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Die Lobby der Netzbürger formiert sich Kampf ums Internet Politisiert In den Bundesministerien verliert das Ideal des preußischen Beamten an Bedeutung POLITIK 22 Desorientiert Die FDP verharrt im Umfragetief – helfen soll die Neuorganisation der Parteizentrale POLITIK 14 www.politik-kommunikation.de Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 05/11 | September 2011 | 7,20 Euro

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politik&kommunikation ist das einzige deutsche Fachmagazin für politische Kommunikation. Es bietet eine professionelle Plattform für die Diskussion aktueller Themen und Trends und berichtet unabhängig und parteiübergreifend über Kampagnen und Köpfe, Techniken und Methoden.

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Die Lobby der Netzbürger formiert sich

Kampf ums Internet

PolitisiertIn den Bundesministerien verliert das Ideal des preußischen Beamten an Bedeutung POLITIK 22

DesorientiertDie FDP verharrt im Umfragetief – helfen soll die Neuorganisation der Parteizentrale POLITIK 14

www.politik-kommunikation.de Helios Media GmbH | ISSN 1610-5060 | Ausgabe 05/11 | September 2011 | 7,20 Euro

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Inhalt

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14 DesorientiertDie FDP verharrt im Umfragetief – trotz des Wechsels an der Parteispitze. Die Neuorga-nisation der Parteizentrale soll helfen, die Li-beralen zu alter Schlagkraft zurückzuführen.

22 PolitisiertLange Zeit galten Beamte als loyal und un-politisch. Doch hat der Typ des preußischen Beamten mittlerweile ausgedient. Die Minis-terialbürokratie politisiert sich zunehmend.

26 OrganisiertDie Internet-Lobby organisiert sich – mit Kampagnenplattformen wie der „Digitalen Gesellschaft“. Doch Teile der Community setzen lieber auf die „Weisheit der Vielen“.

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38 Zurück auf den Platz Andrea Fischer will zurück in die Politik – als Bezirksbürgermeisterin40 Wahltriumph eines

Tabaklobbyisten p&k Historie – Teil 4: Die Reichstags-

wahl 1881 von Marco Althaus

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42 Kompakt44 Grüne auf dem Vormarsch In den Industrienationen gewinnt die

grüne Bewegung an Bedeutung von Aljoscha Kertesz46 „Sieg der Freiheit“ Frederick Kempe im p&k-Interview über Mauerbau und Schuldenkrise

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48 Kompakt50 Kaleidoskop der Macht Der Fotograf Platon Antoniou hat die Lenker der Welt porträtiert54 Bücher und TV

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56 Verzwickte Kampagnen Fünf Regeln, die Verbänden den Weg zum Kampagnenerfolg ebnen von Christian H. Schuster und Miriam Melanie Köhler58 Rhetorik

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8 Meldungen Fragen Sie Dr. Merkel, Millionen für Wowereit

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12 Nach Berlin ziehen? Pro und Kontra

von Petra Merkel und Norbert Röttgen 14 Die Vertrauensfrage FDP-Chef Philipp Rösler will das Thomas-Dehler-Haus umbauen 18 Verpasste Chancen Wie das Auswärtige Amt

Deutschlands Ruf verspielt von Anna Schwan22 Ausgedient Das Ideal des preußischen Beamten verliert an Bedeutung

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26 Kämpfe, Nerd! Die Netz-Lobby organisiert sich – das

ruft Kritik in der Community hervor32 Das Gesetz des Monats Update zur Novelle des Telekommu-

nikationsgesetzes von Danielle Herrmann

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34 Kompakt36 In Wowis Welt p&k hat mit den Machern der Berliner

SPD-Kampagne gesprochen

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60 Die Karrierekurve Peer Steinbrück62 Mein Lieblings… p&k befragt Bundestagsabgeordnete

nach dem, was ihnen lieb ist64 Personen und Karriere Neue Sprecher für Bundesregierung,

Lucas leitet Politikabteilung im AA68 Ossis Welt Das Politikbilderbuch70 Gala Die wichtigsten Events76 Politikkalender Die Top-Termine im September77 Porträt in Zahlen Michael Vassiliadis

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3 Redaktionstagebuch5 Liebling des Monats6 Freiheit und Teilhabe Essay von p&k-Chefredakteur

Sebastian Lange78 Letzte Seite

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Man kann der bayerischen SPD ei-niges vorwerfen, aber nicht, dass sie auf den harten Oppositions-bänken verlernt hätte zu träumen. Bei 19 Prozent steht die Partei der-zeit in den Umfragen – und disku-tiert über einen sozialdemokrati-schen Ministerpräsidenten. Grund für die rote Euphorie im schwar-zen Freistaat: Christian Ude. Der

Münchner Oberbürgermeister darf 2014 nicht noch einmal fürs Rathaus kandidieren, da die Al-tersgrenze bei 65 Jahren liegt. Für das Maximilianeum reichts jedoch ollaweil. Und weil Ude eine Kandi-datur nicht ausschließt, sprießen die Träume der bayerischen Sozen in den blau-weißen Himmel. Ude ist ein Garant für gute Wahlergeb-

nisse. Zumindest in München, wo er – 63 Jahre alt – gefühlt ebenso lange regiert. In Bayern hingegen regiert beinahe wirklich so lange – 54 Jahre – die CSU. Vielleicht ist damit bald Schluss, wenn der „Sonnenkönig von Schwabing“ die SPD in Höhen von über 20 Prozent führt. Und vielleicht könnte der leidenschaftliche Hobby-Klein-

künstler dann endlich beweisen, dass er nicht nur der beste Kaba-rettist unter den Politikern, son-dern auch der beste Politiker unter den Kabarettisten ist. Wie auch immer die Wahl 2013 ausgeht: Allein wegen der Phantasie und Euphorie, die Ude in seiner arg gebeutelten Partei entfacht, ist er unser Liebling des Monats.

Liebling des Monats: Christian Ude

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4 pol it ik&kommunikat ion | September 2011

Kompakt

Das Bündnis Open Knowledge Foun-dation will für mehr Transparenz in der Politik sorgen und hat dafür am 1. August eine Internetseite gestartet, die es Bürgern erleichtern soll, Fragen an die Bundes-regierung zu richten. Das ist zwar schon möglich, seit 2006 das Informationsfrei-heitsgesetz in Kraft getreten ist – nach Ansicht der Initiatoren nutzen die Bürger

diese Möglichkeit bislang aber zu selten, nämlich nur rund 1600 Mal pro Jahr. Auf der Seite „Frag den Staat“ können Bürger nun Fragen stellen, die dann an sämtliche Bundesbehörden weitergeleitet werden. Der Nutzer schildert per Web-Formular sein Anliegen, die offizielle Antwort ist dann auf der Webseite zu lesen. Elf Orga-nisationen unterstützen das Portal, unter

anderem der Deutsche Journalistenver-band, Transparency International und das Open Data Network. Das Informa-tionsprivileg für Journalisten will die Ini-tiative indes nicht komplett au�eben. So können sie Anfragen nicht-öffentlich stel-len, die Antworten werden erst mit Zeit-verzögerung öffentlich gemacht. fragdenstaat.de

Im Bundestag muss die Regierung regelmäßig Fragen beantworten – die der Volksvertreter

Der Internetriese Google finanziert ein in Räumen der Berliner Humboldt-Univer-sität eingerichtetes „Institut für Internet und Gesell-schaft“. Nach eigenen Anga-ben gibt Google für das For-schungsprojekt 4,5 Millionen Euro aus, an dem außerdem die Universität der Künste, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und das Hans-Bredow-Institut in Hamburg beteiligt sind. Mit dem Institut sollen „Wissenschaftler und Akteure aus allen Sparten der Gesellschaft“ zusammenge-bracht werden, „um Fragen in den Berei-chen Internet-Innovation und Regulie-rung, Informations- und Medienrecht

sowie Fragen des Verfassungs-rechts im Internet zu erör-tern und zu erforschen“, so die Selbstbeschreibung. Bei der Präsentation des Projekts im Juli betonten die Leiter der beteiligten Forschungsein-richtungen, dass das Institut inhaltlich vollkommen unab-hängig von Google arbeite. Der Konzern verstärkt unter-

dessen seine Lobby-Bemühungen in Deutschland. So richtet er im kommen-den Jahr eine Stelle für „Jugendschutz und Medienkompetenz“ ein. Leiten soll sie Sabine Frank, die bislang die Geschäfte der Freiwilligen Selbstkontrolle Multime-dia-Diensteanbieter (FSM) führt. www.internetundgesellschaft.de

Kompakt

TRANSPARENZ

Fragen Sie Dr. Merkel

WISSENSCHAFT

Google lässt forschen

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Sogenannte Whistleblower müs-sen in Deutschland künftig weniger Angst vor Kündigungen haben. Der Europäische Gerichtshof für Men-schenrechte (EGMR) entschied jetzt, dass deutsche Gerichte bisher zu rest-riktiv zugunsten von Unternehmen geurteilt haben. Konkret ging es um eine Altenpflegerin, die 2004 ihren Arbeitgeber wegen schwerer Män-gel in der Pflege anzeigte. Das Bun-desarbeits- und später das Verfas-sungsgericht erklärten die darauf-hin ausgesprochene Kündigung durch das Altenheim für rechtmäßig. Zu Unrecht, so der EGMR: So hätten die Richter nicht ausreichend gewürdigt, dass an dem Whistleblowing öffentli-ches Interesse bestehen könne.

