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Prof. Dr. Sabine Walper Vorlesung im WiSe 2008/10, Di 12 - 14 Uhr (8) Trennung und Scheidung der Eltern und Patchwork-Familien Sozialisation und Bildung I:

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Prof. Dr. Sabine WalperVorlesung im WiSe 2008/10, Di 12 - 14 Uhr

(8) Trennung und Scheidung der Eltern und

Patchwork-Familien

Sozialisation und Bildung I:

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Kurzer Rückblick:Formen der Stressbewältigung:

Individuelles Coping:

Coping-Theorie von Richard Lazarus (1974; Lazarus & Launier, 1981):

3 Stufen der Belastungsbewältigung:Primary appraisalSecondary appraisalreappraisal

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Appraisal-Prozesse:

Primary Primary Appraisal: Appraisal:

positiv irrelevantPotentiell gefährlich

Heraus-forderung

BedrohungSchädigung /

Verlust

Einschätzung der Situation als …

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Appraisal-Prozesse:

Secondary Secondary Appraisal:Appraisal:

Coping-Ressourcenverfügbar

Coping-Ressourcen

Nicht verfügbar

StressCoping-Strategie

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Resilienzvon lat. resilire: zurückspringen, abprallen

Bezeichnet die Fähigkeit, auf Anforderungen unterschiedlicher Situationen flexibel zu reagieren und auch schwierige, stressreiche Lebenslagen erfolgreich zu meistern

Urspünglich: Stärke eines Menschen, multiple Belastungen oder schwere Lebenskrisen ohne merkliche Belastungen zu überstehen

Gegenstück: Vulnerabilität (Verletzlichkeit)

GeringGeringe e Stress-Stress-ReaktiReaktio-neno-nen

Starke Starke Stress-Stress-ReaktiReaktio-neno-nen

Keine / Keine / schwachschwache e StressorStressorenen

Viele / Viele / starke starke StressorStressorenen

ResilieResilienznz

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Übersicht

(1) Statistiken und Juristische Aspekte

(2) Modellvorstellungen in der Scheidungsforschung: Vom Defizitmodell zur Scheidungs-Stress-Bewältigungs-Perspektive

(3) Wie stark sind die Belastungen von Scheidungskindern und was erklärt diese Belastungen?

(4) Die Rolle des getrennt lebenden Elternteils

(5) Konflikte zwischen den Eltern als Risiko für Kinder

(6) Neue Partnerschaften der Eltern

(7) Die Studie „Familienentwicklung nach Trennung der Eltern“

(8) Fazit & Ausblick

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(1) Juristische Aspekte

Bis 1977: Schuldprinzip im Scheidungsrecht abgelöst durch das Zerrüttungsprinzip

Bis 1998: Alleiniges Sorgerecht eines Elternteils als juristischer Normalfall; gemeinsames Sorgerecht zunächst (ab 1977) auf Antrag möglich

Ab 1998: gemeinsames Sorgerecht als Normalfall; alleiniges Sorgerecht eines Elternteils nur auf Antrag

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Trennungsfamilien in Deutschland

► Hochzeiten 2005 in Deutschland: 388.500

► Scheidungen 2005 in Deutschland: 201.700

► Davon betroffene Kinder 2005: 156.400

► 42%ige Scheidungsrate für aktuelle Heirats-jahrgänge (Sardon, 2004)

► Nicht erfasst: unverheiratet zusammen lebende Paare und deren Kinder

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Besonderheiten:

► „Fragile Familienformen“: Steigende Zahl nicht-ehelicher Partnerschaften & Familien, vor allem in Ostdeutschland (rund 60% aller Geburten in Ostdeutschland sind nicht-ehelich)

► „frühe“ und „späte“ Scheidungen

► Langdauernde Trennungsphasen vor der Scheidung, nicht nur aufgrund des Trennungs-jahres

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Weniger Männer als Frauen bleiben nach einer Scheidung unverheiratet:

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Defizitperspektive

Scheidung als Reorganisationsprozess

Scheidung als Transition in der Familienentwicklung

Scheidungs-Stress-Bewältigungsperspektive

(2) Modellvorstellungen in der Forschung zu Scheidungsfolgen

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Stressoren als Mediatoren (bezogen auf Kinder)

Konflikte / Spannungen zwischen Eltern

Reduzierter Kontakt zum getrennt lebenden Elternteil

Ökonomische Verluste und finanzielle Einbußen

Abnehmende Zuwendung und Kontrolle durch Eltern

Andere trennungsbezogene Stressoren (z.B. Umzug, Schulwechsel, neue Partner-schaft eines Elternteils)

Konsequenzen für die Entwicklung der Kinder

Negativ: Emotionale Belastungen Problemverhalten Gesundheitliche Beeinträchtigungen Leistungsbeeinträchtigungen

(kurzfristig: Krisenmodell; langfristig: chronisches Stress-Modell)

Positiv: Abbau von Belastungen aus der Vorscheidungszeit

Erwerb und Einübung neuer Rollen und Kompetenzen

Der Scheidungsprozess

Vor der Trennung

Vollzug der Trennung und ggf.

