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Political Efficacy und Wahlbeteiligung in Ost- und Westdeutschland Rolf BECKER Universität Bern Zusammenfassung Es wird die Frage untersucht, ob in Ostdeutschland die Beteiligung an den Bundestagswahlen unter anderem deswegen geringer ist als in Westdeutschland, weil ostdeutsche Wähler weniger davon überzeugt sind, mittels der Beteiligung an politischen Wahlen persönlich die Politik beeinflussen zu können. Die empirischen Analysen erfolgen mit Querschnittdaten des ALLBUS 1998. Sie zeigen, dass sich die Einflusserwartungen in Ost und Westdeutschland nur zufällig voneinander unterscheiden. Daher können die Einflusserwartungen nicht das entscheidende Kriterium für die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen sein. Von Bedeutung für die Stärke der Einflusserwartungen sind persönliche Überzeugungen über eigene politische Kompetenzen und Reaktivität des politischen Systems, deren Einflüsse bei den Ostdeutschen grösser sind als bei den Westdeutschen. Keywords: political efficacy, political participation, rational choice, framing “Wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste!” Johann Wolfgang von Goethe Einleitung 1 Ein wesentliches Strukturmerkmal der jüngeren gesellschaftlichen Entwick- lung Deutschland ist die unterschiedliche Wahlbeteiligung in Ost- und West- deutschlands. Im Zeittrend weist die niedrigere Wahlbeteiligung im Osten 1 Dank gebührt den Herausgebern und den beiden Gutachtern der SZPW für ihre Kritiken und Anregungen. ©(2005) Swiss Political Science Review 11 (1): 57-86

Political Efficacy und Wahlbeteiligung in Ost- und Westdeutschland

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Political Efficacy und Wahlbeteiligung in Ost- und Westdeutschland

Rolf BECKERUniversität Bern

Zusammenfassung

Es wird die Frage untersucht, ob in Ostdeutschland die Beteiligung an den Bundestagswahlen unter anderem deswegen geringer ist als in Westdeutschland, weil ostdeutsche Wähler weniger davon überzeugt sind, mittels der Beteiligung an politischen Wahlen persönlich die Politik beeinflussen zu können. Die empirischen Analysen erfolgen mit Querschnittdaten des ALLBUS 1998. Sie zeigen, dass sich die Einflusserwartungen in Ost und Westdeutschland nur zufällig voneinander unterscheiden. Daher können die Einflusserwartungen nicht das entscheidende Kriterium für die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen sein. Von Bedeutung für die Stärke der Einflusserwartungen sind persönliche Überzeugungen über eigene politische Kompetenzen und Reaktivität des politischen Systems, deren Einflüsse bei den Ostdeutschen grösser sind als bei den Westdeutschen.

Keywords: political efficacy, political participation, rational choice, framing

“Wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste!”Johann Wolfgang von Goethe

Einleitung1

Ein wesentliches Strukturmerkmal der jüngeren gesellschaftlichen Entwick-lung Deutschland ist die unterschiedliche Wahlbeteiligung in Ost- und West-deutschlands. Im Zeittrend weist die niedrigere Wahlbeteiligung im Osten

1 Dank gebührt den Herausgebern und den beiden Gutachtern der SZPW für ihre Kritiken und Anregungen.

©(2005) Swiss Political Science Review 11 (1): 57-86

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Deutschlands zudem grössere Schwankungen als im Westen auf.2 Die differierenden Wahlbeteiligungen lassen sich zum einen auf innerdeutsche Unterschiede im Vertretenheitsgefühl durch politische Parteien, Ausprägun-gen in der Parteiidentifikation sowie in wahrgenommenen Differenzen von Politiknachfrage und Angebot der politischen Akteure (ideologische und programmatische Nähe der Wähler zu den Parteien) zurückführen (Rattinger 1994a). Diese unterschiedlichen Bewertungen dürften auch von der politischen Sozialisation in unterschiedlichen politischen Regime und Zäsuren herrühren (Gabriel 1996: 291 f). Zum anderen können differierende Bewertungen der Leistungen von Regierung und Opposition als Gründe für die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen in den beiden Teilen Deutschlands angeführt werden. Vor allem eigene Erfahrungen und Zufriedenheit der Wähler mit der ostdeutschen Transformation, den Kompetenzen der Parteien und der Einlösung von Politikangeboten durch amtierende Regierungen waren sicherlich mitverantwortlich für die vergleichsweise niedrigen und stark schwankenden Wahlbeteiligungen in Ostdeutschland (Gabriel 1996: 270; Rattinger 1994b).

Während diese Zusammenhänge für die Wahlbeteiligung empirisch recht gut belegt sind, ist bislang noch weitgehend ungeklärt, ob und in-wieweit die Ost-West-Unterschiede in der Wahlbeteiligung darüber hinaus auf jeweils spezifische subjektive Einschätzungen der Wähler über Sinn und Zweck der eigenen Beteiligung an politischen Wahlen als eine der zentralen Determinanten des individuellen Wahlverhaltens beruhen. So können sich ost- und westdeutsche Bürger in der Einschätzung voneinander unter-scheiden, die Beteiligung an Bundestagswahlen sei eine effektive Form politischer Beteiligung, die eher als andere Formen politischer Partizipation geeignet erscheint, selbst als Bürger die Regierungspolitik beeinflussen zu können. Ebenso unklar ist, von welchen Faktoren diese subjektive Einfluss-erwartung abhängt und welche sozialen Bedingungen systematische Varia-tionen bei der erwarteten Wahrscheinlichkeit, dass die Beteiligung an Bun-

2 Während bei der Bundestagswahl 1990 mit einer Wahlbeteiligung von 77,8 Pro-zent die Wahlbeteiligung für Westdeutschland 78,4 Prozent betrug, lag sie im Osten Deutschlands bei 77,5 Prozent. Trotz gestiegener Wahlbeteiligung bei der darauf folgenden Bundestagswahl im Jahre 1994 (79 Prozent) gingen gerade 73,4 Prozent der ostdeutschen Wähler zur Wahlurne, aber 80,5 Prozent der westdeutschen Wahlberechtigten. Im Jahre 1998 war die höchste Wahlbeteiligung in Ostdeutschland (80,2 Prozent) seit der deutschen Einheit zu verzeichnen (82,8 Prozent im Westen Deutschlands). Bei der letzten Bundestagswahl im Jahre 2002 sank für das gesamte Elektorat die Wahlbeteiligung wieder auf 79,1 Prozent, wobei sie im Osten unter das Niveau von 1994 fiel (72,8 Prozent). Im Vergleich dazu war die Wahlbeteiligung im Westen mit 80,6 Prozent nur geringfügig höher als im Jahre 1994.

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destagswahlen am ehesten zur Beeinflussung politischer Herrschaft führt, hervorbringen.3

Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, zur empirischen Klärung dieses Sachverhaltes beizutragen. Im zweiten Abschnitt wird der theoretische Hintergrund dieses Phänomens diskutiert. Hierbei wird – ausgehend vom “Paradox des Wäh-lens” (Downs 1957) – versucht, das werterwartungstheore-tische Konzept des rationalen Wählers (Krampen 1998), das Konzept der Kontrollüberzeugung (Heckhausen 1994) und der politischen Wirksamkeit (Finkel 1985) mit der handlungstheoretischen Konzeption der Selektion kog-nitiver Rahmen (Esser 1996) zu verbinden. Aus dieser Diskussion heraus werden empirisch überprüfbare Hypothesen entwickelt. Die Beschreibung des Datensatzes, der Variablen und des statistischen Verfahrens bildet den dritten Abschnitt. Die Darstellung und Diskussion der empirischen Befunde erfolgt im vierten Abschnitt, und im abschliessenden fünften Abschnitt werden Schlussfolgerungen für die theoretische Erklärung der Wahlbeteiligung ge-zogen.

Theoretische Überlegungen

Ausgangspunkte der theoretischen Überlegungen sind zweierlei. Zum einen wird davon ausgegangen, dass die Höhe von Wahlbeteiligungen ein aggregiertes Ergebnis individueller Wahlentscheidungen ist (Becker 2001). Ausgehend von politischen Randbedingungen und subjektiver Definition der eigenen sozialen und politischen Situation treffen Bürger die Entscheidung, ob sie sich an der Wahl beteiligen oder nicht. Diese Entscheidung kann “automatisch”, auf Basis früherer wiederholter Entscheidungen routinemässig

3 Im vorliegenden Beitrag wird, um von vornherein Missverständnisse zu vermei-den, nicht der Versuch unternommen, die Wahlbeteiligung insgesamt oder die seit 1990 vergleichsweise grösseren Schwankungen der Wahlbeteiligungen für das ost-deutsche Elektorat zu “erklären”. Solche Zeittrends sind das Ergebnis komplexer Wechselwirkungen von Alters-, Perioden- und Kohorteneffekten für die Wahlbeteiligung (Becker 2002). Jedoch existieren derzeit keine individuellen Längsschnittdaten, mit denen diese Annahme überprüft werden kann. Des Weiteren führen alters- und periodenspezifische Veränderungen in der Ausprägung von Determinanten des individuellen Wahlverhaltens zu Schwankungen in der Wahlbeteiligung. Reflektionen über die eigene Wahlbeteiligung stellen lediglich eine Determinante unter mehreren wie etwa das gegenwärtige oder erwartete Parteiendifferential oder die Kosten einer Wahlbeteiligung dar. Daher ist es auch nicht das Ziel des vorliegenden Beitrages, Differenzen in der Wahlbeteiligung letztlich auf die Beurteilung von Sinn und Zweck eigener Wahlbeteiligungen zurückzuführen, wie dies in früheren Debatten über das “Paradox des Wählens” teilweise der Fall war (Becker 2001).

