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PROJEKT GOETHEQUARTIER

Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

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ProjektGoethequartier

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...wie ein Bremerhavener Altbauviertelwieder ins Positive kippen könnte.

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Projekt Goethequartier...wie ein Bremerhavener Altbauviertel wieder ins Positive kippen könnte.

P3-Bericht

Studiengang Bachelor Stadtplanungan der HafenCity Universität Hamburg

Sommersemester 2011

Ralf AngermannMichael BurijLarissa GuschlLudger HellwegImmo HülsMelanie JohnsDavid RademacherStephan Strittmatter

Betreuer:Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Dipl.-Ing. Mario Abel

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inhaltsverzeichnis

Vorwort 8

1. Einführung 11

1.1 Problemstellung 13

1.2 Zielsetzung 16

1.3 Arbeitsprozess und -methodik 17

1.4 Aufbau des Projektberichts 21

2. Analyse 25

2.1 Bremerhaven 27

2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität 27

2.1.2 Geschichtlicher Überblick 28

2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 34

2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur 36

2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt 40

2.2 Ortsteil Goethestraße 43

2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung 43

2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung 43

2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand 47

2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur 48

2.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen 50

Exkurs: Schrottimmobilien 53

2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme 59

2.4 Akteursanalyse 63

2.5 Experteninterviews 67

2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven 67

2.5.2 BIS Bremerhaven 68

2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH 70

2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 72

2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“ 76

2.5.6 Designlabor Bremerhaven 80

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2.6 Zwischenfazit: Zentrale Erkenntnisse der Analyse 85

2.7 Potentialkarten 87

3. Konzept 95

3.1 Zentrale Projektfragen 97

3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“ 99

3.3 Toolbox 103

1) Möglichkeitsräume vier

2) Kümmererkonzepte neun

3) Lokale Ökonomien zehn

4) Marketinginstrumente elf

Katalog dreizehn

Nutzungshinweise vierzehn

Kurzübersichten fünfzehn

#01: NEIGHBOURHOOD BRANDING dreißig

#02: LEERSTANDS- UND BAULÜCKENINFORMATIONSSYSTEM siebenundreißig

#03: TEMPORÄRE STADT zweiundvierzig

#04: BAUSPIELPLATZ achtundvierzig

#05: NACHBARSCHAFTSGÄRTEN/INTERKULTURELLE GÄRTEN vierundfünfzig

#06: LADEN ZU VERSCHENKEN einundsechzig

#07: PROBEWOHNEN siebenundsechzig

#08: WÄCHTERHÄUSER einundsiebzig

#09: MODE AUS DEM QUARTIER siebenundsiebzig

#10: ÖFFENTLICHE HOTSPOTS zweiundachzig

#11: COWORKING neunzig

#12: GASTRONOMISCHE ZWISCHENNUTZUNG fünfundneunzig

#13: ZEN-GARTEN hunderteins

#14: ALTENGERECHTES WOHNEN hundertsieben

#15: BALKONE IN BAULÜCKEN hundertzwölf

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4. Interventionen 105

4.1 Kinder-Fotosafari 106

4.2 Ausstellung 111

4.3 Öffentlichkeitsarbeit 114

5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025 119

6. Fazit 129

Abbildungsverzeichnis 136

Literaturverzeichnis 144

Quellenverzeichnis 146

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Vorwort

Von den „Baulücken in Bremerhaven“ zum „Projekt

Goethequartier“

Zu den wohl spannendsten Momenten in einem Projekt gehört der, in

dem man zum ersten Mal das neue, noch unbekannte Projektgebiet

„begeht“: Neugier mischt sich da eventuell mit Ratlosigkeit, erste

Eindrücke führen zu ersten Ideen, man vergleicht mit Bekanntem,

sucht nach offensichtlichen Missständen und Potentialen, fühlt sich

spontan angezogen oder – trotz allem Bemühen um „professionelle“

stadtplanerische Objektivität – eher abgestoßen. Und sofern Thema

und Untersuchungsgebiet selbst gewählt wurden, steht über allem die

Frage: Haben wir uns richtig entschieden?8

Abbildung 1: Die Projektgruppe

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9

Um ehrlich zu sein, der Bremerhavener Ortsteil Lehe-Goethestraße hat

es uns da anfangs nicht so ganz leichtgemacht: Zu vieles passte nicht

zusammen, unterlief unsere Erwartungen, überforderte unser bis dahin

erworbenes stadtplanerisches Wissen und – ja, stieß uns eher ab.

Gerne hätte daher der eine oder die andere von uns das Projektgebiet

eingetauscht gegen eines, das man „versteht“, auch ohne von dort zu

stammen, das man mag, auch ohne dort bzw. in der Nachbarschaft

aufgewachsen zu sein, wie der Initiator unseres Projekts. Glücklicher-

weise allerdings haben wir diesen Tausch dann doch nicht gewagt,

denn natürlich haben wir den Ortsteil Goethestraße nach und nach

zu verstehen gelernt – und irgendwann mochten wir ihn dann sogar

richtig gerne. (Folgerichtig wurde aus dem sachlich-distanzierten Titel

„Baulücken in Bremerhaven“ im Laufe der Zeit auch etwas viel Emotio-

naleres: das „Projekt Goethequartier“.)

Beides, das Verstehen und das Mögen, hängt übrigens vor allem

mit den Menschen zusammen, die wir dort kennenlernen durften.

Zahlreiche Gespräche haben uns nicht nur die Analyse sehr erleichtert,

sondern uns auch mehr als einmal auf neue Ideen gebracht und somit

ganz wesentlich zum Erfolg des Projekts beigetragen. Wobei, ein

wirklicher Erfolg wäre es natürlich erst, wenn einige der von uns für

das Goethequartier vorgeschlagenen „Tools“, der stadtplanerischen

Werkzeuge, irgendwann einmal tatsächlich dort eingesetzt würden. Auf

dass sich das Viertel so entwickelt, wie wir uns das erhoffen…

Danken möchten wir neben unseren Gesprächs- und Interview-

partnern in Bremerhaven sowie allen an der Kinder-Fotosafari und der

Ausstellung Beteiligten nicht zuletzt auch unseren Projektbetreuern

Herrn Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Herrn Dipl.-Ing. Mario Abel, die uns

mit konstruktiver Kritik und vielen hilfreichen Hinweisen bei unserer

Arbeit unterstützt haben.

Hamburg im Juli 2011

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1. Einführung

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12

Abbildung 2: Eine Baulücke im Quartier

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13

1.1 Problemstellung

Während in Hamburg, München oder Berlin – ebenso wie in anderen,

kleineren Städten in Deutschland – darüber diskutiert wird, wie

die „Gentrifizierung“ innenstadtnaher Altbauquartiere aufgehalten

werden kann, sieht sich der gründerzeitliche Bremerhavener Ortsteil

Lehe-Goethestraße seit Jahren mit dem umgekehrten Problem

konfrontiert: Hier ist eine Abwärtsspirale in Gang gekommen, die

sich zusammensetzt aus diversen regionalen Wirtschaftsstruktur-

krisen, dem Schrumpfen der gesamtstädtischen Einwohnerzahl,

dem Prozess der Suburbanisierung und dem Wegzug gutsituierter

Bevölkerungsschichten, einem schleichenden Imageverlust des

Viertels, Mietpreisverfall und Fehlspekulationen, dem Ausbleiben

von Investitionen, Verwahrlosung und Verfall etc. Die Folgen sind

inzwischen unübersehbar: Die Substanz vieler Gebäude ist in einem

besorgniserregenden Zustand, Balkone und Erker müssen gestützt

werden, Fassaden bröckeln, Hunderte von Wohnungen und zahlreiche

Ladenlokale stehen leer, um die verlassenen Häuser vor Vandalismus

zu schützen, wurden Fenster vernagelt, und in der Blockrandbebauung

entstehen durch Abriss bereits erste Lücken. In dieser Situation hätte

sicherlich niemand etwas einzuwenden gegen ein wenig Gentrifi-

zierung, gegen einen Aufwertungsprozess also, der verbunden ist mit

dem Zuzug neuer, finanzkräftiger Mieter und potentieller Eigentümer,

mit steigenden Mieten, einer schrittweisen Verbesserung der Bausub-

stanz sowie der Ansiedelung neuer Nutzungen.

Doch im Gegensatz zu eingangs erwähnten Metropolen verfügt

Bremerhaven als traditionelle Arbeiterstadt weder über ein vergleich-

bares Milieu aus Künstlern und Studenten, das ein Quartier belebt und

für andere Nutzer attraktiv macht, noch über eine stetig wachsende,

gut ausgebildete und gut verdienende Schicht junger Angestellter, die

auf der Suche ist nach zentralem, urbanem Wohnraum. Darauf, dass

ein Altbauquartier wie der Ortsteil Goethestraße früher oder später

„automatisch“ wieder begehrt wird und den Prozess der Aufwertung

durchläuft, kann sich die Stadt folglich nicht verlassen. Im Gegenteil:

Viel eher ist damit zu rechnen, dass Bremerhaven im Zuge des demo-

graphischen Wandels, der hier wie in ganz Deutschland abläuft, weiter

an Einwohnern verliert, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt weiter

abnimmt – und damit auch der Anreiz, in ein Viertel zu ziehen, das

primär assoziiert wird mit sozialen Problemen und einer schlechten

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Bausubstanz, dessen städtebauliches Erscheinungsbild in vielen Teilen

also ebenso schlecht ist wie sein Image.