WHISTLEBLOWER

Kündigungsschutz

Sabine Frank

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pol it ik&kommunikat ion | September 2011 5

Der ehemalige Bür-gerschafts-Abge-ordnete und Nach-wuchsstar der Hamburger SPD Bülent Cift-lik wurde im Juli aus der Untersu-chungshaft entlassen. Ciftlik droht zwar weiterhin eine Gefängnisstrafe, doch das Hamburger Oberlandesge-richt entschied, dass nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft die Ver-hältnismäßigkeit nicht mehr gegeben sei. Das zuständige Gericht habe die Bearbeitungszeit der Anklage um eine Woche überzogen. Ciftlik muss sich demnächst vor dem Landgericht Ham-burg unter anderem wegen Körperver-letzung, Nötigung und Urkundenfäl-schung verantworten. Er soll beispiels-weise Helfer beauftragt haben, Brief-wahlanträge für die Bürgerschaftswahl 2008 zu fälschen. Bereits im vorigen Jahr hatte das Amtsgericht den 39-Jährigen in einem anderen Verfahren schuldig gesprochen, eine Scheinehe vermittelt zu haben. Dagegen haben sowohl Ciftlik als auch die Staatsan-waltschaft Berufung eingelegt.

In der Internetgemeinde haben die Grü-nen die meisten Anhänger. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des IT-Dienstleisters Infosys. Demnach füh-len sich unter den Bürgern, die sich als „Netzaktivisten“ sehen und sich an poli-tischen Diskussionen im Internet beteili-gen, 37 Prozent den Grünen am nächsten. CDU und CSU kommen auf 25 Prozent, die SPD auf 24 Prozent. Insgesamt zehn Prozent der Bevölkerung gehören schät-zungsweise zu den in der Studie als „Poli-

tical Net Activists“ bezeichneten poli-tisch besonders interessierten Usern, die vor allem aus höheren Bildungs- und Ein-kommensschichten stammen sowie über-durchschnittlich jung und männlich sind. Für die Autoren der Studie sind die gerin-gen Barrieren im Netz und die Möglich-keit, sich leicht engagieren zu können, die wichtigsten Gründe dafür, dass die politische Online-Partizipation so reiz-voll geworden ist – und sich die Anzahl der Net Activists in den kommenden Jah-ren noch erhöhen wird.

NETZAKTIVISTEN

Grünes Internet

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Günther Jauch vor ARD-Debüt: Kann der populäre Moderator das Interesse an politischen Themen wieder steigern?

Schuldenkrise in der EU: Zeigt Merkel genug Führungsstärke?

Aufregung um Geißlers „totalen Krieg“: Hat er die Grenzen des Erlaubten überschritten?

Kurs-Debatte in der Union: Fehlt eine wegweisende Rede der Vorsitzenden?

Rösler beharrt auf Steuersenkungen: Kann die Partei mit dem Thema noch bei den Bürgern punkten?

EXPERTEN-

TIPP

Wolfgang Ismayr(Uni Dresden)

Ulrich Sarcinelli(Uni Koblenz-

Landau)

Ulrich vonAlemann

(Uni Düsseldorf)

Karl-Rudolf Korte (Uni Duisburg-

Essen)

Wichard Woyke(Uni Münster)

Peter Lösche(Uni Göttingen)

SOZIALE MEDIEN

Kanzlerin vor Piraten

UNTERSUCHUNGSHAFT

Ciftlik frei

Die Kommunikation von Behörden, Poli-tikern und NGOs im Netz wird jetzt über-wacht – zu Benchmarking-Zwecken. Die Web seite Pluragraph zeigt, wie viele Fol-lower diese haben. In der Kategorie Poli-tik liegt derzeit die Piratenpartei weit vorne, was die Zahl der Follower angeht – noch mehr Follower hat allerdings Bun-deskanzlerin Angela Merkel.pluragraph.de Hinter Merkel her? Die Piratenpartei in Aktion

Bülent Ciftlik

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Kompakt

WAHLKAMPF

Millionen für Wowereit

GESUNDHEITSMINISTERIUM

Pharmalobby außen vor?

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Das Bundesgesundheits-ministerium will nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ Pharmalobbyisten aussperren – zumindest aus den Arbeitsgruppen, die das Ministerium beraten. Minis-ter Daniel Bahr (FDP) plane einen entsprechenden Vor-stoß, hieß es. Ein Ministeri-umssprecher gegenüber p&k: Medienberichte, nach denen Lobbyisten aus den Beratergremien des Ministeri-

ums gedrängt werden sol-len, beruhten auf internen Arbeitspapieren, die gene-rell nicht kommentiert würden. Nach dem Bericht der Zeitung zeigten sich Pharmalobbyisten empört über den Vorstoß. Sicher-heit für Patienten gebe es nur bei Beteiligung der Industrie, zitiert das Blatt

einen Sprecher des Verbands der Phar-mazeutischen Industrie.

Im Berliner Wahlkampf führen die Roten und die Grünen – jedenfalls, soweit es die Ausgaben für die Kampagnen anbelangt. p&k erfragte die Wahlkampf-kosten in den Parteizentralen: Die SPD investiert am meisten, nämlich 1,7 Milli-onen Euro. Es folgen die Grünen, die 1,1 Millionen Euro ausgeben. Die CDU kann auf einen Wahlkampf-Etat von einer Mil-lion Euro zurückgreifen. Sowohl Grüne als auch CDU haben ihre Wahlkampf-ausgaben im Vergleich zur vorigen Wahl deutlich erhöht, die Linke gibt als einzige Partei weniger aus. Die Abgeordneten-hauswahl findet am 18. September statt, die Bürger entscheiden außerdem über neue Bezirksverordnete. In den meisten Umfragen lag bei Redaktionsschluss von p&k (22. August) die SPD vorne, gefolgt von CDU und Grünen, die etwa gleich-auf lagen.

LOBBYISTEN

Paradies für InteressenvertreterDeutschland, Frankreich und Polen sind die Staaten mit der geringsten Regu-lierungsdichte in Sachen Lobbyismus. Zu diesem Schluss kommt die Initiative Regulate Lobbying. Die von Wissen-schaftlern aus Dublin gestartete Initiative hat ihre Arbeit gerade begonnen und will künftig regelmäßig ermitteln, wie streng

die Regeln für Lobbyisten in ausgewähl-ten Ländern und Institutionen sind. Am strengsten sind danach derzeit die USA. Das deutsche politische System wird von den Forschern als „lowly regulated“ ange-sehen, aber auch die EU-Kommission fällt in diese Kategorie.www.regulatelobbying.com

Der Deutsche Rat für Public Re-lations hat eine Mahnung gegen die Agentur Bohnen Kallmorgen & Partner (BKP) und die von ihr ge-gründete Non-Toxic Solar Alliance (NTSA) ausgesprochen. Zugrunde lag eine Beschwerde von Lobbycontrol. Ausschlaggebend war laut Rat „fehlen-de Transparenz“ bei der Außendarstel-lung der NTSA. Diese stellte sich als Initiative von Industrie, Wissenschaft und Bürgern im Bereich Erneuerbare Energien dar. Dabei sei aber nicht aus-reichend deutlich gemacht worden, dass allein BKP Initiator und Finanzier gewesen sei. „Wir haben eine politi-sche Initiative selbständig angestoßen und lediglich einige Zeit nicht explizit darauf hingewiesen, dass die Finanzie-rung von unserer Firma übernommen wurde. Dies war der Tatsache geschul-det, dass Zusagen aus der Industrie nicht eingehalten wurden und dies schwer zu kommunizieren war“, sagte Jan-Friedrich Kallmorgen zu p&k. Er sei über die Mahnung „verwundert“, da BKP die meisten Vorwürfe von Lob-bycontrol „entkräftet“ hätte.

TRANSPARENZ

PR-Rat mahnt

Jugendliche verstehen Politiker oft nicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in der Studie „Sprichst du Politik?“. Komplizierte Politikersprache sei ein Grund für mangelndes Engage-ment der Jüngeren, heißt es. Fast 60 Prozent der 30.000 Befragten gaben an, dass Politiker eine „abgehobene Sprache“ benutzen, die Mehrheit erklärte zugleich aber auch, dass sie sich gerne politisch beteiligen würde. Die FES empfiehlt Politikern nun, auf eine „einfache und verständliche“ Sprache zu achten.

POLITIKERSPRACHE

Zu kompliziert

Schüler bevorzugen einfache Politsprache

Minister Daniel Bahr

Das kostet der Berliner WahlkampfAngaben in Millonen €; in Klammern: Veränderung zu 2006

SPDQuelle: Medienberichte, Parteiangaben

1,7 (±0 %)

CDU

1 (+40 %)

Grüne

1,1 (+100 %)

FDP

0,35 (±0 %)

Linke

0,7 (−10 %)

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Kompakt

Anzeige

Der Verband der Redenschrei-ber deutscher Sprache (VRdS) dis-tanziert sich vom Ghostwriting. Es gehöre nicht zum Arbeitsfeld von Redenschreibern, Doktorarbeiten zur Erlangung akademischer Titel zu verfassen, sagte Verbandspräsi-dent Vazrik Bazil. Der VRdS fordert außerdem eine verbindliche Ausbil-dung von Redenschreibern.

