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BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK HEFT 46 OKTOBER 2010 www.perspektive21.de DIETMAR WOIDKE: Weniger Häuptlinge MATTHIAS PLATZECK: Erneuerung durch Gemeinsinn THOMAS KRALINSKI: 20 Jahre Brandenburg VICTOR STIMMING: Erfolg und Fleiß CHRISTIAN MAASS: Auf einmal im Rathaus HOLGER RUPPRECHT: Kinder im Mittelpunkt KLAUS FABER: Acht Neue MICHAEL ARNDT: Neu Denken RÜCKBLICK UND AUSBLICK Zwanzig Jahre Brandenburg

perspektive 21 - Heft 46

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Zwanzig Jahre Brandenburg

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Page 1: perspektive 21 - Heft 46

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

HEFT 46 OKTOBER 2010 www.perspektive21.de

DIETMAR WOIDKE: Weniger Häuptlinge

MATTHIAS PLATZECK: Erneuerung durch Gemeinsinn

THOMAS KRALINSKI: 20 Jahre Brandenburg

VICTOR STIMMING: Erfolg und Fleiß

CHRISTIAN MAASS: Auf einmal im Rathaus

HOLGER RUPPRECHT: Kinder im Mittelpunkt

KLAUS FABER: Acht Neue

MICHAEL ARNDT: Neu Denken

RÜCKBLICK UND AUSBLICK

Zwanzig JahreBrandenburg

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| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen

20 Jahre nachder friedlichenRevolution von 1989:

Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutsch-land jetzt?

224 Seiten,gebunden

Eine persönliche Bestandsaufnahme

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20 Jahre BrandenburgW ir sind 20! Brandenburg feiert in diesen Tagen den 20. Jahrestag seiner

Wiedergeburt. Am 14. Oktober 1990 wählten die Brandenburgerinnen und Brandenburger zum ersten Mal einen neuen Landtag. Wer heute mit den„Männern und Frauen der ersten Stunde“ redet, hört immer wieder von derEuphorie der Anfangszeit. Das erste Brandenburger Jahrzehnt war voller Auf-bruch und Umbruch, voller Veränderungen und mancher Enttäuschungen.Brandenburgs zweites Jahrzehnt war geprägt von Konsolidierung und Stabili-sierung. Unser Land ist erfolgreich geworden, die Halbierung der Arbeitslosig-keit in den vergangenen fünf Jahren ist dafür das beste Zeichen.

Im dritten Jahrzehnt wird Brandenburg vor neuen Problemen und Heraus-forderungen stehen. Der Landeshaushalt wird um etwa ein Fünftel schrumpfen,die Bevölkerungszahlen deutlich zurückgehen – von den großen globalen wirt-schafts- und finanzpolitischen Veränderungen auf der Welt mal ganz abgesehen.

Wie die SPD unter diesen deutlich veränderten Bedingungen weiter aktiv Politikgestalten will, erläutert Matthias Platzeck in seinem Beitrag. Und der neue Innen-minister Dietmar Woidke erklärt, warum die Polizeireform so wichtig und nötigist. Es geht in diesem Heft also nicht nur um die vergangenen 20 Jahre – sondernauch und gerade um die Fragen von Brandenburgs Zukunft.

Die Sozialdemokraten sind aus den ersten Landtagswahlen als Sieger hervorge-gangen, genauso wie aus den folgenden vier Wahlen. Sozialdemokraten haben in allden Jahren Verantwortung getragen – und wollen dies auch in Zukunft tun. Dazugehört auch eine lebendige Debatte um die Zukunft unseres Landes – zu der wir mit diesem Heft einen weiteren Beitrag leisten wollen. Ich wünsche Ihnen eine inte-ressante Lektüre.

IHR KLAUS NESS

vorwort

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impressum

HERAUSGEBER

n SPD-Landesverband Brandenburgn Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

REDAKTION

Klaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber,Tina Fischer, Klara Geywitz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel

ANSCHRIFT

Alleestraße 914469 PotsdamTelefon 0331/ 730 980 00Telefax 0331/ 730 980 60

E-MAIL

[email protected]

INTERNET

http://www.perspektive21.de

HERSTELLUNG

Layout, Satz: statement WerbeagenturKantstr. 117A, 10627 BerlinDruck: Lewerenz GmbH, Klieken/Buro

BEZUG

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Page 5: perspektive 21 - Heft 46

inhalt

5perspektive21

20 Jahre BrandenburgRÜCKBLICK UND AUSBLICK

MAGAZINDIETMAR WOIDKE: Weniger Häuptlinge .............................................................. 7

Warum die Polizeireform und mehr Geld für Kitas zwei Seiten einer Medaille sind

THEMAMATTHIAS PLATZECK: Erneuerung durch Gemeinsinn ........................................ 11

Der Brandenburger Weg im dritten Jahrzehnt der Einheit

20 JAHRE BRANDENBURG: Eine Chronik ............................................................ 29

Zusammengestellt von Thomas Kralinski

VICTOR STIMMING: Erfolg und Fleiß .................................................................... 43

Wie aus dem märkischen Sand eine prosperierende Wirtschaft wuchs

CHRISTIAN MAASS: Auf einmal im Rathaus ........................................................ 47

Wie die kommunale Selbstverwaltung in Brandenburg entstand

HOLGER RUPPRECHT: Kinder im Mittelpunkt .................................................... 55

Wie die Bildungspolitik für das 21. Jahrhundert aussehen soll

KLAUS FABER: Acht Neue .................................................................................. 63

Der Aufbau der Wissenschaftslandschaft in Brandenburg begann fast bei Null

MICHAEL ARNDT: Neu Denken ............................................................................ 71

Wie Investitionen im demografischen Wandel systematisch auf Nachhaltigkeit überprüft werden können

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6 dezember 2007 – heft 36

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Weniger HäuptlingeWARUM DIE POLIZEIREFORM UND MEHR GELD

FÜR KITAS ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE SIND

VON DIETMAR WOIDKE

Vor kurzem diskutierte ich mit Kita-Erzieherinnen über die zusätzlichen Mittelfür die Kita-Betreuung, die ab diesem Herbst fließen werden. Spaßeshalber

sagte ich zu ihnen: „Ihretwegen haben wir gerade so viel Ärger.“ Denn während wirdie Ausgaben für die Kitas um 50 Prozent erhöht haben, werden wir in den kom-menden zehn Jahren die Zahl der Polizisten reduzieren.

Auf den ersten Blick hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Trotzdem gibtes einen Zusammenhang. Derzeit profitiert Brandenburg – wie alle ostdeutschenLänder – noch vom Solidarpakt und vom Länderfinanzausgleich. Doch diese Son-derstellung werden wir bis 2020 verlieren. Denn die Zahlungen für den AufbauOst aus dem Solidarpakt gehen bis 2019 auf Null zurück. Auch die EU-Förderungwird abnehmen, schließlich gehören wir – glücklicherweise! – nicht mehr zu denärmsten Regionen Europas. Und weil unsere Einwohnerzahl in diesem Jahrzehntum gut sechs Prozent sinkt, werden wir auch weniger Geld aus dem Länderfinanz-ausgleich erhalten. Alles in allem bedeutet das, dass wir 2020 statt zehn nur nochacht Milliarden Euro im Landeshaushalt haben werden. Das ist jedoch kein Grundzur Panik: Wir werden am Ende ganz einfach das gleiche Finanzniveau zur Verfü-gung haben wie zum Beispiel Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Kurz, Bran-denburg wird ein „normales“ Bundesland.

Das Wichtigste ist Bildung

Den Übergang in diese „neue Normalität“ müssen wir intelligent organisieren.Wenn das Geld weniger wird, bedeutet das zweierlei. Man muss überlegen, welcheAufgaben besonders wichtig sind. Und man muss alle Strukturen auf ihre Effekti-vität und Wirksamkeit überprüfen.

Die wichtigste Bedingung für Wohlstand und Zukunftsperspektiven ist heuteBildung – genauer: Bildung für alle und von Anfang an. Das heißt: Wer in Kitas,in Schulen und Hochschulen investiert, der investiert auch in Lebenschancenund gut bezahlte Jobs. Jeder Euro, den wir in Bildung stecken, ist gut angelegt

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und rentiert sich um das Vierfache. Mit anderen Worten: Auch wenn unser Lan-deshaushalt sinkt, müssen wir um jeden Euro kämpfen, den wir in Bildung ste-cken können.

Damit sind wir bei der Polizeireform. Zunächst die Fakten: Brandenburg ist einsicheres Land – und zwar von Jahr zu Jahr mehr. Daran darf und wird sich nichtsändern. Seit 1996 ist die Kriminalität um ein volles Drittel zurückgegangen. Der-zeit kommen in unserem Land 38 Polizisten auf 10.000 Einwohner. Das sind deut-lich mehr als in vergleichbaren westdeutschen Bundesländern wie Niedersachsenund Schleswig-Holstein. Dort kommt man mit 27 Polizisten auf 10.000 Einwoh-ner aus – und zwar ohne dass es dort weniger sicher zuginge als bei uns.

Die Polizei bleibt vor Ort präsent

Deshalb hat eine hochkarätige Kommission unsere Polizeistrukturen genau unterdie Lupe genommen und festgestellt: Wir können dasselbe Maß an Sicherheit wiebisher – und wahrscheinlich sogar mehr Sicherheit – mit deutlich geringeremMitteleinsatz gewährleisten. Genau deshalb werden wir unsere Polizei so moderni-sieren, dass die innere Sicherheit in Brandenburg auch in Zukunft auf dem hohenNiveau bleibt. Die Polizeireform hat nun vier Elemente: n Wir werden die Strukturen straffen nach dem Prinzip: „Genauso viele Indianer

wie bisher – aber weniger Häuptlinge.“ Deshalb gibt es in Zukunft nur noch einPolizeipräsidium für das ganze Land, in das auch das Landeskriminalamt inte-griert wird. Daneben gibt es vier Polizeidirektionen. Diese werden räumlich mitden Landgerichtsbezirken und Staatsanwaltschaften identisch sein – das verbes-sert die Zusammenarbeit und Strafverfolgung. Insgesamt werden in den Füh-rungsstrukturen 47 Prozent der Stellen abgebaut.

n Daneben wird es mindestens 15 Wachen im Land geben, die rund um die Uhrbesetzt sind und in erster Linie der polizeilichen Führung dienen. Unterhalbdieser Ebene wird es in allen großen Orten unseres Landes weiterhin Polizei-stützpunkte geben. Dort wird dann zwar nicht mehr das Wort „Wache“ aufdem Türschild stehen, aber wichtig für die Bürger ist vor allem, ob es verläss-liche Sprechstunden der Polizei gibt – und genau dies wird der Fall sein.

n Wirklich entscheidend für die Menschen im Land ist die Frage: „Wie lange dauert es, bis die Polizei bei mir ist, wenn ich sie mal brauche?“ Es geht also um Anfahrtszeiten, um die polizeiliche Präsenz auf der Straße und beim Bürger.Und in dieser Hinsicht wird es keinerlei Verschlechterung geben. Die neueschlanke Führungsstruktur ermöglicht es, die Zahl der Streifenwagen in der

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Tiefe des Landes auf dem gewohnten Stand zu belassen. So kann die Polizeiauch in Zukunft jederzeit schnell vor Ort sein, wenn jemand die 110 anruft.Auch an der Zahl der Revierpolizisten wird nicht gerüttelt – und sie sind nuneinmal die wichtigsten Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger imWohnviertel.

n Schließlich werden wir die Ausstattung der Polizei modernisieren. Polizeiautoswerden mobile Büros sein, in denen auch Anzeigen aufgegeben werden können.Die Wache kommt sozusagen zum Bürger. Zudem werden wir in die Qualifizie-rung und Fortbildung der Polizeibeamten investieren.

Mit diesen Maßnahmen können wir die Zahl der Polizisten von derzeit 8.900schrittweise auf etwa 7.000 im Jahr 2020 reduzieren – und dabei die innere Sicher-heit in allen Regionen unseres Landes mindestens genauso gut gewährleisten wieheute. Am Ende werden wir bei geringerem Finanzaufwand eine der effizientestenPolizeistrukturen Deutschlands haben – und genau das sind wir dem Steuerzahlerschuldig. Denn nur so werden wir auch weiterhin die Mittel aufbringen können,um allen unseren Kindern und Enkeln die beste nur mögliche Bildung zu ermög-lichen. Und davon vor allem hängt Brandenburgs Zukunft ab. n

D R. D I E T M A R W O I D K E

ist Innenminister des Landes Brandenburg.

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dietmar woidke – weniger häuptlinge

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In diesen Wochen feiern wir Bran-denburgs 20-jähriges Bestehen. Wir,

alle Bürgerinnen und Bürger Branden-burgs zusammen, haben jeden Grund,uns über dieses Jubiläum ausgiebig zufreuen; und wir Brandenburger Sozial-demokraten – Regierungspartei in je-dem einzelnen dieser ersten 20 Jahre –vielleicht sogar noch ein kleines biss-chen mehr. Was wir in den vergangenenzwei Jahrzehnten gemeinsam geschafftund aufgebaut haben, das kann sichwahrhaftig sehen lassen.

Aber die Zeit steht nicht still. ZweiJahrzehnte nach der Gründung unseresLandes beginnt nun ein neuer Ab-schnitt in der Geschichte unseres jun-gen Landes. Wir schlagen sozusagenunser drittes Kapitel auf: Unser erstesJahrzehnt war geprägt vom völligenUmbruch, von der Auflösung des Be-stehenden, vom improvisierten Neu-beginn auf allen Ebenen von Politik,Wirtschaft und Gesellschaft. Das warenschwierige und dramatische Jahre fürdie Menschen in unserem Land.

Unser zweites Jahrzehnt war ganzsicher auch nicht einfach. Aber es hat

sich doch – vom Ende her gesehen – alsein Jahrzehnt großer Stabilisierung undKonsolidierung erwiesen, sogar als einJahrzehnt der inneren Erneuerung undder wachsenden eigenen Kraft Branden-burgs mitten im neuen Europa.

Große neue Herausforderungen

Und jetzt stehen wir also vor unseremdritten Jahrzehnt. Schon heute istklar: Die Jahre bis 2020 werden ge-prägt sein durch große neue Heraus-forderungen. Der Solidarpakt läuftaus, es wird weniger Geld zur Verfü-gung stehen; die demografischen Rah-menbedingungen werden deutlichschwieriger. Ich habe keinen Zweifel:Wir in Brandenburg können und wirwerden diese Herausforderungen be-wältigen. Unter einer Bedingung: Wirdürfen uns keinen Tag lang auf dembisher Erreichten ausruhen:

n Wir werden manche Dinge andersund besser tun müssen als bisher.

n Wir werden uns noch stärker aufWesentliches konzentrieren müssen.

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thema – 20 jahre brandenburg

Erneuerung durchGemeinsinn DER BRANDENBURGER WEG IM DRITTEN JAHRZEHNT DER EINHEIT

VON MATTHIAS PLATZECK

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n Wir werden kluge Lösungen für ver-änderte Problemlagen finden müssen.

n Wir werden Tag für Tag hart undkonzentriert arbeiten müssen, umdem Anspruch gerecht zu werden,den wir uns als Sozialdemokratenselbst gestellt haben.

I. „Gemeinsinn und Erneuerung –ein Brandenburg für alle“ – so

heißt das Motto, das wir über unsereKoalitionsvereinbarung geschriebenhaben – und zwar mit voller Absicht.Gemeinsinn – Erneuerung – ein Bran-denburg für alle: Warum sind diesePrinzipien und Ziele so wichtig fürunser Land?n Gemeinsinn bedeutet: Wir sind tief

davon überzeugt, dass die Bürgerin-nen und Bürger nicht bloß ihren individuellen Eigennutz suchen, sondern dass sie bereit sind zu Zu-sammenhalt und Solidarität. Genaudiese Haltungen brauchen wir; dieseHaltungen wollen wir stärken.

n Unser ausdrückliches Bekenntnis zurErneuerung bedeutet: Wir wissen,dass wir in bewegten Zeiten selbstnicht stehenbleiben können. Bran-denburg bewegt sich – und Branden-burg muss sich bewegen. Allerdings:Unser Verständnis von Erneuerungunterscheidet sich sehr deutlich vomErneuerungsverständnis der Markt-radikalen. Wir sind uns sicher, dassuns Erneuerung dort gelingt, wo wiruns zusammen für die gemeinsame

Sache einsetzen – und wir wollen,dass die Erneuerung umgekehrt demZusammenleben zugute kommt.

n Die Zielmarke „Ein Brandenburg füralle“ muss sich eigentlich von selbstverstehen. Denn im demokratischenGemeinwesen begegnen sich alleBürgerinnen und Bürger prinzipiellauf Augenhöhe – von gleich zugleich. Aber so selbstverständlich istdas eben nicht – oder nicht mehr.Die Kluft zwischen Oben und Untenhat sich in Deutschland weiter geöff-net. Wir müssen die Gefahr sehen,dass unsere Gesellschaft zerfasert – in die gut Integrierten auf der einenSeite und die dauerhaft Abgehängtenauf der anderen Seite. Das ist nichtgut für unser Gemeinwesen, ja, es istsogar gefährlich. Und wir Branden-burger Sozialdemokraten wollensolch eine Gesellschaft nicht. Nie-mand soll auf Dauer zurückbleibenoder zurückgelassen werden. Ge-sellschaften mit Gemeinsinn undZusammenhalt sind zufriedenereGesellschaften – und sie funktio-nieren auch ganz einfach besser.

Gemeinsinn – Erneuerung – einBrandenburg für alle: In den schwieri-gen Jahren, die vor uns liegen, müssenwir zeigen, dass das nicht bloß Schön-wetterziele sind, sondern unsere wich-tigsten Orientierungsmarken. Wirmüssen zeigen, dass wir an diesen Zie-len mit Entschiedenheit festhalten,

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thema – 20 jahre brandenburg

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gerade dann und erst recht dann, wennsich die finanziellen Rahmenbedingun-gen für die Politik im Land strukturellverschlechtern.

Es wird sich vieles verändern in den kommenden Jahren. Und Wandelerzeugt immer dann besonders vielVerunsicherung und Angst, wenn erunverstanden bleibt. Und unverstan-den bleibt er vor allem dann, wenn er nicht erklärt wird.

In der Mitte unserer Gesellschaft

Darum müssen wir miteinander undmit den Bürgerinnen und Bürgernintensiv darüber sprechen, wo wir inBrandenburg heute stehen. Wir müs-sen darüber reden, welche Herausfor-derungen auf uns zukommen. Wirmüssen klären, wie wir unter dentatsächlichen Rahmenbedingungen soviel wie nur irgend möglich von unse-ren Zielen und Werten durchsetzenkönnen. Wir Brandenburger Sozial-demokraten müssen uns selbst und denBürgern klar vor Augen führen, wasauf dem Spiel steht für unser Land,wenn wir an den künftigen Herausfor-derungen scheitern würden. Das darfnicht passieren.

Wir Sozialdemokraten und dieregierende „Große Koalition“ inBrandenburg insgesamt vertreten diebreite Mitte unserer Gesellschaft. Wirtragen Verantwortung für die ZukunftBrandenburgs. Ich sehe weit und breit

keine anderen, die dieser Verantwor-tung gerecht werden könnten. Alsomüssen wir sie wahrnehmen – geradewenn es schwierig wird. Wir und nie-mand sonst.

II.Wo stehen wir also heute? Wasliegt hinter uns? Ich habe es

schon oft gesagt und ich werde es auchkünftig sagen – aus tiefer Überzeugungund mit einigem Stolz: Unser LandBrandenburg, so wie wir es gemeinsamaufgebaut haben, ist – aus der Sicht desJahres 2010 – eine fast unwahrscheinli-che Erfolgsgeschichte. Es war 1990und in den Jahren danach überhauptkeine Selbstverständlichkeit, dass diesesaus dem Nichts gestartete „ExperimentBrandenburg“ glücken würde. Wernoch weiß, wo wir herkommen, derkann wahrhaftig nur glücklich staunenüber die großen Fortschritte, die wirgemacht haben.

Heute ist Brandenburg, was nochbis vor wenigen Jahren als völlig un-wahrscheinlich galt: ein funktionieren-des, ein modernes Gemeinwesen. Ja,wir sind ein „Aufsteigerland“, einLand, das auf vielen Gebieten bereitsden Anschluss gefunden hat an dieerfolgreichen Regionen in Deutschlandund Europa; und ein Land, das aufmanchen Gebieten – ob bei den erneu-erbaren Energien oder bei der früh-kindlichen Betreuung – sogar heuteschon Maßstäbe setzt. Und erst kürz-lich hat die „Initiative Neue Soziale

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matthias platzeck – erneuerung durch gemeinsinn

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Marktwirtschaft“ eine Studie herausge-geben, nach der Brandenburg dasdynamischste aller Bundesländer ist.

Es hat ja in den letzten zwei Jahr-zehnten immer viele Debatten über dieLage in Ostdeutschland gegeben. Malwurde ein „Fass ohne Boden“ beschwo-ren, mal war davon die Rede, Ost-deutschland stehe „auf der Kippe“.Und bis zum Umfallen wurde immerwieder darüber diskutiert, ob das ost-deutsche Glas denn nun „halb voll“ seioder „halb leer“. Heute sage ich: WasBrandenburg angeht, ist das Glas heuteweder „halb leer“ noch „halb voll“, son-dern mindestens zu zwei Dritteln voll.

Der Blick geht nach vorn

Dafür gibt es Gründe. Wenn wirheute feststellen können, dass Bran-denburg eine Erfolgsgeschichte ist,dann hat das ganz gewiss auch mit dersolidarischen Unterstützung zu tun,die wir in den vergangenen zweiJahrzehnten erfahren haben.

Vor allem aber verdanken wir diepositive Entwicklung den Branden-burgerinnen und Brandenburgernselbst, den Menschen nämlich, diehier 1990 angefangen haben, ihr eige-nes Land aufzubauen. Die Branden-burger haben zugepackt, sie habenRückschläge weggesteckt und trotz-dem weitergemacht. Diese Aufbau-und Lebensleistung der vergangenenzwei Jahrzehnte feiern wir in diesem

Jahr! Diese Aufbau- und Lebensleis-tung verdient jeden Respekt!

Auch deshalb ärgert es mich so, dassbis heute Leute unterwegs sind, die wiedie Exorzisten immer noch kein drin-genderes Thema kennen als die Teu-felsaustreibung – in ihrem Fall: dieAustreibung der DDR volle 21 Jahrenach ihrem Untergang. Zur Erinne-rung und mit Verlaub: Die DDRwurde im Herbst 1989 von ihren mu-tigen Bürgerinnen und Bürgern ausfreien Stücken beendet. Und seitdemsind wir hier in Brandenburg damitbeschäftigt, unser Land aufzubauen.Das ist unsere Aufgabe, die müssen wiranpacken, und damit sind wir nochlängst nicht fertig. Wir vergessen nicht,wo wir herkommen, aber unseren Blick richten wir nach vorn.