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ohne grösseren kognitiven Aufwand erfolgen, oder eine reflektierte Ent-scheidung darstellen, wenn wegen fehlender Erfahrungen im vorhergegange-nen Prozess der politischen Sozialisation keine habituellen Präferenzen oder stereotyp abrufbaren Handlungsroutinen vorhanden sind. Die Rolle der politischen Sozialisation im Lebensverlauf für den Prozess der Wahlentscheidung haben die ökonomischen Ansätze des rationalen Wählers bislang vernachlässigt (Becker und Mays 2003).Zum anderen sind bei älteren und bereits überholten Rational-Choice-Modellen des Wahlverhaltens psychologische Dispositionen von Wahlberechtigten, welche die subjektive Wahrnehmung und Bewertung der sozialen und politischen Situation sowie die Beurteilung der Effektivität des eigenen Wahlverhaltens syste-matisch beeinflussen, kaum zur Kenntnis genommen worden. Die individuelle Einschätzung der Effektivität eigener Wahlbeteiligung hängt unter anderem mit der subjektiv erwarteten Wahrscheinlichkeit zusammen, als wahlberechtigte Person die Regierungspolitik direkt oder indirekt beeinflussen zu können.

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass gesellschaftliche Verhältnisse das politische Denken und Handeln von Individuen prägen. Von besonderer Bedeutung ist dabei einerseits die subjektive Wahrnehmung und Interpretation der sozialen Situation, in der sich die Bürger im Kontext anstehender politischer Wahlen sehen. Ihr Ergebnis bestimmt unter anderem, wie die Effektivität der eigenen Wahlbeteiligung eingeschätzt wird. Andererseits wird angenommen, dass Richtung und Stärke der Einflusserwartungen unter anderem auch von psychischen Dispositionen der Wahlberechtigten abhängen, die wiederum ein Er-gebnis der politischen Sozialisation sein dürften. Diese beiden Grössen dürften zur historischen und strukturellen Variation in der Wahlbeteiligung beitragen.

Politische Rahmenbedingungen und Sozialisation

Sowohl für die subjektive Definition der Situation als auch für die politische Sozialisation mit all ihren Konsequenzen für das Wahlverhalten sind die objektiven Rahmenbedingungen des politischen Systems – insbesondere das Wahlsystem und das Wahlrecht – von Bedeutung. Sie geben zusätzlich zum Orientierungsrahmen die Handlungsalternativen vor und bestimmen die Möglichkeiten, diese realisieren zu können. Beispielsweise werden in der Bundesrepublik Deutschland, einer parlamentarischen Konkurrenzdemokratie, in regelmässigen Abständen Bundestagswahlen abgehalten, bei denen Parteien und ihre Kandidaten im Wettbewerb um Wählerstimmen stehen. So haben Bür-ger die Möglichkeit, Regierungen zu bestätigen oder abzuwählen, je nach dem, ob sie sich durch die Regierungen vertreten fühlen oder nicht.

Andere Bedingungen herrschten dagegen in der DDR-Diktatur vor. Zwar gab es keine Wahlpflicht für Volkskammerwahlen, aber ein Wahlzwang wurde

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durch gesellschaftlichen Druck, soziale Kontrolle und Drohungen ausgeübt (Lapp 1982: 14 und 88). Es gab auch keine echte Auswahl zwischen alternativen Kandidaten und Parteien, da der einzige Wahlvorschlag aus der SED als “führender Kraft”, den Blockparteien (die so genannten “Blockflöten”) und den Massenorganisationen bestand (Weber 1999: 299). Dieser Einheitsliste des “demokratischen Blocks” wurde durch Abgabe eines unmarkierten Stimmzettels zugestimmt, der gefaltet wurde. Im Jargon wurde daher der Gang zur Wahlurne mit “Falten gehen” umschrieben. Abgegebene Stimmen hatten keinerlei Bedeu-tung für die Zusammensetzung der Volkskammer, da die Sitzverteilung und damit auch das Wahlergebnis von vornherein durch Beschluss des Politbüros festgelegt wurden. Weder konkurrierten Parteien um die Gunst der Wähler noch konnten die Wähler per Stimmabgabe über Leistungen von Regierung und “Opposition” urteilen.Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland hatten die Wähler in der DDR weder Einfluss auf die Bestellung und Politik der Regierung noch musste die SED mit ihren “Blockflöten” die politischen Präferenzen der Wähler, die sie mit ihren Stimmabgaben zum Ausdruck brachten, in irgendeiner Weise berück-sichtigen, um ihre Herrschaft abzusichern. Vielmehr mussten die DDR-Bürger – und dies belegen auch die Reaktionen der politischen Elite auf Ereignisse wie den Aufstand vom 17. Juni 1953 und den Prager Frühling im Jahre 1968 oder auf die Proteste zu den Resultaten der Kommunalwahlen im Mai 1989 oder schliesslich auf die Massenflucht im Sommer und Herbst 1989 über Ungarn – immer wieder tagtäglich erfahren, dass ihre Wahlbeteiligung keine entsprechenden Reaktionen der politischen Führung hervorrief. Deswegen hatten sie sich auch zu vergegenwärtigen, dass ihre Wahlbeteiligung lediglich eine einseitige Akklamation bestehender politischer Verhältnisse war. Fehlende Reaktionen der Regierung auf politische Vorstellungen und Wünsche der DDR-Bevölkerung haben zur Erosion ihrer Legitimität beigetragen.Insgesamt kann vermutet werden, dass sich politische Erfahrungen in unterschiedlichen politischen Ordnungen – zuerst Diktatur, dann par-lamentarische Konkurrenzdemokratie – in unterschiedlicher Weise auf die subjektiven Erwartungen und Einschätzungen der Bürger in Bezug auf Beteili-gung an Wahlen und das Wahlverhalten selbst auswirken. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass sich diese politischen Erfahrungen zumindest bei den älteren Geburtskohorten noch langfristig auf das Wahlverhalten auswirken und zu Ost-West-Unterschieden in der Wahlbeteiligung beitragen.

Allgemeine Betrachtungen zum Wahlverhalten

In theoretischer Hinsicht korrespondieren die subjektiven Einschätzungen der Wähler, die Beteiligung an Bundestagswahlen sei eine effektive Form politischer

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Beteiligung, die zudem eher als andere Formen politischer Partizipation zur Be-einflussung der Regierungspolitik führe, mit dem vermeintlichen “Paradox der Wahlbeteiligung” (Green und Shapiro 1994). Dieses Paradox basiert auf unrealistischen Annahmen theoretisch einfacher und inzwischen überholter Rational-Choice-Modelle des Wählens, wonach die Wähler den erwarteten Nutzen aus dem Sieg der bevorzugten Partei mit der Erfolgswahrscheinlichkeit, dass ihre eigene Stimme einen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang habe, diskontieren (Downs 1957). Weil aufgrund dieser gegen Null tendierenden Erfolgswahrscheinlichkeit die Wahlbeteiligung immer mit höheren Kosten als Nutzen verbunden ist, müsste sie generell unterbleiben (Riker und Ordeshook 1968). Diese theoretische Folgerung verträgt sich allerdings nicht mit dem empirischen Fakt hoher Wahlbeteiligungen.

Soll der theoretische Kern einer handlungstheoretischen Erklärung des Wahl-verhaltens nicht unterminiert oder mit induktiven Zusatzannahmen gegen Kritik immunisiert werden, dann scheint es durchaus sinnvoll, statt von der rationalistischen Erfolgswahrscheinlichkeit von der subjektiven Erwartung der wahlberechtigten Personen auszugehen, dass die Wahlbeteiligung ein angemessenes Instrumentarium darstelle, die Politik von Regierungen beeinflussen zu können (Kühnel und Fuchs 1998: 333 f).4 Mit dieser Einflusserwartung ist auch die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit verknüpft, dass die persönliche Beteiligung an der Wahl in effektiver wie effizienter Weise zu dem Ziel führt, den erwarteten Wohlfahrtsnutzen mit der Wahl der bevorzugten Partei realisieren zu können (Kühnel und Fuchs 2000: 345). Es wird im Unterschied zum Ansatz von Downs (1957) und zur Sichtweise vieler anderer Vertreter des ökonomischen Erklärungsansatzes nicht unterstellt, dass dieser Erwartungsterm die geringe Wahrscheinlichkeit ist, den Wahlausgang mit der eigenen Stimme zu entscheiden (Carling 1995). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass Bürger die Beteiligung an einer politischen Wahl generell als eine instrumentelle und zielgerichtete Form politischer Partizipation ansehen (Kaase und Marsh 1979: 42).5 Mit der Wahl treten sie der zukünftigen Regierung für eine Legislaturperiode

4 Daher scheint es auch sinnvoll, diese von früheren Rational-Choice-Modellen des Wählens angenommene Erfolgswahrscheinlichkeit in der Weise zu interpretieren, dass sie von den Bürgern eher bei der Auswahl von Parteien als Diskontwert statt bei der Entscheidung für oder gegen eine Wahlbeteiligung verwendet wird. Sie ist die Grösse, mit der abgeschätzt wird, ob die präferierte Partei reale Chancen hat, entweder die Wahl zu gewinnen oder zumindest in das Parlament oder als Koalitionspartner in die Regierungsverantwortung zu gelangen (Becker 2001: 558).

5 Der selektive Anreiz für Bürger, sich an Wahlen zu beteiligen, dürfte bei gegebenen Kosten möglicherweise darin liegen, dass sie gegenüber anderen Formen politischer Partizipation als die effizienteste und in der Regel erfolgreichste politische Aktivität angesehen wird, um die politische Herrschaft zu beeinflussen (Pappi 2000). Weil in parlamentarischen Demokratien regelmässige Wahlen legitime wie hochgradig institutionalisierte Vorgänge sind, wird das Wählen als freiwillige Handlung im Vergleich zu anderen Formen politischer Partizipation als kostenarm und wenig riskant eingeschätzt (Becker 2001: 561 f). Bereits Verba et al. (1978)

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ihre eigenen Herrschaftsrechte mit der Möglichkeit ab, diese sanktionieren zu können, wenn die entsprechenden Gegenleistungen nicht erbracht werden. So können Bürger insofern Einfluss auf die gegenwärtige Regierung nehmen, als sie diese bei der nächsten Wahl bestätigen oder durch Abwahl sanktionieren. Diese subjektive Erwartung dürfte bei den Wahlberechtigten mit der Nähe zum Wahltermin ansteigen und in der Regel von der Mehrheit des Elektorats geteilt werden (Vetter 2000: 84 f).

