: »Jetzt ist er dort hintenin der Kirche. Er war sehr betrübt, daß Ihr so langeausbliebt, wollte gern mit Euch zusammen kommu-nizieren. Seht zu, daß Ihr noch zurecht kommt. Ichmuß weiter! Auf Wiedersehen, Herr Vetter von Wei-mar, wenn die Kartaunen krachen! – Aber halt – nocheins! Das muß ich Euch doch noch sagen!«

    Er drängte sein Roß an Bernhards Seite heran undflüsterte so leise, wie es ihm mit seinem schallendenOrgan möglich war: »Wißt Ihr, Liebden, daß heutenoch die Königin in Weißenfels eintrifft?«

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    »Nein,« entgegnete der Herzog, befremdet, daß ihmder andere eine so unwichtige Neuigkeit in diesem Mo-ment auftischte.

    »Sie kommt nicht allein, auch nicht nur mit ihrenFrauen und Fräuleins,« fuhr der Fürst verschmitzt lä-chelnd fort. »Mit ihr kommt eine – eine aus Weimar,die Ihr, wie ich meine, wohl kennt und schwerlich ver-gessen habt.«

    Eine Blutwelle schoß dem Herzog ins Gesicht. »Gun-del?« fragte er halblaut in ungläubigem Staunen.

    »Kunigunde von Anhalt, mein Bäschen und EurerSchwägerin Schwester! Ich sehe, Ihr denkt noch ansie.«

    »Wie kommt sie zur Königin? Wie kommt sie nachWeißenfels?« wollte Bernhard fragen, aber der Anhal-ter war schon, nachdem er ihm noch kordial auf dieSchulter geklopft hatte, mit einem breiten, behäbigenLachen weitergeritten.

    Ein paar Augenblicke lang war es dem Herzog, alsversinke um ihn das Gewühl der reitenden Männer.Vor sich sah er ein Mädchenhaupt mit übermütig blit-zenden dunkeln Augen, üppigem Goldhaar und einemfeinen Munde, dessen Lippen in dem bräunlich-blassenAntlitze seltsam leuchteten, wie die rotglühende Blütedes wilden Mohns. Vier Jahre war es her, da hattendiese Lippen ihn geküßt und diese Augen um seinet-willen heiße Tränen geweint, denn zu jener Zeit warer nach den Niederlanden gegangen, um dort gegen

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    die Feinde seines Glaubens zu kämpfen. Damals, alssie in tausend Schmerzen an seinem Halse hing, hatteer ihr feierlich gelobt: »Komme ich zurück, so wirst dumein Weib, und niemals werde ich eine andere freien!«Aber der Tag war wohl noch ferne, an dem er heimkeh-ren durfte. Denn was frommte es, wenn er in die Hei-mat kam mit leeren Händen? Das kleine Land, das ermit seinen Brüdern vom frühverstorbenen Vater geerbthatte, trug kaum die Last der Hofhaltung des Ältesten.Es war verheert und ausgesogen durch die Wallonenund Kroaten. Das arme, gepeinigte Volk konnte sel-ber kaum leben, wie hätte es zinsen und steuern kön-nen zu einem zweiten Fürstenhofe? Nur wenn es ihmgelang, sich Land und Leute zu erkämpfen, nur dannkonnte der nachgeborene Prinz die blutarme Prinzes-sin heimführen. Nun, der große Schwedenkönig, demer jetzt diente, hatte ihm schon zweimal Hoffnung ge-macht auf ein Fürstentum, das er ihm zu Lehn gebenwollte aus der eroberten Ländermasse, so wie der Kai-ser den Friedländer zum Herzog von Mecklenburg ge-macht hatte. Vielleicht fiel heute die Entscheidung dar-über auf blutigem Felde, ob der König noch fürder dieMacht haben sollte zu solchem Tun. So unbedingt si-cher, wie das vor Jahresfrist geschienen, war es jetztnicht mehr, denn es war in der letzten Zeit für dieschwedischen Waffen nicht alles zum besten gegangen.

    Während diese Gedanken in seinem Hirn sich kreuz-ten, hatte ihn sein Pferd ins Dorf getragen. Jenseits

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    des Teiches vor der niedrigen Kirchhofsmauer sah erdie Schlachtrosse der hohen Generalität stehen, auchdas des Königs mit der Purpurschabracke. Da spranger schnell aus dem Sattel, warf die Zügel dem PagenLeubelfing hin und schritt den schmalen Pfad durchKreuze und Grabsteine der Kirche zu.

    Der kleine, dämmerige Raum, in den er eintrat, emp-fing sein Licht mehr von den Kerzen, die auf dem Altareflammten, als von außen durch die langen, schmalenFenster. Droben an der Orgel saß ein Wachtmeister desblauen Regimentes, der früher in einem finnländischenDorfe den Bakel geschwungen und als Küster gesungenhatte, und spielte, so gut er es noch vermochte. Dichtvor den niedrigen Stufen des Altars stand die markigeGestalt des Königs, hinter ihm erkannte Bernhard dasgroße Haupt des schwedischen Grafen Nils Brahe, diebiederen und ehrenfesten Gesichter der beiden deut-schen Obristen von Eberstein und von Gersdorf undseitwärts von ihnen das bleiche, verwüstete Antlitz desHerzogs von Lauenburg mit den unstet flackernden Au-gen. Wer die andern waren, vermochte er nicht wahr-zunehmen, denn bei seinem Eintreten kreischte die Türin den rostigen Angeln, der König wandte sich um, undmit einer zugleich freundlichen und gebieterischen Ge-bärde winkte er ihn zu sich heran. Sofort öffnete sichfür ihn eine schmale Gasse, die er eilig durchschritt,und gleich darauf kniete er neben der Majestät auf dem

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    harten Steinboden der Kirche und empfing mit ihm dasheilige Mahl.

    Nachdem die Feier beendet, der letzte Ton des Cho-rals verklungen war, sagte der König mit lauter Stim-me: »Ich bitte die Herren, hinaus auf den Kirchhof zutreten. Ich habe noch ein paar Worte mit Seiner Lieb-den, dem Herzog von Weimar, sekret.«

    Die Versammelten gehorchten augenblicklich, eini-ge der schwedischen Herren nicht ohne eine gewisseVerdrossenheit in den Mienen, denn sie neideten demdeutschen Herzog die große Gunst, die ihm der Kö-nig zuwandte. Der rauhe Obrist Stahlhanske brummteim Hinausgehen: »Den Teufel auch! Der weimarischeMilchbart ist und bleibt doch der Goldsohn des Königs!Hat die Majestät nicht – Gott straf mich! – andere Leutezur Hand?«

    Aber er fand bei dem neben ihm schreitenden Obri-sten Stenbock mit diesen Worten keine Gegenliebe,denn der erklärte kurz und bündig: »Halte dein Maul,Bruder, und verbrenne dir’s nicht! Der Weimarer ist einganzer Kerl. Erhöht ihn der König über zwei alte Esel,wie wir beide sind, so tut er recht daran. Er hat mit sei-nen achtundzwanzig Jahren schon mehr geleistet alsmancher mit fünfzig.« Damit schob er seinen Arm un-ter den des verdrießlichen Kriegsgefährten und zog ihnzur Tür hinaus.

  • — 14 —

    Dem scharfen Ohre des Herzogs war das Zwiege-spräch nicht entgangen, der König hingegen hatte au-genscheinlich nichts davon bemerkt. Auch als das Got-teshaus längst geleert und er mit dem Herzog alleinwar, stand er noch in tiefen Gedanken da und sprachkein Wort, so daß es fast schien, als habe er die Gegen-wart Bernhards vergessen. Mit einem Male aber fuhrer wie aus einem Traum empor und richtete den Blickseiner großen blauen Augen voll und fest auf des Her-zogs Gesicht. »Herzog Bernhard,« sagte er, »ich habeneulich in Arnstadt harte Worte zu Euch geredet, weilich meinte. Ihr hättet eigenmächtig und wider meinenNutzen gehandelt. Das war eine falsche Opinion, undich sehe ein, daß Ihr in diesem Falle klüger wart alsich. Darum tat ich unrecht, als ich Euch schalt, undich möchte Euch bitten, daß Ihr mir solches von Her-zen vergebet. Denn wer kann es wissen, wie lange ichnoch mit Euch auf dem Wege bin und wie bald mirder Herr unser Gott zuruft: Tue Rechnung von deinemHaushalten, denn du kannst hinfort nicht mehr Haus-halter sein!«

    Der Herzog stand einen Moment stumm da. DerHochsinn des Königs, der in diesen Worten zutage trat,erschütterte ihn im Innersten. Dann aber ergriff er un-gestüm mit beiden Händen des Königs Rechte, die die-ser ihm entgegenstreckte, und rief: »Fahrt nicht fort,Herr! Es ziemt sich nicht, daß der Vater den Sohn bit-tet, ihm zu vergeben. Und wie ein Sohn zum Vater habe

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    ich mich allezeit im Herzen zu Euch gehalten, wenn-gleich Ihr nur zehn Jahre älter seid als ich. Zürnt’ ichEuch einmal, so tat ich’s nimmer lange, das weiß Gott,und keinen Menschen weiß ich, vor dem ich solcheEhrfurcht habe wie vor Euch.«

    Der König legte ihm die linke Hand auf die Schulterund blickte ihn noch gütiger an als vorher. »Ich dan-ke Euch, Herzog Bernhard,« erwiderte er. »So wie IhrEuch erweiset, so hab’ ich Euch in meinem Sinne ästi-miert. Und nun will ich Euch eine bessere Satisfaktiongeben als durch bloße Worte. Die Stifter Würzburg undBamberg sind in unserer Hand. Die geb’ ich Euch zuLehn, Euch und Euern Nachkommen, als ein Herzog-tum Franken.«

    Der Herzog beugte sich über des Königs Hand undküßte sie. Er war so überrascht und ergriffen, daß erzunächst keine Dankesworte fand.

    »Die Voraussetzung ist freilich, daß ich am Lebenbleibe,« fügte der König ernst hinzu. »Aber manchmalist mir’s, als käme bald mein Stündlein.«

    »Herr!« rief Bernhard auffahrend, »das widerfahreEuch nicht! Das kann nicht im Plane Gottes liegen! Ihrführet seine Kriege!«

    »Wer kennt Gottes Plan? Und welches Menschen be-darf der Allmächtige? Vor ihm sind wir alle nur Staub.Trifft mich eine Kugel, so setzt Gott einen andern anmeine Stelle, der für ihn streitet, zum Exempel Euch!«

  • — 16 —

    »Nein, Herr, das wolle Gott nicht! Ihr seid nicht zuersetzen! Darum laßt Euch bitten: Schont Euch undhaltet Euch ferne von der Gefahr!«

    Gustav Adolf lächelte. »Ihr wißt, daß das zuweilenunmöglich ist.«

    »So legt zum wenigsten einen festen Panzer an!«»Das haben mir heute schon mehrere geraten. Aber

    ich kann’s nicht, selbst wenn ich wollte. Die Narbe, dieich an der Schulter trage, macht mir jetzt wieder zuschaffen, und er riebe sie mir wohl wund. Nein, ichmuß mich auf den Herrn allein verlassen, nicht aufirdische Waffen. Gott ist mein Harnisch, und meineStunde ist im Himmel geschrieben, die Erde kann dar-an nichts ändern.«

    Er hatte während seiner letzten Worte die Kirchtürgeöffnet und trat nun ins Freie unter seine Offiziere.»Ihr Herren,« rief er, »kommt her und hört, was ichEuch zu sagen habe!« Und als sie nun alle im Halbkreisum ihn standen, sprach er mit helltönender Stimme:»Der Nebel fällt, und die Sonne dringt durchs Gewölk.Es wird also bald zum Schlagen kommen. Was er zutun hat, weiß ein jeder, und jeder kennt seinen Platz.Das aber füge ich Euch noch zu wissen: Stößt mir nachGottes Willen ein Unglück zu, so gehorcht jeder demHerzog von Weimar! Fällt der, so kommandiert GrafBrahe. Gott nehme uns alle in seinen Schutz! Und nun,ihr Herren, auf die Rosse!«

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    II.