III.Gut vorangekommen sind wirauf vielen einzelnen Gebieten.

Das wichtigste von allen ist dabei zwei-fellos das Thema Arbeit. Wir wissen esalle: Keine andere Frage hat uns hier imLand in den vergangenen zwei Jahr-zehnten so intensiv und so andauerndbeschäftigt. Der ständige aufreibendeKampf gegen die strukturell verfestigteMassenarbeitslosigkeit, die so gut wiejede Familie irgendwann betraf – daswar über viele Jahre hinweg das einezentrale Thema, das die Politik hier beiuns in Brandenburg in Atem hielt.

Lange Zeit galt: Die Menschen hierbei uns im Land wollten arbeiten, aber

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sie fanden einfach keine Arbeit. Esfehlte an Jobs, es fehlte an Ausbil-dungsplätzen, es fehlte an Perspektiveund an Zukunft. Die alten Betriebewurden reihenweise dichtgemacht, aberneue Ansiedlungen blieben vielfachaus. Erworbene Qualifikationen erwie-sen sich nach und nach als wertlos.Viele Ältere ließen irgendwann alleHoffnung fahren. Ich weiß: Da ist vielBitternis zurückgeblieben. Viele Jünge-re und Aufstrebende wiederum habendas Land verlassen, manche von ihnenvermutlich für immer.

Halbierte Arbeitslosigkeit

Das war lange Zeit die Lage. Aber dasist vorbei. Heute liegen die Zeiten hin-ter uns, in denen jeder fünfte Branden-burger arbeitslos gemeldet war undabends an vielen Küchentischen dieHoffnungslosigkeit herrschte. Und auchwenn einen zwischendurch manchmaldas Gefühl der Vergeblichkeit überkom-men konnte: Es ist gut, dass wir niemalsaufgegeben haben, um Arbeitsplätze zukämpfen – nicht in Eisenhüttenstadt,nicht in Schwarzheide, nicht in Hen-nigsdorf. Heute erleben wir überall imLand, dass unser beharrlicher Einsatzfür neue Arbeit, für neue Chancen undfür neue Investitionen in Brandenburgnicht vergeblich gewesen ist:

n Seit ihrem Höchststand vor fünfJahren hat sich die Arbeitslosigkeit in

Brandenburg faktisch halbiert – von20 Prozent auf 10 Prozent. Damitstehen wir heute besser da alsSachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch besser alsSachsen und seit fünf Jahren schonbesser als Berlin. Und mit Bremenhaben wir das erste westdeutscheBundesland hinter uns gelassen.

n Die Zahl der sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigten in Branden-burg ist seit 2005 Jahr für Jahr ge-stiegen, und das zuletzt stärker als in jedem anderen Bundesland – mitThüringen als einziger Ausnahme.

n Auch beim Wachstum des Sozial-produkts in den Jahren von 2001 bis2009 liegen in der Bundesrepubliknur zwei andere Länder vor uns.

n Im selben Zeitraum haben unsereBrandenburger Unternehmen ihreExportleistung mehr als verdoppelt.

n In der Solarindustrie entstehen im-mer mehr moderne Industriearbeits-plätze des 21. Jahrhunderts; rund umunseren Flughafen BBI werden Tau-sende neue Jobs in Industrie undDienstleistungen geschaffen.

n Das Risiko, in Brandenburg in Armutzu geraten, ist mit Abstand niedrigerals in jedem anderen ostdeutschenBundesland. Natürlich ist uns eineGefährdungsquote von 16,7 Prozentnoch immer viel zu hoch, das ist jaklar. Aber immerhin: Wir liegen damitnur noch zwei Prozentpunkte überdem gesamtdeutschen Durchschnitt.

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Auch im Hinblick auf unsere Aus-stattung mit technischer und sozialerInfrastruktur – Verkehr, Kommunika-tion, Schulen, Kindergärten, Kranken-häuser, sanierte Innenstädte, Sportan-lagen und so weiter – stehen wir inBrandenburg inzwischen ganz sichernicht schlechter da als viele Regionenin Westdeutschland.

Mein Ziel ist immer ein selbstbe-wusstes und erwachsenes Brandenburggewesen, ein Land, das auf eigenenBeinen stehen und laufen kann. Vorgenau fünf Jahren haben wir uns vor-genommen:

n Wir setzen offensiv auf die„Erneuerung aus eigener Kraft“;

n Wir stärken systematisch unsereStärken;

n Wir konzentrieren den Einsatz knap-per Mittel dort, wo die besten Ef-fekte für Arbeitsplätze und Wert-schöpfung erwartet werden können.

Genau daran haben wir uns seithergehalten. Und genau das hat uns rich-tig weit vorangebracht. Wenn wir alsoheute über Brandenburg nach 20 Jah-ren sprechen, dann sprechen wir überein Land, das sich modernisiert, dassich konsolidiert und das sich stabili-siert hat. Wir sprechen über ein Land,das auf dem besten Weg ist in eineneue Normalität – eine Normalität, in der sich leben lässt.

Dass wir in Brandenburg auf demrichtigen Weg sind, zeigen uns auchalle einschlägigen Umfragen: Stabilüber 90 Prozent der Bürgerinnen undBürger geben an, dass sie gerne inBrandenburg leben; und 70 Prozentsind der Meinung, dass sich Branden-burg mit der jetzigen Regierungskoa-lition in die richtige Richtung bewegt.

Eigene Akzente setzen

Nun kann man natürlich einwenden,Brandenburgs Erneuerung und Auf-stieg, unsere Konsolidierung und Sta-bilisierung seien nicht hausgemacht –jedenfalls nicht ausschließlich. Mankann sagen, für viele der günstigenEntwicklungen seien Faktoren verant-wortlich, die wir mit den Mitteln unse-rer Brandenburger Landespolitik über-haupt nicht beeinflussen können.Unsere günstige geografische Lagerundherum um die europäische Me-tropole Berlin – dafür könnten wir jaschließlich nichts. Und Exporterfolgeließen sich auch nur erzielen, solangesich irgendwo auf der Welt Abnehmerfür diese Produkte fänden – und auchdarauf hätten wir hier in Brandenburgletztlich keinen Einfluss.

Keine Frage, das ist alles richtig! Esstimmt: Unser Land Brandenburg istkeine Weltmacht, und zugleich ist eskeine verträumte Insel weitab vomSchuss. Auf die Bewegungen der glo-balen Finanzmärkte können wir von

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Potsdam aus nur höchst begrenzt Ein-fluss nehmen – aber sie betreffen unsimmer ganz direkt. Dasselbe gilt für denKonjunkturverlauf in Europa und derWelt, für die Entwicklung des globalenKlimas, und es gilt sogar für die politi-schen Entscheidungen der schwarz-gel-ben Koalition auf der Bundesebene.

Ganz klar: Wir in Brandenburg wer-den natürlich immer sehr laut und sehrdeutlich sagen, was wir von dem wirrenTrauerspiel der schwarz-gelben Bundes-regierung halten. Frank-Walter Stein-meier hat es erst kürzlich knapp undzutreffend auf den Punkt gebracht:„Schwarz-Gelb ist ein Albtraum!“ Erhat völlig Recht. Schwarz-Gelb ist einAlbtraum! Aber:

n Wir können selbst eben nicht vonBrandenburg aus den Spitzensteuer-satz erhöhen, damit wohlhabendeMenschen angemessener zur Finan-zierung unseres Gemeinwesens bei-tragen.

n Wir können keine Vermögens- oderErbschaftssteuer erheben, wie esnötig wäre.

n Wir können keine flächendeckendenMindestlöhne einführen, die wirdringend brauchen.

n Wir können weder Guido Wester-welle noch Horst Seehofer aus demAmt schaffen.

Als kleines Bundesland sind wir fastimmer abhängig von äußeren Umstän-

den, über die wir selbst nicht bestim-men können. Aber: Das alles bedeutetausdrücklich nicht, dass wir hier inBrandenburg keine eigenen Ideen hät-ten. Und es bedeutet auch nicht, dasswir hier bei uns in Brandenburg keineeigenen Gestaltungsspielräume hätten;es bedeutet nicht, dass wir keine eige-nen Brandenburger Akzente setzenkönnten; es bedeutet nicht, dass wirkeine eigenen Brandenburger Prioritä-ten setzen könnten.

Das alles können wir sehr wohl! Dashaben wir unter den schwierigen Be-dingungen der letzten 20 Jahre bewie-sen – und zwar gerade weil die Bedin-gungen schwierig waren und wir unsetwas einfallen lassen mussten. Genaudas werden wir auch in Zukunft tun.

Wir wissen, was wir wollen

„Not macht erfinderisch“ – irgendwiescheint diese Volksweisheit für Schwarz-Gelb in Berlin nicht zu gelten. Für unsBrandenburger Sozialdemokraten hat sie immer gestimmt. Je komplizierterdie Lage war, umso mehr haben wir unseinfallen lassen. Und dabei wird es auchin Zukunft bleiben.

Das Versagen von Schwarz-Gelb,die offensichtliche Unfähigkeit dieserBundesregierung, auch nur irgendeinehalbwegs klare Lösung für irgendeinProblem zu präsentieren, ob in derEnergiepolitik, in der Gesundheitspo-litik, bei Wehrpflicht oder Haushalts-

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konsolidierung – das verstehen dieBürgerinnen und Bürger nicht mehr.Aber es nimmt uns in die Pflicht, esdann wenigstens hier in Brandenburgbesser zu machen.

Wir hier in Brandenburg haben inden vergangenen beiden Jahrzehntenimmer wieder gezeigt, dass aktive po-litische Gestaltung auch unter schwie-rigsten Bedingungen sehr wohl mög-lich ist. Unter einer Voraussetzungallerdings: Man muss wissen, wasman will. Man braucht klare Prin-zipien und Prioritäten, man brauchtZiel und Richtung. Man brauchtWerte und Kriterien, an denen mansich im Unterholz der tagespoliti-schen Auseinandersetzung immerwieder orientieren kann.

Aufstieg für alle

Und deshalb: Wir haben hier inBrandenburg vielleicht nicht alle po-litischen Instrumente und Kompe-tenzen zur Verfügung. Aber: Wirhaben eine klare Vorstellung davon,was den Charakter unseres Landesausmachen soll, in was für einemLand wir leben wollen – in einemLand mit Lebens-, Bildungs- undAufstiegschancen für alle; in einemLand, das das Miteinander großschreibt und nicht das Gegeneinan-der. Und so eine klare Leitidee imKopf zu haben – das ist schon einmaleine ganze Menge wert.

IV.Wir haben in den vergangenenzwei Jahrzehnten einen ganz

charakteristischen Weg zurückgelegt.Manche haben ihn den „BrandenburgerWeg“ genannt, und manche Medienhaben das sehr einseitig ausgelegt. Ge-meint war aber etwas sehr wichtiges: eineigenständiger Brandenburger Politik-stil mit den Bürgerinnen und Bürgern,wie er zu unserem Land und den Be-dingungen hier passt. Eine Politik, diesich klar unterscheidet von marktradi-kalen und konservativen Vorstellungen.Heute ist wieder eine klare inhaltlicheAbgrenzung von Schwarz-Gelb not-wendig. Diese Abgrenzung gelingt amüberzeugendsten, wenn wir unseren ei-genen Brandenburger Weg konsequentfortentwickeln und neu justieren:

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehört, erstens, die Überzeugung,dass sich das Selbstbewusstsein undSelbstwertgefühl von Menschen ganzentscheidend über Arbeit einstellt –über Tätigkeiten, die sie selbst alssinnvoll empfinden. Anpacken kön-nen und nützlich sein – das schafftZufriedenheit, Respekt und Selbst-respekt. „Wir wollen Arbeit finanzie-ren und nicht Arbeitslosigkeit“, hatRegine Hildebrandt genau deshalbauch in den schwersten Zeiten immer wieder gesagt. Diese glaskla-re Orientierung auf Arbeit war rich-tig, sie ist richtig, sie bleibt richtig.Wir wollen, dass Brandenburg im

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21. Jahrhundert eine auf Arbeit ge-gründete Gesellschaft bleibt. Wirwollen, dass hier gute und qualifi-zierte Arbeit zu fairen Bedingungengeleistet werden kann.

n Zum „Brandenburger Weg“, wie wirihn verstehen, gehört – zweitens –deshalb auch die Überzeugung, dasswir dringend und überall starke Be-triebsräte und Gewerkschaften alsgleichrangige Partner von Wirtschaftund Politik brauchen. Alle Indiziensprechen dafür: In der Krise der letz-ten Jahre sind genau die Unterneh-men besonders gut über die Rundengekommen, in denen das Manage-ment mit verantwortungsbewusstenArbeitnehmervertretern gemeinsamkonkrete Lösungen gesucht und ge-funden hat. Als Billiglohnland hatBrandenburg im 21. Jahrhundertnicht die geringste Chance. Dum-pinglöhne sind nicht die Lösung,sondern das Problem. Betriebsräteund Gewerkschaften tragen dazu bei,gute Löhne für gute Arbeit durchzu-setzen. Und nur wenn BrandenburgsUnternehmen ihre Mitarbeiter ange-messen bezahlen und in Entschei-dungsprozesse einbeziehen, wird esgelingen, Fachkräfte in ausreichenderZahl im Land zu halten. Ich sageheute: Wir brauchen hier bei uns ein„Bündnis für neues Wachstum“, indem Arbeitnehmer, verantwortungs-bewusste Arbeitgeber und der Staatunser Land an einem Tisch voran-

bringen. Und: Wir werden im erstenSchritt zu einer Brandenburger Be-triebsrätekonferenz einladen. Wirbrauchen unsere Betriebsräte – gera-de sie sind es, die Brandenburg zu-sammenhalten und voranbringen.

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehört, drittens, auch die Überzeu-gung, dass wir einen tatkräftigen, ei-nen handlungsfähigen und effizien-ten Staat brauchen – heute und inZukunft. Dieser freiheitliche Staat,so wie wir ihn verstehen, darf denBürgerinnen und Bürgern nicht alsanonymer Fremdkörper gegenüberstehen. Vielmehr ist der Staat derOrdnungsrahmen, in dem sich eineGesellschaft freier Bürger selbst orga-nisiert. Die Präambel unserer Lan-desverfassung bringt diesen Geist be-sonders klar zum Ausdruck: „Wir,die Bürgerinnen und Bürger desLandes Brandenburg, haben uns infreier Entscheidung diese Verfassunggegeben …“, heißt es da – und genaudarum geht es: um das „wir“ und das„uns“, um die Bürger. Der Staat istin Brandenburg kein Selbstzweck, erist der Staat aller Bürgerinnen undBürger. Sie sind es, die den Staat mitihren Steuern und Abgaben finanzie-ren; sie erwarten, dass dieser Staat –ihr Staat – funktioniert. Aber derStaat kann nicht alles – und er sollauch gar nicht alles können.

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehört, viertens, deshalb ebenso sehr

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das aktive Engagement von Bürger-innen und Bürgern für ihr Gemein-wesen, für andere Bürgerinnen undBürger – in den Vereinen, in denVerbänden, in den Gewerkschaften,in den Parteien, in Bürgerinitiativenund Selbsthilfegruppen. Da ist vielaufgeblüht in den letzten zwei Jahr-zehnten. Das muss weitergehen,denn wir wollen, dass Brandenburgein Land ist, in dem die Menschenaktiv füreinander einstehen. Zusam-menhalt bedeutet Lebensqualität.

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehört, fünftens, ein zeitgemäßes Bildvom Sozialstaat. Zeitgemäß ist einSozialstaat, der existenzielle Lebens-risiken verlässlich absichert, der abervor allem auch Vorsorge, Präventionund die Fähigkeit der Menschen zurSelbstverantwortung in den Vorder-grund stellt. Wir Sozialdemokratensprechen vom „Vorsorgenden Sozial-staat“; in der Präambel unserer Koali-tionsvereinbarung ist von „vorsorgen-der Gesellschaftspolitik“ die Rede –gemeint ist dasselbe; über dieses Zielsind wir uns einig. Immer stärker dar-auf hinzuarbeiten, dass das Kind garnicht erst in den Brunnen fällt – dar-um geht es. Wo immer möglich dafürzu sorgen, dass soziale Schadensfällegar nicht erst eintreten – darum gehtes. Der Dauerarbeitslose ohne Schul-abschluss wird selbst als Empfängerlebenslanger Stütze kein glücklicherMensch mehr. Was er gebraucht

hätte – und was heute vor allem seineKinder dringend brauchen –, sindindividuelle Förderung und Quali-fikation.

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehört, sechstens, deshalb auch dieunbedingte Orientierung am Ziel derguten Bildung für alle. In Zeiten derdemografischen Ausdünnung hat je-der einzelne junge Mensch mittler-weile hervorragende Chancen auf einen Ausbildungsplatz, auf gute Arbeit und Karriere. Wer jetzt einentauglichen Abschluss hinbekommt,dem stehen schon heute in Branden-burg viele Türen sperrangelweit of-fen. Die Rendite von Bildung fürden einzelnen Menschen und dieGesellschaft als ganze war noch nieso hoch wie heute. Umgekehrt wirktfehlende Bildung heute mehr denn jeals absolutes Ausschlusskriterium.Und darum müssen wir ausnahmslosalle Bildungspotenziale heben, da-rum dürfen wir kein einziges Kindund keinen einzigen Jugendlichenmehr zurücklassen. Bildung ist diebeste Zukunftsvorsorge überhaupt.

n Zu unserem „Brandenburger Weg“gehören, siebentens, schließlich unse-re Bereitschaft und unsere Fähigkeitzur Kurskorrektur im Lichte neuerErfahrungen und neuer Einsichten.Nein, wir haben in der Vergangen-heit nicht immer alles richtig ge-macht. Aber: Wir haben immer wieder dazugelernt. Wir haben aus

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Fehlentwicklungen die richtigenSchlüsse gezogen und unseren Kursneu abgesteckt, wo das nötig wurde,um unsere bleibenden Ziele besser zuerreichen. So werden wir es auch inZukunft halten.

n Und schließlich noch einmal sehrdeutlich: Zum „BrandenburgerWeg“, so wie wir ihn verstehen,gehört ein progressives Gesell-schafts- und Menschenbild: Wirwollen sozialen Aufstieg und Ge-rechtigkeit prinzipiell für alle er-möglichen, wir wollen Solidaritätund Zusammenhalt, wir wollen eineGesellschaft zupackender Bürger-innen und Bürger, die sich aktiv indie Angelegenheiten ihres Gemein-wesens einbringen. Wir wollen, dassMenschen ihr eigenes Leben lebenkönnen: das Leben, das sie selbst sichaussuchen – und nicht ein Leben,das ihnen Herkunft oder Schicksalunabänderlich zuweisen.

V.Das alles sind Ziele, für die sichzu kämpfen lohnt – für die sich

in Brandenburg aber auch kämpfenlässt, weil das die ganz grundlegendenWerte sind, die den Menschen hier imLand in ihrer großen Mehrheit wichtigsind. Einfach wird die Sache nicht. Inden kommenden Jahren werden diefinanziellen Mittel, mit denen wir inBrandenburg unsere Ziele verfolgenkönnen, erheblich sinken. Fragen sindalso berechtigt:

n Werden wir dann überhaupt nochaktiv gestaltende Politik betreibenkönnen?

n Unsere Politik des Gemeinsinns? n Unsere Politik der Erneuerung? n Können wir unseren „Branden-

burger Weg“ weiter fortsetzen? n Oder wird unser Leitmotiv „Ein

Brandenburg für alle“ zum leerenSchlagwort, ganz einfach, weil es am Geld fehlt?

n Hört also die aktiv gestaltende Po-litik in Brandenburg nach und nachauf, wie manche befürchten?

Meine Antwort lautet klipp undklar: Nein, die Politik der aktiven Ge-sellschaftsgestaltung in Brandenburgwird nicht aufhören! Sie würde nurdann aufhören, wenn wir Qualität mitQuantität verwechseln – wenn wirdem Irrtum aufsitzen, dass die Qualitätvon Politik immer direkt von derQuantität der eingesetzten Mittel ab-hängt. Das ist aber nicht der Fall. Mankann mit weniger Geld Dinge besserund effizienter tun. Das ist schwierig,das ist anstrengend und kompliziert,aber genau das ist die Aufgabe, vor derwir in den kommenden Jahren stehenwerden. Ich bin überzeugt, dass wirdiese Aufgabe lösen werden, wenn wirsie offensiv genug, mutig genug undunerschrocken genug angehen.

Wichtig ist zunächst, dass wir unsdie Dimensionen des Rückgangs unse-rer Haushaltsmittel bis 2020 vor Augen

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führen: Unser Haushalt wird in diesemZeitraum nach und nach um etwa 20bis 25 Prozent zurückgehen – von der-zeit etwa 10 Milliarden auf dann etwa 8 Milliarden Euro.

Wir werden also 2020 zwei Milliar-den Euro weniger zur Verfügung habenals heute. Das ist erst einmal eine abs-trakte Zahl – aber eine mit ziemlichvielen Nullen. Nur um die Dimensionder Herausforderung zu veranschauli-chen: Diese zwei Milliarden könntenwir theoretisch – aber auch wirklich nurtheoretisch – auf einen Schlag einspa-ren, wenn wir die Etats von Bildungs-ministerium (1,4 Milliarden) und Wis-senschaftsministerium (600 Millionen)schlagartig auf Null zusammenstreichenwürden. Das hieße dann: keine Kitasmehr, keine Schulen mehr, keineHochschulen mehr. Wir alle wissennatürlich, wie viel Kitas, Schulen undHochschulen für unser Land wert sind.Aber genau die Summe, die sie unswert sind – das ist nun einmal dieSumme, die wir innerhalb von zehnJahren weniger zur Verfügung habenwerden.

Der Haushalt sinkt

Verantwortlich für diesen Rückgangsind verschiedene Faktoren. Der wich-tigste davon ist das schrittweise Auslau-fen der Solidarpaktmittel bis 2019.Wir wissen heute schon, dass die Ein-nahmen aus den Sonderbedarfsmitteln

von rund 1,3 Milliarden in 2009 aufNull im Jahr 2020 zurückgehen wer-den.

Hinzu kommt das voraussichtlicheAbschmelzen der Strukturfondsmittelder Europäischen Union. Die EU för-dert Regionen die weit unter dem euro-päischen Durschnitt liegen und wirwerden mit ziemlicher Sicherheit denhöchsten Förderstatus in den kommen-den Jahren verlieren. Wenn wir ehrlichsind: Das ist eine gute Nachricht. Dennauch sie zeigt: Wir sind vorangekom-men. Aber das hat auch zur Folge, dasswir deutlich weniger als die 600 Millio-nen Euro jährlich von der EU bekom-men werden und dass wir dann wenigerMittel haben werden für Straßenbau,für Radwege oder Gewässersanierungen.