Scheidung

Reorganisation nach der Trennung / Scheidung

Protektionsfaktoren als Moderatoren Interpretation der Trennung / Scheidung Individuelle Ressourcen (z.B. kognitiver und emotionaler Entwicklungsstand; Persönlichkeitsfaktoren)

Interpersonelle Ressourcen (unterstützende Beziehungen)

Strukturelle Ressourcen (Schichtzugehörigkeit; regionale Infrastruktur; gesetzliche Regelungen und Leistungen)

(in Anlehnung an Amato, 2000)

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Finanzielle Risiken des Alleinerziehens für Männer und Frauen

Quelle: Mikrozensus 2005

Arbeitslosengeld / Sozialhilfe 2005

9,1

16,5 18,2

5

14,9

31,3

0

5

10

15

20

25

30

35

in Ehe in Lebenspartnerschaft Alleinerziehend

Pro

zent

Männer Frauen

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Risikofaktoren für langfristige scheidungs-bedingte Belastungen der

Eltern: ► Feindseligkeiten / Konflikte mit dem anderen

Elternteil

► Mangelnde Ablösung / Individuation gegenüber dem ehemaligen Partner / der ehemaligen Partnerin

► Geringe sozioökonomische Ressourcen (Einkommen, Bildung, Beruf)

► Persönlichkeitsprobleme

► schwierige eigene Familiengeschichte

► Mangelnde soziale Unterstützung (z. B. Hetherington & Kelly, 2003; Amato, 2000)

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Defizitperspektive

Scheidung als ReorganisationsprozessScheidung als Transition in der FamilienentwicklungScheidungs-Stress-Bewältigungsperspektive

Scheidung als individuelle PathologieSelektionsperspektive

Modellvorstellungen in der Scheidungsforschung

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Die Selektions-Perspektive

Scheidung

Folgen für Eltern und Kinder

Sel

ekti

onsf

akto

ren

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Die Selektions-Perspektive

Trennung

Erhöhtes Problem-verhalten der Kinder

Juge

nd-D

elin

quen

z

z.B. Emery, Waldron, Kitzman & Aaron (1999): Erhöhtes Problemverhalten von Kindern alleinerziehender Mütter ließ sich zumindest teilweise auf die erhöhte Delinquenzbelastung der Mütter in deren Jugendalter (weit vor Geburt der Kinder) zurückfrühren.

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Integration von Selektions- undScheidungs-Stress-Bewältigungsperspektive

Scheidung

Protektions-faktoren

Folgen für Eltern und KinderStressoren

Sel

ekti

onsf

akto

ren

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(3) Wie stark sind die Belastungen von Scheidungskindern?

Durchschnittliche adjustierte Effektstärken nachPublikationsjahr der Studien:

Quelle: Amato (2001)

1950 – 1979 1980 – 1989 1990 - 1999

Schulische Leistungen -.25a -.09b -.17b

Verhaltensprobleme -.29a -.19b -.23b

Psychische Anpassung -.06a -.09a -.21b

Selbstkonzept -.22a -.07b -.14a

Sozialbeziehungen -.14 -.14 -.15

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Wie stark sind die Belastungen von Scheidungskindern ?

… im Spiegel einfacher Vergleiche von Kindern aus Trennungs- und Kernfamilien:

Kurzfristig hohe Belastungen direkt nach der Trennung

Mittelfristig (innerhalb von 3 Jahren) merklicher Rückgang, kaum Unterschiede zur Normalpopulation (Schmidt-Denter, 2000)

im Grundschulalter keine Auffälligkeiten der Kinder von Alleinerziehenden (Walper & Wendt, 2005; Wendt & Walper, 2007)

Im Jugendalter kaum Unterschiede zwischen Jugendlichen aus Kern-, Mutter- und Stiefvaterfamilien

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(4) Welche Rolle spielt der getrennt lebende Elternteil?

Identitätshypothese: Identifikationsfigur, Auseinandersetzung mit eigener HerkunftSozialisationshypothese: Rollenmodell, ErzieherÖkonomische Hypothese: Lieferant ökonomischer Ressourcen

Wie entscheidend ist (häufiger) Kontakt für die Kinder? Ist das Gefühl subjektiver Nähe förderlich? Bedarf es positiver Erziehungskompetenzen des getrennt

lebenden Elternteils? Profitieren die Kinder von Unterhaltszahlungen?