Aufgrund unterschiedlicher politischer Sozialisationen und Erfahrungen mit demokratischen Wahlen, dürfte im Unterschied zu den westdeutschen Wählern immer noch – so die erste Hypothese – ein deutlich geringerer Mengenanteil ostdeutscher Wähler davon überzeugt sein, dass die Beteiligung an politischen Wahlen ein geeignetes Mittel ist, um politischen Einfluss auszuüben (Gabriel 2000). Es ist wegen der Prägung durch politische Ordnungen anzunehmen, dass die Stärke der subjektiven Erwartung, über die Beteiligung auch persönlich Einfluss auf politische Prozesse ausüben zu können, bei den ostdeutschen Wählern geringer ausgeprägt ist als bei den Westdeutschen (Fuchs und Rohrschneider 2001: 277). Aber nicht nur die Sozialisation durch DDR-Institutionen, sondern auch Umstände der ostdeutschen Transformation, die mit Vorbehalten gegenüber dem politischen System der Bundesrepublik und Misstrauen gegenüber seinen politischen Institutionen einhergehen, dürften zu den noch vorhandenen Ost-West-Unterschieden in der subjektiven Beurteilung von Einflusserwartungen beigetragen haben (Gabriel 1996: 258 ff).

Die Definition der Situation vor politischen Wahlen

Diese sehr allgemein gehaltene Sozialisationshypothese kann mit Hilfe der von Esser (2001a) weiterentwickelten kognitionspsychologischen Frame Selection Theory (FST) weiter spezifiziert werden. Bevor sich ein Individuum entscheidet, sich an der Wahl zu beteiligen oder der Wahlurne fern zu bleiben, muss es nach Esser (1996) erst die soziale Situation (z.B. bevorstehende Bundestagswahl) definieren. Wird

haben hervorgehoben, dass sich das Wählen als individueller Akt von anderen politischen Aktivitäten darin unterscheidet, dass er wenig an Initiative seitens des Wahlberechtigten erfordert. Das Ereignis “Wahl” wird den Bürgern regelmässig vorgegeben, so dass ein Bürger dieses Ereignis erst gar nicht herzustellen braucht, und schon gar nicht in Kooperation mit anderen (Verba et al. 1978: 53). Dadurch entfällt bereits das vermeintliche Problem für den Beitrag zu einem Kollektivgut, dass oftmals bei anderen Versuchen, die Wahlbeteiligung zu erklären, problematisiert wird (Kühnel und Fuchs 2000) und macht plausibel, warum die Wahlbeteiligung – obwohl sie im Zuge der “kognitiven Mobilisierung” und der “partizipatorischen Revolution” ihre Monopolstellung unter den politischen Aktivitäten eingebüsst hat – die häufigste Partizipationsform unter den politischen Aktivitäten darstellt (Kaase 1982, 1990; Klingemann 1998; Gabriel 2000).

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sie in einer spezifischen Weise interpretiert, dann versucht eine Person, ihr einen subjektiven Sinn zu geben, also zu verstehen (z.B. Wahlkampfzeit mit all ihren typischen Attributen, Gelegenheit für individuelle Beteiligung am politischen Willensbildungs und Entscheidungsprozess durch Bestellung der Regierung oder Chance, die alte Regierung zu bestätigen oder abzuwählen). Die Definition der sozialen Situation ist nach Esser notwendige Voraussetzung für soziales Handeln, das erst dann stattfindet, “wenn der Akteur aufgrund der gegebenen, externen wie der internen Bedingungen der Situation zu einer eigenen selektiven und systematisierenden, dann subjektiv das Geschehen vollkommen beherrschenden Definition der Situation kommt” (Esser 1996: 5). Dabei bildet der Akteur neben der Beurteilung des Handlungsergebnisses (z.B. Steuervorteile infolge des Wahlsieges der präferierten Partei) auch subjektive Erwartungen darüber, dass mit einer be-stimmten Handlung (z.B. Wahlbeteiligung) in einer gegebenen Situation (z.B. Wahlsonntag) das erwünschte Ergebnis (z.B. Steuervorteile) erzielt werden kann (z.B. “Es lohnt sich wirklich, wählen zu gehen!”) (Esser 2001b: 113). So können die Ost-West-Unterschiede in der Wahlbeteiligung auf unterschiedlichen Er-wartungen und Beurteilungen von Wahlen als eine effektive und kostenarme Möglichkeit, selbst als Bürger politische Interessen auszudrücken und politische Prozesse beeinflussen zu können, beruhen.

Dass Ost-West-Unterschiede in der Beurteilung von Wahlbeteiligungen auf Lernprozessen und akkumulierten Erfahrungen basieren, kann mit der FST in besonderer Weise berücksichtigt werden. Der FST zufolge stellen soziale Situationen jeweils spezifische Konfigurationen objektiver und subjektiver Be-dingungen dar, die ein Akteur seinem Handeln zugrunde legt (Esser 1999: 35 ff). Zu objektiven Bedingungen des Handelns gehören äussere Umstände wie etwa Akteure oder soziale Institutionen, die die vorhandenen Möglichkeiten und Mittel des Handelns umfassen. Hingegen bilden Motive, Kognitionen und Emotionen des wahlberechtigten Bürgers die inneren Umstände seines Handelns. Dazu gehören nicht nur Präferenzen, Fähigkeiten und Wissen, sondern auch Einstellungen, Werte und eben Lebenserfahrungen. Um eine permanente kognitive Überforderung bei der Informationssuche und Verarbeitung von Informationen in jeweils aktuellen Situationen zu vermeiden, reduzieren Indi-viduen die Komplexität der sozialen Situationen, indem sie lediglich die subjektiv wichtigsten Komponenten der jeweiligen Situation wahrnehmen und nach dieser Filterung verarbeiten.

Diese kognitive Leistung einer selektiven Interpretation sozialer Wirklichkeit bezeichnet Esser (1999) als “Rahmung” (Framing). Die Auswahl von Handlungs-alternativen und das Handeln selbst erfolgt dann mit Hilfe solcher kognitiven Rahmen. In einer bestimmten sozialen Situation wählt ein Individuum denjeni-gen Rahmen aus, der sich bei früheren Gelegenheiten bewährt hat. Ein Rahmen hat sich nach Esser (1996) bewährt, wenn der subjektiv erwartete Nutzen der

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(richtigen) Situationsdefinition höher ist als die Kosten bei der Auswahl eines (falschen) Interpretationsrahmens. Bei einer anstehenden Bundestagswahl können wahlberechtigte Bürger in kostenarmer Weise institutionell vorgegebene oder gelernte und kognitiv gespeicherte Bezugsrahmen – das Schema “Bundestagswahl” – aktivieren, die ihnen die Bewertung von Handlungsergebnissen und Entwicklung subjektiver Erfolgserwartungen erleichtern können, ohne dass sie zwingend – wie es die meisten ökonomischen Rational-Choice-Ansätze vorschlagen – subjektive Wahrscheinlichkeiten und Erwartungswerte erst “kalkulieren” müssen (Esser 1990). Dieser kognitive Rahmen beinhaltet die Kontextinformationen über die an-stehende Wahl, dass man als Bürger die Chance hat, die nächste Regierung zu bestellen, wenn man zum festgelegten Termin zur Wahlurne schreitet (Gabriel 2000: 100).6

Die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen erfolgt vor dem Hinter-grund vorhandener Wissensbestände. Sie sind Bestandteile kognitiver Rahmen und beinhalten Informationen über Modelle typischer sozialer Situationen. Die von aussen gelieferten Informationen über eine Bundestagswahl aktivieren ein bereits kognitiv vorhandenes, zuvor im Zuge der politischen Sozialisation gelerntes Modell des Typs der Situation (“Wahlsonntag”). Demzufolge muss sich bei an-stehenden Wahlen ein Bürger nicht für ein bestimmtes Modell der politischen Partizipation entscheiden, weil das Modell “Wählen am Wahlsonntag” aufgrund von Lernprozessen in den meisten Fällen von vornherein als adäquates kognitives Modell auf der Hand liegt (Esser 2001b: 113). Die Auswahl des Handlungsmusters selbst erfolgt daraufhin eher automatisch prozessierend statt rational kalkulierend. Ob Handlungen automatisch oder reflektierend erfolgen, ist wiederum ein Er-gebnis einer Kosten-Nutzen-Abwägung (Esser 1999). Mit solch einem kognitiven Modell der Situation ist gleichzeitig auch ein bestimmtes Modell des Typs der Handlung, das Skript, das aus individueller Sicht der gegebenen Situation ange-messen ist, verknüpft (“Wählen gehen”). Es informiert den Wähler darüber, wie er sich in der Situation “Bundestagswahl” sinnvoll, der Situation angemessen verhalten kann oder zu verhalten hat. Liegen passende Handlungsroutinen vor, dann werden diese gewohnheitsmässig als Habits ausgeführt; ansonsten muss eine Person über diese Situation und die Handlung räsonieren.

Übertragen wir diese Grundlagen des Framing auf die Ausbildung der Ein-

6 Bestandteile kognitiver Schemata sind gelernte Modelle über Handlungsabläufe (Skripte) und Handlungsroutinen (Habits). Habits sind gelernte Handlungsmuster, die sich zuvor in bestimmten sozialen Situationen bewährt haben, und über die dann nicht mehr nachgedacht werden muss. Sie werden automatisch ausgeführt. Skripte beinhalten Informationen über den Ablauf von sozialen Prozessen in einer bestimmten sozialen Situation. Sie beinhalten Informationen über erwartbare Handlungen anderer Personen und eigene sinnvolle Handlungsabläufe, die bereits im gleichen Kontext oder in einer ähnlichen Situation gelernt wurden.