    Ein feste Burg ist unser Gott,Ein gute Wehr und Waffen –

    so klang es dem Könige brausend entgegen, als er ausder Dorfstraße herausgeritten kam. Denn die Aufstel-lung der Regimenter war soeben vollendet worden,und der angeordnete kurze Feldgottesdienst nahm sei-nen Anfang.

    Gustav Adolf entblößte sein Haupt und zügelte seinRoß. Er fiel mit seiner hellen, kräftigen Stimme in denGesang der Soldaten auf der Stelle ein und sang dasgewaltige Lutherlied bis zu Ende mit. Als dann derFeldprediger des zunächststehenden Regimentes densechsundvierzigsten Psalm sprach, bewegte der Königdie Lippen und sprach leise Wort für Wort nach, undnach dem Vaterunser und Segen stimmte er selbst dasLied an: »Verzage nicht, du Häuflein klein.« GustavAdolf ließ dieses Lied jedesmal von seinem Heere sin-gen, wenn eine Schlacht bevorstand, und heute moch-te es wohl eine besondere Bedeutung für ihn haben.Denn er wußte, daß des Friedländers Armee stärkerwar als die seine. Kam nun etwa noch der wilde Pap-penheim, den der kaiserliche Feldherr zu Hilfe gerufenhatte, mit seinen Reitern von Halle her rechtzeitig aufdem Schlachtfelde an, so stand das schwedische Heereiner bedeutenden Übermacht gegenüber.

    Während des Singens war der Nebel fast völlig ver-schwunden, und die Sonne goß ihr helles Licht über

  • — 18 —

    das weite Feld. Da sprengte der König vor die Frontder deutschen Regimenter, die Bernhard führen sollte.Mit dem größten Erstaunen sah der Herzog, daß Gu-stav Adolf mit einem Male verwandelt erschien. Er trugnicht mehr, wie vorher, die Stirn gesenkt, als drückeihn die Sorge nieder, sondern stolz und gebietend saßer im Sattel, und seine Augen leuchteten.

    »Meine Freunde!« rief er, »Offiziere und Soldaten,ich beschwöre euch, heute eure Pflicht zu tun! Ihr strei-tet heute nicht nur unter, sondern neben und mit mir.Mein Blut und Leben werden euch den Weg zur Ehrezeigen. Folgt mir nur, so vertraue ich zu Gott, daß ihreinen Sieg gewinnt, der euch und euren Nachkommenzum Segen gereichen wird. Wo nicht, so ist es gesche-hen um eure Freiheit und euer Leben. Wollt ihr kämp-fen, wie es redlichen deutschen Kriegsleuten ziemt?«

    »Ja, ja!« schrien die Soldaten. »Drauf, drauf!«Der König hob grüßend die Hand und ritt hinüber zu

    seinen Schweden, und wenige Minuten später erhieltBernhard den Befehl zum Vorrücken. Das ganze schwe-dische Heer setzte sich in Bewegung und zog langsamüber die ebenen Felder den Wallensteinern entgegen,die hinter der Heerstraße in schnell aufgeworfener Ver-schanzung den Angriff erwarteten. Bald erkannte derHerzog die Kanonen, die vor drei Windmühlen aufge-fahren waren, im Hintergrunde ein gewaltiges Viereckder Infanterie und zur Seite vor den Geschützen die

  • — 19 —

    Kürassiere des Grafen Piccolomini. Wie aus Erz gegos-sen saßen die schwarzen Reiter drüben auf ihren star-ken Gäulen, keine Hand regte sich, kein Schuß blitzteauf, in starrer, unheimlicher Ruhe, wie eine riesige Ge-witterwand vor dem losbrechenden Sturm, stand dasganze kaiserliche Heer und erwartete das Herannahender Schweden. Noch etwa dreihundert Schritte weitwaren die beiden Armeen voneinander entfernt, daklang vom rechten Flügel her, wo der König war, hel-les Trompetengeschmetter. Hornsignale pflanzten sichfort von Regiment zu Regiment. Das war das verabre-dete Zeichen zum Angriff. Mit einem Male begannendie Kanonen zu donnern, die vor der Masse des Fuß-volkes im Zentrum hergefahren waren, in ihr dumpfesDröhnen mischte sich das helle, scharfe Knattern derFalkonetts auf den beiden Flügeln, und mit dem lautenFeldgeschrei: »Gott mit uns!« setzten sich die Reiterre-gimenter zur Attacke in Trab.

    Wie dumpfes Heulen antwortete es von drüben: »Je-sus Maria!« und noch einmal: »Jesus Maria!« Dannschollen laute welsche Kommandoworte, die Kanonenöffneten ihren ehernen Mund, und ein Hagel von Ei-senstücken sauste den Heransprengenden entgegen.

    Herzog Bernhards Reiterschar schrie laut auf, abernicht vor Angst oder Entsetzen, sondern dem Feindezum Spott, denn die Kugeln waren fast alle über ihreKöpfe hinweggegangen.

  • — 20 —

    Aber nun kamen die kaiserlichen Kürassiere her-angebraust, und die beiden Reiterharste trafen mitfurchtbarem Anprall aufeinander. Hüben und drübenstürzten Männer und Pferde und wälzten sich im wü-sten Knäuel auf der Erde, Klinge klirrte an Klinge,Schüsse knatterten, überall wildes Schnauben der Ros-se, Geschrei und Gestöhn und dumpfes Aufschlagenvon tausend Rossehufen. So wogte wohl eine hal-be Stunde lang die Reiterschlacht ohne Entscheidung,und während die Männer keuchend miteinander ran-gen, verschwand auf einmal die Sonne wieder, und dervorher so strahlende Himmel ward bleigrau. Der Nebelsank von neuem über das Gefild herab und vermisch-te seine feuchten, weißen Schwaden mit dem Dampfeder Geschütze und dem Dunste des Blutes der erschla-genen Menschen und Pferde.

    Der Herzog war nicht mit in dem Gewühl, denn nochwar es für den Feldherrn nicht Zeit, sich persönlich ein-zusetzen. Seine wackeren deutschen und livländischenReiter taten schon von selbst ihre Schuldigkeit und be-durften seiner Anfeuerung nicht. Immer mehr neig-te sich in dem langen, zähen Ringen der Sieg auf ih-re Seite, die kaiserlichen Schwadronen, so wütend siesich auch wehrten, wichen langsam zurück und warfenendlich die Rosse zur Flucht herum.

  • — 21 —

    Mit hellem Siegesgeschrei folgten die Herzoglichennach, aber sie hatten zu früh gejubelt. Die Fliehen-den bogen zur Seite aus, und die Nachdrängenden sa-hen sich auf einmal einer wohlverschanzten mächtigenBatterie von Geschützen gegenüber. Und als sie dies-mal aufbrüllten, da rissen ihre eisernen Kugeln wohlfünfzig Männer mit einem Male aus den Sätteln.

    »Zurück!« schrie der tapfere Obrist von Rosen, derschon aus mehreren Wunden blutete, aber noch auf-recht und fest im Sattel saß. Er sah vor den Kanonendie ausgeworfenen Gräben und spitzen Palisaden underkannte, daß Reiterei allein diese Batterie niemals er-obern könne.

    Die Reitermasse flutete zurück, und der Obristsprengte zu dem Herzog hin und stattete ihm Rapportab.

    Sogleich gab Bernhard den Befehl, die Infanterie sei-nes linken Flügels solle vorrücken und die Batterieim Sturm nehmen, und als jetzt herjagende Windstö-ße hier und da den Nebel wieder zerteilten, sah erauch drüben den Gewalthaufen des Fußvolkes vorge-hen, um hinter dem Graben die Kanonen zu verteidi-gen. Ein Offizier auf hohem, hagerem Rappen wies ih-nen mit dem gezogenen Degen die Richtung und triebsie vorwärts. Der Obrist von Gersdorf, der gerade inBernhards Nähe hielt, schwur Stein und Bein, das seider Herzog von Friedland selber. »Ich kenne den Kerlund erkenne ihn, und wenn er zweitausend Schritte

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    weit von mir stünde. Seht den roten Mantel, fürstlicheGnaden, und die roten Federn auf dem Hut! Die trägtkein anderer da drüben! Und den Gaul kenne ich auch,auf dem er sitzt. Sieht aus wie eine Schindmähre, hataber den Leibhaftigen in sich.«

    Er winkte zwei seiner Musketiere zu sich heran, dieder Herzog als Scharfschützen kannte, und steckte je-dem aus seiner Tasche etwas zu. »Kugeln, aus Erbsilbergegossen, fürstliche Gnaden!« sagte er. »Ich führe sol-che immer mit mir herum. Mit gewöhnlichen Kugelnist denen nicht beizukommen, die gefroren sind durchdie verfluchte Passauer Kunst. Und der Friedländer istgefroren, das steht fest.«

    Bernhard nickte, denn auch er traute dem unheim-lichen Feldherrn zu, daß er sich teuflischer Künste be-diene. Aber einer Antwort ward er enthoben. In demAugenblick jagte eine königliche Ordonnanz heran, einjunger Offizier von den småländischen Reitern. »DerKönig hat die feindliche Reiterei auf dem rechten Flü-gel geworfen. Er befiehlt, daß überall die Infanterievorrücken soll zum Sturm auf die Batterien!« melde-te er.

    »Sagt der Majestät: Ich bin schon dabei. Da kommenmeine Kanonen. Wie geht’s dem Könige?«

    »Gut, gut!« rief der schwedische Rittmeister und stobvon dannen.

    Zwei Minuten später hatte Bernhards Fußvolk dieLandstraße überschritten und stürzte sich voller Wut

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    und Kampfbegierde auf die feindliche Infanterie. Abertrotz aller Tapferkeit gelang es ihnen nicht, die Kai-serlichen auch nur um einen Schritt zurückzudrängen.Die Colloredoschen Füsiliere waren eine erlesene Trup-pe und dazu gewaltig in der Überzahl, und so vieleihrer niedergehauen und geschossen wurden, es tra-ten immer sofort andere in die Lücken, und auch alsder Herzog selbst das zweite Treffen heranführte, warder eiserne Ring nicht zu durchbrechen. Es schlug dieMittagsstunde auf dem Turm des brennenden Lützen,da führte der Herzog selbst die Sturmkolonnen zurück.Die Feinde drängten nicht nach, denn sie waren selbstaufs furchtbarste erschöpft; auch war es wohl der Plandes Friedländers, das feindliche Heer sich bei einemzweiten Ansturm noch mehr verbluten zu lassen.

