Politik und Medien - gefährliche Nähe oder notwendige Distanz?

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  • 7/22/2019 Politik und Medien - gefhrliche Nhe oder notwendige Distanz?

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    politik und medien

    gefhrliche nhe odernotwendige distanz?

    magazin fr politische entscheidungen

    ausgabe 08 / frhjahr 2014www.hammelsprung.net

    u.a. mit

    Prof. Dr. Christoph Bieber

    Klaus Kamps

    Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte

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    Ham|mel |sprung, der;

    (1) parlamentarisches Abstimmungsverfahren, bei

    dem die Abgeordneten den Plenarsaal verlassen und

    ihn zur Zhlung ihrer Stimmen durch eine von drei

    Tren betreten, die jeweils fr Ja, Nein oder Enthaltung

    stehen;

    (2) berparteiliches und unkommerzielles politisches

    Magazin an der NRW School of Governance in Duis-

    burg, von Studierenden gegrndet und im Dezember

    2009 erstmalig erschienen.

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    spot aus die medienpolitik und ihr schattendaseinmedialer akteur oder nur mediator?vom gebhrenzahler zum stakeholdermeinungsbilder oder meinungs-bilder?medien und moral oder: wer bestimmt, wann der rubikon berschritten ist

    drei fragen an ... dunja hayalidas web 2.0 als politischer raummediensensible meinungsfreiheitdie medien als legitimatorische achillesferse der politik?der hammelsprung: medialisierung der politik?medienkanzler nur eine modeerscheinung?medien im informellen politischen verhandlungssystem

    editorialgruwortkein kommentaralumni im interview: moritz ballensiefenimpressum

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    doppelt erfreulich nun das Ergebnis dervielen Arbeit in den Hnden halten zuknnen.

    Wie schon in den Ausgaben zuvor,konnten wir uns auf die Untersttzungdes Dekanats fr Gesellschaftswissen-

    schaften und auf die NRW School ofGovernance mit ihren Verantwortli-chen verlassen und haben groe Unter-sttzung erfahren, hierfr danken wirrecht herzlich. Darber hinaus mchtenwir uns zudem bei der Kommission zurStudien- und Qualittsverbesserung derFakultt fr Gesellschaftswissenschaf-ten bedanken. Nicht nur das die Bewil-ligung unseres Finanzierungsantrags esmglich macht die achte Ausgabe in ge-druckter Version erscheinen zu lassen,so zeigt die positive Entscheidung, dass

    der Hammelsprung als Institution ander Universitt Duisburg-Essen ange-kommen und Teil des Campuslebens inDuisburg und Essen geworden ist.

    Auch in dieser Ausgabe setzt die Redak-tion auf das altbewhrte und uerst er-folgreiche Konzept, den Hammelsprungaus der Kombination von studentischenBeitrgen wie auch Beitrgen von Gstenentstehen zu lassen. Weiterhin setzenwir auf eine reduzierte Seitenzahl als in

    vorrangegangenen Ausgaben, was nichtweniger Inhalt sondern vielmehr einenzustzlichen Fokus auf das Thema Po-

    Er ist endlich da: Der neue Hammel-sprung. Das Magazin fr politische Ent-scheidungen widmet sich in seiner ach-ten Ausgabe dem Verhltnis von Politikund Medien. Ob nun die Medien strkervon der Politik beeinflusst werden, oderdie Politik zunehmend medialisiert wird

    und gar eine machtvolle vierte Gewaltdarstellt, sind nur einige Fragen die sichinnerhalb des bergeordneten Themen-komplexes stellen. Die vorliegende Aus-gabe bietet interessante Perspektiven aufdas Miteinander und auch Gegeneinan-der dieser beiden Pole.

    Weitaus einfacher lsst sich das Ver-hltnis des Hammelsprungs zu seinerFinanzierung klren. Dieses ist weiter-hin schwierig und problematisch. DerWegfall der Frderung und Unterstt-

    zung durch die Westdeutsche Allgemei-ne Zeitung konnte nach wie vor nichtim ausreichenden Mae kompensiertwerden. Ein Versuch den komplettenFinanzierungsbedarf fr eine Ausgabeber Werbekunden zu decken, so ehr-lich muss es gesagt werden, ist klglichgescheitert und hat zur massiven Ver-sptung des Erscheinens dieser Aus-gabe beigetragen. Wir bekamen einenEindruck warum es Printerzeugnisse inder letzten Zeit so schwer haben. Letzt-

    endlich war es glcklicherweise mglichdie notwendigen Mittel zu generieren.Aufgrund dieser Schwierigkeiten, ist es

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    litik und Medien legt. An dieser Stellesei ganz besonders unseren Gastauto-ren gedankt. Vielen Dank, Klaus Kamps,Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte, Prof. Dr.Christoph Bieber sowie unseren beidenInterviewpartnern Dunja Hayali und Dr.Moritz Ballensiefen.

    Kern des Hammelsprungs ist die Redak-tion, bestehend aus den Studierendender NRW School of Governance. AllenRedakteuren sowie denen die sich anden Diskussionen zu den Artikeln undderen Korrektur beteiligt haben und frdie darberhinaus gehende Unterstt-zung gilt unser Dank.

    Seit Jahren verantwortlich fr das un-verwechselbare Design und die Foto-gestaltung des Hammelsprungs sind

    unser Fotograf Thomas Bcker und un-ser Layouter Benjamin Brinkmann. IhrVerdienst ist es, dass der Hammelsprungauch in gestalterischer Hinsicht einzig-artig und als Marke klar erkennbar ist.Vielen Dank fr eure konstruktive Mit-arbeit an dieser Ausgabe.

    Die Artikel der vorliegenden Ausgabe be-handeln Polittalkshows, die Agenda derEU in Bezug auf die Medienpolitik wieauch die Medienpolitik in Deutschland

    und das Phnomen des Medienkanzlers.Sensibilitt von Medien, das Web 2.0und der mgliche Angriffspunkt der Po-

    Editorial

    Carina Burekstudiert an der NRW School of Governance und istMitarbeiterin der Fakultt fr Gesellschaftswissen-schaften. Praktische Erfahrungen sammelte sie imBundestag, beim Radio und im ZDF HauptstadtstudIm Laufe ihres Studiums spezialisierte sie sich auf Fgen zu politischer Kommunikation und Wahlanalyse

    Matthias Voigtlnderist Student an der NRW School of Governance. Zuvstudierte er European Studies an der MaastrichtUniversity und der University of Turku. PraktischeErfahrungen sammelte er im Landtag NRW sowie bden Jungen Liberalen NRW. Darber hinaus ist erkommunalpolitisch engagiert in der FDP.

    Susanne Steitzstudiert an der NRW School of Governance. Seit2010 ist sie studentische Mitarbeiterin bei Prof. Dr.Korte. Praktische Erfahrungen sammelte sie bei derStadtverwaltung Mlheim an der Ruhr im Amt frRatsangelegenheiten, bei der KommunikationsagenKetchum Pleon und im Vorstand bei DuEMUN e.V.

    litik durch die Medien sind weitere Themen der Beitrge. Darberhinaus hlt audie Komponente der Moral Einzug und wird im Kontext von Medien und Politberprft. In der Rubrik Hammelsprung in dieser Ausgabe geht die Chefredaktioder bereits zu Anfang erwhnten Frage nach, ob die Politik medialisiert wird. In sner gesamten Bandbreite und Komplexitt wird diese Ausgabe des Hammelsprunes nicht vollstndig schaffen die Fragen im Bezug auf das Titelthema zu klren. Alledings will der Hammelsprung auch immer zur Reflexion und weiterfhrendend

    Diskussion anregen. Mglichkeiten sind dafr geschaffen.

    Wer gerne direkt in eine solche Diskussion einsteigen mchte, Kommentare beizsteuern hat oder einfach konstruktives Feedback bermitteln mchte kann sich gene an die Chefredaktion wenden. Diese ist im Internet ber [email protected] und ber die Homepage www.hammelsprung.net erreichbar, aber auin den sozialen Netzwerken sind wir unter www.facebook.com/hammelsprung uwww.twitter.com/hammelsprung zu finden. Wir freuen uns ber jede Anregung.

    Abschlieend knnen wir nur noch unseren Leser fr ihre Geduld danken und wsche eine informative und unterhaltsame Lektre.

    Die Chefredaktion

    Carina Burek, Susanne Steitz und Matthias Voigtlnder

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    Die Medien haben die Bundestagswahl 2013 nicht entschieden. Die Wahlentschei-dungen der Bundesbrger sind komplex. Die Grnde fr das Kreuz auf dem Wahl-zettel folgen in Deutschland einem Kausalittstrichter: Parteizuneigung, Probleml-sungskompetenz und Personen wirken auf die individuelle Wahlentscheidung ein.Diese Trias unterscheidet deutsche Whler beispielsweise von Whlern in den USA,denn ohne Parteiendemokratie sind in den USA die Whlerbindungen traditionellviel strker auf die Person der jeweiligen Prsidenten und des Herausforderers kon-

    zentriert. Gleichwohl kann es zu zeitbedingten Abweichungen in der Balance derdrei Komponenten kommen. 2013 hat mit Sicherheit die lagerbergreifende Wert-schtzung der Politikerin Angela Merkel im Hinblick auf Integritt, Politikbilanzund krisenerprobter Zukunftslotsenfunktion den deutlichen Zugewinn der CDUmit zu verantworten. Dennoch spielen in Deutschland die drei Komponenten ausPartei, Themen und Personen eine zentrale Rolle. Das gilt sowohl im Hinblick auftraditionelle, langfristige und in sozialen Gruppen ausgeprgte Milieubindungen alsauch im Hinblick auf kurzfristige, ungebundene individuelle Spt-Entscheider. DieMedien knnen die politischen Einstellungen formen und beeinflussen. Das gilt fralle langfristigen Aspekte im Hinblick auf eine Parteiidentifikation, je nachdem, wiedie favorisierte Partei medial dargestellt wird. Aber das Bild der Kandidaten und dieAgenda der politischen Streifragen sind ebenso von der ffentlichen Darstellung inden Medien abhngig. Doch die Annahme von direkten und unmittelbar messbaren

    Einflssen der Medien auf Wahlentscheidungen der Brger ist unzutreffend. Medienwirken nicht direkt auf politische Einstellungen, sondern indirekt. Die soziale Logikpolitischer Prferenzen gilt als bewiesen: Interpersonale Einflsse wirken nicht nurauf die Partei- und Personenprferenzen ein, sondern sind auch entscheidend fr dieBereitschaft, sich berhaupt zu beteiligen.

    Interpersonale Kommunikation ist insofern eine wesentliche Schlsselvariable frdie Ausformung politischer Einstellungen auch beim Wahlverhalten. Was wir berPolitik wissen, wissen wir durch die Medien. Das Gesprch im kleinen Kreis ber dasGelesene, Gehrte, Gesehene bzw. der Austausch darber in sozialen Netzwerken analog wie digital formt und festigt politische Einstellungen. Die Whler informie-ren sich in den Medien ber die Themen und die Personen, die sich zur Wahl stellen.

    Parteien-, Themen- und Kandidatenprferenzen werden insofern durch die Medi-enberichterstattung wahrgenommen. Im persnlichen Austausch ber politischeThemen und Personen mit Familienangehrigen oder im Internet findet jedoch die

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    selbst zur Verfgung gestellt werden. Doch auch diese Parteiquellen insbesondePlakate, Parteiprogramme etc. haben durchaus die Chance, massenmedial eine Role zu spielen. Die Wahlkampfforschung kann folgende Medienwirkungen systemtisieren:

    Der Wahlkampf ist die Hochzeit der politischen Kommunikation. Der Wahlkamdient der Information und der Mobilisierung. Beides ist mithilfe der Massenmed

    en erreichbar. Die Massemedien bestimmen worber ffentlich diskutiert wird. Die Reichwedes Fernsehens ist am grten, so dass das Agenda-Setting in der Regel von dInformationsvermittlung des Fernsehens ausgeht.

    Nicht die Medien als solche wirken, sondern die jeweiligen Medieninhalte. Dabist immer davon auszugehen, dass die Whler ganz unterschiedliche Medien zu Iformationszwecken nutzen und kombinieren.