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flusserwartung und die Entscheidung für oder gegen eine Wahlbeteiligung. Beispielsweise wird durch die Festlegung und Bekanntmachung des Termins der nächsten Bundestagswahl ein Bezugsrahmen für die Wahlbeteiligung institutionell vorgegeben. Im Zuge des beginnenden Wahlkampfes dürften die Bürger den politischen Kontext einer Wahl mehr oder weniger bewusst wahrnehmen. Wenn das in allen Medien ausgelöste Spektakel der Wahlwerbung und die An-wesenheit der Wahlkämpfer auf den Strassen und vor den Einkaufszentren nicht schon die entsprechenden Signale gesetzt und über Pseudo-Ereignisse die Aufmerksamkeit von wahlberechtigte Personen geweckt hat, dann dürfte spätestens mit der Wahlbenachrichtigung bei den Bürgern der entsprechende kognitive Bezugsrahmen aktiviert werden. Es ist generell davon auszugehen, dass sich wahlberechtigte Bürger der Tatsache bewusst sind, nicht alleine für das Wahlergebnis verantwortlich zu sein, sondern dass sie zusammen mit anderen Wählern einen indirekten Einfluss auf die Regierung ausüben können (Kühnel und Fuchs 2000: 346).

Mit dem aktivierten “Rahmen” sind über das Skript auch Informationen über den Ablauf des politischen Prozesses selbst und die einzelnen Schritte von der Wahlentscheidung bis zum Ausfüllen des Stimmzettels verknüpft. Des Weiteren entscheidet sich dann, ob die wahlberechtigte Person dem Wahlaufruf habituell, lediglich automatisch prozessierend, folgt oder doch rational kalkulierend die gegebene Situation reflektiert. So haben Almond und Verba (1963) zwar das in den 1950er Jahren dominierende gewohnheitsmässige “Nur-Wählen-Gehen” noch als ein Relikt obrigkeitsstaatlicher Einstellungen der Deutschen interpretiert. Aber in der Zwischenzeit hat das aktive politische Engagement der Bürger in Deutschland deutlich zugenommen, die sich sowohl in konventioneller als auch in unkonventioneller Weise politisch agieren (Uehlinger 1988). Ebenso fordern sie seitdem auch Möglichkeiten, sich direkt an der Politik und den Ent-scheidungsprozessen beteiligen zu können. Trotz dieser Entwicklung, die von Kaase (1982) als “partizipatorische Revolution” bezeichnet wurde, dürfte bei den Bürgern der kognitive Modus eines unreflektierten “Nachdenkens” über die Wahl-beteiligung und das anschliessende automatische Prozessieren aus folgenden Gründen bei der Definition der politischen Situation vorherrschend sein.7

Was erstens den institutionell vorgegebenen und subjektiv definierten Bezugsrahmen “politische Wahl” anbelangt, der Bestandteil der symbolträchtigen

7 Generell ist in Zeiten von Wahlkämpfen nicht ausgeschlossen, dass eine politische Mobilisierung auch durch Medien erfolgt, wobei die Mobilisierung von politischen Kompetenzen und Interessen der Bürger sowie der Art und Weise ihrer Mediennutzung abhängt. Denkbar ist, dass öffentliche Debatten über mögliche negative Auswirkungen von Wahlenthaltung als Protest einen Einfluss auf das Reflektieren über die eigene Wahlbeteiligung ausüben. Jedoch zeigt Schulz (2001), dass Einflüsse von Medien auf kognitive Mobilisierung und Partizipationsbereitschaft gering sind.

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demokratischen Kultur in Deutschland ist, so ist im Grundgesetz festgeschrieben, dass der politische Willens und Entscheidungsprozess über die politischen Par-teien erfolgt, die sich zuerst dem Wähler stellen und dann je nach Wahlergebnis zeitlich befristet die Regierung bilden. Sofern diese Institution und die geltende Spielregel der repräsentativen Demokratie nicht in Frage gestellt wird, besteht für ein Individuum kein Anlass, darüber zu reflektieren. In diesem Fall sieht es in kosten- und zeitsparender Weise nur die Alternative, über den Wahlakt persönlich Einfluss auf die Politik zu nehmen, oder es bei einer Wahlenthaltung zu belassen, sofern die Wahlabstinenz nicht mit Kosten verbunden ist. So fallen bei einer geltenden Wahlpflicht mit dem Fernbleiben von der Wahlurne mit der fälligen Strafe sichere Kosten an. Eigene oder am Modell gelernte Erfahrungen bestätigen dem Bürger, dass im Kontext einer anstehenden Wahl die Wahlbeteiligung die “angesagte” und auch erfolgreichste Form politischer Aktivität ist, um persönlich, direkt und indirekt, die Politik zu beeinflussen.8

Zweitens muss in der Regel über den Wahlakt selbst, sofern er im Gedächtnis als kognitives Skript gespeichert ist, nicht weiter nachgedacht werden. Der Ablauf einer Wahlbeteiligung dürfte in der Regel bekannt sein und kann immer wieder als einfache Heuristik aus dem Gedächtnis abgerufen werden. Ähnlich verhält es sich bei der Beurteilung von Sinn und Zweck des eigenen Wahlverhaltens. Für die meisten Bürger dürfte es in Bezug auf politische Partizipation keine Entscheidungs- und Handlungsalternativen geben, da für sie die Wahlbeteiligung bei gegebenen Kosten den optimalen Nutzen verspricht, während andere politische Aktivitäten für sie mit höheren Kosten als Nutzen

8 Wegen der kognitiven Rahmen (“frames”) und der ausgebildeten Gewohnheiten (“habits”) machen sich Wähler in der Regel kaum Gedanken über die Auswirkungen ihrer eigenen Stimme. Das Problem klassischer Rational-Choice-Theorien, dass Wahlberechtigte sich deswegen der Wahl enthalten, weil sie der Ansicht sind, ihre eigene Stimme sei sowieso nicht entscheidend, stellt sich also erst gar nicht (Becker 2001: 553; Downs 1957: 244 f). Weil die regelmässig abgehaltene Wahl eine legitime Institution von Demokratien ist, ist es wahrscheinlich, dass Wahlberechtigte die Institution der Wahl und ihre eigene Wahlbeteiligung als eine Form politischer Partizipation internalisiert haben (Kaase 1990). Allenfalls verunsicherte Erstwähler, die noch nicht über solch einen stabilen kognitiven Rahmen verfügen, dürften sich umfassende Gedanken über die demokratische Institution regelmässiger Wahlen machen und über Sinn und Zweck ihrer eigenen Wahlbeteiligung räsonieren. Systemkritische Bürger, die das Monopol politischer Parteien bei der politischen Willensbildung und Politikgestaltung in Frage stellen, werden dagegen den Modus der Herrschaftsbestellung im Sinne einer Kosten-Nutzen-Abwägung reflektieren und die Legitimität politischer Wahlen bezweifeln. Möglicherweise ignorieren sie deswegen jeglichen Wahlaufruf (Roth 1992). Aber sie sehen möglicherweise auch, dass Demonstrationen oder Aufrufe zu Revolutionen im Kontext politischer Wahlen wenig aussichtsreiche, allenfalls kostenintensive Alternativen darstellen, so dass nur noch das Fernbleiben von der Wahlurne übrig bleibt.

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verbunden sind und auch wenig Erfolg versprechend erscheinen dürften. Zu-mindest vor anstehenden Wahlen sollte dies generell zutreffen. Ansonsten haben verfügbare Ressourcen, wahrgenommene Gelegenheiten, befürchtete Kosten und eigene Fähigkeiten einen Einfluss darauf, ob zwischen den Wahlen andere politische Aktivitäten gewählt werden, um politische Interessen zum Ausdruck zu bringen oder gezielt Einfluss auf politische Prozesse auszuüben (Opp 1989).9

Sollten diese Annahmen der FST für die Wahlbeteiligung zutreffend sein, müsste empirisch nachzuweisen sein, dass im Kontext einer anstehenden Bun-destagswahl die Beteiligung an der Wahl anderen Formen der politischen Partizipation vorgezogen wird, weil sie als “passende” Form politischer Partizipation akzentuiert wird. Daraus lässt sich die zweite Hypothese ableiten: Aufgrund der Kontexte und Strukturen der politischen Sozialisation in der DDR müssten Ostdeutsche nach dem Zusammenbruch der DDR-Diktatur eher über Sinn und Zweck einer Wahlbeteiligung räsonieren, während Westdeutsche aufgrund der längeren Erfahrung mit demokratischen Wahlen eher habituell dem Wahlaufruf folgen.10 Folglich müsste bei den Ostdeutschen der Zusammenhang zwischen subjektiver Einflusserwartung für eine Wahlbeteiligung und der faktischen Wahlbeteiligung enger sein als bei den Westdeutschen.

Einflusserwartung als Funktion von politischer Wirksamkeit

Die Ost-West-Unterschiede in der Wahlbeteiligung, die auf unterschiedlichen Erwartungen und Bewertungen des Wählens als Handlungsalternative zurück-geführt werden können, müssen nicht ausschliesslich auf Beurteilungen äusserer Bedingungen des Wahlverhaltens beruhen, auch nicht auf Unterschieden bei den Motiven, Präferenzen und Wissensbeständen. Vielmehr

9 Für systemkritische Personen hingegen kann es sinnvoll erscheinen, über den Sinn und Zweck der eigenen Wahlbeteiligung nachzudenken, wenn ihnen andere Handlungsalternativen vorteilhaft und realisierbar erscheinen. So mögen sie den Wahlurnen fernbleiben, weil sie die habituelle Prozedur des Wählens am Wahlsonntag als wenig sinnvoll beurteilen, da sie aus ihrer Sicht über das Wählen alleine unmittelbar nichts bewirken können. Möglicherweise bevorzugen sie daher solche politische Aktivitäten, die aus ihrer Sicht direkt auf den politischen Prozess einwirken, und sie daher das Gefühl haben, mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit die Politik beeinflussen zu können als dies mit der blossen Wahlbeteiligung der Fall wäre.

10 Empirische Evidenzen dafür finden sich auch in der Arbeit von Fuchs und Rohrschneider (2001) über den Einfluss von politischen Wertorientierungen auf das Wahlverhalten, wobei solche Wertorientierungen über die demokratische Performanz gelernte Bestandteile des kognitiven Schemas “demokratische Wahl” bzw. “Bundestagswahl” sein dürften.