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Welchen Einfluss hat das Engagement des getrennt lebenden Vaters auf die Kinder?

Durchschnittliche adjustierte Effektstärken für diverse Indikatoren des väterlichen Engagements

Quelle: Amato (2001)

Unterhalts-

zahlungen

Kontakt-häufigkeit

Gefühl der Nähe

autoritative Erziehung

Schulische Leistungen .09*** .03* .06* .15***

Externalisierendes Problemverhalten

-.08*** -.02 -.05* -.11***

Internalisierendes Problemverhalten

-.01 -.03* -.07** -.12**

Quelle: Amato & Gilbreth (1999)

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(5) Risikofaktor Elternkonflikte

► Konflikte zwischen den Eltern als starker Risikofaktor für die kindliche Entwicklung(Fincham, 1998; Harold, Osborne & Conger, 1997; Walper & Beckh, 2006)

► Besonders schädlich sind wiederholte gerichtliche Auseinander- setzungen der Eltern

häufige Streitigkeiten der Eltern ohne effektive Lösung

die Verwicklung der Kinder in Loyalitäts- konflikte

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Trennung und Elternkonflikte als Entwicklungsrisiken für Kinder

► Höhere Belastungssymptome von Trennungskindern nur gegenüber Kindern aus harmonischen Kernfamilien (Reis & Meyer-Probst, 1999; Ständer et al., 2007)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

Alleinerziehende geringePartnerschaftsqualität

hohePartnerschaftsqualität

internalsierend

externalisierend

Gesamt

Quelle: Ständer, Kuschel, Heinrichs, Bertram, Naumann & Hahlweg (2007) S.242

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Wie wirken Elternkonflikte auf die Kinder?

Ungünstiges RollenvorbildUngünstiges Rollenvorbild (Modelllernen)(Modelllernen)

Emotionale VerunsicherungEmotionale Verunsicherung („emotional insecurity hypothesis)(„emotional insecurity hypothesis)

Ausstrahlung in die ErziehungAusstrahlung in die Erziehung (Stresstheorie: „spill-over“)(Stresstheorie: „spill-over“)

Koalitionsdruck der ElternKoalitionsdruck der Eltern (systemische Theorie: (systemische Theorie: Triangulation)Triangulation)

Kind als SündenbockKind als Sündenbock

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Wie wirken Trennung und Elternkonflikte auf die Kinder?

Koalitionsdruck

Stress-reaktionen

Entwick-lungs-

belastungen Belastungen der

Eltern-Kind-Beziehung und des

elterlichenErziehungsverhalte

ns

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(6) Neue Partnerschaften der Eltern

Vorteile:2 Bezugspersonen und Rollenmodelle

Bessere ökonomische Ressourcen

Entlastung des alleinerziehenden Elternteils

Geringere Gefahr der Parentifizierung

Nachteile:Erneute Notwendigkeit kindlicher Anpassungs-leistungen

Gefahr einer Ausgrenzung des getrennt lebenden Elternteils

Erhöhtes Risiko wiederholter Trennungserfahrungen

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Das Projekt „Familienentwicklung nach Trennung der Eltern“

Ziele:Vergleich von „Trennungseffekten“ in Ost- und Westdeutschland

Einbeziehung von nicht-ehelichen Kindern

Untersuchung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in (ehelichen und nichtehelichen) Stieffamilien

Untersuchung von Effekten elterlicher Konflikte in Kern- und Trennungsfamilien

Fokus nicht nur auf „klassische“ Outcome-Variablen wie Befindlichkeit und Sozialverhalten der Kinder, sondern auch auf Individuation im Jugendalter

Analyse von „Transmissionseffekten“ in der Gestaltung von Liebesbeziehungen

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Die Stichprobe der 1. Erhebungswelle (1996)

Gesamt: n = 743

291 Kernfamilien (darunter Zusatzstichprobe von n = 36 konfliktbelasteten Kernfamilien

249 Mutter-Familien (darunter n = 73 [ehemals] ledige Mütter)

203 Stiefvaterfamilien (darunter n = 57 [ehemals] ledige Mütter)

Zeit seit Trennung: M = 8,79 Jahre (SD = 4,30)

48,6% Jungen und 51,4% Mädchen

Durchschnittsalter: 14,2 Jahre (SD = 1,8), Range: 9 – 19 Jahre

56,8% aus Westdeutschland und 43,2% aus Ostdeutschland

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Indikatoren des Kindeswohls:

SSKKAALLAA Beispiel-Item AANNZZAAHHLL

DDEERR IITTEEMMSS αα

((WWEELLLLEE 11))

Selbstwert Ich habe viele gute Eigenschaften 10 .78

Schulisches Selbst Ich kann Aufgaben in der Schule ziemlich gut lösen

5 .81

Depressivität Während der letzten Woche war ich deprimiert / niedergeschlagen

15 .84

Somatische Beschwerden

Hattest Du in den letzten zwei Monaten Bauchweh?