    Konkrete Forschungsergebnisse ber die Wirkung von Plakaten im Wahlkamfehlen. Doch auch Plakate werden zum Gegenstand von Medienberichterstattuvor allem im Vergleich der Parteien untereinander und im historischen Lngschnitt.

    Medien und Politik sind insofern in vielfltiger Weise verwoben, als komplex

    Amalgam. Profis auf beiden Seiten durchschauen weitgehend die dahinterliegendMechanismen. Es gehrt zur notwendigen Aufklrungsarbeit in einer Demokratdarber zu informieren. Denn die Qualitt der Demokratie hngt davon ab, unahngig sein Urteil bilden zu knnen, transparent zu informieren und alles ffentche auch zu kontrollieren.

    Koordinierung von Meinungsbildungstatt. Die meisten nehmen diese Infor-mationen durch die Brille ihrer eigenenWerte und Kenntnisse wahr.

    Medien vergrern, verstrken und be-schleunigen den Stoff der Politik, aber sie

    entscheiden nicht. Politik ist stets medi-envermittelt. Medien sind Formatgeber(Mediatisierung der Politik), Taktgeber(Beschleunigung), Bildgeber (Evidenzauf einen Blick) und Modellgeber (ort-und strukturlose Politik unter online-Bedingungen). Ihr Einfluss auf politischeEinstellungen ist zwar indirekt, aberbei wachsenden stimmungsflchtigenMachtgrundlagen der Politik nicht zuunterschtzen. Bei zunehmend whle-rischen Whlern, deutlich ansteigendenSpt-Entscheidern und extrem knappen

    Mehrheiten in Parlamenten nehmensolche indirekten Einflsse auf einekomplexe Wahlentscheidung zu. Mas-senmedien haben Einfluss auf die Wahl-entscheidung, weil sie auf Vernderun-gen, Stabilisierungen, Generierungenvon Vorstellung oder Wissen sich bezie-hen, die wiederum auf Interaktionen imsozialen Umfeld zurckzufhren sind.

    Hauptquelle der Information ist auch imWahlbereich das Fernsehen, gefolgt von

    Tageszeitungen, Radio und dem Inter-net. Erst weit dahinter rangieren Infor-mationsquellen, die von den Parteien

    Gruwort

    von Prof. Dr. Dr. Karl-Rudolf Korte

    Univ. Prof. Dr. Karl-Rudolf KorteHat seit 2002 die Professur fr PolitikwissenschaftFachgebiet Politisches System der BundesrepublikDeutschland und moderne Staatstheorien an derUniversitt Duisburg-Essen inne und leitet zudem s2000 die Forschungsgruppe Regieren. Seit 2006 iser Direktor der NRW School of Governance.

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    spot aus die medienpolitik undihr schattendasein

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    DLM, MPK, KEF und TKLM wer sich mit Medienpolitik in Deutschland befassstt schnell auf ein schwer durchschaubares Wirrwarr von Anstalten, Rten uKommissionen. Medienpolitik ist bestenfalls eine Nische fr Fachleute. In der fentlichen Debatte findet sie nicht statt. Dabei wre eine breite medienpolitiscDiskussion dringend ntig. Woran mangelt es also?

    Von Fabian Zacharias

    Fabian Zachariasist Masterstudent an der NRW School of GovernancZuvor studierte er in Greifswald Politikwissenschaftund Wirtschaft. Praktische Erfahrungen sammelte ein der Public-Affairs-Beratung bei Ketchum Pleon uJohanssen + Kretschmer, in der Volkswagen-Kon-zernreprsentanz Brssel sowie in der StaatskanzleMV und dem Thringer Wirtschaftsministerium.

    Eigentlich ist Wochenende, aber als Pressesprecher ist man immer im Dienst. Zumalin der Politik. Nachrichten im Radio, Online-Schlagzeilen und ein Blick in die Wo-chenendausgaben der Zeitungen: Hans Michael Strepp schwant etwas. Also schnellein Anruf, der Griff zum Mobiltelefon. Der Journalist in der heute-Redaktion amanderen Ende der Leitung zeigt sich verwundert. Verwundert, weil der Anrufer dochtatschlich damit droht, ein Bericht ber den L andesparteitag der bayerischen SPD inder heute-Ausgabe um 19.00 Uhr knne Diskussionen nach sich ziehen. So will

    es die Sddeutsche Zeitung spter erfahren haben. Die Drohung von Hans MichaelStrepp, damals Pressesprecher der CSU, ist der Sndenfall. Ein Tipp aus der Redakti-on, so steht es zu vermuten, macht das ffentlich. Der Skandal ist perfekt.

    Strepp, promovierter Jurist, muss deshalb im Oktober 2012 zurcktreten. Und derDrohanruf beim ZDF war vermutlich kein Einzelfall. Der Anruf bei heute, hiereine SMS, dort ein Gesprch Strepp scheint hufiger Kontakt zu den Redaktionengesucht zu haben, glaubt man der Berichterstattung. Allerdings: Er habe das nie aufAnweisung getan, betont CSU-Chef Horst Seehofer. Ihm ist das wichtig, auch nochnach dem Rcktritt seines Sprechers.

    Es sind Flle wie die von Hans Michael Strepp, die die Aufmerksamkeit der ffent-lichkeit auf die politische Steuerung des bundesdeutschen Mediensystems lenken. Ob

    Strepp, die Demontage von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, die Rundfunkge-bhr oder der mgliche Verkauf von SZ-Anteilen an Goldman Sachs: Es folgen er-regte Beitrge in Blogs, Politmagazinen und den groen Tageszeitungen. Danach aberebbt das Interesse ab. Medienpolitik findet dann wieder im Normalzustand statt: ab-seits der ffentlichkeit.

    Die Tagesschau: Luft und luft und luft und

    Politik setzt den Rahmen fr gesellschaftliches Miteinander. In der Medienpolitik ge-schieht das fr genau jene Organisationen, die anschlieend ber ebendiese Politikberichten: Medienpolitik ist ein Politikfeld mit besonderer Bedeutung fr die Demo-kratie. Sie ist eine Art Demokratiepolitik. Doch die medienpolitische Berichterstat-

    tung hat hierzulande einen kurzen Atem. Warum ist das so? Wieso herrscht abseitstemporrer Aufmerksamkeitsschbe weitgehend Ruhe? Zwei eklatante Schwchenpotenzieren sich in diesem Politikbereich gegenseitig: Einerseits werden qualitative

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    Verschlechterungen fr den Konsumenten kaum sichtbar. Andererseits paaren sich

    undurchsichtige Strukturen mit mangelnder Bereitschaft, durch mehr Transparenzeinen (zumindest gefhlten) Machtverlust zu akzeptieren.

    Medien liefern und zwar immer: Die Tagesschau flimmert Punkt acht ber den Bild-schirm, Spiegel Online bietet alle zwanzig Minuten eine neue Headline und auchFacebook ist stndig verfgbar. Der Bildschirm bleibt nicht schwarz niemals. Undwenn die Sddeutsche morgen einem zweifelhaften Finanzinvestor gehrt, liegt sieerstmal trotzdem am Kiosk. Alles wie immer, knnte man meinen. Anders ist das,wenn Rheinbrcken gesperrt werden, Steuern steigen oder Studiengebhren drohen:Da ist man nicht nur ganz direkt betroffen, da merkt man sogar was. Schon die mas-senmediale Logik verhindert also breite Teilhabe an medienpolitischen Debatten, weilderen Relevanz nicht deutlich wird ein echtes Paradoxon.

    Lndersache Medien: Viele Zustndigkeiten, wenig Transparenz

    Bedeutender ist aber das schwer durchschaubare Zustndigkeitsdickicht. Eigentlichist die deutsche Medienpolitik Lndersache. Trotzdem gibt es auf fast jeder politischenEbene Akteure, die irgendwie wichtig sind. In Europa wollen Kommission und Par-lament mitreden, ergnzt durch den ohnehin ttigen Europarat. Im Bund sitzt BerndNeumann als Staatsminister im Kanzleramt und ist zustndig fr Kultur und Medi-en. Diverse Gerichte sind ebenso mit von der Partie. Genauso wie das Bundeskartell-amt, das gerade im Bereich privater Medien ob Print oder Rundfunk mitmischt. Siealle haben etwas zu sagen bei der Lndersache Medien.

    In den Bundeslndern ist die Medienzustndigkeit meist in der Staatskanzlei angesie-

    delt, Hinweis auf die enge politische Fhrung der Lnderaktivitten. Hinzu kommendie Landesmedienanstalten, die vor allem fr die Aufsicht privater TV- und Radio-programme zustndig sind. Viele Anstalten sind auch bemht, mit pdagogischenAngeboten Medienkompetenz zu vermitteln. Zudem arbeiten sie auch ber Lnder-grenzen zusammen in einer Vielzahl von Kommissionen und Konferenzen, derenAufzhlung den Rahmen dieser HAMMELSPRUNG-Ausgabe leicht sprengen wrde.In erster Linie sind die Medienanstalten aber Genehmigungs- und Aufsichtsbehr-den, die nicht durch staatliche Einrichtungen gesteuert werden sollen. Deshalb gibtes in aller Regel Kontrollgremien und -versammlungen, die sich nach festen Bestim-mungen zusammensetzen. WDR, SWR und Co. werden ihrerseits nicht von denMedienanstalten kontrolliert sie kontrollieren sich quasi selbst. Ihre Rundfunkr-te werden aber hnlich besetzt: Die Vertreter kommen aus den Landtagen, Vereinen,

    Kirchen oder Verbnden. Und sie operieren, ob gewollt oder nicht, in der Regel jen-seits jeglicher ffentlichkeit. Doch damit nicht genug. Der Rundfunkrat, der beimZDF Fernsehrat heit, whlt noch ein weiteres Gremium: den Verwaltungsrat.Und ohne den geht gar nichts, denn der Verwaltungsrat berwacht den Intendanten.

    Unabhngigkeit nicht dem Zufall berlassen

    Das alles ist eines mit Sicherheit nicht: bersichtlich. Zudem wird immer wieder Kri-tik laut, die Rte seien zum parteipolitischen Instrument verkommen. Ex-ZDF-Chef-redakteur Brender wirft ihnen vor, bis hinein ins Programm zu funken. Das ber-gewicht der Politik in den Rten entsteht dabei durch eine simple Dopplung: BeimZDF zum Beispiel haben nicht nur die Parteien als gesellschaftliche Organisationen

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    feste Pltze im Fernsehrat. Auch Bund und Lnder entsenden Vertreter in der Reg

    Minister oder Staatssekretre mit Parteibuch. brigens sagt Brender im Interview mdem Medienmagazin ZAPP auch, nicht jedes Parteimitglied sei per se problemtisch. Es gibt Leute mit Parteibuch, die sehr unabhngig sind und es gibt Leute ohnParteibuch, die sehr abhngig sind. Aber es darf nicht dem Zufall berlassen bleibewer unabhngig denkt und agiert und wer nicht.

    Gerade in Zeiten der Parteienverdrossenheit gehrt auch zur Wahrheit, dass Parteiwichtige gesellschaftliche Organisationen sind, die natrlich ebenso wie Kirchen odGewerkschaften ein Recht auf die Teilhabe in solchen Gremien haben aus guteGrund. Der Eindruck der Klngelei hinter verschlossenen Tren aber schadet doppelter Hinsicht: dem Ansehen der Parteien ebenso wie dem ffentlich-rechtlichRundfunk. So entsteht eine unheilvolle Mixtur.

    Eine vitale Demokratie braucht ein funktionierendes und unabhngiges Mediensytem. Ein System, dem die Menschen vertrauen. Die Medienpolitik darf deshalb nicdauerhaft unterhalb der medialen und politischen Wahrnehmungsschwelle stattfiden - es geht um die Funktionsfhigkeit der Demokratie! Die Medienpolitik muss raaus der Nische. Dazu bedarf es, neben mehr Offenheit und Transparenz, vor alleselbstbewusster Medienpolitiker. Finanzierung und Eigentumsverhltnisse privaMedien gehren ebenso in den Blickpunkt. Denn eines ist klar: Redaktionelle Unahngigkeit ist kein Selbstlufer - nirgendwo. Aber sie ist es wert, etablierte Str ukturernsthaft zu berdenken!

