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Programm-Magazin Nr. 4 Saison 14/15 Ostwärts MITTWOCH, 7. JANUAR 2015 DONNERSTAG, 8. JANUAR 2015

Programm-Magazin Ostwärts

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Programm-Magazin Nr. 4 Saison 14/15

OstwärtsMittwoch, 7. Januar 2015

Donnerstag, 8. Januar 2015

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D er junge polnische in Spanien wirkende Dirigent Michal Nesterowicz ist für unser Orchester inzwischen schon ein bekann­

tes Gesicht. Für sein Debüt innerhalb der Abonne­mentsreihe erwartet Sie ein ganz besonderes Pro­gramm. Fünfundzwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer schlagen wir unter dem Motto ‹Ostwärts› ei­nen Bogen zurück in die Zeit des Stalinismus. Lutosławskis Mała suita und Prokofjews 5. Sinfonie sind beides Werke, mit denen die Komponisten trotz kulturpolitischer Vorgaben zu einer ‹neuen Einfach­heit› und der Forderung nach einem Bekenntnis zum Volkstümlichen neue Wege gefunden haben. Prokof­jew, der fünfzig Minuten vor Stalin starb, hatte seine radikale Musiksprache bereits in seiner Jugend gefun­den. Seine 5. Sinfonie, die kurz vor Ende des 2. Welt­kriegs uraufgeführt wurde, ist ein Feuerwerk an Le­bensfreude.

Wir freuen uns ganz besonders auf die Schweizer Erstaufführung des Doppelkonzerts von Krzystof Penderecki mit Julian Rachlin und Fumiaki Miura. Spätestens nach seiner Lukas­Passion stand Pende­recki – wie auch Lutosławski – für eine Komposi­tionsschule östlich des Eisernen Vorhangs, die sich zur Avantgarde aus dem Westen bekannte. In den letzten Jahren hat er sich zusehends davon entfernt und sich einer neoromantischen Klangsprache zuge­wandt.

Ich wünsche Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen und freue mich auf Ihren Besuch.

Dr. Hans­Georg HofmannKünstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung

Sinfoniekonzert ‹Ostwärts›

3 Programm

4 Interview mit Julian Rachlin

8 Fumiaki Miura

10 Michal Nesterowicz

12 Sergei Prokofjew:

Sinfonie Nr. 5 B-Dur

16 Krzysztof Penderecki: Concerto doppio

für Violine, Viola und Orchester

20 Witold Lutosławski: Mała suita

22 Randbemerkungen

zu Lutosławskis Mała suita

Intermezzo

24 Vorlaut – Eine Serie

von Alain Claude Sulzer

26 Casino-Geschichte(n), Teil 4

28 Christian Aeberhard und

Simon Niederhauser im Gespräch

Vorschau

31 Museumsnacht im Basler Münster

31 Punkt 12

32 Agenda

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Sinfoniekonzert SOBOstwärts

Mittwoch, 7. Januar 2015

Donnerstag, 8. Januar 2015

19.30 Uhr, Musiksaal des Stadtcasinos Basel18.45 Uhr: Einführung durch Dr. Corinne Holtz

Witold Lutosławski (1913–1994)Mała suita (1950)

1. Fujarka (Allegretto) 2. Hurra polka (Vivace) 3. Piosenka (Andante)

4. Taniec (Allegro molto)

Krzysztof Penderecki (*1933)Concerto doppio für Violine, Viola und Orchester

(2012, Schweizer Erstaufführung)

Pause

Sergei Prokofjew (1891–1953)Sinfonie Nr. 5 B-Dur, op. 100 (1944)

1. Andante2. Allegro marcato

3. Adagio4. Finale: Allegro giocoso

Konzertende ca. 21.45 Uhr

Sinfonieorchester BaselJulian Rachlin, ViolineFumiaki Miura, Viola

Michal Nesterowicz, Leitung

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E­Saite. Ich würde sagen, auf diesem Instrument ist immer Sommer. Fünfundzwanzig Grad mit leichter Brise, wolkenlos. Perfekt. Und dieses Wet­ter ändert sich nie. Wenn dann etwas nicht gut klingt, ist es sicher meine Schuld. Die Stradivari spielt eigentlich von alleine.

Benjamin Herzog: Sie spielen seit fünf Jahren auf einer Geige von Antonio Stradivari, der ‹Ex-Liebig› von 1704. Vorher hatten Sie zwanzig Jahre lang eine Guarneri del Gesù. Sie kennen also Instrumente der beiden wichtigsten Geigenbauer Italiens. Was sind die Unterschiede?

Julian Rachlin: Guarneri­Geigen sind viel selte­ner, denn Guarneri del Gesù ist nur knapp über vierzig Jahre alt geworden. Stradivari jedoch wur­de über neunzig, ein sehr hohes Alter damals. Von Stradivari sind über 600 Instrumente im Umlauf. Ob er sie alle ganz alleine gebaut hat, ist nicht so relevant. Damals herrschte der Werkstattgedanke. Das ist wie in einem grossen Restaurant mit Chef­koch und Angestellten. Aber Sie fragen mich nach den Unterschieden der Geigen. Die sind sehr gross. Ich tu mich allerdings schwer, diese Unter­schiede zu beschreiben.

Versuchen Sie es.Eine Stradivari ist das Vollendetste, was irgend­jemand je als Geige gebaut hat. Stradivaris Arbei­ten sind perfekt und von vollendeter Schönheit schon alleine zum Anschauen. Ihr Ton ist silbern, besonders derjenige der ‹Ex­Liebig›. Diese Geige ist geradezu berühmt für ihre silbern klingende

Interview mit Julian Rachlin«Auf meinem Instrument ist  

immer Sommer»

Der Geiger und Bratschist Julian Rachlin erzählt vom silbernen Klang seiner Stradivari, von seiner Grossmutter und

vom Talent, das vom Himmel kommt.

aufgezeichnet von Benjamin Herzog

JulIaN RachlINJulian Rachlin wurde 1974 in Litauen geboren. Seine Familie emigrierte 1978 nach Wien, wo Rachlin später bei Boris Kuschnir studierte. Zu seinen Lehrern zählt auch der Geiger und Bratschist Pinchas Zukerman. 1988 gewann Julian Rachlin den Eurovisions-Wettbe-werb Amsterdam als ‹ Young Musician of the Year ›. Unter Riccardo Muti spielte Rachlin als bisher jüngster Solist mit den Wiener Philharmonikern. Julian Rachlin spielt Geige und Bratsche und dirigiert seit fünf Jah-ren. Das Concerto doppio für Violine, Viola und Orches- ter von Krzysztof Penderecki brachte Rachlin mit der Geigerin Janine Jansen 2012 im Wiener Musikverein zur Uraufführung. Es ist ihm gewidmet.

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Mein Vater ist Cellist. Er spielt heute im Nieder­österreichischen Tonkünstlerorchester. Als Kind im damals sowjetischen Vilnius habe ich zu Hau­se mit einem Regenschirm und einem Stöckchen Cello gespielt, während auf dem Plattenspieler das Dvořák­Konzert mit Rostropowitsch lief. Dann ist meine Familie emigriert. Ich war drei Jahre alt. Wir kamen mit nur dreihundert Dollar am Wiener Südbahnhof an. Wir mussten bei null anfangen. Meine Eltern, beide am St. Petersburger Konservatorium ausgebildete Musiker, wären be­reit gewesen, Toiletten zu putzen. Da lagen Gei­genstunden für mich zunächst einfach nicht drin.

Ihre Grosseltern haben Ihnen noch in Vilnius eine Geige geschenkt.

Ja, aber sie haben mir gesagt, das sei ein Cello. Ich habe diese Geige, eine billige Viertelgeige, daher auch wie ein Cello gespielt. Erst bei einer Orches­terprobe, zu der mich mein Vater in Vilnius mit­genommen hat, habe ich gesehen, dass das ei­gentlich eine Geige war.

Sie haben das Geigenspiel also über einen Umweg kennen-gelernt.

Ja, im doppelten Sinne. Auch weil meine Eltern wussten, wie schwierig es ist, ein Leben als Musi­ker zu führen. Deshalb haben sie mich nie zur Mu­sik gezwungen, auch wenn sie mein Talent gese­hen haben. So etwas geht sowieso in den meisten Fällen schief. Vor allem, wenn Kinder in der Mu­sik mehr erreichen sollen, als die Eltern geschafft haben. Weil ich zu nichts gezwungen wurde, liebe ich die Musik noch heute. Aber das Instrument steht dabei nicht im Vordergrund, es ist bloss ein Mittel.

Aber beherrschen muss man es. Ja, das schon. Aber ob das jetzt eine Geige ist oder sonst etwas, spielt keine Rolle.

Das Doppelkonzert von Penderecki beginnt mit einer Ka-denz, die man als zärtlich umschreiben kann. Die beiden Soloinstrumente umschmeicheln sich. Dann, nach wenigen Augenblicken, wird das Geschehen handgreiflicher. Die Konturen gewinnen an Deutlichkeit. Was für eine Ge-

Bedeutet das, dass Sie dieses Silber, diese ganzen Klangfar-ben, die Sie mit dieser Geige hervorzaubern, wie ein Maler nur von der Palette nehmen müssen? Dass im Prinzip alles schon da ist?

Natürlich muss man wissen, wie man mit diesen Farben umgeht. Man muss schon malen können. Die Guarneri war da viel launischer. Uns verband eine Hassliebe. Vom Klang her war die Guarneri viel rauer, kantiger. Aber auch viel expressiver.

Vermissen Sie das nicht?Nein. Ehrlich. Nach zwanzig Jahren hatte ich ge­nug von meiner Guarneri, dieser röhrenden Wöl­fin, dieser Bestie. Die Geigen Guarneris sind so wild, wie ihr Erbauer selbst es war.