Weitere Einnahmeausfälle habenihre Ursache im Rückgang der Bran-denburger Bevölkerung: Weniger Ein-wohner bedeuten geringere Zuweisun-gen im Länderfinanzausgleich. Auchhier eine Zahl: Diese Einnahmen wer-den aufgrund des Bevölkerungsrück-gangs bis 2020 um 385 Millionen sin-ken – das ist fast dieselbe Summe, diewir derzeit in einem Jahr für Wirt-schaftsförderung ausgeben.

Diese Entwicklung ist vorgezeich-net. Sie kommt nicht überraschend, siekommt nicht überfallartig. Sie ist keinDrama, keine plötzliche Krise und keinNiedergang. Was sie bedeutet und wiewir sie verarbeiten, das hängt von unsselbst ab – von uns selbst und von den

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Entscheidungen, die wir treffen; nichtirgendwann in zehn Jahren, sondern –wenn wir die Entwicklung tatsächlichgestalten wollen – schon sehr zügig.

Erfolgreiche Beispiele

Es gibt international in jüngerer Zeitnicht sehr viele Beispiele für nachhaltigerfolgreiche Haushaltskonsolidierung.Besonders eindrucksvoll sind zweiFälle, in denen Staaten in viel kürzerenZeiträumen viel dramatischere Schnittein ihrem Haushalt vornehmen musstenals wir und hinterher weitaus besser da-standen als zuvor:

n Kanada war in den frühen neunzigerJahren hoch verschuldet und hatteein Haushaltsdefizit von 9 Prozent.1994 zog die kanadische Regierungdie Reißleine und strich den Staats-haushalt innerhalb von nur dreiJahren bis 1997 um über 20 Prozentzusammen. Kein einziger Bereichwurde ausgenommen, alle musstenleiden. Aber genau das war derSchlüssel zum Erfolg. Die Reformdes kanadischen Staatshaushalts warso intelligent und weitsichtig ange-legt, dass das Land fortan ein Jahr-zehnt lang sogar Haushaltsüber-schüsse erzielt hat.

n Zweites Beispiel: Schweden. InSchweden lag das Haushaltsdefizit1993 bei fast 12 Prozent; die Staats-verschuldung hatte sich binnen we-

niger Jahre verdoppelt; das Landstand nahezu am Abgrund. Nur vierJahre später konnte PremierministerGöran Persson ein ausgeglichenesBudget vorlegen. Seitdem hat Schwe-den immer wieder Haushaltsüber-schüsse ausgewiesen.

Spannend an diesem Beispiel istnicht nur, wie die Schweden harteEinsparungen mit ganz gezielten In-vestitionen in Bildung, Qualifikationund Zukunftstechnologie verknüpften.Spannend ist vor allem, dass es einesozialdemokratische Regierung war, diein Schweden die Haushaltssanierung so energisch vorantrieb – und die ihrenKurs auch sozialdemokratisch begrün-dete. In den Worten von GöranPersson: „Die Gesundheit unsereröffentlichen Finanzen wieder herzu-stellen war die Voraussetzung dafür,den öffentlichen Sektor in Schwedenlangfristig zu sichern – ohne Opferwäre das nicht möglich gewesen.“

Wer Schulden hat, ist nicht frei

Genau darum geht es ja für uns Sozial-demokraten. Wir sind diejenigen, dieden öffentlichen Sektor langfristigsichern wollen, weil er uns wichtig ist.Das ist unsere Begründung für solideHaushaltspolitik. Anderen dient dieöffentliche Verschuldung als Vorwandfür ihr eigentliches Großprojekt: demSozialstaat endgültig den Hahn abzu-

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drehen. Diesen entscheidenden Unter-schied müssen wir immer klar heraus-arbeiten.

Göran Persson und die schwedi-schen Sozialdemokraten wurden übri-gens nach ihrer unbequemen Rosskurzweimal wiedergewählt. Wichtiger ist,was Persson denjenigen erwidert, diefinden, immer noch ein bisschen mehröffentliche Verschuldung sei gar nichtso schlimm: „Wer Schulden hat, istnicht frei“, sagt er.

Und weiter: „Als Schweden mit demRücken zur Wand stand, musste icherstmals mit unseren Geldgebern redenund mich für die Lage in Schwedenrechtfertigen. Das war ziemlich unan-genehm. Mir gegenüber saßen Leutevon Lehman Brothers, Goldman Sachs,J.P. Morgan. Ich begriff, dass sie eswaren, die über das schwedische Sys-tem bestimmten. So etwas ist erniedri-gend und eine ernste Gefahr für dieDemokratie. Wir hatten die Möglich-keit, Entscheidungen zu treffen, längstan andere abgetreten. An junge Men-schen, die auf der anderen Seite desAtlantiks saßen und noch nie in Schwe-den waren. Da war mir klar, dass wiretwas tun mussten.“

Um es sicherheitshalber noch einmalganz klar zu sagen: Brandenburg istnicht im Entferntesten in derselben Si-tuation wie Kanada und Schweden inden neunziger Jahren – oder Griechen-land heute. Unser Problem heißt wederakute Haushaltsnotlage noch Über-

schuldung; unsere Herausforderungbesteht darin, dass wir in den kommen-den Jahren Schritt für Schritt geringereEinnahmen verzeichnen werden undunsere Ausgaben entsprechend anpassenmüssen. Und weil der Bremsweg beivielen Arten von Ausgaben lang ist,müssen wir jetzt damit anfangen.

Normalität und Durchschnitt

Das Ergebnis dieses Prozesses heißtschlicht und einfach: Normalität undDurchschnitt. Wenn der Solidarpakt2019 endgültig ausgelaufen sein wird,dann hat Brandenburg – wie die ande-ren ostdeutschen Bundesländer – volledrei Jahrzehnte lang besondere undgroße Unterstützung erhalten, um aufdie Beine zu kommen. Im Ergebnisbesitzen wir eine moderne Wirtschafts-und Infrastruktur. Nach dem Ende die-ser besonderen Förderung wird dieAufbauphase unseres Landes abge-schlossen sein und abgeschlossen seinmüssen. Wir werden dann also keinen„Sonderbedarf“ mehr geltend machenkönnen, ganz einfach weil wir kein„Sonderfall“ mehr sein werden. Undwir nicht mehr anders dastehen alswestdeutsche Flächenländer wie Schles-wig-Holstein, Niedersachsen oderRheinland-Pfalz. Wirtschaftlich sostark wie Bayern oder Baden-Württem-berg werden wir deshalb nicht gleichsein, aber ein ganz normales Bundes-land wie andere auch – das schon.

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Und das ist in Ordnung, dennnochmals: Da wollten und da wollenwir hin. Aber es hat finanzielle Folgen.Heute liegen die Ausgaben des LandesBrandenburg pro Einwohner und Jahrbei fast 4.000 Euro; in Ländern wieSchleswig-Holstein, Rheinland-Pfalzoder Niedersachsen betragen sie nur3.000 Euro – ein volles Viertel weniger!

Weiter: Heute liegen unsere Bran-denburger Investitionsausgaben nochetwa doppelt so hoch wie in den ge-nannten westdeutschen Ländern; inzehn Jahren werden sie auf dem dorti-gen Niveau angelangt sein. Statt knapp2 Milliarden Euro werden wir nurnoch ungefähr eine Milliarde in In-vestitionen stecken können. Das be-deutet: Wir werden unsere Investi-tionsquote von derzeit etwa 18 Prozentherunterfahren auf etwa 10 Prozent.Das ist eine Quote, die in Ländern wieNiedersachsen, Schleswig-Holsteinoder Rheinland-Pfalz völlig normalund üblich ist. Aber: Völlig klar ist,dass wir noch viel genauer als bisherüberlegen müssen, welche Investitio-nen wirklich nachhaltig für Arbeit undWertschöpfung sorgen. Und nur dieseInvestitionen können wir noch unter-stützen.

Neue Wege

Effizienz und Leistungsfähigkeit erwar-ten die Bürgerinnen und Bürger auchvon ihrer öffentlichen Verwaltung – sie

finanzieren sie schließlich mit ihrenSteuern und Abgaben. Wenn nun inZukunft deutlich weniger öffentlichesGeld vorhanden sein wird, dann steigterst recht der Druck, jede nur mögli-che Effizienzreserve in der Landesver-waltung zu heben.

Und das geht auch – erst recht, wennwir den demografischen Wandel mit be-denken. Ich will sechs Beispiele nennen:

n Erstes Beispiel: Wir brauchen in Bran-denburg keine Polizei, die größer istals in anderen Ländern. Was wirbrauchen, ist eine Polizei, die modernausgestattet ist; eine Polizei, die effizi-ent funktioniert; eine Polizei, die je-derzeit Sicherheit für alle Bürgerin-nen und Bürger im Land schafft.Und so eine Polizei werden wir auchin Zukunft haben.Brandenburg ist ein sicheres Land,die Zahl der Straftaten ist in denvergangenen zehn Jahren um einvolles Drittel zurückgegangen. Der-zeit kommen etwa 38 Polizisten auf10.000 Einwohner. In Schleswig-Holstein und Niedersachen sind es27 Polizisten pro 10.000 Einwohner. Weil unsere Bevölkerungszahl ab-nimmt und die Haushaltsmittel zu-rückgehen, müssen wir auch dieZahl der Polizisten Schritt fürSchritt herunterfahren. Dazu gehört,dass wir die Zahl der Wachen redu-zieren, aber nicht die Zahl derStreifenwagen und auch nicht die

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Zahl der Revierpolizisten in derTiefe des Landes. Ich möchte, dass wir neue Sicher-heitspartnerschaften begründen –und dass Revierpolizisten Sprech-stunden im Rathaus oder der Spar-kasse anbieten. Entscheidend istdoch nicht, dass es möglichst vieleHäuser gibt, wo außen „Polizei“dran steht; entscheidend ist, dassPolizisten schnell vor Ort sind, dasssie auch weiterhin im Polizeiautounterwegs sind und sich um die Si-cherheit der Menschen kümmern.Dazu gehen wir neue Wege – undBrandenburg wird dabei so sicherbleiben, wie es heute ist. Wir hät-ten diese Reform schon viel eherbeginnen müssen – umso mehrbraucht unser Innenminister jetztjede Unterstützung, die Poli-zeireform durchzusetzen.

n Zweites Beispiel: Wir werden denStrafvollzug umbauen, weil wir dieZahlen der Haftplätze und Vollzugs-beamten nicht auf einem Niveau hal-ten können, das den tatsächlichen Be-darf deutlich übersteigt. Derzeit sindvon den vorhandenen 2.300 Haft-plätzen 700 nicht belegt. Das ist zwarerfreulich – aber unter finanziellenGesichtspunkten ist klar: Das mussKonsequenzen haben.

n Drittes Beispiel: Wir werden uns un-sere Gemeindestrukturen noch ein-mal ansehen müssen. Nicht alles istdabei heute effizient. Wir werden fi-

nanzielle Anreize geben, um freiwil-lige Zusammenschlüsse von kleinenGemeinden und die Auflösung vonÄmtern zugunsten von amtsfreienGemeinden zu befördern. Wir wer-den die gesetzlichen Rahmenbedin-gungen so ändern, dass Kreise undKommunen besser zusammenarbei-ten können.

n Viertes Beispiel: Wir wollen unseregut etablierten Hochschulen langfris-tig erhalten. Darum müssen wir da-für sorgen, dass sie noch effizienterverwaltet und gesteuert werden. Waszu tun ist, soll in einer Hochschul-strukturkommission sorgfältig debat-tiert werden. Diese Kommissionwird Vorschläge für ein Hochschul-system der Zukunft vorlegen.

n Fünftes Beispiel: Wir werden auch dieStrukturen unserer Schulämter über-prüfen. Dabei werden wir die Fragestellen, welche Aufgaben das Bil-dungsministerium selbst überneh-men kann, welche Aufgaben dieKreise, die kreisfreien Städte oder dieSchulen wahrnehmen können – undzwar so, dass darunter die Qualitätund Effektivität der Schulverwaltungnicht leidet, sondern zunimmt.

n Und ? sechstens – ein letztes prakti-sches Beispiel: Wir finanzieren inBrandenburg betriebliche Ausbil-dungsplätze aus öffentlichen Mitteln.Das heißt: Unternehmen erhaltenstaatliches Geld dafür, dass sie jungeMenschen ausbilden. Vor fünf Jah-

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ren waren das etwa 5.000 Ausbil-dungsverhältnisse, heute sind es noch1.000. Aber was vor fünf Jahren nochsinnvoll war, ist inzwischen nichtmehr richtig. Damals waren wir frohüber jeden zusätzlichen Ausbildungs-platz, inzwischen suchen die Unter-nehmen im Land händeringend nachBewerbern. Erhalten sie jetzt nochöffentliches Geld, nur damit sie aus-bilden, dann haben wir es mit einemklassischen Mitnahmeeffekt zu tun.Wo sich die Umstände völlig verän-dern, da entfällt für manche Maß-nahmen schlicht die Geschäfts-grundlage.

Das sind Beispiele, die anzeigen, in welche Richtung wir gehen müssen.Wir Brandenburger Sozialdemokratenhaben immer Verantwortung für unserLand übernommen. Gemeinsam mitden Bürgerinnen und Bürgern habenwir Brandenburg seit 1990 aufgebaut.Wir haben uns niemals in die Büschegeschlagen, wenn es unbequem wurde.Wir werden das jetzt nicht tun, und wirwerden das auch in Zukunft nicht tun.

Die vor unserem Land liegendenAufgaben sind schwierig. Es gibt Kri-tik, es gibt Ängste und Widerstände.Das müssen und wollen wir ernst neh-men und wir werden uns sorgfältigund gewissenhaft mit allen Einwän-den auseinandersetzen.

Unsere Landtagsfraktion hat einschönes Motto für ihre Arbeit: Mit

dem Gesicht zu den Menschen. Das istes, auf was es ankommt. Intensiv zudiskutieren, zu erklären – und dannauch zu handeln. Meine Erfahrung istes, dass die Brandenburger klare Wortemögen. Dass sie offen sind, wenn manihnen erklärt, was geht und was nichtgeht. Deshalb werden wir mit den Leu-ten reden, erklären, warum wir diesenWeg einschlagen. Das ist nicht immereinfach, aber nur so lässt sich das Ver-trauen rechtfertigen, das die Branden-burgerinnen und Brandenburger in unsSozialdemokraten gesetzt haben.

Ein Brandenburg für alle

Die Aufgaben, die vor uns stehen, sindnicht unlösbar. Aber weil sie schwierigsind, können und dürfen wir sie nichtanderen überlassen. Auf uns Branden-burger Sozialdemokraten kommt esjetzt wieder einmal an. Wir sind jetztgefordert, die nächste Etappe des Bran-denburger Weges zu gestalten. Begeis-tert feiern werden uns die Bürgerinnenund Bürger uns für den bevorstehen-den Kurs der Verantwortung vermut-lich nicht. Aber respektieren werden sieuns für unsere Arbeit – wenn wir sieordentlich machen und immer gutbegründen. Und wenn jederzeit deut-lich wird, welche Ziele und Prinzipienes sind, die uns antreiben.

Wir wollen, was sich die überwälti-gende Mehrheit der Menschen im Landwünscht: ein Brandenburg für alle, ein

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Brandenburg, in dem Gemeinsinn undErneuerung keine Gegenbegriffe sind,sondern zusammengehören. Lasst unsbeweisen, dass wir die richtigen sind für

diesen schwierigen Job. Lasst uns bewei-sen, dass Brandenburg auch im drittenJahrzehnt bei uns Sozialdemokraten inden besten Händen ist. n

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M A T T H I A S P L A T Z E C K

ist SPD-Landesvorsitzender und Ministerpräsident des Landes Brandenburg.

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1990

6. MAI +++ Bei der ersten freien Kom-munalwahl wird die SPD in Branden-burg mit 28 Prozent stärkste Kraft vorder CDU (24 Prozent) und der PDSmit 17 Prozent.

26.-27. MAI +++ In Kleinmachnow findetder erste Landesparteitag der SPD Bran-denburg statt. Zum ersten Vorsitzendenwird Steffen Reiche gewählt.

22. JULI +++ Die Volkskammer beschließtdas Ländereinführungsgesetz und schafftdamit die Grundlage für die fünf neuenBundesländer Brandenburg, Sachsen,Sachsen-Anhalt, Thüringen und Meck-lenburg-Vorpommern.

3. OKTOBER +++ Die DDR tritt derBundesrepublik bei. Das vereinigteDeutschland erhält alle Souveränitäts-rechte.

14. OKTOBER +++ Die SPD gewinnt dieLandtagswahlen in Brandenburg mit38 Prozent der Stimmen. Die CDUerhält 29 Prozent, die PDS 13, dieFDP 7 und das Bündnis 90 bekommt6 Prozent.

26. OKTOBER +++ Der neue Branden-burger Landtag kommt erstmals zu-sammen und wählt Herbert Knoblich(SPD) zu seinem Präsidenten.

1. NOVEMBER +++ Manfred Stolpe(SPD) wird zum ersten Ministerprä-sidenten Brandenburgs gewählt. Erführt eine Ampel-Koalition aus SPD,FDP und Bündnis 90.

2. DEZEMBER +++ Die erste gesamtdeut-sche Bundestagswahl gewinnen CDUund FDP, Helmut Kohl bleibt Bun-deskanzler. In Brandenburg erhaltendie CDU 36 und die SPD 33 Prozentder Stimmen.

1991

8. APRIL +++ Die Grenzübergänge nach Polen werden für den visafreienVerkehr geöffnet.

26. APRIL +++ Der Landtag verabschie-det das Schulgesetz, in dem u.a. das13-jährige Abitur festgeschrieben wird.Neben Gesamtschulen werden auchRealschulen und Gymnasien eingerich-tet. Die Grundschule dauert sechsJahre.

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20 Jahre Brandenburg EINE KLEINE CHRONIK, ZUSAMMENGESTELLT

VON THOMAS KRALINSKI

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16. MAI +++ Der Landtag beschließt dasneue Hochschulgesetz. Damit werdenfünf Fachhochschulen und drei Uni-versitäten im Land begründet.

20. JUNI +++ Der Bundestag beschließt,dass Bundesregierung und Parlamentnach Berlin umziehen.

15. JULI 1991 +++ Genau 180 Jahre nachihrer Schließung wird die Viadrina inFrankfurt (Oder) als Europa-Universi-tät wiedergegründet.

17. AUGUST +++ Der Sarkophag vonFriedrich dem Großen wird, nach sei-

nem testamentarischen Willen und 205Jahre nach seinem Tod, auf der Terrassevon Schloss Sanssouci beigesetzt.

1992

1. JANUAR +++ Der neue LandessenderOstdeutscher Rundfunk Brandenburg(ORB) nimmt den Sendebetrieb auf.

19. JANUAR +++ In seinem Buch„Schwieriger Aufbruch“ macht Minister-präsident Manfred Stolpe seine Kon-takte zum DDR-Ministerium für Staats-sicherheit öffentlich und löst damit einegroße öffentliche Debatte aus.

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thema – 20 jahre brandenburg

Ministerpräsident

Innenminister, stellv. Ministerpräsident

Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Finanzminister

Justizminister

Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr

Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung

Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie

Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur

Chef der Staatskanzlei

Die Brandenburger Landesregierung 1990-1994

Manfred Stolpe (SPD)

Alwin Ziel (SPD)

Regine Hildebrandt (SPD)

Marianne Birthler (Bündnis 90), ab 1992 Roland Resch (Bündnis 90)

Edwin Zimmermann (SPD)

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD)

Hans Otto Bräutigam (parteilos)

Jochen Wolf (SPD), ab 1993 Hartmut Meyer (SPD)

Matthias Platzeck (Bündnis 90)

Walter Hirche (FDP)

Hinrich Enderlein (FDP)

Jürgen Linde (SPD)

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12. FEBRUAR +++ Der Landtag setzt denStolpe-Untersuchungsausschuss ein.Aufgeklärt werden sollen die Kontaktevon Manfred Stolpe mit dem Ministe-rium für Staatssicherheit der DDR.

14. APRIL +++ Der Landtag beschließtmit 72 Ja-Stimmen aus SPD, FDP,Bündnis 90 und PDS sowie Teilen derCDU die neue Landesverfassung.

25. JUNI +++ Der Landtag verabschiedetdas erste Naturschutzgesetz.

14. JUNI +++ Bei der Volksabstimmungüber die neue Landesverfassung stim-men 94 Prozent der Brandenburgerin-nen und Brandenburger mit Ja. Damitist Brandenburg das erste neue Bundes-land mit einer vom Volk legitimiertenVerfassung.

29. SEPTEMBER +++ Ein Brandanschlagauf die jüdische Baracke in der Ge-denkstätte Sachsenhausen führt zueiner Welle der Empörung – und zueiner großen Solidaritätsveranstaltung.

29. OKTOBER +++ Rücktritt von Mari-anne Birthler als Bildungsministerin.Nachfolger wird Roland Resch.

Im Laufe des Jahres kommt es in Brandenburg, u.a. in Treuenbrietzen,Ketzin und Eberswalde, zu mehrerenÜbergriffen von Rechtsextremen aufUnterkünfte von Asylsuchenden.

1993

31. MÄRZ +++ Der Landtag verabschiedetnach langer und emotionaler Debattedie Kreisgebietsreform. Brandenburg ist damit Vorreiter in Ostdeutschland.Zukünftig wird es nur noch 14 Land-kreise und 4 kreisfreie Städte geben.

15. OKTOBER +++ Der Landtag be-schließt die erste Kommunalverfassungdes Landes.

5. DEZEMBER +++ Bei der Kommu-nalwahl wird die SPD mit 35 Prozentstärkste Kraft. Die CDU erreicht 22 Prozent, die PDS 21 Prozent.

1994

22. MÄRZ +++ Die Ampelkoalition zer-bricht am Streit über die Bewertungder Stasi-Kontakte von ManfredStolpe. Die Bündnis-Fraktion kündigtden Koalitionsvertrag, ihre Ministerbleiben jedoch im Amt.

13. APRIL +++ Der Landtag lehnt vorzei-tige Neuwahlen ab. SPD und FDP ver-einbaren eine Minderheitsregierung biszu den Landtagswahlen.

29. MAI +++ Der Abschlussbericht des„Stolpe-Untersuchungsausschusses“ imLandtag entlastet Manfred Stolpe vomVorwurf der Zusammenarbeit mit demMinisterium für Staatssicherheit.