Prominenz schmückt jeden Wahlkampf, jeder weiß das, und fast jeder kennt die Kehrseite der Medaille. Man muss einfach nur auf die Kombinationen Sky DuMont und FDP oder CDU und Heiner Lauterbach verwei-sen, um zu verdeutli-chen, dass diese Liai-son eine unheilvolle sein kann, schlimms-tenfalls ein Image-gau für beide Sei-ten. Der SPD erging es da bisher ganz gut, sie konnte sich bei ihren Kanzlerwahlkämpfen seit 1715 auf die Hilfe des rüstigen Auto-ren Günter Grass verlassen. Grass ist vor allem berühmt wegen seiner Pfeife und unnachahmlichen Walross-Imi-tationen, zudem hat er für den Film „Die Blechtrommel“ mal einen Oscar gewonnen. Oder so ähnlich. Fest steht

jedenfalls, dass Grass nie auf einer Blechtrom-mel gespielt hat, jeden-falls nicht bei SPD-Par-teitagen. Was uns direkt zu einem anderen SPD-Unterstützer bringt: Roland Kaiser kündigte jüngst an, dass er gerne für seine Partei, die SPD, singen würde, „wenn mich der künftige Kanz-lerkandidat darum bit-tet“. Es sind keine leeren Drohungen, das weiß man bei der SPD. Bereits 2005 warb Roland Kaiser in aller Öffentlichkeit für

einen SPD-Kanzler. Zeit also, im Willy-Brandt-Haus schon mal an einer Play-list zu basteln, vielsagende Kaiser-Titel gibt‘s genügend, nur ein paar seien auf-geführt: „Schach-Matt“, „Wohin gehst du?“, „Ich glaub’, es geht schon wieder los“ oder „Ausgebrannt und leer“. Oder sollte man es vielleicht doch noch mal mit Günter Grass versuchen?

Aufgedeckt: Ausgebrannt und leer

Nicht Grass: Roland Kaiser

REDENSCHREIBER

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Pol i t ik

VON PETRA MERKEL

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VON NORBERT RÖTTGEN

Eine faire Aufgabenteilung zwischen Bonn und Berlin war die Grundlage für die historische Umzugsentscheidung des

Deutschen Bundestags und ist damit fester Bestandteil dieses Beschlusses.

Vor diesem Hintergrund ist die Einhaltung des Bonn-Ber-lin-Gesetzes keine regionale oder gar kommunale Angelegen-heit. Es handelt sich vielmehr um eine Frage nationaler Ver-antwortung und Verlässlichkeit. Politik muss berechenbar

sein. Das Bonn-Berlin-Gesetz ist weder mit einem „Verfallsdatum“ ausgestattet noch als „Übergangs-lösung“ angelegt. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Entscheidung im Jahr 1991 ein Be-kenntnis gegen einen neuen Zentralismus ab-gelegt und aus guten Gründen entschieden, dass Deutschland künftig zwei bundespoliti-sche Zentren haben soll, nämlich Berlin und Bonn.

Als Sitz des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung hat Bonn unser Land

über Jahrzehnte hinweg geprägt. Die „Bonner Jahre“ waren gute Jahre für Deutschland. Mit dem Bonn-

Berlin-Gesetz ist auch die Entscheidung verbun-den, diese Zeit nicht zu beenden, sondern Bonn für die Zukunft eine besondere Aufgabe als „Bun-

desstadt“ zu übertragen – als Standort von Minis-terien, als Zentrum wichtiger Politikbereiche und –

nicht zuletzt – als Sitz der Vereinten Nationen sowie weiterer internationaler Einrichtungen.

Im Übrigen hat sich die Aufgabenteilung zwischen Berlin und Bonn längst eingespielt und funktioniert reibungslos. Ein vollständiger Umzug wäre mit erheblichen Kosten verbunden, die in keinem Verhältnis zu den laufenden Kosten stehen, die durch die beiden Dienstsitze der Ministerien verursacht werden.

Es gibt also keinen Anlass, die Beschlüsse des Jahres 1991 in Frage zu stellen. Der Deutsche Bundestag hatte damals gute Gründe für seine Entscheidung. Diese gelten unverändert. Ich werde mich deshalb weiterhin mit voller Überzeugung für das Bonn-Berlin-Gesetz einsetzen.

Pro

Machen wir uns nichts vor: Über kurz oder lang wird es nur einen Regierungssitz geben, dann werden sich alle Bun-

desministerien in Berlin konzentrieren. Der „Rutschbahnef-fekt“ ist da und nicht mehr aufzuhalten. Die Zahl der Arbeits-plätze in den Berliner Ministerien steigt, die in Bonn nimmt ab. Die Frage ist nun: Lassen wir es einfach so weiterlaufen oder wird gemeinsam mit Bonn überlegt, wie ein Umzug best-möglich auch für Bonn und die Region gestaltet werden kann?

Schon bei der Diskussion, ob der Regierungssitz in Berlin oder in Bonn sein sollte, waren die Argu-mente zu hören, die sich jetzt wiederholen: Die Existenz der Region stehe auf dem Spiel, der Bund sei der größte Arbeitgeber, ein Wegzug nicht zu kompensieren. Und wie sieht es 2011 aus? Bonn, die Bundesstadt, blüht – und das ist auch gut so! Telekom und Deutsche Post tun das Ihre. Bonn wächst so stark wie keine andere Stadt in Nordrhein-Westfalen. Natürlich sollte der Bund den Strukturwandel bei einem Komplett-umzug weiter unterstützen. Das hat er auch bislang getan. Viele Institutionen, die vom Bund fi nanziert werden, haben ihren Sitz in Bonn. Das sind schon jetzt rund 17.000 Arbeitsplätze.

Bonn ist und bleibt ein wichtiger Teil der deut-schen Geschichte. Die Demokratie hat hier nach dem Zweiten Weltkrieg Wurzeln geschlagen und ein Staatssystem verankert, auf das wir stolz sein können. Deshalb hat Bonn eine verlässliche, langfristige Perspektive verdient. Diese Per-spektive bedeutet nicht, am Berlin-Bonn-Gesetz festzuhalten. Die Geschichte geht weiter und wichtig ist, dass eff ektiv und effi zient gearbeitet werden kann. Bis zu 8 Millionen Euro kos-ten die Reisen zwischen Bonn und Berlin jährlich. Wie viel Ef-fi zienz bleibt bei den rund 600 km auf der Strecke?

20 Jahre nach der Deutschen Einheit ist die Zeit reif für eine Änderung des Berlin-Bonn-Gesetzes. Wir sollten gemein-sam den Umzug der Ministerien in die Hauptstadt Berlin pla-nen – und einen guten und fairen Ausgleich für die Bundes-stadt Bonn fi nden!

Kontra

Norbert Röttgen (CDU)ist Bundesumweltminister und Vorsitzender der CDU Nordrhein-West-falen. Seit vergangenem Jahr ist der 46-Jährige zudem stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Röttgen ist Jurist und gehört seit 1994 dem Deutschen Bundestag an.

Petra Merkel (SPD)ist Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestags. Sie gehört dem Parlament seit 2002 an. Dort vertritt die 63-Jährige den Wahlkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf. Zuvor war Merkel von 1989 bis 2001 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

Nach Berlin ziehen? Vor 20 Jahren beschloss der Bundestag den Umzug von Parlament und Bundesregierung nach

Berlin. Doch noch heute haben sechs Ministerien ihren Hauptsitz in Bonn. Kritiker fordern seit langem, die Regierung komplett in die Hauptstadt zu verlegen.

Ist es an der Zeit, das BONN-BERLIN-GESETZ zu revidieren?

antwortung und Verlässlichkeit. Politik muss berechenbar sein. Das Bonn-Berlin-Gesetz ist weder mit einem

„Verfallsdatum“ ausgestattet noch als „Übergangs-lösung“ angelegt. Der Deutsche Bundestag hat mit seiner Entscheidung im Jahr 1991 ein Be-kenntnis gegen einen neuen Zentralismus ab-gelegt und aus guten Gründen entschieden, dass Deutschland künftig zwei bundespoliti-sche Zentren haben soll, nämlich Berlin und Bonn.

Als Sitz des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung hat Bonn unser Land

über Jahrzehnte hinweg geprägt. Die „Bonner Jahre“ waren gute Jahre für Deutschland. Mit dem Bonn-

Berlin-Gesetz ist auch die Entscheidung verbun-den, diese Zeit nicht zu beenden, sondern Bonn für die Zukunft eine besondere Aufgabe als „Bun-

desstadt“ zu übertragen – als Standort von Minis-terien, als Zentrum wichtiger Politikbereiche und –

möglich auch für Bonn und die Region gestaltet werden

Schon bei der Diskussion, ob der Regierungssitz in Berlin oder in Bonn sein sollte, waren die Argu-mente zu hören, die sich jetzt wiederholen: Die Existenz der Region stehe auf dem Spiel, der Bund sei der größte Arbeitgeber, ein Wegzug nicht zu kompensieren. Und wie sieht es 2011 aus? Bonn, die Bundesstadt, blüht – und das ist auch gut so! Telekom und Deutsche Post tun das Ihre. Bonn wächst so stark wie keine andere Stadt in Nordrhein-Westfalen. Natürlich sollte der Bund den Strukturwandel bei einem Komplett-umzug weiter unterstützen. Das hat er auch bislang getan. Viele Institutionen, die vom Bund fi nanziert werden, haben ihren Sitz in Bonn. Das sind schon jetzt rund 17.000 Arbeitsplätze.