Die Stradivari, die Sie spielen, ist ja eine Leihgabe. Bei der Uraufführung des Doppelkonzerts von Krzysztof Pende-recki haben Sie Bratsche gespielt. War das damals Ihr eige-nes Instrument?

Ja, eine wunderbare Storioni. Also auch ein altes Instrument aus Cremona, der Stadt Stradivaris.

In Basel spielen Sie in Pendereckis Konzert nun den Geigen-part. Was liegt Ihnen mehr?

Es ist für mich nicht wichtig, ob ich Geige oder Bratsche spiele, sondern dass ich die Musik aus verschiedenen Blickwinkeln sehen kann. Ich spiele nun seit siebenundzwanzig Jahren öffent­lich Konzerte, aber ich fühle mich immer noch wie am Anfang meines Weges. Ein Leben ist nicht genug, um die Musik zu begreifen.

Sie dirigieren ja auch. Ab der nächsten Saison sind Sie Principal Guest Conductor eines Kammerorchesters im englischen Newcastle, der Royal Northern Sinfonia.

Ja, ein ganz wunderbares Orchester. Ich werde dort dirigieren und Geige und Bratsche spielen. Alles. Übrigens, eines Tages möchte ich das Pen­derecki­Konzert auch im Orchester mitspielen. Dann kenne ich es von allen Seiten.

Sie sagen, Geige sei gar nicht Ihr Lieblingsinstrument. Ur-sprünglich wollten Sie Cellist werden. Warum sind Sie das nicht geworden?

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Metamorphosen haben wir ein Drittel der Solostim­me verändert. Der Prozess hat da eigentlich schon vor der Uraufführung angefangen. Penderecki hat mir die neusten Teile seines Konzerts jeweils per E­Mail geschickt. Dann haben wir telefoniert, dis­kutiert. So ist vieles gemeinsam entstanden.

In den 1960er-Jahren hat Krzysztof Penderecki mit Werken wie Threnos auf sich aufmerksam gemacht. Musik, die den Opfern des Atombombenabwurfs auf Hiroshima ge-widmet ist. Musik, die aufschreit. Penderecki gehörte da-mals zur Avantgarde. Was ist davon übriggeblieben?

Er hat einfach seine Sprache gefunden. Er tut das nicht, um zu gefallen, falls Sie das meinen. Auch Schönberg hat sich verändert. Vom Zwölftöner zu einem tonaleren Komponisten. Mir gefällt der frühe Schönberg, aber auch der späte Penderecki. Seine Musik heute berührt uns, und sie ist hoch­intelligent. Dass er sich treu geblieben ist, merkt man daran, dass man nach fünf Sekunden weiss: Aha, das ist Penderecki.

Es gibt in dem Doppelkonzert sehr viele spielerische Passa-gen. Penderecki selbst ist aber kein spielerischer Typ, oder?

Nein, überhaupt nicht. Aber es ist richtig, dass es bei Penderecki oft solche Scherzando­Passagen gibt. Etwas anderes ist, dass er seine Konzerte nie triumphal enden lässt. Ich habe ihn mal gefragt, warum das eigentlich so ist. Da hat er mir gesagt, das sei ihm zu einfach. Pendereckis Stücke enden alle im Nichts. Es sind grosse Epiloge.

Sie blicken bei dieser Antwort nach oben, in den Himmel. Penderecki ist ein gläubiger Mensch. Geht’s in seinen Kon-zerten nach da oben?

Ja. Aber das macht ja auch Alban Berg in seinem Violinkonzert, wenn er Bach zitiert. Da geht’s auch nach oben. Gut, das war auch sein letztes Konzert. Aber Penderecki ist ja auch schon einund achtzig Jahre alt.

Vorletztes Jahr, 2013, haben Sie an einem Gedenkkonzert gespielt: 70 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto.

Es ist wichtig, sich solcher Daten zu erinnern. Mir persönlich ging das insofern nahe, als meine Grossmutter damals ihren ersten Mann bei sei­

schichte erzählt Penderecki da? Eine Paargeschichte?Jedes Musikstück erzählt irgendetwas.

Welche Geschichte erzählt dieses Konzert?Das ist dem Zuhörer überlassen. Ich denke eher in Bildern, Stimmungen. Oder sagen wir es so: Die Geschichte ändert sich von Mal zu Mal. Aber Sie haben schon richtig gehört. Ich habe das Konzert 2012 mit der Geigerin Janine Jansen uraufgeführt. Und wir beide waren damals liiert.

Sie haben Krzysztof Penderecki vor etwa fünfzehn Jahren kennengelernt, als Sie mit dem Cellisten Mstislaw Rostro-powitsch in Wien Pendereckis Sextett spielten. Wie ist die Idee zu dem Doppelkonzert entstanden?

Krzysztof Penderecki ist ein guter Freund von mir. Ich habe viel mit ihm gespielt. Sein zweites Vio­linkonzert Metamorphosen zum Beispiel und ande­res, wo er jeweils auch Dirigent war. Doppelkon­zerte in der Besetzung Geige und Bratsche gibt es nur wenige. Mozarts Sinfonia Concertante ist eines, und dann gibt es noch ein solches Doppelkonzert von Benjamin Britten. Weil Janine Jansen ja eben Geigerin ist und damals meine Freundin war, lag die Idee zu einem weiteren Doppelkonzert nahe. Es war mein Wunsch. Penderecki hat ja selber Geige und Bratsche studiert, er kennt sich also mit den Instrumenten ganz fabelhaft aus. Daher liegt das Konzert beim Spielen auch sehr gut in der Hand.

Es geht auch gut ins Ohr. Es ist kein sperriges Werk.Es ist ein sehr tonales Werk, so wie der späte Pen­derecki ja überhaupt mehr und mehr in die Tonali­tät und Richtung Romantik geht. Er sagt selber von sich, je älter er werde, desto schönere Musik schreibe er. Von den lebenden Komponisten ist er einer meiner absoluten Lieblingskomponisten.

Sie haben einmal gesagt, die Geschichte, die das Doppel-konzert erzählt, verändere sich. Hat sich seit 2012 auch Ihre Sicht auf das Konzert verändert?

Natürlich. Es verändert sich die ganze Zeit. Das war auch schon bei dem Violinkonzert Metamor-phosen so. Penderecki sagt, wenn ihn ein Interpret überzeuge, sei er bereit, alles zu ändern. Bei den

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nem Fluchtversuch aus dem Ghetto verloren hat. Er hatte sich bei der Flucht das Bein gebrochen, wurde von den Deutschen gefasst und sofort er­schossen.

War der Antisemitismus auch ein Grund, warum Ihre Fami-lie später aus der Sowjetunion in den Westen emigriert ist?

Ja. Am Konservatorium von St. Petersburg gab es etwa eine Klausel, dass von hundert Studenten nur fünf Juden aufgenommen werden dürfen. Meine Eltern wollten nicht, dass ihr Kind unter einem so unmenschlichen Regime aufwächst.

In einem Interview, das Sie achtzehnjährig der Los Angeles Times gegeben haben, haben Sie gesagt, man müsse 90 Pro-zent seines Lebens der Musik widmen. Nichts komme vom Himmel. Was sagen Sie heute, zwanzig Jahre später?

Einzig eine Familie, also Frau und Kinder, würden diese Priorität verschieben.

Und der zweite Teil des Satzes: Nichts kommt vom Himmel?Talent alleine nützt einem nichts. Das habe ich damit gemeint.

Und wo kommt das Talent her?Das kommt sicher vom Himmel. Wir sagen jeden­falls Himmel. Aber man muss ja nicht alles erklä­ren. Und das ist auch schön so. ●

Fumiaki Miura

Fumiaki Miura wurde 1993 in Tokio (Japan) gebo­ren. Schon früh kam er in Kontakt mit Musik, da sein Vater Konzertmeister war und seine Schwes­ter Klavier studierte. Fumiaki Miura begann be­reits im Alter von drei Jahren Geige zu spielen. 2008 wurde er an der Toho Gakuen School of Mu­sik in Tokio aufgenommen, und seit 2009/10 stu­diert er am Konservatorium in Wien bei Professor Pavel Vernikov. Fumiaki Miura spielte als Solist schon mit vielen bedeutenden Orchestern. Ge­meinsam mit Julian Rachlin führte er im Novem­ber 2012 das Doppelkonzert von Penderecki in Polen auf. Der junge Bratschist und Violinist gilt als grosses Talent und hat bereits zahlreiche Wett­bewerbe gewonnen, u.a. den International Joseph Joachim Violin­Wettbewerb in Hannover. ●

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Prokofjews Fünfte ist gewiss eine Perle in seinem Re­pertoire – und das Meisterwerk wird auch in Basel zu hören sein. Nesterowicz’ Repertoire fusst auf zwei Säulen. Eine ist die deutsche Musik, vor allem die Romantik und Spätromantik mit Johannes Brahms und Gustav Mahler, die andere sind die sinfonischen Werke aus Osteuropa mit Prokofjew, Dvořák, Pjotr Iljitsch Tschaikowski und anderen. Er geht aber nie weiter zurück als in die Klassik: «Die Barockmusik überlasse ich den Spezialisten, die sie studiert ha­ben.» Nesterowicz ist ein Mann der grossen orchest­ralen Form des 19. bis 21. Jahrhunderts.

Ein besonders Anliegen ist dem jungen Polen die Neue Musik seines Landes. Neben den drei grossen Meistern – er nennt Witold Lutosławski, Krzysztof Penderecki und Henry Nicolai Gorecki – gebe es aber viele hervorragende jüngere Komponisten. Sie seien aber leider ausserhalb von Polen wenig bekannt. Dass er nun in Basel Lutosławski spielt, «dieses klei­ne fantastische Stück», die frühe Mała suita von 1950, gereicht ihm zur Ehre. Auch deshalb, weil er das Stück in Kooperation mit der Paul Sacher Stiftung, die Lutosławskis gesamten Nachlass beherbergt, er­arbeitet.