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POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 69

könnte sich die politische Sozialisation in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten auf das politische Wissen und die politischen Fähigkeiten der Bürger oder der Selbsteinschätzung ihrer eigenen Kompetenzen ausgewirkt haben. So ist anzunehmen, dass diese Selbstbeurteilungen auch das quantitative Ausmass der subjektiven Erwartung bestimmen, über die Beteiligung an einer politischen Wahl persönlich die Politik beeinflussen zu können. Diese An-nahme wird durch theoretische Konzepte und empirische Befunde der Wahl- und Partizipationsforschung gestützt, wonach psychologische Grössen wie etwa Kontrollerwartung, Kompetenzüberzeugung und Selbstwirksamkeit eine bedeutende Rolle für das Wahlverhalten spielen – also die “Überzeugung von Individuen, politische Vorgänge zu verstehen, eine aktive Rolle in der Politik spielen zu können und die Bereitschaft, diese aktivistische Disposition (...) im Bedarfsfalle in politische Aktivität umzusetzen” (Gabriel 1996: 279).11 Demnach wird die Stärke der subjektiven Einflusserwartung durch die jeweiligen Über-

11 Gerade die (politische) Sozialisation in der DDR könnte sich den Analysen von Diewald et al. (1996) zufolge in der Weise auf die für die Wahlbeteiligung relevanten Kontrollstrategien und Kontrollüberzeugungen ausgewirkt haben, dass Ostdeutsche weder die Wahlbeteiligung als eine sinnvolle Strategie für die Realisierung eigener politischer Interessen ansehen noch sich selbst für kompetent halten, als mündige Bürger Einfluss auf politische Prozesse auszuüben. Nach Heckhausen und Schulz (1993) ist die primäre Kontrolle auf die äussere Umwelt des Individuums gerichtet. Primäre Kontrollstrategien können demnach als aktive Bestrebungen von Personen aufgefasst werden, ihre Umwelt so zu verändern, dass sie ihren Bedürfnissen, Wünschen und Zielen entsprechen. Die sekundäre Kontrolle ist eher auf internale Prozesse (Zielsetzung, Erwartungen und Kausalattribution) bzw. auf die Innenwelt des Individuums gerichtet, und beeinflusst seine mentalen Repräsentationen und Emotionen. Sekundäre Kontrollstrategien bestehen nach Heckhausen und Schulz (1995) in den Versuchen von Personen, sich selbst den äusseren Gegebenheiten anzupassen und dabei ihre eigenen motivationalen und emotionalen Ressourcen zu optimieren.

Die Kontrollüberzeugung ist Teil der individuellen Handlungsorientierung. Ihre Funktion besteht in der subjektiven Überzeugung, dass Ereignisse gemäss bestimmter Bedingungen mit gewisser Regelmässigkeit auftreten, und daher vorhersagbar und gegebenenfalls steuerbar sind (Trommsdorff 1994: 34). Aus handlungstheoretischer Sicht stellen Kontrollüberzeugungen demnach situationsspezifische Handlungs-Ergebnis-Erwartungen dar (Diewald et al. 1996: 222). Sie beinhalten situative und zeitlich stabile Überzeugungen einer Person darüber, wie stark bestimmte Ereignisse und Prozesse durch eigenes Handeln beeinflusst werden. In der empirischen Wahl- und Partizipationsforschung ist diese Sichtweise durchaus bekannt (Campbell et al. 1954; Lane 1959). So haben Almond und Verba (1963) auf die Bedeutung subjektiver politischer Kompetenz hingewiesen. So ist eine subjektiv kompetente Person eher politisch aktiv. Wenn eine Person überzeugt ist, dass die Regierungspolitik ausserhalb ihres Einflussbereiches liegt, dann wird sie auch nicht versuchen, diese zu beeinflussen. D.h. das Ausmass, in dem sich Bürger als kompetent fühlen, die Politik durch politische Aktivitäten beeinflussen zu können, steuert auch ihr tatsächliches politisches Verhalten (z.B. die Beteiligung an politischen Wahlen). Somit handelt es sich um ein Persönlichkeitskonstrukt, das aus Kontingenzerfahrungen zwischen eigenem Handeln und den Handlungskonsequenzen resultiert (Krampen 1987, 1998).

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70 ROLF BECKER

zeugungen der eigenen oder fremdbestimmten politischen Wirksamkeit (internal und external political efficacy) bestimmt (Vetter 2000, 1998).

Unter “internal political efficacy” wird die individuelle Wirksamkeits-überzeugung verstanden. Demnach sieht sich ein Individuum in der Lage, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln politischen Einfluss auszuüben (Finkel 1985: 892893). Deswegen dürften diese Personen eher erwarten, dass Wählen ein effektives Instrument ist, um politischen Einfluss auszuüben (Finkel 1985: 902). So ist im Hinblick auf anstehende Wahlen anzunehmen, dass ausgeprägte Kausalitäts- und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen über wahlbezogene Akti-vitäten dazu führen, dass eine Person nicht nur vom Sinn und Zweck der Be-teiligung an Wahlen überzeugt ist, sondern höchstwahrscheinlich auch selbst wählen geht (Krampen 1998: 81). Sie tut dies aus dem Grunde, weil sie recht genau weiss und davon überzeugt ist, dass die Wahlbeteiligung das geeignete Mittel ist, um als Bürger die Politik der Regierung beeinflussen zu können.

Die “external political efficacy” stellt auf die Reaktivität des politischen Systems ab (Finkel 1985: 893). Demnach erwarten Bürger, dass Regierungen, Parteien und ihre Kandidaten neben anderen Einflussversuchen auf ihr Wahlverhalten reagieren und auf die politischen Präferenzen der Wähler eingehen. Dies würde der bereits beim kognitiven Prozess des Framing hervorgehobenen Sinngebung von Handlungen in bestimmten Situationen entsprechen. Denn ohne die gelernte Wirksamkeitsüberzeugung, dass das politische System im Austausch auf Einflussversuche der Bürger in angemessener Weise reagiert, würden Wahlbeteiligungen von den Bürgern als sinnlos erscheinen und sie würden – wie es in der DDR der Fall war – nur dann wählen, wenn sie dazu verpflichtet oder gar gezwungen werden. Daraus kann die Annahme abgeleitet werden, dass Wähler nicht nur deswegen vom Sinn des Wählens überzeugt sind, weil ihnen diese Möglichkeit der Partizipation offen steht und sie diese nutzen können, sondern weil die zur Wahl stehenden Akteure auf politische Präferenzen reagieren, die vom Elektorat durch Wahlbeteiligungen und anderen politischen Aktivitäten zum Ausdruck gebracht werden. Ob bei der subjektiv eingeschätzten Einflusserwartung für Wahlbeteiligungen die internale oder externale Wirksamkeitsüberzeugung dominiert, ist eine empirische Frage (Finkel 1985: 894).

Aus guten Gründen kann aber angenommen werden, so die dritte Hypothese, dass der Zusammenhang von political efficacy und subjektiver Einflusserwartung in Bezug auf Wahlen bei ostdeutschen Bürgern ausgeprägter ist als bei den Westdeutschen (Vetter 2000: 89). Weil in der DDR-Diktatur der eigene politische Einfluss auf die Regierung aus strukturellen Gründen nicht gegeben war, also den Bürgern aussichtslos erschien, müssten wegen gewonnener Wahlmöglichkeiten die Einflüsse von internalen Wirksamkeitsüberzeugungen auf die subjektive Einflusserwartung bei den Ostdeutschen vergleichsweise gross sein.

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POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 71

Da – wie bereits gesehen – die politische Führung der DDR nicht in der Weise auf die politischen Einflussnahmen ihrer Bürger reagierte, wie dies in demokratischen Systemen die Regel ist, müsste nicht zuletzt wegen der jüngsten Erfahrungen mit der bundesdeutschen Demokratie der Zusammenhang zwischen external political efficacy und subjektiver Einflusserwartung bei den Ostdeutschen ausgeprägter sein als bei den Westdeutschen. Wenn bei ostdeutschen Bürgern politische Wirksamkeitsüberzeugungen vorhanden sind, dann beeinflussen sie die subjektive Einflusserwartung in Bezug auf Wahl-beteiligungen besonders stark.

Datenbasis und Beschreibung der Variablen

Datengrundlage

Die empirischen Analysen basieren auf Daten der “Allgemeinen Bevölkerungs-umfrage der Sozialwissenschaften” (ALLBUS) aus dem Bundestagswahljahr 1998.12 Der Befragungsschwerpunkt des ALLBUS 1998 war “Politische Parti-zipation und Einstellungen zum politischen System”. Neben Informationen über vergangene, zukünftige und an Bedingungen geknüpfte Teilnahmen an politischen Wahlen, konventionellen und unkonventionellen, legalen und illegalen Partizipationsformen wurden auch Fragen zu subjektiven Einfluss- und Kompetenzerwartungen sowie zu Kontroll- und Kausalitätsüberzeugungen gestellt. Angaben zur politischen Wirksamkeitsüberzeugung ermöglichen detaillierte Analysen über subjektiv wahrgenommene Möglichkeiten, auf Politik und Regierung einwirken zu können, sowie subjektiv perzipierte Handlungs-möglichkeiten in Bezug auf alternative Formen politischer Partizipation. Die empirischen Analysen beschränken sich auf den Kreis wahlberechtigter Befragten, die zur “Sonntagsfrage” (“Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie dann wählen?”) eine eindeutige Wahlabsicht geäussert haben, so dass eindeutig zwischen potentiellen Wählern und bekennenden Nichtwählern unterschieden werden kann.

12 Für Analysen auf der Individualebene wird – wie von ZUMA empfohlen – vom Design her eine Transformationsgewichtung vorgenommen. Um das “over-sampling” für Ostdeutschland auszugleichen, wird auf der Personalebene eine Disproportionalitätsge-wichtung vorgenommen (Koch et al. 1999: 3941). Bei Analysen für Gesamtdeutschland wird daher das Transformations- und Disproportionalitätsgewicht auf der Personenebene berücksichtigt.