    So entstand hier zwischen den beiden Armeen einZwischenraum, fast so breit wie er gewesen warbeim Beginn der Schlacht, und abgesehen von einigenSchüssen, die noch gewechselt wurden, trat eine kurzeKampfespause ein.

    Bernhard war bald hier, bald da, ordnend, ermun-ternd, anfeuernd, und auf seinen Ruf und Befehl hinschlossen sich die Glieder der Regimenter von neuem.Eben war er im Begriff, die Seinen zum zweiten Ma-le zum Sturm zu führen, da bot sich ihm ein Anblick,der ihm ein paar Augenblicke das Blut in den Adernerstarren ließ.

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    Von rechts her, wo im Zentrum der Schlacht Reite-rei und Fußvolk durcheinanderwogten, brach aus demPulverdampf ein lediges Roß hervor. Es war über undüber mit Blut bedeckt und raste eine Strecke weit zwi-schen den beiden Heeren über den zerstampften undzerwühlten Boden hin. Dann stand es mit einem Malestill, stieß mehrmals hintereinander seinen schrillen,gräßlichen Todesschrei aus und sank sterbend zusam-men.

    Bernhard bog sich auf seinem Gaule weit vor undstierte ungläubig und entsetzt das verröchelnde Tieran. Äffte ihn ein schrecklicher Spuk? Das war dochdes Königs braunes Leibroß, das den Helden in dieSchlacht getragen hatte?! Was war geschehen? Wardas Furchtbare Wahrheit? War er gefallen?

    Noch hielt der Herzog starr auf seinem Rosse, dapreschte der General Graf Knipphausen heran. »DerKönig ist tot. Es ist alles verloren!«

    »Nein!« schrie Bernhard und reckte sich hoch in denBügeln auf. Die lähmende Starrheit war im Nu von ihmabgefallen, und eine schreckliche Erbitterung hatte ihnerfaßt. »Nein! Nichts ist verloren«

    »Aber der rechte Flügel weicht schon!« klagte Knipp-hausen.

    »Anhalt!« rief Bernhard dem Führer des zweitenTreffens zu, der eben herankam, »der König ist gefal-len. Ich habe das Kommando! Ihr bleibt hier stehenund greift nur an, wenn die Friedländischen über die

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    Gräben kommen. Sonst erwartet Ihr weitere Order!«Damit wandte er sein Roß und jagte hinüber nach demrechten Flügel.

    Dort formierten gerade Stahlhanske und Eberstein,so gut es ging, die Reiterregimenter neu, die von demkaiserlichen Fußvolk zurückgeschlagen waren. Die bei-den Obristen weinten vor Wut und Schmerz, denn siewußten schon, daß der König gefallen war, und ver-zweifelten am Sieg. Nur einen ehrenvollen Rückzuggedachten sie sich zu erkämpfen.

    Da tauchte plötzlich in ihrer Nähe der Herzog vonWeimar auf und seine Stimme schmetterte wie rol-lender Donner in die bestürzten, entmutigten Reihen:»Finnen! Deutsche! Schweden!« rief er, »euer Königund unser Verfechter der Freiheit ist tot. Für mich istdas Leben kein Leben mehr, wenn ich seinen Tod nichträchen soll. Wohlan! Greift unverzagt den Feind an!Wer beweisen will, daß er den König lieb gehabt hat,der tue es jetzt. Folgt mir und fechtet als ehrliche Sol-daten!«

    Damit riß er dem Fahnenträger des småländischenRegimentes die Standarte aus der Hand, wirbelte siemit der linken Hand hoch in der Luft empor, warf seinRoh gegen den Feind herum und sprengte, den blan-ken Degen in der Rechten schwingend, gerade auf dieLinien der Kaiserlichen los.

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    Einen Augenblick stutzten die Reiter. Dann brach einlauter Schrei aus aller Munde, und vorwärts ging’s hin-ter dem Führer her in wildem Rosseslauf. Wie eine ver-heerende Hagelwolke brausten die sechs Regimenterdaher, unaufhaltsam, alles niederreitend. In Zeit vonwenigen Minuten war die feindliche Kavallerie gewor-fen, zersprengt, auf die Vierecke des Zentrums zurück-geschleudert und diese selbst dadurch zum Weichengebracht.

    Wie ein gemeiner Reiter hatte Bernhard mit einge-hauen. Nun aber, als er sah, daß die Feinde wichen,zügelte er sein Roß und ließ seine Leute unter ihrenObristen weiterkämpfen. Er ritt wieder hinüber zumlinken Flügel, und nach einem furchtbaren Gemetzelgelang es auch hier, die feindlichen Regimenter zurück-zudrängen und die Batterie zu nehmen.

    Der Tag war für den Friedländer verloren, und auchPappenheim, der am Nachmittag mit seinen Reiterneintraf, vermochte nicht mehr, dem Schicksal in die Zü-gel zu fallen. Wohl schien es einen Moment, als wer-de er dem vordringenden Herzog von Weimar mit sei-nen frischen Truppen doch noch den Lorbeer entrei-ßen, aber eine tödliche Kugel traf ihn und warf ihn aufden Sand. Da ergriff seine Kürassiere, die ihn für festgehalten hatten, eine abergläubische Furcht, und sieflohen eilig von dannen. Nur bei den drei Windmühlenin der Nähe des brennenden Lützen tobte noch in der

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    Abenddämmerung der Kampf, aber als die früh herein-brechende Novembernacht ihre dunklen Fittiche überdas Land legte, da gingen auch dort die Kaiserlichenzurück, ihre Glieder lösten sich auf, und die geschla-genen Männer warfen Panzerstücke und Waffen weg,weil sie ihnen auf der Flucht hinderlich waren.

    Die Sieger blieben auf der schwer erkämpften Wahl-statt und schickten sich an, wie Brauch war, hier dieNacht zu verbringen. Von einer Verfolgung der Feindekonnte gar nicht die Rede sein, denn die Mannschaftenund Pferde waren bis auf den Tod erschöpft.

    Die Troßknechte und Buben kamen aus dem Lagervon Meuchen herbei, suchten Holz und Reisig und zün-deten Feuer an. Um diese Feuer lagerten sich die mü-den Krieger; kein Scherzwort wurde laut, kein Lieder-klang, nur das Ächzen der Verwundeten unterbrach dieschauervolle Stille der Nacht. Der Sieg war wohl er-stritten, aber die Siegesfreude fehlte. Es war zu vieledles Blut geflossen; selbst den älteren schlachterprob-ten Kriegern graute es, als sie die Leichenhügel beimmatten Schein der Feuer liegen sahen. Und hätte manauch alle diese Tausende verschmerzen wollen – einenkonnte man nicht verschmerzen, einer war nicht zu er-setzen. Der König, der Herz und Haupt seines Heeresgewesen war, zu dem jeder einzelne aufgeblickt hattewie zu einem Vater – der König war tot.

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    Herzog Bernhard ritt neben dem Fürsten von Anhaltnach Meuchen zurück. Er wollte dort in einem Bau-ernhause ein paar Stunden schlafen und dann wiederKnipphausen ablösen, der jetzt auf dem Schlachtfeldewachte. Das Suchen nach des Königs Leichnam hat-te er aufgegeben, nachdem er fast eine Stunde langbei Fackelschein mit einer Schar Getreuer auf der Wal-statt umhergeirrt war. Der anhaltische Vetter sprach,um ihn aufzuheitern, von der herrlichen Viktoria, diesie errungen, und von dem Strahlenglanze des Ruh-mes, den er sich um sein Haupt gewunden hätte. AberBernhard hörte kaum, was er sagte, und erwiderte ihmkein Wort. Er überdachte, was des Königs Tod bedeu-ten mochte für Deutschland, für die Sache des reinenEvangeliums und für sein eigenes Schicksal, und derheißeste Schmerz und die tiefste Trauer füllten seineSeele.

    In starrem Schweigen ritt er ein in das Dorf, das wie-der, wie am Morgen, voller Soldaten war. Auf dem Plat-ze vor der Kirche brannten zwei helle Feuer, und zwi-schen ihnen erkannte er den alten Schulmeister vonMeuchen, der, von schwedischen Reitern umringt, mitHobel und Beil starke, breite Bretter bearbeitete. Dennder Alte war nicht nur Lehrer der Kinder und Küsterdes Kirchleins, er wußte sich auch als Tischler sein Brotzu verdienen, ja seine Hände erwarben ihm oft mehr,als ihm die Arbeit seines Kopfes einbrachte.

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    Der ungewöhnliche Anblick des schreinernden Kin-derlehrers riß den Herzog aus seinen Gedanken. Erlenkte sein Roß zu ihm hin und fragte: »Was tust duda?«

    Der Alte, in die Arbeit vertieft, hatte nicht acht ge-habt auf sein Kommen. Jetzt wandte er sich rasch her-um, und als er den Herzog erkannte, sank er auf dieKnie und hob beide Arme zum Himmel empor. »Ge-lobt sei Gott!« rief er, »es ist noch einer übrig, der denStreit des Herrn führen kann auf Erden wider die Söh-ne des Abgrundes, die Christi Reich zerstören wollen!Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist deinesVaters Wille, dir das Reich zu geben. Der Löwe aus Mit-ternacht, den der Herr gesandt hatte nach den Wortenseines Propheten, ist tot, und wir zimmern hier seinenSarg, aber – –«

    »Wie?« unterbrach ihn Bernhard. »Des Königs Sarg?Habt ihr seinen Leichnam gefunden?«

    Der alte Küster deutete nach der Kirche. »Dort, woer heute früh noch den Leib und das Blut des Herrnempfangen hat, dort liegt nun sein Leib mit der bluti-gen Wunde, die ihm die Mordknechte des Friedländersbeigebracht haben. Und wollt Ihr hören, gnädiger Herr,wie der gottselige Held gestorben ist, so kommt mit inmein Haus. Dort liegt der Page, der Euch heute frühzum Könige rief, und ein Arzt ist bei ihm und verbindet

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    ihn, und wenn es Gott gefällt, so kann er wohl geret-tet werden. Denn die Jugend kann oft überstehen, waskeiner für möglich hält.«

    Bernhard hörte schon längst nicht mehr auf das, wasder Alte in seiner feierlichen, gesalbten Redeweise sag-te. Sofort nach seinen ersten Worten hatte er sich zuder Kirchhofspforte hingewendet, durchschritt raschdas schmale Stück des Friedhofes und trat in das Got-teshaus ein, indem er die vor der Tür wachenden Offi-ziere mit einem kurzen Neigen des Hauptes grüßte.

    An der Stelle, wo er heute früh mit Gustav Adolf ge-kniet hatte, stand ein rohgezimmerter Holztisch, undauf ihm lag die Königsleiche. Man hatte sie bereits ge-waschen, in Leinen gehüllt und eine Decke von blauemSamt darüber hingebreitet. Das edle Antlitz schimmer-te wachsbleich im Scheine der Altarkerzen, die es ausnächster Nähe voll beleuchteten. Man konnte den Zü-gen des Toten nicht ansehen, daß er auf gewaltsameWeise sein Leben verloren hatte, denn sie waren volldes tiefsten Friedens.