Die Musik der Gegenwart hat einen festen Platz in seinem Repertoire – auch in der Arbeit mit dem Orchester von Teneriffa, dem grössten Sinfonieor­chester Spaniens. Die polnische und die spanisch­sprachige Welt scheinen in dem Dirigenten eine schöne Verbindung einzugehen: Vor seinem Engage­ment in Teneriffa war er Chefdirigent des Nationalen Sinfonieorchesters in Santiago de Chile. Nach sei­

E r weiss, was er will, teilt es den Musikerin­nen und Musikern des Orchesters mit freundlicher, bestimmter Stimme mit, be­

hält in den Proben stets die Ruhe und lässt einzelne Instrumentengruppen proben, bis die Sequenz ge­nau so gestaltet ist, wie er sie haben will. Klingt sie perfekt, lächelt er und freut sich sichtlich. Dem 40­jährigen Polen Michal Nesterowicz bei den Pro­ben zuzuschauen, ist ein Vergnügen. Mit jeder melo­dischen wie rhythmischen Figur geht er mit, ja, er zeichnet sie regelrecht. Nesterowicz probt mit dem Sinfonieorchester Basel (SOB) Antonín Dvořáks 9. Sinfonie Aus der neuen Welt. Das Orchester folgt sei­nen Anweisungen konzentriert, setzt seine Vorstel­lungen in Klang um. Da ist ein beiderseitiger Kunst­willen. Nesterowicz – seit 2012 Chefdirigent des Orquesta Sinfónica de Tenerife – arbeitet gerne mit dem SOB. Er schätzt dessen hohe Qualität.

Der Dirigent weiss, wie Spannung aufzubauen ist, er verbindet perfekt einen starken emotionalen Aus­druck mit der Klarheit der musikalischen Struktur, setzt auf rhythmisch und klanglich prägnante Artiku­lation, auf Dynamik und entfaltet so die Dramatik der Sinfonie. Er erzählt Aus der Neuen Welt. Auch Sergei Prokofjews 5. Sinfonie, für deren Interpretation der junge Dirigent viel internationales Kritikerlob erhal­ten hat, wird unter seinen Händen zur musikalischen Erzählung. Dem zweiten Satz, dem Allegro marcato, gibt er packenden Drive. Im Andante entfacht er in klanglicher Dichte und Intensität die ganze Kraft des Kopfsatzes. Das ist zu hören auf der Videoaufnahme mit dem Orquesta Sinfónica de Galicia.

Der polnische Dirigent Michal NesterowiczEin mitreissender Musik-Erzähler

von Christian Fluri

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den verstorbenen Lorin Maazel in München. Er über­nahm die Programme und meisterte die Arbeit mit den Orchestern bravourös. Nesterowicz stellt sich auf die Musikerinnen und Musiker ein und vermit­telt ihnen dennoch seinen ganz eigenen interpreta­torischen Zugriff. Er ist ein wissender Musiker, der sich weit über sein Metier hinaus für Kunst interes­siert. Gerade deshalb liebt er es, in Basel zu sein, der besonderen Kunststadt mit ihren Museen, dem The­ater, der reichen Musikkultur. ●

nem Studium in Warschau hatte er an internationa­len Dirigentenwettbewerben reüssiert und zum Bei­spiel den 9. Internationalen Dirigentenwettbewerb Cadaqués 2008 gewonnen. Diese Erfolge hatten ihm die Tore in die internationale Konzertwelt geöffnet. Er wurde jüngster polnischer Chefdirigent – bei der Polnisch­Baltischen Frédéric Chopin Philharmonie in Danzig. Nesterowicz ist ein sehr agiler Musiker, der oft für Meisterdirigenten eingesprungen ist; so für den erkrankten David Zinman in Zürich oder für

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kofjew reiste mehrmals in die Sowjetunion und war daher mit den politischen, wirtschaftlichen und kul­tu rellen Verhältnissen in Russland vertraut», schreibt Victor Seroff 1968 in seinem Buch Sergej Prokofjew – eine sowjetische Tragödie. «Er wusste deshalb ganz ge­nau, was er tat. Er hatte alle Pros und Contras auch sorgfältig abgewogen.» Unkenntnis der politischen Lage dürfte jedenfalls nicht zu diesem Schritt geführt haben. Im Jahr 1929 war Prokofjew noch der Mei­nung, dass «Musik und Politik unvereinbar seien, sich gegenseitig sogar zurückwiesen» und dass «ein passionierter Musiker im Interesse seiner Kunst auch allein leben könne». Seine Rückkehr verlangte von ihm dann aber doch, sich den Gepflogenheiten des Sowjetregimes unterzuordnen.

Strotzten die Werke des ehemaligen ‹Enfant ter­rible› der russischen Musik früher vor Sarkasmus, Karikatur und Groteske, so hatten sie nun staats­freundlich zu sein, wie zum Beispiel die Vier Märsche für Blasorchester (1935), die Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution in zehn Teilen (1936), die Sieben Massenlieder (1939) und der Trinkspruch (1939) zum 60. Geburtstag Stalins. ‹Politische› Musik macht aber nur einen verschwindend kleinen Teil im Œuvre Pro­kofjews aus, ist wohl nur Zugeständnis gewesen, um unbehelligt arbeiten zu können. Die Sehnsucht nach Russland muss demnach grösser gewesen sein als die Furcht vor Gängelei: «Die Luft der Fremde be­

D as Russland nach der Oktoberrevolution 1918 war Sergej Prokofjew zu unruhig, so­dass er dem jungen Sowjetstaat den Rü­

cken kehrte und sechzehn Jahre in den USA und in Frankreich lebte. Dann die Heimkehr 1934 nach Mos­kau: Was den Komponisten bewegt haben mochte, sich von Freiheit und Selbstbestimmung in ein Re­gime der Unfreiheit, in eine Diktatur zu begeben, hat bis heute für Diskussionsstoff gesorgt. Unwissenheit, sogar Opportunismus warf man Prokofjew vor. «Pro­

Sergei Prokofjew: Sinfonie Nr. 5 B-DurAusdruck eines optimistischen Lebensgefühls

Wie sich das ‹Enfant terrible› der russischen Musik nach der russischen Heimat sehnt und sich unter dem Druck des Kulturdezernats

auf die Suche nach einer ‹neuen Einfachheit› begibt.

von Renate Ulm

SINfONIe NR. 5 B-DuR, OP. 100Besetzung: 2 Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen, Englischhorn, kleine Klarinette, Bassklarinette, 2 Fagotte, 2 Kontrafagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Schlagzeuge, Harfe, Klavier, Streicher

Entstehung: Sommer 1944, Iwanowo

Uraufführung: 13. Januar 1945, Moskau, unter der Leitung des Komponisten

Dauer: ca. 45 Minuten

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Sergei Prokofjew (Bleistiftskizze von Hilda Béatrice Wiener, 1935)

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gab es für mich niemals Zweifel, ich liebe die Melo­die, halte sie für das wichtigste Element in der Musik. In der Fünften Sinfonie habe ich mich bemüht, mich von den Elementen des Formalismus frei zu machen, und mir scheint, das ist mir in gewissem Grade ge­lungen.»

Was hier devot oder demütig klingt, war sicher­lich auch Prokofjews diplomatisches Geschick: Durch Selbstanklage und Besserungswillen war er vermut­lich weniger der Kritik der Kulturbehörde ausgelie­fert, was gleichbedeutend war mit freierem Arbeiten. Denn das Kontroll system des Staates funktionierte. Daher verwundert es kaum, dass mehrere Rechen­schaftsberichte Prokofjews über seine Arbeit und zu­künftige Projekte vorliegen, die an das sowjetische Informationsbüro adressiert sind, so auch derjenige vom 24. Mai 1944: «Nach der Fertigstellung der Suite Romeo und Julia denke ich, eine Fünfte Sinfonie zu schreiben, deren Themenmaterial bereits vorliegt.»

Ein Lied auf den freien und  glücklichen Menschen

Ebendiese Sinfonie vollendete Prokofjew drei Monate später, am 26. August 1944, in Iwanowo. Hier befand sich das vom Staat gegründete ‹Haus der Musik­schaffenden›, in dem sich während der Sommer ­monate der Jahre 1944 und 1945 Komponisten und Musikwissenschaftler trafen, unter ihnen Glière, Schostakowitsch, Kabalewski, Muradeli, Mjaskowski, Chatschaturjan und Schaporin. Das geistige Umfeld und Gespräche unter Gleichgesinnten förderten die schöpferische Arbeit. Zu der in Iwanowo entstande­nen Sinfonie, in der Prokofjew wieder am klassizisti­schen Stil früherer Werke anknüpfte, um eben eine verständlichere Musiksprache zu sprechen, äusserte er sich so: «Mit dieser Komposition kehre ich nach 16­jähriger Unterbrechung wieder zur sinfonischen Form zurück. Ich konzipierte sie als eine Sinfonie der Grösse des menschlichen Geistes. Das ganze Schaf­fen ist auf die Freude ausgerichtet als Ausdruck eines optimistischen Lebensgefühls. Mit der Fünften Sin­fonie wollte ich ein Lied auf den freien und glückli­chen Menschen anstimmen, seine schöpferischen Kräfte, seinen Adel, seine innere Reinheit.»

kommt meiner Inspiration nicht, weil ich Russe bin, und das Unbekömmlichste für einen Menschen wie mich ist es, im Exil zu leben, das mir nicht entspricht. Ich muss mich wieder in die Atmosphäre meines Heimatbodens einleben. Ich muss die russische Sprache in meinem Ohr widerhallen hören.»