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eine chronik

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12. JUNI +++ Bei den ersten Europa-wahlen in Brandenburg wird die SPDstärkste Kraft mit 37 Prozent. DieCDU kommt auf gut 23 Prozent, diePDS auf knapp 23 Prozent.

31. AUGUST +++ Die letzten russischenSoldaten werden aus Deutschland ver-abschiedet. In Brandenburg war derGroßteil der sowjetischen Streitkräftenach dem Zweiten Weltkrieg statio-niert.

11. SEPTEMBER +++ Bei den 2. Land-tagswahlen triumphiert die SPD. Sie erreicht mit 54 Prozent die absoluteMehrheit. CDU und PDS kommen auf je 18 Prozent, FDP und Bündnisscheitern an der 5-Prozent-Hürde.

11. OKTOBER +++ Der Landtag wähltManfred Stolpe auch mit Stimmen ausder Opposition erneut zum Minister-präsidenten.

16. OKTOBER +++ Die Bundestagswah-len gewinnt die Koalition aus Unionund FDP, Helmut Kohl bleibt Bun-deskanzler. In Brandenburg siegt die SPD mit 45 Prozent, die CDUkommt auf 28 Prozent, die PDS auf19 Prozent.

22. DEZEMBER +++ Eines der größtenUnternehmen des Landes, EKO StahlEisenhüttenstadt, wird privatisiert.Damit endet der vierjährige Kampf um

den Erhalt des Werkes. Mit einem um-fassenden Investitionsprogramm wirdEKO einer der modernsten Stahlstand-orte in Europa.

1995

6. APRIL +++ Die Landesregierungen vonBrandenburg und Berlin einigen sichauf einen Staatsvertrag zur Länderfu-sion.

29. APRIL +++ Die erste Bundesgarten-schau in den neuen Ländern öffnet inCottbus ihre Pforten.

22. JUNI +++ Der Brandenburger Landtagstimmt mit 2/3-Mehrheit dem Fusions-staatsvertrag zu.

1996

28. MÄRZ +++ Der Landtag beschließtmit 44 gegen 32 Stimmen die Ein-führung des Unterrichtsfaches„Lebensgestaltung-Ethik-Religion(LER)“. Das Fach ersetzt ab der 7. Klasse den Religionsunterricht.

5. MAI +++ Bei der Volksabstimmunglehnen die Brandenburger die Länder-fusion mit Berlin mit 63 Prozent ab.

28. MAI +++ Brandenburg, Berlin undBrandenburg einigen sich auf Schöne-feld als Standort für den neuen Haupt-stadtflughafen.

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1997

17. JULI +++ Das Hochwasser der Oderüberschwemmt große Teile des Landes,eine Flutung des Oderbruchs kann ineiner großen Kraftanstrengung jedochverhindert werden. Der dreiwöchigeAbwehrkampf gegen das Hochwasser istder größte Katastropheneinsatz nachdem Krieg in Deutschland.

29. OKTOBER +++ Das neue KraftwerkSchwarze Pumpe, eine Investition von 2 Milliarden Euro, geht ans Netz. Mit einem Wirkungsgrad von über 40 Prozent bilden die beiden 800 MW-

Blöcke eines der effizientesten Kohle-kraftwerke der Welt.

20. NOVEMBER +++ Ein Tankzug ent-gleist bei der Durchfahrt durch denBahnhof Elsterwerda, dabei explodierenzwei Wagons. Der Ort entgeht nurknapp einer Katastrophe.

1998

18. JUNI +++ Nach jahrelangen Auseinan-dersetzungen entscheidet das Landes-verfassungsgericht letztinstanzlich, dassdie Gemeinde Horno dem Braunkohle-abbau weichen muss.

33perspektive21

eine chronik

Ministerpräsident

Innenminister, stellv. Ministerpräsident

Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen

Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

Finanzminister

Justiz- und Europaminister

Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr

Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung

Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie

Minister für Wissenschaft,Forschung und Kultur

Chef der Staatskanzlei

Die Brandenburger Landesregierung 1994-1999

Manfred Stolpe (SPD)

Alwin Ziel (SPD)

Regine Hildebrandt (SPD)

Angelika Peter (SPD)

Edwin Zimmermann (SPD)ab 1997 Gunter Fritsch (SPD)

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD)ab 1995 Wilma Simon (SPD)

Hans Otto Bräutigam (parteilos)

Hartmut Meyer (SPD)

Matthias Platzeck (parteilos, ab 1995 SPD),ab 1998 Eberhard Henne (SPD)

Burkhard Dreher (SPD)

Steffen Reiche (SPD)

Jürgen Linde (SPD)

Page 34: perspektive 21 - Heft 46

27. SEPTEMBER +++ SPD und Grüne ge-winnen die Bundestagswahlen, GerhardSchröder wird Bundeskanzler. In Bran-denburg bleibt die SPD mit 44 Prozentstärkste Kraft, die CDU erhält 21, diePDS 20 Prozent der Stimmen.

27. SEPTEMBER +++ Bei der Kommunal-wahl wird die SPD stärkste Kraft mit 39 Prozent. CDU und PDS kommenauf je 21 Prozent. In Potsdam wirdMatthias Platzeck im ersten Wahlgangzum neuen Oberbürgermeister gewählt.

6. OKTOBER +++ Das Handlungskonzept„Tolerantes Brandenburg“ wird auf denWeg gebracht. Es gilt als eines der fort-schrittlichsten Programme gegenRechtsextremismus in Deutschland.

1999

JANUAR +++ Jörg Schönbohm wird dersiebente Landesvorsitzende der Bran-denburger CDU nach der Wende. Erführt die CDU in die Regierung undbleibt als Landesvorsitzender bis 2007im Amt.

13. FEBRUAR +++ Rechtsradikale in Gu-ben hetzen den Asylbewerber FaridGuendoul zu Tode.

13. JUNI +++ Bei der Europawahl verliertdie SPD Stimmen, bleibt mit über 31Prozent aber stärkste Kraft vor CDU(29 Prozent) und PDS (26 Prozent).

5. SEPTEMBER +++ Bei der Landtagswahlverliert die SPD die absolute Mehrheit,bleibt mit über 39 Prozent aber stärksteKraft. Die CDU erhält knapp 27 Pro-zent, die PDS 23 Prozent. Auch dierechtsextreme DVU zieht mit 5 Prozenterstmals in den Landtag ein.

13. OKTOBER +++ Der Landtag wähltManfred Stolpe erneut zum Minis-terpräsidenten. Er bildet eine Koalitionmit der CDU unter dem neuen Innen-minister Jörg Schönbohm. Regine Hil-debrandt scheidet aus der Regierungaus.

2000

5. FEBRUAR +++ Bahn, Bundesregierungund Industrie stoppen die Transrapid-strecke zwischen Berlin und Hamburg.Stattdessen wird eine ICE-Strecke zwi-schen den beiden größten StädtenDeutschlands quer durch Brandenburggebaut.

8. JULI +++ Matthias Platzeck wird alsNachfolger von Steffen Reiche, der dasAmt zehn Jahre innehatte, neuer Vor-sitzender der Brandenburger SPD.

20. AUGUST +++ Der Lausitzring wird alsmodernste Automobilrennstrecke Euro-pas auf einer ehemaligen Braunkohle-grube eröffnet. Im Juni 2002 muss dieBetreibergesellschaft jedoch Insolvenzanmelden.

34 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

Page 35: perspektive 21 - Heft 46

30. NOVEMBER +++ Die Cargolifter-Halle in Brand wird eingeweiht. Siesoll als Werfthalle dienen, in derLuftschiffe gebaut werden. Jedochmeldet die Firma im Juni 2002 In-solvenz an. Später wird in der Halleder Freizeitpark „Tropical Island“ errichtet.

Die „Internationale BauausstellungFürst-Pückler-Land“ startet. Mit 30 Architektur- und Landschaftspro-jekten wird sie in den kommendenzehn Jahren den Strukturwandel inder Lausitzer Braunkohleregion be-gleiten.

2001

20. APRIL +++ Die zweite Bundesgarten-schau in Brandenburg eröffnet in Pots-dam.

26. NOVEMBER +++ Die langjährige ehe-malige Sozialministerin Regine Hil-debrandt stirbt. Als „Stimme desOstens“ wurde sie bundesweit bekannt.

2002

22. MÄRZ +++ Die gesplittete Stimmab-gabe Brandenburgs bei der Bundes-ratsabstimmung zum Zuwanderungs-

35perspektive21

eine chronik

Ministerpräsident

Innenminister, stellv. Ministerpräsident

Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen

Minister für Bildung, Jugend und Sport

Finanzministerin

Ministerium für Justizund Europaangelegenheiten

Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung

Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr

Wirtschaftsminister

Ministerium für Wissenschaft,Forschung und Kultur

Chef der Staatskanzlei

Die Brandenburger Landesregierung 1999-2004

Manfred Stolpe (SPD)ab 2002 Matthias Platzeck (SPD)

Jörg Schönbohm (CDU)

Alwin Ziel (SPD),ab 2002 Günter Baaske (SPD)

Steffen Reiche (SPD)

Wilma Simon (SPD),ab 2000 Dagmar Ziegler (SPD)

Kurt Schelter (CDU),ab 2002 Barbara Richstein (CDU)

Wolfgang Birthler (SPD)

Hartmut Meyer (SPD), ab 2003 Frank Szymanski (SPD)

Wolfgang Fürniß (CDU),ab 2002 Ulrich Junghans (CDU)

Wolfgang Hackel (CDU),ab 2000 Johanna Wanka (CDU)

Rainer Speer (SPD)

Page 36: perspektive 21 - Heft 46

gesetz führt zum Eklat und einer erns-ten Koalitionskrise.

22. JUNI +++ Ministerpräsident ManfredStolpe erklärt seinen Rücktritt nach 12-jähriger Amtszeit.

26. JUNI +++ Matthias Platzeck wird vomLandtag zum neuen Ministerpräsiden-ten gewählt.

AUGUST +++ Das sogenannte „Jahrhun-derthochwasser“ der Elbe betrifft auchBrandenburg. Es kommt jedoch kaumzu größeren Schäden.

22. SEPTEMBER +++ SPD und Grüne gewinnen die Bundestagswahl, GerhardSchröder bleibt Bundeskanzler. InBrandenburg erhält die SPD mit700.000 Stimmen ihr bisher bestesWahlergebnis. Mit Manfred Stolpewird erstmals ein Brandenburger Mit-glied des Bundeskabinetts, er ist fürVerkehr, Bau, Wohnungswesen undden Aufbau Ost zuständig.

2003

24. MÄRZ +++ Der Landtag beschließtdie Gemeindeneugliederung. Damitsinkt die Zahl der Gemeinden auf etwa 400.

1. MAI +++ ORB und SFB fusionierenzur gemeinsamen SendeanstaltRundfunk Berlin-Brandenburg (rbb).

26. OKTOBER +++ Bei den Kommunal-wahlen wird die CDU erstmals stärksteKraft mit 28 Prozent. Die SPD verliert15 Prozent und kommt nur noch auf 24 Prozent, die PDS erhält 21 Prozent.

28. NOVEMBER +++ Die geplante Chip-fabrik in Frankfurt (Oder) scheitert aneinem unklaren Unternehmens- undFinanzkonzept. Damit kommt es auchnicht zu den erhofften über 1.000 neuenArbeitsplätzen. 2006 übernimmtConergy das Gebäude und errichtet eineSolarzellenfabrik.

Im Jahresdurchschnitt sind über250.000 Brandenburg arbeitslos. Dasist der höchste Stand nach der Wieder-vereinigung.

2004

1. MAI +++ Brandenburg rückt in dieMitte Europas. Polen und neun an-dere Länder Ost- und Mitteleuropaswerden Mitglieder der EuropäischenUnion.

13. JUNI +++ Bei der Europawahl wird inBrandenburg erstmals die PDS stärksteKraft. Sie erhält 31 Prozent, die CDU24 und die SPD 21 Prozent.

9. AUGUST +++ Landesweit kommt es inden folgenden Wochen zu zahlreichenDemonstrationen gegen die Arbeits-marktreformen der Bundesregierung.

36 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

Page 37: perspektive 21 - Heft 46

19. SEPTEMBER +++ Die SPD wird beider Landtagswahl mit 32 Prozent erneut stärkste Kraft. Die CDU fällt auf 19 Prozent zurück, die PDS erhält28 Prozent. Auch die DVU kommt mit6 Prozent wieder in den Landtag.

13. OKTOBER +++ Der Landtag wähltMatthias Platzeck zum Ministerprä-sidenten. Er bildet erneut eine Koa-lition mit der CDU unter Innenminis-ter Jörg Schönbohm. Gunter Fritschwird zum neuen Landtagspräsidentengewählt.

16. DEZEMBER +++ Mit dem neuenSchulgesetz werden Gesamt- und Real-

schulen zu Oberschulen fusioniert. DasAbitur wird an den Gymnasien nach 12 Jahren abgelegt.

2005

19. FEBRUAR +++ Matthias Platzeck stelltseine Ideen für eine Neuorientierungvon Wirtschaftsförderung und Landes-planung vor. Das Leitbild der dezentra-len Konzentration wird durch das Prin-zip „Stärken stärken“ abgelöst.

20. MAI 2005. Der Landtag entscheidetsich für einen Landtagsneubau in denGrundrissen des alten PotsdamerStadtschlosses am Alten Markt.

37perspektive21

eine chronik

Ministerpräsident

Innenminister, stellv. Ministerpräsident (bis 2007)

Wirtschaftsminister, stellv. Ministerpräsident (2007-2008)

Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur,stellv. Ministerpräsidentin (ab 2008)

Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie

Minister für Bildung, Jugend und Sport

Justizministerin

Finanzminister

Minister für Infrastrukturund Raumordnung

Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz

Chef der Staatskanzlei

Die Brandenburger Landesregierung 2004-2009

Matthias Platzeck (SPD)

Jörg Schönbohm (CDU)

Ulrich Junghans (CDU)

Johanna Wanka (CDU)

Dagmar Ziegler (SPD)

Holger Rupprecht (parteilos, ab 2005 SPD)

Beate Blechinger (CDU)

Rainer Speer (SPD)

Frank Szymanski (SPD),ab 2006 Reinhold Dellmann (SPD)

Dietmar Woidke (SPD)

Clemens Appel (SPD)

Page 38: perspektive 21 - Heft 46

31. JULI +++ In Brieskow-Finkenheerdstößt die Polizei auf neun Babyleichen,der Fund löst eine bundesweite Debatteaus. Die Mutter der Kinder wird einJahr später zu 15 Jahren Haft verurteilt.

18. SEPTEMBER +++ Die Bundestagswahlführt zu einer Großen Koalition unterAngela Merkel. In Brandenburg bleibtdie SPD stärkste Kraft mit 36 Prozent,die CDU erhält 21 Prozent, die PDS 27 Prozent.

12. NOVEMBER +++ Mehr als 2.000 Men-schen verhindern mit einer Blockade inHalbe den Aufmarsch von Neonazis amgrößten Soldatenfriedhofs Deutschlands.

15. NOVEMBER +++ Matthias Platzeckwird neuer Bundesvorsitzender derSPD.

2006

16. MÄRZ +++ Das Bundesverwaltungs-gericht gibt „grünes Licht“ für den Baudes neuen Hauptstadtflughafens inBerlin-Schönefeld. Damit geht die 16-jährige Suche und Genehmigung einesStandortes zu Ende. Am 5. Septemberist Baubeginn.

10. APRIL +++ Matthias Platzeck erklärtaus gesundheitlichen Gründen seinenRücktritt als Bundesvorsitzender derSPD. Er bleibt Brandenburgs Minis-terpräsident.

15. MAI +++ Das erste Brandenburger„Netzwerk Gesunde Kinder“ startet inLauchhammer. Das Deutsche Jugend-institut bezeichnet die landesweit ent-stehenden Netzwerke als eines der bes-ten Betreuungsangebote für jungeFamilien bundesweit.

22. SEPTEMBER +++ Der Neubau desHans-Otto-Theaters in Potsdam wird eröffnet. Das spektakuläre Ge-bäude am Havelufer ist der einzigeTheaterneubau nach der Wende inOstdeutschland.

2007

15. MÄRZ +++ Im ehemaligen TagebauMeuro beginnt die Flutung des letztenkünstlichen Sees der künftigen Lausit-zer Seenkette.

12. MAI +++ Erstmals findet der Tag desoffenen Unternehmens in Brandenburgstatt. Zehntausend Brandenburger be-suchen weit über 400 Firmen im ganzenLand.

15. NOVEMBER +++ Der Landtag be-schließt die Umwandlung der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) in eineStiftungsuniversität.

27. NOVEMBER +++ Eine Spende desMäzens Hasso Plattner in Höhe von 20 Millionen Euro ermöglicht die Wie-dererrichtung der historischen Fassade

38 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

Page 39: perspektive 21 - Heft 46

des alten Potsdamer Stadtschlosses amNeubau des Landtages.

18. DEZEMBER +++ Der Landtag beschließteine neue und einheitliche Kommunal-verfassung, die die Gemeinde-, Land-kreis- und Amtsordnung zusammenfasst.

Erstmals seit seiner Wiedergründung1990 kommt das Land Brandenburg ohne neue Schulden aus. Auch 2008bleibt die Nettokreditaufnahme bei Null.

2008

23. FEBRUAR +++ Die SPD beschließt ein„Sozialpaket“. Nach harten Verhand-lungen mit der CDU werden der

Schulsozialfonds und ein Mobilitäts-ticket eingeführt. Den Kreisen wird esfreigestellt, Elternbeiträge für Schul-busse zu erheben.

9. SEPTEMBER +++ In Schwarze Pumpewird das weltweit erste CO2-armeKohlekraftwerk mit der CCS-Techno-logie in Betrieb genommen.

28. SEPTEMBER +++ Bei den Kommu-nalwahlen wird die SPD mit 26 Prozentwieder stärkste Kraft, die CDU rutschtmit 20 Prozent auf Platz 3 ab, dieLinkspartei erhält 25 Prozent.

10. NOVEMBER +++ Der „Leitstern 2008“wird erstmals verliehen – und geht an

39perspektive21

eine chronik

Ministerpräsident

Finanzminister, stellv. Ministerpräsident

Minister für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie

Minister für Bildung, Jugend und Sport

Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz

Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft

Innenminister

Justizminister

Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten

Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur

Chef der Staatskanzlei

Die Brandenburger Landesregierung seit 2009

Matthias Platzeck (SPD)

Helmuth Markov (Linke)

Günter Baaske (SPD)

Holger Rupprecht (SPD)

Anita Tack (Linke)

Jutta Lieske (SPD),ab 2010 Jörg Vogelsänger (SPD)

Rainer Speer (SPD),ab 2010 Dietmar Woidke (SPD)

Volkmar Schöneburg (Linke)

Ralf Christoffers (Linke)

Martina Münch (SPD)

Albrecht Gerber (SPD)

Page 40: perspektive 21 - Heft 46

Brandenburg. Das Land wird damit alsfortschrittlichstes Bundesland beimAusbau erneuerbarer Energien ausge-zeichnet.

Mit 11,9 Milliarden Euro erreicht derAuslandsumsatz der BrandenburgerUnternehmen 2008 einen neuenRekord. Die Exportquote liegt bei 25Prozent – und damit auf dem höchstenStand nach der Wiedervereinigung.

2009

7. JUNI +++ Entgegen dem Bundestrendlegt die SPD bei der Europawahl zu

und wird mit 23 Prozent hinter derLinkspartei mit 26 Prozent zweit-stärkste Kraft. Die CDU erhält gut 22 Prozent.

27. SEPTEMBER +++ Die SPD legt bei der Landtagswahl zu und wird zumfünften Mal in Folge stärkste Kraft mit33 Prozent. Die CDU erhält knapp 20 Prozent, die Linkspartei 27 Prozent.Die FDP kommt mit 7 Prozent undBündnis 90/Grüne mit gut 5 Prozentwieder in den Landtag.

27. SEPTEMBER +++ CDU/ CSU undFDP gewinnen die Bundestagswahlen,

40 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

54,1%

31,9%

26,5%

5,3% 6,1%

38,2% 39,3%

33,0%

29,4%

18,7% 19,4% 19,8%

13,4%

18,7%

23,3%

28,0% 27,2%

6,6%

2,2%

1,9%3,3%

7,2%

6,4%2,9%

1,9%

3,6%5,6%

1,1% 1,1%1,1%

1

SPD CDU PDS/ L FDP B’90/G DVU/ NPD

1990 1994 1999 2004 2009

Landtagswahlen 1990-2009

Page 41: perspektive 21 - Heft 46

Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin.In Brandenburg erhält die Linkspartei28,5 Prozent vor SPD (25 Prozent) undCDU (23 Prozent).

6. NOVEMBER +++ Der Landtag wähltMatthias Platzeck erneut zum Minister-präsidenten. Er bildet eine Regierungaus SPD und Linkspartei.

17. DEZEMBER +++ Der Landtag wähltmit Ulrike Poppe erstmals eine Landes-beauftragte zur Aufarbeitung der Folgender kommunistischen Diktatur.

2010

JANUAR/FEBRUAR +++ Zum ersten Malfinden in sechs Landkreisen Direkt-wahlen zum Landratsamt statt. Nur inOberspreewald-Lausitz wird dabei dasnötige Quorum erreicht. In den ande-

ren Kreisen müssen nach der gescheiter-ten Wahl die Kreistage entscheiden.

24. MÄRZ +++ Der Landtag setzt eineEnquete-Kommission zur „Aufarbeitungder Geschichte und Bewältigung vonFolgen der SED-Diktatur und des Über-gangs in einen demokratischen Rechts-staat im Land Brandenburg“ ein.

1. JULI +++ Der Landtag verabschiedetdas Schüler-Bafög-Gesetz, das bundes-weit einmalig Schülern aus einkom-menschwachen Familien finanzielleUnterstützung beim Abitur gewährt.

30. SEPTEMBER +++ 130.000 Branden-burger sind arbeitslos. Die Arbeitslosen-quote sinkt damit auf den niedrigstenStand nach der Wende. Brandenburghat die zweitniedrigste Arbeitslosen-quote in Ostdeutschland. n

41perspektive21

eine chronik

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42 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

Page 43: perspektive 21 - Heft 46

D ie Entwicklung im Land Bran-denburg ist in den vergangenen

Jahren rasant vonstatten gegangen. DieBrandenburger Unternehmen spiegelnheute eine gute Mischung aus Hoch-technologie und klassischem Mittel-stand wider. Die Wirtschaftsförderungist auf einem guten Weg, nachdem sichdas Land von der so genannten Gieß-kanne und Großprojekten verabschie-dete.