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    medialer akteur odernur mediator?

    die medienpolitischerolle der europischenunion

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    Medienpolitik ist ber weite Strecken immer noch nationale Politik. Doch auchdie Europische Union nimmt hier, von der ffentlichkeit teilweise unbeachtetEinfluss. Warum ein Mehr an Europa auch in diesem Bereich Vorteile bringt unsinnvoll ist.

    Ein Kommentar von Manuel Gath

    Manuel Gathstudierte Politikwissenschaft in Marburg und ist Materstudent an der NRW School of Governance. Erfarung sammelte er u.a. im Bundestag, im EuropischParlament und im Bundeswirtschaftsministerium. Eist studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl fr Europpolitik und Europische Integration und engagiert sbei den Jungen Europischen Fderalisten.

    Medien an sich werden hufig mit deBegriff vierte Gewalt oder vieMacht in Anlehnung an Montesquiund Rousseau bedacht. Es erstaunt dher wenig, dass im Medienbereich emittlerweile komplexes Geflecht natinalstaatlicher Gesetzgebung existiert.

    Landesrundfunkanstalten in Deutscland gesellen sich mehrere Gesetze wdie Landesmediengesetze sowie mittleweile drei Rundfunk-Urteile des BVerfGwohlgemerkt nur in unserem Land.

    Die EU-Kommission hingegen kann siim Bereich Kultur nur sehr vorsichtig mVorschlgen an die nahezu herausragede Dominanz der nationalstaatlichKulturhoheit herantasten. Das Europparlament hat mit dem Ausschuss Kutur und Bildung ein ebenso herrlich u

    konkretes Sammelsurium an BildungFreizeit-, Sport- und Kulturpolitik abzdecken. Klare und verbindliche Zustdigkeiten sehen anders aus. Wie kommhier also Europa ins Spiel?

    Warum die EU trotzdem Einfluss h

    Whrend auf nationaler Ebene, gerade die deutschen Bundeslnder, Kultur aleinem heiligen Gral gleich kommt, des unter allen Umstnden zu verteidig

    gilt, kann sich die EU mangels Komptenzen wie so oft nur in konomischZusammenhngen durchsetzen. Ein ko

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    kretes Beispiel ist das ehemals viel beachtete Urteil des EuGH zum Pay-TV-Sender Sky.

    Eine britische Pub-Besitzerin zeigt Fuballspiele mit einer griechischen Sky-Lizenz,die nur einen Bruchteil der englischen Variante kostet. Die englische Vermarktungs-gesellschaft klagte, die Wirtin aber bekam vor dem EuGH Recht. Grundlage war unteranderem die EU-Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen von 1989, berarbeitet 1997,in der definiert wird, wie ein gemeinsamer Binnenmarkt auch im Rundfunkbereichauszusehen hat. Dazu gehrt eben auch, dass Sendungen als Dienstleistungen in allenMitgliedstaaten gezeigt werden knnen mssen.

    Ein weiteres brisantes Beispiel ist das 2010 in Ungarn verabschiedete und hchst um-strittene Mediengesetz, das einer staatlichen Medienbehrde beispiellos viel Machtgeben sollte. Das Offenlegen journalistischer Quellen und die Kontrolle redaktionellerInhalte sind nur zwei Aspekte, die in einem krassen Widerspruch mit dem europi-

    schen Verstndnis von Presse- und Medienfreiheit standen. Nach erheblichem Druckvon Seiten der EU- im Verbund mit einzelnen Mitgliedstaaten wurden die genanntenPunkte zwar spter gendert, ein fader Beigeschmack bleibt dennoch. Medienrechtlerargumentierten, es sei Aufgabe von Gerichten, ber die Medienfreiheit zu wachen.So weit, so gut. Je mehr politisierte Entscheidungen von Gerichten jedoch getroffenwerden, desto eher besteht die Gefahr einer Wandlung der Judikative zur politischenInstanz. Gerade in Deutschland ist dieser Punkt im Zusammenhang mit dem BVerfGin letzter Zeit hufiger zu hren.

    Direkte Manahmen, indirekte Ergebnisse

    Die beiden genannten Beispiele sind dabei nur die aktuellsten Episoden einer langenEntwicklung. Schon 1982 brachte das Europische Parlament mit dem Hahn-Bericht

    die Frage auf den Schirm, inwieweit national organisierte Mediensysteme die europ-ische Integration behindern.

    Deutschland und Grobritannien haben vergleichsweise gut funktionierende Rund-funksysteme, lsst man das Internet an dieser Stelle einmal auen vor. Der Blick in an-dere Lnder Europas zeigt aber, dass Fernsehen eben nicht berall so rund luft, wieman es sich wnschen wrde. Man denke an dieser Stelle nur einmal an Italiens Me-dienmogul Berlusconi, der in der Lage war, jahrelang eine politische Alleinunterhal-tungssendung zu produzieren. Ein einzelner Staat ist da sicherlich der falsche Akteur,um auf ein anderes Land gegebenenfalls Druck auszuben. Der EU stnde diese Rollewesentlich besser zu Gesicht.

    Ausdruck einer europischen Medienpolitik ist zudem das MEDIA Plus Programm derEU. Dessen Hauptziele sind Filmprojektentwicklung, Verleih und Vertrieb europi-scher Filme ber die Herkunftslandesgrenzen hinaus. Dafr stand im Zeitraum 2007bis 2013 immerhin eine Gesamtsumme von knapp 755 Millionen Euro bereit. Zu dengefrderten Filmen zhlen unter anderem Michael Hanekes Film Liebe sowie dieschwedisch-britische Dokumentation Searching for Sugarman. Die Tatsache, dassbeide Filme 2013 jeweils einen Oscar gewonnen haben war jedoch nicht viel mehr alseine Pressemitteilung und ein paar Kurzzeiler in der Tagespresse wert. Es mangelt an-geblich an ffentlichem Interesse. An dem Interesse einer europischen ffentlichkeit?

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    Europische Medienpolitik Europische ffentlichkeit?

    In seiner lange erwarteten Grundsatzrede zu Europa formulierte Bundesprsident Joachim Gauck Anfang 2013 die Idee eines Arfr alle, ein gesamteuropischer Fernsehkanal also. Viele Europer sehen hnlich wie Gauck auf diesem Feld die einmalige Gelegeheit, die vielzitierte europische ffentlichkeit auf ein neues Niveau zu heben.

    Wie transnational das Fernsehen heute schon sein kann fhrt uns jedes Jahr wieder der Eurovision Song Contest vor Augen. Unterhaltungsbereich lie sich Deutschland ohnehin schon immer von seinen Nachbarn unter die Arme greifen. Unvergessen sindie jahrzehntelangen Verdienste des Niederlnders Rudi Carrell um die deutsche Unterhaltungslandschaft. Und wer von uns denda nicht dauernd dran? Ebenso prgend war die hollndische Produktionsfirma Endemol, die den deutschen Samstagabend in d1990ern auf RTL quasi neu erfand.

    Nicht zuletzt hat die hiesige Berichterstattung ber das Geschehen in anderen Lndern vor dem Hintergrund der aktuellen Kr

    neue Dimensionen angenommen. Waren Parlamentswahlen in Sdeuropa vor einigen Jahren noch Grund fr einen einmintigTagesschaubeitrag, wird man heute schon Wochen vorher mit Analysen und Hintergrundinformationen versorgt. hnliches gfr die hitzige Debatte ber die gleichgeschlechtliche Ehe in unserem Nachbarland Frankreich. Fast tglich flimmerten aktuelle Vokommnisse ber deutsche Bildschirme und hielten uns ber den Gesetzgebungsprozess auf dem Laufenden. Gerade das sollte udoch zeigen, dass es in weiten Teilen rein nationales Fernsehen eigentlich kaum noch gibt. Europaweite medienpolitische Integraon passt demnach an dieser Stelle ziemlich gut ins Bild.

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    Nach jahrzehntelangen Ausbau und einem zunehmend auf Konkurrenz angelegtenSulenmodell trifft das Duale Rundfunksystem auf die Herausforderungen der Digi-talisierung und steuert dabei zielstrebig auf eine ganze Reihe von Modernisierungs-konflikten zu.

    In den Fokus geraten ist in diesem Prozess die Umstellung der Rundfunkfinanzie-rung von einer Gebhr auf einen gerteunabhngigen Beitrag. Nachdem sich derRauch des ffentlichen Streits um Demokratieabgabe (Jrg Schnenborn) oderZwangssteuer (Handelsblatt) ein wenig gelegt hat, ist zu fragen, inwiefern die Artder ffentlichkeitsfinanzierung die komplexen Vorgaben der deutschen Rundfunk-verfassung verwirklicht.

    Eine zentrale Anforderung ist dabei der Erhalt einer Markt- und Staatsferne alsLeitbild der Medienversorgung nach dem Public Service-Modell. Die Prinzipiender Grundversorgung mit sachlicher Berichterstattung, einer Belehrung, Bildungund Unterhaltung des Publikums sowie das Entwicklungsgebot zur technologi-schen Sicherstellung von Sendefhigkeit und Angebotsvielfalt untersttzen dabei dieNeuordnung diese an das Konstruktionsprinzip der British Broadcasting Corpora-tion (BBC) angelehnten Eckpfeiler sind in den verschiedenen Rundfunkurteilen desBundesverfassungsgerichts festgeschrieben.

    Allerdings ist nach der Umstellung von der Rundfunkgebhr als Abgabe fr eine qua-sibehrdliche Leistung zu prfen, inwiefern sich nun die Rolle der Beitragszahler alsStakeholder verndert. Eine Schlussfolgerung knnte die strkere Einbeziehung der

    vom gebhrenzahlerzum stakeholder der rundfunkbeitrag

    verndert dasrollenverstndnis vonsender und publikum

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    von Christoph Bieber

    Prof. Dr. Christoph Bieberist Inhaber der Welker-Stiftungsprofessur fr Ethikin Politikmanagement und Gesellschaft an der NRWSchool of Governance der Universitt Duisburg-EssSeit August 2013 ist er Mitglied des WDR-Rund-funkrates.

    Zuschauer als kritische Medienbrgerin Kontroll-, Aufsichts- und Entwick-lungsprozesse sein. Bislang bernehmendie Rundfunkrte der ARD-Landessen-der und der ZDF-Fernsehrat diese Re-prsentationsaufgabe aufgrund der im-mer komplexer werdenden Arbeits- und

    Organisationsprozesse knnen sie die-sen Auftrag nur eingeschrnkt einlsen.

    Wenig spricht dabei gegen eine Orien-tierung an internationalen Modellen zurPublikumsbeteiligung: selbst im libe-ralen Mediensystem der USA berneh-men Ombudspersonen die Aufgabe derZuschauervertretung und verlngern einFeedback in Richtung der Medienunter-nehmen. In Grobritannien sind nachden letzten BBC-Reformen AudienceCouncils eingerichtet worden, die als

    regional organisierte Zuschauerrte daszentrale Aufsichtsorgan, den BBC Trust,untersttzen.

    Dass auch etwas Bewegung in die deut-sche Rundfunklandschaft kommt, zei-gen die Reformdiskussionen, die derneue WDR-Intendant Tom Buhrow an-gestoen hat. Im November 2013 sorg-te die Neubesetzung des Postens derHrfunkdirektorin mit Valerie Weberfr Unruhe im Sender. Nicht weniger

    als 150 Redakteure hatten damals ihrenUnmut ber die Nominierung der Ge-schftsfhrerin des Privatradiosenders

    Antenne Bayern geuert, sie frchteteneine Dudelfunkisierung der Hrfunk-wellen. Fr viele Mitarbeiter schien einSeitenwechsel aus den Reihen des Pri-vatfunks undenkbar, ein massiver Kul-turbruch dabei spiegelt Webers Karri-ereverlauf lediglich die ber Jahrzehnte

    gewachsene Wettbewerbserlaubnisder ffentlich-rechtlichen Sender. Zubeobachten war die Grenzberque-rung bislang zwar schon hufiger, neuist lediglich, dass sich der Wechsel imManagementbereich vollzogen hat: inGestalt etwa von Gnther Jauch, KatrinMller-Hohenstein, Johannes B. Ker-ner oder Thomas Gottschalk haben sichzahlreiche Talking Heads als erfolgrei-che Grenzgnger zwischen den Kulturenetabliert. Buhrow verteidigte die Perso-nalie bei einer Mitarbeiterversammlung,

    der Rundfunkrat besttigte schlielichden Vorschlag des Intendanten. Erstkurz vor Ende des Verfahrens wurdendie Belange der Beitragszahler berck-sichtigt und dies nur indirekt ber daskomplizierte Reprsentationsmodell desRundfunkrats, dessen 48 Mitglieder dierelevanten gesellschaftlichen Krfteund Gruppen Nordrhein-Westfalensvertreten. Ein direkter Rckkanal ist hiernicht vorgesehen, stattdessen bildeteeine hochgradig polarisierte Debatte in

    Print- und Online-Medien die bisweilenschrille Begleitmusik zum personellenUmbau im Sender-Management.