Bonn ist und bleibt ein wichtiger Teil der deut-schen Geschichte. Die Demokratie hat hier nach dem

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Sparkassen. Gut für Deutschland.

Sparkassen-Finanzgruppe

Wann ist ein Geldinstitut gut für Deutschland?

Wenn nicht nur seine Kunden von ihm pro tieren.Sondern alle.

Sparkassen fördern Bildung in allen Regionen Deutschlands. Im Rahmen ihres sozialen Engagements ermöglichen sie Bildungs-angebote für alle Teile der Bevölkerung. Sparkassen fördern gemein-nützige Vorhaben im Bildungs- und Sozialbereich mit jährlich über 156 Mio. Euro, denn Wissen ist der wichtigste Schlüssel zur gesell-schaftlichen Teilhabe. Das ist gut für die Menschen und gut für Deutschland. www.gut-fuer-deutschland.de

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Pol i t ik

Die VertrauensfrageSeit knapp 100 Tagen ist Philipp Rösler FDP-Chef. Viele Liberale fragen sich noch immer, welche Ziele der neue Vorsitzende hat und kritisieren die Kommunikation der Parteizentrale. Rösler will das THOMAS-DEHLER-HAUS umbauen – und kämpft dort gegen Strukturen, die sein Amtsvorgänger Guido Westerwelle aufgebaut hat.

VON JOHANNES ALTMEYER

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Ende Juni ist die Welt der umfragege-plagten FDP für ein paar Stunden in Ordnung. Im Thomas-Dehler-Haus,

der Bundesgeschäftsstelle in der Berliner Reinhardtstraße, hat Generalsekretär Christian Lindner zur Diskussionsreihe „Liberaler Salon“ geladen. Thema dies-mal: „Medien, Macht und Meinungsbil-dung“. Kurz nach sechs sind alle Stühle im Atrium des Dehler-Hauses besetzt. Die

Zuschauer blicken auf eine kleine Bühne, auf der Lindner mit dem „Spiegel“-Autor Jan Fleischhauer, dem „Zeit“-Journalisten Bernd Ulrich und dem Medienwissen-schaftler Hans Matthias Kepplinger dis-kutiert. Der FDP-Politiker ist an diesem Abend gut aufgelegt: Schlagfertig mode-riert er die Gesprächsrunde und hat sicht-lich Freude daran, sich mit den Gästen über die kuriosen Gepflogenheiten der Hauptstadtjournalisten auszutauschen: Diese schrieben eine Partei mal runter,

mal wieder hoch – damit müsse er leben, meint Lindner und gibt sich gelassen.

Für den Generalsekretär und die Or-ganisatoren in der FDP-Zentrale ist es eine gelungene Veranstaltung. Kein Wun-der, dass auch Bundesgeschäftsführe-rin Gabriele Renatus an diesem Abend meist lächelt und entspannt mit den Gäs-ten plauscht. Doch der Schein des Glücks trügt: Im Dehler-Haus tun sich noch immer tiefe Gräben auf. Die Bundesge-schäftsführerin gilt als Vertraute des ehe-

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pol it ik&kommunikat ion | September 2011 11

maligen Parteichefs Guido Westerwelle und symbolisiert für die neue Parteifüh-rung vor allem eines: die alte FDP. Dazu kommt, dass viele Liberale Renatus mit-verantwortlich für die schlechte Außen-darstellung der Partei machen. Sie hof-fen, dass FDP-Chef Philipp Rösler endgül-tig mit dem „System Westerwelle“ bricht. Rösler weiß, dass er handeln muss und plant nun, das Dehler-Haus umzubauen.

Es hat lange gedauert, bis sich Rösler zu diesem Schritt durchringen konnte, für viele FDP-Funktionäre zu lange. Die ers-ten 100 Tage des neuen FDP-Chefs sind mittlerweile vorbei, und die Partei liegt in vielen Umfragen immer noch unter der Fünf-Prozent-Marke. Doch warum hat die bis zur Bundestagswahl 2009 über-

aus kampagnenfähige Parteizentrale ihre Schlagkraft verloren?

„Das Dehler-Haus konnte den per-sonellen Aderlass, den es nach der Wahl verkraften musste, nicht kompensieren“, sagte einer, der als Pressesprecher eines FDP-Landesverbands selbst jahrelang mit der Bundesgeschäftsstelle zu tun hatte. Vor allem der Weggang von Renatus’ Vor-gänger Hans-Jürgen Beerfeltz habe die Parteizentrale nachhaltig geschwächt. Beerfeltz, der nach der Bundestagswahl als Staatssekretär ins Bundesentwick-lungsministerium (BMZ) gewechselt ist, galt als politischer und inhaltlich versier-ter Bundesgeschäftsführer. Ein ehemali-ger Mitarbeiter von Beerfeltz sagt: „Er hat viel Wert darauf gelegt, den Austausch mit Multiplikatoren zu suchen. Auf diese Weise konnte er früh für FDP-Themen werben.“ Auch habe der heute 60-Jährige eng mit dem ehemaligen Parteichef Guido Westerwelle zusammengearbeitet. Beer-feltz habe sich durch die Fähigkeit ausge-zeichnet, organisatorische Probleme zu antizipieren – und zu lösen, bevor sie der Partei schaden konnten. Kommunikati-onsgeschick nach außen und Nähe zum Parteichef: Diese beiden Eigenschaften sprechen Kritiker Gabriele Renatus ab.

Dabei denken viele Liberale, dass die Bundesgeschäftsführerin durchaus Fä-higkeiten habe, mit denen sie der Partei weiterhelfen kann – „nur eben nicht in der ersten Reihe“, wie eine FDP-Frau sagt, die Renatus lange kennt. So hat Renatus für Westerwelle seit 2004 als Leiterin der Ab-teilung „Organisation und Finanzen“ Par-teitage vorbereitet. Im Gespräch mit FDP-Insidern fallen zwar Beschreibungen wie „zuverlässig und genau“, aber auch „blind für das Politische“. Dazu wird Renatus in Berlin ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis im Umgang mit Journalisten nachgesagt. Das muss in der oft hysterischen „Berli-ner Republik“ kein Nachteil sein, doch die Chance, auf Themen der Partei hinzu-zweisen und damit Kampagnen den Weg zu bereiten, lässt sie ungenutzt.

Und dennoch laufen bei der gebür-tigen Brandenburgerin im Dehler-Haus noch immer alle Fäden zusammen: Sie ist Bundesgeschäftsführerin, Organisati-ons- und Finanzchefin sowie Büroleite-rin von Rösler. Der FDP-Vorsitzende, der in Berlin bislang über keine eigene Macht-basis verfügt, will das ändern. Mitte Au-gust erklärte Rösler den Mitarbeitern der Parteizentrale, wie das zukünftige Orga-

nigramm aussehen soll. Aus Niedersa-schen holt der Parteichef zwei Vertraute nach Berlin. Mignon Fuchs, Landesge-schäftsführerin der niedersächsischen FDP, soll Renatus als Leiterin der Abtei-lung Organisation und Finanzen ablösen. Mareike Goldmann , die neue Büroleiterin des Parteichefs, hatte Rösler bereits wäh-rend seiner Zeit als Landtagsabgeordne-ter in Hannover als Persönliche Referen-tin unterstützt. Die dritte Personalie be-rührt Renatus’ Zuständigkeitsfeld nicht, ist aber für die programmatische Erneu-erung der Partei essenziell: Auf den seit mehreren Monaten vakanten Posten des Abteilungsleiters für politische Planung rückt der derzeitige Stellvertreter Chris-topher Gohl.

Nebulöse Kommunikation

Rösler macht ernst mit dem Umbau der Bundesgeschäftsstelle – und dem Umbau der ganzen FDP. Seit Mitte Au-gust ist klar, dass der Parteichef den stell-vertretenden Regierungssprecher Chris-toph Steegmans durch den Sprecher der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin, Georg Streiter, ersetzen wird. Steegmans gilt wie Renatus als Teil des „Westerwelle-Netzwerks“. Der Außenmi-nister hatte ihn 2009 aus der Pressestelle der Bundestagsfraktion ins Bundespres-seamt (BPA) geschickt. Mit dem Wech-sel an die FDP-Spitze bekam Rösler je-doch die Möglichkeit, den Schlüsselpos-ten im BPA mit einem eigenen Vertrau-ten zu besetzen. Die Suche nach einem neuen Vize-Regierungssprecher verlief für den Wirtschaftsminister unglück-lich. Bereits Anfang August berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ über Röslers Vor-haben, Steegmans auszutauschen. Dieser konnte sich auf Fragen von Journalisten aber nicht dazu äußern.