13 .74

Aggressivität Ich gerate oft in Streit oder Kämpfe 6 .75

Ablehnung durch Peers Die anderen lassen mich oft nicht mitmachen

4 .79

Soziale Integration Ich habe viele Freunde 3 .78

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(1) Befunde zu Effekten der Familienform

Befunde der 1. Erhebung (1996):

Keine Nachteile von Kindern und Jugendlichen aus Mutter- und Stieffamilien im Vergleich zu Gleichaltrigen aus Kernfamilien

Keine stärkeren Trennungseffekte in Westdeutschland

Keine stärkeren Trennungseffekte für Jungen (oder Mädchen)

Keine Nachteile von Töchtern in Stieffamilien

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Wie verändern sich die Befindlichkeit, Peerbeziehungen und schulischen Kompetenzen der Kinder langfristig je nach (Veränderungen der) Familienform ?

Vergleich nach Familienform 1996 bis 2002:

• Stabile Kernfamilien (n = 134)

• Stabile Mutterfamilien (n = 99)

• Stabile Stiefvaterfamilien (n = 73)

• „Transitionsfamilien“ (n = 85)

Keine Haupteffekte, wohl aber differenzielle Entwicklungsverläufe je nach Familientyp

(ohne Zusatzstichprobe konfliktbelasteter Kernfamilien)

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3,30

3,40

3,50

3,60

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Self

-Est

eem

stepfather families

nuclear families

single mothers

family transition

Entwicklung des Selbstwertgefühl der Jugendlichen in Abhängigkeit vom Familientyp

t1, t2 : keine signifikanten Unterschiede zwischen Familientypent4: sig. Unterschiede zwischen:

- Kern- und Transitionsfam. (p<.001)

- Mutter- und Transitionsfam. (p<.054)

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1,40

1,50

1,60

1,70

1,80

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Dep

ress

iven

ess

stepfather families

nuclear families

single mothers

family transition

Depressivität der Jugendlichen in Abhängigkeit vom Familientyp

t1, t2 : keine signifikanten Unterschiede zwischen den Familientypent4: Kernfamilien vs. Familien im Übergang (p<.001)

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Zwischenbilanz

Keine generellen Nachteile von Jugendlichen aus Trennungsfamilien

Gilt für Ost- wie auch Westdeutschland

Gilt auch für Stieffamilien

Aber: zunehmende Belastungen derer mit (erneuten) Veränderungen der Familien-struktur

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(2) Effekte von Konflikten zwischen den Eltern auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen (1996 – 2002):

Überdauernde Belastungen durch Elternkonflikte:

Bei hohen Elternkonflikten (1996) berichten Jugendliche auch in der Folgezeit (1996 – 2002)

mehr Depressivität

höhere Ärgerneigung

geringeres Selbstwertgefühl

mehr somatische Beschwerden

mehr Ablehnung durch Peers

geringere Peer-Integration

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konfliktreich

konfliktarm konfliktarm

konfliktreich

kein Kontakt1,20

1,30

1,40

1,50

1,60

1,70

1,80

1,90

2,00

Dep

ress

ivitä

t

Kernfamilien Trennungsfamilien

Effekt des Familientyps: F = 10.33, df = 4, p < .001

AB C A ABC

Datenrange: 1,0 – 3,73 (M = 1.52, SD = .40)

Depressivität in Abhängigkeit vom Familientyp

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ke in K o n tak tko n fl ik tre ich

ko n fl ik ta rmko n fl ik ta rmko n fl ik tre ich

1 ,00

1 ,20

1 ,40

1 ,60

1 ,80

2 ,00

2 ,20

2 ,40

Able

hnun

g

K e rn fa m ilie n T re n n u n g s fa m ilie n

Datenrange: 1,0 – 3,5 (M = 1.41, SD = .49) Effekt des Familientyps: F = 3.75, df = 4, p < .01

A A ABABB

Ablehnung durch Peers in Abhängigkeit vom Familientyp

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(2) Effekte von Konflikten zwischen den Eltern (1996) auf die Beziehung zur Mutter (1996 – 2002):