Zurückgekehrt als ‹verlorener Sohn› musste Pro­kofjew dann auch zu den Vorwürfen des Formalis­mus Stellung nehmen und sich dem Diktat der staat­lichen Kulturkritik beugen; eine Selbstanklage war die Folge. Das bedeutete Absage an Atonalität und Bekenntnis zum Volkstümlichen, zur Melodie und zur Tonalität. Das Kulturdezernat in Person des mit­telmässigen Komponisten und Sekretärs des sowje­tischen Komponistenverbands, Tichon Chrennikow, überwachte die Arbeit der Komponisten und masste sich an, seine Vorstellungen von einer nationalen russischen Musik gegebenenfalls auch mit Repressa­lien durchzusetzen. Davon spürte Prokofjew aller­dings deutlich weniger als Dmitri Schostakowitsch, vielleicht weil er sich freiwillig und offiziell sogar reumütig in die Sowjetunion zurückbegeben hatte.

Die Suche nach einer ‹neuen Einfachheit›, nach einer volkstümlichen, sangbaren Melodik ging also bei Prokofjew einher mit dem Verlust der radikalen Schärfe seiner früheren Musiksprache. Aber trotz der von aussen gesetzten musikästhetischen Grenzen fand Prokofjew neue Wege, die sein weiteres Kompo­nieren nicht zur Banalität verurteilten. Wodurch die­ser Wandel zum «Volkstümlich­Melodischen mit klassizistischem Gepräge» bewirkt wurde, lässt ein Brief des Komponisten vom Februar 1948 an Tichon Chrennikow erahnen: «Die Kraft und Lebendigkeit alles dessen, was die grossen Meister der Musik ge­schaffen haben, liegt darin, dass ihre Werke stets dem Volke verständlich und lieb waren. Die Millionen ein­facher Menschen begreifen die formalistischen Ver­ren kun gen nicht. Ich selbst bin, wie man so sagt, nicht frei von Sünde, in meinem Schaffen unter dem Einfluss gewisser westlicher Strömungen formalisti­sche Fehler gemacht zu haben. Ich habe [...] viel über den künstlerischen Stil meiner Musik nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht den richtigen Weg ging. Das Ergebnis war, dass ich nach einer klareren und gehaltvolleren Sprache such­te. Über die Frage der Bedeu tung des Melodischen

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Prokofjew in diesem Satz als tragischen Einbruch in die heitere Welt des «glücklichen Menschen» mit einflicht.

Nach der kammermusikalischen Einleitung des Finales, in der das Hauptthema des ersten Satzes wie verklärt in den Celli erscheint, entwirft Prokofjew wieder ein Bild der Lebensfreude in der Art eines ful­minanten und volkstümlichen Tanzes, jeglichen düs teren Beigeschmack abweisend. Nur kurz blitzt eine melancholische Bass­Melodie auf, die aber bald in den fröhlichen Taumel hineingezogen wird. Der orchestrale Farbenreichtum und die rhythmische Vielfalt entsprechen ganz dem positiven Grundge­danken der Komposition.

Als die Sinfonie am 13. Januar 1945 unter Prokof­jews Leitung in Moskau uraufgeführt wurde, sass der Pianist Swjatoslaw Richter unter den Zuhörern: «Niemals vergesse ich die Aufführung seiner Fünften Sinfonie im Jahre 1945, am Vorabend des Sieges. Es war das letzte Auftreten Prokofjews als Dirigent. Er stand da wie ein Denkmal auf seinem Postament. Und plötzlich, als Stille eintrat und der Taktstock schon erhoben war, ertönten die Artilleriesalven. Er wartete und begann nicht eher, als bis die Kanonen schwiegen. Wie viel Bedeutsames, Symbolhaftes kam da zu Wort. [...] Die Fünfte Sinfonie spiegelt sei­ne abgeschlossene innere Reife und seinen Rück­blick. Er sieht von der Höhe auf sein Leben herab und auf alles, was war. Etwas Olympisches liegt darin.» ●

Die 5. Sinfonie ist viersätzig, ganz nach klassi­schem Vorbild. Allerdings beginnt der Kopfsatz, ent­gegen der Tradition, mit einem Andante in Sonaten­satzform. Vier recht gegensätzliche Themen wett ei­ fern miteinander: Zuerst das getragene Hauptthema im 3/4­Takt, das ansetzend auf dem Quintton den Raum einer Oktav durchmisst und dessen auffallen­de Punktierung dem gesamten Satz immanent ist. Ihm folgt eine Art melodischer Überleitungsgedanke im 4/4­Takt, der selbst thematisches Material wird, dann ein liedhafter, zarter Seitengedanke, der von ständig aufstrebenden Streichermotiven kontra­punktiert wird. Am Ende der Exposition schliesslich erscheint – zugleich als Antizipation des Schluss­satzes – ein Thema volkstümlichen Charakters. Die­se vier Themen, besonders aber der Hauptgedanke, werden in der Durchführung tonal verändert, stän­dig variiert und harmonisch eigenwillig behandelt, sodass sie immer wieder in neuem Licht erscheinen – bis hin zum heroischen Finale, das die Grundidee Pro­kofjews von einer «Sinfonie der Grösse des menschli­chen Geistes» monumental zum Ausdruck bringt.

Prokofjew konterkariert das Pathos des ersten Satzes mit einem Scherzo (Allegro marcato): Kammer­musikalisch beginnt es mit einer heiteren Melodie in der Solo­Klarinette und Staccato­Begleitung der Ers­ten Violinen. Mehr als alle anderen Sätze erinnert dieses Scherzo an die Sinfonie classique. Mit jeder The­menvariante vergrössert sich der Orchesterapparat, auch das immer üppigere Schlagwerk: Militärtrom­mel, Holzblöcke, Tambourin, Triangel und so fort. Humorvoll ist der Einfall, das Thema in den Fagotten durch Verbreiterung hervorzuheben. Ein pastoraler Mittelteil wird zweimal von einem volkstümlichen Tanz im 3/4­Takt unterbrochen. In der Reprise ver­dunkelt sich die anfängliche Heiterkeit mit geschärf­ten Intervallen und Akkordschichtungen: Die Tragik des dritten Satzes wirft ihren Schatten voraus.

Melancholisch und verträumt beginnen die Kla­rinetten im Adagio über dem Triolengrund der Violi­nen. Dieser Stimmung setzen die Militärtrommel und die damit gekoppelte dissonanzenreiche Fort­schreitung ein Ende. Pizzicati und Triller lassen er­schauern und, martialische Fortissimo­Effekte ver­zerren die Anfangsstimmung; es sind Anklänge an die grausigen Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, die

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er Ehrenprofessor des Tschaikowski­Konservatori­ums Moskau. Geradezu unzählige Preise, Medaillen, Fellowships, Ehrenmitgliedschaften und Ehrendok­torate, so der Universitäten von Glasgow, Leuven, Madrid, St. Petersburg, Washington sowie Leipzig, dokumentieren die internationale Wertschätzung, die dem Komponisten entgegengebracht wird. Pen­derecki ist auch (u. a.) Träger des Grossen Verdienst­kreuzes der Bundesrepublik Deutschland (1990), des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst (1992) sowie des kulturellen Verdienstor­dens des Fürstentums Monaco (1993), wurde 2000 mit dem Cannes Classical Award als ‹Living Compo­ser of the Year› ausgezeichnet und erhielt 2002 den Romano­Guardini­Preis der Katholischen Akademie in Bayern. 2003 folgte der Preis der Europäischen Kir­chenmusik, 2004 schliesslich noch einer der Preise des japanischen ‹Praemium Imperiale›. Die Ehren­mitgliedschaft der Wiener Gesellschaft der Musik­freunde wurde Krzysztof Penderecki am 23. März 2000 verliehen, Anfang 2003 ernannte ihn seine Ge­burtsstadt Debica zu ihrem Ehrenbürger.

Stilistisch bewegte sich Penderecki viele Jahre bewusst in Grenzbezirken des Klangs. Er bezog in seine Werke als neuartige Kontrastwirkungen Ge­räusche jeglicher Art ein, verwendete unkonventio­nelle Spieltechniken zur Klangerzeugung und erziel­te dadurch äusserste Nuancierungen. Dazu kommt, dass auch die herkömmliche Spielweise des Instru­mentariums sehr modifiziert eingesetzt wurde: Gros­se Gruppen einzelner Instrumente erscheinen zu­

K rzysztof Penderecki zählt heute zu den an­erkanntesten Komponisten der Gegen­wart. Am 23. November 1933 in Debica (Po­

len) geboren, studierte er Komposition bei Artur Malawski an der Musikhochschule Krakau und fiel bereits damals durch sein grosses schöpferisches Ta­lent auf. 1959 wurde er mit einem Schlag der Weltöf­fentlichkeit bekannt: Bei einem Wettbewerb, den der polnische Komponistenverband ausgeschrieben hat­te, errang er mit drei Werken (Strophen, Emanationen und Psalmen Davids) alle drei zu vergebenden Preise. 1961 wurde er für Threnos, ein Werk für 52 Streich­instrumente, in Paris mit dem Preis der UNESCO aus­gezeichnet, 1962 in Krakau für seinen Kanon für 52 Streichinstrumente und zwei Lautsprecher geehrt. Seine wohl berühmteste und meistgespielte Komposition wurde dann die 1964/65 entstandene Lukas-Passion, die zu einer für avantgardistische Tonschöpfungen geradezu sensationellen Popularität gelangte. Weiter zählen zu seinen bekanntesten Schöpfungen das Dies irae, ein Oratorium zum Gedenken an die Ermorde­ten von Auschwitz, die Opern Die Teufel von Loudon, Paradise Lost und Die schwarze Maske, das Polnische Re-quiem, mehrere Sinfonien, Konzerte sowie weitere Orchesterwerke wie Anaklasis und De natura sonoris.