Das Land Brandenburg hat sich denHerausforderungen gestellt, dafür spre-chen die jüngsten Konjunktur-Umfra-gen der IHKs im Jubiläumsjahr. Dabeihat sich nicht nur die Geschäftslagespürbar verbessert, auch die Erwartun-gen an die künftige Entwicklung sindwesentlich höher als noch wenige Mo-nate zuvor. Und auch die Lage bei denexportorientierten Unternehmen stelltsich günstiger dar und liegt somit im gesamtdeutschen Trend. Denn derExport ist die Konjunkturlokomotive.

Wenn man der Finanzkrise etwasPositives abgewinnen möchte, dann dieGelegenheit und Pflicht, über die Ur-sachen der Krise nachzudenken undsich auf die Grundprinzipien der Sozia-len Marktwirtschaft zu besinnen – als

Grundlage unseres Wohlstands. Für dieBrandenburger Wirtschaft waren diejüngsten Auswirkungen der weltweitenFinanzkrise jedenfalls beileibe nicht dastiefste Tal, das durchschritten werdenmusste. Denn anders als die Unterneh-men in den alten Bundesländern hattendie Brandenburger Unternehmen, ge-nau wie im gesamten Osten Deutsch-lands, regelmäßig tiefgreifende Brüchein der Entwicklung auszuhalten: Ent-eignungen nach 1945, anschließend Ver-staatlichungen, später Einverleibung inKombinate.

Eine einmalige Anstrengung

Die Anstrengungen der insgesamt sehr jungen Wirtschaft, die nach derpolitischen und wirtschaftlichen Wen-de entstanden ist, verdienen uneinge-schränkte Hochachtung. Was Grün-dungswillige und Tüftler auf die Beinegestellt haben, was frisches Blut beider Umwandlung alter DDR-Betriebevermochte, was unermüdlicher Einsatzauch zur Erhaltung und Schaffungvon Arbeit bedeutete – das darf sicheinmalig nennen. Während der ver-gangenen 20 Jahre verlief beileibe

43perspektive21

Erfolg und Fleiß WIE AUS DEM MÄRKISCHEN SAND EINE

PROSPERIERENDE WIRTSCHAFT WUCHS

VON VICTOR STIMMING

Page 44: perspektive 21 - Heft 46

nicht alles reibungslos: Misslungen istin den neunziger Jahren zum Beispielder hoffnungslose Versuch, mit vielGeld den Kasernenstandort Wünsdorfzu beleben, und im zweiten Jahrzehntder Einheit hat die Plangebietsteilungdes Landes unserer Region MillionenFördermittel vorenthalten.

Neustart 1990

Die größte Herausforderung war jedochdie Wirtschafts- und Währungsunionam 1. Juli 1990, denn hier begann einegrundlegende Änderung der Wirt-schaftsstruktur von zentral gelenktenund beaufsichtigten Betrieben hin zu eigenständig agierenden und eigenver-antwortlich wirtschaftenden Unterneh-men. Für viele Betriebe war das nurschwer zu bewältigen, blieb jedoch ohneAlternative. In dieser Phase traten dieHandels- und Gewerbekammern ausihrem Schattendasein und wurden alsIndustrie- und Handelskammern wie-dergegründet.

Bei der Entflechtung der Kombinatebleiben viele Teilbetriebe auf der Stre-cke, die ohne den Zentralbetrieb nichtmehr lebensfähig waren. Andere Kom-binatsteile konnten ihre alten Geschäfts-felder wieder aufnehmen und an alteTraditionen anknüpfen. Für den über-wiegenden Teil der Betriebe war dieUmstellung hart, denn die meisten An-lagen und Maschinen waren längst abge-schrieben und verschlissen.

Hinzu kommt ein anderer Aspekt:Etwa die Hälfte der Produktion gingvorher in die östlichen Nachbarstaa-ten, vor allem in die ehemalige Sowjet-union. Die Produktionskapazitätenwaren direkt darauf ausgerichtet undzentral bilanziert, der Produktionsaus-stoß ging vorgeschriebene Handelswe-ge, und der Absatz war stets garantiert.Doch hatten viele Betriebsabwicklun-gen der frühen neunziger Jahre aucheinen positiven Aspekt: Oftmals ge-lang Mitarbeitern mit hohem Fachwis-sen ein Management Buy-out, und siekonnten ihren Betrieb weiterführenund modernisieren.

Ein neues Rückgrat

Ebenso beschäftigten die großen Indus-triebetriebe in ihren Forschungs- undEntwicklungsabteilungen hochqualifi-zierte Mitarbeiter mit Hochschul- oderUniversitätsabschluss. Viele von ihnengründeten ihre eigene Firma, bautendiese auf und konnten bald mehrereMitarbeiter einstellen. Diese Unter-nehmen sieht man heute in Branden-burg landauf und landab, sie entwickelnmeist hochspezialisierte Geräte oderVerfahren für mittlere und großeUnternehmen. Die vielen Neu- undAusgründungen tragen wesentlich zurKleinteiligkeit der Brandenburger Wirt-schaftsstruktur bei und gehören zumRückgrat der Wirtschaft. Die Branden-burger kleinen und mittleren Unter-

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thema – 20 jahre brandenburg

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nehmen beschäftigen zusammen mehrMitarbeiter als die Großbetriebe. Durchdiese Unternehmensansiedlungen an alten Standorten sind mitunter mehrArbeitsplätze entstanden als früher dortzu finden waren.

Eine stabile Wirtschaft entsteht im-mer aus der Kleinteiligkeit heraus. Hierdarf Ungeduld nicht zu vorschnellenSchlüssen führen. Auch Steve Jobs hateinmal in einer Garage angefangen. DieMarktfähigkeit der Produkte entscheidetletztendlich über das Wachsen der Fir-men. Verordnen kann man das nicht –und das sollte man auch nicht. Wir brau-chen künftig jedoch noch mehr starkegroße Unternehmen, die in Verflechtungmit den kleinen und mittelständischenUnternehmen global tätig sind.

Wachstum durch RWKs

Von den alten Industriezentren in denfrüheren Bezirken Cottbus, Frankfurt(Oder) und Potsdam haben viele über-lebt. Nach wie vor werden in Branden-

burg Schienenfahrzeuge gebaut, wirdStahl gewalzt, Erdöl raffiniert, werdenKunststoffe hergestellt oder auch Autosgebaut. Als Industriekerne waren sie inder jüngsten Vergangenheit Grundlagebei der Entscheidung für RegionaleWachstumskerne im ganzen Land, dieals Kristallisationspunkte das Wirt-schaftswachstum befördern. Branden-burgs Wirtschaft kann zwei Jahrzehnterasanten Wachstums vorweisen, hat inden vergangenen Jahren im Bundes-vergleich kontinuierlich aufgeholt, undeinige Landkreise liegen sogar auf Spit-zenpositionen.

Der Blick in die Zukunft mag erlaubtsein: In 20 Jahren wird gerade durch die Berlinnähe eine Metropolregion bestehen, die auf allen internationalenMärkten entscheidend mitmischt. EineVoraussetzung dafür sind große Infra-strukturprojekte wie der neue Flughafen„Willy Brandt“ in Schönefeld und derStraßenausbau – aber auch die fleißigenund klugen Unternehmerinnen undUnternehmer der Region. n

45perspektive21

victor stimming – erfolg und fleiß

D R.- I N G. V I C T O R S T I M M I N G

ist Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam.

Page 46: perspektive 21 - Heft 46

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thema – 20 jahre brandenburg

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47perspektive21

W ir haben, wenn wir rückblicken,drei große Epochen gehabt“, so

Pastor Lorenzen im Stechlin. Die bran-denburgisch-preußische Geschichtehatte ihre Höhepunkte unter FriedrichWilhelm I., Friedrich II. und zur Zeitder Erhebung gegen Napoleon. PastorLorenzen würde sicher zustimmen,wenn wir die demokratischen Umwäl-zungen der Jahre 1989 und 1990 alsvierte große Epoche hinzufügen.

Die Kommunalwahlen vom 6. Mai1990 und die sich anschließende Wie-dererrichtung einer kommunalenSelbstverwaltung auf demokratischerGrundlage war ohne jeden Zweifeleine ganz wichtige Etappe diesergroßen Epoche. Noch vor der Wie-dervereinigung wurde in den Städten,Gemeinden und Kreisen die Grund-lage für eine demokratisch mitbe-stimmte und nach modernen westli-chen Maßstäben funktionierendeKommunalverwaltung gelegt. DieBürgerinnen und Bürger konntendirekt vor Ort miterleben, wie die bisherigen Herrschaftsstrukturen sichnicht nur in Folge der friedlichenRevolution auflösten, sondern durchneue Verwaltungen ersetzt wurden.

In der Mehrzahl der Bezirke dernoch bestehenden DDR spielte die SPDdabei nur eine untergeordnete Rolle.Bei 9 Prozent der Stimmen in Dresdenund 13 Prozent in Karl-Marx-Stadt,hieß es nur für eine relativ kleine Zahlsozialdemokratischer Kommunalpoli-tikerinnen und Kommunalpolitikern„… und auf einmal im Rathaus“– soder Titel eines Buches mit Berichtenvon 1990 neugewählten Kommunalpo-litikerinnen und Kommunalpolitikern.

Eine lehrsame Zeit begann

Im damaligen Bezirk Cottbus landetedie SPD bei 18 Prozent. In den Be-zirken Frankfurt (Oder) und Potsdamwurden dagegen mehr als 30 Prozenterreicht. In diesen Bereichen des wie-derzugründenden Brandenburgs zogenzahlreiche Sozialdemokraten in dieVertretungen und dann folgend alsBürgermeister, Landräte, Dezernentenund Amtsleiter in die Rathäuser undKreisverwaltungen ein. Für sie beganneine ebenso spannende, arbeitsreiche,erfolgreiche wie lehrsame Zeit.

Wer sich noch an die Städte und Ge-meinden der DDR mit ihrer sich auflö-

Auf einmal im Rathaus WIE DIE KOMMUNALE SELBSTVERWALTUNG IN BRANDENBURG ENTSTAND

VON CHRISTIAN MAASS

Page 48: perspektive 21 - Heft 46

senden Infrastruktur und dem Grau derzerfallenden Zentren erinnert, der kanneinschätzen, wie groß die Leistungender letzten 20 Jahre sind. Schulen, Kin-dergärten, Sportanlagen, Kultureinrich-tungen und Krankenhäuser wurdenmodernisiert oder neu errichtet. DerAnschluss an das Wasser- und Abwas-sernetz ist selbstverständlich. Der kom-munale Umweltschutz hat eine Lebens-qualität ermöglicht, die in der DDRunerreichbar schien. Wo früher die ausTausenden Schornsteinen verpesteteLuft das Atmen schwer machte, gibt esjetzt saubere Luft. Unsere Flüsse undSeen sind wieder sauber und klar. Nach20 Jahren Brandenburg und vereinig-tem Deutschland können wir stolz aufunsere lebenswerten Städte, Gemeindenund Landkreise sein.

Aufbau und Umbau

Die Jahre nach 1990 waren jedochnicht nur durch eine enorme Aufbau-leistung gekennzeichnet. Die Kommu-nen durchlebten zahlreiche Anpas-sungs- und Modernisierungsprozesse.Fiel der Startschuss für kommunaleSelbstverwaltung fast im rechtsfreienRaum, wurde beginnend mit demEinigungsvertrag in einem nicht zuunterschätzenden Kraftakt das gesamtebundesdeutsche Recht übernommen.Zur Anwendung und Umsetzung dieses Rechts waren flächendeckendeSchulungen erforderlich.

Hinzu kamen die strukturellen Ver-änderungen. Im Jahr 1990 bestandBrandenburg aus 36 Kreisen, sechskreisfreien Städte und 1.793 kreisan-gehörigen Gemeinden. Mehr als 1.100dieser Gemeinden hatten weniger als1.000 Einwohner. 1993 wurden da-raus 14 Landkreise und vier kreisfreieStädte. Brandenburg entschied sichnach 1990 gegen eine durchgreifendeGemeindegebietsreform. Zwischen1991 und 1993 wurden 158 Ämterund 52 amtsfreie Gemeinden gebildet.Die Ämter übernahmen die Arbeit derhauptamtlichen Verwaltung für diekleinen und kleinsten Städte und Ge-meinden, die so jedoch eigenständigbestehen konnten. Nach der Stärkungder kommunalen Ebene konnten perFunktionalreform mehr Aufgaben aufdie Landkreise und kreisangehörigenKommunen übertragen werden.

Vor allem die Kreisgebietsreformführte zu teilweise erbitterten Ausein-andersetzungen. Dabei war die grund-sätzliche Notwendigkeit der Reformnicht von der Hand zu weisen. DerStreit entbrannte um die Zuschnitteder neuen Kreise und noch heftiger umdie neuen Kreissitze. Hierbei pralltendie Kämpfer für „ihre“ Kreisstadt oftmit unversöhnlicher Härte aufeinan-der. Eine der härtesten Auseinander-setzungen spielte sich zwischen Nauenund Rathenow ab. In den Auseinan-dersetzungen wurden teilweise Gräbenaufgerissen, die nur langsam wieder

48 oktober 2010 – heft 46

thema – 20 jahre brandenburg

Page 49: perspektive 21 - Heft 46

geschlossen werden konnten. Das Den-ken in Altkreisgrenzen wurde nochüber viele Jahre gepflegt. Hinsichtlichder Kreisgebiete, Vertretungen undVerwaltungen wurde die Kreisgebiets-reform mit der Kommunalwahl 1993vollzogen. Der Neuordnung in dennachgeordneten Einrichtungen erfolgteSchritt für Schritt und teilweise eben-falls noch mit erheblichen Konflikten.Dies betraf u.a. Sparkassen, Kranken-häuser und Musikschulen.

Eine neue Verfassung

Gleichzeitig trat die neue Branden-burger Kommunalverfassung in Kraft.Sie löste die noch von der frei gewähl-ten Volkskammer verabschiedete Kom-munalverfassung der DDR ab. Diekommunale Struktur des Landes abbil-dend, bestand sie aus der Amts-, derGemeinde- und der Landkreisordnung.Sie sah – als Kompromiss der Ampel-koalition – die Direktwahl der haupt-amtlichen Bürgermeister bei gleichzei-tig indirekter Wahl der Landräte vor.Mit der Wahl der neuen Landrätestand eine der wichtigsten kommunal-politischen Herausforderungen gleichzu Beginn auf der Agenda der neuenKreistage. Die Amtsdirektoren wurdenvon den jeweiligen Amtsausschüssengewählt. Nach den Kommunalwahlen1990 waren sowohl die Bürgermeister,als auch die Landräte durch die Vertre-tungen gewählt worden.

Es lag wohl auch in den Besonder-heiten dieser historischen Periode, dasses trotz der Widerstände vor allemgegen Teile der Kreisgebietsreformgelang, derartig grundsätzliche Rege-lungen und Veränderungen in so kur-zer Zeit über die Bühne zu bringen.Neben den genannten Aufgaben galt es mit der Erarbeitung und Verabschie-dung der jährlichen Gemeindefinanzie-rungsgesetze und dem Kommunalab-gabengesetz (KAG) – 1991 im Gesetzüber Kommunalabgaben, Vergnü-gungssteuer und zur Übertragung derVerwaltung der Gewerbesteuer auf dieGemeinden – weitere wichtige gesetz-liche Grundlagen zu schaffen.

Normalisierung wird beklagt

Spätestens nach den Kommunalwahlen1993 begann eine Phase der Beruhigungund Normalisierung. Die „Normalisie-rung“ beschränkte sich jedoch nicht nurauf die Strukturen und die gesetzlichenGrundlagen. Das bereits erwähnte, vonBernd Feldhaus – er wurde 1991 von derSozialdemokratischen Gemeinschaft fürKommunalpolitik in Nordrhein-West-falen (SGK) als Gründungsgeschäfts-führer der SGK nach Brandenburg ent-sandt – herausgegebene Buch „… undauf einmal im Rathaus“1 lässt zahlreicheAkteure der Anfangszeit zu Wort kom-men. Die Berichte behandeln die sich

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christian maaß – auf einmal im rathaus

1 Waxmann Verlag, Münster 1995

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langsam einspielenden Entscheidungs-abläufe und Verwaltungsstrukturen.Noch stärker beleuchten sie jedoch per-sönliche und subjektive Aspekte derKommunalpolitik jener Zeit. Die auchin diesem Bereich stattgefundene „Nor-malisierung“ wird in den Berichten sel-ten begrüßt, eher beklagt. Die in vielenKommunen 1990 vorhandene Auf-bruchstimmung und Sachorientierung,die persönliche und parteitaktischeAuseinandersetzungen in den Hinter-grund schob, ging verloren. Aus derSicht etlicher Befragter traf dies auchauf die Verhältnisse innerhalb der SPDzu. Die Akteure mussten sich erst an diejetzt auch in der Kommunalpolitik übli-chen Mechanismen des „Miteinanders“gewöhnen. Es bestand auch aus hartenKämpfen um Macht, Einfluss und Pos-ten und die Durchsetzung von eigenenInteressen.

Verteilungskämpfe beginnen

Es geht nicht darum, die Zeit des Um-bruchs zu idealisieren. Der die neuenund demokratischen Kräfte verbindendeGrundkonsens, das Ziel der Überwin-dung des alten Systems und daraus fol-gend die Schaffung von etwas Neuem inden Kommunen hatte in der Anfangs-zeit noch Bestand und ging dann auchin der Kommunalpolitik Stück für Stückverloren. Der Konsens trug nicht so weitund so lang, dass er vermocht hätte, dieanstehenden Verteilungskämpfe auf

allen Ebenen zu überdecken. Der Geistder Runden Tische war immer wenigerhandlungsleitend. Es ging zunehmenddarum, Mehrheiten für sich und seineIdeen und Ziele zu gewinnen und diesin der Regel nicht im Konsens, sondernwenn notwendig gegen die anderenAkteure in den Vertretungen. Diese Ent-wicklung verlief für manche Kommunal-politikerin und Kommunalpolitikerrecht schmerzhaft. Letztendlich wurde inden Kommunen der Prozess nachgeholt,der auf der staatlichen Ebene mit demWahlsieg der aus der Blockpartei hervor-gegangenen Allianz für Deutschland zurDesillusionierung und politischen Be-deutungslosigkeit tragender Köpfe derfriedlichen Revolution geführt hat.

Stillstand kann es nicht geben

Seit Mitte der neunziger Jahre wurdeimmer deutlicher, dass viele der kleinenund kleinsten Städte und Gemeindennicht über die notwendige Verwaltungs-kraft verfügen. Es wurde erneut übereine Gemeindegebietsreform diskutiert.Der allein regierenden SPD fehlte je-doch – vielleicht auch im Ergebnis derverlorenen Volksabstimmung zu Berlin-Brandenburg – der Mut zu einer weitrei-chenden Reform. Die CDU gefiel sich,ihre Verantwortung für das Land negie-rend, in der Total-Opposition und lehn-te jede Veränderung ab. So suchte undfand die SPD die Kooperation mit derPDS. Im Landtag wurde eine Enquete-

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Kommission gebildet. Die von ihr kon-zipierte Amtsgemeinde als eigenständigeWeiterentwicklung des Amtes ver-schwand allerdings im Zuge der Regie-rungsbildung des Jahres 1999 in denSchubladen des Landtages. Den abstru-sen Höhepunkt der Verweigerungshal-tung bildete der Hinweis eines CDU-„Experten“ in der Enquete-Kommissionauf den Zusammenbruch der Sowjet-union, der seiner Meinung nach dieIneffizienz jeder Form des Zentralismusbewiesen hätte. Er sprach dabei über dieZusammenlegung kleiner Kommunenin Brandenburg mit zusammen nichteinmal 10.000 Einwohnern.

Stand mit Alwin Ziel von 1990 bis1999 ein Sozialdemokrat an der Spitzedes Innenministeriums, so übernahmenin der großen Koalition die CDU undJörg Schönbohm dieses Schlüsselressort.Dies war durchaus schmerzhaft für dieKommunalpolitikerinnen und Kom-munalpolitiker der SPD, verbanden siedoch ihren Politikbereich mit AlwinZiel und einer erfolgreichen Arbeit derletzten Jahre.

Hatte der Wahlkämpfer Schön-bohm die Kirche noch im Dorf lassenwollen, fand er als Innenminister fürsie einen Platz in der neuen Einheits-gemeinde. Die Zahl der kreisangehöri-gen Gemeinden – sie hatte nach 1990durch freiwillige Zusammenschlüssebereits abgenommen – reduzierte sichvon 1.479 auf nunmehr 418. Die Zahlder Ämter sank auf 54. Im Gegenzug

stieg die Zahl der amtsfreien Gemein-den auf 146. Zur Gesichtswahrung derCDU wurde die mit der Kommunal-wahl 2003 in Kraft tretende Gemein-destrukturreform durch eine ausufern-de Ortsteilverfassung verwässert, derenAuswüchse mit der Kommunalverfas-sung des Jahres 2007 teilweise wiederbeseitigt werden konnten. Noch immerhat aber das kleine Rheinsberg 17 Orts-teile. Unsere Ämter sind mit ihrenOrtsteilen inklusive der dazu gehören-den Ortsbeiräte und Ortsvorsteher,den amtsangehörigen Gemeinden mitGemeindevertretung und ehrenamtli-chen Bürgermeistern sowie dem Amts-ausschuss und dem Amtsdirektor alsHauptverwaltungsbeamten dreistufig.So bringt es das Amt Niemegk mit sei-nen etwa 4.800 Einwohnern auf vierGemeinden mit insgesamt 16 Ortstei-len. Der Amtsausschuss wird dabei vonzehn Mitgliedern gebildet, die sich ausden Reihen der insgesamt 43 Gemein-devertreter rekrutieren. Hinzu kom-men noch 38 Mitglieder der Orts-beiräte.

Angetreten zur Selbstkasteiung

Landespolitischer Höhepunkt des Jah-res 2004 war der erbitterte Hartz IV-Landtagswahlkampf. Die PDS sah sichbereits als Wahlsieger, musste jedocherleben, dass die SPD und vor allemMatthias Platzeck erneut das Rennenmachte. So wie der Wahlkampf geführt

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worden war, lief alles auf eine Fortset-zung der großen Koalition hinaus, wasfür die Kommunen erneut Verände-rungen mit sich bringen sollte.

Doch schon die Bundespolitik mitihren Hartz-Reformen beschäftigte dieKommunen in ausreichendem Maße.Auf dem Programm stand die Grün-dung von Arbeitsgemeinschaften bzw.die Schaffung der notwendigen Struk-turen, um als sogenannte Optionskom-mune zu arbeiten. Nach entsprechen-den Verfassungsgerichtsurteilen undlangwierigen Verhandlungsrunden aufder Bundesebene ist nur klar, dass auchhier das letzte Wort noch nicht gespro-chen ist.