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72 ROLF BECKER

Abhängige Variablen

Die (erste) abhängige Variable für den Prozess der Selektion kognitiver Rahmen (Framing) ist die zukünftige Wahlbeteiligung, die mittels der “Sonntagsfrage” gemessen wird. Die Referenz dieser 0/1-kodierten Variablen ist die Wahlenthaltung.13

Die (zweite) abhängige Variable für die Bestimmung von Determinanten der subjektiven Erwartung, die Politik persönlich durch Wahlbeteiligung beeinflussen zu können, ist die Stärke der subjektiven Einflusserwartung. Sie bemisst sich an der Erwartung einer Person, mit einer bestimmten subjektiv gebildeten Erfolgs- wahrscheinlichkeit mittels der Wahlbeteiligung persönlich handelnd Einfluss auf die Politik nehmen zu können.14 Die Stärke ihrer Einflusserwartung konnte die befragte Person auf einer Skala mit den Werten von 1 für “Ich kann persönlich dadurch überhaupt nicht auf die Politik Einfluss nehmen” bis 7 für “Ich kann persönlich dadurch auf die Politik sehr stark Einfluss nehmen” einstufen.

Unabhängige Variablen

Eine für unsere Fragestellung bedeutsame unabhängige Variable ist die individuelle Kausalitätsüberzeugung, dass die eigene Wahlbeteiligung ein wirksames Mittel

13 Ohr und Rattinger (1993) haben in überzeugender Weise empirisch gezeigt, dass die “Sonntagsfrage” sowohl ein valider als auch ein reliabler Indikator für die Wahlabsicht ist. Sie erbringt desto bessere Ergebnisse für die Vorhersage von Wahlentscheidung und Wahlverhalten, je näher der Wahltermin rückt. Dies ist beim ALLBUS 1998 der Fall. Denn die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum von März bis Juli 1998, und die darauf folgende Bundestagswahl fand Ende September 1998 statt. Andererseits ist mit den komparativstatischen ALLBUS-Daten insofern ein methodisches Problem verbunden, als dass anfangs argumentiert wurde, dass sich sowohl die Ausprägung der Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung als auch die subjektive Definition der sozialen Situation im Wahlkontext mit der Nähe zum Wahltermin verändert. Da wir nur einen Beobachtungszeitpunkt haben, können solche Veränderungen nicht gemessen werden. Daher beschränkt sich die Analyse auf die Feststellung einer gegenwärtigen Einflusserwartung mit ihren Korrelaten und deswegen sind die empirischen Befunde und die Hypothesentests vor diesem Hintergrund zu beurteilen. Was die Definition der sozialen Situation anbelangt, so wird unterstellt, dass diese auch mit der Präsentation der Items zur politischen Partizipation im Allgemeinen und zum Wahlverhalten im Besonderen erfolgt.

14 Der Fragetext lautet: “Kommen wir noch einmal zu den unterschiedlichen politischen Aktivitäten. Bitte sagen Sie mir, in welchem Maße Sie persönlich auf die Politik Einfluss nehmen könnten, wenn Sie die Handlungen, die auf diesen Karten beschrieben sind, ausführen würden. Der Wert 1 bedeutet, dass Sie persönlich dadurch überhaupt nicht auf die Politik Einfluss nehmen könnten, der Wert 7 bedeutet, dass Sie persönlich dadurch auf die Politik sehr stark Einfluss nehmen könnten. Mit den Werten dazwischen können Sie abstufen”. Für die Wahlbeteiligung konnte eine befragte Person anhand der Karte “Indem ich mich an Wahlen beteilige” die entsprechende Abstufung vornehmen. Andere Formen politischer Partizipation konnten die Befragten in der gleichen Weise beurteilen.

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POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 73

ist, über das man als wahlberechtigte Person auch verfügt, um persönlich Einfluss auf die Politik auszuüben oder eigene Interessen zu artikulieren.15 Zum einen wird diese Variable bei der Anwendung des Rahmungskonzeptes verwendet, um zu zeigen, ob im Kontext von Wahlen die Wahlbeteiligung eher als eine angemessene Handlung angesehen wird als andere Formen politischer Partizipation. Zum anderen dient sie als kognitionspsychologische Grösse, um die rational kalkulierende oder habituelle Wahlbeteiligung abzubilden.

Zur Messung der political efficacy werden in Anlehnung an Vetter (1997) folgende Items verwendet: Die internale Wirksamkeitsüberzeugung umfasst die Items, selbst in einer politischen Gruppe aktiv werden zu können bzw. dass die Politik zu komplex sei. Die externale Wirksamkeitsüberzeugung wird mit den beiden Items, dass die Politiker Rücksicht auf die Gedanken der Bürger nehmen bzw. dass sie die Interessen der Bevölkerung berücksichtigen, gemessen. Im Vergleich zum Messmodell, das Vetter (1997) auf Basis umfassender Analysen vorgeschlagen hat, ist unsere Messung von political efficacy mangels alternativer Items im ALLBUS 1998 als suboptimal zu bezeichnen. Dies gilt auch für die Extraktion der Dimensionen politischer Wirksamkeitsüberzeugungen mit Hilfe der Faktorenanalyse. So ist die Extraktion von zwei Faktoren, die internale und die externale politische Kompetenz und Wirksamkeitsüberzeugung, mit einem Kaiser-Meyer-Olkin-Mass von 0,544 und den erklärten Varianzen für die beiden Faktoren von jeweils 38 und 28 Prozent − wie bei vielen Studien zur Messung von political efficacy − nicht zufrieden stellend.

Empirische Befunde

Formen politischer Partizipation und ihre Auswahl

Betrachten wir in Grafik 1 die prozentualen Anteile von denjenigen Wahlberechtigten, die gegebenenfalls die Beteiligung an Wahlen vorsehen, um politisch in einer Sache, die ihnen wichtig ist, Einfluss nehmen oder ihren Standpunkt zur Geltung bringen wollen, im Vergleich zu den anderen Formen politischer Aktivitäten.

15 Der originale Fragetext lautet: “Wenn Sie politisch in einer Sache, die Ihnen wichtig ist, Einfluss nehmen, Ihren Standpunkt zur Geltung bringen wollten: Welche der Möglichkeiten auf diesen Karten würden Sie dann nutzen, was davon käme für Sie in Frage?”. Eine der Antwortmöglichkeiten war, sich an Wahlen zu beteiligen.

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Grafik 1: Vergleich von potentiellen und praktizierten Formen politischer Partizipation in West- und Osteuropa (prozentuale Anteile)

Quelle: ALLBUS 1998 - eigene Berechnungen

Die meisten ost- wie westdeutschen Bürger sehen in der Wahlbeteiligung offensichtlich die wichtigste instrumentelle politische Handlungsform. Fast ebenso viele der Wahlberechtigten haben sich bereits an Wahlen beteiligt. Im Vergleich zur Wahlbeteiligung scheinen andere Partizipationsformen ent-sprechend der FST sekundär. Allerdings unterscheiden sich die ostdeutschen Bürger in der Einschätzung von Wahlbeteiligungen und der politischen Praxis signifikant von den Westdeutschen. Dieser Befund unterstützt die erste Hypo-these.

Dieser Befund wird durch multivariate logistische Regressionen zusätzlich untermauert. Im Hinblick auf Wahlen werden wahlbezogene Aktivitäten anderen Formen politischer Partizipation vorgezogen, weil im Kontext einer an-stehenden Bundestagswahl die Beteiligung an der Wahl als die sinnvollste, weil nützlichere Form politischer Partizipation gesehen wird (Tabelle 1).

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Potentielle Aktivität (West)Praktizierte Aktivität (West)Potentielle Aktivität (Ost)Praktizierte Aktivität (Ost)

Page 19: Political Efficacy und Wahlbeteiligung in Ost- und Westdeutschland

POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 75

Tabelle 1: Auswahl von "sinnvollen" Formen der politischen Einflussnahme und ihr Einfluss auf die zukünftige Wahlbeteiligung deutscher Bürger in Ost- und Westdeutschland ("Sonntagsfrage")1

West Ost

Potentielle Einflussnahme über…

eigene Wahlbeteiligung 4.29*** 4.95***

eigene Wahlabstinenz 1/4.39*** 1/3.46*

Wahl anderer Partei 1.28 2.86

Teilnahme an öffentlicher Diskussion 1.71* 2.15

Teilnahme an Unterschriftensammlung 1/1.56 1.65

Teilnahme an Bürgerinitiative 1.54 1/1.27

Teilnahme an Parteimitarbeit 1.33 3.28

Teilnahme an genehmigter Demonstration 2.34** 1/2.26

Teilnahme an ungenehmigter Demo 1/1.05 1/1.61

Teilnahme an Verkehrsblockade 1/1.26 2.68

Teilnahme an Besetzungsaktion 1/1.25 1/2.11

Pseudo-R² 0.126 0.150

N 1455 610

1 Logit-Regression (Odds Ratio; negative Werte der LogitKoeffizienten werden als Kehrwert des entsprechenden Odds Ratio-Wertes dargestellt). * ≤ £ 0.05; ** p £ 0.01; *** p ≤ 0.001.Quelle: ALLBUS 1998 − eigene Berechnungen.

Dieses Ergebnis ist auch nicht verwunderlich, weil das mögliche Handlungsset der institutionalisierten politischen Partizipation und Einflussnahme auf die Politik in Deutschland eng begrenzt ist und offensichtlich auch so von den Bürgern gesehen wird. So ist bei den Westdeutschen die Chance rund 4,3 Mal und bei Ostdeutschen rund 5 Mal grösser, dass sich Bürger an einer Wahl be-teiligen werden, wenn sie glauben, dass das Wählen eine sinnvolle Strategie ist, um politischen Einfluss auszuüben, als wenn sie nicht davon überzeugt sind. Wenn dahinter rationale Kalkulationen stehen, dann räsonieren Ostdeutsche – entsprechend der zweiten Hypothese – offensichtlich eher über Sinn und Zweck einer Wahlbeteiligung als Westdeutsche. Zwar ist der Einfluss der Ansicht, ge-gebenenfalls sich an Wahlen zu beteiligen, um politischen Einfluss zu nehmen, auf die Wahlbeteiligung bei den Ostdeutschen grösser als bei den Westdeutschen, aber diese Unterschiede sind zufällig. Damit wird die zweite Hypothese partiell unterstützt – vor allem dann, wenn die signifikant unterschiedlichen Neigungen für Wahlabstinenz berücksichtigt werden, die für Westdeutschland deutlich höher sind.