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    So war vor allem das politische Geschick des neuen Intendanten im Umgang mitder eigenen Belegschaft gefragt, doch Buhrow hat auch gegenber dem Publikumim Sendegebiet vertrauensbildende Manahmen ergriffen. Im Rahmen des live imTV bertragenen WDR-Check hatte sich der Intendant im Oktober in einer ArtTown Hall Meeting den Zuschauerfragen zu Programm, Perspektiven und Proble-men seiner Sendeanstalt gestellt. Die Aufzeichnung fand in jenem Studio statt, das ineinem ganz hnlichen Setting auch fr die Wahlarena-Auftritte von Angela Merkel

    und Peer Steinbrck genutzt worden war. Der Umgang des Senderchefs mit den Zu-schauervertretern hnelte dann auch nicht zufllig dem Kmmererstil, der prgendfr den 2013er Bundestagswahlkampf gewesen ist. Tom Buhrow inszenierte sich alsvolksnaher, aufgeschlossener, zuhrender Medienmanager inwiefern die Anregun-gen und Hinweise der Studiogste tatschlich auf die Arbeit im Sender zurckwir-ken, muss die Zukunft erst noch zeigen.

    Deutlich erkennbar fgt sich ein solches Format jedoch gut in die vernderte Bezie-hungswelt zwischen Sender und Publikum ein: mit dem Intendanten zum Anfas-sen haben die Zuschauer ein neues Gegenber kennengelernt, der zumindest auf derVorderbhne fr ein Feedback offen ist. In dieser Kommunikationsbeziehung hneltdas Format ein wenig den Audience Councils der BBC , denn auch hier geht es ja umeine Rckmeldung der Mediennutzer in Richtung der Programmanbieter. Als Auf-

    takt in die neue Phase der Rundfunkfinanzierung erscheint das ffentlichkeitswirk-same, von anderen Medien auch jenseits des TV-Bildschirms wahrgenommene Pu-blikumsgesprch sehr geeignet. Als Live-Sendung funktionierte der WDR-Checkallerdings nur teilweise, denn das eingangs sehr produktive Format verwandelte sichmit zunehmender Sendedauer in einen seichten Unterhaltungs-Mix mit bekanntenVertretern aus dem Portfolio der Anstalt. Die greren Potenziale fr die Verarbei-tung eines Feedbacks liegen sicher in den nicht auf dem Bildschirm platzierten Ge-sprchskreisen mit ausgewhlten Zuschauergruppen die Organisation von echtenZuschauerrten knnte hier eine sinnvolle Perspektive fr neue Formen der Pub-likumsbeteiligung darstellen. Als grter Einzelsender des ARD-Universums ist derWDR sicherlich kein schlechter Ort fr derartige Experimente, die komplexe Gre-mienkultur der ARD kann solche Impulse an eine sich wandelnde Medienlandschaft

    weitergeben.

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    Das ZDF hat sie, die ARD hat sie sowiesound ja auch Pro7 hat einen: Polit-Talks.Bei einem Blick in die Fernsehzeitschrift

    bestimmen sie das Bild des Sptpro-gramms. Egal ob Illner, Jauch oder Raab,die Chance auf eine dieser Sendungenzu stoen ist mittlerweile als sehr wahr-scheinlich einzuschtzen. Doch was ge-ben uns diese Talks? Sind es wirklich dieentscheidenden politischen Neuigkeitendie dem Zuschauer prsentiert werden?Oder ist es im Endeffekt nur die auf-gewrmte Kost der letzten politischenEreignisse, eine Bhne fr Hinterbnk-ler die auch einmal in den Vordergrundstoen mchten? Sicherlich ist es von all

    dem etwas, gepaart mit dem Anspruchdas Publikum politisch zu bilden. Wieviel politische und demokratische Mei-nungsbildung aber wirklich durch diesesMedium bewirkt wird ist nicht erwiesen.Gleichzeitig muss die Frage gestellt wer-den, inwieweit sich Politik und Medienan diesem Punkt gegenseitig beeinflus-sen beziehungsweise bestimmen. Auchhierzu gibt es immer wieder verschiede-ne Meinungen, doch ganz grundstzlichkann vom Biotop-Modell ausgegangen

    werden, welches besagt, dass es einestarke wechselseitige Abhngigkeit zwi-schen Politik und Medien gibt. DieseInterdependenz ist insbesondere beimThema Polit-Talks offensichtlich. DieMedien bieten der Politik die Plattform,die sie braucht. Eine Plattform ohne diePolitik in der heutigen Zeit nicht mehrfunktionieren wrde. Denn Meinungs-bildung funktioniert nur durch Prsenzund der Whler lsst sich meist liebervon den Medien berieseln, als vor der

    anstehenden Wahl alle Wahlprogrammfreiwillig zu konsumiert.Apropos Wahlen: Insbesondere im Vo

    lauf dieser politischen Groereignisbringen die Sender immer neue Formte und Diskussionsrunden, die als Mnungsbildung zu bewerten sind, desie bieten neue Potentiale und Chancedie allerdings auch von den Sendern ekannt und genutzt werden mssen. Liehier nicht die Chance der immer strkverbreiteten Politikverdrossenheit engegen zu wirken?Der Polit-Talk bei den kommerziellAnbietern steckt noch in den Kindeschuhen. Politische Meinungsbildu

    fand hier bisher nur in so geringem Mastatt, dass von einer Potentialverschwedung gesprochen werden kann. Geradie privaten Sender sprechen eine Zigruppe an, die fr die Politik von groBedeutung ist. Die jungen Whler sidiejenigen, die fr die Politik am schwrigsten greifbar sind. Demgegenber shen die ffentlich-rechtlichen Senddie fr eine umfangreiche Berichtersttung bekannt sind, aber diese mit Bliauf die Generierung neuer Zielgrupp

    entstauben und revolutionieren msseDer Whler von heute will eingebundwerden, mit der groen Politik in Kotakt kommen und seine Meinung prsentieren.Auf die perfekte Mischung kommt es aum die demokratische Meinungsbilduim Polit-Talk auf ein neues und erfolgrches Fundament zu stellen und dem Zschauer und Whler das zu bieten wasanfordert. Die Mischung aus Unterhtung und Meinungsbildung.

    meinungsbilder odermeinungs-bilder?

    von Carina Burek

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    medien und moral oder:wer bestimmt, wann derrubikon berschritten ist?

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    Die zunehmende Verknpfung politischer Themen und Akteure mit moralischWertvorstellungen, Ideen und Normen ist ein triviales Phnomen der politischKommunikationskultur. Verstrkt wird diese Ethisierung der Politik auf der ffenlichen Bhne durch die massenmediale Aufbereitung in der deutschen MediokratDoch welche Instanz definiert , worber sich entrstet und emprt wird und welchmoralische Fehlverhalten als belanglose Lappalie zu tolerieren ist? Ist es noch unseVernunft oder sind wir massenmedial moralisch fremdgesteuert?

    Der Tugendterror der Medien

    2011 scheiterte zu Guttenberg an seiner fragwrdigen Interpretation von Ehrlichkund Wahrheit, Wulffs Karriere zerbrach 2012 anlsslich seiner umstrittenen Intepretation eines glaubwrdigen und redlichen Bundesprsidenten. Auch der derztige Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrck, sah sich angesichts seiner enormNebeneinknfte durch Honorarvortrge Korruptionsvorwrfen ausgesetzt. Nicnur Politiker werden derzeit immer hufiger an moralischen Standards gemesseauch in der parlamentarischen und medialen Diskussion politischer Themen fidet man oftmals einen Verweis auf ethische und moralische Dimensionen: Vetraulichkeit (Wikileaks), Nachhaltigkeit (Umweltpolitik), kulturelle und religiIdentitt (Beschneidung), die Frage nach dem Beginn zu schtzenden Lebens (Pr

    implementationsdiagnostik) und Gerechtigkeit (Gleichstellung homosexueller Lbenspartnerschaften mit der Ehe). Diese Debatten wurden von den Medien nicnur selbstverstndlich aufgegriffen, sondern aktiv gestaltet, mitunter sogar initiieDie Moralisierung der Medien hin zu einem medial verbten Tugendterror ist eiunbersehbare Tendenz der heutigen Zeit. Frher definierte die biblische Theologwas moralisch richtig und was ein Sndenfall ist, Kants kategorischer Imperativ vesuchte eine praktische Anleitung zum moralischen Handeln zu bieten. Doch sind dchristliche Moral oder die Maxime, Handeln in ein allgemeines Ge-setz verwandezu knnen, berhaupt noch aktuelle moralische Mastbe? Oder sind die Medinun unsere moralische Instanz der Neuzeit?

    moralische Medien ein Paradox?

    Ethisierte politische Diskurse setzen zumeist an der Devianz, an der Verletzung mralischer Standards an. All das, was keinen Skandal provoziert, fllt hingegen in d

    von Julia Staub

    Julia Staubist Masterstudentin an der NRW School of Gover-nance und am Lehrstuhl fr das politische System dBRD von Prof. Dr. Korte ttig. Praktische Erfahrungsammelte sie bei ver.di sowie Bundes- und Landtagfraktionen der SPD. Sie spezialisierte sich im Laufeihres Studiums auf ethische Fragen im politischenEntscheidungsprozess.

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    medialen Politikvermittlung nicht auf.Medienethik operiert dabei mit impli-ziten oder expliziten normativen Stan-dards, deren Haltbarkeitsdauer hufigder einer Eintagsfliege entspricht. Durchdie groe Reichweite gewinnen die vonden Medien festgesteckten Moralstan-

    dards immer strker an Bedeutung. Nor-mative Definitionsmacht ist somit stetsauch ein soziales Steuerungsinstrumentund ermglicht eine gewisse Kontrolleder gesellschaftlichen Debatte. Argu-mentationslinien werden diskursivischgeformt und mit Werten und Normenunterfttert. Die skandalfixierte Logikder Massenmedien und deren moralischeFlexibilitt lassen jedoch ursprnglichkeine normativen Universalien zu. Mo-ralische Prinzipien wie Menschenwrde,Minderheitenschutz, Freiheit oder auch

    die goldene Regel der Sittlichkeit wer-den im Sinne der Auflagen- und Quoten-steigerung gebogen und verformt undverkommen hufig zu pole-mischen,beschrnkten Wertmustern, die dankdes Labels moralisch richtig oder falschAufmerksamkeit erregen und das Publi-kum aufheizen sollen. Medien tendierensomit strukturell zur Sensation und ge-brauchen insofern regelmig Moral alsnormativen Aufmerksamkeitscatcher.Ob nun die massenmediale Nutzung

    und Verbreitung moralischer Werte undNarrationen gesellschaftlich sinnvolloder wnschenswert ist, bleibt fraglich unbestritten ist jedoch, dass Medienin modernen Demokratien unweigerlichzu moralischen Instanzen wer-den. Al-lein aus konomischem Interesse gebensie sich alle erdenkliche Mhe, die eige-nen normativen Standards ihrer Ziel-gruppe anzupassen.