Innenminister Schönbohm ließ seinHaus aber auch zum großen kommunal-politischen Sprung einer umfassendenKommunalverfassungsnovelle ansetzen.Die dann in der Regierungskoalitionlange und intensiv diskutierte Novelleberuhte nicht nur auf fachlichen Not-wendigkeiten. Sicher gab es an dem seit1993 immer wieder geänderten Gesetzdie eine oder andere Baustelle. Mit derEinführung des die bisherige Kamera-listik ablösenden neuen kommunalenHaushalts- und Rechnungswesen, inBrandenburg als Doppik bezeichnet,bestand zudem für den das Haushalts-wesen betreffenden Bereich grundlegen-der Novellierungsbedarf. Für die neueStruktur der Kommunalverfassung – diedrei Teile Amts-, Gemeinde- und Land-kreisordnung wurden zu einem Werk

verschmolzen – gab aus kommunalerSicht indessen genauso wenig fachlicheGründe wie für die massiven Angriffeauf das Recht zur wirtschaftlichen Be-tätigung der Kommunen und die Ab-schaffung der indirekten Wahl derLandräte. Matthias Platzeck hielt denStädten, Gemeinden und Landkreisendie Treue, die wirtschaftliche Betätigungder Kommunen wurde nicht durch einKlagerecht für Private ausgehöhlt. DieDirektwahl der Landräte war allerdingsnicht mehr zu verhindern.

BWL für Alle

Der Umgang mit dem kommunalenHaushalt gehört zu den Paradoxien derkommunalen Selbstverwaltung. SeineBedeutung als Schicksalsbuch des Ge-meinwesens immer wieder betonend,beschränkt sich die konkrete Beschäfti-gung mit dem Haushalt oft auf einenkleinen Kreis von Experten. Ob sichdaran im Zuge der anstehenden Re-form etwas ändert, bleibt abzuwarten.Festzustellen ist, dass die KommunenBrandenburgs ihren Haushalt zum 1. Januar des Jahres 2011 auf die neueHaushaltsführung umgestellt habenmüssen. Das kommunale Haushalts-und Rechnungswesen orientiert sichzukünftig an betriebswirtschaftlichenGrundlagen und dem Handelsgesetz-buch. Unsere Städte, Gemeinden undLandkreise erfassen und bewerten ihrVermögen und stellen Bilanzen auf.

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Anstelle der bisherigen Jahresrechnun-gen wird es Jahresabschlüsse geben, diezudem in der konsolidierten Formauch die Ergebnisse der kommunalenBeteiligungen präsentieren. Wenn sichdie Politik angesichts dieser eher tech-nisch anmutenden Themen zurückzie-hen und das Feld der Verwaltung über-lassen will, wird die Reform indessenscheitern. Erfolgreich kann sie nursein, wenn sie auf der Grundlage desReformelements „ProduktorientierteSteuerung“ und mittels der einer aufZielen und Kennzahlen basierendenneuen Steuerung auch zu tief greifen-den Veränderungen im Bereich derKommunalpolitik führt.

Dabei ist der mit der Reform ver-bundene Aufwand nicht zu unterschät-zen. Eine Vielzahl von Kommunen hatsich erst recht spät auf den Weg bege-ben. Das im Jahr 2007 beendete Mo-dellprojekt mit insgesamt acht Städten,Gemeinden, Ämtern und Landkreisenist schon fast wieder in Vergessenheitgeraten. Es wird durchaus spannendwerden, ob und in welchem Umfangdie Nachzügler die gesetzten Termineeinhalten können.

Nichts als Müh’ und Arbeit

Zu den aktuellen Herausforderungenunserer Kommunen gehört der jährlichimmer schwerer werdende Haushaltsaus-gleich. Das gilt zumindest für die kreis-freien Städte und Landkreise. Spätestens

die Folgen der Wirtschafts- und Finanz-krise ließen dann auch noch die Solides-ten ins Defizit rutschen. Neben einigenLandkreisen sehen sich vor allem diedrei kleineren kreisfreien Städte mitgroßen Finanzproblemen konfrontiert.Unabhängig von den Schwankungen imEinnahmebereich ist zu konstatieren,dass die Kommunen zunehmend großesowie inhaltlich schwierige und finanziellaufwendige Aufgabenblöcke übertragenbekommen, die allein zu meistern siezukünftig noch mehr überfordern wird.Dazu gehören u.a. die Grundsicherungfür Arbeitsuchende (nach SGB II), Ein-richtungen der Jugendhilfe (v.a. Tages-einrichtungen für Kinder), die klassischeJugendhilfe und die Grundsicherung imAlter und bei Erwerbsminderung.Schwarz-Gelb im Bund verspricht dawenig Besserung und bedroht darüberhinaus mit ihren Angriffen auf die Ge-werbesteuer die wesentliche finanzielleGrundlage der Kommunen. Angesichtsder vor uns liegenden finanzpolitischenHerausforderungen brauchen wir imLand zugleich einen Verzicht auf be-stimmte Aufgaben und innovative Lö-sungen im Bereich des Finanzausgleichs-gesetzes für die Kommunen.

Pastor Lorenzen sprach von dreigroßen Epochen. Mit der friedlichenRevolution von 1989 haben wir eineEpoche ergänzt. In Anbetracht der voruns liegenden Herausforderungen –Stichworte sind neben den Finanzen,Demografie, Energiesicherung, Klima,

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Bildung und soziale Integration – kannunsere Zeit dadurch groß werden, dasswir eben diese Herausforderungen meis-tern. Dafür braucht es neben Ideen,Entscheidungsstärke und Durchset-zungsvermögen auch Selbstbewusstsein.All das können wir durchaus auch ausunserer brandenburgisch-preußischenGeschichte ziehen.

Dabei fällt die Wahl als Stichwort-geber wie selbstverständlich auf Fried-rich Wilhelm I. Er hat sich wie keinZweiter um die innere Stabilisierung desLandes und vor allem der Finanzen ver-dient gemacht hat. Nach dem Tod sei-nes Vaters hatte er einen finanziell völligzerrütteten Staat vorgefunden. Er kon-solidierte die Finanzen nicht nur, erkonnte seinem Nachfolger auch einenriesigen Staatsschatz hinterlassen. Plus-macher wurde er genannt. Er schuf dieGeneral-Rechenkammer als Vorläuferunseres heutigen Rechnungshofes. SeinMotto ist auch das Motto unser Zeit:„Parol’ auf dieser Welt ist nichts alsMüh’ und Arbeit“.

Pastor Lorenzen begründet im 29. Kapitel des Stechlin auch, worin diegroße Bedeutung Friedrich Wilhelmsliegt: „Das war ein nicht genug zu prei-sender Mann, seiner Zeit wunderbarangepasst und ihr zugleich voraus. Er

hat nicht bloß das Königtum stabili-siert, er hat auch, was viel wichtiger, dieFundamente für eine neue Zeit geschaf-fen und an Stelle von Zerfahrenheit,selbstischerer Vielherrschaft und WillkürOrdnung und Gerechtigkeit gesetzt“.Eine Reform ist kaum besser zu be-schreiben als von Lorenzen bzw. Fonta-ne: Wir brauchen Lösungen, die unsererZeit entsprechen. Sie müssen realistischund umsetzbar sein. Zugleich müssen sieüber den aktuellen Stand hinausgreifen.Wir brauchen eine Stabilisierung. Stabi-lisieren können wir uns jedoch nichtdurch Beharren, sondern nur, wenn wiruns auf neue Fundamente stellen. Ord-nung und Gerechtigkeit sollten für unsso oder so selbstverständlich sein.

Friedrich Wilhelm hatte im Übrigenfür seinen Sohn Kronprinz Friedricheine naheliegende Lösung für seinegesellschaftlichen und wirtschaftlichenProbleme: eine Heirat. Nun liebteFriedrich seine Elisabeth Christinenicht. Für ihn war die Verbindungdennoch vorteilhaft, weil sich seinStatus stabilisierte. Es muss demnachnicht immer eine Liebesheirat sein.Auch aus einer Vernunftehe könntensich für Brandenburg zahlreiche Vor-teile ergeben. Und so hässlich ist diepotenzielle Braut nicht … n

C H R I S T I A N M A A S S

ist Geschäftsführer der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik in Brandenburg.

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Zwanzig Jahre Bildung im LandBrandenburg – das ist mehr, als

sich in wenigen Zeilen darstellen lässt.Und vor allem: So viel auch in denvergangenen 20 Jahren geleistet wor-den ist – es bleibt viel zu tun.

Max Weber hat einmal gesagt, Po-litik sei wie „ein starkes langsamesDurchbohren von harten Brettern mitLeidenschaft und Augenmaß zugleich”.Das trifft gerade auch für die Bildungs-politik zu, weil Bildung nun einmalkein einfaches Thema ist und weil sichdie Probleme unseres Bildungssystemsnicht mit starken Sprüchen im Hau-Ruck-Verfahren lösen lassen.

Im Rückblick auf 20 Jahre Bildungin Brandenburg stelle ich fest: Die Ver-einigung der beiden deutschen Staaten,die dadurch entstandene Dynamik, diedemografische Entwicklung sowie dieBefunde internationaler und nationalerSchulleistungsstudien mit ihrer breitenöffentlichen Rezeption – das waren diezentralen bildungspolitischen Heraus-forderungen.

Das Jahr 1990 war eine Zäsur ohne Beispiel, eine Stunde Null auchfür die Bildung. Eine Beibehaltungund Weiterentwicklung der polytech-nischen und erweiterten Oberschule

stand nicht zur Diskussion. Währendsich Thüringen an Hessen und Sachsenan Bayern und Baden-Württembergorientierte, wurde die Schulpolitik inunserem Land Anfang der neunzigerJahre nicht zuletzt von unserem west-deutschen Partnerland Nordrhein-Westfalen beeinflusst. Vieles haben wirübernommen, kopiert haben wir dasdortige Bildungssystem jedoch nicht:Statt der vierjährigen haben wir diesechsjährige Grundschule eingeführt.Und auf die Hauptschule als eigen-ständige Schulform haben wir vonvornherein gleich verzichtet.

West lernt von Ost

Es waren gute, vorausschauende Ent-scheidungen. Denn inzwischen wissenwir, dass Heterogenität ebenso wie so-ziale Integration Lernerfolge begünsti-gen können, dass soziale Disparitätenvor allem an den Nahtstellen des Bil-dungswesens entstehen – insbesonderebeim Übergang von der Grundschuleauf die weiterführende Schule – unddass das deutsche Bildungssystem imVergleich mit anderen Ländern sehrfrühe Weichenstellungen vorsieht, diesoziale Schieflagen verstärken können.

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Kinder im MittelpunktWIE DIE BILDUNGSPOLITIK FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT AUSSEHEN SOLL

VON HOLGER RUPPRECHT

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Der Blick auf andere Reformen der letzten zwanzig Jahre – das Abiturnach zwölf Jahren, die Einführungzentraler Prüfungen in fast allen Län-dern, höhere Betreuungsquoten in Kitas, Förderung besonders Be-gabter in speziellen Schulen undKlassen – macht eines deutlich: Ele-mente ostdeutscher Bildungssystemehaben bundesweite Anerkennung ge-funden, selbst dann, wenn sie schon in der DDR existierten. Ost und Westhaben voneinander gelernt, vonein-ander profitiert.

Wir müssen besser werden

Prägend waren in den vergangenen 20 Jahren auch die Auswirkungen desdemografischen Bebens: die Halbierungder Schülerzahl, die daraus resultieren-den Schulschließungen und Lehrerver-setzungen. All das brachte unvermeid-bar Unruhe in das Bildungssystem –und wirkt in Teilen bis heute nach.

Eine wohnortnahe, ökonomischvertretbare Schulversorgung zu erhal-ten und zugleich die Leistungsfähigkeitunserer Schulen zu sichern – das wareine Kernaufgabe der Bildungspolitikin unserem Land. Heute wissen wir:Die Schulstandorte sind sicher, derZugang zu allen Bildungsgängen füralle Kinder und Jugendlichen in unse-rem Land ebenso und die Qualität unserer Schulen kann sich, bei allemOptimierungsbedarf, sehen lassen.

Wenn Bildungsminister über PISA,IGLU, TIMSS, also über Schulleis-tungsstudien sprechen, dann meistensnicht ohne Kloß im Hals, vor allem,wenn Ländervergleiche anstehen. Fürunser Land sind die Ergebnisse solcherStudien uneinheitlich: Im Bereich derKindertagesbetreuung und der frühenBildung muss Brandenburg keinenVergleich scheuen. Was die Beherr-schung der Grundkenntnisse angeht,liegen Anspruch und Wirklichkeit zumTeil jedoch auseinander. In Mathema-tik und den Naturwissenschaften habenunsere Neuntklässler beim Länder-vergleich 2006 prima abgeschnittenund Positionen in der Spitzengruppe(Naturwissenschaften) bzw. im oberenMittelfeld (Mathematik) erzielt. InDeutsch und Englisch zeigen die Befun-de des jüngsten Ländervergleichs, dasses um die Lese-, Hör- oder Schreib-kompetenz zu vieler Neuntklässler zuschlecht bestellt ist. Hier müssen wirbesser werden. Erfolg versprechendeMaßnahmen werden derzeit gemeinsammit namhaften Wissenschaftlern undmit Schulpraktikern entwickelt.

Weniger ungerecht

Bei allem Respekt vor den Leistungender Schülerinnen und Schüler aus Bay-ern und Baden-Württemberg, die inden Rankings die Spitzenplätze einneh-men, dürfen wir aber eines nicht über-sehen: Bei uns sind die Chancen eines

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Gymnasialbesuchs deutlich weniger von der familiären Herkunft abhängigals dort. Ich weiß: Soziale Schieflagenkennzeichnen die Schulsysteme allerLänder, der Schulerfolg ist überall auchvon der sozialen Herkunft abhängig.Aber das Ausmaß an Ungerechtigkeit ist sehr unterschiedlich. Und da stehenwir im Ländervergleich sehr gut da. Das muss so bleiben.

Aus diesem Grund haben wir auchdas brandenburgische „Schüler-Bafög“eingeführt. Damit niemand allein ausfinanziellen Gründen auf die Fachhoch-schulreife oder auf das Abitur verzichtenmuss, unterstützen wir künftig Ober-stufenschüler aus einkommensschwa-chen Familien mit 50 oder 100 Euro imMonat. Bildung darf eben nicht vomGeldbeutel der Eltern abhängen.

Ein heilsamer Schock

Grundsätzlich meine ich: Der „PISA-Schock“ war heilsam. Denn die Neu-ausrichtung der Bildungspolitik mitmehr Transparenz, mehr Qualitäts-kontrolle auf der Basis von Standards,mit größerer Selbstständigkeit der ein-zelnen Schule bei gleichzeitiger Ver-pflichtung, über die Ergebnisse der eige-nen Arbeit Rechenschaft abzulegen, mitLernstandanalysen, Schulvisitation undmit regelmäßiger Berichterstattung hatfür Dynamik gesorgt.

Es ist allerdings bezeichnend für dieaktuelle Reformphase, dass ein durch-

dachtes System von Bildungsstandardsund ihrer Überprüfung entwickelt wur-de, viele Länder aber noch nicht genauwissen, wie mit Schulen zu verfahrenist, die mit Problemen auffallen. Wirwerden solche Schulen aufsuchend be-raten, um mögliche Ursachen zu ermit-teln und Maßnahmen zu vereinbaren.

Und auch darum war der „PISA-Schock“ heilsam: Weil seitdem wiederüber Bildung gesprochen, oft auch ge-stritten wird. Als Bildungspolitiker freutmich diese Prominenz der Bildung inder öffentlichen Diskussion, weil offen-bar verstanden wurde, wie wichtigBildung ist – für das Individuum, fürdie Gesellschaft, für die Wirtschaft.Bildung ist keine Nebensache, sondernunser wichtigstes Zukunftskapital.

Das haben wir begriffen. Darum hat Bildung in Brandenburg Priorität.Trotz sinkender Einnahmen, trotz einesenormen Konsolidierungsdrucks ist esgelungen, mehr Geld als bisher fürBildung bereitzustellen. Dennoch sinddie Mittel begrenzt, und weil das so ist,setzen wir Prioritäten auch innerhalbder Bildungspolitik.

Bildung für die Zukunft

Welches sind also unsere Prioritäten?Wie soll „die Bildung für das 21. Jahr-hundert“ aussehen? Im Mittelpunkt unserer Bildungspolitik werden auchkünftig unsere Kinder und Jugendli-chen stehen. Die Rahmenbedingungen

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dafür zu schaffen, dass jeder, jede Ein-zelne optimal gefördert und gefordertwerden kann – darum geht es. Ich binüberzeugt, dass es einen essentiellenKern gelingender Bildungspolitik gibt,auf den wir uns noch mehr konzentrie-ren müssen: Wir dürfen kein Kind zu-rücklassen!

Kein Kind zurücklassen bedeutet, dass alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Individualität, in ihren Stärken undSchwächen, in ihren Ängsten und Hoff-nungen ernst genommen und in ihrerEntwicklung bestmöglich gefördert wer-den. Das hat mit Chancengleichheit zutun. Damit meine ich die Gleichheit derChancen beim Zugang zu Bildung. Dashat aber nichts mit „Gleichmacherei“ zutun. Menschen werden durch Bildungnicht gleich, im Gegenteil: Je individu-eller die Förderung, desto unterschiedli-cher ihre Entwicklung.

Wenn wir Chancengleichheit ermög-lichen, wenn wir soziale Ausgrenzungvermeiden und faire Lebenschancenschaffen wollen, dann müssen wir schondie Kleinen fördern, dann müssen wirfrühkindliche Förderung großschreiben.Darum haben wir die bundesweite Dis-kussion um die Bildungsarbeit in denKindertagesstätten von Anfang an we-sentlich mitgestaltet und als eines der ersten Länder „Grundsätze elementarerBildung“ für die Arbeit in den Kitas entwickelt.

Und weil ohne die Beherrschung derdeutschen Sprache soziale Integration

und schulischer Erfolg nicht möglichsind, testen wir seit dem vergangenenJahr die sprachlichen Fähigkeiten jedesKindes im Jahr vor dessen Einschulungund unterstützen es – wenn erforderlich– mit Sprachförderkursen.

Auf den Anfang kommt es an

Diesen Weg werden wir fortsetzen: Wirwerden die Ausbildung der Erzieherin-nen und Erzieher weiterentwickeln unddiese gezielter auf die gestiegenen An-sprüche in der Kita vorbereiten. Wirwerden den Erfolg der Sprachförderungevaluieren und sie gegebenenfalls vor-ziehen. Und damit sprachliche Defiziteerst gar nicht entstehen, werden wir dieErzieherinnen und Erzieher dabei un-terstützen, die kontinuierliche sprachli-che Förderung im Alltag der Kinderweiter zu verbessern.

Auch den Übergang von der Kita indie Grundschule müssen wir im Blickbehalten. Da sind weitere Abstimmun-gen zum Beispiel von Bildungs- undLehrplänen wünschenswert, schließlichmacht die Entwicklung eines Kindesnicht an der Schwelle vom Elementar-in den Primarbereich halt.

Auf Entwicklungsverzögerungennicht mit Zurückstellungen vom Schul-besuch zu reagieren, sondern mit geziel-ter Förderung und Flexibilisierung, dasist eine eher neue Ausrichtung, die ichausdrücklich begrüße. Dazu zählt auchdie flexible Eingangsphase – das Modell

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eines integrierten Schulanfangs für alle,das sich an den individuell unterschied-lichen Lernvoraussetzungen der Kinderausrichtet.

Kein Kind zurücklassen, heißt fürmich auch: Niemand darf ohne Ab-schluss die Schule verlassen, jeder sollam Ende der Schulzeit über einen sei-nen Fähigkeiten entsprechenden Bil-dungsabschluss verfügen. Anders gesagt:Allen Schülerinnen und Schülern, dieregelmäßig die Schule besuchen, jeneGrundbildung zu sichern, die sie für ein erfolgreiches Leben benötigen, dasist die Aufgabe der Schule. Deswegen ist es auch nur folgerichtig, dass wir unsvorgenommen haben, in den nächstenJahren den Anteil von Schülerinnen undSchülern ohne Abschluss zu halbieren.

Mehr Ganztagsschulen

Dabei sollten wir die Chancen nutzen,die Ganztagsschulen bieten. Denn dieGanztagsschule leistet sowohl bildungs-als auch sozialpolitisch einen wichtigenBeitrag, weil sie Rahmenbedingungenschafft, unter denen die soziale Her-kunft für den Bildungserfolg an Bedeu-tung verliert. Sie hilft gerade jenenKindern, die zu Hause wenig Unter-stützung erhalten. Sie eröffnet ihnen ein anregungsreiches Umfeld, das ihnenansonsten oft versperrt bleiben würde –mit Musik- und Sportangeboten, mitTheater- und Kunst-Arbeitsgemein-schaften, mit Hausaufgabenbetreuung

und mit dem gemeinsamen Spiel unterGleichaltrigen.

Inzwischen sind mehr als 40 Pro-zent unserer Grundschulen und mehrals 60 Prozent der weiterführendenSchulen Ganztagsschulen. Das hat un-sere Erwartungen deutlich übertroffenund das kann sich im Ländervergleichsehen lassen.

Verbesserte Übergänge

Aber: Bildung ist mehr als Ausbildung.Berufsorientierung ist ein wichtigerBestandteil guter Bildung. Junge Men-schen brauchen tiefere Einblicke in dieArbeitswelt und in wirtschaftlicheZusammenhänge, sie brauchen frühzei-tig eigene, konkrete Erfahrungen, damitsie wissen, wie Wirtschaft funktioniertund sie sich in der Arbeitswelt von mor-gen orientieren können. Dem werdenviele Schulen bereits gerecht. Ich beob-achte nicht zuletzt in unseren Ober-schulen, wie intensiv hier Schülerinnenund Schüler auf Ausbildung und Be-rufsleben vorbereitet werden. VerstärkteBerufsorientierung und Nutzung außer-schulischer Lernorte, die Schaffung vonGelegenheiten zum sozialen Lernen unddie Angebote des Praxislernens – all dasist im Rahmen der „Initiative Ober-schule“ in vielen Schulen auf den Weggebracht worden.

Das ist wichtig, auch weil genau hierdie Chance besteht, die vermeintlichenVerlierer des Schulsystems, jene, die in

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Gefahr sind, keinen Schulabschluss zuerreichen, wirksam zu unterstützen.Und zwar durch Ansätze, die berufs-bildende Maßnahmen und Jugendso-zialarbeit verzahnen und JugendlichenPerspektiven für einen gelingendenÜbergang in das Erwerbsleben aufzeigen.