    Bernhard trat schweigend an die Leiche heran undsank dann an ihrer Seite auf die Knie. Ein Tränenstromstürzte aus seinen Augen, und ein Weinkrampf schüt-telte seine Glieder. So lag er, die Hände gegen das Holzdes Tisches gepreßt, eine geraume Zeit, und nur müh-sam vermochte er sich endlich zu fassen. Er erhob sich,drückte einen Kuß auf die bleiche Stirn des Toten undwandte sich dann dem Ausgange zu. Es stand bei ihm

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    fest, daß er die teure Leiche am nächsten Morgen frühselbst nach Weißenfels zur Königin bringen müsse, under schickte sich an, die nötigen Befehle zu geben.

    Da löste sich aus dem Dunkel des Hintergrundes derKirche eine riesige Gestalt, die dort wohl schon langegestanden haben mochte, und kam mit schweren Trit-ten auf ihn zu. Um die zerschundene Stirn trug derHüne ein blutiges Tuch, und sein Panzer war vom Blutund Staub der Schlacht noch über und über bedeckt.

    Bernhard erkannte den schwedischen Obristen Stahl-hanske, und eine Röte des Zornes stieg ihm ins Ge-sicht. Schämte er sich auch seiner Tränen nicht, so wares ihm doch widerwärtig, daß gerade der sie gesehenhatte. Denn Stahlhanske war wohl der tapferste Manndes Heeres, aber rücksichtslos und hart und ihm von je-her abgeneigt. Er wollte mit einem finsteren Blicke undohne Gruß an ihm vorüber, aber aufs höchste erstauntblieb er stehen, denn er sah, daß der Riese plötzlichdas Knie beugte.

    »Herr Herzog von Weimar,« sprach er mit seiner tie-fen, ungefügen Stimme, »ich war Euch feind. Ihr wißtes. Aber heute bitte ich Euch das ab. Von heute binich Euch Freund und ergebener Diener. Ihr habt mei-nen König gerächt und seine Schlacht gewonnen. WartIhr nicht, so war es aus mit unserem Ruhme. Darummüßt Ihr nun unser Heer führen alle Tage, bis der Kriegein Ende hat.« Er stand schwerfällig auf und stieß sein

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    Schwert auf den Boden. »Das sage ich, Herr Herzog,und verflucht sei, wer anders redet!«

    »Herr Obrist Stahlhanske,« erwiderte Bernhard, »wasIhr da sagt, löscht allen Groll in meinem Herzen. Ichdanke Euch. Gebt mir Eure Hand; es gibt keinen in derArmee, der heute mehr getan hätte wider den Feind!Ich nehme Eure Freundschaft und Euer Gelöbnis an.Überträgt mir die Krone Schwedens den Befehl, so rü-ste mich Gott der Herr mit der Kraft dazu aus, daß ichihn allezeit wie heute führe.«

    III.

    In einem Bauernhause zu Meuchen hatten sich amMorgen des folgenden Tages die Führer des siegrei-chen Heeres zum Kriegsrat versammelt. Viele warenes nicht, die sich da auf Herzog Bernhards Befehl ein-gefunden hatten, denn die größere Hälfte der Gene-rale und Obristen lag tot auf dem Schlachtfelde oderverwundet in den Häusern des Dorfes. Trotzdem ver-mochte der enge, niedrige Raum die Herren kaum zufassen, so daß mehrere auf dem Ehebette des Bauernin der Ecke Platz nehmen mußten. Es herrschte eineso bedrückende Stille in der Stube, daß es fast denAnschein hatte, als habe man sich zu einem Leichen-begängnis versammelt, und als die letzten der Gelade-nen, die Obristen Lohusen und Eberstein, jetzt über dieSchwelle traten, wurden sie von den Nächststehendennur durch einen stummen Händedruck begrüßt.

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    »Ihr Herren!« begann Herzog Bernhard, der in ei-ner der schmalen Fensternischen mit dem Rücken ge-gen die Scheibe stand. »Ich habe Euch hierher entbo-ten, damit wir eilend festsetzen, was nun geschehensoll, unser großer König und Feldherr ist tot, Gott sei’sgeklagt. Er war uns allen, Schweden und Deutschen,ein Vater, und wie Waisen müssen wir uns fühlen, undüber seinen Tod trauern wir, so lange wir leben. Aberdas darf uns nicht hindern, schnell und entschieden zuhandeln, und vor allem müssen wir da eines wissen:Wer soll von heute an das verwaiste Heer führen anStelle dessen, der nicht mehr unter uns ist?«

    »Ihr!« rief Stahlhanske, der auf der niedrigen Ofen-bank saß und seine gewaltigen Beine mit den Räder-sporen durch das halbe Zimmer strecken mußte. »Hatnicht der König Euch den Befehl übertragen? Und habtIhr nicht gestern gezeigt, daß er damit recht getanhat?«

    Beifallsgemurmel von allen Seiten. Aber aus demHintergründe des Gemaches kam eine ernste, ruhigeStimme: »Ich protestiere um des Gewissens willen.«

    Alles fuhr herum und blickte den Sprecher voll un-gläubigen Staunens an. Das war ja unerhört und kaumzu fassen! Denn der sich dort in der halbdunklen Eckeerhoben hatte und nun mit bekümmerter Miene nachdem Herzog hinblickte, während er die rechte Handwie abwehrend erhob, war Bernhards drei Jahre älte-rer Bruder Ernst, unter allen deutschen Fürsten und

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    Fürstensöhnen, die das Heer in seinen Reihen zählte,der Untadeligste und Frömmste. Das Verhältnis zwi-schen den beiden weimarischen Brüdern, das wußtejeder, war das denkbar herzlichste, von Neid des Älte-ren gegen den hochbegabten Jüngeren war nie die Re-de gewesen. Was also in aller Welt mochte den einenHerzog zu Sachsen bewegen, dem andern die Ehre derErhöhung zu mißgönnen? Bernhard selbst wußte sichoffenbar den Einspruch seines Bruders ebensowenig zuerklären wie die andern, denn auch er blickte erstauntund verblüfft, wie sie alle, nach ihm hin.

    »Ja, Herren und Freunde, um des Gewissens willen,«sagte Herzog Ernst und legte die Hand aufs Herz. »Gottist mein Zeuge, daß ich dir, lieber Bruder, den höch-sten Befehl von ganzem Herzen gönnen würde, wenner dir gebührte. Aber er gebührt dir nicht. Des seli-gen Königs Majestät hat Order gegeben, daß du in derSchlacht kommandieren solltest, wenn er fallen sollte.Mehr nicht. Der oberste Befehl muß nach seinem Todein die Hände unseres ältesten Bruders Wilhelm gelegtwerden, denn er hat die höhere Charge, ist der Kro-ne Schwedens Generalleutnant und hatte schon jetztdas Kommando nach dem Könige. Somit würdest duihn beleidigen, wenn du ihm vorenthieltest, was ihmzusteht.«

    Zorniges Murren erklang von allen Seiten undschwoll jetzt so stark an, daß Herzog Ernst seine Re-de unterbrach. Am Ofen erhob sich mit düsterrotem

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    Gesicht der Obrist Stahlhanske, stemmte sich mit bei-den Händen auf sein breites Schwert und rief trotzig:»Was geht uns das Erstgeburtsrecht des Herzogs Wil-helm an? Hier soll der Tüchtigste Herr sein, nicht derÄlteste!«

    »Nicht zu Euch sprach ich, Obrist Stahlhanske,« ver-setzte der junge Ernestiner so ruhig wie vorher. »Ichsprach zu meinem Bruder. Und dich, Bernhard, bitteich dringend, ja, ich beschwöre dich, daß du unsermältesten Bruder die Ehre gibst, die ihm gebührt.«

    Herzog Bernhards Gesicht war leicht erblaßt. Er hef-tete seine Augen mit einem finsteren Ausdruck auf sei-nes Bruders Antlitz und sprach kalt und schneidend:»Den Oberbefehl hat die Krone Schwedens zu geben.Ehe sie sich entschieden hat, muß das Heer sich schlüs-sig machen, wem es gehorchen will bis dahin. Bedünktes den Herren, daß mein Bruder Wilhelm das bessereRecht habe, so wollen wir ihn wählen und von Erfurtherbeiholen, wo er jetzt unpaß liegt.«

    »Nein, nein!« schrie es von allen Seiten. »Ihr sollt unsführen!«

    Des Herzogs Augen blitzten auf. »Wer nicht will, daßich den obersten Befehl führe, den bitte ich, die Stubezu verlassen.«

    Herzog Ernst trat vor seinen Bruder hin und blick-te ihm traurig und kummervoll ins Gesicht. »Ich kannnicht anders,« sagte er leise. »Du greifst heute in einfremd Amt, was die Heilige Schrift verbietet. Somit

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    kann ich nicht Deiner Wahl beistimmen, denn wehedem, der wider sein Gewissen handelt!« Er suchte sei-nes Bruders Hand und sprach noch leiser, so daß erkaum den Nächststehenden verständlich war: »Bern-hard! Noch einmal: laß dich warnen. Nimm nicht, wasunserm Bruder gehört!«

    »Ich nehme niemandem, was ihm gehört,« erwiderteder Herzog unwillig. »Auch suche ich nicht meine Ehre,wenn ich das Kommando übernehme, sondern ich tuees um des lautern Evangeliums willen und zu Nutzender schwedischen und deutschen Völker.«

    »Du verblendest dich, Bruder, oder vielmehr der Teu-fel verblendet dich,« sagte Herzog Ernst und ließ seineHand los. »Doch ich kann dich nicht zu meinem Willenzwingen, und deshalb muß ich Urlaub und Abschiedvon dir und dem Heere nehmen. Meines Eides bin ichledig, denn der König ist tot, dem ich ihn geleistet ha-be. Meine Bestallung als Obrist eines Reiterregimen-tes lege ich nieder und kehre heim. Gehab dich wohl,Bruder. Gott schütze dich auf deinen Wegen, die nichtmehr die meinen sein können.«

    Bernhard machte unwillkürlich eine Bewegung, alsob er ihn zurückhalten wolle, aber Herzog Ernst sahnicht mehr die ausgestreckte Hand seines Bruders, son-dern trat, ohne sich noch umzublicken, durch die nie-dere Tür ins Freie hinaus.

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    Mit düstern Blicken und zusammengepreßten Lip-pen starrte Bernhard auf die Stelle hin, wo er ver-schwunden war. Erst nach einigen Augenblicken wand-te er sich wieder den im Gemache Versammelten zu,und nun straffte sich seine schlanke Gestalt, und seineBlicke flogen blitzend über die kriegerischen, mit Nar-ben gezeichneten Gesichter hin.

    »Da ihr also die Bedenken meines Herrn BrudersLiebden nicht teilt, werte Kriegsgesellen, so schwörtmir, daß ihr mir treu und gehorsam sein wollt, bis daßdie Vormünder der kleinen Königin Christine bestim-men, wer hinfüro die Armee als oberster Befehlshaberführen soll!«

    Jeder der Generale und Obristen reckte seine rechteHand in die Höhe und sprach die gebräuchliche Formeldes Eides: So wahr mir Gott helfe in diesem und injenem Leben.