Andererseits: Dass Städte nicht nur wachsen, sondern von Zeit zu Zeit

durchaus auch mal schrumpfen können, ist historisch betrachtet wie

auch im weltweiten Maßstab keineswegs außergewöhnlich. Nach

Jahrzehnten des Wachstums jedoch fällt es, vor allem in Deutschland,

vielen nach wie vor schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden,

dass die Zahl der Einwohner (wie auch die Wirtschaftskraft) im Laufe

der Zeit nicht überall weiter zunehmen oder zumindest konstant

bleiben wird. Dabei lässt sich das Phänomen des Schrumpfens in

einigen Städten bzw. Regionen des Landes bereits seit den 1970er

Jahren beobachten, seit einer Zeit also, in der aufgrund der Struktur-

krise traditioneller Industrien ganze Beschäftigungszweige wegbrachen

und Menschen massenhaft arbeitslos wurden. Diverse finanzielle

Ausgleichsmechanismen, vom Länderfinanzausgleich über eine

Vielzahl unterschiedlicher Subventionen bis hin zu sonstigen staatlichen

Zuwendungen wie der Städtebauförderung, haben es vielen der von

Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffenen

Gemeinden trotz schrumpfender Bevölkerung und erodierender

Steuereinnahmen noch eine ganze Weile ermöglicht, den gewohnten

Standard einigermaßen aufrechtzuerhalten.

Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße

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Folglich waren es auch nicht die Standorte der einst boomenden

Branchen Bergbau, Stahlerzeugung oder Schiffbau – überwiegend im

Westen und Nordwesten Deutschlands gelegen –, die sich als erstes

gezwungen sahen, sich offensiv mit dem Thema „Schrumpfung“

auseinanderzusetzen, sondern vielmehr die Städte in den Neuen

Bundesländern: Dessau, Magdeburg oder Leipzig beispielsweise

wurden somit zu „Pionierstädten“ des demographischen Wandels.

Inzwischen müssen sich jedoch längst auch Kommunen im alten

Westen des Landes, etwa Bochum oder eben Bremerhaven,

Gedanken darüber machen, wie bei abnehmender Bevölkerungszahl

städtisches Leben organisiert werden kann – zumal in Zeiten leerer

öffentlicher Kassen. In diesem Zusammenhang beginnt sich immer

häufiger die Erkenntnis durchzusetzen, dass viele der konventionellen

Instrumente, die vor allem auf finanzieller Förderung beruhen, in der

Vergangenheit nicht immer den erwünschten Erfolg gebracht haben.

Hinzu kommt, dass aufgrund der sich rasch wandelnden Verhältnisse

provisorische, temporäre Strategien ganz offenbar gegenüber langfris-

tigen, auf Dauer angelegten Lösungen zu bevorzugen sind. Damit rückt

in den letzten Jahren vermehrt der Aspekt der Zwischennutzung, der

temporären Stadt, der urbanen Intervention in den Vordergrund – alles

Maßnahmen also, die die gebaute Stadt ergänzen und, im Idealfall,

wieder attraktiver machen können.

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1.2 Zielsetzung

Ziel des zweisemestrigen Projekts war es, eine Strategie zu ent-

wickeln, wie die oben beschriebene Abwärtsspirale, in der sich der

Ortsteil Goethestraße befindet, gestoppt werden kann. Darüber hinaus

bestand der Anspruch der Projektgruppe darin, eine langfristige Vision

für das zentral gelegene Gründerzeitviertel zu entwerfen und mögliche

Schritte aufzuzeigen, mit deren Hilfe sich diese realisieren lässt. Im

Fokus stand dabei die Nutzung der Baulücken und Leerstände, da sie

aktuell das prägende Charakteristikum des Altbauquartiers darstellen.

Einen Hinweis darauf, dass es in diesem Zusammenhang nicht primär

um das Entwerfen neuer Gebäude bzw. sonstiger Bauwerke gehen

würde, lieferte bereits die erste Ortsbegehung, deren Eindrücke im

Folgenden auch durch die Analyse bestätigt wurden. Als konkrete

Zielsetzung kristallisierte sich stattdessen die Entwicklung eines

Katalogs von unabhängig voneinander anwendbaren Werkzeugen,

sogenannten „Tools“, heraus, die sich zu einem Werkzeugkasten, einer

„Toolbox“, bündeln lassen. Zum Teil entstammen sie dem weiten Feld

der Zwischennutzung sowie der urbanen Intervention, zum Teil sind sie

jedoch auch längerfristig angelegt, so dass es sinnvoll erschien, sie in

eine zeitliche Ordnung zu bringen.

Als weiteres Ziel kam im Laufe des Projekts hinzu, selbst einen kleinen

Impuls zur Aufwertung des Ortsteils Goethestraße zu setzen bzw. die

zahlreichen Initiativen, die dort bereits stattfinden, durch einen eigenen

Beitrag zu unterstützen. Dies sollte in Form einer öffentlichkeitswirk-

samen und innovativen Aktion geschehen, mit der die Projektgruppe

zwei Absichten verfolgte: Zu einen ging es darum, innerhalb des

Projektgebiets sowie der Stadt Bremerhaven wahrgenommen zu

werden und damit den Dialog über die eigenen Arbeit anzuregen. Zum

anderen war beabsichtigt, das anzuwendende Instrument aus einem

der Tools abzuleiten, um so dessen Tauglichkeit in der Praxis erproben

zu können.

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1.3 arbeitsprozess und -methodik

Das in diesem Bericht dokumentierte Projekt erstreckte sich über einen

Zeitraum von zwei Semestern bzw. rund neun Monaten. Es fand statt

zwischen Oktober 2010 und Juli 2011 und wurde von insgesamt acht

Studenten des Bachelorstudiengangs Stadtplanung im abschließenden

Studienjahr durchgeführt. Das Thema konnte vollkommen frei gewählt

werden, ebenso wie die betreuenden Dozenten. Ersteres – anfänglich

„Baulücken in Bremerhaven“ – geht zurück auf den Vorschlag eines

Kommilitonen, der aus Bremerhaven stammt und dort aufgewachsen

ist. Um eine Kerngruppe, die das Projekt konzipiert und organisatorisch

vorbereitet hatte, sammelten sich Anfang Oktober 2010 die weiteren

Mitglieder, zwei weibliche und sechs männliche, die in dieser Konstel-

lation zuvor noch nie zusammengearbeitet hatten.

Für die beiden Dozenten entschied sich die Projektgruppe aus

verschiedenen Gründen: Persönliche Erfahrungen aus vorange-

gangenen Projekten bzw. dem Städtebaulichen Entwurf spielten

dabei ebenso eine Rolle wie die Überlegung, dass die Herkunft aus

unterschiedlichen Fachbereichen dem Projekt förderlich sein könnte.

Während der eine Betreuer als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am

Lehrstuhl für Projektentwicklung und Projektmanagement in der

Stadtplanung von Herrn Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger tätig ist, arbeitet

der andere ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und

Forschungsbereich Urban Design unter Prof. Dipl.-Ing. Bernd Kniess.

Auf diese Weise konnte eine breite Spannbreite an unterschiedlichen

Erfahrungen und Wissensgebieten abgedeckt werden, die in Form

von fachlichen Anregungen, Hinweisen sowie konstruktiver Kritik in die

Arbeit der Projektgruppe einfloss. Allerdings war die Betreuungsinten-

sität, wie es der Intention des P3 entspricht, eher gering, der direkte

Kontakt beschränkte sich auf etwa ein Treffen pro Monat, das jeweils

zwischen einer und maximal drei Stunden dauerte.

Die Projektgruppe selbst traf sich über die gesamten neun Monate

praktisch jede Woche einmal, bei Bedarf auch zusätzlich an einem

weiteren Tag, zu einer Plenumssitzung, die je nach Anzahl der Tages-

ordnungspunkte unterschiedlich lange dauerte. In diesem Forum

wurden die Rechercheergebnisse aus Kleingruppenarbeit sowie

individuelle Beiträge präsentiert und zentrale Fragen, Projektziele und

weitere Arbeitsschritte diskutiert. Breiten Raum nahmen daneben

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organisatorische Aspekte ein, die bei einer Gruppengröße von acht

Personen natürlich eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen. Auch

gelegentliche persönliche Spannungen und individuelle Kontroversen

zwischen einzelnen Projektmitgliedern mussten teilweise auf der Ebene

der Gesamtgruppe geklärt werden. Die Frage nach der Notwendigkeit

einer Diskussionsleitung wurde während des Projektverlaufs mehrmals

gemeinsam erörtert, durch Mehrheitsentscheidung fiel dabei die

Entscheidung zugunsten einer flexiblen Handhabung: Im Regelfall

verlief die Diskussion frei, bei Bedarf – etwa wenn Vorschläge und

Ideen gesammelt und diskutiert oder Ergebnisse visuell strukturiert

werden sollten – übernahm ein Gruppenmitglied spontan die Leitung.