Ein runder Tisch zur Inklusion

Ein Megathema wird in den nächstenJahren auch die Bildungspolitik starkbeeinflussen: Inklusion. Inklusion istdie Aufforderung an die Gesellschaft,Ausgrenzung zu verhindern und sozialeIntegration zu ermöglichen – und diesvon Geburt an. Niemand darf wegen einer Behinderung von Bildung fernge-halten, jedem muss ein gleichberechtig-ter Zugang zu Bildung ermöglicht werden. Die UN-Behindertenrechts-konvention – inzwischen geltendesVölkerrecht und Bundesgesetz – fordertletztlich das wohnortnahe gemeinsameLernen von Kindern mit und ohneBehinderung.

Auch hier sind wir bereits auf einemguten Weg. Der Anteil der integrativenBeschulung liegt mit 36 Prozent dop-pelt so hoch wie der Bundesschnitt.Und doch ist der Weg zur inklusivenSchule ein weiter und schwieriger Weg.Wir brauchen behindertengerechteSchulgebäude, ausgebildete Lehrerin-nen und Lehrer und ein verändertesBewusstsein in der Gesellschaft. In denkommenden Monaten werde ich zu

„Runden Tischen“ einladen, um dieFolgerungen aus der UN-Behinderten-rechtskonvention für die Bildung in un-serem Land zu beraten.

Gute Bildung ist ohne unsere Leh-rerinnen und Lehrer undenkbar. Ichweiß: Die Anforderungen an die Schu-len sind in den letzten Jahren gestiegen,und damit auch die Anforderungen anunsere Lehrerinnen und Lehrer. Ichweiß auch: Wir haben sehr viele enga-gierte Kolleginnen und Kollegen, diesich trotz zum Teil schwieriger Rah-menbedingungen unermüdlich für ihreSchülerinnen und Schüler einsetzen –weit über die wöchentliche Unterrichts-verpflichtung hinaus. Ihnen allen willich an dieser Stelle dafür Dank sagen.

Frischer Wind für die Schulen

Mich freut, dass wir erstmals eine besse-re Einstellungsperspektive haben. ZuBeginn des Schuljahres konnten wir dieZahl der Lehrereinstellungen im Ver-gleich zu den letzten Schuljahren ver-doppeln. Dabei hat sich gezeigt, dassBrandenburg attraktive Arbeitsbedin-gungen auch für Pädagogen aus ande-ren Bundesländern bietet. Mehr als 400 neue Lehrkräfte verstärken seitSeptember die Schulen im Land. Damitentlasten wir nicht nur die immer älterwerdenden Lehrerkollegien – wir brin-gen mit den jungen und engagiertenKolleginnen und Kollegen auch fri-schen Wind in unsere Schulen, und

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zwar nicht nur in diesem, sondern auchin den kommenden Jahren.

Eins muss uns klar sein: Bildung istfür den Einzelnen Schutz vor Armut,wahrscheinlich sogar der wirksamste.Sie zielt gleichermaßen auf die Entwick-lung der Persönlichkeit und die Teil-habe an der Gesellschaft. Und für die

Wirtschaft eines Landes ist sie die wert-vollste Ressource für Innovationskraftund Wettbewerbsfähigkeit. Aus diesemGrund müssen wir auch künftig dafürsorgen, dass niemand zurückgelassenwird. Im Sinne Max Webers: Wir ha-ben die Bretter gebohrt – und wir wer-den sie weiter bohren. n

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holger rupprecht – kinder im mittelpunkt

H O L G E R R U P P R E C H T

ist Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.

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Jubiläen werden meist zum Anlass ge-nommen, mit Zufriedenheit auf das

bislang Erreichte zurückzublicken. Für eine positive Bilanz zur Wissenschafts-politik im wiedererrichteten LandBrandenburg ab 1990 gibt es auch tat-sächlich gute Gründe. Brandenburgverfügte 1990 über keine einzige Hoch-schule mit anerkanntem Universitäts-rang. In Potsdam war noch in derDDR-Zeit, nach der Volkskammerwahlvom März 1990, aus einer Pädagogi-schen Hochschule eine zunächst weiter-hin vor allem auf die Lehrerausbildungausgerichtete „Landeshochschule“ ge-bildet worden. In Potsdam-Babelsbergwurde in der gleichen Zeit die frühere,in jeder Hinsicht „staatsnahe“ Akade-mie für Rechts- und Staatswissenschaftder DDR in eine Hochschule für Rechtund Verwaltung umgewandelt, die üb-rigens in einer (noch von der de-Mai-zière-Regierung in Auftrag gegebenen)ersten Evaluierung des Wissenschafts-rats im Kreis der juristischen Fakultätenund vergleichbarer Hochschuleinheitenin der DDR einen sehr guten Rangplatzerhielt. Ganz in der Nähe, auch inPotsdam-Babelsberg, hatte die Hoch-schule für Film und Fernsehen ihren

Standort. In Cottbus gab es zudem dieim Kompetenzbereich eher eng angeleg-te Hochschule für Bauwesen, die in denfünfziger Jahren von der DDR gegrün-det, wegen zu wenig regimekonformerHaltungen der Studierendenschaft undeines aus Süddeutschland stammendenRektors aufgelöst und dann, nach eini-gen Jahren, wiedererrichtet worden war.

Eine Entscheidung steht an

Nicht nur aus dem wiedervereinigtenBerlin war ab 1990 immer wieder derRatschlag zu hören, Brandenburg sollesich bei diesem Ausgangsstand auf denAufbau von Fachhochschulen konzen-trieren. In internen Überlegungen desWissenschaftsrates und entsprechendenEntwürfen wurde die Annahme sicht-bar, das Land Brandenburg werde sichim Universitätsbereich auf den Ausbauder „Landeshochschule Potsdam“ zu ei-ner „Landesuniversität“ beschränken.

Brandenburg ist bekanntlich derarti-gen und anderen Ratschlägen, die zumBeispiel auf eine Auflösung („Abwick-lung“) der Hochschule für Recht undVerwaltung abzielten, nicht gefolgt. ImMai 1991 beschloss der Brandenburger

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Acht Neue DER AUFBAU DER WISSENSCHAFTSLANDSCHAFT

IN BRANDENBURG BEGANN FAST BEI NULL

VON KLAUS FABER

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Landtag ohne Gegenstimmen das ersteostdeutsche Hochschulgesetz, das u. a.die Gründung von drei Universitätenund von fünf Fachhochschulen vorsahsowie neue Rechtsgrundlagen für dieHochschule für Film und Fernsehenschuf. Die Hochschule für Recht undVerwaltung war schon vor dem Gesetz-gebungsverfahren von der neuen Lan-desregierung in die LandeshochschulePotsdam eingegliedert worden (wo-durch ihre gesamten Kapazitäten, ein-schließlich der Grundstücke und Ge-bäude, für den Wissenschaftsbereichgesichert wurden; bei einer „Abwick-lung“ nach dem Einigungsvertrag wärendie Sachwerte an das Finanzministe-rium gefallen).

Für die überregionale Anerkennungund insbesondere für die Finanzierungwar die Aufnahme in die Anlage zumdamaligen Hochschulbauförderungs-gesetz des Bundes wichtig. Ohne dieseAufnahme und die damit verbundenenHochschulbaumittel hätte das Land denHochschulaufbau nicht finanzierenkönnen. Die neuen Fachhochschulen(in der Lausitz, in Potsdam, in Wildau,in der Stadt Brandenburg und in Ebers-walde) und die Hochschule für Filmund Fernsehen passierten ohne größereProbleme das Aufnahmeverfahren, fürdas, soweit inhaltliche Fragen zu klärenwaren, im Wesentlichen der Wissen-schaftsrat, verantwortlich war.

Für die drei neuen Universitätengab es eine derartige unproblematische

Aufnahmeprozedur nicht. In umfang-reichen Prüfverfahren zum Sachkon-zept, zu Organisationsfragen, zur Finanzausstattung und letztlich auchzur Zuverlässigkeit des hochschulpo-litischen Landesengagements wurdeam Ende ein positives Votum erreicht.Kritisch geprüft wurden vor allem dieBrandenburgische Technische Univer-sität Cottbus und die 180 Jahre nachihrer Schließung wiedererrichteteEuropa Universität Viadrina in Frank-furt (Oder).

Viele Hilfen

Die Haushaltsbeschlüsse des Landtagsin der ersten Legislaturperiode warendabei eine große Hilfe. Einen positivenEinfluss hatten zudem die Gründungs-und Ausbauentscheidungen für zahlrei-che außerhochschulische Forschungs-einrichtungen (insgesamt über 20), dieBrandenburg in dieser Zeit, häufig zu-sammen mit dem Bund als Kofinan-zierer, gefällt hat. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang ebensostrukturelle Weichenstellungen der ost-deutschen Länder. Sachsen, unter derLeitung des neuen Wissenschaftsmi-nisters (und früheren DDR-Ministers)Hans-Joachim Meyer (CDU), undBrandenburg, vertreten durch den ersten Wissenschaftsminister HinrichEnderlein (FDP), haben zum Beispieleauf der ersten gesamtdeutschen Kultus-ministerkonferenz nach der Wiederver-

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einigung in Berlin 1990 gemeinsam dieVerabschiedung eines Beschlusses ver-hindert, in dem empfohlen worden war,alle ostdeutschen Hochschulen aufzulö-sen (nach dem Einigungsvertrag: „abzu-wickeln“).

Nicht alles war richtig

Der Studienbetrieb sollte danach mitHilfe von befristet angestelltem Personalsolange weitergeführt werden, bis neues,sorgfältig ausgewähltes Hochschulper-sonal eingestellt werden konnte. BeiSchulen oder Landes- und Kommunal-polizeieinheiten war ein derartiges Ver-fahren aus nahe liegenden Gründen inaller Regel nicht angewandt worden.Man muss die möglichen Folgen einesderartigen Vorschlags, der von einemmit West- und Ostexperten besetztenGremium vorbereitet worden war, nichtim Einzelnen schildern, um die negati-ven Auswirkungen im institutionellenund personellen Bereich zu erkennen.

Dass im Wiedervereinigungsprozessnicht alles richtig gemacht wurde, ist in-zwischen eine kaum bestreitbare Fest-stellung. Das gilt auch für den Wissen-schaftsbereich. Die Fragen beginnen bei der Festlegung relativ kurzer Anpas-sungsfristen für die ostdeutsche An-gleichung an das Hochschulrahmen-gesetz des Bundes (HRG), mit der sichdie westdeutschen Länder (unter Feder-führung Nordrhein-Westfalens) in dendeutsch-deutschen Verhandlungen zu

diesem Teilgebiet durchgesetzt hatten.Die Wiedervereinigung hätte auf die-sem Gebiet dazu genutzt werden kön-nen, die Hochschulstrukturen in Ostund West zu überprüfen, vielleicht auchdie Kompetenzverteilung zwischenBund und Ländern mit dem Ziel, demBund bessere und flexiblere Mitfinan-zierungsmöglichkeiten einzuräumen.Die Bundesvertreter waren in den west-deutschen Abstimmungsrunden eher aneiner sofort geltenden gesamtdeutschenHochschulmobilität mit längeren An-passungsfristen für die Hochschulorga-nisation und für die Personalstrukturinteressiert.

Wo das Personal herkam

Ein erster Schritt der Anpassung warbereits 1990, kurz vor der Wiederver-einigung, in Kooperation mit Bundes-vertretern vom DDR-Wissenschafts-minister Hans-Joachim Meyer (CDU)mit einer eigenen DDR-Hochschulver-ordnung vollzogen worden, die nachdem 3. Oktober 1990 zunächst als ein-heitliches Übergangsrecht in den ost-deutschen Ländern galt. Diese DDR-Verordnung enthielt noch eine vomHRG abweichende Organisations- undPersonalstruktur. Das Gegenargumentder westdeutschen Länder, die für eineschnelle und umfassende HRG-Anpas-sung eintraten, bezog sich im Kern aufdas Prinzip der gleichen Wettbewerbs-bedingungen im einheitlichen deut-

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schen Mobilitätsraum. Manche west-deutsche Länder hatten zudem offenbarden Eindruck, der Bund wolle Sonder-beziehungen in den ostdeutschenLändern aufbauen und dadurch seinenEinfluss im Bund-Länder-Verhältnisstärken. Damit hätte er dann, so dieAnnahme, auch gegenüber den west-deutschen Ländern bessere Durch-setzungsmöglichkeiten (vielleicht auchdie Option einer späteren Verfassungs-änderung) gehabt.

Man wird im Rückblick auch dasVerfahren bei der Überprüfung desHochschulpersonals in Ostdeutschlandnicht unter jedem Gesichtspunkt als ge-lungen ansehen können. Eine Überprü-fung war notwendig. Sie war nicht zu-letzt aus den Hochschulen selbst undebenso aus den neuen Landesparla-menten gefordert worden. Ein besserzwischen den Ländern abgestimmtesund bei Negativentscheidungen auf ein-deutige Konstellationen begrenztesVerfahren wäre aber sinnvoll und mög-lich gewesen. Im Hochschulbereich galtdas Land Brandenburg dabei übrigenseher als „liberales“ Land, vielleicht auchdeshalb, weil sich Brandenburg eineZeitlang dadurch auszeichnete, dass esals erstes Land in größerem Umfangneue Stellen schuf und besetzte sowieim Vergleich zu anderen weniger vor-handenes Personal entließ.

Über den Wissenschaftsaufbau imLand Brandenburg in den 1990er und2000er Jahren ist in vielen Darstel-

lungen berichtet worden.1 Hier sollennur wenige Daten dargestellt werden.Mitte der neunziger Jahre studierten inBrandenburg rund 20.000 Studenten,2010 sind es rund 50.000. Auch dieAnteile der brandenburgischen Hoch-schulzugangsberechtigten am jeweiligenAltersjahrgang haben sich seit 1990deutlich erhöht. BrandenburgischeWissenschaftseinrichtungen habenüberregional und international Aner-kennung gefunden.

Viele neue Standorte

Die Viadrina gehört zu den deutschenUniversitäten mit dem höchsten Aus-länderanteil (40 Prozent, der polnischeAnteil liegt zurzeit bei über 30 Prozent);auch an der Technischen UniversitätCottbus kommen rund 20 Prozent derStudenten aus dem Ausland. Die Uni-versität Potsdam, die größte branden-burgische Universität mit etwa 18.000Studenten, hat u. a. durch neue außer-universitäre Forschungseinrichtungenwichtige Profilelemente erhalten. InCottbus und in Frankfurt (Oder) gebendie neuen Hochschulen Impulse für dieEntwicklung.

Ähnliches gilt für die meisten Fach-hochschulstandorte, etwa für Senftenbergund wiederum Cottbus mit der Fach-hochschule Lausitz (rund 3.500 Studen-

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1 Siehe dazu exemplarisch: SPD-Landtagsfraktion Bran-denburg (Hg.), Wissenschaft in Zeiten knapper Kassen.Märkische Hefte Nr. 3, Potsdam 2006

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ten) oder für Eberswalde mit derHochschule für nachhaltige Entwick-lung (FH). Mit einigen Helmholtz-Einrichtungen, darunter dem Geo-ForschungsZentrum Potsdam, dreiMax-Planck-Instituten, vielen Ein-richtungen der Leibniz-Gemeinschaft(etwa dem Potsdam-Institut für Kli-mafolgenforschung) und der Fraun-hofer Gesellschaft sowie einigen klei-neren geisteswissenschaftlichen, zumTeil international bekannten For-schungseinrichtungen, wie dem MosesMendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der UniversitätPotsdam, verfügt Brandenburg auchim Vergleich zu anderen ostdeutschenLändern über eine sehr gut ausgestatte-te Forschungslandschaft.

Neue Freiheiten

Strukturelle Entscheidungen wurden inder Zeit von WissenschaftsministerSteffen Reiche (SPD, 1994 bis 1999)durch eine Neufassung des brandenbur-gischen Hochschulgesetzes, aber auchdurch die Einleitung des inzwischenweit voran gebrachten Bologna-Pro-zesses gefällt. Das neue Hochschulgesetznutzte den Spielraum, der dem Landes-gesetzgeber durch eine HRG-Redu-zierung gegeben wurde, stärkte die Exekutivpositionen in der Hochschul-selbstverwaltung und führte einenLandeshochschulrat aus Experten ein,der in Teilbereichen an der hochschul-

politischen Willensbildung mitwirkt.„Bologna“ hat auf der Grundlage eineszweistufigen Hochschulabschlusssys-tems die Bildung eines europäischenHochschulraums zum Ziel.

Zu wenig Studenten

In der Zeit von WissenschaftsministerinJohanna Wanka (CDU, 2000 bis 2009)ging es u. a. darum, den Haushaltsansatzfür die Wissenschaft finanzpolitisch zusichern und – in kleinen Schritten – aus-zubauen. Außerdem wurde, wie in ande-ren Ländern, in dieser Zeit ein neuesFinanzierungssystem im Hochschulbe-reich mit Leistungsanreizen und Zielver-einbarungen zwischen Hochschule undLand eingeführt und umgesetzt.

In Martina Münchs (SPD) bislangnoch kurzer Amtszeit als Wissen-schaftsministerin (seit 2009) hat dasLand ein Schüler-Bafög eingeführt, das auch zum Ziel hat, den Zugangzum Hochschulstudium sozial zu öff-nen. Außerdem wurde eine Novellie-rung des Hochschulgesetzes auf denWeg gebracht, die auch unter Berück-sichtigung der Studentenproteste vomWintersemester 2009/2010 den Über-gang vom Bachelor- zum Masterstudien-gang und eventuell auch die Hochschul-mitbestimmung neu regeln soll.

Die nach wie vor bestehenden Defi-zite im Wissenschaftsbereich des LandesBrandenburg betreffen verschiedeneFaktoren, u. a. die zu geringen Indus-

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trieforschungspotentiale, die zum Teilauf Prozesse der Deindustrialisierungnach 1990 zurückzuführen sind. Esgeht dabei aber vor allem um die immernoch zu niedrigen Anteile von Stu-dienanfängern am Altersjahrgang undinsbesondere um die ebenfalls zu gerin-gen Ansätze bei den Hochschulausga-ben pro Kopf der Bevölkerung. Es istschwer, wie es für ein Wissenschaftsauf-bauland wie Brandenburg dem theoreti-schen Ansatz nach richtig und notwen-dig wäre, die Haushaltsanteile für dieWissenschaft Schritt für Schritt zu er-weitern. Das könnte nur durch Ein-schnitte bei anderen Politikbereichenerfolgen. In der ersten Legislaturperiodedes Landtages wurde versucht, die vor-hersehbar wachsenden Ausgabenbe-dürfnisse beim Wissenschaftsaufbau invorsorglichen Haushaltspositionen zumStellenausbau zu fixieren.

Dieser Ansatz hat nicht lange gehal-ten. Es gibt, selbstverständlich, keinewissenschaftlich exakt zu bemessendenAngaben dazu, wie viel ein bestimmtesBundesland in einem Bundesstaat fürdie Wissenschaft ausgeben muss, umüberregional wettbewerbsfähig zu wer-den und zu bleiben. Es gibt aber plausi-ble Annahmen, auf die Deutschland vorkurzem wieder einmal von der OECDdeutlich hingewiesen wurde.2 Im inter-nationalen Vergleich bildet Deutsch-land viel zu wenig Studenten aus, der

Abstand zu den Vergleichsländern ver-größert sich sogar.

Dramatisch sind die deutschen Defi-zite in der Ingenieurausbildung, zumBeispiel in der Gegenüberstellung mitChina. Der abzusehende Fachkräfte-mangel wird in weiten Bereichen einMangel an Studierenden sein. Was fürdie deutsche Lage im internationalenVergleich gilt, trifft im nationalen Ver-gleich auf Brandenburg zu. Die Siche-rung der Konkurrenzfähigkeit verlangtauf allen Ebenen mehr Investitionen indie Wissenschaft, vor allem wenn manals künftigen negativen Faktor die wach-senden demografischen Probleme mit-berücksichtigt.

Der Bund ist geschwächt

Die Lösung kann wohl nicht allein aufder Landesebene gefunden werden. Die„Föderalismusreform“ von 2006 führte,wie viele jetzt erkennen, in die falscheRichtung. Sie hat die finanzpolitischeBundesverantwortung für die Wissen-schaftsfinanzierung geschwächt und damit zu mehr finanzpolitischer Un-gleichheit zwischen den Bundesländern,auch zwischen Ost und West, geführt.Es ist im Wesentlichen dem Engage-ment ostdeutscher Bundestagsabgeord-neter (vor allem von Andrea Wicklein,SPD) und einiger weniger Wissen-schaftspolitiker zu verdanken, dass demBund 2006 zumindest die Möglichkeiteingeräumt wurde, unter bestimmten

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2 OECD (Hg.), Bildung auf einen Blick, 2010

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Voraussetzungen die Wissenschaft imLandesbereich durch Bund-Länder-Hochschulpakte mitzufinanzieren.Bundesregierungen, die dazu Angebotemit größerem Volumen in Aussichtstellen, sollte man beim Wort nehmen –und, falls die Angebote oder die Reali-

sierung ausbleiben, diese einfordern.Wissenschaftsinvestitionen gehörenzum politischen Verantwortungsbereichdes Gesamtstaats, auch und gerade inOstdeutschland. Nichtstun wäre einePolitik, die sich letztlich niemand leis-ten kann. n

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K L A U S F A B E R

war von 1990-1994 Abteilungsleiter im Brandenburger Ministerium fürWissenschaft, Forschung und Kultur sowie von 1994-1999 Staatssekretär

im Kultusministerium von Sachsen-Anhalt. Er ist Vorsitzender desWissenschaftsforums der Sozialdemokratie in Berlin, Brandenburg und

Mecklenburg-Vorpommern.

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T iefgreifende ökonomische und gesellschaftliche Veränderungen

haben im europäischen Raum in denletzten zwanzig Jahren Spuren hinter-lassen. Deutlich sichtbar wird dies nichtnur am Wegfall der innerdeutschen und -europäischen Grenzzäune undadministrativen Barrieren, sondern vor allem an einer veränderten Bedeu-tung einiger europäischer Teilräume.Zum einen haben ehemals periphereRäume und Regionen nach dem Fallder europäischen Grenzen nunmehr eine zentrale Lagegunst. Zum anderenhat die Transformation von der Indus-trie- zur Wissensgesellschaft zu neuenStandortlogiken der Unternehmen geführt. Wissensbasierte Unternehmenbevorzugen innovative Zentren mit einer spezifischen Infrastrukturausstat-tung. Hier öffnen sich neue Märkte mitneuen Produkten und schaffen neueArbeitsplätze. Binnenwanderungspro-zesse in wirtschaftlich starke Stadt-regionen sind die Folgen.