    Medien als Abbild der Gesellschaft

    Bereits die breit gefcherte Aufbereitung moralischer Themen und Affren in denverschiedenen Medien spiegelt die unterschiedlichen Wertevorstellungen in derGesellschaft wider. Witterte die BILD-Zeitung zu Beginn der Guttenberg-Affreeine auerordentliche Auflagensteigerung, stellte sie sich danach kompromissloshinter ihren gechteten Schtzling. Auch im Falle des ehemaligen Bundesprsiden-

    ten Wulff war die Medienlandschaft zwiegespalten: War Wulff der geringen Wert-schtzung und gar Hohn und Spott aus dem eher brgerlichen Lager ausgesetzt,wurde dieser Shitstorm von anderen Presse- und Funkorganen als Hetzjagd und auf-gebauschte Skandalisierung seitens der intellektuellen Elite verstanden. NormativeEntrstungs- und Beruhigungsdiskurse standen sich diametral gegenber. Morali-sche Normen werden demnach hufig von den Medien aufgegriffen und genutzt, je-doch nicht selbst produziert.

    Massenmedial vermittelte moralische Diskurse sind ein demonstratives Abbild ge-sellschaftlicher Standards und Normen. Massenmedien knnen die Funktion einesmoralischen Regulativs einnehmen. Jedoch ist Moral ein gesellschaftliches Phno-men, das nicht von oben herab verordnet werden kann, sondern sich durch die Ge-sellschaft selbst repliziert. Sie ist vernderbar, gibt kein strenges Korsett an richtigen

    und falschen Antworten vor, die universell gltig sind. Die Fhigkeiten der Medien,moralische Fragen laut zu artikulieren, Wertestandards anzulegen und Verhalten zubeurteilen, sind somit nicht zu unterschtzen - die Angst vor einer moralischen Dik-tatur der Massenmedien bleibt jedoch unbegrndet.

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    drei fragen an ...dunja

    hayali *

    * Dunja Hayaliist seit 2007 Moderatorin des ZDF-MorgenmagazinNach dem Studium mit Schwerpunkt Medien- undKommunikationswissenschaften an der Sporthoch-schule in Kln und ihrer Arbeit als Sport-Moderatorbei Deutsche Welle Radio, war sie bis 2010 als CoModeratorin im ZDF heute-journal zu sehen.

    Foto: Manuel Krug

    Frau Hayali, das frhe Aufstehengehrt fr Sie beim mo:ma zumTagesgeschft. Politische Themensind bei Ihnen bereits ab 5.30 Uhrauf der Agenda wie reizvoll undinteressant ist es, wenn PolitikerIn-nen das erste Interview/Statement

    des Tages bei Ihnen live im mo:maabgeben?Ich finde es interessant eine Sendung zumoderieren, die den Zuschauer in denTag oder aus dem Tag heraus begleitet.Fr den Politiker ist es reizvoll zu uns zukommen, um ein Thema zu setzten bzw.mit seinem Interview das Thema in eineRichtung zu bewegen. Das drfte seineMotivation sein, so frh auf zu stehen :-)Unsere ist es, das Bestmgliche fr denZuschauer heraus zu holen.

    Die politische Berichterstattung istso ein wesentlicher Teil Ihrer Arbeit.Welche Aufgabe erfllen die Medi-en Ihrer Meinung nach mit der po-litischen Berichterstattung? ReineInformation oder doch eine gezielteMeinungsbildung?Das eine schliet das andere nicht aus jenachdem, wie Sie Meinungsbildung in-terpretieren. Mein Ziel ist es, dass sich der

    Zuschauer bei uns informiert, um sichdann anschlieend eine Meinung bildenzu knnen. Es geht um Erkenntnisge-

    winn, Einordnung, Differenzierung undmanchmal auch, wenn sie ein Magazinoder ein Talkformat nehmen, um Info-tainment allerdings wnschenswer-ter Weise auf gehaltvollem Niveau. DerModerator hat die Distanz zu wahren, esgeht nicht um ihn, es geht um die Sache.

    Aber eines ist auch klar: manchmalnimmt ein Moderator die Gegenpositionzu der des Gesprchspartners ein, um ihnzu fordern nur das sollte dann deutlicherkenn-bar seinInformation und Meinungsbildungist nicht berall so gewollt wie inDeutschland. In anderen Staaten istes blich, dass die Medien durch diePolitik dirigiert werden. In Deutsch-land gab es in den letzten Jahrenimmer wieder Schlagzeilen ber

    Beeinflussungsversuche seitens derPolitik. Gibt es Ihrer Meinung nacheine Politisierung der Medien oderhandelt es sich eher um eine wech-selseitige Abhngigkeit?Ich kann hier nur fr mich sprechen undich kann Ihnen versichern, dass ich michnicht abhngig fhle und auch nicht ab-hngig bin. Natrlich wird an der ein oderan-deren Stelle versucht, Einfluss zu neh-men von wem auch immer. Fr einen

    Journalisten gilt aber nun mal die Neut-ralitt und Distanz zu wahren. Wer diesePrinzipien nicht in seinem Wertekanon

    wiederfindet, ist, was eine Nachrichtesendung oder ein Nachrichtenmagazanbelangt, fehl am Platz. Das heit abnicht, dass man nach einem Intervienicht wieder die Waffe des Wortes eipacken und in aller Freundlichkeit eGetrnk mit Person XY zu sich nehm

    kann.

    Die Fragen stellte Carina Burek.

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    das web 2.0 als

    politischer raum

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    Auf dem Boden der Tatsachen bleiben: Die arabischen Revolutionen wurden durFacebook ausgelst, Barack Obama gewann die Wahl 2008, weil er bei Twitter besoders aktiv war und Karl-Theodor zu Guttenberg wre ohne das Internet noch immVerteidigungsminister. Diese und hnliche Meinungen kursieren im Diskurs uPolitik im Web 2.0. Das wrde bedeuten, dass die politische Agenda nicht mehrwie bisher in Parteien, Parlamenten, in der Gesellschaft oder aus der Wissenschaheraus bestimmt wird, sondern durch das Netz. Schon eine oberflchliche Analy

    der Beispiele zeigt aber, dass, diese These verworfen werden muss. Die Revolutinen entstanden aus Armut und allgemeiner Unzufriedenheit, Obama war ein Honungstrger nach der achtjhrigen Bush-Administration und Guttenbergs Plagwurde zufllig durch einen Universittsprofessor entdeckt. Mit dem Internet habdiese politischen Ereignisse erst einmal nichts zu tun. Trotzdem spielte bei den Eeignissen das Web 2.0 eine wichtige Rolle. Die Unzufriedenheit der Bevlkeruim arabischen Raum fand sich schlielich im Netz wieder. So fanden sich hier dMenschen zusammen und begannen den Protest zu organisieren. Obama brillierteseinem Wahlkampf und seiner Inszenierung, die er schlielich auch ber die sozialNetzwerke verbreitete. Und als die Suche nach Plagiaten in Guttenbergs Doktorarbbegann, wurden die Ergebnisse schlielich auf GuttenPlag zusammengetragen. Ahand der Beispiele wird deutlich, dass das Web 2.0 in diesen politischen Prozesslegendlich die Infrastruktur und eine Kommunikationsplattform stellt.

    Gewinn fr die Demokratie: Der groe Vorteil zu frher oder zu den klassischInstrumenten politischer Prozesse sind die Reichweite und die Geschwindigkesowie der Informationsumfang. Organisiert man beispielsweise einen Widerstaoder Protest, kann man nicht nur mittelbar sondern auch unmittelbar auf einSchlag zahlreiche Menschen erreichen. Das Ganze kann in nahezu Echtzeit ablaufeda man mit einem Klick sofort alle gewnschten Empfnger gleichzeitig erreichkann. Weil es im Netz keine Begrenzungen von Inhalten gibt, kann eine Flle an Iformationen abgerufen werden, wie es zuvor nicht mglich war. Voraussetzung feinen funktionierenden politischen Raum im Web 2.0 ist allerdings ein demokrtisches System, in dem es Meinungs- und Redefreiheit gibt. Zu erwhnen ist aucdass sich die Mglichkeiten zur Partizipation, die einen Grundpfeiler der Demokra

    darstellen, durch das Web 2.0 deutlich verbessert haben. Brger mit entsprechendMedienkompetenz knnen sich aktiv an Diskursen beteiligen und nach Informaonen suchen. Auch die direkte Kommunikation mit der Politik bzw. den Politike

    Ob Kanzlerin, Abgeordneter, Partei oder NGO die meisten politischen Akteualler politischen Ebenen sind inzwischen auch in den sozialen Netzwerken un-terwegs. Dadurch sind diese zu einem politischen Raum geworden. Die Erwartungen und Verheiungen sind gro. Doch die Charakteristik dieses politischeRaumes weist Grenzen auf.

    Von Heiko Jandel

    Heiko Jandelabsolvierte seinen Bachelor in Sozialwissenschaf-ten, Schwerpunkt Medienwissenschaften an derUniversitt Siegen. Seit 2012 studiert er an der NRSchool of Governance den Master PolitikmanagemPraktische Erfahrungen sammelte er in Wahlkmpfund im kommunalen Projektmanagement.

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    ist zumindest theoretisch vereinfachtmglich, muss allerdings seitens der Po-litik auch angeboten werden. Ein Goog-le Hangout mit der Kanzlerin oder einTwitterview mit Peer Steinbrck sindhier erste Anstze. Die Funktion und derNutzen des Web 2.0 sind daher in erster

    Linie als kommunikativ zu betrachten.Informationen und Meinungen werdenverbreitet und jeder Nutzer kann sicham politischen Prozess beteiligen. Undgenau an diesem Punkt mssen die po-litischen Akteure im Netz ansetzen, umauch wirklich einen Nutzen daraus zuziehen. Es reicht nicht, ein Profil auf/beiFacebook zu haben und dann zu glauben,dass man dadurch eine Whlerstimmemehr bekommt. Vielmehr muss die Poli-tik die sozialen Netzwerke gezielt einset-zen, um Politik zu vermitteln und somit

    zu berzeugen. Die Mglichkeiten dafrsind vielfltig.

    Doch das Erarbeiten von Probleml-sungsverfahren wird durch das Web 2.0nicht ersetzt. In der Phase der Politikfor-mulierung spuckt Facebook der Politikkeine Lsungen aus. Diese zu erarbeitenist immer noch Aufgabe der dafr ge-whlten Politiker. Auch die politischeImplementierung, Abstimmungspro-zesse sowie Mehrheitsbeschaffungen

    kann das Web 2.0 nicht bernehmen.Parlamente und demokratische Prozessewerden sicherlich nie durch die neuenMedien ersetzt werden knnen. Mehrals begleitende Diskurse bietet das Web2.0 hier nicht. Die Charakteristik des po-litischen Raumes im Web 2.0 zeigt also,dass die politischen Probleme auerhalbdes Internets entstehen, dann allerdingsins auch ins Netz getragen werden. Frdie Lsungsstrategien kann das Web 2.0aber ein wichtiger Bestandteil werden.

    Die Politik kann nmlich die sozialenNetzwerke gezielt einsetzen, um Dis-kurse und Meinungen einzufangen so-wie Vorhaben zu vermitteln, um Rck-halte zu gewinnen. In erster Linie ist dasWeb 2.0 ein Kommunikationsmittel.Sicherlich sind die neuen Medien fr die

    Demokratie eine praktische Sache. Al-lerdings drfen Einfluss und politischeWirkung auch nicht berschtzt werden.

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    Das knnen Sie alles senden. Horst Seehofer

    Ich werde als Kanzler kanzlergem sprechen. Peer Steinbrck

    Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und die Glotze. - Gerhard Schrder

    Es liegt nicht daran, da die Welt soviel schlechter geworden ist. Vielmehr ist d

    Berichterstattung jetzt sehr viel besser. - Gilbert Keith Chesterton, englischer Kminalschriftsteller

    Manche knnen vermutlich deshalb schon nicht mehr den Mund aufmachen, wsie dann in ein Mikrophon beien. - Rudolf Scharping

    Wer mit der Bild im Aufzug nach oben fhrt, fhrt mit ihr auch wieder nach unten- Matthias Dpfner

    Ihr kauft mir den Schneid nicht ab - Guido Westerwelle zu Medienvertretern

    Alles Banditen. Die ganze Bande/They are bandits - all of them. - WladimPutin ber den Berufsstand der Journalisten

    Ich habe keinen Moment ein ethisches Problem in meinem Wechsel gesehen, wich berzeugt bin, dass Journalismus und Politik auf ihre Weise beide zu den Sttzdieser Demokratie gehren - Steffen Seibert ber seinen Wechsel vom Nachricten- zum Regierungssprecher

    kein kommentar

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    mediensensible

    meinungsfreiheit

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    Wenn wir ber Politik und Medien spre-chen, dann hufig und im selben Atem-zug auch ber die einseitigen oder gegen-seitigen Abhngigkeiten. Was scheinbarimmer mehr in den Hintergrund rckt,ist die Frage nach der Meinungsfreiheitin diesem Zusammenhang. Mehr noch:

    Es scheint sogar einen Aspekt zu geben,der bisher vollkommen im Verborgenengeblieben ist: Die mediensensible Mei-nungsfreiheit.