Doch nicht nur bei dieser Personalie war die Kommunikationsstrategie der Li-beralen nebulös: Im Mai hat die FDP – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – ihren Internetauftritt komplett überarbeitet. Die Webseite sieht nun eleganter aus, sie ist in einem ruhigeren Blau gehalten und verzichtet fast vollständig auf das oft auf-dringliche FDP-Gelb. Mit einer neuen „Bekenner-Kampagne“ wirbt die Par-tei online um neue Mitglieder und fragt: „Warum sind Sie der FDP beigetreten?“ Die Liberalen setzen in der Krise auf die Basis – doch bekommt diese davon nicht

Das Thomas-Dehler-Haus: Der neue FDP-Chef Philipp Rösler holt erste eigene Vertrauensleute in die Parteizentrale

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Auswärtiges Amt

Sachsen

Bundespresseamt

Bundestag

Justizministerium

Thomas-Dehler-Haus

Bundesministerium für Gesundheit

Bundeswirtschafts-ministerium

misstraut Röslers neuem

Politikstil; hat als Fraktionschef viel

Macht

Röslers neue FDP

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit

Wolfgang Gerhardt

Hans-Dietrich Genscher

Gerhart Baum

Rainer Brüderle

Birgit Homburger

Patrick Döring

Georg Streiter

Holger Zastrow

Cornelia Pieper

Guido Westerwelle

Stefan Kapferer

Dirk Niebel

Daniel Bahr

Christian Lindner

Gabriele Renatus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

musste Amt der Fraktions-

chefi n aufgeben; starker Rückhalt

in der Süd-FDP

neuer FDP-Schatzmeister;

kommt wie Rösler aus

Niedersachsen

die drei FDP-Granden

unterstützen Rösler bei der Erneuerung

der Partei

Streiter soll die FDP-Erfolge in der

Koalition besser verkaufen

kritisierten Westerwelles

Politikstil; wollten Rösler als

neuen FDP-Chef

engster Berater von

Rösler; koordiniert für ihn die

Regierungs-arbeit

Lindner will die FDP-

Zentrale neu auf- stellen; Renatus‘

Stuhl wackelt

Rösler und Lindner

wollen die FDP programmatisch

erneuern

Schnarren- berger steht

für das wieder wichtige Thema

Bürgerrechte

Rösler, NRW-FDP-

Chef Bahr und Linder sind das Machtzentrum

der FDP

Zastrow ist einer von drei

Vize-Parteichefs; vertritt die neuen

Bundesländer

Niebel, Beerfeltz und

Renatus gehören zum Westerwelle-

Netzwerk

Streiter löst im BPA

den Westerwelle-Vertrauten Steegmans

ab

hat Westerwelle als FDP-Chef

abgelöst; Pieper hält zu Wester-

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Hans-Jürgen Beerfeltz

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genen Jahres arbeitet, der Partei neuen Schwung verleiht. Im Oktober soll ein ers-ter Entwurf stehen, im April kommen-den Jahres wird FDP auf ihrem Parteitag das Programm endgültig verabschieden. Aus dem Dehler-Haus ist zu hören, dass die Arbeiten am Programm zwar schon länger dauerten als geplant, dass aber be-reits der erste Entwurf zeigen werde, dass es die Liberalen ernst meinen mit der the-matischen Öffnung. Es überrascht also nicht, dass sich Rösler Christopher Gohl als neuen Abteilungsleiter für politi-sche Planung ausgesucht hat. Dieser gilt als kluger Denker, der sich auf dem Ge-biet der Bürgerbeteiligung einen Namen gemacht hat. Vor allem General Lindner dürfte sich über den neuen Abteilungslei-ter freuen: Gohl gilt als dessen „intellektu-eller Sparringspartner“, der wichtige Stra-tegiepapiere bereits im Vorfeld zu sehen bekommt.

Mit neuem Personal und neuer Struk-tur will Rösler mit einer gestärkten Par-teizentrale aus der parlamentarischen Sommerpause kommen. Ob er die Grä-ben im Dehler-Haus damit überwinden kann, ist fraglich. Einer, der mit den Ab-läufen innerhalb der FDP vertraut ist, sagt: „Es hängt einiges davon ab, ob die Partei im September den Einzug ins Ber-liner Abgeordnetenhaus schafft.“ Gelinge ihr das nicht, verlange die Basis ein Opfer. „Gabriele Renatus sollte sich nicht auf die Loyalität der Parteiführung verlassen.“

viel mit. Eine Pressemitteilung zur neuen Webseite? Fehlanzeige.

Die Zurückhaltung mag daran lie-gen, dass die Inhalte immer noch diesel-ben sind. So können die Nutzer sich auch weiterhin das Plakatmotiv mit dem alten Westerwelle-Mantra „Steuern senken – Abgaben runter“ herunterladen. Gleich neben dem Youtube-Video von Parteichef Rösler, in dem er die geplanten Steuerent-lastungen verteidigt. In dem Film spricht Rösler von „Entlastungsvolumina“ und gibt als Ziel vor, das „Wachstum zu ver-stetigen“. Nach dem von Christian Lind-ner ausgerufenen „mitfühlenden Libera-lismus“ klingt das nicht.

Trotzdem setzt die FDP darauf, dass Rösler, Lindner und auch Gesundheits-minister Daniel Bahr die Partei inhaltlich neu aufstellen. „Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt Wolfgang Ger-hardt, ehemaliger FDP- und Bundestags-fraktionschef. Einfach werde das jedoch nicht. „Das Vertrauen kann eine Partei schnell verlieren, es zurückzugewinnen, ist mühsam.“ Für die neue Parteiführung komme es jetzt darauf an, „zu dem zu ste-hen, was sie sagt und es vor allem durch-zusetzen“. Auch Gerhardt, seit 2006 Vor-sitzender der parteinahen Friedrich-Nau-mann-Stiftung, führt die schlechten Um-fragewerte zum Teil auf den Umbau der Bundesgeschäftsstelle zurück, wo er nach Beerfeltz‘ Wechsel ins BMZ „Kommuni-kationsschwächen“ gesehen habe.

Neues Personal, neue Struktur

Zuletzt zeigte sich das im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus. So soll Parteichef Rösler verärgert gewesen sein, als er erfuhr, dass die Berliner FDP im Wahlkampf auf ein Plakat setzt, auf dem zu lesen ist: „Ist die FDP eine Arbeiter-partei oder die Partei der Besserverdie-ner? Wir möchten, dass man mit Arbeit besser verdient als ohne.“ Für Rösler ist das die falsche Strategie. Im Dehler-Haus wird Renatus für das Plakat verantwort-lich gemacht – jedoch nicht Gabriele, sondern Christian, der Ex-Mann der Bun-desgeschäftsführerin. Er ist Beauftragter für die Koordination der Wahlkämpfe im Bund und in den Ländern. Westerwelle baute auf diese Verbindung, für Rösler muss sie aus einer Zeit stammen, die er möglichst schnell überwinden will.

„Die neue FDP-Führung sollte das Wort ‚Steuersenkungen’ am besten gar

nicht mehr in den Mund nehmen“, sagt Fritz Goergen, der das Innenleben der Li-beralen aus eigener Erfahrung kennt. An-fang der 80er Jahre war er unter dem dama-ligen Parteichef Hans-Dietrich Genscher Bundesgeschäftsführer, im Anschluss wechselte er zur Naumann-Stiftung. „Mit den Steuersenkungsplänen setzt die Par-tei immer wieder auf ein Thema, das in der Öffentlichkeit längst negativ besetzt ist“, sagt der heutige Kommunikationsbe-rater. Die Finanzkrise hätte die Deutschen verunsichert: Diese wüssten, dass es jetzt darauf ankomme, den Schuldenberg ab-zubauen und nicht durch neue Steuerge-schenke zu erhöhen. Es sei daher ein Feh-ler, dass sich die Bundesregierung An-fang Juli auf Steuersenkungen ab 2013 ver-ständigt habe. „In einer Zeit, in der eine Schuldenkrise auf die nächste folgt, kann die FDP damit nicht punkten. Die Öffent-lichkeitsarbeit des Dehler-Hauses versagt komplett.“ Goergen zögert nicht, wenn es darum geht, die Schwächen der Libera-len aufzuzeigen – was viele Partei-Funk-tionäre ihm übelnehmen: „Ausgerechnet Goergen“, sagt einer zu der Kritik des Mit-erfinders der „Strategie 18“. Goergen gilt im Dehler-Haus als Persona non grata, trieb er doch vor zehn Jahren als Berater den jungen Parteichef Westerwelle zu krawalligen Kampagnen.

Viele Liberale hoffen, dass das neue FDP-Grundsatzprogramm, an dem Ge-neralsekretär Lindner seit Juli vergan-

FDP-Chef Philipp Rösler und Guido Westerwelle während des Parteitags in Rostock (Foto oben), Bundes-geschäftsführerin Gabriele Renatus und Generalsekretär Christian Lindner

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Wenn die „Tagesthemen“ oder das „Heute-Journal“ über Netzthe-men berichten, dann sieht der

Zuschauer immer öfter einen freundlich lächelnden Mittdreißiger mit Brille, der ihnen erklärt, was Internetsperren sind, oder was Wikileaks eigentlich macht. Der Mann, den die Fernsehredakteure wahl-weise als „Blogger“ oder „Internetaktivis-ten“ bezeichnen, heißt Markus Becke-dahl und ist inzwischen bei Journalis-ten ein gefragter Experte. Beckedahl ist Autor des Blogs netzpolitik.org und weiß, wovon er spricht – vor allem aber kann er sich ausdrücken, und das unterscheidet ihn vom gemeinen Nerd.