Penderecki übernahm bereits 1958 nach seinem Diplomabschluss eine Professur an der Krakauer Musikhochschule, der er dann 1972–87 als Rektor vorstand, 1966–68 war er daneben Dozent an der Folkwang­Hochschule Essen und von 1973–1978 Pro­fessor an der Yale University, New Haven; 1997 wurde

Krzysztof Penderecki: Concerto doppio für Violine, Viola und Orchester

Pendereckis ‹neuer Weg›

Wie sich Krzysztof Penderecki von den Grenzbezirken des Klangs wegbewegt und im Concerto doppio

traditionelleres Vokabular aufgreift.

von Hartmut Krones

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Krzysztof Penderecki (Juli 2008)

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immer wieder dieselben avantgardistischen Techni­ken verwenden kann», sah aber ein, dass seine 2. Sin­fonie, eines der ersten ‹neoromantischen› Werke, für viele ein «Schock» war. Doch habe er vor allem auch durch seine Dirigiertätigkeit den Reiz von Kompo­nisten wie Bruckner, Sibelius oder Schostakowitsch entdeckt. Inzwischen hat sich Pendereckis ‹neuer Weg› international aber derart durchgesetzt, dass die kritischen Stimmen immer mehr verstummen, ins­besondere auch, weil weitere bedeutende Komponis­ten der ‹reinen› Avantgarde den Rücken kehrten und (jeweils eigene) Wege einer Synthese von Alt und Neu beschritten.

Charakteristisch für jene Rückkehr zu einem ‹traditionelleren› Vokabular ist auch das jüngste Werk des Komponisten, das im Jahr 2012 im Auftrag der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde geschrie­bene und Julian Rachlin gewidmete Concerto doppio per violino, viola e orchestra, das am 22. Oktober 2012 durch Janine Jansen (Violine), Julian Rachlin (Viola) und das Symphonieorchester des Bayerischen Rund­funks unter der Leitung von Mariss Jansons zur Ur­aufführung gelangt ist. In mehrteiliger Einsätzigkeit konzipiert, lässt das Konzert dennoch traditionelle Satzcharaktere erkennen, ohne sie durch Pausen ex­plizit zu trennen; es verbindet die Teile vielmehr durch motivische Anklänge bzw. Verklammerungen. Auch das eher klein dimensionierte, meist kammer­musikalisch transparent und mit begleitender Funk­tion eingesetzte Orchester folgt klassisch­romanti­schen Mustern und versammelt neben je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotten, Trompeten und Posau­nen sowie drei Hörnern, Tuba und Streichern ledig­lich eine Celesta sowie ein reich besetztes Schlag­zeug (vier Ausführende), welch Letzteres sowohl in verhaltenen Passagen als auch in den wenigen klang­lich ausladenden Steigerungen für charakteristische Färbungen sorgt. Und die beiden Soloinstrumente, denen ein Grossteil der motivischen Entwicklungen anvertraut ist, erhalten in ähnlichem Traditionsbe­wusstsein ‹genre­typische›, überaus brillante Aufga­ben, werden zudem oft ohne Orchesterbegleitung eingesetzt und treiben auch immer wieder die the­matischen Entwicklungen voran. Hier stand nicht zuletzt Pendereckis immer wieder durchbrechende Freude an virtuoser Brillanz Pate – er, der ursprüng­

sammengefasst, um ‹Cluster›, also ‹Akkorde› nahe beieinanderliegender Töne, zu bilden. Das eigenartig unbestimmt­flächige Klangerlebnis verleiht vielen Partien aus Pendereckis früheren Werken einen ganz spezifischen Reiz, der durch Kontrastwirkungen schriller Schlagzeugeffekte noch ausserordentlich erhöht wird.

In den frühen 1970er­Jahren kehrte Penderecki dann, nachdem er in seiner 1. Sinfonie von 1973 seine avantgardistische Musiksprache in einer grossen ‹klassischen› Form erprobt und gleichsam ‹geadelt› hatte (hier wird geräuschhaftes Material sinfonisch verarbeitet), den avancierten Experimenten weitge­hend den Rücken. Stattdessen wandte er sich einer Art ‹Neoromantik› zu, bekannte sich zur Tonalität sowie zur europäischen sinfonischen Tradition und eilte mit dieser gewandelten Klanglichkeit von Er­folg zu Erfolg. Prononcierte Vertreter der Moderne sahen darin zwar einen Verrat an den Prinzipien ei­ner ‹fortschrittlichen› Musik, doch ging Penderecki seinen Weg unbeirrbar weiter und schuf 1990/91 so­gar eine Opera buffa im Geiste Rossinis, Ubu Rex, die ebenfalls zugleich gefeiert wie angefeindet wurde. Penderecki begründete später seine stilistische Wandlung mit seiner Überzeugung, «dass man nicht

cONceRtO DOPPIO füR VIOlINe, VIOla uND ORcheSteRBesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 3 Hörner, 2 Trompeten, 2 Posaunen, Tuba, Pauken, Schlagzeug, Celesta, Streicher

Entstehung: Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde Wien

Widmung: Julian Rachlin

Uraufführung: 22. Oktober 2012, Wien (Musik verein; Symphonieorchester des Bayeri-schen Rundfunks, Violine: Janine Jansen, Viola: Julian Rachlin, Leitung: Mariss Jansons)

Dauer: ca. 25 Minuten

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Grundmaterial Ausgang aller Entwicklungen, die bald eine tänzerische alla Polacca in die Szene rufen und mit virtuoser Brillanz ausgestalten. Eine unge­mein virtuose Doppel­Kadenz beschliesst diesen Ab­schnitt, dem sodann erneut ein Adagio folgt, das noch ausladender ausgestaltet wird und das Orchester be­sonders facettenreich einsetzt, bis ein Allegro agitato in die nächste Cadenza a 2 drängt.

Nach ihr hebt ein Allegro an, in dem das Orchester zu ausladenden, von Schlagzeugeffekten klanglich unterstützten und von solistischen Einwürfen kon­zertierend unterbrochenen Entwicklungen findet, die das Grundmaterial erneut von den verschiedens­ten Seiten beleuchten und vor allem die Kombinati­on von Tritonus und Chromatik zum Gegenstand der

– oft auch rhythmischen – Varianten nehmen. Ele­mente des Grave sowie des Adagio leuchten ebenso herein wie die brillanten Figurationen der ersten Werkteile, Feroce vorgetragene Sprünge und Tonrepe­titionen führen zu ungemein gesteigerten Wirkun­gen. Doch nach einem dramatischen Höhepunkt verebbt das Geschehen plötzlich und macht dem nun wie ein breiter Choral erklingenden Hauptthema Platz, das dem als Passacaglia gestalteten weiteren Geschehen zugrunde liegt und dessen feierlicher Charakter nun trotz aller noch einmal eingebrachten Virtuosität bis zum Ende des Werks nachklingt. Ein neuerliches Zitat des Adagio sorgt schliesslich im Verein mit letzten thematischen Fortspinnungen der Solisten für das ersterbende (morendo) Ende. ●

lich selbst Geiger werden wollte, hat hier deutlich seine eigenen Erfahrungen mit der Bravour in den Werken eines Henryk Wieniawski oder Niccolò Paga­nini eingebracht.

Den Beginn des Konzerts gestalten die beiden Soloinstrumente weitgehend allein. Zunächst into­nieren sie, gleichsam vorsichtig stockend, mit Fla­geolett­ und Pizzicato­Klängen das Grundgerüst des Hauptthemas, das sich dann in der Violine zart (beim Griffbrett gespielt) ausbreitet und seine Ergänzung durch eine imitierend anhebende Linie der Viola er­hält. Dieses Thema, das einen folkloristischen Ur­sprung besitzt und wie eine kadenzbass­ähnliche Ostinato­Formel anhebt, erhält in seinem weiteren Verlauf charakteristische Prägungen durch das Inter­vall des Tritonus (der übermässigen Quart) sowie durch von chromatischen Spannungen bestimmte Halbtonschritte, welches Material in der Folge den meisten weiteren Entwicklungen zugrunde liegt. Wie in einer Doppel­Kadenz fahren die Soloinstru­mente Poco avvivando fort, wobei Penderecki aus dem ‹thematischen› Halbton virtuose chromatische Figu­ren gewinnt, aber auch den Tritonus (auch in seiner ‹halb identischen› Gestalt als verminderte Quint) immer wieder als Gegenpol einsetzt. Nach einem virtuosen Aufschwung intonieren dann die Streicher ein dunkel pochendes Grave, das nach einer Violin­Kadenz wiederkehrt und espressiven Linien der So­listen als Grundierung dient, ehe ein Vivo­Teil plötz­lich für einen spielerisch­brillanten Scherzando­ Cha­ rakter sorgt; aber auch hier sind Halbton und Trito­nus die wichtigsten motivischen Gestaltungsmittel.

Nun entspinnt sich ein reger Dialog von Violine und Viola, das Orchester attestiert fallweise durch prägnante Einwürfe und findet nach pochenden Ak­kord­Wiederholungen zu einem Gedanken, der von synkopischen Schlägen eröffnet und von einer aus verminderter Quint und fallender Chromatik gebilde­ten Figuration ergänzt wird. Er initiiert nun als Alleg-ro giocoso gestaltete Fortspinnungen, denen immer neue Kombinationen bzw. Verarbeitungen des Mate­rials folgen, die sich in den Soloinstrumenten biswei­len zu weiten Sprüngen steigern und schliesslich in ein breites, expressive solistische Linien exponieren­des und diese dann gegen spielerische Figuren stel­lendes Adagio leiten. Auch hier ist das motivische

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gleiten liess. Der zweite Satz ist eine ausgelassene Polka, während der dritte Satz (Piosenka, d.h. Lied) eine ruhige Volksliedmelodie durch die Instrumente wandern lässt. Die Suite schliesst mit einem Tanz, zu dem ein liedartiger Mittelteil gehört.