    Nun sind wir ein Land, in dem die freieMeinungsuerung einen enorm hohenStellenwert einnimmt. Inhaltlich wiegeografisch weit entfernt von Debattenum entfhrte Journalisten und verfolg-te Oppositionen wird sich auf einer sehrhomogenen Basis leidenschaftlich dar-um gestritten, ob Thilo Sarrazin schrei-

    ben und sagen darf was er will oder obman Mohammed karikieren darf. Es gibtThemen, da verstehen wir Deutschenkeinen Spa. Auslnder sind so einThema. Oder auch Geschwindigkeits-begrenzungen auf Autobahnen. Kaum,dass jemand eine kritische Meinung indiese Richtung uert, wird er von denMedien und der Gesellschaft in die Man-gel genommen, bis er sich lautstark aufsein Meinungsuerungsrecht beruftoder aber einen Rckzieher macht. Oft

    genug folgt ein Echo mit der Frage, obdie Meinungsfreiheit nicht in mancher-lei Hinsicht an gewisse Grenzen stoe

    von Linda Dpner

    Linda Dpnerstudierte in Trier Politikwissenschaften und ffentli-ches Recht und ist seit 2011 Masterstudentin an dNRW School of Governance. Im Laufe ihres Studiumsammelte sie praktische Erfahrungen im DeutschenBundestag sowie bei Bertelsmann und spezialisiersich auf Fragen der Bereiche strategische Kommunkation und Corporate Responsibility.

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    Eines der vornehmsten Menschen-

    rechte berhaupt

    Um sich dem Thema anzunhern, hieralso ein kleiner Exkurs zum ThemaMeinungsfreiheit und wie es in unsererGesellschaft gelebt wird. Was ist Mei-nungsfreiheit? Normiert in Artikel 5 desGrundgesetzes bildet sie die Grundlageder Pressefreiheit und damit allen jour-nalistischen Arbeitens. Wir sprechenhier also von einem Menschenrecht,von dem das Bundesverfassungsgericht

    einmal sagte, es sei unmittelbarsterAusdruck der menschlichen Persn-lichkeit in der Gesellschaft und damiteines der vornehmsten Menschenrech-te berhaupt. Auerdem sei es fr einefreiheitlich-demokratische Staatsord-nung schlechthin konstituierend. DieseGewichtung ist sicherlich auch vor demHintergrund der deutschen Vergangen-heit zu betrachten, nach Erfahrungenwie denen im nationalsozialistischenDeutschland oder auch in der DDR. Einesolch stark gewichtete Meinungsfreiheit

    ist nicht berall in der Welt selbstver-stndlich. Laut dem Demokratieindexder NGO Freedom House gibt es aufder Welt weniger Lnder, in denen Mei-nungsfreiheit nach unserem westlichenVerstndnis gelebt wird, als solche, indenen Repression und Unterdrckungauf Oppositionre wartet.

    Grenzen, Schranken und Hrden

    Doch wo liegen nun die Grenzen? Juris-

    tisch betrachtet findet das Recht auf freieMeinungsuerung seine Schranken nurin anderen Gesetzen, also da, wo h-her- oder gleichrangige Gter geschtztwerden mssen: Die Jugend, der Staatoder auch die persnliche Ehre. Aber wieso oft in der Juristerei ist das natrlichAuslegungssache denn wo beginnt undwo endet schon die persnliche Ehre?Auch hier hat das Verfassungsgerichtden Versuch einer Definition unternom-men: Demnach schtze das Recht der

    persnlichen Ehre vor Kritik, bei der an-

    stelle einer sachlichen Diskussion oderKritik die Diffamierung der jeweiligenPerson im Vordergrund steht. Also sogenannte Schmhkritik, jede Form derBeleidigung oder auch die Erwhnung inehrverletzendem Zusammenhang. Dasbedeutet im Klartext, wenn sich jemanddurch eine uerung in seiner persn-lichen Ehre gekrnkt fhlt, dann mussman das erst einmal so hinnehmen essei denn es handelt sich um eine wahreTatsachenbehauptung. Und zwar er-

    wiesenermaen wahr, bei so genanntenunwahren Tatsachenbehauptungen istman auch schnell bei Verleumdung oderbler Nachrede gelandet. Doch das fhrtzu weit wichtig erscheint zunchst ein-mal, dass die Schranken der Meinungs-freiheit recht weit ausgelegt werdenknnen.

    Politiker als Meinungssklaven

    Was passiert also, wenn ein heiklesThema auf die tagespolitische und medi-

    ale Agenda drngt? Jeder, wirklich jederpolitische Akteur, der auch nur im Ent-ferntesten mit der Thematik in Verbin-dung gebracht werden kann, uert sichffentlich. Er gibt ein Statement ab, mitdem er sich gegebenenfalls distanziert,in jedem Fall aber geschickt positioniert.Welche Aspekte spielen bei der Ausar-beitung der Position eine Rolle? Partei-politische Frbung selbstverstndlich,Ma der eigenen Betroffenheit auch,vielleicht etwas strategisches Machtkal-

    kl und mit Sicherheit um zu unseremeigentlichen Thema zu kommen dieffentliche oder besser die verffentlich-te Meinung. Denn was kann schlimme-res passieren, als dass sich ein Politikerdurch eine unbedachte Meinungsue-rung zu einem heiklen Sachverhalt selbstins Kreuzfeuer diverser groer Presseer-zeugnisse katapultiert? Und so kommtes, dass vor dem Hintergrund einer ein-fachen und vom Grundgesetz geschtz-ten Meinungsuerung die Abwgung

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    diverser machtpolitischer Erwgungen in den Vordergrund rckt, bis seltsamerwei-

    se die Mehrheit der Politiker im Sinne des Mainstream angepasst argumentiert. Diemediensensible Meinungsuerung ist dann lediglich ein weichgespltes, politischkorrektes Allerweltsgeschwtz, das niemandem weh tut am wenigsten der eigenenKarriere.

    Ist mal wieder das System schuld?

    Ja. Schade eigentlich. Wir leben in einem politischen System und in einer Gesell-schaft, um die wir uns durchaus beneiden lassen drfen. Es herrschen Freiheit,Rechtsstaatlichkeit (nicht zu verwechseln mit Gerechtigkeit) und Menschenrechtevor, der Pluralismus bildet die zumindest staatstheoretische Grundlage. Und dochlassen wir zu, dass unsere Politiker zu Mitlufern der vermeintlichen Mehrheitsmei-

    nung werden, zum Wohle des Amtes. Und diese Mehrheitsmeinung, die ffentlicheMeinung, durchluft die Zensur der Medien und wird somit zur verffentlichtenMeinung, der Meinung, vor der unsere Politiker eine solche Angst haben. Und dabeihat jedes Amt seine ganz spezifischen medialen Meinungsschranken. Der Bundes-prsident muss sich an anderen moralischen Voraussetzungen messen lassen als dieBundeskanzlerin. Sie muss wiederum besser aufpassen was sie sagt, als ein Mitgliedeiner Oppositionspartei oder gar einer Partei wie den Piraten. Und man kann jedenvon ihnen verstehen denn hast du die Medien gegen dich, hast du fast schon ver-loren.

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    die medien alslegitimatorische

    achillesferse derpolitik?

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    Phil Nverist Masterstudent an der NRW School of GovernanceZuvor absolvierte er an der Universitt Bonn ein Ba-chelor-Studium der Politikwissenschaft und SoziologPraktische Erfahrungen sammelte er im ArbeitskreisInternationale Politik der FDP-Bundestagsfraktion ubeim Deutschen Entwicklungsdienst (DED).

    Die zunehmende Bedeutung von Mas-senmedien und speziell des Internets,hat die Anforderungen an politischeAkteure und besonders an die von ihnendurchgefhrte Politikvermittlung starkverkompliziert. Die institutionell ver-mittelte (politische) Legitimitt verliert

    an Gewicht und der Begrndungs- undZustimmungspflicht der Politik wirdnunmehr vermehrt medial nachgekom-men. Aus diesem Grund sehen Kom-mentatoren des Politikbetriebs in derPolitik immer hufiger ein schwer durch-schaubares Geflecht aus Strategien, Tu-schungen und Intrigen. Das impressionmanagement dient als mglichst effek-tive Kontrolle der eigenen Erscheinungund wird zunehmend zum wichtigstenAnliegen politischer Akteure. DiesemMisstrauen liegt die Annahme zugrun-

    de, dass Politiker im Ringen um Deu-tungsmacht ihr Augenmerk eher auf in-dividuelle mediale Performanz legen, alsinhaltliche Politikvermittlung zum Zielihrer medialen Auftritte zu machen.

    Kommunikation alsWhrung der Politiker

    Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dasssich die Medien in der heutigen Gesell-schaft nicht mehr auf die reine Informa-

    tionsvermittlung beschrnken. Durchdie kommerzielle Ausbreitung des Me-dienangebotes, die Herausbildung neuer

    Medientypen und die den Medien ent-gegengebrachte Aufmerksamkeit, wer-den die Medien Grundlage der Kommu-nikationspraxis anderer Akteure. Kurz:Die Vorstellung, Politik pur, also ohnemedial vermitteltes Beiwerk aufneh-men zu knnen, ist in dieser Medienge-

    sellschaft illusorisch. In Anbetracht derscheinbar unermdlichen Bemhun-gen deutscher Politiker im Wettstreitum mediale Aufmerksamkeit, werdenkurzfristige Wahrnehmungen von (po-litischen) Themen und vor allem Perso-nen zunehmend wichtiger. Die medialeVerbreitung komplexer politischer Sach-verhalte dient heutzutage nicht mehr derreinen Informationsgewinnung, son-dern ist zugleich oft auch Anker der Be-wertung politischer Prozesse. PolitischeKommunikation erfolgt dementspre-

    chend vorwiegend vor dem Hintergrundder Bedingungen des Marktes. Dies spie-gelt sich in der Unterhaltungsnachfragedes Publikums wieder. Einschaltquoteund Auflagenzahl werden zu Whrun-gen im Zusammenspiel von Medien undPolitik.

    Politische Akteure machen mittlerweilecirca 60 Prozent der medialen Politik-berichterstattung aus die daraus resul-tierende akteurszentrierte Perzeption

    von politischen Inhalten und Prozessenhat jedoch zahlreiche negative Begleit-erscheinungen. Antje Vollmer (B90/

    Es ist unbestritten, dass mit der flchendeckenden Verbreitung und permanenten Nutzung von massenmedial produzierten Inhalten der Einfluss von Medienauf die Politik wchst. Doch der Stellenwert der Medien beeinflusst unser Ver-stndnis von politischer Legitimation.