    »So hört denn, was ich befehle!« rief Bernhard. »DerStatus des Heeres ist derart, daß eine Verfolgung desFeindes noch nicht rätlich ist. Die Regimenter müs-sen erst neu formiert werden. Deshalb, Graf Knipphau-sen, führt Ihr die Armee nach Weißenfels zurück in dieQuartiere. Ihr, Obrist Stahlhanske, eskortiert mit denSmåländern, soviel deren noch übrig sind, den Sargdes Königs und bringt ihn in die Weißenfelser Stadt-kirche. Ihr, Obrist Rosen, laßt sogleich hundert Reiter

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    von Eurem Regiment aufsitzen, damit sie mich gelei-ten. Denn ich reite vorauf den Herren nach Weißen-fels, damit die Majestät aus meinem Munde die schwe-re Kunde empfängt von ihres Herrn und Gemahls Ab-leben.«

    Den Befehlen des Herzogs wurde sofort Gehorsamgeleistet, und eine halbe Stunde später ritt er an derSpitze von hundert finnländischen Reitern die Straßedahin, die nach Weißenfels führte.

    Es war ein prachtvoller Herbstmorgen. Der mit leich-ten Wölkchen bedeckte Himmel stand in voller Ro-senglut, und ein frischer Wind strich über die Felderhin. Aber er vermochte nicht, den üblen Brandgeruchzu vertreiben, der über der ganzen Gegend lag. Auchals die Schar das noch immer brennende Lützen längstim Rücken hatte, änderte sich das nicht, und Bernhardwußte wohl, woher das kam, denn er war erst vor zweiTagen dieselbe Straße gezogen. Alle die reichen Dör-fer in der Runde hatte das Wallensteinsche Heer aufseinem Durchzug geplündert, verwüstet und in Brandgesteckt. Daß da und dort noch Häuser und Ställe stan-den, war nur der nassen Witterung zu danken. Der Re-gen hatte dem Zerstörungswerke der Kroaten und Wal-lonen Halt geboten. Aber halb Röcken lag in Asche,und als man durch Rippach ritt, schwelten rechts undlinks vom Wege noch die in Schutt gesunkenen Gebäu-de. Es herrschte in der Dorfstraße ein so abscheulicher

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    Geruch, daß der Herzog voller Entsetzen auf den Ge-danken kam, es müßten da wohl unter dem rauchen-den Gebälk menschliche Leichen verkohlen. Denn anTierkadaver war nicht zu denken; das Vieh hatten dieKroaten sicherlich bis auf das letzte Schaf hinwegge-trieben.

    Mit tief gesenktem Haupte und gefurchter Stirn ritter aus dem verwüsteten Dorfe heraus. Er war einKriegsmann, und der Kampf war sein Lebenselement.Nie schlug ihm das Herz höher, als wenn die Signalhör-ner zum Angriff bliesen, die Klingen blitzend aus denScheiden fuhren. Diese Lust am Fechten und Schlagenwar wohl uraltes Ahnenerbe, das er in höherem Maßeüberkommen hatte als einer seiner Brüder. Aber zuwei-len befiel ihn ein Grauen vor einem Kriege, der, wiees schien, kein Ende nehmen wollte, kein Ende nachvierzehn Jahren. Denn was sollte aus Deutschland wer-den, wenn Jahr für Jahr hundert und mehr Städte undDörfer in Schutt und Asche sanken, Tausende friedli-cher Bürger und Bauern der unmenschlichen Wut derKriegshorden zum Opfer fielen oder durch Hunger undEntbehrungen elend zugrunde gingen? Kam wirklichder jüngste Tag heran, wie die Prediger auf den Kan-zeln verkündigten? Und sollte etwa der größere Teilder Menschheit in einem Meere von Blut und Tränenversinken, ehe Gottes großes und furchtbares Weltge-richt hereinbrach? Rossewiehern etwa hundert Schrit-te vor ihm schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. Die

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    Spitzenreiter, die ein gutes Stück vorausritten, hattendie beiden Kriegsleute, die da herankamen, nach kur-zem Zuruf ruhig passieren lassen, denn sie trugen dieFarben des weimarischen Regimentes Taupadel. Der ei-ne war ein Offizier, der andere ein gemeiner Reiter.

    Der Offizier zügelte auf der Stelle sein Roß, als ersah, daß ihn der Herzog bemerkte. Er riß den Hut vomKopfe, schwenkte ihn zum Salut und erwartete die An-rede des Fürsten.

    »Was bringt Ihr, Kornett von Germar?« rief ihm Bern-hard zu, als er ziemlich nahe an ihn herangekommenwar.

    »Briefe Seiner fürstlichen Gnaden des Herzogs Wil-helm an die Königliche Majestät von Schweden!«

    Der Herzog ritt dicht an ihn heran. »Wie geht es mei-nem Bruder?« fragte er mit gedämpfter Stimme.

    »Gnädiger Herr, ich kann nichts Gutes melden. Sei-ne fürstliche Gnaden liegen fest seit mehreren Tagen.Die Doktoren reden von einem gastrischen Fieber undmeinen, er werde erst nach Wochen wieder ein Roßbesteigen können.«

    Ein Blitz zuckte über das Gesicht des Herzogs hin.»Das ist sicher?«

    »Ich hab’ es gehört vom Herrn Obristen von Taupa-del.«

    »Dann wird es wohl seine Richtigkeit haben,« sag-te der Herzog. Sein Antlitz war mit einem Male sehrernst geworden, und er blickte eine Weile schweigend

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    vor sich hin. Dann hob er das Haupt. »Den Brief gebtmir,« befahl er. »Denn wisset, gestern war eine großeSchlacht. Die Viktoria war unser, aber der König ist ge-fallen.«

    Der Kornett schrie laut auf. »Tot? Tot – die Maje-stät?« stammelte er entsetzt und sah den Herzog mitschreckensstarren Augen an.

    »Ja, Gott hat ihn zu sich genommen,« entgegneteBernhard mit tiefem Ernst. »Und ich bin nach seinemBefehl und nach Wahl der Feldobristen der obersteFührer der Armee, die er hinterlassen hat. Also gebtmir den Brief, der an ihn gerichtet war.«

    Der Kornett nestelte schweigend ein versiegeltes Pa-ket aus seinem Wamse und reichte es dem Herzog dar.Seine Hände zitterten dabei, und aus seinen schwarzenAugen fielen einige Tränen herab, denn die Nachricht,die er eben erfahren hatte, erschütterte sein jugendli-ches Gemüt tief.

    Herzog Bernhard schnitt die Schnüre des Paketes mitseinem Degen entzwei, erbrach das Siegel und las dieSchrift. Dann steckte er den Brief in seine Satteltascheund sprach nachdrücklich und bedächtig: »Eine schrift-liche Order, Kornett von Germar, kann ich Euch hier aufder Landstraße nicht geben. Darum merket wohl aufdas, was ich Euch sage. Ihr reitet diese Straße weiter,da stoßt Ihr auf das Heer. Ihr meldet Euch beim Ge-neral von Knipphausen, der kommandiert an meinerStatt. Der soll Euch zu meinem Bruder Ernst bringen

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    lassen, und Seiner Liebden meldet Ihr, ich müsse ihnheute noch auf jeden Fall in Weißenfels sprechen. Eswäre sehr eilig und wichtig, was ich mit ihm zu ver-handeln hätte, und es beträfe unsern Bruder Wilhelm.Habt Ihr verstanden?«

    »Jawohl, fürstliche Gnaden.«»So reitet hin!« Er nickte ihm gnädig einen Gruß

    zu und wandte sein Roß, um weiterzureiten, als derKornett mit lauter Stimme rief: »Dort kommt ja Seinefürstliche Gnaden Herzog Ernst.«

    Bernhard beschattete die Augen mit der Hand undblickte rückwärts. Richtig – aus dem Dorfe Rippachtrabte eben eine kleine Reiterschar heraus, an derenSpitze Herzog Ernst ritt.

    »Es ist gut, Germar!« sagte der Herzog. »Ihr brauchtnun nicht erst zu Knipphausen, sondern kommt mitmir nach Weißenfels!« Dann lenkte er das Roß auf sei-nen Bruder zu und rief: »Begleite mich, Ernst, ich habedir Ernstes und Wichtiges zu künden!«

    Er winkte den Reitern, daß sie zurückbleiben möch-ten, und als er nun eine Strecke vor ihnen an der SeiteErnsts dahinritt, sagte er: »Ich werde unserm BruderWilhelm in besonderem Schreiben meine Wahl zumobersten Befehlshaber anzeigen und werde ihn bitten,daß er sie bestätige.«

    Über das feine Gesicht des älteren Herzogs flog einFreudenschimmer. »Du hast dich besonnen? Gott seigepriesen!«

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    »Ich will dir nicht edler erscheinen, als ich bin,« ver-setzte Bernhard trocken. »Wilhelm ist nicht unpaß, wieich wähnte, er ist sehr krank. Hier lies, was er dem Kö-nige schreiben läßt. Germar brachte mir den Brief.«

    Ernst hob das Blatt zu seinen etwas kurzsichtigenAugen empor und ließ es gleich darauf erschrockensinken. »Steht es so mit ihm, dann werde ich sogleichzu ihm nach Erfurt reiten.«

    »Und du wirst mein Schreiben mitnehmen, das wirnachher in Weißenfels aufsetzen.«

    Ernst faßte seines Bruders Rechte und drückte siekräftig. »Ich danke dir, daß du Rücksicht nimmst aufseine Krankheit und deinen Ehrgeiz zurückstellst,« riefer laut.

    »Du irrst dich, wenn du meinen Entschluß aus mei-nem Edelmut erklärst,« erwiderte Bernhard. »Gewißfreue ich mich, daß ich sein Gemüt jetzt nicht aufzu-regen brauche. Ich brauche es nicht, denn er ist aufWochen hinaus krank und muß mich schalten lassennach Belieben. Wäre er gesund, so dürfte ich ihm denBefehl auf keinen Fall überlassen. Denn in drei Tagenmüssen wir anfangen, den Feind zu verfolgen. In drei-ßig Tagen wäre Wilhelm noch nicht so weit, wenn dieSachen in seiner Hand lägen. An jedem kühnen Wur-fe hindert ihn seine Bedenklichkeit, das hat er nun seitmehr als Jahresfrist gezeigt. Darum wird auch das Heerniemals dulden, daß er an des Königs Stelle tritt. An

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    diese Stelle gehört ein Feldherr. Der bin ich und außermir unter den deutschen Fürsten keiner.«

    »Deine großen Fähigkeiten und deine Meriten imFelde kann dir niemand bestreiten, und ich habe michihrer stets ohne Neid gefreut, obwohl du der Jüngerebist. Auch muß ich dir zugestehen, daß Wilhelm gernzaudert und zögert. Aber ich sehe Streit und Bruder-zwist voraus, wenn du dich über ihn erheben willst,und das beschwert mir das Herz und macht mich trau-rig. Es ist so viel Unfriede in der Welt – möchten wirBrüder doch wenigstens friedlich miteinander leben!«

    Jetzt griff Bernhard nach seines Bruders Hand. Et-was wie Rührung zeigte sich in seinem Antlitz und zu-gleich ein leichtes Spottlächeln. »Du bist eine Seele,Ernst, die eigentlich zu gut ist für diese Welt!« rief er.»O, ihr seid alle so gut und bieder und trefflich, du undWilhelm und Albrecht, daß ich mir zuweilen wie einschwarzes Schaf erscheine, das durch einen Zufall ineine Herde von lauter weißen geraten ist. Ich glaube,ihr ertragt oftmals nur mit Seufzen den Bruder, der miteuch nicht gleicher Gemütsart ist.«

    »Nein!« erwiderte Ernst lebhaft. »Wir haben dich al-le lieb und sind stolz auf dich. Auch Wilhelm, obwohler als Senior des Hauses es dem viel jüngeren Brudernicht gerne zeigt. Aber du machst es uns hin und wie-der nicht leicht, in brüderlicher Freundschaft mit dir zu

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    leben, denn in dir ist ein Dämon, der Dämon des Ehr-geizes, und deine Gedanken steigen allzuhoch und er-heben sich weit über uns alle hinaus, und du schreckstauch nicht davor zurück, ein Recht zu verletzen umdeines Ehrgeizes willen.