Page 20: Political Efficacy und Wahlbeteiligung in Ost- und Westdeutschland

76 ROLF BECKER

Grafik 2: Subjektiv wahrgenommene Einflussmöglichkeiten wahlberechtigter Personen in der Bundesrepublik Deutschland – Vergleich zwischen Formen der politischen Aktivitäten nach ihrer Stärke*

* Mittelwerte für die Skala von “1 = überhaupt nicht” bis “7 = sehr stark”.Quelle: ALLBUS 1998 – eigene Berechnungen.

Ferner ist die subjektive Erwartung, politisch Einfluss nehmen zu können, für die Wahlbeteiligung im Vergleich zu anderen Formen politischer Partizipation am meisten ausgeprägt (Grafik 2). Die erwartete Wahrscheinlichkeit, selbst politischen Einfluss auf politische Prozesse und Regierung nehmen zu können, ist daher für die Beteiligung an politischen Wahlen am grössten – signifikant grösser als für andere politische Aktivitäten. So gesehen, ist in den Augen der Bürger die Wahlbeteiligung die effektivste wie effizienteste Form einer politischen Partizipation, um mit grosser Erfolgswahrscheinlichkeit und ohne allzu grossen Aufwand aktiv die Politik beeinflussen zu können.

Es gibt Unterschiede zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Während der Mittelwert der Einflusserwartung bei 5,13 liegt, beträgt er für die Westdeutschen 5,16 und für die Ostdeutschen 4,98. Die Mittelwertunterschiede sind nur auf dem 6-Prozent-Niveau signifikant und bestätigen somit bedingt die Annahme, dass aufgrund unterschiedlicher Sozialisationen und Lebenserfahrungen die Stärke der subjektiven Erwartung, über die Beteiligung persönlich Einfluss auf politische Prozesse ausüben zu können, bei den ostdeutschen Wählern geringer ausgeprägt ist als bei den westdeutschen Bürgern. Ostdeutsche beteiligen sich nicht nur seltener an Wahlen, sondern ein grösserer Anteil von ihnen ist entsprechend der ersten Hypothese eher als Westdeutsche nicht davon überzeugt,

2.212.46

5.13

3.68 3.65 3.54

1.862.11

3.063.14

3.94

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DeutschlandWestdeutschlandOstdeutschland

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POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 77

dass die Beteiligung an politischen Wahlen ein geeignetes Mittel ist, um politischen Einfluss auszuüben.

‘Framing’ und Wahlbeteiligung

Es wurde bislang – auch wenn die Definition der politischen Situation nicht direkt gemessen werden konnte – festgestellt, dass entsprechend der FST im Kontext von Wahlen die Wahlbeteiligung in “sinnhafter” Weise anderen politischen Aktivitäten vorgezogen wird. In der theoretischen Darstellung wurde argumentiert, dass im Kognitionsprozess die Auswahl einer politischen Aktivität auch mit subjektiven Erwartungen verknüpft wird, mit dieser Hand-lungsalternative auch erfolgreich politischen Einfluss ausüben zu können. Um empirisch zu zeigen, dass die subjektive Einflusserwartung ein integraler Bestandteil des Framing im Kontext anstehender Wahlen ist, wird die Rolle die-ser Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung untersucht.16

Zunächst ist für die subjektive Interpretation der sozialen Situation fest-zustellen, dass lediglich die Einflusserwartungen für Wahlbeteiligung und Wahlabstinenz signifikante Einflüsse auf eine (beabsichtigte) Wahlbeteiligung haben (Tabelle 2). Dabei hat die Wahlbeteiligung grösseres Gewicht als die Wahl-enthaltung, was den Tatbestand vergleichsweise hoher Wahlbeteiligungen in Deutschland miterklären könnte.

16 Für den Grössenvergleich mit anderen politischen Aktivitäten wird das statistische Verfahren der logistischen Regression angewandt, um den Einfluss politischer Aktivitäten auf die beabsichtige Wahlbeteiligung zu schätzen (Andreß et al. 1997: 272). Die Schätzergebnisse werden in Form von Effektkoeffizienten (Odds Ratio) dargestellt. Ein (unstandardisierter) Effektkoeffizient ist der Anti-Logarithmus des geschätzten Logit-Koeffizienten und stellt das Chancenverhältnis für die Wahl einer Partei in Abhängigkeit der Ausprägung der betrachteten unabhängigen Variablen dar (‘Odds Ratio‘). Beispielsweise beträgt bei den Westdeutschen der Effekt der Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung auf die beabsichtigte Wahlbeteiligung 1,56. Demnach erhöht sich mit der Zunahme dieser Einflusserwartung um eine Einheit die relative Chance für eine Wahlbeteiligung um das 1,56-fache oder um (1,56-1)*100 = 56 Prozent. Negative Logit-Koeffizienten werden als Kehrwert des Effekt-Koeffizienten dargestellt. Multipliziert man Effekt-Koeffizienten mit ihrer Standardabweichung, so erhält man einen standardisierten Odds Ratio-Wert, der einen direkten Vergleich mit anderen Odds Ratio-Werten im selben Schätzmodell erlaubt.

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78 ROLF BECKER

Tabelle 2: Einfluss von subjektiven Einflusserwartungen auf die zukünftige Wahlbeteiligung deutscher Bürger in Ost- und Westdeutschland1

West Ost

Ausmass der Einflussnahme über…

eigene Wahlbeteiligung 1.56*** 1.66***

(2.20) (2.44)

eigene Wahlabstinenz 1/1.18* 1/1.38*

(1/1.34) (1/1.75)

Wahl anderer Partei 1.02 1.18

Teilnahme an öffentlicher Diskussion 1.10 1.20

Teilnahme an Unterschriftensammlung 1.11 1/1.00

Teilnahme an Bürgerinitiative 1.20 1/1.04

Teilnahme an Parteimitarbeit 1/1.06 1.17

Teilnahme an genehmigter Demonstration 1.07 1.03

Teilnahme an ungenehmigter Demo 1.12 1.03

Teilnahme an Verkehrsblockade 1.02 1/1.12

Teilnahme an Besetzungsaktion 1/1.17 1.03

Pseudo-R² 0.169 0.222

N 1528 674

1 Logit-Regression (Odds Ratio und in Klammern: standardisierte Odds Ratio-Werte): Negative Logit-Koeffizienten werden als Kehrwert des Odds Ratio-Wertes dargestellt. *p ≤ 0.05; ** p ≤ 0.01; *** p ≤ 0.001.Quelle: ALLBUS 1998 − eigene Berechnungen.

Ferner war als zweite Hypothese angenommen worden, dass wegen unter-schiedlicher politischer Sozialisationen die ostdeutschen Bürger eher über Sinn und Zweck einer Wahlbeteiligung räsonieren als Westdeutsche. Werden die Effektstärken der wahlbezogenen Einflusserwartungen als Indikatoren für den Grad des Nachdenkens im Rahmungsprozess herangezogen, dann scheint sich die Hypothese zu bestätigen. Demnach folgen Westdeutsche aufgrund der längeren Erfahrung mit demokratischen Wahlen eher habituell dem Wahlaufruf. Jedoch sind diese Ost-West-Unterschiede wiederum zufällig. Dieser Befund weist darauf hin, dass möglicherweise eher die Parteidifferentiale (Erwartung zukünftiger Wohlfahrtsnutzen und Bewertungen realisierter Nutzen) ausschlaggebend für die Wahlbeteiligung sind als die subjektiven Einflusserwartungen. In theoretischer Hinsicht ist bei der langen wie kontroversen Debatte über das paradox of voting

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POLITICAL EFFICACY UND WAHLBETEILIGUNG 79

vor allem die Bedeutung der subjektiven oder a priori abgeleiteten Erfolgswahr-scheinlichkeit für die tatsächliche Wahlbeteiligung offensichtlich überschätzt worden.

Wirksamkeitsüberzeugungen und Einflusserwartungen

Der Einfluss von Faktoren auf die Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung wird mit Hilfe der linearen multiplen OLS-Regression untersucht (Brüderl 2000: 592). Entsprechend der dritten Hypothese hängt die Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung mit eigenen Kontroll- und Wirksamkeitsüberzeugun-gen zusammen und dieser Zusammenhang ist bei den ostdeutschen Bürgern – allerdings nur, gemessen an der statistisch erklärten Varianz, geringfügig – ausgeprägter als bei den Westdeutschen (Tabelle 3).17

Tabelle 3: Einfluss von politischer Wirksamkeitsüberzeugung (political efficacy) auf die subjektive Erwartung, die Politik persönlich durch Wahlbeteiligung beeinflussen zu können1

West Ost

Internal political efficacy 0.133*** 0.322***

(.077) (.169)

External political efficacy 0.284*** 0.347***

(.162) (.182)

Adjusted R² 0.03 0.06

N 1679 373

1 OLS-Regression (unstandardisierte Regressionskoeffizienten; in Klammern: standardisierte Regressionskoeffizienten). * p ≤ 0.05; ** p ≤ 0.01; *** p ≤ 0.001.Quelle: ALLBUS 1998 — eigene Berechnungen.

Die externale Wirksamkeitsüberzeugung hat einen grösseren Einfluss auf die subjektive Einflusserwartung als die internale Wirksamkeitsüberzeugung und dieser Zusammenhang ist bei den Westdeutschen ausgeprägter als bei den Ostdeutschen. Wie wegen unterschiedlicher Sozialisationskontexte und politischer Erfahrungen theoretisch erwartet wurde, sind die Einflüsse von

17Hier nicht dokumentierte Detailanalysen zeigen, dass Individuen, die überzeugt sind, dass sie in einer politischen Gruppe aktiv werden könnten, eine stärker ausgeprägte Einflusserwartung haben als Personen mit einer schwachen internalen Kontrollüberzeugung. Die subjektive Einschätzung, die Politik sei zu komplex, spielt keine Rolle für die Einflusserwartung. Dagegen haben Personen, die davon überzeugt sind, dass sich Politiker nicht nur um die Belange der Bevölkerung kümmern, sondern auch um die der einzelnen Wähler, ausgeprägte wahlbezogene Einflusserwartungen.