Im Übrigen wurden nahezu alle Projektsitzungen protokolliert.

In sämtlichen Phasen des Projekts – von der Analyse über die Konzep-

terarbeitung bis hin zur praktischen Anwendung des Konzepts in Form

von Interventionen – fanden in unregelmäßigen Abständen mehrere

Exkursionen nach Bremerhaven, speziell natürlich in den Ortsteil

Goethestraße, statt. Neben der Bestandsaufnahme und Kartierung

lag der Schwerpunkt der Arbeit dabei auf dem Gespräch mit diversen

Akteuren, die zum Teil auch außerhalb des unmittelbaren Projektge-

biets angesiedelt waren. Insbesondere im Zuge der Interventionen

konzentrierte sich die Projektarbeit dann verständlicherweise stark auf

das „Goethequartier“ selbst.

Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte und -methoden

noch einmal detailliert beschrieben, um so den Projektverlauf nachvoll-

ziehbar zu machen (vgl. dazu Abb. 5). Grob gliedert sich das Projekt in

drei Phasen: Analyse, Konzept und Intervention. Zunächst verbrachte

Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung

Page 21: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

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die Gruppe einige Wochen damit, sämtliches relevantes Datenmaterial

sowie verfügbare Studien zu sichten und auszuwerten, um so einen

Überblick über das Thema, das Projektgebiet und den städtischen

Kontext zu erhalten. Dass dabei der Kreis anfangs bewusst weiter

gezogen wurde, als in diesem Bericht erkennbar wird – das heißt in

manchen Fällen natürlich auch zu weit –, versteht sich von selbst.

Zumal, da das Projektziel zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht klar

definiert werden konnte. Diese Eingrenzung fand erst im weiteren

Projektverlauf statt und ergab sich zum Teil aus den Experteninterviews,

die nach Abschluss der ersten, weitgehend theoretischen Analyse

geführt wurden. Zuvor galt es jedoch, die zentralen Akteure zunächst

einmal zu identifizieren; daneben bemühte sich die Gruppe darum,

sich bei Ortsbegehungen ein genaueres Bild des konkreten Raums zu

verschaffen, wozu der Bestand nach Kriterien wie Nutzung, Leerstand,

Gebäudezustand etc. kartiert wurde.

Gegen Ende der Analysephase, als sich abzeichnete, dass der

enorme Leerstand im Ortsteil Goethestraße ein mindestens ebenso

große Herausforderung darstellt wie die Baulücken (und dass beide

Probleme natürlich untrennbar zusammenhängen), begann die Gruppe

mit der Formulierung der Projektziele. Diese ergaben sich logisch

aus den zentralen Projektfragen, die wiederum aus den wichtigsten

Ergebnissen der Analyse resultierten. Damit trat das Projekt in die

eigentliche Konzeptphase ein. Aus Gründen, die in diesem Bericht

noch näher argelegt werden, entschied die Gruppe sich für die

Erarbeitung einer „Toolbox“, eines stadtplanerischen Werkzeugkastens

also, dessen Einzelteile sich innerhalb des Projektgebiets auch separat

implementieren lassen. Der konkrete Aufbau dieser Toolbox, d. h. die

Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs

Page 22: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

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methodische Gestaltung wie auch ihre semantische Struktur, wurde

dabei intensiv diskutiert. Mitte Februar 2011 bot eine universitäts-

interne Zwischenpräsentation vor Kommilitonen und Lehrenden die

Möglichkeit, die bis dahin erreichten Ergebnisse vorzustellen sowie die

ersten, noch nicht voll ausgereiften Konzeptansätze zu diskutieren.

Um die diversen Tools räumlich besser im „Goethequartier“, wie das

Plangebiet nun projektintern hieß, verorten zu können, wurde nach

Abschluss der eigentlichen Analysephase noch einmal ein weiterer,

letzter Analyseschritt eingeschoben: Mithilfe von Potentialkarten, die

bei einer erneuten Ortsbegehung entstanden waren, ließen sich Orte

innerhalb des Viertels bestimmen, die nach Ansicht der Projektgruppe

geeignet sind, bei einer möglichen Umsetzung des Toolbox-Konzepts

als „Keimzellen“ für eine weitere Entwicklung bzw. Aufwertung zu

fungieren. Die Erarbeitung der konkreten Tools inklusive ihrer Ober-

kategorien nahm dann ungefähr vier Monate, von März bis Juni 2011,

in Anspruch.

Parallel dazu begann ab der zweiten Aprilhälfte die Planung und Vorbe-

reitung der Interventionen, die zugleich die abschließende Projektphase

bildeten. Durchgeführt wurden die beiden Aktionen, Kinder-Fotosafari

und Ausstellung, im Mai und Juni, wobei vor allem die Ausstellung über

einen Zeitraum von knapp zwei Wochen einen täglichen Einsatz einiger

Projektmitglieder erforderte. Ebenfalls täglich traf sich die Gruppe in

den beiden Projektwochen im Dezember und Mai, in denen keine

sonstigen Uni-Termine anstanden. Den Abschluss des Projekts bildete

universitätsintern eine Endpräsentation Mitte Juni, die Vorstellung

der Ergebnisse in Bremerhaven ist für Ende Juli geplant, steht zum

Zeitpunkt des Drucks dieses Berichts also noch aus. Verfasst und

zusammengestellt wurde der Bericht ungefähr seit Februar 2011, d.h.

etwa seit Mitte des Projekts, für die redaktionelle Arbeit im engeren

Sinne stand die Zeit nach der Endpräsentation zur Verfügung.

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21

1.4 aufbau des Projektberichts

Der Aufbau dieses Berichts folgt im Wesentlichen dem Projektverlauf,

er gliedert sich folglich in einen analytischen und einen konzeptionel-

len Teil. Darüber hinaus wird den Interventionen in eigenes Kapitel

gewidmet, da sie zwar eine Anwendung eines der Tools darstellen

und damit strukturell dem Konzept zuzurechnen sind, aber faktisch

betrachtet einen davon unabhängigen, praktischen Arbeitsschritt

repräsentieren.

Im Analyseteil soll zunächst der gesamtstädtische Kontext des eigent-

lichen Projektgebiets in seinen wesentlichen Zügen umrissen werden:

Neben Lage und Verkehrsanbindung, Geschichte, Bevölkerungs-

struktur und -entwicklung sowie wirtschaftlicher Situation wird dabei

auch auf den Bremerhavener Wohnungsbestand und Immobilienmarkt

eingegangen. Anschließend fokussiert sich die Analyse auf die Mikro-

perspektive, also den Ortsteil Goethestraße. Einer stadträumlichen

Verortung und Abgrenzung des Gebiets folgt die Darstellung von Bevöl-

kerungsstruktur und -entwicklung, städtebaulicher Struktur inklusive

Gebäudezustand, Infra- und Nutzungsstruktur sowie Wohnungs-

bestand und Wanderungsbewegungen. In einem Exkurs wird dabei

gesondert die Problematik der Schrottimmobilien näher beleuchtet.

Im Folgenden werden die diversen Stadtumbauprojekte und Förder-

programme beschrieben und diskutiert, sofern sie für den Ortsteil

Goethestraße von Belang waren bzw. sind. Hieran schließt sich die

Analyse der für den Ortsteil Goethestraße relevanten Akteure an,

gefolgt von der Dokumentation der Interviews, die im Projektverlauf

mit Vertretern wichtiger Institutionen in und außerhalb des Plangebiets

geführt wurden. Dabei werden zum Teil auch die jeweiligen Einrich-

tungen selbst ausführlich vorgestellt. Den letzten analytischen Schritt

bilden einige selbst erstellte Karten, die aufzeigen sollen, welche Orte

innerhalb des Quartiers offenbar besonderes Potential im Hinblick auf

die Umsetzung des Konzepts besitzen. In einem Zwischenfazit werden

die zentralen Erkenntnisse der Analyse zusammengefasst.