    »Ja!« rief Bernhard mit starker Stimme, »das leugneich nicht: es lebt in mir die brennende Sucht, Großesauszurichten auf Erden. Aber jetzt ist’s nicht der Ehr-geiz, der mich treibt, nach dem Feldherrnstabe zu grei-fen. Des Königs Tod ist der härteste Verlust, der unse-re Sache betreffen konnte, und in der furchtbar ern-sten Lage darf nur der kommandieren, der wirklich dieKraft des Entschlusses hat. Und noch etwas ist’s, wasmich bestimmt. Vor den schwedischen Herren in Meu-chen konnte ich dir’s freilich nicht sagen, aber jetztwill ich dir’s sagen, denn ich möchte, daß du mich be-greifst. Aber dein Wort darauf, daß es unter uns bleibt.«

    »Meine Hand und mein Wort!«»Gebieter des Heeres wird jetzt der schwedische

    Reichsrat und mit seiner Vollmacht der Kanzler Oxen-stierna. Der wird alles daran setzen, seinen Schwieger-sohn, den General Horn, an die erste Stelle zu bringen.Unsern Bruder Wilhelm kann er ruhig beiseite schie-ben, denn für den regt sich im Heer keine Hand. Ichaber habe das Vertrauen der Obristen, sogar seit ge-stern der meisten schwedischen, und die Liebe des ge-meinen Mannes. Mich kann er nicht beiseite schieben,denn dann werden die Kriegsvölker schwierig. Und so

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    entgehen durch mich die deutschen Reichsfürsten demGeschick, daß ihr oberster Befehlshaber ein schwedi-scher Edelmann wird. Das Heer ist schon zur größerenHälfte deutsch und ficht auf deutschem Boden. So ge-hört ein Deutscher an seine Spitze und einer, der vonfürstlichem Blut ist, denn es kämpfen hundert Grafenund Fürsten in seinen Reihen. Die wollen und sollenbefehligt werden von einem ihresgleichen.«

    Ernst blickte erstaunt den Bruder an. »Du zeigst mirdie Sache in einem ganz neuen Lichte.«

    »Ich gedenke sie dir noch ausführlicher darzulegen,wenn wir heute einmal allein sind. Jetzt aber wollenwir unsere Gäule zu schnellerem Laufe antreiben, dennwir kommen sonst allzuspät nach Weißenfels.« –

    An dem Tore der Stadt, das sie dreiviertel Stundenspäter erreichten, hatte sich viel Volks angesammelt,auch Ratsherren und angesehene Bürger waren darun-ter. Als die beiden Herzöge durch den Torbogen gerit-ten waren, drängten sich die Leute an ihre Rosse heran,und der Stadtsyndikus nahm sein Barett ab und sagtemit einer tiefen Verneigung: »Mit Verlaub, Ihr Herren,ist es wahr, daß eine große Bataille gewesen und dergroße König des Todes verblichen ist?«

    »Herrgott, woher wißt Ihr das schon?« entfuhr esBernhard.

    »Ein Gerücht – o Gott, es ist also wahr!« flüsterte derAlte und taumelte zurück.

    »Weiß es die Königin schon?«

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    Der Greis zuckte die Achseln. »Mir ist das nicht be-wußt!«

    »Wo wohnt die Majestät?«»Im Geleitshause. Das Schloß haben die Friedländer

    vor ihrem Abzuge so demoliert, daß –«»Ihr führt mich sogleich zu ihr. Alles andere erfahrt

    Ihr früh genug!« unterbrach ihn Bernhard gebieterisch,und der Syndikus ergriff gehorsam die Zügel seinesRosses und geleitete ihn zu dem Quartier der Königin.

    Mit düsterer Miene stieg Bernhard die breite Trep-pe empor. Da hörte er plötzlich von oben einen Schrei,und gleich darauf fühlte er sich von weichen Frauenar-men fest umschlungen.

    »Gundel! Liebstes Herz!« rief Bernhard und warf sei-ne Arme um die Gestalt des laut aufweinenden Mäd-chens.

    »Ach Bernhard, Gott sei Dank, daß du lebst! Aber istdas Schreckliche wahr? Ist der König tot?«

    »Ja, Gott hat’s gewollt. Weiß es die Königin?«»Es hat noch niemand gewagt, ihr’s zu sagen. Wir

    wußten’s ja auch alle nicht sicher.«»So komm, Liebste, führe mich zu ihr. Sie soll es

    durch keinen andern erfahren.«

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    IV.

    Ein Tag und eine Nacht und wieder ein Tag warenvergangen, seit Gustav Adolfs Leiche in der Marienkir-che zu Weißenfels aufgebahrt worden war. Man hat-te sie aus dem rohgezimmerten Sarge, den der alteSchulmeister von Meuchen gefertigt hatte, herausge-nommen und in einen prächtigen Metallsarg gelegt,und kunstreiche Ärzte hatten sie einbalsamiert. Dennsie sollte eine weite Reise antreten über Land und Meerin die ferne nordische Heimat. Dort sollte sie ruhen inder Ridderholmskirche, wo die steinernen Särge derschwedischen Könige standen.

    Es war in einer Nachmittagsstunde. Die frühsinken-de Sonne des Novembertages goß eben im Scheidenein fahlgelbes Licht aus über die grauen Mauern desGotteshauses und über die Menschenmenge, die sichaus den Portalen herausdrängte. Es waren unter denKirchgängern viele Bürger der guten Stadt zu sehen,die stumm und feierlich in ihren dunklen Trauerge-wändern dahinschritten, aber die Mehrzahl bildetenschwedische und deutsche Offiziere aller Grade undWaffengattungen. Das war nicht verwunderlich, dennin der Kirche hatte in Gegenwart der Königin einAbschiedsgottesdienst stattgefunden. Noch am Abendsollte der Sarg verlötet werden, und auf den nächstenMorgen war seine Abfahrt festgesetzt. Die schwerensmåländischen Reiter waren dazu ausersehen worden,

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    die sterblichen Reste des Helden mit der Königin undihrem Gefolge nach dem Meere zu geleiten.

    Der Menschenstrom, der aus der breiten Tür heraus-flutete, verlor sich rasch in den nahe liegenden Gas-sen. Heute waren die Leute viel zu ernst gestimmtund zu bedrückt in ihren Gemütern, als daß sie hät-ten schwatzen und stehenbleiben und Neuigkeiten aus-tauschen mögen, wie das wohl sonst beim Heimwegeaus der Kirche geschah. Nur eine kleine Gruppe ho-her Offiziere, Obristen verschiedener deutscher Regi-menter, stand noch vor den Stufen beisammen, undein kleiner Herr, dessen kühnes Gesicht mit dem eis-grauen Schnurrbart von Säbelnarben wie zerfetzt er-schien, sprach leise, aber eindringlich und lebhaft ge-stikulierend auf sie ein. Er schien sich in großer Aufre-gung zu befinden, sprang aber doch behend zur Seiteund verneigte sich tief mit den andern, als die Kirchen-tür noch einmal sich öffnete und an Herzog BernhardsArme die Königin heraustrat. Maria Eleonore war tiefverschleiert, so daß von dem stolzen, schönen Antlitznichts zu erkennen war, und ihre hohe Gestalt erschienwie in sich zusammengesunken. Mit unsicheren Trittenund sich fest auf ihren Begleiter stützend, schritt sie zuder schwarzverhängten Staatskarosse, die in der Nä-he hielt. Der Herzog half ihr hinein, und nachdem ih-re Hofdame Platz genommen hatte, verschwand aucher im Innern des riesigen Kastens, und das ungefügePrunkgefährt rasselte von bannen.

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    Die vier Obristen blickten nachdenklich hinter ihmdrein. »Schwerer Dienst für den Herzog!« brummte derlange Waldau und strich sich den roten Bart. »Gott strafmich! Zehnmal lieber jeden Tag eine Attacke auf denFeind, als den halben Tag lang die Weiber mit ihrenTränen und Heulereien!«

    »Der Düwel hol mer! Tu hast recht, Bruder!« knurrteder dicke Mitzlav. »Tut mer alle Mal in der Seele weh,wenn ich einen Kriegsmann mit den Hofdamen zusam-men sehen muß! Aber der Herzog ist schlau, ach, derist schlau! Der nimmt die Majestät jetzt ganz für sichein, daß sie ihm den Oberbefehl bestätigt und ihn zumGeneralissimus macht! Meint Ihr nicht auch, Pfuel?«

    Der kleine Mann, der vorhin so eifrig geredet hat-te, warf ihm einen mitleidigen Blick zu und hüpfte voneinem Bein auf das andere. »Mit Verlaub zu sagen: Un-sinn, werter Herr und Freund! Die Majestät hat im Fel-de gar nichts zu sagen, oder sie hat nur eine Stimmeunter vielen. Denn in Schweden regieren von nun andie Reichsstände, und die Königsgewalt wird nur einPopanz. Und der wahre Regent von Schweden wird derKanzler Oxenstierna – paßt auf, ihr Herren, so wird’s!Und nun kann ich fortfahren, wo ich vorhin aufge-hört habe. Wir kommen unter das Regiment eines Fe-derfuchsers, ihr Herren, eines Federfuchsers, der keinHerz hat für die Soldaten, am wenigsten für die deut-schen. Und was wird der Kerl tun? Sein Schwiegersohn

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    ist der General Horn. Dem wird er den obersten Be-fehl zuschieben wollen. Der hat erst recht kein Herzfür uns. Herren! Herren! Was wird die Folge sein? Wirwerden nicht zu unserem Gelde kommen. Den Teufelauch! Was die tote Majestät uns noch schuldig war anSold und Gage und Traktement, das wird uns nicht be-zahlt werden. Und wir können unsere Soldaten nichtbezahlen, und da ziehen uns eines Tages die verwetter-ten Kerle die Kleider vom Leibe und mit den Kleiderndas Fell! Paßt auf, ihr Herren, so wird’s!«