Netzpolitik war bis vor drei Jahren selten ein Thema für die Mainstream-Medien, doch seit der Zensursula-Kam-pagne gegen Netzsperren und dem Ach-

Kämpfe, Nerd!Mit Kampagnenplattformen wie der „Digitalen Gesellschaft“ organisiert sich die LOBBY DER NETZGEMEINDE. Doch setzen Teile der Community lieber auf die „Weisheit der Vielen“ – oder auf den langen Marsch durch die Institutionen.

VON SEBASTIAN LANGE tungserfolg der Piratenpartei bei der Bundestagswahl sehen die Redaktionen, wie wichtig diese Themen für die Gesell-schaft geworden sind.

„Campact“ als Vorbild

Der so häufi g interviewte Beckedahl be-fasst sich seit Jahren mit Netz-Themen, er ist Mitveranstalter der jährlichen Blogger-Konferenz „Republica“ – und inzwischen ist er zum politischen Aktivisten gewor-den. Im April gründete er mit Gleichge-sinnten den Verein „Digitale Gesellschaft“ (Digiges), der sich als Bürgerrechtsorga-nisation versteht und sich für eine „of-fene und freie digitale Gesellschaft“ ein-setzt, so die Selbstbeschreibung. Auf der Agenda stehen der Kampf gegen Netz-sperren, gegen Vorratsdatenspeicherung und für Netzneutralität. Ein Vorbild neh-men die Aktivisten sich an den Strategien

von „Campact“, der schlagkräftigen Kam-pagnenplattform, die onlinegestützt zum Beispiel gegen Panzerexporte und gegen Atomkraft kämpft.

In persona anzutreff en ist der Netzak-tivist an seinem Arbeitsplatz bei der von ihm mitgegründeten Agentur Newthin-king, die in klassischen Hinterho� üros in Prenzlauer Berg arbeitet. Beckedahl spricht so, wie er im Fernsehen spricht: bedächtig, meist verbindlich lächelnd. „Netzpolitische Kampagnen waren bis-her eher reaktiv und von Nerds für Nerds gemacht“, sagt er. „Das Problem ist, dass die Netzgemeinde heute gegen Internet-sperren kämpft und morgen, wenn ein neues Computerspiel auf den Markt kommt, den Kampf erstmal wieder ein-stellt“, sagt er. Die neue Kampagnenplatt-form soll die Aufmerksamkeit nun kon-tinuierlich hoch halten und so medien-wirksam sein, dass auch die aufl agen- und

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Kämpfe, Nerd!Mit Kampagnenplattformen wie der „Digitalen Gesellschaft“ organisiert sich die LOBBY DER NETZGEMEINDE. Doch setzen Teile der Community lieber auf die „Weisheit der Vielen“ – oder auf den langen Marsch durch die Institutionen.

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dia, wo es zwei-, dreihundert Autoren mit besonderen Rechten gibt.“ Tatsächlich sehen Kampagnenprofi s bei Parteien und Verbänden den Vorteil des Online-Cam-paignings vor allem darin, viele Mitstrei-ter zum Mitmachen zu befähigen, neu-deutsch: zu „enablen“. Im Juli hat die Di-giges denn eine erste konkrete Kampagne gestartet: für Netzneutralität, also die Gleichbehandlung der Daten aller Inter-netnutzer durch die Provider. Eine Stif-tung hat dafür 9500 Euro gespendet.

Piraten schlagen den Takt

Die „Digitale Gesellschaft“ ist jedoch nicht die einzige und nicht die erste Or-ganisation, die sich Netz-Themen auf die Fahnen geschrieben hat. Einen unschätz-baren Dienst hat der Internetgemeinde eine noch junge Partei erwiesen: die Pira-ten. Als diese 2009 auf der Anti-Zensur-

rukt“ vor. Der Verein „inszeniere sich als Sprachrohr“, und das mediale Establish-ment ginge ihm prompt „auf den Leim“.

Hatten die Kampagnenmacher wo-möglich unterschätzt, wie sehr die Com-munity sich als Basis-Bewegung versteht und sich im Besitz der „Weisheit der Vie-len“ wähnt? Dass „die Vielen“ sich wie ein Fischschwarm organisieren und der Po-litik auch ohne Lobbyisten zeigen könn-ten, was eine Harke ist? Die Kampagne gegen das von der damaligen Bundesfa-milienministerin Ursula von der Leyen initiierte Sperren von Kinderpornogra-fi e-Seiten muss dafür häufi g als Beispiel herhalten. „Der Glaube an die reine Lehre der Schwarmintelligenz ist falsch“, meint Beckedahl. Internetprojekte, die sich das Wissen der Masse zunutze machen, seien nie reine Basisbewegungen: „Erfolgrei-che Open-Source-Projekte organisieren Strukturen, so läuft es auch bei Wikipe-

quotenstarken Medien sie wahrnehmen. Nach der TV-Präsenz ihres Vordenkers zu schließen, ist das bereits gelungen.

Doch hat die Community die Eigen-art, Menschen, die ihrer Meinung nach zu hoch fl iegen, schnell wieder herunter-zuzerren. Statt sich womöglich zu freuen, dass ihre Themen auf stärkere Resonanz stoßen, gingen einige Kommentatoren die „Digitale Gesellschaft“ erst einmal frontal an. So ergoss sich Kritik in einer Vielzahl von Twitter-Nachrichten über den Verein, und ein Blogger verirrte sich zu der Äu-ßerung, Beckedahl sehe sich als „Kaiser des Internets“, die Digiges sei gar ein „fa-schistischer Kreis“. „Shitstorm“ nennt die Netzgemeinde so etwas. Sachlicher, aber immer noch deutlich stellte der Blogger Robin Meyer-Lucht auf Carta.info die Le-gitimation der Digiges in Frage: Er warf ihr ein „anmaßendes und politisch naives Öff entlichkeits- und Vertretungskonst-

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Die Piraten wollen endlich in ein Parlament einziehen – wahlkämpfen können sie jedenfalls (oben). Die Internetenquete des Bundestags (unten, mit Gästen) befasst sich mit Kernthemen der Piraten.

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sula-Welle segelten, zur Bundestagswahl antraten und aus dem Stand zwei Prozent der Stimmen erhielten, war das Erschre-cken der etablierten Politiker groß. Plötz-lich drohte jemand, ihnen bei jungen Wählern und im großstädtischen Milieu das Wasser abzugraben. „Die Sensibilität für Netzpolitik hat bei den Parteien stark zugenommen, seit die Piraten auf den Plan getreten sind“, sagt der Politik-Pro-fessor Christoph Bieber, der den Blog „In-ternet und Politik“ schreibt. „Auch mit nur zwei Prozent der Stimmen können sie durchaus Taktgeber sein.“ Inzwischen haben sich Vereinigungen wie die Ar-beitskreise Netzpolitik der SPD und der CDU oder der „CSU-Netzrat“ gegründet – für den die stellvertretende CSU-General-sekretärin Dorothee Bär vollmundig eine „Vorreiterrolle“ in der Netzpolitik prokla-miert hat.

Viele „Digitale Gesellschaften“

„Die Parteien wanzen sich an die Netz-politik ran“, resümiert Constanze Kurz die Entwicklung. Kurz ist Sprecherin der Hackervereinigung Chaos Computer Club (CCC), die ebenfalls für mehr digi-tale Freiheiten eintritt. Kurz kann aus der Nähe beobachten, wie die Politiker sich netzpolitisch positionieren: Die Linken-fraktion im Bundestag berief sie in die voriges Jahr vom Bundestag eingesetzte „Enquete-Kommission Internet und Di-gitale Gesellschaft“. Diese soll die Aus-wirkungen des Internets auf Politik und Gesellschaft untersuchen und ist mit Ab-geordneten, Wissenschaftlern und Netz-Experten besetzt. Neben Kurz gehört dem Gremium auch Beckedahl an, zudem Ver-treter von Wirtschaftsverbänden, wie der Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Die Piratenpartei aber konnte seit der Bundestagswahl nur noch wenig von sich reden machen, auch ist ihr der Ein-zug in ein Länderparlament noch nicht geglückt. „Die Medien interessieren sich kaum für außerparlamentarische Par-teien“, sagt Sebastian Nerz, der seit Mai Vorsitzender der Partei ist. Trotzdem glaubt er fest an die Existenzberechti-gung einer Partei wie seiner: „Es gibt in den etablierten Parteien niemanden, der wirklich konsequent unsere Themen ver-tritt“, meint Nerz. Bei den Abgeordneten fänden vorrangig die Verbände der Kom-munikationswirtschaft Gehör. Auf die

nahende Abgeordneten hauswahl in Ber-lin blicken die Piraten jedenfalls verhal-ten optimistisch: Hier holten sie bei der Bundestagswahl ihr bestes Zweitstimme-nergebnis, immerhin 3,4 Prozent.