Für den Konzeptteil dieses Berichts ergeben sich daraus die zentralen

Projektfragen, die weitere Zielsetzung erfolgt in Form einer Vision, die

den erhofften Endzustand des Ortsteils Goethestraße skizziert. Wesent-

licher Bestandteil sowohl des Projekts als auch der vorliegenden Arbeit

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ist die sogenannte Toolbox, die als separates Element innerhalb des

Gesamtberichts angelegt ist, da sie auch extern, d. h. an „Kümmerer“

in Bremerhaven sowie andere Interessierte, verteilt werden soll. Sie

besitzt aus diesem Grund auch eine eigene, vom restlichen Bericht

unabhängige Seiten- und Abbildungsnummerierung. In diesem Kapitel,

3.3, werden zunächst die vier Oberkategorien vorgestellt, denen die

Tools zugeordnet werden können, daran schließt sich der Katalog aller

15 Tools an. Um eine bessere Übersicht zu gewährleisten, werden

dabei zunächst sämtliche dieser Werkzeuge bzw. Beispielprojekte

anhand einer steckbriefartigen Zusammenfassung vorgestellt, eine

ausführliche Darstellung folgt im Anschluss.

Die praktische Implementierung eines der Tools in Form zweier Inter-

ventionen soll in Kapitel 4 dokumentiert werden, dabei wird auch auf

die Öffentlichkeitsarbeit dieses P3-Projekts eingegangen. Anhand eines

Ausblicks, der das „Goethequartier“ im Jahr 2025 beschreibt, wird

danach aufzuzeigen versucht, welchen Beitrag zur Aufwertung des

Viertels die vorgeschlagenen Tools leisten könnten. In einem abschlie-

ßenden Fazit wird das gesamte Projekt noch einmal reflektiert, wobei

insbesondere das planerische Selbstverständnis, das dem „Projekt

Goethequartier“ zueigen ist, kritisch hinterfragt werden soll. Diese

Bewertung steht natürlich in engem Zusammenhang mit der Frage, ob

die selbst gesteckten Projektziele erreicht wurden.

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2. Analyse

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Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier

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2.1 Bremerhaven

2.1.1 Lage, Verkehrsanbindung, Zentralität

Bremerhaven liegt am östlichen Ufer der Weser, unmittelbar an deren

Mündung in die Nordsee. Mit ihren rund 114.000 Einwohnern ist die

Stadt die mit Abstand größte an der deutschen Nordseeküste und die

einzige Großstadt dort. Bremerhaven bildet zusammen mit Bremen

den Zwei-Städte-Staat „Freie Hansestadt Bremen“ und gliedert sich

administrativ in neun Stadt- und 23 Ortsteile. Das Stadtgebiet umfasst

eine Fläche von knapp 79 km², die Einwohnerdichte beträgt etwa 1.480

Einwohner/km².

Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven

Page 30: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Innerhalb Deutschlands nimmt Bremerhaven zwar eine relativ periphere

Lage ein, ist aber infrastrukturell vergleichsweise gut angeschlossen:

Die Verbindung zum Fernstraßennetz stellen drei Bundesstraßen (B 6,

B 71 und B 212) sowie die BAB 27 her, die in Richtung Süden, zum

Verkehrsknotenpunkt Bremen führt. Ein Defizit bei der Anbindung an

das Autobahnnetz besteht bislang noch in Ost-West-Richtung, aller-

dings befindet sich die BAB 22 in Planung, die parallel zur Küstenlinie

eine neue Verkehrsachse schaffen soll. Über die Schiene lässt sich der

etwa 70 km entfernte ICE-Haltepunkt Bremen mindestens stündlich

in einer guten halben Stunde erreichen, zudem wird die Bahnver-

bindung aufgrund des Hafenbetriebs sehr stark von Güterzügen

frequentiert. Dank seiner verkehrsgeographisch günstigen Lage an

der Wesermündung besitzt Bremerhaven einen direkten Zugang zu

den internationalen Hochseegewässern sowie eine Anbindung an die

deutschen Binnenschifffahrtswege. Nur geringe Bedeutung besitzt

der örtliche Regionalflughafen „Luneort“, die internationalen Flughäfen

Bremen, Hamburg und Hannover liegen zwischen 60 und 150 km

entfernt. Entscheidend verbessert hat sich die Erreichbarkeit Bremer-

havens durch den 2004 fertiggestellten Wesertunnel, der der Stadt

ein deutlich größeres Einzugsgebiet erschließt. Der ÖPNV besteht

aus 14 innerstädtischen Buslinien sowie 13 Regionalbuslinien, die

Straßenbahn wurde hingegen 1982 abgeschafft.

Bremerhaven besitzt als regionales Oberzentrum eine hohe überörtliche

Zentralität. Der städtische Einzelhandel zieht aus den niedersäch-

sischen Umlandgemeinden erhebliche Kaufkraft ab, wodurch die

eigene geringe Kaufkraft zumindest teilweise kompensiert wird. Trotz

der außergewöhnlich hohen Einzelhandelszentralität von 1,4 verfügt

Bremerhaven jedoch nur über eine Kaufkraftkennziffer von 87,5

Prozent (GEWOS 2004).

2.1.2 Geschichtlicher Überblick

Bremerhaven ist zwar eine vergleichsweise junge Stadt, hat jedoch

eine lange Geschichte, die sich bis heute in Form einzelner ehemals

unabhängiger Wachstumspole in der Stadtstruktur widerspiegelt.

Ausgrabungen um die heutige „Lange Straße“ herum belegen, dass es

bereits vor etwa 4.000 Jahren erste Besiedelungen des heutigen Stadt-28

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gebietes gegeben haben muss. Die umliegenden Geesteinseln wurden

sogar schon vor rund 10.000 Jahren besiedelt. Die Dörfer Geestendorf

und Wulsdorf schließlich, die heute zu Bremerhaven gehören, wurden

erstmals 1139 urkundlich erwähnt, der Ort Lehe tritt als Marktstandort

und Amtssitz im Jahr 1290 erstmalig in Erscheinung (Scheper 1977).

Seine Lage nördlich der Geeste prädestinierte den Ort als Handels-

stadt – ein Vorteil, den auch die rivalisierenden Mächte Dänemark und

Schweden erkannten. Nachdem zunächst Dänemark versucht hatte,

an der Unterweser eine Stadt zu gründen, was durch Eingreifen des

Bremischen Rats unterbunden wurde, gelang es den Schweden, das

Gebiet für sich zu erobern. Im Jahre 1672 errichteten sie die Festung

Carlsburg, die jedoch bereits 1676 aufgrund mangelnder Ressourcen

wieder aufgegeben wurde (Scheper 1977).

Als Handelsstandort war das Gebiet um die Geestemündung aufgrund

der guten Wasserlage jedoch auch in der Folgezeit allseits begehrt.

Nachdem die Ländereien aus dänischer Besetzung 1719 auf das

Kurfürstentum (später Königreich) Hannover übergegangen waren,

kam es im 19. Jahrhundert zu einer doppelten Hafengründung : Da der

Oberlauf der Weser zu jener Zeit zu versanden drohte, musste Bremen

mit Einbußen im Schiffsverkehr rechnen. In dieser Situation gelang

es der Stadt, nach Verhandlungen des Bremer Senats unter Bürger-

meister Johann Smidt mit dem Königreich Hannover, ein Areal an der

Wesermündung zu erwerben. Am 11. Januar 1827 schließlich kam es

zur offiziellen Übergabe des Landstücks an die Freie und Hansestadt

Bremen: Damit war Bremerhaven gegründet und Bremen verfügte

über einen direkten Zugang zur Nordsee. Ein künstliches Hafenbecken

wurde angelegt und 1830 fertiggestellt. Zur gleichen Zeit wurde das

Bremische Amtshaus, das erste Gebäude aus Stein, errichtet; es folgte

die Einführung einer vorläufigen Gemeindeordnung für Bremerhaven

im Jahr 1837. Durch den Handel mit Amerika und die um 1830 einset-

zenden Massenauswanderungen erfuhr Bremerhaven in der Folgezeit

einen massiven Aufschwung. Es entstand eine städtische Ansiedlung,

und 1851 erhielt Bremerhaven „stadtähnliche Rechte“ (Scheper 1977).

Um Bremerhaven bzw. der Freien und Hansestadt Bremen Konkurrenz

bieten zu können, gründete das Königreich Hannover 1845 den

Hafenort Geestemünde. Am südlichen Geeste-Ufer baute man, als

Erweiterung des bereits 1819 geschaffenen hannoverschen Nothafens,

bis zum Jahr 1863 moderne Dock- und Hafenanlagen und einen

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direkten Eisenbahnanschluss. Aufgrund dieser Infrastruktur entwickelte

sich Geestemünde zu einem wichtigen industriellen Zentrum und einem

zentralen Umschlagplatz für Holz, Reis und Petroleum (Scheper 1977).