    Er war während dieser Rede beständig von einemBein auf das andere gesprungen, so daß es aussah, alsverführe er eine Art von Tanz, und hatte, mit den Hän-den in der Luft herumfuchtelnd, die merkwürdigstenGrimassen geschnitten. Aber keiner seiner Zuhörer ver-zog den Mund zu einem Lächeln, denn seine Wortehatten an eine schwere Sorge gerührt, die jeder vonihnen tief im Herzen trug. Sie, die Obristen, hatten dieMannschaften für den König von Schweden angewor-ben, sie hatten den Leuten monatlich ihren Sold aus-zuzahlen. Nun konnte keiner der kriegführenden Po-tentaten seine Obristen regelmäßig befriedigen, dennkeines Fürsten Einnahme war dazu groß genug. AuchGustav Adolf hatte das nicht vermocht bei aller seinerSparsamkeit und Rechtlichkeit. Sie hatten dem Kriegs-herrn Geld vorgeschossen, damit der gemeine Mannentlohnt werden konnte, sie hatten, wie das in allenHeeren Brauch war, ihr Vermögen in ihre Regimenter

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    gesteckt wie in ein Geschäft. Nun war der König tot,auf dessen Wort sie gebaut hatten! Würde die KroneSchwedens seine Verbindlichkeiten gegen sie auch red-lich erfüllen? Würden sie alles zurückerhalten, was sieausgegeben hatten, und würde für sie auch ein erkleck-licher Gewinn herausspringen? Potz Wetter! Man legtesein Geld doch nicht in so unsicheren Werten an, umschließlich das ungeheure Risiko für nichts getragen zuhaben. Man lag nicht Jahr für Jahr im Felde und trugin hundert Affären seine Haut zum Markte, um ohneVorteil in die Heimat zu ziehen, wenn endlich der Frie-de kam! Man konnte es am wenigsten darauf ankom-men lassen, daß die Soldateska meuterte, die immerwilder und zuchtloser wurde, denn dann konnten dieHerren Obristen auch noch um das kommen, was siebesaßen, und mußten mit höchster Gefahr Leibes undLebens wie gerupfte Hühner aus dem Lager stieben.Jeder der Wackeren hatte solche und ähnliche Gedan-ken in seinem bekümmerten Geiste gewälzt, nachdemdie Schlacht vorüber war mit ihrem Lärmen und Tosen.Nun brachte der flinke Teufelskerl, der kleine Pfuel, mitseinen Worten ihnen erst recht zum Bewußtsein, wassie allesamt bedrückte. Deshalb hatten sie sich, wäh-rend er redete, bedeutungsvoll zugenickt, die Barte ge-strichen und sich hinter den Ohren gekratzt. Nun, daer zu sprechen aufhörte und mit einem kühnen Satzevon der Stufe herabsprang, auf der er gestanden hatte,

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    stießen sie alle drei wie auf Kommando ihre Schwerter-scheiden grimmig auf den Steinen auf. »Mohrendon-nerwetter und Blitz und Brand!« schrie Waldau. »Eskönnte kommen, wie der Herr Bruder sagt.« Er wur-de grünlich blaß dabei, denn der Gedanke erregte ihngewaltig, weil er mit am meisten zu verlieren hatte.

    Pfuel hüpfte wieder auf die Stufe hinauf und fuhrfort: »Drum, Herren, sage ich: Der Herzog von Wei-mar ist die einzige Rettung für uns. Kein Schwede darfdas oberste Kommando kriegen, keiner, am wenigstenHorn. Aber auch des Herzogs Bruder nicht, mag erauch ein guter Mann sein, denn er setzt nichts durch,ist viel zu zaghaft und bescheiden, sucht alles durchBeten und Singen vom lieben Gott zu erlangen. Unsaber liegt daran, daß wir zu unserm Gelde kommen,und das muß uns der Schwede geben, nicht der liebeGott!«

    »Ja, zum Donnerwetter! Das wollen wir! Wir wollenzu unserm Gelde kommen!« riefen die andern. »Undwenn uns der Teufel dazu verhelfen müßte!« fügteWaldau hinzu.

    Pfuel hüpfte auf eine noch höhere Stufe. »Der Teufelsoll uns nicht dazu verhelfen, sondern der Herzog vonWeimar. Bleibt er an der Spitze, so kann er dem KanzlerBedingungen stellen. Und darum muß er an der Spitzebleiben. Ich habe gestern mit Redern und Brandensteingesprochen, heute früh mit Lohusen und Bulach. Siesind alle derselben Meinung: Bleibt der Herzog oben,

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    so wird er uns zu unserm Gelde verhelfen. Muß erin der obersten Gewalt dem Horn weichen, so habenwir das Nachsehen und sind ruinierte Leute. Sie habenmir deshalb die Kommission gegeben, in ihrem Namenden Herzog zu bitten, daß er unser Sprecher werde beider Krone Schwedens. Dafür geloben wir ihm, nimmer-mehr zu dulden, daß ein anderer ihm vorgezogen wird.Herren und Freunde, wollt auch Ihr mir diese Permis-sion erteilen? Einer muß doch das Ding in die Handnehmen. Viel Zeit haben wir nicht. Es geht um großeDinge, Herren. Wie dünkt Euch?«

    »Mich dünkt, Ihr seid der klügste Kerl, der zur Zeitauf deutscher Erde herumtrampelt!« rief Waldau. »Hiermeine Hand! Traktiert die Sache mit dem Herzog, wieIhr wollt. Ich geb’ Euch Vollmacht!«

    »Ich auch!« fiel Mitzlav ein. »Und ich nicht minder,«sagte bedächtig der Dritte, der bisher geschwiegen hat-te, ein großer, breitschultriger Mann mit einem mäch-tigen Kopfe und einem höchst eigenwilligen Ausdruckim Gesicht. Das war der alte Heinrich von Germar, dersein Gut in Gorsleben an der Unstrut verlassen hatteund in hohen Jahren zu dem Kriegshandwerk seinerJugend zurückgekehrt war. Denn er hatte böse Hän-de bekommen mit seinen Bauern und seinem Orts-pfarrer, weil er in seiner Kirche die alte Kanzel hat-te ansägen lassen, um den Prediger zu zwingen, sei-nen Sermon auf einer neuen Kanzel zu halten, die er

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    sich zur größeren Bequemlichkeit gerade seinem Pa-tronatsstuhle gegenüber hatte bauen lassen. Aber derPastor wollte nicht, und die Bauern wollten auch nicht,und Sonntag für Sonntag stützten die Dickköpfe diealte Kanzel mit ihren Armen, so daß der Pfarrer demGutsherrn zum Trotz darauf predigen konnte. Das wareinem hochwürdigen kurfürstlichen Konsistorium hin-terbracht worden, und das verstand in solchen Dingenkeinen Spaß. Es hatte sich ganz auf die Seite der Bau-ern geschlagen und den Landesherrn veranlaßt, denPatron mit einer strengen Pön zu bedräuen und dieWiederherstellung der alten Kanzel ihm anzubefehlen.Da war Herr Heinrich von Germar tief gekränkt undschweren Ärgers voll zu den Schweden gegangen undließ daheim sein Weib auf dem Schieferhofe schaltenund walten und wurde trotz seiner sechzig Jahre einerder tapfersten Haudegen der Armee.

    Er kniff jetzt, wie er beim Reben zu tun pflegte,die kleinen schwarzen Äuglein zusammen und sagte:»Gewißlich stimme ich Euch zu, Pfuel. Aber wird derHerzog auch wollen? Er hat sich ausdrücklich nur aufso lange wählen lassen, bis die Krone Schwedens denOberbefehl vergibt. Er scheint also den Herren sichbeugen zu wollen, wenn sie es befehlen.«

    Der kleine Pfuel drehte sich fast um sich selber. »Be-ster! Wertester!« sprudelte er aufgeregt hervor. »Was

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    redet Ihr da? Der Herzog ist doch kein Kind, das sei-ne Gedanken ausplappert vor aller Welt! Er wird wol-len, darauf verlaßt Euch. Denn pro primo schuldet ihmselbst die Krone vieles Geld. Das kann er in den Rauch-fang schreiben, wenn er nicht an der Spitze bleibt. Vorallem aber: er hat Ehrgeiz. Er weiß, daß er der besteFührer ist, der jetzt im Felde steht. Warum sollte er ei-nem Geringeren weichen? Und endlich pro tertio . . . «

    »Wenn Ihr noch mehr sprechen wollt,« unterbrachihn Germar, »so laßt uns in die Trinkstube da drübenin der Nebengasse gehen. Dort gibt’s ein höllisch gutesBier, und mir klebt die Zunge am Gaumen!«

    Der Vorschlag fand allerseits Anklang, und die vierObristen verschwanden gleich darauf um die Ecke.

    Unterdessen hatte Herzog Bernhard die Königinheimgeleitet. In trübem Schweigen wurde der kurzeWeg zurückgelegt. Auch als er sie die Treppe hinauf-führte, sprach sie kein Wort. Erst oben in ihrem Gema-che schlug sie den Schleier zurück und reichte ihm dieHand und sprach, während sie ihn mit unbeschreib-lich traurigen Augen ansah: »Herr Herzog, Sie werdenmorgen früh vor aller Welt von mir Abschied nehmen.So lassen Sie mich Ihnen heute sagen, was ich Ihnennicht vor aller Welt sagen kann: Ich danke Ihnen, daßSie mir die furchtbare Botschaft so schonungsvoll bei-gebracht haben, wie ein Bruder seiner Schwester. Soviel an Ihnen lag, haben Sie mir das Schwere leicht ge-macht. Das werde ich Ihnen niemals vergessen! Gott

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    geleite Sie durchs Leben und lasse Ihnen gelingen, wasSie sich vornehmen! Meine Dankbarkeit und Achtungfolgen Ihnen, wo Sie auch hingehen.«

    Der Herzog blickte ihr bewegt ins Gesicht. Die stol-ze, gerade und tapfere Brandenburgerin war ihm vonjeher sympathisch gewesen; auch wußte er, wie hochund wert sie der König gehalten hatte, und er ahnte,daß er sie wahrscheinlich im Leben niemals wiedersah.