Der Komponist liess die von ihm ausgewählten Volksliedmelodien fast unverändert und ergänzte sie durch Ostinati, Bordunklänge und parallel verscho­bene Intervalle und Akkorde. Polymetrische Effekte ergeben sich durch die Überlagerung verschiedener Rhythmen; so wird beispielsweise im zweiten Satz ein Zweiviertel­Thema im Dreivierteltakt notiert und von einer Figur im Dreivierteltakt begleitet. Die ursprüngliche Kammerorchesterfassung seiner Suite hat Lutosławski für Sinfonieorchester umgear­beitet. Diese Fassung wurde im April 1951 unter der Leitung von Grzegorz Fitelberg in Warschau urauf­geführt und danach häufig gespielt. Der Komponist bewertete seine Mała suita im Rückblick lediglich als Gebrauchsmusik und als Vorstudie für sein 1954 voll­endetes Konzert für Orchester, das zu seinen Haupt­werken zählt. ●

I n seinem Dr. Faustus­Roman liess Thomas Mann den Komponisten Adrian Leverkühn nach vielen verstiegenen Experimenten

schliesslich von einer Zeit träumen, in der die neue Musik wieder ‹auf Du und Du› mit dem Volke steht. Tatsächlich trat den avantgardistischen Strömungen des 20. Jahrhunderts immer wieder die Suche nach Volkstümlichkeit, nach einer allgemein verständli­chen Musik entgegen. In ihrem Bemühen um die Breitenwirkung von Kunst gab es sogar Gemeinsam­keiten zwischen den westlichen Demokratien und den Diktaturen unter Hitler und Stalin. So kam es in Ost und West zu einer ‹gemässigten Moderne› mit klassischen Formen und einprägsamen Melodien. Da man die Volksmusik als Wurzel allen Musizierens verstand, wurde ihre Integration in die Kunstmusik gefördert. In dieser Annäherung von Klassik und Folklore berührten sich Komponisten wie de Falla, Copland, Bartók, Janáček und Chatschaturjan. Sie alle verwendeten Volksliedmelodien und Rhythmen von Volkstänzen als Inspirationsquelle.

Auch der polnische Komponist Witold Lutos­ławski hat sich in seinen frühen Werken um eine Brücke zwischen Volks­ und Kunstmusik bemüht. Dies geschah nicht ganz freiwillig, sondern ent­sprach der damals in den Staaten des Warschauer Paktes geltenden Doktrin des Sozialistischen Realis­mus. Nachdem seine erste Sinfonie 1947 als «formalis­tisch» abgelehnt worden war, kamen Werke des Kom­ponisten kaum noch zur Aufführung. Lutosławski machte daraufhin 1950 in seiner Mała suita (Kleine Suite), die für ein Rundfunkprogramm mit ‹leichter Musik› entstand, Zugeständnisse an das offiziell Er­wünschte. Der Komponist verwendete dazu südpol­nische Folklore, die er auf einem Volksmusikfest gehört hatte. Den ersten Satz (Fujarka) benannte er nach der polnischen Hirtenflöte, die er von der Pic­coloflöte spielen und von der kleinen Trommel be­

Witold Lutosławski: Mała suita Aus den Quellen der Volksmusik

von Albrecht Dümling

Mała SuIta Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, kleine Trommel, Streicher

Entstehung: 1950

Widmung: Roman Jasiński, Musikdirektor des Polnischen Rundfunks

Uraufführung: 20. April 1951, Warschau

Dauer: 11 Minuten

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‹kleinen Partitur›, wo zwei oder drei Notenzeilen zu einer Akkolade zusammengefasst sind (Abb. 1 ). Wie ging Lutosławski nun vor, um diese Kurzschrift in eine volle Orchesterpartitur zu ‹übersetzen›? Er ent­schied sich zunächst, aus Gründen der Gleichmä­ssigkeit, auf jede Akkolade sieben Takte zu verteilen; diese Akkoladenwechsel markierte er sich im Parti­cell mit mehreren Schrägstrichen auf dem Takt­strich. Die nächste zu lösende Frage war, wie viele Instrumente pro Akkolade spielen würden, das heisst, wie viele Notenzeilen eine Akkolade in der Partitur schliesslich umfassen sollte. In der ersten Akkolade sind das fünf: die Piccoloflöte, die die Me­lodie spielt, und drei erste Geigen (am Ende der Ak­kolade in Takt 7 ) sowie eine Trommel in der Beglei­tung. Die Anzahl «5» notierte sich Lutosławski zu Beginn des Particells sowie gleichfalls zu Takt 8, weil er für die zweite Akkolade ebenfalls fünf Zeilen be­nötigen würde; für die zu planende dritte Akkolade, vor dem 15. Takt, notierte er sich eine «8», weil sich die Begleitung um drei Geigen erweitern würde. Da­mit war die erste Partiturseite gefüllt, was durch ein «x» oberhalb des Taktstrichs im Particell gekenn­zeichnet wurde. Mit dieser Einteilung konnte Lutosławski schliesslich die erste Partiturseite aus­schreiben (Abb. 2 ).

Angesichts grosser, dickleibiger Orchesterpartitu­ren, kann man sich leicht vorstellen, dass dies nicht nur eine, im wörtlichen Sinn, hand­werkliche, son­dern zudem mühselige Arbeit ist. Lutosławski meinte übrigens einmal dazu: «Ich hasse die Schreiberei.» ●

E ine Orchesterpartitur stellt eine äusserst komplexe Anordnung unterschiedlichster Zeichen dar: Punkte, Linien, Striche, Bögen,

Haken, Klammern, Buchstaben, Worte, Zahlen und Ikonen (also assoziativ­abbildende Zeichen) befin­den sich in jeglicher Grösse, Form, Position und Richtung auf den Partiturseiten, sodass leicht der Eindruck eines heillosen Durcheinanders entstehen könnte. Das liegt freilich mitnichten vor. Aber es be­darf doch einiger Übung, um eine solch komplexe Zeichenordnung zu lesen – und wie viel mehr, um sie so zu schreiben, damit das, was bei einer Auffüh­rung erklingen soll, klar und übersichtlich veran­schaulicht ist. Wie viele Noten verteilt man auf eine Zeile, wie viele Takte? Welche Instrumente und Ins­trumentengruppen spielen jeweils zusammen, die mit wie vielen Notenzeilen zu einer Akkolade zu ver­einigen sind? Wann soll also ein Zeilen­ und Seiten­wechsel gesetzt werden, so dass die Zeichen, Takte und Akkoladen gleichmässig verteilt sind und einen sinnfälligen, einprägsamen Eindruck vermitteln? Denn in gewisser Weise verkörpert eine Partitur nichts anderes als eine Spielanweisung, die immer­hin achtzig bis hundert Personen, eingeteilt in zwei Dutzend Instrumentengruppen, zu einem einheit­lich organisierten Klangkörper anleiten soll.

Anhand der handgeschriebenen Materialien zu Witold Lutosławskis Mała suita lässt sich nachvollzie­hen, wie der Komponist dabei vorgegangen ist. Lutosławski schrieb die Musik in ihrer Grundstruk­tur zunächst in einem Particell nieder, also einer

Randbemerkungen zu Lutosławskis Mała suitaHand-Werk, schwarz auf weiss:  

Über einige Aspekte des Partitur-Schreibensvon Simon Obert, Paul Sacher Stiftung

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Abb. 1: Witold Lutosławski, Mała suita, Particell, S. 1, Abb. 2: Witold Lutosławski, Mała suita, Partitur, S. 1

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E iner der auffallendsten Charakterzüge Sta­lins war seine Unberechenbarkeit. Wenn man mit etwas rechnen konnte, dann mit

ihr. Dass er seine Einfälle jederzeit in die Tat umset­zen konnte, machte ihn hochgefährlich. Vor seinen Launen war niemand sicher, weder die Weggefähr­ten der ersten Stunde noch die willfährigen Vollstre­cker seiner mörderischen Schachzüge. Sie alle konn­ten durch eine Handbewegung, ein Nicken oder einen Federstrich aus dem Feld geräumt werden. Kein Hahn würde nach ihnen krähen.

Kein Hahn krähte nach Polina Molotowa, der Frau des ehemaligen sowjetischen Aussenministers, als sie am 21. Januar 1949 festgenommen wurde. Sie war Jüdin, was zu jener Zeit für jede Art noch so lä­cherlicher Anschuldigungen genügte, bis hin zum angeblich von Polina praktizierten Gruppensex mit jungen Männern. Waren zuvor die Bauern, die Mili­tärs, die polnischen Offiziere und die Leningrader Intellektuellen Ziel von Stalins Vernichtungsfuror gewesen, richtete sich sein Misstrauen nun – an der Schwelle zum eigenen Tod, über den er nicht gebie­ten konnte wie über den Tod der anderen – gegen alle Juden. Einmal mehr witterte der paranoide Alte eine Konspiration, und er setzte alles daran, sie nie­derzuschlagen. Erstes Opfer der Kampagne wurde sein Leibarzt Wladimir Winogradow, der ihm geraten hatte, kürzerzutreten; Stalin war immerhin siebzig.

Molotow liess sich – wie man ihm nahelegte – von seiner innig geliebten Frau scheiden, da er hoffte, sie dadurch zu schützen; womit er Recht behielt. Polina, die eingefleischte Kommunistin, deren einzi­ges ‹Verbrechen› darin bestand, sich positiv über die Gründung des Staates Israel geäussert zu haben,

wurde in der Lubjanka festgehalten, überlebte aber. Am 9. März 1953, vier Tage nach dem Tod des inzwi­schen einbalsamierten Generalissimus’ und fast ge­nau vier Jahre nach ihrer Verhaftung, wurde sie durch den Chef des Geheimdienstes Lawrenti Berija, der über ihren Aufenthaltsort stets informiert gewe­sen war, entlassen und ihrem Gatten übergeben.

Polinas erste Frage nach ihrer Freilassung lautete: «Wie geht es Stalin?» Als sie hörte, er sei tot, fiel sie vor Schreck in Ohnmacht. Noch im Tod war Stalins Macht über sie ungebrochen.