Was aber ist nun der richtige Weg für die Freunde des freien Internets: der lange Marsch durch die Institutionen oder die schlagkräftige Nichtregierungsorganisa-tion (NGO)? „Wir brauchen beides“, sagt Piratenkäpitän Nerz. „Wir sehen eine NGO wie die Digiges nicht als Konkur-renz zu unserer Partei.“ Und auch Chris-toph Bieber meint: „Es ist zu begrüßen, wenn netzpolitische Themen es über-haupt auf die Agenda schaff en. Eigentlich brauchen wir viele ,Digitale Gesellschaf-ten’.“ Mit organisierten Akteuren könne die Politik etwas anfangen, weil diese sich den Anschein von Legitimität geben wür-den – ob dieser berechtigt sei oder nicht. Wenn ein Branchenverband eine Studie veröff entliche, würden Fachpolitiker sich schon wegen des ihnen bekannten Ab-senders mit dem Inhalt befassen.

Auch CCC-Sprecherin Kurz fi ndet es gut, dass die Macher der „Digitalen Ge-sellschaft“ ihr Projekt professionell auf-

ziehen. Es sei wichtig, auf Augenhöhe mit Branchenverbänden wie dem Bitkom zu kommen. „In der Internetenquete schüt-ten die uns aufgrund ihrer personellen Ressourcen mit Papieren zu.“

„Schmierenkomödie“

Vielleicht ist die Netzgemeinde schon auf dem Weg zu den „vielen ,Digitalen Ge-sellschaften’“, die Christoph Bieber vor-schweben. So haben im August die Ma-cher der Internet-Tagung „Politcamp“ den Politcamp e.V. gegründet, der eben-falls netzpolitische Themen vorantreiben soll. Dass auch Markus Beckedahl mit der „Republica“ eine große Netz-Tagung veranstaltet, sticht als Parallele ins Auge. Der Unterschied zur ,Digitalen Gesell-schaft’ allerdings ist die politische Ent-haltsamkeit, die sich die Politcamp-Ver-einsmitglieder auferlegen: „Wir möchten vor allem den Austausch über Netzpolitik voranbringen“, sagt Valentin Tomaschek, der Geschäftsführer des neuen Vereins. Dieser sei aber gerade nicht als Kampa-gnenplattform gedacht, und so heißt es denn auch in der Selbstbeschreibung:

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PiratenparteiDer Parteiname „Piraten“ spielt auf die bei der Musikindustrie übliche Bezeichnung von Urhe-berrechtsverstößen als „Piraterie“ an. In mehreren Ländern gibt es Piratenparteien, die erste grün-dete sich 2006 in Schweden, die deutsche folgte noch im selben Jahr. Die Piraten sehen sich als Bürgerrechtspartei, sie wenden sich gegen Vorratsdatenspeiche-rung, Internetzensur und fordern ein liberaleres Urheberrecht. Das Durchschnittsalter der Mitglieder beträgt in Deutschland 29 Jahre – der Bundesvorsitzende Sebas-tian Nerz ist 28. Bei der Bundes-tagswahl 2009 gelang mit einem Ergebnis von zwei Prozent der Zweitstimmen ein Achtungserfolg.www.piratenpartei.de

„Der Politcamp e.V. wird keine konkreten Handlungsempfehlungen oder Positio-nen erarbeiten.“ Bei der Mitgliedervielfalt dürfte das auch schwierig sein: Ihm gehö-ren Bundestagsabgeordnete aller Fraktio-nen an. Diese und alle anderen Mitglie-der stellt der Verein mit großen Fotos auf seiner Webseite vor.

Womöglich hat das Politcamp von den Querelen beim Start der Digiges gelernt: Denn nicht nur der Beckedahl unter-stellte Anspruch, für alle Internetnutzer zu sprechen, rief Kritik hervor. Die Kriti-ker mahnten auch mehr Transparenz an, weil die Digiges zwar die Gründungsmit-glieder öff entlich machte, nicht aber die gesamte Mitgliederliste. Schnell kam der Verdacht auf, es handele sich um ein den Grünen nahestehendes Projekt – schließ-lich engagierten sich nicht nur Beckedahl, sondern auch einige der Mitgründer wie dessen Agenturkollege Andreas Gebhard oder Benjamin von der Ahé früher bei der Grünen Jugend. Der CDU-Abgeordnete und Netzpolitiker Peter Tauber argwöhnt: „Wer hinter dem BDI, Greenpeace oder Attac steht, wissen wir, doch bei der Digi-ges ist das nicht der Fall.“ Für Politiker sei es wichtig, Ansprechpartner aus der Zivil-gesellschaft zu haben, meint Tauber – nur

fremd beide Seiten sich zuweilen noch sind, zeigte sich jedenfalls bei der letz-ten Sitzung der Internet-Enquete vor der Sommerpause: Diese endete im Streit, weil die Mehrheit – die Vertreter der Ko-alition – eine Vertagung auf September durchsetzte und so eine drohende Ab-stimmungsniederlage beim strittigen Thema Netzneutralität verhinderte. Weil ein von der Koalition berufener Sachver-ständiger fehlte, hatte das Oppositionsla-ger sich zuvor schon bei einigen Abstim-mungen durchgesetzt. Nun wollte das Regierungslager die Blamage vermeiden, mit der Enquete eine Empfehlung pro Netzneutralität abzugeben. Eine solche stände nämlich im Gegensatz zum offi -ziellen Kurs der Regierungs-Fraktionen. Also Vertagung.

Nicht nur die Oppositionspolitiker in der Runde waren sauer, auch einige der Sachverständigen. „Eine Schmierenko-mödie“ war die Sitzung für Markus Be-ckedahl – vielleicht aber war sie auch eine Lektion darin, was geschieht, wenn Par-lamentarier alle Register der Verfahrens-Tricks ziehen. „Jeder spielt das Spiel auf seine Weise und nach seinen Regeln“, sagt Christoph Bieber. Doch immerhin ist festzustellen: Das Spiel ist eröff net.

Markus Beckedahl und Constanze Kurz gehören als Sachverständige der Internetenquete des Bundestags an.

müsse in Sachen Transparenz für diese das Gleiche gelten wie für Wirtschaftsver-bände. Der Politiker lobt den parteiüber-geifenden Ansatz des Politcamp-Vereins – und ist dort selbst Mitglied geworden.

Ob die Gemeinsamkeiten zwischen Netzaktivisten und denen, die im Parla-ment Politik mit all den dazugehörenden Kompromissen betreiben, am Ende groß genug sind, muss sich noch zeigen. Wie

Die AktivistenIn Deutschland engagieren sich mehrere Organisationen für digitale Bürgerrechte und ein unzensiertes Internet. Die wichtigsten Player im Überblick.

Open Data NetworkDas Open Data Network wurde 2009 in Berlin als Verein gegrün-det. Vorsitzender ist der Berliner IT-Berater Daniel Dietrich, als Vize fungiert: Markus Beckedahl. Der Verein hat sich dem „Open Government“ verschrieben, setzt sich also für eine stärkere Teilhabe der Bürger an staatlichen Daten und Informationen sowie für mehr Transparenz ein. http://opendata-network.org

Chaos Computer ClubDer Chaos Computer Club (CCC) ist ein 1981 in den Räumen der „taz“ gegründeter Verein, in dem sich Hacker zusammen-geschlossen haben – also von Computerexperten, die in IT-Netze eindringen, um Sicherheitslücken auszutesten. Der CCC setzt sich ebenfalls für freien Zugang zu staatlichen Informationen ein und kämpft gegen Internetzensur und Vorratsdatenspeicherung. Der Club ist dezentral in lokalen Gruppen organisiert und lehnt eine „Top-Down“-Struktur ab. Darin unterscheidet sich der CCC von der „Digitalen Gesellschaft“, die sich zugunsten besserer Kampagnenfähigkeit nicht als Basisorganisation aufstellt.http://www.ccc.de/

PolitcampDie Initiatoren der seit 2009 jährlich veranstalteten Tagung „Politcamp“ haben im August einen Verein gegründet, der die netzpolitische Diskussion vor-anbringen soll. Der Verein, dem auch Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien angehö-ren, will keine politischen Ziele verfolgen, sondern nur netzpoli-tischen Themen Aufmerksamkeit verschaffen und die Diskussion fördern.http://politcamp.org/

Digitale GesellschaftDer im April dieses Jahres gegrün-dete Verein versteht sich als Kam-pagnenplattform nach Vorbild von Organisationen wie Campact. Die „Digitale Gesellschaft“ tritt ein für ein nutzerfreundliches Urhe-berrecht, für Netzneutralität, den Zugang zu staatlichen Daten und Lobbytransparenz. Die Gründer entstammen dem Umfeld des Blogs netzpolitik.org und sind zum Großteil ehemalige Aktive der Grünen Jugend. Bekanntestes Gründungsmitglied ist Markus Beckedahl, der häufi g als Experte in Medien interviewt wird.http://digitalegesellschaft.de/

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pol it ik&kommunikat ion | September 201120

Kampagne

Beim Gang durch Berlin-Mitte, vor-bei am Auswärtigen Amt, in Rich-tung des Hausvogteiplatzes bleibt

Andrea Fischer immer wieder stehen und schaut auf die bunten, eng aneinanderge-reihten Townhouses, die hier das Stadt-bild prägen. Das teuerste Appartement in einem der mehrgeschossigen Neubauten soll kürzlich für 15.000 Euro den Besitzer gewechselt haben – pro Quadratmeter. Fischer ist unschlüssig, ob ihr die Archi-tektur gefällt. So oder so: Bald könnte sie für diese Gegend verantwortlich sein.