    »Ich habe getan, was meine Pflicht war als Christund Kavalier, und kann keine Dankbarkeit beanspru-chen,« erwiderte er, indem er sich über die ihm dar-gereichte Hand der Königin beugte. »Gott segne undschütze die Majestät und lasse Sie Freude erleben anIhrem Kinde!«

    Die Königin neigte das Haupt. »Meine kleine Tochterist das einzige Liebe, was mir noch geblieben ist. An ih-rem Glücke werde ich mich noch freuen, eigenes Glückbegehre ich nicht mehr. O Herzog, wie seltsam ist dochdie Welt! Fünf Jahre nur bin ich älter als Sie, und dasLeben liegt hinter mir. Vor Ihnen aber liegt noch dasganze Leben mit all seinem Glücke.«

    »Vom Glücke, Herrin, habe ich bis jetzt wenig emp-fangen im Leben,« entgegnete der Herzog mit gefurch-ter Stirn. »Mein Vater starb früh, die Mutter, die ichüber alles liebte, folgte ihm bald. Meine Kindheit warvielfach getrübt, meine Jugend nicht leicht. Ich bin einnachgeborener Prinz aus nicht reichem Hause – doch

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    genug. Was soll ich Ihnen vorklagen! Noch habe ichmeinen guten Degen und die Kraft, ihn zu schwingen.«

    Die Königin blickte ihn ernst, fast zürnend an. »Undsonst hätten Sie nichts an Glück? Ist es nicht ein hohesGlück, das Herz eines Weibes zu gewinnen, wie Kuni-gunde von Anhalt ist?«

    »Das wissen Sie?« fuhr er auf.»Sie hat es mir selbst gestanden, und bei Gott, lebte

    der König, ich würde alles tun, Euch beiden den Wegzueinander zu ebnen. Nun aber bin ich eine arme Wit-we.«

    »Doch eine Güte könnte die Majestät mir antun. Ichhabe meine Braut nur immer auf Minuten gesehen undimmer nur vor fremden Leuten. Morgen reist sie mitmeinem Bruder ab, und ich spräche sie gern unter vierAugen. Gott weiß, wann ich sie wiedersehe! Jetzt ha-be ich Kriegsrat mit Lohusen und Bulach, aber in einerStunde könnte ich wieder hier sein. Würde die Maje-stät erlauben, daß ich sie hier einmal sprechen darfohne Zeugen? Ich habe ihr so viel zu sagen.«

    »Das will ich gern arrangieren, Herzog Bernhard.Seien Sie um sechs Uhr hier. Und nun zum letzten Ma-le: Gott mit Ihnen!«

    Sie reichte ihm noch einmal die Hand, die er ehr-furchtsvoll küßte. Dann verneigte er sich tief und ver-ließ das Gemach.

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    V.

    Der sechste Schlag der Weißenfelser Turmuhr wareben verklungen, als Herzog Bernhard wieder vor derTür des Geleitshauses stand. Er trug das Haupt hoch,seine Augen blitzten, und sein Antlitz war vor inne-rer Aufregung gerötet. Er ging ja zu dem geliebtenMädchen, dessen Bild ihn überall begleitet und nachdem sich sein Herz gesehnt hatte Jahre lang. In ei-ner halben Minute durfte er sie an seinem Herzen hal-ten. Und er kam zu ihr mit einer neuen großen Hoff-nung auf Glück, mit einer Hoffnung, die ihn fast be-rauschte. Er hatte gewähnt, der Tod des Königs seidas schwerste Unglück, das ihn treffen konnte. Jetztmit einem Male war ihm eine Ahnung aufgegangen,daß die verhängnisvolle Kugel von Lützen ihm mög-licherweise den Weg freigemacht hatte zu einer un-erhörten Laufbahn. Wunderbar, wie das Schicksal sei-nen geheimsten Wünschen entgegenkam! Er war ent-schlossen, den obersten Befehl des Heeres festzuhaltenselbst gegen den Willen des Kanzlers. Aber wenn demdie Obristen und Generale nicht zustimmten, so konn-te er es nur erreichen durch den gemeinen Mann. Ermußte dann das ganze Heer zusammenrufen und ab-stimmen lassen. Das dünkte ihm ein bedenklicher undgefährlicher Weg zu sein, den er höchst ungern undnur unter dem Zwange der äußersten Not beschrittenhätte. Ganz anders lag die Sache, wenn er sich auf die

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    Führer der Armee stützen konnte – und siehe, sie bo-ten sich selber ihm dar. Während er mit Lohusen undBulach den Feldzugsplan der nächsten Tage entwor-fen hatte, war Pfuel erschienen, und die drei hattenihn dann bestürmt, ihr Sprecher und Vorkämpfer zuwerden bei der Krone Schwedens. Dafür wollten sieihn im obersten Befehl halten und nicht dulden, daßein anderer an seine Stelle gesetzt werde. Er hatte sieum Bedenkzeit gebeten bis morgen früh, aber das warnur der Form halber geschehen, denn er hatte Mü-he gehabt, seine freudige Erregung zu verbergen, alser ihr Anerbieten vernahm. Wenn er die Hand ergriffund festhielt, die ihm jetzt das Glück entgegenstreck-te, so gelang es ihm vielleicht, auf dem Kriegstheaterdie Rolle dessen zu übernehmen, der bei Lützen gefal-len war. Ward er aber der erste Mann auf protestanti-scher Seite, führte er das Heer, das der König geführthatte, dann bei Gott, dann sollte auch ein Fürstentumsein eigen werden! Gewaltige Gebiete hatte man ja denFeinden entrissen im Süden des Reiches. Dort sollte ei-ne neue ernestinische Herrschaft entstehen, viel grö-ßer und bedeutender als das kleine Land, das seinenBrüdern und ihm gehörte, und trug er dort den Her-zogshut, so konnte er auch ein Haus gründen und dieGeliebte heimführen.

    Alle diese Gedanken und Pläne wirbelten ihm durchsHirn, als er vor dem Hause angekommen war, in dem

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    die Königin und seine Liebste wohnten. Aber er be-saß die Eigenschaft, daß ihm nichts in seiner Umge-bung entging, auch wenn sein Geist mit den größtenund wichtigsten Dingen beschäftigt war. So erkannteer jetzt in dem wachthabenden Soldaten, der zur Seitestand und den Spieß vor ihm senkte, einen Mann ausder Thüringer Heimat, den er hier nicht gesucht hätte,und trat lebhaft auf ihn zu. Das trübe Licht der überder Tür hängenden Laterne fiel gerade auf das finstereGesicht des Hellebardiers.

    »Hast du mir nicht vor fünf Jahren mein Pferdbeschlagen?« fragte der Herzog. »Bist du nicht derSchmied von Zwätzen an der großen Heerstraße hinterder Thingstätt?«

    »Das war ich, Herr.«»Und wie kommst du hierher?«»Die Schmiede liegt in Trümmern.«»Holte mir nicht damals dein junges Weib einen

    Trunk aus der Schenke? Wo hast du sie gelassen?«In das Gesicht des riesenhaften Mannes trat ein

    furchtbarer Ausdruck. »Sie ist hin, Herr,« sagte er kurzund hart. »Sie und mein kleines Mädchen. Die Kroatenwaren im Dorfe.«

    Der Herzog legte ihm die Hand auf den Arm undsah ihm voller Teilnahme in die Augen. »Da hat dichGott der Herr schwer heimgesucht, lieber Kriegsgesel-le! Trag’s wie ein evangelischer Christ! Und es ist rechtvon dir, daß du der Fahne gefolgt bist. Wer jetzt zwei

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    Fäuste hat, der muß helfen, daß das welsche Gesindelverjagt wird von der deutschen Erde.«

    Der Soldat stieß ein schauerliches Lachen aus. »Anmir soll’s nicht fehlen, Herr! Mir ist nur wohl, wennich Blut sehe.«

    Bernhard trat rasch durch die Tür ins Haus, und derSchauer, der ihm durch die Glieder rann, kam nichtvon der kalten, kellerartigen Luft des Hausflurs her, dieihm entgegenschlug. Ein Entsetzen hatte ihn ergriffen,wie so manchmal schon, wenn er über die blutgetränk-ten Schlachtfelder oder durch die verbrannten Dörferund Städte geritten war. Er entsann sich der Schmiedevon Zwätzen ganz genau, des freundlichen kleinen An-wesens unter hohen, alten Linden, er entsann sich auchdes schmucken blonden Weibes, das ein rosiges Kindim Mantel getragen hatte. Nun lag dort ein Schutthau-fe, die junge Frau hatten die Kroaten zu Tode mißhan-delt, und das Kind war mit umgekommen. War es einWunder, daß ein Mann, der solches erleben mußte, zurBestie wurde? und Leute, die Ähnliches, vielleicht nochGrauenvolleres erlebt hatten, gab es ja schon zu Tau-senden und Abertausenden, und ihrer wurden mehrmit jedem Tage. Was hatte nur die deutsche Nation ver-brochen, daß Gottes Zorn so furchtbar auf ihr lag? Hör-te er nicht bald auf zu zürnen und zu strafen, so gingwohl die eine Hälfte des Volkes elendiglich zugrunde,und die andere Hälfte vertierte!

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    Sein Antlitz war noch blaß vor innerer Erregung,und zwischen seinen Brauen stand eine tiefe Falte, alser droben ins Zimmer trat. Gundel, die ihm mit einemFreudenschrei entgegenflog, ließ plötzlich ihre ausge-streckten Arme sinken und blickte erschrocken in sei-ne erblichenen Züge. »Um Gottes willen, Bernhard,was ist dir? Bringst du eine böse Kunde? Oder bist dukrank?« Er machte eine heftige Bewegung, als ob ereine Last von seinen Schultern abwerfen wollte, undzog sie dann stürmisch in seine Arme. »Verzeihe, daßich dich mit meiner finsteren Miene so erschreckt ha-be! Ich bin nicht krank und habe nur gute Zeitung fürdich, aber ich hatte eine Begegnung hier vor der Tür,die mir das Gemüt verstörte.«

    »Erzähle mir das!« bat sie, und als er ihr gewillfahrthatte, warf sie sich weinend an seine Brust. »O Bern-hard, der schreckliche Krieg! Wann wird endlich Gottmit uns Erbarmen haben?«

    »Das weiß Er allein!« versetzte der Herzog düster.»Ist keine Aussicht, daß jetzt bald Friede wird?«»Warum denn gerade jetzt, Liebste?«»Weil die Armada des Kaisers geschlagen ist!«»Ach, du meinst, unser Sieg bei Lützen werde den

    Kaiser dazu bewegen, den Frieden nachzusuchen?Glaube mir, man wird in Wien die Niederlage wie einegroße Viktoria empfinden, weil der König gefallen ist.Nun erst recht wird der Habsburger alles daran setzen,sein Dominat über Deutschland aufzurichten.«

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    »Meinst du nicht, daß er sich heimlich nach Friedensehnt? Könnten die deutschen Fürsten nicht mit ihmpaktieren, daß jeder etwas nachließe von seinen For-derungen, und daß so Friede werden könnte?«

    »Nein,« erwiderte der Herzog hart, »da gibt es keinPaktieren. Er kann nicht anders, und wir können nichtanders. Mit ihm reden wundertätige Bilder, und er hörtStimmen von Heiligen, die ihm befehlen, die Ketze-rei auszurotten auf Erden. In seinem Hirne glüht derWahnsinn, den die Väter Jesu in Menschenschädeln zuentfachen wissen. Darum ist der deutsche Kaiser zur-zeit der ärgste Feind der deutschen Nation. Sie hat kei-nen schlimmeren. Denn er will die Gewalt haben nichtnur über die Leiber, sondern auch über die Seelen. Erwill uns das reine Evangelium nehmen, das Luther unsgegeben hat, und er will den deutschen Geist erdros-seln und uns zu Spaniolen machen. Lieber sterben, alsihm gehorchen!«

    Er blickte eine Weile düster vor sich nieder, dannwarf er mit einer jähen, ungestümen Gebärde den Kopfzurück und schlang von neuem die Arme um sie. »Wasnützt es, davon zu reden, wo wir doch nichts ändernund bessern können! In der halben Stunde, die uns ge-hört, wollen wir von dem uns besprechen, was uns bei-de angeht, dich und mich.«

    Er zog sie neben sich auf eine Bank nieder, die in derNähe des Fensters stand. »Du hast gehört, Gundel, daß

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    mich das Heer zu seinem obersten Feldherrn ausge