    Von Phil Nver

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    Grne), ehemalige Vizeprsidentin des deutschen Bundestags, bezeichnete in die-sem Zusammenhang Politik-Talkshows als Nebenparlamente, als Nebenautorittenohne Mandat. Diese wrden mit ihrer betont auf Spitzenpolitiker ausgerichtetenArt politische Entscheidungsprozesse und vor allem die ffentliche Meinungsbil-dung zu Lasten der (partei-) politischen Institutionen wie dem Bundestag beein-flussen. Durch diesen institutionellen Autorittsverlust und den Bedeutungszu-wachs der Medien wird das Aufmerksamkeitsmanagement zum Machtmittel der

    Akteure. Die Ansprche an politische Akteure haben sich demzufolge gewandelt:Neben der inhaltlichen Professionalitt umfasst das Anforderungsprofil auch einegestalterische Professionalitt, mit welcher die sthetische, stilistische und sprach-liche Umsetzung der politischen Kommunikation gemeint ist. Daraus resultiert eineintensivere Ausrichtung politischer Akteure auf die Medien und die Wahrnehmungder eigenen Person in der ffentlichkeit. Peter Mller (CDU), ehemaliger Minister-prsident des Saarlandes, sprach in Bezug auf diese Entwicklung davon, dass es ja inder Politik schlielich auch um die Herausforderung gehe, Mehrheiten zu erringenund deshalb Politik legitimes Theater sei. Eine mglichst gelungene Inszenierungder eigenen politischen Positionwird heutzutage nicht mehr nur mit Argumentenerreicht; der Akteur bentigt vielmehr ein mglichst hohes Ma an Expressivittund Visibilitt. Die Aufmerksamkeit sichernde Pointe oder ein auflockernder Witz,vereinfachende Beispiele oder rhetorische Finessen sind ntig, um das Publikum zu

    fesseln, Eindruck zu hinterlassen und so die eigene politische Sicht zu vermittelnund zu legitimieren. Der politische Akteur muss also neben der politischen auch einemedial-stilistische Kompetenz besitzen, um in der Sphre des Infotainment beste-hen zu knnen. Politik kann im Zeitalter der Visualisierung erst gelingen, wenn seinauf sthetischer und kommunikativer Ebene das Publikum anspricht.

    Legitimation durch Inszenierung?

    Kritiker dieser Ansicht wrden an dieser Stelle hervorheben, dass das Phnomender politischen Inszenierung in keiner Weise erst mit dem Beginn des Informati-onszeitalters in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Zu allen Zei-ten wurde Politik nicht nur gemacht, sondern auch vermittelt Macht und Herr-

    schaft wurden stets mit Hilfe der jeweils zur Verfgung stehenden Medien ausgebt.Machtinhaber haben sich durchweg symbolischer und symbolisierender Politik be-dient, um ihre Herrschaftssysteme zu erhalten. Gelungene symbolische Politik istzwar eine Voraussetzung fr politischen Erfolg, zugleich aber auch eine Notwendig-keit, um den Brgern komplexe politische Inhalte vereinfacht und realittsnah zuvermitteln. Kurz: Politik bentigt die Begrndung und Rechtfertigung politischerProzesse und sie muss kommunikativ legitimiert werden. Diese Art der Politikver-mittlung ist eine der Pflichten demokratisch gewhlter Politiker, wenngleich sie oftaus Kalkl zu einer Emotionalisierung der Politik benutzt wird der Grad zwischenpflichtbewusster, symbolischer Vermittlung komplexer politischer Sachverhalte undder Mobilisierung von Emotionen zum eigenen Nutzen ist schmal.

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    Das ausschlielich auf Medienlogik basierende Legitimittsverstndnis politischer Akteure steht in einer strker werdenden Dkrepanz zum verfassungsrechtlichen Institutionsgefge der Bundesrepublik. Die Auffassung vieler Politiker, dass ihre Polivornehmlich durch mediale Inszenierung legitimiert werden knne, fhrt zu einer Legitimationsfalle des demokratischen Sytems. Wenn ein so bedeutender Politiker wie (der damalige Kanzler) Gerhard Schrder sagt er brauche zum Regieren [] nBild und die Glotze, verheit dies fr den Stellenwert demokratisch-institutioneller Prozesse nichts Gutes.

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    Enthaltung (von Susanne Steitz)

    Mit den elektronischen neuen Medien vom Radio ber das Fernsehen bis hin zum Internet entstanden neue Formen von f-

    fentlichkeit. Das Verhltnis von Politik und Medien gestaltet sich dadurch zunehmend komplexer. Zwischen der Politik und denMedien dominiert ein umfangreiches aufeinander bezogenes Handeln. Komplexe Tauschbeziehungen, enge Verflechtungen undwechselseitige Abhngigkeiten prgen das Verhltnis zwischen den beiden Teilsystemen.Die Medien sind einerseits auf Informationen aus der Politik angewiesen. Andererseits ist die Verbreitung der Informationen frdie Politik essentiell wichtig und unverzichtbar. Durch die massenmediale Berichterstattung wird schlielich ein Feedback ge-neriert, dass auf das politische Feld zurckwirkt, woraufhin dieses wieder neue Inhalte hervorbringt. Fr die politischen Akteurenimmt die Bedeutung der Massenmedien zu. Sie nehmen immer mehr Einfluss auf Personal- und Policyentscheidungen, dienenzuletzt jedoch auch der Politikinszenierung.

    Es kann also weder von einer vorherrschenden Medialisierung der Politik, noch von einer Politisierung der Medien gesprochenwerden. Zumindest in westlich-demokratischen Gesellschaften ist das politische System mit dem Mediensystem unauflslichmiteinander verknpft. Diese Sichtweise nimmt auch der Interdependenzansatz der Politikwissenschaft ein.

    Ja (von Matthias Voigtlnder)

    Medien spielen eine zentrale Rolle in Demokratien. Sie sind das Bindeglied zwischenpolitischen Betrieb und der Bevlkerung und stellen so die notwendige ffentlich-keit her, welche auch Transparenz von Handlungen im politischen Betrieb schafft.Sie bestimmen wesentlich die Meinungsbildung der Brger und die Legitimationpolitischen Handelns. Medien sind nicht nur berbringer von Meldungen aus derPolitik heraus. Vielmehr sind sie bersetzer und Interpretatoren dessen was auf derpolitischen Bhne geschieht. Hierin liegt der Kern warum die Frage, ob Politik me-

    dialisiert ist, mit ja zu beantworten ist. Es scheint unbestreitbar, dass die Bedeutungvon Massenmedien, massenmedialer Berichterstattung und massen-medialer Logikfr die politisch relevanten Wahrnehmungen und Handlungen von Brgern, Medienund politischen Akteuren zunimmt und letztere sich von dieser leiten lassen.

    In einer Zeit in der Mediennutzung zu jeder Zeit verfgbar ist und von dieser Mg-lichkeit mehr als Gebrauch gemacht wird, ist die Abhngigkeit der Nutzer von diesenInformationen mehr als plausibel. Dies erffnet den Medien ein groes Einfluss-potenzial. Sie werden ein eigenstndiger politischer Akteur, der durch seine Be-richterstattung eine Steuerung der allgemeinen Stimmungslage im Land erzeugenkann. Hierzu greifen die Medien zunehmend auf Umfrageberichterstattung zurck.Hierbei werden Ergebnisse prsentiert, die aufzeigen sollen wie die Gemtslage in

    Deutschland ist. Ein Schelm der bses denkt, wenn als Auftraggeber dieser Umfragedie Medien selbst stehen. Das Medienkarussell dreht sich und das immer schnellerso kommt es fast zu einem permanenten Ausnahmezustand der Informationsflut.

    Was heute noch die Schlagzeilen beherrscht hat, ist am nchsten Tag bereits verges-sen. Die Aufregungszyklen sind kurz. Diese teilweise irrationalen Medienhypes sindnur schwer vorhersehbar geschweige denn steuer- oder kontrollierbar. Es scheintdaher nur verstndlich wenn Politiker sich mit PR-Berater eindecken und Parteienund Fraktionen eigene Abteilungen fr die Pressearbeit haben. Politiker folgen denRegeln der Medien, denn mit ihnen lassen sich Karrieren gestalten und Themen be-setzen. Diese Medienkompetenz und ntige Medienkontakte sind der Erfolgsfaktorin der heutigen Zeit. Medienprsenz ist eine Machtressource. Wer bei den Mediengefragt ist, dass Spiel mitspielt, schickt seine politische Nachricht hufiger durch den

    ther und wird somit gehrt.

    Politik wird medialisiert. Dies hat Konsequenzen, negative wie auch positive, aberdie Medialisierung der Politik ist unbestreitbar.

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    Nein (von Carina Burek)

    Eine Medialisierung der Politik? Gibt es die wirklich? Sollte nicht eher die Frage gstellt wer-den, ob es stattdessen eine Politisierung der Medien gibt?Eine berechtigte Annahme, fr die es insbesondere in den letzten Jahren gengenAnzeichen und Vorgnge gibt, die es aus den dunklen Hinterzimmern an das Licder ffentlichkeit geschafft haben.Das eine Mal ist es der Pressesprecher einer groen deutschen Volkspartei, der d

    Ausstrahlung eines Beitrages ber den politischen Gegner mit einem Anruf beiRedakteur verhindern will, das nchste Mal ist es ein Chefredakteur, dessen Vertrwegen seiner klaren Worte zum Thema Einflussnahme politischer Akteure auf seiArbeit nicht verlngert wird.Ein heikles Thema, denn wirklich zugeben will so eine Einflussnahme doch nmand. Es sind daher eher die Dinge zwischen den Zeilen, die die Politisierung dMedien zu aufdecken.

    Der ffentlich-rechtliche Rundfunk steht in diesem Zusammenhang immer wider in der Kritik. Es ist schwer vorstellbar, dass die parteipolitische Frbung bei dBerichterstattung keinerlei Rolle spielt. Immerhin sind die entscheidenden Gremen mehrheitlich mit parteipolitisch aktiven Personen besetzt und mit mehrheitli

    ist hier von mehr als 90% die Rede. Diese Gremien besitzen zudem nicht nur eiAufsichtsrolle, sondern sie erstellen die Richtlinien, besetzen mter und haben automatisch einen Einfluss auf die Vorgnge innerhalb eines Senders und dessProgrammplanung. Bei dieser Planung wird es wohl kaum darum gehen, ob nun dBergdoktor oder das Traumschiff gezeigt wird. Es ist vielmehr die Aufsicht darbdass die richtigen Leute an den Tischen der Polittalks sitzen und dass der Redaktedie richtigen Gesprchspartner fr seine O-Tne anfragt.Inwiefern bei so einem Status Quo seitens der Politik eine Medialisierung beklawird ist doch mehr als fragwrdig. Vielmehr wird die Schuld beim anderen gsucht, um die eignen Vergehen der Einflussnahme aus dem Blickfeld in den Hintegrund zu schieben. Professioneller kann nicht gehandelt werden, um die Politisrung der Medien zu vertuschen.

    der hammelsprung:

    gibt es einemedialisierungder politik?

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    medienkanzler nur einemodeerscheinung?ein kommentar

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    Man stelle sich folgende Szenerie vor: Ein groer Raum, in dem das Scheinwerfelicht sich zielbewusst an einem bestimmten Platz trifft und berlagert. Alle Kamersind auf die Mitte des Raums, welche quasi als Manege des Studios fungiert, gerictet. Das Publikum bleibt zunchst unbeachtet im Dunkel des Hintergrunds. Es ewartet Unterhaltung, oder, um noch etwas weiter zu gehen, Bespaung. Eine Szenrie, die man sich sehr gut in einer Samstagabend-Sendung vorstellen kann. Doch Mittelpunkt steht diesmal kein Moderator oder Knstler, sondern ein Politiker, d

    Bundeskanzler.

    Mehrfach zeigte sich Gerhard Schrder whrend seiner Amtszeit als Kanzler in diesManier. Nicht umsonst schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass mit Schrder die deutsche Politik wirklich gottschalkkompatibel geworden sei. Es war allein groes Spiel, eine Inszenierung des puren Nichts.

    Wo bleiben die Werte der Politik?

    Was auf der Strecke blieb, war die Seriositt der Politik. Dieses kleine Wort, welchdoch so stark in seinem Gehalt wirkt. War Schrders Haarfarbe wirklich wichtigals horrende Arbeitslosenzahlen oder Kriege auf dem Balkan? Es scheint, als ob eMann groe, drngende Probleme des Landes nur durch seine Anwesenheit verge

    sen macht. Als ob es sie in diesem Augenblick gar nicht gbe. Im Fuball wrde msolch eine Person womglich Lichtgestalt nennen.

    Dennoch vertreten Politiker, und allen voran der Bundeskanzler, das deutsche VoZumindest sollten sie es. Eine Aufgabe mit sehr viel Verantwortung. Allerdinknnte man den Eindruck gewinnen, dass eben dieser Wert der Politik, veranwortungsbewusst und klug im Sinne des Volkes zu handeln, durch derlei medi(Schau-)Inszenierungen zerfllt. Die wahre Realitt, der harte Inhalt des Politikgschfts, weicht scheinbar mhelos einer Art Schein-Realitt, einem modernen Pradies. Politisch ausgedrckt: Darstellungspolitik berlagert Entscheidungspolitiknegiert diese fast.