Zeitgleich erlebte auch Bremerhaven durch den zunehmenden

transatlantischen Passagierverkehr weiteres Wirtschafts- und Bevöl-

kerungswachstum, so dass die Geestemündung insgesamt zu einem

bedeutenden Wirtschaftsstandort wurde. An den Ufern der Geeste

entstanden zahlreiche Werften mit Maschinenfabriken und anderen

Zuliefererbetrieben, neben Schiffbau und Handel entwickelte sich ab

etwa 1880 zudem die Hochseefischerei zu einem weiteren entschei-

denden Wirtschaftsfaktor.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nahm auch der Flächenbedarf

beider Städte kontinuierlich zu: Sowohl die Gewerbeflächen als auch

der Siedlungsraum vergrößerten sich zusehends, so dass sich die

beiden Städte einander immer mehr annäherten. Es entstand ein

städtisches Geflecht, welches bald über die Landesgrenzen Bremens

und des Königreichs Hannover hinausreichte. 1880 wurde Bremer-

haven zu einer selbstständigen Gemeinde innerhalb des Landes

Bremen ernannt. Die nördlich von Bremerhaven gelegene Gemeinde

Lehe erhielt stadtähnliche Rechte und wurde 1920 zur kreisfreien

Stadt. Im Jahre 1924 schließlich erfolgte der Zusammenschluss der

Städte Lehe und Geestemünde zur Stadt Wesermünde. Wenige Jahre

später wurden die Gemeinden Weddewarden, Schiffdorferdamm und

Speckenbüttel eingemeindet (Scheper 1977).

Im Zuge der politischen Entwicklungen wurde der Bremerhavener

Hafen 1938 der Stadt Bremen angeschlossen, während im folgenden

Jahr die Städte Wesermünde und Bremerhaven zur Großstadt Weser-

münde zusammengefügt wurden und fortan zur preußischen Provinz

Hannover gehörten.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen

und verlor einen Großteil ihrer Bevölkerung. Besonders stark war

der Innenstadtbereich mit den Stadtteilen Mitte und Geestemünde

betroffen, der dortige Wohnungsbestand hatte sich um nahezu 40 32

Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geestemünde, um 1910

Page 35: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Prozent reduziert (Scheper 1977). Nach Kriegsende wählten die Ameri-

kaner Wesermünde als ihren deutschen Nachschubhafen, wodurch

die Stadt zur amerikanischen Enklave innerhalb der britischen Besat-

zungszone wurde. (Unter anderem betrat hier in den 1950er Jahren

Elvis Presley erstmals europäischen Boden.) Im Jahre 1947 erklärte die

amerikanische Militärregierung das Stadt- und Landgebiet Bremens

sowie den Stadtkreis Wesermünde, einschließlich Bremerhaven, zu

einem einzigen Verwaltungsgebiet. Im März desselben Jahres wurde

Wesermünde durch den Bremer Senat in Bremerhaven umbenannt,

zudem wurde die Stadt Teil des Bundeslandes Bremen. Dank einer

eigenen kommunalen Verfassung verfügt die Stadt Bremerhaven seither

über eine große Eigenständigkeit.

In den 50er und 60er Jahren, in der Zeit des Wiederaufbaus, entstand

eine neue Innenstadt. Der Stadtplaner und Architekt Ernst May wurde

beauftragt, auf Grundlage des Wirtschaftsplans Bremerhaven von

1958, einen neuen Flächennutzungsplan für das Innenstadtgebiet zu

erstellen, das durch den Krieg fast komplett zerstört worden war. Um

die große Zahl von obdachlos gewordenen Menschen, Flüchtlingen

und Vertriebenen unterbringen zu können, entstanden gleichzeitig am

Stadtrand Mehrfamilienhaussiedlungen (z. B. Grünhöfe) wie auch Ein-

und Zweifamilienhausgebiete. Durch den Bau der Großwohnsiedlungen

Leherheide West und Bürgerpark erweiterte sich das Angebot in den

1960er und 70er Jahren zusätzlich um mehrere Tausend Wohnungen.

Hafenumschlag, Schiffbau und Fischerei wurden nach dem Krieg

erneut tragende Wirtschaftszweige der Stadt, doch hielt der

Aufschwung nicht lange an. Zuerst und am stärksten betroffen war

vom Strukturwandel die Hafenwirtschaft: Bereits in den 1960er

Jahren gingen die Passagierzahlen im Schiffsverkehr zurück, in den

1980er Jahren führte die Schiffsbaukrise zunächst zur Schließung der

Rickmers-Werft, weitere Werften folgten. Auch die Hochseefischerei

und die Fischverarbeitung im ehemals größten Fischereihafen Europas

waren nicht mehr wirtschaftlich. Der Verlust an Arbeitsplätzen in diesem

Bereich konnte allerdings durch den Ausbau der allgemeinen Lebens-

mittelverarbeitung zumindest ansatzweise kompensiert werden.

33

Page 36: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

34

2.1.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

Die zahlreichen Krisen, von denen die Wirtschaft Bremerhavens

betroffen war (s. Kapitel 2.1.1 und 2.1.4), haben sich unverkennbar

auch in der Bevölkerungsentwicklung niedergeschlagen. Dieser

Trend ist bereits seit den 1970er Jahren zu beobachten, einer Zeit

also, in der die meisten deutschen Großstädte noch Wachstum oder

zumindest konstante Einwohnerzahlen verzeichnen konnten.

Hatte die Stadt Bremerhaven 1960 noch gut 141.000 Einwohner,

waren es 2010 nur noch 113.840. Dies bedeutet einen Bevölke-

rungsrückgang von knapp 20 Prozent oder rund 27.000 Menschen

innerhalb der vergangenen 50 Jahre. Besonders dramatisch stellt sich

die Situation – nach einem kurzen Zwischenhoch Anfang der 1990er

Jahre aufgrund verstärkter Zuwanderung durch Spätaussiedler – in den

letzten 15 Jahren dar: Zwischen 1996 und 2010 nahm die ursprüng-

liche Einwohnerzahl von 128.944 Einwohner um durchschnittlich

Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens

Page 37: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

35

mehr als 1.000 Personen pro Jahr ab. Somit hat Bremerhaven allein

innerhalb dieses kurzen Betrachtungszeitraums 15.104 Menschen oder

12 Prozent seiner Einwohner verloren (Statistisches Landesamt Bremen

2010). Allerdings hat sich die Höhe der jährlichen Einwohnerverluste in

den vergangenen Jahren deutlich verringert, der Schrumpfungsprozess

scheint (vorübergehend) zum Stillstand gekommen zu sein (vgl. auch

Abb. 14).

Die Arbeitslosenquote in Bremerhaven beträgt 16,4 Prozent (Statis-

tisches Landesamt Bremen, 2010) und liegt damit weit über dem

bundesdeutschen Durchschnitt von 7,4 Prozent für das Jahr 2009

(destatis). Ausländer haben einen Anteil von 10,6 Prozent an der

Bremerhavener Bevölkerung im Vergleich zu 8,8 Prozent an der

Bevölkerung Deutschlands, allerdings ist die Quote rückläufig.

Leicht überrepräsentiert sind aktuell mit rund 22 Prozent zudem die

über 65-Jährigen – eine Folge der Abwanderung von Menschen im

Erwerbsalter. Verstärkend kommt hierbei der Prozess der Suburba-

nisierung hinzu: Während die Bevölkerungszahlen in Bremerhaven

kontinuierlich sinken, steigen sie in den niedersächsischen Umlandge-

meinden, wo eine verstärkte Neubautätigkeit im Einfamilienhaussektor

zu beobachten ist.

Der Rückgang der Einwohnerzahl korrespondiert – anders als im

Bundesvergleich – mit einer Abnahme der Zahl der Haushalte. Im Jahr

2000 gab es in Bremerhaven rund 59.000 Haushalte mit einer mittleren

Größe von 2,07 Personen gegenüber dem Bundesdurchschnitt von

2,19 Personen pro Haushalt. Im Jahr 1998 lag der Anteil der Ein- und

Zweipersonenhaushalte bei circa 75 Prozent (GEWOS 2004).

Page 38: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

36

Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven

2.1.4 Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur

Wie bereits im Rahmen des geschichtlichen Überblicks (Kapitel 2.1.2)

angedeutet, war die wirtschaftliche Entwicklung Bremerhavens in

den vergangenen Jahrzehnten bestimmt von zahlreichen Krisen, die

die Stadt allesamt hart getroffen haben. So setzte bereits in den

70er Jahren der Niedergang der großen Werften ein, die gegenüber

der ausländischen Konkurrenz, vor allem aus Asien, zunehmend an

Wettbewerbsfähigkeit verloren. Der Insolvenz und darauffolgenden

Schließung der traditionsreichen Rickmers-Werft 1986 folgten weitere

Unternehmenspleiten in diesem Sektor, auch in der Zuliefererindustrie.

Im Zuge dessen gingen bis in die 90er Jahre hinein zahlreiche Arbeits-

plätze verloren.

In den 1980er Jahren traf Bremerhaven zudem die Krise der Hochsee-

fischerei: Durch die Öffnung der internationalen Gewässer wuchs die

Konkurrenz aus dem Ausland, so dass sich die Fischfangquoten der

in Bremerhaven ansässigen Flotte verringerten, was zur Folge hatte,

dass diesem einst bedeutenden Wirtschaftszweig die ökonomische

Grundlage entzogen wurde.