Andrea Fischer, ehemalige Bundes-ministerin und Bundestagsabgeordnete, kandidiert als Bürgermeisterkandidatin der Grünen in Berlin-Mitte. Der Bezirk zeichnet sich durch zahlreiche Kontraste aus: neu und alt, Ost und West, reich und arm. Wie eng all das zuweilen beieinan-der liegt, lässt sich am Hausvogteiplatz in etwa erahnen. Von den Holzbänken am Springbrunnen – die Townhouses im Rücken, der mondäne Gendarmenmarkt nur wenige Meter entfernt – kann man die bis zu 25-geschossigen DDR-Bauten der Leipziger Straße sehen. Dort hat Fi-scher einen Eindruck davon bekommen, was bis zur Wahl – und vielleicht auch da-nach – auf sie zukommt. Auf einer ihrer ersten Wahlveranstaltungen beschwer-ten sich die Mieter darüber, dass der rot-rote Senat Müllschlucker in Hochhäusern nur noch unter strengen Umweltaufla-gen erlaubt. Die Kollegin von der Linken habe unter dem Eindruck erboster Wäh-ler angekündigt, die Änderung der Bau-

ANDREA FISCHER möchte Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Mitte werden. Die Wahl im September ist das politische Come-back der früheren Bundesgesundheitsministerin – nach neun Jahren Pause von öffentlichen Ämtern.

VON FLORIAN RENNEBERG

rung einzogen, war sie – neben Joschka Fischer und Jürgen Trittin – eine von drei grünen Ministern. Bis sie 2001 wegen des BSE-Skandals von ihrem Amt zurücktrat. Seitdem lebt sie mit dem Ruf der geschei-terten Ministerin. Fischer nimmt es ge-lassen: „Angesichts der Tatsache, dass das Amt auf vier Jahre angelegt war, bin ich gescheitert.“ Ein Jahr später war ihre po-litische Karriere abrupt beendet. Bei der Listenaufstellung des Berliner Landes-verbands zur Bundestagswahl 2002 erlitt sie eine „demütigende Niederlage“, wie sie selbst einräumt. Seitdem war politisch nichts von ihr zu hören. „Ich bin damals vom Platz gestellt worden“, sagt Fischer, „es gehört sich nicht, vom Spielfeldrand aus zu kommentieren.“ Hat sie nach die-ser Enttäuschung darüber nachgedacht, die Grünen zu verlassen? Andrea Fischer wirkt plötzlich sehr ernst und nimmt sich Zeit für eine Antwort. „Nein, ich habe nicht vergessen, dass ich eine Grüne bin“, sagt sie nach einer Weile. Die CDU habe ihr einmal angeboten, für den Bundestag zu kandidieren. Sie hat es nicht getan, weil sie die Frage nach dem Warum nicht hätte beantworten können.

Jetzt will sie zurück auf den Platz. Dort warten – statt Energiewende und Eurokrise – Automatencasinos, Schulpo-litik und Müllschlucker. „Müllschlucker sind für mich mittlerweile ein Symbol für Kommunalpolitik geworden“, sagt Fischer und lacht ihr lautes Fischer-Lachen, „sol-che Themen treiben die Leute um.“

Fischer selbst treibt etwas anderes um. Ihr Thema ist die Integration. Das ist – zumal in Berlin – nicht sonderlich originell, aber man nimmt ihr das An-liegen ab. Ob sie damit ihre Wähler er-reicht? Die potenziellen Grünen-Wäh-ler sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen mit entsprechendem Gehalt. Es sind nicht diejenigen, die von den In-tegrationsbemühungen der Bezirksbür-germeisterin Fischer profitieren würden. Die gibt sich optimistisch: „Es gibt viele Berührungspunkte zwischen Grünen und Liberalen. Der Unterschied ist, dass Grüne wissen, dass es nicht nur um ihre Freiheit geht.“

Sollte Fischer die Wahl gewinnen, wird sie Verständnis brauchen. Die Kas-sen sind leer und die Spielräume eng. „Na und, Geld ausgeben kann jeder“, entgeg-net Fischer. „Es mag sein, dass ich mor-gens aufwache und mich ärgere, zu wenig entscheiden zu können. Umso mehr ist Phantasie gefragt“, sagt sie – und lacht.

ordnung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen, erzählt Fischer und lacht teils amüsiert, teils verächtlich. Und sie? „Ich habe gesagt, dass ich mich mit den De-tails noch nicht beschäftigt habe.“

In diesen Momenten klingt die 51-Jährige wie eine politische Quereinsteige-rin, die sich den Regeln des Wahlkampfs widersetzt. Und in gewisser Weise ist sie das. In den vergangenen neun Jahren hat sie vieles gemacht, aber keine Politik. Seit 2006 arbeitet sie als Beraterin für die Ge-sundheitswirtschaft – erst als Partnerin bei der Kommunikationsagentur Pleon, seit 2009 selbständig. Wenn Journalisten Fischers Tätigkeit beschreiben, nennen sie sie üblicherweise Pharma-Lobbyistin. Es gibt in Deutschland angenehmere Be-rufsbezeichnungen. Fischer nimmt es so hin: „Aufregen müsste ich mich nur, wenn ich ein schlechtes Gewissen hätte.“ Sie selbst sagt, sie vermittle zwischen Phar-maindustrie und Öffentlichkeit. Sollte sie nicht Bezirksbürgermeisterin werden, will sie das weiterhin tun. Ihr Mandat für die Bezirksverordnetenversammlung will sie in jedem Fall annehmen.

Die Rückkehr in die Politik – noch dazu in die Kommunalpolitik – stößt bei vielen Menschen auf Unverständ-nis. Deren Argument: Wenn man – wie Fischer – mit 38 Jahren Bundesministe-rin gewesen sei, gebe es keine Steigerung mehr. Für Fischer ist gerade das ein Ar-gument für ihr Engagement. „Ich habe keine Idee von Aufstieg mehr“, sagt sie und lacht: „Das entspannt ungemein.“

Fischer, die Bundesministerin. Als die Grünen 1998 erstmals in die Bundesregie- Fo

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Zurück auf den Platz

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Szene

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Elder Statesman mit ZukunftPEER STEINBRÜCK bekleidet kein hohes politisches Amt, gilt vielen aber als potenzieller Bundeskanzler. Obwohl er Bundestagsabgeordneter ist, hat Steinbrück inzwischen das Image eines Elder Statesman mit der nötigen inneren Distanz zum aufgeregten Polit-Betrieb. Der Küstenmensch gilt als souverän und hartnäckig – seine KARRIEREKURVE zeigt, dass der Eindruck nicht ganz unberechtigt ist.

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1947 wird Peer Steinbrück in Hamburg geboren, 1968 macht er Abitur und tritt wenig später in die SPD ein. Von 1970 bis 1974 studiert Steinbrück in Kiel Volkswirtschaft und Sozi-alwissenschaft.

1974 Steinbrück beginnt seine Karriere in Bonn. Mit Stationen im Bau- und im Forschungsministerium, später im Kanzleramt. Zwischendurch, 1981, gibt es einen kurzen Ausfl ug an die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin.

1983 In der SPD-Bundestags-fraktion, ab 1985 dann im Umweltministerium von NRW, ist Steinbrück zu-ständig für Umweltschutz-fragen.

1986 Steinbrück rückt an die Seite eines späteren Bun-despräsidenten – er leitet das Büro von NRW-Mi-nisterpräsident Johannes Rau.

1990 Peer Steinbrück wird Staatssekretär. Er beweist, dass er sich in viele Politikfelder einar-beiten kann. Erst ist er im schleswig-holsteinischen Umweltministeriumtätig, kurze Zeit später dann im Wirtschaftsressort.

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2005Es folgt ein herber Absturz. Bei der Wahl in NRW erhält die SPD einen so geringen Stimmenanteil wie seit 1954 nicht mehr. Steinbrück verliert sein Amt.

2005Wenige Monate später gibt der Mann den Phoenix, und zwar infolge der Bundes-tagswahl: In der Großen Koalition braucht die SPD regierungserfahrene Ex-perten, Steinbrück zieht als Minister ins Bundesfinanz-ministerium ein.

2008Die Finanzkrise. An der Seite von Kanzlerin Merkel profiliert sich der Volkswirt als besonnener Krisen-Ma-nager und wird gefühlter Vize-Kanzler. Er erhält den „Politikaward“ als Politiker des Jahres.

2009Nach dem Ende der Koalition arrangiert er sich mit seiner Rolle als einfacher Abgeordneter, schreibt ein Buch und hält Reden – oft allerdings außerhalb des Bundestags.

1993Steinbrück hastet von Ministerium zu Ministe-rium. Zunächst wird er Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. 1998 geht er wieder nach NRW, leitet dort zunächst das Wirtschafts-, ab 2000 dann das Finanzressort.

2002Steinbrück wird Minister-präsident. Sein Vorgänger Wolfgang Cle-ment (damals noch SPD) ging als „Su-perminister“ in die rot-grü-ne Bundes-regierung.

2011Im Bundestag fällt Steinbrück nicht so sehr auf, die Me-dien nennen nun aber immer öfter seinen Namen: Er gilt als potenzieller Kanzlerkandidat.