Die Musik, die unter Stalin komponiert und auf­geführt wurde, drückt in ihren besten Momenten etwas von jenem Widerspruch aus, wie er uns in der wahnwitzigen Geschichte Polina Molotowas begeg­net. Hält die Musik ihn aus? Setzt sie ihm etwas ent­gegen? Die Antwort erfordert einen aufmerksamen Hörer. Unvoreingenommenheit allein hilft wenig.

Wer nicht emigrierte, wer nicht verstummte, war dazu verdammt, sich auf Gedeih und Verderben den erniedrigenden Launen des Diktators anzupassen, der auch vor dem Schaffen der Komponisten nicht haltmachte. Er bestimmte, wie ihre Werke klingen sollten, und es fällt schwer, uns das Ergebnis dieses Drucks als etwas anderes als einen unfairen Handel vorzustellen, in dem die eine Partei das Sagen hatte, während die andere schweigend die Bedingungen akzeptierte.

Prokofjew starb am selben Tag wie Stalin. Sein Tod blieb, wie es heisst, beinahe unbemerkt. Drei Monate später wurde der Volksaufstand in der DDR geprobt und niedergeschlagen. Ein Ende der sowje­tischen Diktatur war nicht abzusehen. Die Musik aber war etwas freier. ●

Vorlaut – Eine SerieDer Kontrakt des Diktators

von Alain Claude Sulzer

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Karikatur von Stalin und Jaroslawski (um 1927)

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nes Konzertsaals, des Hans Huber­Saals. Der aus dem Solothurnischen stammende Komponist, Pianist und Dirigent hatte in Leipzig studiert, Vitznau am Vierwaldstättersee als seine «Ferien­Heimat» erko­ren und starb 1921 in Locarno. Aber Basel war die wichtigste Stätte seines Wirkens. In seinen vier Bas­ler Jahrzehnten schuf er seine grossen Festspiele und die Böcklin-Symphonie, hier wirkte er als Leiter des von ihm aufgebauten Konservatoriums. Nicht ein­mal attraktive Angebote aus Deutschland konnten ihn von Basel weglocken.

B asel ist wählerisch mit seinen Strassen­namen. Nicht alle Grossen, die hier gelebt haben, sind mit einer Strasse oder einem

Platz geehrt worden. So wartet Friedrich Nietzsche bis heute auf eine solche Würdigung. Auch eine Fe­lix­Weingartner­Strasse gibt es nicht, obwohl der österreichische Dirigent von 1927 an das Basler Mu­sikleben massgeblich prägte. Dagegen kennen wir eine Paul Sacher­Anlage und einen Maja Sacher­Platz, auch eine Hermann Suter­Strasse und eine Hans Huber­Strasse. Letzterer ist sogar Namenspatron ei­

Casino-Geschichte(n), Teil 4Kammermusiksaal und Kuckucksei

von Sigfried Schibli

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tionalisiert ist. Massgebliche Kräfte des Basler Mu­siklebens wirkten bei den Kammermusikabenden mit, unter ihnen Hermann Suter und Hans Huber. Später sah und hörte man prominente Basler Gäste wie Felix Weingartner, Walther Geiser und August Wenzinger im Hans Huber­Saal.

Finanziell waren die ersten Jahre des neuen Jahr­hunderts für die Casino­Gesellschaft nicht leicht. Neben dem Bau des Huber­Saals finanzierte sie die grosse Orgel im Musiksaal, deren Einweihung im gleichen Jahr wie die Eröffnung des Hans Huber­Saals stattfand (sie tat ihren Dienst bis 1971, als die Firma F. Hoffmann­La Roche aus Anlass ihres 75­Jahr­Jubiläums dem Casino das heute noch bestehende Instrument der Orgelbau Genf AG schenkte). Am 12. November 1905 wurde die Musiksaal­Orgel in ei­nem Festkonzert eingeweiht, Solist war Münster­organist Alfred Glaus. Wirtschaftlich stärker ins Ge­wicht fiel der Zusammenschluss der Stadtcasino­ Gesellschaft mit der Sommercasino­Gesellschaft – faktisch die Übernahme des chronisch defizitären Sommercasinos durch das Stadtcasino im Jahr 1907. Seither heisst die Trägerschaft Casino­Gesellschaft Basel. «Finanziell gesehen hatte man sich ein Ku­ckucksei gelegt», schreibt André Salvisberg in seiner Chronik 175 Jahre Casino-Gesellschaft Basel. ●

Die Jahre zwischen 1877 und 1917 waren eigentliche ‹Huber­Jahre› im Basler Kulturleben. Ungefähr in ihre Mitte fällt der Bau des Hans Huber­Saals für kammermusikalische Konzerte. Architekt war Fritz Stehlin, ein Neffe von Johann Jakob Stehlin­Burck­hardt, des Architekten des Musiksaals, und Grossva­ter von Maja Sacher, geborene Stehlin. Einmal mehr war die Basler Kultur architektonisch mit einer Fami­lie verbunden. Fritz Stehlin (1861–1923) hatte wie sein Onkel an der Ecole des Beaux­Arts in Paris stu­diert und blieb zeitlebens ein Anhänger des franzö­sischen Klassizismus. Auf Bildungsreisen studierte er aber auch die damalige Architektur in Prag, Berlin, Rom und in England. Nach seiner Heimkehr erhielt er grössere Aufträge, unter anderem für das De­ Wette­ Schulhaus und die heutige Musik­Akademie (beide mit Emanuel La Roche), den Gebetssaal der Israeliti­schen Gemeinde, das Pfeffinger Schloss und zahlrei­che Villen. Auch die Wiederherstellung des Stadt­theaters nach dem Brand war sein Werk. Stets war er um harmonische Einbettung in die bestehende ar­chitektonische Situation bemüht. So band er den Huber­Saal behutsam an den von seinem Onkel er­bauten Musiksaal an. «Durch jeglichen Verzicht auf schmückendes Beiwerk und durch seine Querstel­lung zur Strasse sticht der neobarocke Bau aus seiner an Formen und Dekors eher reichen Umgebung überhaupt nicht hervor», schreibt Stehlins Biograf Rolf Brönnimann über den Huber­Saal.

Der Hans Huber­Saal wurde zur Heimat der Bas­ler Kammermusikszene. Hier gastierten die bedeu­tenden Kammermusikformationen der damals noch etwas engeren Welt. Die Allgemeine Musikgesell­schaft veranstaltete dort regelmässig Kammermu­sikabende, bevor sich die Basler Gesellschaft für Kammermusik 1926 dieses Segments innerhalb der klassischen Musik annahm. Deren Gründung war eine Frucht der Zusammenarbeit zwischen führen­den Mitgliedern der Allgemeinen Musikgesellschaft und der Musik­Akademie der Stadt Basel. Am Anfang spielte in der Regel das Basler Streichquartett, wenn nicht Formationen aus dem Ausland wie das Dres d­ner Streichquartett, das Zürcher Streichquartett oder das Joachim­Quartett eingeladen wurden. Gastspiele von ausserregionalen Ensembles waren seltener als heute, wo der Musikbetrieb in hohem Masse interna­

Hans Huber zur Zeit der Kleinbasler Gedenkfeier (Fotografie von Bulacher & Kling, 1892)

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funktionieren und wie ich diese durch eigens er­schaffene visuelle Regeln aufbrechen kann.

Wir stellen uns diese Frage auch oft, wenn es um die Aus-wahl deiner Bilder für Plakate oder fürs Generalprogramm geht: Können wir hier an die Grenzen gehen, und wäre in diesem Fall nicht vielleicht etwas Konventionelleres doch besser?

Ich finde es herausfordernd, wenn beides zusam­menkommen muss. Wenn ein Bild auch konventio­nelle Sehgewohnheiten bedient und trotzdem einen eigenen Stil zeigt. Das gilt nicht nur für Bilder. Man muss immer wieder gewisse Muster bedienen, um die Menschen abzuholen, und trotzdem kann das Produkt eine eigene Qualität vorweisen.

Ich denke, das ist der Punkt, wo wir uns treffen und ein Grund dafür, warum unsere Zusammenarbeit schon seit vier Jahren anhält. Das Sinfonieorchester Basel bietet in seinen eigenen Konzerten ja nicht einfach nur Wohlfühl-Klassik. Die Programme des Sinfonieorchesters Basel sind anspruchsvoll, und auch unser Publikum erwartet eine gewisse Tiefe. Wir möchten uns deshalb mit unserer Bild-welt bewusst von der üblichen Hochglanz-Inszenierung von klassischer Musik abheben. Natürlich geht es immer auch um Werbung, und deshalb sollten die Motive auch schön und zuweilen plakativ sein. Aber zugleich sollten die

Simon Niederhauser: Ich habe dich als Fotograf vor un-gefähr sechs Jahren über deine Bilder kennengelernt. Was mich faszinierte, war dein eigenwilliger Umgang mit Kon-ventionen: Oft sind deine Bilder streng nach Lehrbuch ‹falsch› belichtet und die Sujets ungewöhnlich kadriert. Wie bist du zu deiner fotografischen Handschrift gekommen?

Christian Aeberhard: Ich frage mich immer wieder, wie weit ich mit meiner Fotografie gehen kann. Mei­ne Bilder sind ein ständiger Versuch herauszufinden, wie viel ich zeigen muss und wie wenig ich zeigen kann. Das Fotografieren ist für mich wie eine Ent­deckungsreise. Früher, als man die Negative zum Entwickeln noch einschicken musste, bekam man jene Bilder gratis, die technisch nicht gelungen wa­ren. Ich hatte oft das Gefühl, dass ich die besten mei­ner Bilder bei einem Billig­Fotoservice gratis erhal­ten würde, da sie nicht der üblichen Vorstellung eines guten Bildes entsprachen. Aber genau das hat mich interessiert: wie unsere Sehgewohnheiten

Christian Aeberhard und Simon Niederhauser im Gespräch

«Das Fotografieren ist  für mich wie eine Entdeckungsreise»

Der Fotograf Christian Aeberhard und Simon Niederhauser, Verantwortlicher für Kommunikation und Marketing, unterhalten sich über

die Plakat-Sujets des SOB, Töfffahrer und Handy-Bilder.

aufgezeichnet von Simone Staehelin

Christian Aeberhard wohnt in Basel und arbeitet als freischaffender Fotograf. Seit vier Jahren fotogra-fiert er für das Sinfonieorchester Basel.