Anfang der 1990er Jahre schließlich zogen dann die Amerikanischen

Streitkräfte aus Bremerhaven ab. Diese waren dort seit Ende des

Zweiten Weltkriegs stationiert gewesen und stellten einen wichtigen

wirtschaftlichen Faktor in der Stadt dar. Mit dem Abzug ging neben

dem Einkommen der GIs, das bis dahin natürlich zu Teilen in die

lokalen Ökononomien geflossen war, auch eine Vielzahl von Arbeits-

plätzen ziviler Beschäftigter verloren.

Page 39: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerhaven

37

Vor einigen Jahren betrug die Arbeitslosigkeit in Bremerhaven

zeitweise weit über 20 Prozent, aktuell liegt sie immer noch bei über

16 Prozent, was einen Spitzenwert unter den ehemals Westdeutschen

Bundesländern darstellt (vgl. destatis, 2010). Nach dem Wegfall vieler

Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe liegt der Beschäftigungs-

anteil im tertiären Sektor aktuell mit gut 76 Prozent weit über dem

Bundesdurchschnitt von rund 66 Prozent (Statistisches Landesamt,

2010).

Trotz der oben angeführten Krise traditioneller maritim geprägter

Wirtschaftszweige, zählt dieser Sektor bis heute zu den wichtigsten

der Stadt und stellt nach wie vor einen wesentlichen Teil der Arbeits-

plätze bereit. So ist der Bremerhavener Containerhafen mit einer

Umschlagskapazität von 6 Mio. Standardcontainern pro Jahr einer der

bedeutendsten in Europa und zudem Deutschlands größter Umschlag-

platz für Autos. Zu den größten Unternehmen in dieser Sparte zählen

die Logistikanbieter „BLG Logistics Group“ und „Eurogate“. Erhalten

geblieben ist der Stadt auch nach dem Ende der Hochseefischerei die

fischverarbeitende Industrie, die sukzessive zur modernen Lebensmit-

telindustrie ausgebaut wurde; Unternehmen wie „Frosta“, „Deutsche

See“ und „Nordsee“ haben in Bremerhaven ihren Sitz. Der Schiffbau

hingegen spielt inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle und

konzentriert sich auf spezialisierte Nischenbereiche.

Entsprechend der in der Stadt vertretenen ökonomischen Sektoren

hat die 1975 gegründete Hochschule Bremerhaven ihre Schwer-

punkte in den Bereichen Lebensmittelwirtschaft und -technologien,

Logistik sowie maritime Technologien. Das Alfred-Wegener-Institut für

Page 40: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 41: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven

39

Polar- und Meeresforschung (AWI) konzentriert sich neben der Grund-

lagenarbeit in der Polar-, Meeres- und Klimaforschung verstärkt auf

die Entwicklung der sogenannten „Blauen Biotechnologien“ und die

Nutzung von Offshore-Ressourcen. Zudem konnte sich Bremerhaven,

auch aufgrund der vorhandenen Kompetenzen im Schiffbau, in den

vergangenen Jahren als Standort für den Bau von Windkraftanlagen

profilieren. Von Vorteil erweist sich in diesem Zusammenhang auch die

Lage direkt am Meer, die den Transport von Offshore-Windkraftanlagen

erleichtert. Um den technologieorientierten Strukturwandel weiter

voranzutreiben, wurden zudem das Bremerhavener Innovations- und

Technologiezentrum (BRIG) sowie der T.I.M.E-Port Bremerhaven als

Standort für junge Unternehmen der Informations- und Kommunikati-

onstechnologiebranchen gegründet.

Nicht zuletzt setzt Bremerhaven die Fördergelder aus Bund-, Länder-

und EU-Programmen sowie eigene Mittel dafür ein, den Tourismus,

vor allem den Tagestourismus, weiter zu steigern. Dazu wurden im

Zentrum der Stadt einige Leuchtturmprojekte geschaffen, die wegen

ihrer zum Teil futuristisch anmutenden Architektur Bremerhaven bereits

den leicht ironischen Titel „Dubai an der Waterkant“ eingebracht haben

(s. z. B. Merian). Kernprojekt ist mit einer Investitionssumme von 250

Mio. Euro die Umgestaltung des Alten/Neuen Hafens, hinzu kommen

als touristische Hauptattraktionen das Klimahaus Bremerhaven, der

„Zoo am Meer“, die „Erlebniswelt Auswanderung“ sowie das Schiff-

fahrtsmuseum. Ergänzt wird dieses Angebot durch ein Tagungshotel,

eine Marina und ein Einkaufszentrum im mediterranen Stil. Dass die

Stadt mit ihrer Strategie der Tourismusförderung offensichtlich Erfolg

hat, zeigt die Jahr für Jahr wachsende Zahl von Besuchern, Aktuell

sind es rund 1,2 Mio. pro Jahr.

Wie Abbildung 12 zeigt, konzentrieren sich die touristischen Anzie-

hungspunkte im Zentrum, westlich der Innenstadt. Südlich von dieser

befinden sich mehrere Forschungseinrichtungen sowie die Hochschule

Bremerhaven. In der nördlichen und südlichen Peripherie der Stadt

liegen zum einen der Überseehafen mit den Containerterminals, zum

anderen, in entgegengesetzter, südlicher Richtung, der Fischereihafen

samt lebensmittelverarbeitender Industrie. Gewerbebetriebe haben sich

vor allem im Norden, in Nachbarschaft zum Containerhafen angesiedelt,

da viele von ihnen einen Bezug zur Hafenwirtschaft besitzen.

Page 42: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Die örtlichen Wirtschaftsförderer sehen nach den zahlreichen Krisen

der vergangenen Jahrzehnte inzwischen wieder eine positive Tendenz.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt laut

ihrer Aussage langsam wieder an, zudem sei die Gewerbeflächennach-

frage konstant hoch (persönliches Interview BIS 15. Dezemder 2010).

2.1.5 Wohnungsbestand und Immobilienmarkt

Bremerhaven verfügt aktuell über einen Bestand von rund 65.000

marktrelevanten Wohneinheiten (WE), d. h. Mietwohneinheiten, von

denen etwa drei Viertel, also 40.000 WE, auf das Segment der Mehrfa-

milienhäuser entfallen (persönliche Information aus dem Interview mit

der Stäwog). Rund die Hälfte davon befindet sich im Besitz der städti-

schen Wohnungsbaugesellschaften, die andere Hälfte in der Hand

von privaten Unternehmen und Privatpersonen. Ca. 5.000 Mietwohn-

einheiten stehen zurzeit leer, das sind in etwa 8 Prozent. Ein gesunder

Wohnungsmarkt weist demgegenüber eine Leerstandquote von rund 3

Prozent auf. Für eine Gesundung des Wohnungsmarktes ist also ganz

offensichtlich der Abriss von Mietwohnungen erforderlich.

Die stadträumlich Verteilung der Wohnformen stellt sich wie folgt dar: In

den innerstädtischen Quartieren Bremerhavens finden sich vorwiegend

Gebiete mit Mehrfamilienhäusern, im Außenbereich der Stadt primär

Einfamilienhausquartiere. An der städtischen Peripherie existieren

zudem einige Großwohnsiedlungen (GEWOS 2004).

Während lediglich 25 Prozent des Immobilienbestands in Bremerhaven

vor dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, entstanden 64 Prozent

der Wohneinheiten in den Jahren zwischen 1949 und 1978. Dies ist

darauf zurückzuführen, dass im Zuge des heftigen Bombardements

im Zweiten Weltkrieg viele Gebäude zerstört wurden und in der

Nachkriegszeit ein entsprechender Bauboom einsetzte, um genügend

neuen Wohnraum für die Bevölkerung zur Verfügung stellen zu können.

65 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes bestehen aus 2- oder

3- Zimmerwohnungen, was wiederum die bescheidenen Ansprüche

während der Jahre des Wiederaufbaus widerspiegelt. Heute allerdings

erscheint diese Wohnungsgröße geeignet für die zunehmende Zahl

von Singlehaushalten.40

Page 43: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Ab 1979 wurde nur noch wenig gebaut, da die wirtschaftlichen Krisen

und der damit einhergehende Rückgang der Bevölkerung dies nicht

mehr erforderten. Somit stammen aktuell lediglich 7,2 Prozent der

Bestandimmobilien aus der Zeit nach 1979. Der überwiegende Teil

davon entfällt auf Einfamilienhäuser, für die seit den 90er Jahren bis

in die Gegenwart, ein gewisser Bauboom zu verzeichnen ist. Zuvor

hatte Bremerhaven verhältnismäßig viele Einwohner an das Umland

verloren, so dass man sich in Bremerhaven dazu entschloss, durch

die Ausweisung entsprechender Flächen diesem Trend zur Suburbani-

sierung entgegenzuwirken. Zwar wurden und werden diese Angebote

stark nachgefragt, doch können auch sie den Bevölkerungsrückgang

nicht vollständig aufhalten.