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80 ROLF BECKER

Wirksamkeitsüberzeugungen auf die Einflusserwartungen bei den ostdeutschen Bürgern ausgeprägter als bei den Westdeutschen. Dass die Grössenunterschiede für die internal und external political efficacy bei den Ostdeutschen geringer sind als bei den Westdeutschen, dürfte vermutlich ebenfalls auf solchen Sozialisa-tionseffekten beruhen, wonach sowohl die individuelle Wirksamkeit als auch die Reaktivität des DDR-Regimes auf das Wahlverhalten der DDR-Bürger sehr gering war, während im politischen System der Bundesrepublik andere Ein-flussmöglichkeiten perzipiert werden.

Jedoch sind weiterführenden Analysen zufolge diese Unterschiede zwi-schen den Ost- und Westdeutschen wiederum nur zufällig. Das ist insofern über-raschend, als dass man aufgrund der politischen Sozialisation und Erfahrungen in unterschiedlichen politischen Systemen signifikante Unterschiede beim Einfluss von political efficacy auf die Einflusserwartung erwartet hätte. Zum einen sollte die frühere politische Sozialisation nicht überbewertet werden. Möglicherweise sind zum anderen die herangezogenen Querschnittsdaten wenig geeignet, Genese und Entwicklung der Einflusserwartung zu rekonstruieren.18 Schliesslich ist bei alledem zu bedenken, dass – gemessen an der statistisch erklärten Varianz von 3 bis 6 Prozent – die Güte der Modellschätzungen sehr bescheiden ist. Es gibt – abgesehen von den hier aus theoretischen Gründen nicht weiter berücksichtigten soziodemographischen Hintergrundinformationen – offenkundig Faktoren, wie z.B. die Struktur oder der historische Zeitpunkt der primären und sekundären politischen Sozialisation, die die Verteilung der Einflusserwartungen für Wahlbeteiligungen besser abbilden können (Becker und Mays 2003). Solche Faktoren konnten hier mangels verfügbarer Daten nicht berücksichtigt werden. Allerdings erbrachte beispielsweise die Berücksichtigung von behelfsmässig abgegrenzten Kohorten, die durch unterschiedliche politische Perioden sozialisiert wurden, keine Verbesserung der Modellschätzungen.

Schlussbetrachtung

Ziel des vorliegenden Beitrages war, empirisch zu klären, ob die Beteiligung an den Bundestagswahlen im Allgemeinen und die jeweils unterschiedlichen Wahlbeteiligungen in Ost- und Westdeutschland im Besonderen neben der

18 Weiterführende Analysen haben – bei Kontrolle der Kontrollstrategien und Kontrollüberzeugungen – bei den Ostdeutschen keine Kohortendifferenzierung für die Einflusserwartung ergeben, während bei den Westdeutschen die nach 1963 Geborenen geringere Einflusserwartungen aufweisen als die älteren Bürger. Für die anderen Komponenten der internalen und externalen Kontrolle liegen keine Kohortenunterschiede vor. Für die endgültige Beurteilung bedarf es aber Längsschnittdaten, die im Kohortendesign ausgewertet werden können (Mays und Becker 2003; Becker 2001).

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Bewertung des Politikangebots auch auf subjektiven Einschätzungen der Wähler über Sinn und Zweck der eigenen Wahlbeteiligung beruhen. Es war davon ausgegangen worden, dass sich ost- und westdeutsche Bürger in ihrer Beurteilung unterscheiden, die Beteiligung an politischen Wahlen sei eine effektive Form politischer Beteiligung, die eher als andere Formen politischer Partizipation geeignet ist, als Bürger die Regierungspolitik beeinflussen zu können. Theoretisch wie empirisch offen war die Frage, von welchen Faktoren die Struktur und die Stärke dieser Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung abhängen. In theoretischer Hinsicht wurde angenommen, dass die subjektive Definition der sozialen und politischen Definition sowie psychologische Dis-positionen wie Kontroll- und Wirksamkeitsüberzeugungen wichtige Ein-flussfaktoren für Richtung und Größe der Einflusserwartung für die Wahl-beteiligung darstellen. Mit Hilfe der Frame Selection Theory wurden diese wahrnehmungs- und kognitionspsychologischen Prozesse und Dispositionen in ein handlungstheoretisches Konzept der Wahlentscheidung und des Wahlverhaltens zu integrieren versucht.

Die empirischen Analysen mit Querschnittsdaten des ALLBUS 1998 bestäti-gen die aus diesen Theorien abgeleiteten Hypothesen weitgehend, wobei zu berücksichtigen ist, dass die komparativstatischen Analysen nur bedingt ge-eignet sind, Sozialisationseffekte und psychologische Prozesse abzubilden. Daher haben die vorgelegten Ergebnisse eher einen explorativen Charakter, der auf theoretische und empirische Defizite in der empirischen Wahlforschung aufmerksam machen und weiterführende Forschung anregen soll. Die Wahl-beteiligung ist in den Augen deutscher Bürger offensichtlich die effektivste und effizienteste Form politischer Partizipation, um mit geringem Aufwand, aber mit einer grossen Erfolgswahrscheinlichkeit aktiv die Politik beeinflussen zu können. Zwar ist die Einflusserwartung für die Wahlbeteiligung und die Einschätzung der Wahlbeteiligung als instrumentelle politische Aktivität bei den Ostdeutschen geringer ausgeprägt als bei den Westdeutschen. Jedoch finden sich empirische Hinweise dafür, dass diese subjektiven Erwartungen und Beurteilungen nicht ausschlaggebend sind für die vergleichsweise niedrigeren Wahlbeteiligungen des ostdeutschen Elektorats. Eher ist davon auszugehen, dass Ost-West-Unterschiede in erwarteten Vor- und Nachteilen, die sich aus den Aktivitäten der Regierungs- und Oppositionsparteien ergeben, für die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen in den beiden Teilen Deutschlands ausschlaggebend sind.

Kehren wir zum anfangs diskutierten Paradox der Wahlbeteiligung zurück: Angesichts der vorgelegten empirischen Befunde ist die Bedeutung der subjektiven oder a priori abgeleiteten Erfolgswahrscheinlichkeit für die tatsächliche Wahlbeteiligung bis-lang überschätzt worden. Vielmehr bietet es sich an, die ursprüngliche Annahme einer geringen, gegen Null tendierenden Erfolgswahrscheinlichkeit, mit der

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eigenen Stimme die Wahl zu entscheiden, durch die subjektive Erwartung, mit der Beteiligung an politischen Wahlen die Politik eher beeinflussen zu können als mit anderen politischen Aktivitäten, zu ersetzen. Würde sich dieser Vor-schlag immer wieder empirisch bewähren, dann wäre dies auch ein weiterer Beleg dafür, dass psychologisch unterfütterte Handlungstheorien generell in der Lage sind, das Wahlverhalten zu beschreiben und zu erklären. Was die Rolle der Einflusserwartung – d.h. die subjektiv erwartete Wahrscheinlichkeit, dass die Beteiligung an Bundestagswahlen am ehesten zur Beeinflussung politischer Herrschaft führt – anbelangt, sollte trotz ihrer prognostischen Bedeutung für die Wahlbeteiligung ihr alleiniger Stellenwert im Prozess der individuellen Wahlbeteiligung nicht überschätzt werden. Die subjektive Erwartung, mit der Wahlbeteiligung Einfluss auf die Politik nehmen zu können, ist ein wichtiges, aber sicherlich nicht alles entscheidende Kriterium für die Wahlbeteiligung an sich. Bekanntlich ist bislang noch keine einzige Demokratie daran gescheitert, weil die Bürger das Wählen als sinnlos erachteten und sich deswegen in Wahlabstinenz geübt haben.

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Political Efficacy and Voter Turnout in East and West Germany

Why are the voter turnouts in East Germany lower than in West Germany? It is assumed that East German voters are less convinced to have influence on politics by voting. For empirical analysis, the cross-sectional data of the German General Social Survey 1998 (ALLBUS) has been used. It has been found for the subjectively expected influence by voting that the significance of the difference among both parts of the electorate is weak. Therefore, it is concluded that these differences are not the crucial criteria of different voter turnout. However, the strength of the expected political influence by voting depends on individuals’ belief in both the own competence and the response of the political system. The effects of individuals’ political efficacy are much stronger for the East Germans than for the West German voters.

Participation aux élections au Bundestag en Allemagne orientale et en Allemagne occidentale

L’article cherche à déterminer pourquoi la participation aux élections au Bundestag est plus faible en Allemagne orientale qu’en Allemagne occidentale. Une hypothèse parmi d’autres avance que les électeurs est-allemands sont moins convaincus que leur participation électorale peut avoir une influence politique. L’analyse empirique s’appuie sur des données transversales issues du German General Social Survey (ALLBUS) de 1998. Elle montre que les votants est-allemands ne sont pas significativement plus pessimistes que leurs homologues de l’Ouest quant à leurs possibilités d’exercer une influence politique. Ainsi, le sentiment de pouvoir peser sur la politique importe peu pour expliquer les différences de participation. Par ailleurs, l’impression de pouvoir changer quelque chose à la politique dépend — davantage chez les Allemands de l’Est que chez les Allemands de l’Ouest — du degré auquel les individus sont convaincus à la fois de leurs propres compétences politiques et de la réceptivité du système politique.

Prof. Dr. Rolf Becker, born 1960, Professor and director of the department of sociology of education at University of Bern (Switzerland); Study of sociology and political science at University of Mannheim (1987 Diploma), Ph.D. at Free University of Berlin (1993) and Habilitation at Dresden University of Technology (1999).

Author’s Address: Prof. Dr. Rolf Becker, University of Bern, Institute of Education, Dep. of Sociology of Edcuation, Muesmattstrasse 27, CH-3012 Bern, Switzerland, Tel. +41 (0)31 631 5351 (direct), Tel. +41 (0)31 631 5353 (sec.), Fax. +41 (0)31 631 5352, Email: [email protected]