Die Metropolregion Berlin-Brandenburg war vom teilräumlichenStrukturwandel und damit verbunde-nen Binnenwanderungsprozessen be-

sonders betroffen. Die wirtschaftlicheEntwicklung in der Metropole Berlin,im engeren Verflechtungsraum sowie ineinigen Städten des Landes Branden-burg nahm in den letzten Jahren über-durchschnittlich zu. Hier blieb die Be-völkerungsentwicklung teilweise stabil(Brandenburg an der Havel) bzw. stiegsogar an (Potsdam). So wird nur für 29 ausnahmslos direkt an Berlin an-grenzende amtsfreie Gemeinden keinerückläufige Bevölkerungsentwicklungbis zum Jahr 2030 erwartet.1 Umge-kehrt ging in den peripheren ländlichenRäumen die wirtschaftliche Entwick-lung zurück und wird dort – vor allemin den kleineren und mittleren Städten– weiter zu erheblichen Bevölkerungs-verlusten führen. So wird prognosti-ziert, dass in 76 Ämtern und amtsfreienGemeinden (davon 20 mit über 10.000Einwohnern) bis 2030 ein Rückgangder Einwohnerzahl von 25 Prozent undmehr zu erwarten ist. Weitere 57 Ämterund amtsfreie Gemeinden nehmen um20 Prozent bis unter 25 Prozent ab. Die

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Neu Denken WIE INVESTITIONEN IM DEMOGRAFISCHEN WANDEL

SYSTEMATISCH AUF NACHHALTIGKEIT ÜBERPRÜFT WERDEN KÖNNEN

VON MICHAEL ARNDT

1 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg – Landesamt fürBauen und Verkehr des Landes Brandenburg, Bevölke-rungsprognose des Landes Brandenburg 2007-2030

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Durchschnittseinwohnerzahl der Ämterverringert sich bis zum Jahr 2030 ge-genüber 2006 um knapp 1.800 auf5.300 Personen und der amtsfreienGemeinde um gut 1.700 auf 12.900Personen. Der Bevölkerungsrückgangführt dazu, dass im Jahr 2030 36 amts-freie Gemeinden und 32 Ämter wenigerals 5.000 Einwohner haben werden(2006 nur 24 amtsfreie Gemeinden und acht Ämter). Auch werden im Jahr2030 nur noch 24 statt 28 amtsfreieGemeinden den Schwellenwert von20.000 Einwohnern überschreiten.

Hohe Leerstandskosten

Demografische Entwicklungsverläufehaben einen entscheidenden Einflussauf die Steuerung und Organisation der

technischen und sozialen Infrastruktursowie der damit verbundenen Folge-finanzierungen. Bereits heute stellen sie eine erhebliche Belastung für alle öffentlichen Haushalte dar. Schrump-fende Gebietskörperschaften werden diefiskalischen Lasten der Instandhaltungund Betreibung oder gar Erweiterungihrer Infrastrukturen immer wenigertragen können. Ein wesentliches Pro-blem stellen in diesem Zusammenhanghohe Investitionsfolgekosten bzw. Re-manenzkosten dar. So wurden aufgrundstarker Bevölkerungsrückgänge in denperipheren ländlichen Gebieten seit1990 bereits zahlreiche Schulen, Kin-dergärten und weitere Einrichtungender Daseinsvorsorge geschlossen. Ge-bäude und Flächen ehemaliger Infra-struktureinrichtungen stehen nunmehr

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Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten

Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg – Landesamt für Bauen und Verkehr des Landes Brandenburg

2007 - 2030

in 1.000 Einwohner in Prozent in 1.000 Einwohner

Entwicklung Natür-2030 gegen- licher Wanderungs-

2006 2010 2020 2030 über 2006 Saldo saldo

Brandenburg 73,5 70,9 65,8 58,7 –14,7 –20,1 –13,2 –1,5

an der Havel

Cottbus 103,8 98,0 89,6 80,1 –23,7 –22,8 –17,5 –6,2

Frankfurt62,6 58,2 52,7 47,4 –15,2 –24,3 –10,2 –5,0

(Oder)

Potsdam 148,8 154,8 166,6 171,8 23,0 15,4 –0,5 23,5

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leer und verursachen erhebliche Folge-kosten. Im Gegensatz dazu wird im en-geren Verflechtungsraum insbesonderein der Landeshauptstadt Potsdam durcheine weiter ansteigende Bevölkerung derBau neuer Infrastruktureinrichtungenerforderlich.

Der demografische Prozess produ-ziert eine Reihe von Steuerungsfragen,wie die:n Sicherung der sozial-kulturellen

Infrastruktur (einschließlich Ge-sundheit) trotz abnehmender Nut-zungsbedarfe zum Beispiel Kitas,Schulen u.a.,

n Gewährleistung einer wirtschaft-lichen bzw. nachhaltigen Energie-versorgung der Stadtteile bei rück-läufigen Anschlusszahlen undVerbrauchskapazitäten,

n Gewährleistung eines ausreichendhohen technisch-hygienischenStandards und sozialverträglichenGebührensystems in der Wasserver-und Abwasserentsorgung bei verän-derten Nutzerzahlen,

n Unterhaltung tragfähiger Systemedes öffentlichen Personennahverkehrssowie

n Sicherung der medizinischen undsonstigen Dienstleistungen, derVersorgung mit Gütern des täg-lichen Bedarfs sowie der rationellenBewirtschaftung der sich mit Leer-zug und Abriss ergebenden freienFlächen.

Infrastruktur neu denken

Im Prinzip geht es um die Steuerungund Organisation eines umgekehrtenVerlaufs früherer Wachstums- und Ver-dichtungsprozesse. Hierbei sind ange-passte Fachpolitiken und Infrastruktur-planungen anzudenken, die sich auchneuen Alternativen offen zeigen. Hier istder Fortschritt „oftmals eine Schnecke“.An tradierten Infrastrukturmodellen,Organisationsstrukturen und Normenin den Fachpolitiken wird festgehalten,obwohl deren Angemessenheit hinsicht-lich der Belastungen und Auswirkungenfür die Bürger, öffentlicher Haushalteund für die Umwelt zunehmend inFrage gestellt wird.

Vor dem Hintergrund demografi-scher Dynamiken bedarf es vor allem einer stärkeren Überprüfung der zu-künftigen regionalen Nachfrage- undAuslastungsverhältnisse. Erst hierdurchlassen sich Investitionen und Förder-mittel bedarfsorientiert einsetzen, Über-dimensionierungen und steigende Pro-Kopf-Kosten vermeiden sowie einelangfristige finanzielle Tragfähigkeit ge-währleisten. Neben dieser sozialen undfinanziellen Dimension haben Infra-strukturen aber auch weitreichendeökologische Auswirkungen wie Flä-cheninanspruchnahme und Energie-verbrauch, welche es langfristig zuberücksichtigen gilt.

Diese Herausforderung an die Infra-strukturplanung wird auch vom Parla-

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mentarischen Beirat für nachhaltigeEntwicklung im Deutschen Bundestagim Bericht „Demografischer Wandelund nachhaltige Infrastrukturplanung“eingefordert. Der Beirat empfiehlt eineex-ante-Prüfung der demografischenTragfähigkeit sowie für die Umsetzunganderer Nachhaltigkeitsziele einzufüh-ren. Sie soll bei mit öffentlichen Mittelngeförderten Vorhaben verbindlich sein.Die Bundesregierung hat mit ihremKabinettsbeschluss zum Fortschritts-bericht 2008 zur Nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie und der zum 1. Juni2009 in Kraft getretenen Änderung derGemeinsamen Geschäftsordnung(GGO) diesen Umstand aufgegriffen.Zukünftig sollen Nachhaltigkeitsprü-fungen bei Gesetzen und Programmenverpflichtend sein.

Neue Gesetze vorab prüfen

Neben der Nationalen Nachhaltigkeits-strategie unterstützen inzwischen auchverschiedene politische Beschlüsse dieEntwicklung von Nachhaltigkeitsprü-fungen. Aus der Sicht der Länder solltedie Entwicklung derartiger Instrumenteallerdings differenziert erfolgen, um un-terschiedlichen Bedingungen im RaumRechnung tragen zu können. Deutlichwird dies in der am 13.01.2010 be-schlossen Stellungnahme zum Arbeits-dokument der EU-Kommission zurkünftigen EU-Strategie. Im Vorfeld die-ser Stellungnahme beschloss auch der

brandenburgische Landtag zu prüfen,welche vom Bund verwandten Instru-mente zur Nachhaltigkeitsprüfung aufLandesebene eingeführt werden sollen,da sich „Nachhaltigkeitsfolgen desRegierungs- und Verwaltungshandelns[…] beschreiben und messen lassen“müssen.

Zielkonflikte aufzeigen

Grundlagenforschungen zur Entwick-lung und Etablierung von Nachhaltig-keitsprüfungen laufen sowohl nationalals auch international.2 Ihr Ziel ist es,Folgewirkungen staatlichen Handelnsabzuschätzen sowie die Politik und Pla-nung zu koordinieren: Entscheidungs-trägern sollen systematisch und transpa-rent Auswirkungen von Entscheidungenin einer standardisierten Weise aufge-zeigt werden. Sie dienen insbesonderedem frühzeitigen Aufzeigen und Aus-räumen von Zielkonflikten und machenkomplexe Entscheidungen auch fürAußenstehende nachvollziehbar.

Die Ausgestaltung der Prüfungen rei-chen von qualitativen Abfragen bis hinzu hochkomplexen Abfragen mit quan-titativen Elementen und Berechnungen.Den meisten betrachteten Prüfsystemenkommt in folgenden Bereichen eineentscheidende Bedeutung zu:

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2 Siehe zum Beispiel: Thomas Döring et.al., KommunaleNachhaltigkeitssysteme. Anspruch, Eignung, Wirksamkeit,in: UVP-Report, 5 (2003), S. 202-206 sowie KerstinArbter, Nachhaltige Politiken und Rechtsakte, 2005

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n begleitende Prozessbewertung,n Partizipation und Transparenz,n Verbindlichkeit von Prüfungen und

Ergebnissen,n ganzheitlichkeit der Bewertung sowie n Politischer Wille zur Umsetzung von

Prüfungsergebnissen.

Nachhaltigkeitschecks, die in diesemArtikel näher Betrachtung finden, stel-len in diesem Zusammenhang eine spe-zifische Form von Nachhaltigkeitsprü-fungen dar. Sie sind immer auf denEinzelfall bezogen und dienen einer ein-fachen, leicht handhabbaren, allgemeinverständlichen und nachvollziehbarenÜberprüfung von Nachhaltigkeitskrite-rien im Rahmen von spezifischen För-derentscheidungen.

In 20 Minuten testen

Das Leibniz-Institut für Regionalent-wicklung und Strukturplanung arbeitetan der Entwicklung des Nachhaltig-keitscheck ESYS (gefördert durch dieREFINA-Projektreihe des Bundesmi-nisteriums für Bildung und Forschungund das Ministerium für Infrastrukturund Landwirtschaft des Landes Bran-denburg) und beteiligt sich damit anden Grundlagenforschungen zur Imple-mentation einer demografierobustenInfrastrukturplanung (Resilienz3).Risiken und Verwundbarkeiten in derGewährleistung der Daseinsvorsorgedurch Auslastungsveränderungen sollen

minimiert und der Errichtung überdi-mensionierter Infrastrukturanlagen vor-gebeugt werden. Übertragen auf dieHerausforderungen bei technischenund sozialen Infrastrukturen bedeutetdies, dass die Infrastruktureinrichtungtrotz dynamischer Bevölkerungsent-wicklungen funktional und effizientbleibt.

Der webbasierte Nachhaltigkeits-check „ESYS“ ist ein kriterienbasiertesPrüfsystem in Form einer Nutzwert-analyse. Die Nachhaltigkeitsdefinitionvon ESYS orientiert sich sowohl an derDefinition des Brundtland-Berichtesder World Commission on Environ-ment and Development von 1987 alsauch an den der Nationalen Nachhal-tigkeitsstrategie. Zentrale Orientierun-gen sind Generationengerechtigkeit,Lebensqualität, sozialer Zusammenhaltund internationale Verantwortung. ImNachhaltigkeitscheck „ESYS“ nimmtdas Prinzip Generationengerechtigkeitden höchsten Stellenwert ein. Metho-disch wurde ein integrativer Ansatz ge-wählt.4 Es wurden Indikatoren ent-wickelt in denen jeweils ökologische,ökonomische und soziale Aspekte Be-rücksichtigung fanden. Diese Herange-hensweise ermöglicht, erstens, die

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3 Der Begriff Resilienz steht in diesem Zusammenhang fürdie Widerstandsfähigkeit, Krisensituationen weitgehendunbeschadet zu überstehen, drückt also eine gewisseRobustheit gegenüber Veränderungen aus.

4 Jürgen Kopfmüller et.al., Nachhaltige Entwicklung integra-tiv betrachtet. Konstitutive Element, Regeln, Indikatoren,Berlin 2001

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Beschränkung auf einen überschauba-ren Indikatorensatz. Zweitens lässt sichder Zeitaufwand für die Durchführungeines Nachhaltigkeitschecks auf 20 Mi-nuten beschränken und drittens führtdies auch zu einer nachvollziehbarenund angemessenen Bewertung. AuchVergleiche zwischen Planungsvariantensind damit möglich.

„ESYS“ entspricht dem Aufbau gän-giger Demografiechecks, stellt aber auf-grund seiner Mehrdimensionalität prin-zipiell einen „Demografiecheck Plus“dar: Das Webtool beinhaltet die Infra-strukturarten Schule, Straße undWasserver- sowie Abwasserentsorgungund erfährt aktuell eine Detaillierungund Erweiterung um die Infrastruktur-arten Gemeinschaftseinrichtungen,Berufsschulen, Kindertagesstätten undÖPNV. Weitere Infrastrukturen wie dieEnergieversorgung sind vorgesehen.

Wie ESYS funktioniert

Die Dateneingabe in ESYS erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst ist nach Eingabe der Struk-turdaten der Kommune (Bevölke-rungsstruktur, Flächennutzungen,Kommunalfinanzen) optional für jedeInfrastruktur eine individuelle Ge-wichtung vorzunehmen. Somit findenlokale Gegebenheiten wie politischeZielsetzungen oder Raumstrukturenbesondere Berücksichtigung. DemSystem ist eine Datenbank hinterlegt,

die für den Großteil der Bundesländerauf Ebene der Landkreise und kreis-freien Städte die erforderlichen Struk-turdaten bereits beinhaltet. NachEingabe der Strukturdaten kann einProjekt in das System eingegeben wer-den. Verschiedene Projektdaten wer-den anhand von Indikatoren abgefragtund anschließend bewertet. Neben derGegenüberstellung von unterschiedli-chen Projekten einer Infrastrukturartsind auch Vergleiche von Projektva-rianten möglich. Die Ausgabe derErgebnisblätter erfolgt als einseitigesDokument. Es orientiert sich an demDesign von Energieausweisen, diekompakt und grafisch aufbereitet diewichtigsten Kenndaten darstellen.

Auch Straßen geprüft

Der Nachhaltigkeitscheck „Landes-straßen“ des Landes Brandenburg stellteine Weiterentwicklung des kommuna-len Nachhaltigkeitschecks „ESYS“ dar.Dieser Nachhaltigkeitscheck dient alsEntscheidungshilfe für verkehrlicheInfrastrukturmaßnahmen, die im Rah-men von EFRE gefördert werden sollen(Laufzeit Mai 2009 bis Mai 2010). Indiesem Bewertungssystem wurden Kri-terien der Nachhaltigkeit einbezogensowie die verkehrspolitischen Zielset-zungen des Landes Brandenburg inte-griert, wie n Beförderung der Energie- und Kli-

maschutzstrategie des Landes Bran-

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denburg sowie die gleichzeitigeStärkung der Kompetenzfelder derWirtschaft (u.a. Tourismus) und der kleinen und mittleren Betriebedurch Infrastrukturmaßnahmen des Verkehrs,

n Optimierung regionaler Verkehrs-netze zur „Stärkung der Wettbe-werbsfähigkeit“,

n langfristige Sicherung der Trag-fähigkeit der verkehrlichen Infra-struktur im Rahmen der Daseins-vorsorge,

n Einhaltung der Regeln eines fairenWettbewerbs und transparentenAuftragsvergaben.

Der Nachhaltigkeitscheck „ESYS“war von Anfang an so konzipiert wor-den, dass die Kommunen die Gewich-tung der nachhaltigen Kriterien nachihren Zielen der Stadtentwicklung biszu einem gewissen Grad beeinflussenkönnen. Auch das Ministerium fürInfrastruktur und Landwirtschaft(MIL) setzte auf eine eigene Gewich-tung der verschiedenen Nachhaltig-keitskriterien im Nachhaltigkeitscheck„Landesstraßen“. Das Ziel einer selb-ständigen sektoralen Gewichtung produzierte nicht nur Vertrauen undAkzeptanz zu einem neuen Steuerungs-instrument im MIL, sondern dienteauch dazu, die internen Koordinie-rungsprozesse im Aufgabenbereich„Verkehr“ des Ministeriums zu erleich-tern. Der Nachweis der Handhabbar-

keit und der Praxistauglichkeit wurde in einer zweistufigen Erprobungsphasemit ca. 140 verkehrlichen Infrastruk-turmaßnahmen nachgewiesen. DerMehrwert des Nachhaltigkeitschecks„Landesstraßen“ wurde in folgendenAspekten deutlich: n Frühwarnsystem zur langfristigen

Absicherung der Infrastruktur,n einheitliche Beurteilungsgrundlage

für die Förderwürdigkeit,n einfaches Instrument der Transpa-

renz- und Akzeptanzerhöhung sowien Überwindung tradierter Planungs-

normen und Förderrichtlinien/-stan-dards

Neue Perspektiven

Die traditionelle Infrastrukturplanungsetzt auf Wachstums- und Verdich-tungsprozesse. Sie ist in Zeiten unter-schiedlicher demografischer Prozesseund knapper werdender Haushaltsspiel-räume („Schuldenbremse“) immer we-niger geeignet, die Infrastrukturbedarfeauch fiskalisch langfristig tragfähig ab-zusichern. Perspektivisch bedarf es flexibler Steuerungsmodi. Sie bedürfeneines umfassenden und systemischenAnsatzes, der Querverbindungen zuverschiedenen Fachressorts herstellt,themenübergreifend angelegt ist undgleichzeitig horizontale und vertikaleKommunikations- und Koordinations-strukturen berücksichtigt. Diese Bedin-gungen können neue Fenster für neue

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Konzepte und Lösungswege in derInfrastrukturplanung öffnen.

Der Nachhaltigkeitscheck „ESYS“ istein derartiges flexibles Steuerungsinstru-ment. „ESYS“ soll die Verantwortungs-träger aus Kommunen und Kreisen inder Infrastrukturplanung unterstützenund damit die Selbstorganisation derGebietskörperschaften befördern. DieBewertung ist nachvollziehbar, so dassauch Lokalpolitik und Wirtschaft eben-

falls Erkenntnisse und auch Nutzen aus„ESYS“ ziehen können. Vor diesem Hin-tergrund lässt sich der Nachhaltigkeits-check ESYS als ein innovativer Ansatzstaatlicher Politikgestaltung im Sinne derPrinzipien von „good governance“ inter-pretieren. Sie schafft neue Perspektivenin der Bewahrung und Weiterentwick-lung der Daseinsvorsorge, der techni-schen Infrastruktur und der Verkehrs-systeme im Land Brandenburg. n

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Weiterführende Literatur

Michael Arndt et.al., Endbericht des Forschungsprojekts „Ent-scheidungssystem zur Abschätzung des langfristigen Infrastruktur-und Flächenbedarfs“ im Rahmen des Refina-Programms, 2008

Michael Arndt et.al., Weiterentwicklung und Modifizierung des Prototyps „ESYS“ zu einem „Nachhaltigkeitscheck Straßen-investitionen“, 2009

Hans Georg Bohle, Hans Georg, Leben mit Risiko. Resilienceals neues Paradigma für die Risikowelten von morgen, in:Carsten Felgentreff, Thomas Glade (Hg.): Naturrisiken undSozialkatastrophen, S. 435–441, 2008

Jochen Jaeger et.al., Einführung: Landschaftszerschneidung unddie Folgen, in: GAIA 14/2, 2005

Matthias Koziol, Transformationsmanagement unter beson-deren Bedingungen der Schrumpfung, in: Thomas Kluge, JensLibbe (Hg.), Transformation netzgebundener Infrastruktur –Strategien für Kommunen am Beispiel Wasser. DIfU-Beiträgezur Stadtforschung, Bd. 45, 2006

Gertrude Penn-Bressel, Begrenzung der Landschaftszerschnei-dung bei der Planung von Verkehrswegen, in: GAIA 14/2, 2005

Wolfgang Sorge, Gebäudeenergieeffizienz. Potenziale undStrategien für Nichtwohngebäude, in: Cornelia Rösler (Hg.),Gebäudeenergieeffizienz in Kommunen. Dokumentation des12. Deutschen Fachkongresses der kommunalen Energiebe-auftragten am 12./13. März 2007 in Nürnberg

D R. M I C H A E L A R N D T

arbeitet am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner.

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Wie werden wir im 21. Jahrhundert leben? Die alten Lösungen taugen nicht mehr, die neuen

kommen nicht von selbst. Die Berliner Republik ist der Ort für die wichtigen Debatten unserer

Zeit: progressiv, neugierig, undogmatisch. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

DAS DEBATTENMAGAZIN

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Die Berliner Republik erscheint alle zwei Monate. Sie ist zum Preis von 5,- EUR zzgl. Versandkosten als Einzelheft erhältlich oder im Abonnement zu beziehen:Jahresabo 30,– EUR; Studentenjahresabo: 25,– EUR

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Page 80: perspektive 21 - Heft 46

Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältereExemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auchauf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an [email protected].

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar:

Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?

Heft 18 Der Osten und die BerlinerRepublik

Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?Heft 21/22 Entscheidung im Osten:

Innovation oder Niedriglohn?Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 24 Von Finnland lernen?!Heft 25 Erneuerung aus eigner KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 29 Zukunft: WissenHeft 30 Chancen für Regionen

Heft 31 Investitionen in KöpfeHeft 32 Auf dem Weg ins

21. JahrhundertHeft 33 Der Vorsorgende SozialstaatHeft 34 Brandenburg in BewegungHeft 35 10 Jahre Perspektive 21Heft 36 Den Rechten keine ChanceHeft 37 Energie und KlimaHeft 38 Das rote PreußenHeft 39 Osteuropa und wirHeft 40 Bildung für alleHeft 41 Eine neue Wirtschaftsordnung?Heft 42 1989 - 2009Heft 43 20 Jahre SDPHeft 44 Gemeinsinn und ErneuerungHeft 45 Neue Chancen

SPD-Landesverband Brandenburg, Alleestraße 9, 14469 PotsdamPVST, DPAG, Entgelt bezahlt, A47550