Die Wohnungsmarktprognose für Bremerhaven geht davon aus,

dass es vor allem im Bereich der Mietwohnungsbestände mittlerer

Wohnungsgrößen einen deutlichen Angebotsüberhang geben wird. Bei

kleineren Wohnungsgrößen wird dagegen nur ein geringer Angebots-

überhang prognostiziert und große Wohnungen werden laut Prognose

weiterhin stark genug nachgefragt, so dass kein Angebotsüberhang zu

erwarten ist (GEWOS 2004).

Von allen innerstädtischen Quartieren ist der Ortsteil Goethestraße vom

Bevölkerungsrückgang am stärksten betroffen. Ein ausschlaggebender

Grund hierfür ist der Umzug vieler ehemaliger Bewohner in Richtung

der EFH-Gebiete. Zudem wurde das Viertel aufgrund von Spekula-

tionen substanziell stark in Mitleidenschaft gezogen (GEWOS 2004;

s. dazu auch Kapitel 2.2.2). Dennoch sehen viele Akteure im Ortsteil

Goethestraße durchaus Potential: Die zentrale stadträumliche Lage

etwa gewinnt gerade bei älteren Menschen aufgrund der guten Versor-

gungssituation zunehmend an Attraktivität. Zudem handelt es sich bei

dem Areal rund um die Goethestraße um eines der wenigen Gründer-

zeitviertel der Stadt. Aus der Tatsache, dass andernorts eine solche

historische Bausubstanz eine sehr starke Nachfrage erfährt, wird die

Erwartung abgeleitet, dass der Ortsteil nach Lösung seines Imagepro-

blems sowie der Beseitigung substantieller baulicher Mängel ebenfalls

wieder stärker nachgefragt wird (s. auch das Experteninterview mit der

Stäwog, Kapitel 2.5.3).

41

Page 44: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Der Bremerhavener Mietspiegel 2011/12 weist für unmodernisierte

Wohnungen, die vor 1969 gebaut wurden, einen mittlere Nettokalt-

miete von zwei bis drei Euro/m2 aus, für teilmodernisierte Wohnungen

liegen die Kosten zwischen durchschnittlich drei Euro in einfachen

und 3,60 bis 4,60 Euro in guten Wohnlagen, und selbst im Segment

der vollmodernisierten Wohnungen beträgt der Mietpreis maximal fünf

Euro/m2. Nur unwesentlich darüber liegen die Werte für Wohnungen,

deren Baujahr zwischen 1970 und 1984 liegt, die Spitzenmieten

belaufen sich auf 7,50 bis 10 Euro für Wohnungen in guten Lagen, die

ab 2007 bezugsfertig waren (Mieterverein Bremerhaven).

Der durchschnittliche Kaufpreis für gebrauchte Eigentumswoh-

nungen in Bremerhaven lag 2006, dem letzten Jahr, aus dem Zahlen

verfügbar sind, bei 747 Euro/m2, wesentlich niedriger fielen die Preise

in Lehe aus, wo Käufer lediglich 618 Euro/m2 für ihre Immobilie

ausgeben mussten. Im Vergleich zum Vorjahr, 2005, ist ein deutlicher

Preisverfall von rund zehn Prozent zu verzeichnen, die Differenz

zum Durchschnittspreis von 2000 beträgt über 26 Prozent (vgl.

LBS-Immobilienmarktatlas).

42

Page 45: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

43

2.2 ortsteil Goethestraße

2.2.1 Stadträumliche Lage und Abgrenzung

Nachdem in den bisherigen Kapiteln die gesamtstädtische Situation

dargestellt wurde, soll im Folgenden nun das eigentliche Projekt-

gebiet, der Leher Ortsteil Goethestraße, näher beleuchtet werden. Der

Stadtteil Lehe, dessen Name sich vermutlich von „Hohe Lieth“, dem

Geestrücken, auf dem diese Siedlung angelegt wurde, ableitet, ist

sowohl von der Fläche (rund 16 km2) als auch der Einwohnerzahl (ca.

36.700) der größte Bremerhavens. Er gliedert sich in insgesamt sieben

administrative Einheiten, die Ortsteile, unter denen die „Goethestraße“

mit 0,55 km2 der kleinste ist. Benachbart liegen die Ortsteile Mitte-

Nord im Westen, Twischkamp im Norden sowie Klushof im Osten

und Süden. Eingegrenzt wird das Gebiet durch die nördlich davon

verlaufende Rickmersstraße, die Pestalozzistraße auf der westlichen

Seite und die Hafenstraße im Osten. Diese ist zugleich die zentrale

Einkaufs- und Nahversorgungsachse nicht nur für das Projektgebiet,

sondern für den gesamten Stadtteil. Durch den Straßenverlauf ergibt

sich ein charakteristisches Dreieck, weshalb der Ortsteil Goethestraße

gelegentlich scherzhaft auch als „Bermudadreieck“ bezeichnet wird.

Seinen offiziellen Namen verdankt das Viertel der Goethestraße, die die

zentrale Nord-Süd-Achse darstellt.

Vom südlichen Ende des Ortsteils aus beträgt die Entfernung zur

Innenstadt gut einen Kilometer, die Wasserkante im Westen erreicht

man zu Fuß in rund sieben Minuten.

2.2.2 Bevölkerungsstruktur und -entwicklung

Wie bereits gezeigt wurde (vgl. Kapitel 2.1.3), ist Bremerhaven als

Gesamtstadt von einem durchaus signifikanten Bevölkerungsrückgang

betroffen. Im Ortsteil Goethestraße allerdings stellt sich die Situation

ungleich dramatischer dar: Während dort im Jahr 1996 noch 9083

Menschen lebten, waren es 2010 nur noch 6812 (Statistisches

Landesamt Bremen). Damit verließen in diesem Zeitraum rund 25

Prozent aller Einwohner das Gebiet, ein absoluter Rückgang von 2271

Personen, das entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Wande-

rungssaldo von -162.

Page 46: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 47: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße

45

Der Anteil der unter 18-Jährigen hat in den vergangenen Jahren, wie

auch in der Gesamtstadt, abgenommen, liegt aber mit knapp 18

Prozent immer noch deutlich über dem Bremerhavener Durchschnitt

von 16 Prozent. Unterrepräsentiert sind hingegen die über 65-Jährigen,

die seit Jahren lediglich gut 14 Prozent der Bevölkerung im Ortsteil

Goethestraße ausmachen, während der entsprechende Prozentsatz

in Bremerhaven auf mittlerweile fast 22 Prozent gestiegen ist (Bremer-

havener Strukturdatenatlas, 2010). Dies hängt unter anderem ganz

offensichtlich mit den in diesem Gebiet herrschenden sozialen

Problemen und der vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate (vgl. Polizei-

liche Kriminalitätsstatistik des Landes Bremen, 2009) zusammen.

Die Arbeitslosenquote im Ortsteil Goethestraße liegt mit 33 Prozent fast

exakt doppelt so hoch wie in Bremerhaven insgesamt (Statistisches

Landesamt Bremen, 2010), gleiches gilt für den Anteil der Ausländer

(10,6 zu 21,3 Prozent; Statistisches Landesamt Bremen, 2010). Es

ist anzunehmen, dass zwischen diesen Werten ein gewisser Zusam-

menhang besteht, da Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland

im Schnitt doppelt so häufig erwerbslos sind wie Deutsche (Spiegel

Online). Betrachtet man die vertretenen Nationalitäten, so fällt auf, dass

auf die Gruppe der Türken zahlenmäßig Migranten aus Portugal folgen.

Dies erklärt sich eventuell durch die Tatsache, dass es sich bei Bremer-

haven um eine Hafenstadt handelt, wo häufig überdurchschnittlich viele

Portugiesen beheimatet sind.

Neben der hohen Zahl von Arbeitslosen finden sich in der Statistik

einige weitere Indizien, die dafür sprechen, dass sich im Ortsteil

Goethestraße viele Menschen in vergleichsweise prekären Verhält-

nissen befinden: Der Anteil der Haushalte, in denen geschiedene

Personen leben, ist beispielsweise mehr als doppelt so hoch als in der

Gesamtstadt (Bremerhavener Strukturdatenatlas, 2010). Statistisch

betrachtet hat diese Gruppe von Menschen überproportional häufig

mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Zahl der Pkw-Besitzer

pro 1.000 Einwohner ist dagegen in Bremerhaven weitaus höher als

im Ortsteil Goethestraße (382 zu 216) – was theoretisch natürlich auch

mit einem dort deutlich ausgeprägteren ökologischen Bewusstsein

in Zusammenhang stehen könnte. Betrachtet man zuletzt noch das

Wahlverhalten, so zeigt sich, dass der Stimmenanteil der Grünen

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Page 49: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße

47

tatsächlich bei allen Wahlen deutlich über dem Bremerhavener Gesamt-

ergebnis liegt. Daneben fallen relativ hohe Werte für rechtsextreme und

rechtspopulistische Parteien sowie für Die Linke ins Auge. Dabei dürfte

es sich zu einem guten Teil um klassische Protestwähler handeln.