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die den Backstage-Bereich des Stadtcasinos zeigt. Ich wur-de gefragt, ob es nun wirklich nötig gewesen sei, zu zeigen, in welch schäbiger Umgebung das Orchester arbeiten müs-se. Andere wiederum fanden genau diese Sujets spannend.

Wie gehst du eigentlich vor beim Fotografieren der Sujets unserer Plakate? Wir setzen uns ja vorher immer zusammen, geben dir die Konzerttitel bekannt und sprechen über den Charakter der gespielten Werke. Was passiert danach?

Ich gehe nach Hause und höre mir die Musik an. Dann mache ich mir Gedanken, wie die erwünschte Stimmung über das Plakatbild ausgelöst werden kann. Es ist immer ein Chrampf. Das ist nicht negativ gemeint. Es ist eine Herausforderung, die mir viel Freude bereitet. Oft braucht es unzählige Versuche, bis ich auf der richtigen Spur bin. Da bin um eure Rückmeldung dankbar. Ihr schafft es immer wieder, mich bei einem schwierigen Projekt noch einmal neu

Bilder nicht einfach widerstandslos sein. Sie dürfen auch Fragen aufwerfen, irritieren. Und da kommt uns deine Bildsprache mit diesem Anspruch sehr entgegen.

Wie kommen denn die Bilder beim Publikum und beim Orchester an? Kannst du das beurteilen?

Meistens erhalten wir sehr gute Rückmeldungen. Es gibt aber Bilder, die bei gewissen Leuten auf dezidierte Ableh-nung gestossen sind. Ich denke da vor allem an die Serie,

Simon Niederhauser hat Violoncello und Philosophie studiert. Seit 2011 leitet er den Bereich Marketing und Kommunikation des Sinfonieorchesters Basel.

Christian Aeberhard und Simon Niederhauser

Bild

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selten gelingt, denn ich mag es, wenn auch der Zufall seine Rolle spielt. Für das Bild ‹Feuervögel› habe ich einfach rote Federn in den Wind geworfen und ge­schaut, was passiert.

Du fotografierst ja nicht nur die Sujets für die Plakate be-ziehungsweise Programm-Magazine, sondern hast ja auch alle Orchestermitglieder porträtiert. Wie wichtig ist es für dich und für deine Arbeit, die Musikerinnen und Musiker zu kennen?

Ich lerne sie ja nur kurz kennen, da ich sie nur unge­fähr zehn Minuten vor mir habe. Sie alle sind Musi­kerinnen und Musiker, und doch sind sie völlig ver­schieden. Ich finde es spannend, während dieses kurzen Moments eine Beziehung aufzubauen, zu erfahren, wie sie arbeiten und was sie neben der Ar­beit tun. Oft finden wir einen Faden für schöne Ge­spräche. Als Jugendlicher habe ich Trompete gespielt, bin aber nie sehr weit gekommen. Wenn ich jetzt diese Menschen sehe, die mit so viel Engagement beruflich ein Instrument spielen. Die alles geben, auch dann, wenn ihnen das Stück einmal nicht so zusagen sollte. Das ist diese unglaubliche Professio­nalität, die sie auszeichnet und mich beeindruckt. Sie nehmen sich als Einzelperson für das grosse Gan­ze zurück. Damit kann ich mich sehr identifizieren. Und einmal hat mir ein Musiker gesagt, dass es nicht so sehr auf das Instrument ankommt, mit dem man spielt, sondern vielmehr darauf, was man damit macht. Das ist eine Parallele zu meiner Arbeit. Die Kamera ist mein Instrument. Aber im Prinzip ist es egal, mit welchem Modell man gerade fotografiert. Man kann auch gute Bilder mit dem Handy machen. ●

zu motivieren. Die Zusammenarbeit mit euch bietet mir sehr viel Raum, sodass Unerwartetes erst entste­hen kann.

Beim Sujet zum Konzert Hoch auf dem Berg war der Pro-zess umgekehrt. Ich habe es in einer Publikation von dir entdeckt und war begeistert von diesem gebrochenen Cas-par-David-Friedrich-Motiv. Wir fanden, dass es sehr gut zum Programm mit Musik von Furrer, Brahms und Lutosławski passt.

Das Bild ist auf dem Susten­Pass entstanden. Ich bin gerne in den Bergen, die Inszenierung der Natur für die Touristen interessiert mich und wie sich diese darin arrangieren. Das Bild, das du erwähnst, deutet dies an. Da ist dieser Töfffahrer vor dieser Naturland­schaft. Er hat seine Maschine auf der Passhöhe ange­halten, und man weiss nicht, was jetzt passiert. Es gibt eine Spannung, wenn man nicht alles offenlegt, was passiert. Das ist eine schwierige Gratwanderung: Man muss gewisse Sachen preisgeben, sonst kann man keine Geschichte erzählen. Aber gleichzeitig muss man im richtigen Moment wieder aufhören, sonst ist die Spannung weg.

Inszenierst du auch Bilder?

Ich glaube, dass ich eher schlecht inszeniere. Wenn ich einfach nach draussen gehe, entdecke ich Ge­schichten, die mir nicht in den Sinn gekommen wä­ren. Der Alltag ist ein Theater, es passiert so vieles, man muss es nur wahrnehmen. Immer wieder kommt es vor, dass ich den Moment verpasse. Dann könnte ich versuchen, im Nachhinein zu inszenieren. Was

Impressum

Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 14, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, [email protected], www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel

Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Künstlerische Planung, Dramaturgie und Vermittlung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simon Niederhauser, Simone Staehelin Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 6000 Exemplare

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Museumsnacht  im Basler Münster

 Punkt 12

Im Rahmen der Museumsnacht spielen Kammermu­sikensembles des Sinfonieorchesters Basel an ver­schiedenen Orten im Basler Münster. Der Anlass ist zur Tradition geworden, Tausende von Zuhörerin­nen und Zuhörern tauchen jeweils ein in die nächt­liche Atmosphäre der sakralen Räume und lauschen den Klängen der Musikerinnen und Musiker. Infor­mationen zum Programm sind ab Anfang Januar auf der Website des Sinfonieorchesters verfügbar. Die Museumsnacht im Münster wird gemeinsam mit dem Basler Münster veranstaltet.

Freitag, 16. Januar 2015ab 18.00 bis ca. 2.00 Uhr, Basler Münster

Jeweils am Dienstag vor den Sinfoniekonzerten sind die Türen des Musiksaals für neugierige Zuhörerin­nen und Zuhörer geöffnet. Erleben Sie die Atmos­phäre, in der das Sinfonieorchester Basel probt, und lassen Sie sich Appetit machen auf die Sinfoniekon­zerte. Die offenen Orchesterproben beginnen jeweils um Punkt zwölf und dauern eine halbe Stunde. Der Eintritt ist frei.

Dienstag, 6. Januar 201512.00 bis 12.30 Uhr, Stadtcasino, Musiksaal

Mitglieder des SOB spielen im MünsterOffene Orchesterproben über Mittag

Vorschau

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Stadtcasino, Grosser Festsaal

Palais de la Musique et des Congrès, VVK: strasbourg­events.com

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Stadtcasino, Musiksaal VV: Billettkasse Stadtcasino

Basler Münster

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Kuppel Basel VVK: starticket.ch

Stadtcasino, Grosser Festsaal

Stadtcasino, Grosser Festsaal

sa 20.12.14.30

so 21.12.17.00

Di 06.01.12.00–12.30

Mi 07.01.Do 08.01.19.30

Mi 14.01.Do 15.01.19.30

Fr 16.01.18.00–2.00

Di 03.02.12.00–12.30

Mi 04.02.19.30

Do 05.02.21.00

sa 07.02.16.00

Do 12.02.18.15

Familienkonzert: Jingle all the waySOB / Streicherklasse Schulhaus Insel / Thomas Herzog u.a.

noël à strasbourgSOB / Solistinnen und Solisten des Theater Basel / Alexander Liebreich

Punkt 12: offene orchesterprobeSOB / Michal Nesterowicz

sinfoniekonzert soB: ostwärtsWitold Lutosławski: Mała suitaKrzysztof Pendercki: Concerto doppioSergei Prokofjew: Sinfonie Nr. 5 B-Dur, op. 100SOB / Julian Rachlin / Fumiaki Miura / Michal Nesterowicz

Drittes coop-/VolkssinfoniekonzertWerke von Johannes Brahms und Pjotr Iljitsch TschaikowskiSOB / Anastasia Voltchok / Axel Kober

Museumsnacht: Kammerkonzerte im MünsterMitglieder des SOB

Punkt 12: offene orchesterprobeSOB / David Afkham

sinfoniekonzert soB: atmosphèresGyörgy Ligeti: AtmosphèresLudwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93SOB / Francesco Piemontesi / David Afkham

cube session #10: chasing Johann sebastianJohann Sebastian Bach: Brandenburgische Konzerte Nr. 2 und Nr. 4Mitglieder des SOB feat. Amped & Wired

mini.musik: Beim FörsterMitglieder des SOB, Irena Müller-Brozovic, Norbert Steinwarz

cocktailkonzert: salon de cuivresBlechbläser des SOB / Robert Emery

Agenda

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus mit Musik Wyler, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online­Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch

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Trafina Privatbank AG, Rennweg 50, CH-4020 Basel, Telefon +41 61 317 17 17, www.trafina.ch

Es geht um Verlässlichkeit.