Überdauernde Belastungen der Beziehung zur Mutter:

Bei hohen Elternkonflikten (1996) berichten Jugendliche auch in der Folgezeit (1996 – 2002)

weniger gelungene Individuation

mehr Ambivalenz

geringeres Anlehnungsbedürfnis

tendenziell mehr Angst vor Liebesverlust

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1

1 ,2

1 ,4

1 ,6

1 ,8

2

2 ,2

2 ,4

Nega

tive

Kom

mun

ikat

ion

Mut

ter

ko nf lik ta rm ko nf lik ta rmko nf lik t re i ko nf lik t re ich ke in K o nta k t

K e rn fa m ilie n T re n n u n g s fa m ilie n

Erziehungsverhalten der Mutter in Abhängigkeit vomFamilientyp: negative Kommunikation

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(2) Effekte von Konflikten zwischen den Eltern (1996) auf die Beziehung zum Vater (1996 – 2002):

Überdauernde Belastungen der Beziehung zum Vater:

Bei hohen Elternkonflikten (1996) berichten Jugendliche auch in der Folgezeit (1996 – 2002)

weniger gelungene Individuation

mehr Ambivalenz

geringeres Anlehnungsbedürfnis

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Unterstützung und negative Kommunikation des Vaters nach Familientyp und Elternkonflikten

Negative Kommunikation des Vaters nach Familientyp und Elternkonflikten

1

1,2

1,4

1,6

1,8

2

2,2

Kernfam. Trennungsfam.

Familientyp

Ne

ga

tive

K

om

mu

nik

ati

on

konfliktarm konfliktreich

Unterstütung durch Vater nach Familientyp und Elternkonflikten

2

2,2

2,4

2,6

2,8

3

Kernfam. Trennungsfam.

Familientyp

Un

ters

tütz

en

de

E

rzie

hu

ng

konfliktarm konfliktreich

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Qualität der Beziehung Jugendlicher zum Vater ist abhängig von:

Trennung der Eltern: Geringeres

Anlehnungsbedürfnis Weniger Angst vor

Liebesverlust

als in Kernfamilien

Konflikt zwischen Eltern: Geringeres

Anlehnungsbedürfnis Mehr Ambivalenz Weniger gelungene

Individuation

als in Familien mit geringen Konflikten

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Welchen Einfluss haben seltene Kontakte und Antagonismen zwischen den Eltern auf die Beziehung zum Vater?

Jungen Mädchen

Trennungsfamilie

n.s. n.s.

Seltene Kontakte

n.s. -.37***

Konflikthäufigkeit der Eltern

-.24** -.37***

Koalitionsdruck der Mutter

n.s. n.s.Anmerkung: Effekte von Alter und Region sind kontrolliert.

Gelungene Individuation in Beziehung zum Vater:

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Zwischenbilanz

Konflikte zwischen den Eltern sind in Kern- und Trennungsfamilien ein zentraler Risikofaktor für das Kindeswohl,

die Beziehung zur Mutter und

die Beziehung zum Vater

Die Beziehung zum Vater leidet – anders als die Beziehung zur Mutter – auch unter der Trennung per se.

Seltene Kontakte belasten vor allem die Vater-Tochter-Beziehung, sind aber für das Kindeswohl per se kein Risikofaktor.

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Fazit

Trennungsfamilien bergen insgesamt geringere Entwicklungsrisiken als gemeinhin vermutet.

Belastender sind elterliche Konflikte. Sie beeinträchtigen das Kindeswohl, indem sie die Erziehungskompetenzen der Eltern unterminieren und das Risiko für eine Triangulation der Kinder erhöhen.

Die Kontakthäufigkeit zum getrennt lebenden Elternteil ist per se wenig bedeutend. Entscheidender sind dessen Erziehungskompetenzen.

Gute Entwicklungsprognosen haben Scheidungskinder, deren Eltern es gelingt, ihre Konflikte beizulegen.

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Implikationen für die Praxis

Bessere Aufklärung der Eltern über schädliche Wirkung elterlicher Konflikte

Interventionsangebote zur Stärkung der elterlichen Kooperation

Zusatzangebote zu Maßnahmen wie Begleitetem Umgang zur Verbesserung der elterlichen Kooperation

Interventionsangebote für Kinder aus konfliktbelasteten (Ex-) Partnerschaften

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Konzepte der selektiven & indizierten Prävention bei Trennung/Scheidung

Trennungs-/Scheidungsberatung

Mediation

Begleiteter Umgang

Individualtherapie

Gruppenangebote für Scheidungskinder

Gruppenangebote für Eltern in Trennung/ Scheidung

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Vielen Dank !