    Spakanzler, Gottschalk-Gau, Medienkanzler. Diese Begriffe stehen fr einera, die vor allem Gerhard Schrder mit seiner Kanzlerschaft geprgt hat. Docwas bedeuten sie und, viel wichtiger, was bleibt davon?

    von Peter Schmger

    Peter Schmgerist seit 2012 Student des Masterstudiengangs Poli-tikmanagement an der NRW School of GovernanceZuvor studierte er in Bamberg Politikwissenschaftean der Otto-Friedrich-Universitt Bamberg. PraktiscErfahrungen sammelte er im Deutschen Bundestagund im Bayerischen Landtag.

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    Das Realittskonstrukt der Medien

    Diese Realitt wurde konstruiert. Verantwortlich dafr: hauptschlich die Medien.Diese haben die Realitt nicht nur verzerrt, sondern gnzlich neu entworfen. EineWirklichkeit, unabhngig von den Medien, existiert schlicht nicht mehr. Auch keinePolitik! Zumindest sieht dies der groe Soziologe Niklas Luhmann so.

    Doch, um zum Kern der Problematik zurckzukehren, entspricht diese Medienthe-orie nicht ganz der Wahrheit. Sie darf es nicht! Dennoch besteht die latente, aberdurchaus reale Gefahr, dass der Kanzler das Spiel mit den Medien, die Macht berdie Kanzlermedien, seine Medien, verliert. Er knnte selbst lediglich Spielball imgroen Champions-League-Spiel werden, um bei der Fuballmetapher zu bleiben.Noch glauben Politiker allerdings, dass ihre Machtzentren strker sind als Kommu-nikationszentren.

    Entscheidungsschwche der Politik

    Wie viel Substanz hat die Politik noch? Wenig, will man meinen. Sie ist entschei-dungsschwach, denn dann flchten die Politiker in die mediale Ersatzwelt. Diese er-schaffen sich einen eigenen Kosmos, in dem sie sich so darstellen, als seien sie jemand

    mit Gewicht und Weisheit. Medienkanzler und Kanzlermedien arbeiten dann Handin Hand. Es herrscht eine stndige gegenseitige Beeinflussung. Langfristige Strategi-en existieren nicht mehr, abgesehen vom Ziel der Wiederwahl. Politische Macht solldurch Medienerfolg erhalten werden. Ist also jemand, der sich diesen Gesetzen nichtbeugt, zur Erfolglosigkeit verdammt, ein politisches Nichts?

    Was bleibt?

    Dieses System Medienkanzler wurde von Gerhard Schrder geprgt. Mit ihm stiegund fiel es scheinbar. Seine Nachfolgerin als Bundeskanzlerin, Angela Merkel, passtnicht so recht zum inszenierten Gepolter ihres Vorgngers. Sie hlt sich im tagespo-litischen Ablauf eher bedeckt. Dennoch ist dieses System zu einem Machtfaktor ge-

    worden. Man bedenke nur die unentwegt erfolgreichen Polit-Talkshows wie auch daszu den Wahlen fast schon obligatorisch gewordene Fernsehduell. Doch das Systemexistiert nicht mehr wie unter Schrder. Kanzlerin Angela Merkel zeigt, dass nichtdie Medien die Realitt konstruieren, sondern immer noch die Politik.

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    Medien und Politik ein mindestens ambivalentes, schwieriges Verhltnis. Dazu muman nicht die Palette politischer Skandale bemhen. Wenn vom Beziehungsspiel zwschen Journalismus und Politik die Rede ist, dann herrscht auch jenseits aller Affrensmantik hufig der Modus antagonistischer Klage.

    Merkwrdig eigentlich, kommt doch kaum eine Publikation zur politischen Kommnikation aus ohne Globalstze zur Bedeutung der Medien und des Journalismus fr dDemokratie. Wir sollten also dankbar sein. Fr freie Medien allemal, eine vierte Gew

    als Anlaufstelle fr Transparenzgetriebene, fr Informationsvielfalt und Qualittsjounalismus, der kontrolliert, und damit eine offene Politik in der Mediengesellschaft?

    Machen wir uns nichts vor. Der Tenor der Aufklrung scheint ein wenig abhandgekommen zu sein. Sicher, ffentlicher als gegenwrtig war Politik nie. Aber das hat snen Preis. Und so ist es heute ein Gemeinplatz, dass politisches Handeln nachgeramediatisiert ist, dass sich Politikerinnen und Politiker in ihrem Tun und Lassen an einLogik der Medien orientieren und sich darber in ihrem Entscheiden auch leiten lasen. Nun ist beispielsweise politische Inszenierung so alt ist wie das Politische selbWahrscheinlich auch ihre Skandalisierung im Lichte der Agora. Die Frage ist aber, sich in einer Situation medialer Dauerbeobachtung und Permanentbesprechung die Plitik was uns eigentlich nicht verwundern sollte Freirume des Handelns schafft, d

    wir und schon demokratietheoretisch nicht wnschen.

    durch die hintertr medien im informellenpolitischen

    verhandlungssystem

    Gastbeitrag

    von Klaus Kamps

    Dr. Klaus Kampsist derzeit Vertreter einer Professur fr SozialeKommunikation an der Universitt Erfurt. SeineForschungsschwerpunkte sind politische Kommuni-kation, Medienpolitik, ffentliche Kommunikation unKommunikationsmanagement.

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    Dazu muss man zunchst festhalten, dass die Lage nicht so absolut medienerfasst ist,wie gelegentlich vermutet. Weite Teile der Politik werden schlichtweg nicht medial dis-kutiert, vielleicht noch beobachtet, aber nicht berichtet. Das, was wir aus den Medienber die Vorgnge und Vorhaben auf gleich welcher politischen Ebene erfahren, hat na-trlich einen grob gerasteten Filter an Nachrichtenwerten durchlaufen. Es ist routiniert routiniert selektiert und berichtet. Das ist ber weite Strecken durchaus funktional.

    Weit weniger funktional erscheinen allerdings jene Nicht-ffentlichkeiten, die etwavon der Verbnde- und Lobbyforschung thematisiert werden (mssen). Da ist nichtgleich an Geheimdienste zu denken: Die Berliner Republik kennzeichnet sich auchdurch ein hohes Ma an politikfeldspezifischer Durchdringung. In der Politikfeld-forschung dominieren heute solche Zugnge, die sich auf das Gefge von Staat undVerbnden und den Einfluss institutioneller Entscheidungen konzentrieren. ExplizitKommunikation oder eben Medien finden dort nur marginale Beachtung und bildenallenfalls einen basalen Referenzrahmen. Das ist insofern erstaunlich, als interne wieexterne Kommunikation durchaus zu den Aufgaben solcher Organisationen zhlen.

    Whrend das Verhltnis von Politik respektive politischer ffentlichkeitsarbeit undJournalismus schon seit Lngerem analysiert wird, ist erst in jngster Zeit ein Fokus aufkommunikative oder mediale Einflsse auf Willensbildungsprozesse und Entschei-

    dungen in Politikfeldern gelegt worden. Ein Ergebnis dieser Studien ist die hohe Kon-textgebundenheit in der Frage, ob eben Medien Einfluss auf Entscheidungen ausben,ob also eine Medienlogik den Prozess einer konkreten politischen Problemdefinitionund ihre Lsung faktisch beeintrchtigt und unter welchen institutionellen, strukturel-len und situativen Bedingungen dies der Fall ist oder eben nicht. Policy matters: Eskommt, kurz, darauf an auf die Sachlage und ihre politische wie wirtschaftliche Reich-weite, auf die Netzwerkkonstellation im Politikfeld, gegebenenfalls auch auf formellewie informelle Verfahren und Regeln im Mehrebenen-System.

    Politische Entscheidungsfindung kann dabei lange Zeit medienfern verlaufen, so dassdie Politikherstellung vorrangig der Eigenlogik des Politischen folgt. Hier wre ffent-lichkeit als Prinzip? weiter zu untersuchen, inwiefern sich Nicht-ffentlichkeit schon

    systematisch einstellt bzw. unter welchen Bedingungen sie durchbrochen wird. Dazugehren das zeigen Fallstudien offenbar fragmentierte Akteurskonstellationen, einberhaupt nicht existierender oder aufbrechender Grundkonsens oder der Ausschlussgesellschaftlicher Akteure im jeweiligen Politikfeld. Ob, wenn und in welcher Weise dieMedien Einfluss nehmen auf spezifische Entscheidungen in politischen Verhandlungs-systemen, ist jedenfalls kaum pauschal zu beantworten und damit auch nicht generellihre strategische Instrumentalisierbarkeit aus der Sicht etwa von Verbnden und Inter-essengruppen.

    Abgesehen von dieser Ambivalenz empirisch nachweisbarer Einflussstrukturen kn-nen die Akteure den Medien in spezifischen Problemlagen Wirkungen unterstellen, siezumindest nicht ausschlieen. So unterscheidet die klassische Verbndeforschung zwi-

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    schen Einfluss- und Untersttzerlogik. Politische Kommunikation in Form von direter oder indirekter, medial-vermittelter Kommunikation von Interessen gegenber dpolitischen Entscheidungstrgern (Einflusslogik) sowie ebenfalls direkt oder medial grichtet an Mitglieder oder andere denkbare Untersttzerkreise (Untersttzerlogik). Egnzen kann man diese Perspektive noch um eine Reputationslogik und eine Reziprzittslogik: Mit Blick auf die Akzeptanz ihrer Anliegen in der ffentlichkeit orientiersich Verbnde massenmedial (Reputationslogik); nach der Reziprozittslogik orient

    ren sie sich aber auch an relevanten Teilffentlichkeiten, etwa anderen Verbnden odintermediren Organisationen. Insofern wird eine einfache Verband-Politik-Dyade dferenziert: Interessengruppen stellen sich nicht nur auf ihre Mitglieder ein oder konkihre politischen Ansprechpartner, sondern haben auch andere Akteure ihres Feldes iBlick sowie Fachmedien, Online-Strategien und mehr.

    Medien besitzen also fr politische Verhandlungssysteme einen strukturellen Latencharakter. Sie bilden einen Mglichkeitshorizont, der gleichsam transaktional in dVerhandlungssystem zurckspiegelt, ganz unabhngig davon, ob im Einzelfall etwtatschlich Strategien politischer ffentlichkeitsarbeit greifen. Darber hinaus zeigFallstudien, dass Journalisten nicht nur in einer strengen beruflichen, also berichtendFunktion in den politischen Netzwerken integriert sind. Das zeigt sich zum Beispdarin, dass viele Journalisten in entsprechenden Befragungen uern, normale Pre

    sekonferenzen (jenseits unvorhergesehener oder spektakulrer Ereignisse), in denetwa Vorhaben und Initiativen von Ministerien verkndet werden, htten fr sie in alRegel gar keinen Neuigkeitswert, weil sie meist lngst ber die Dinge, die da kommeinformiert seien.

    Medienferne Politik drfte also eher selten wirklich medien- oder gar journalistenfesein. Zwar mag es Flle reiner Arkanpolitik geben. Nach dem, was uns die Politikfelforschung an dieser Stelle sagt, knnen wir aber davon ausgehen, dass ffentlichkweiterhin eine klassische Mglichkeitskategorie des politischen Prozesses ist. Sie istder Breite des politischen Ttigkeitsfeldes jederzeit abrufbar womit sich eine schParallele zur Partizipationstheorie von Ralf Dahrendorf aufmacht, der in der Beteigungsdebatte der 60er und 70er Jahre die Position vertrat, die umfassende, bestndi

    Teilhabe aller Brgerinnen und Brger am politischen Prozess sei nicht sonderlich funtional; vielmehr ginge es darum, das gesellschaftliche Gefge so zu organisieren, eisolche Teilhabe jederzeit zu ermglichen. hnliches drfte auch fr die ffentlichkin politischen Verhandlungssystemen der Bundesrepublik gelten. Sie ist ganz sichnicht jederzeit gegeben; aber sie ist jederzeit denkbar und tritt so durch die Hintert auch in solche Verhandlungskonstellationen, die nicht primr im Fokus der aktuellMedienaufmerksamkeit liegen.

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