2.2.3 Städtebauliche Struktur und Gebäudezustand

Städtebaulich betrachtet handelt es sich beim Quartier östlich und

westlich der Goethestraße um ein klassisches Gründerzeitviertel,

dessen Struktur sich bis in die Gegenwart weitgehend erhalten hat.

Lediglich im Nordwesten des Gebiets, wo während der ursprüng-

lichen Bebauungsphase große Areale weitgehend frei blieben, prägen

Zeilenbauten und Reihenhäuser aus den 1950er Jahren das Bild (vgl.

Schwarzplan, Abb. 15). Auch im Bereich südlich davon, d. h. der

gesamte Teil westlich der Körnerstraße, sucht man die ansonsten

vorherrschende Bautypologie vergeblich. Stattdessen finden sich hier

ein großer Sportplatz sowie Backsteinhallen, die Relikte des ehema-

ligen Zollinland-Bahnhofs darstellen. Untypisch erscheint schließlich

auch der nordöstliche Teil des Ortsteils Goethestraße, jenseits der

Frenssenstraße, der ebenfalls überwiegend erst in der Nachkriegszeit

bebaut wurde und heute einen hohen Anteil an Gewerbebetrieben

aufweist.

Diese Heterogenität veranlasste die Gruppe dazu, sich im Verlauf des

Projekts primär auf das gründerzeitliche Kerngebiet zu konzentrieren,

also die Straßenzüge südlich der Frenssen- und östlich der Körner-

straße, wo etwa die Hälfte aller Gebäude aus der Zeit vor 1918 stammt.

In diesem Teil des Quartiers bestimmt eine weitgehend geschlossene

Blockrandbebauung mit großzügigen Innenhofbereichen das Erschei-

nungsbild, die Höhe der Gebäude variiert: in manchen Straßen beträgt

sie lediglich drei Stockwerke, in anderen fünf bis sechs. Aus den

vergleichsweise breiten Straßen resultiert eine relativ geringe Dichte,

die für ein Gründerzeitviertel eher untypisch ist. Bis auf die Goethe-

und die Uhlandstraße verfügen die Straßenzüge nur über geringen

Baumbestand.

Page 50: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

48

Zwar weist die Blockrandstruktur bislang nur wenige Lücken auf,

doch lässt der Zustand einer Reihe von Gebäuden befürchten, dass

ein Abriss in vielen Fällen unvermeidlich ist (vgl. Abb. 17). Eine akute

Gefahr stellen einige komplett marode Häuser dar, deren Erker

und Balkone zum Teil gestützt werden müssen. Damit fallen diese

Immobilien in der Regel unter das Vorkaufsortsgesetz (s. Exkurs:

Schrottimmobilien). Eine detaillierte Kartierung ergab zudem, dass vor

allem im Nordosten des Gebiets bei zahlreichen Gebäuden Handlungs-

bedarf besteht. Vielfach beschränkt sich dieser auf die Notwendigkeit

einer baldigen Fassadenrenovierung, Andernorts jedoch könnte

mittelfristig ebenfalls die Substanz gefährdet sein. Zum beschleunigten

Verfall führt insbesondere langjähriger Leerstand ganzer Gebäude,

was im Ortsteil Goethestraße keine Seltenheit ist. Ein Problem besteht

hierbei auch darin, dass „kranke“ Gebäude „gesunde“ gewissermaßen

„infizieren“ können.

2.2.4 Infrastruktur und Nutzungsstruktur

Infrastrukturell ist der Ortsteil Goethestraße, der im Flächennut-

zungsplan überwiegend als Wohngebiet klassifiziert ist, insgesamt gut

erschlossen: Die Hafenstraße fungiert dabei als zentrale Nahversor-

gungsachse, die auch von den umliegenden Ortsteilen frequentiert

wird. Daneben finden sich innerhalb des Viertels bzw. in unmittelbarer

Umgebung mehrere Kindertagesstätten, Arztpraxen, gastronomische

Einrichtungen, diverse Kirchen sowie alle Schulformen. Die Schließung

zweier Grundschulen aufgrund des Bevölkerungsrückgangs hat die

Versorgungslage in diesem Bereich nicht beeinträchtigt. Das nächst-

gelegene Krankenhaus befindet sich zwar außerhalb des Ortsteils,

die Distanz dorthin beträgt jedoch nur etwa 500 m. An Spiel- und

Sportplätzen herrscht im Viertel kein Mangel, andere Naherholungs-

möglichkeiten und Sporteinrichtungen existieren hingegen eher wenig.

Buslinien entlang der Hafenstraße und der Rickmersstraße sorgen für

eine gute ÖPNV-Anbindung an die Innenstadt, der Bahnhof Lehe ist

fußläufig erreichbar und der Bremerhavener Hauptbahnhof ebenfalls

nur rund drei Kilometer entfernt. Zudem gelangt man über die Bundes-

straße 212 rasch zur Autobahnzufahrt Bremerhaven-Mitte.

Page 51: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

49Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße

Abgesehen von der Hafenstraße, wo sich der Einzelhandel konzent-

riert, finden sich Ladenlokale innerhalb des Projektgebiets lediglich im

mittleren Abschnitt der Goethestraße sowie in einigen Eckgebäuden

an Straßenkreuzungen. Ansonsten dominiert die Wohnnutzung, auch

wenn die ehemalige Nutzungsmischung aus Wohnen und Arbeiten

noch vielfach erkennbar ist.

Page 52: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

502.2.5 Wohnungsbestand und Wanderungsbewegungen

Der Bestand an Wohngebäuden betrug zum Stichtag 31.12.2009 794,

davon 642 mit drei oder mehr Wohnungen. Gebäude mit nur einer (98)

oder zwei Wohnungen (54) bilden dagegen die Ausnahme. Die Anzahl

der Wohnungen im Ortsteil Goethestraße beträgt insgesamt 5.164,

darunter sind knapp 44 Prozent 4-Zimmerwohnungen und etwa 35

Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße

Page 53: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

51Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße

Prozent 3-Zimmerwohnungen, 1- und 2-Zimmerwohnungen machen

gerade einmal gut 5 Prozent des Wohnungsbestandes aus, der Rest

entfällt auf größere Wohnungen (Bremerhavener Strukturdatenatlas,

2010).

Bedingt durch den Bevölkerungsrückgang (vgl. Kapitel 2.2.2) steigen

im Ortsteil Goethestraße die Leerstände. 2008, dem letzten Jahr aus

Page 54: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

52

dem Zahlen zur Verfügung stehen, lag die Zahl der nicht belegten

Wohnungen bei 850, was einer Leerstandsquote von über 16 Prozent

entspricht. Zum Vergleich, in der Gesamtstadt ist diese halb so hoch.

Abbildung 22 zeigt eine Gegenüberstellung der Referenzjahre 2001

und 2008: Alleine in diesem Zeitraum hat sich der Leerstand um 369

Wohneinheiten erhöht. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser

Trend – zumal angesichts der negativen Bevölkerungsentwicklung –

weiter fortsetzt, sofern keine Interventionen erfolgen.

Die innerstädtische Mobilität ist im Ortsteil Goethestraße mit 22 Prozent

fast doppelt so hoch wie in der Gesamtstadt. So wurden während des

einjährigen Betrachtungszeitraums 600 Umzüge innerhalb des Ortsteils

registriert. 1.200 Personen haben in dieser Zeit das Gebiet verlassen,

1.100 zogen neu hinzu, das Wanderungssaldo ist somit negativ. In

Abb. 19 sind die markantesten Wanderungsbewegungen bezogen auf

den Ortsteil Goethestraße dargestellt. Hierbei fällt auf, dass vor allem

mit den benachbarten Stadt- bzw. Ortsteilen ausgeprägte Wechselbe-

ziehungen bestehen. Gesondert hervorzuheben ist der Austausch

zwischen den Ortsteilen Goethestraße, Leherheide West und

Geestendorf, da hier die größten Wanderungsbewegungen zu

Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917

Page 55: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

53

verzeichnen sind. Offenbar wird hier unter anderem „Wohnungs-

tourismus“ von „jungen Arbeitslosen bzw. Leistungsempfängern“

betrieben, die aufgrund der entspannten Marktlage und begünstigt

durch ihre hohe Mobilität auf der Suche nach immer besseren

Angebotskonditionen sind (GEWOS 2004).

Exkurs: Schrottimmobilien

Als „Schrottimmobilien“ werden Objekte bezeichnet, die dem Erwerber

unter Vorspiegelung falscher Tatsachen weit über dem tatsächlichen

Marktwert verkauft wurden. Dabei müssen die Immobilien nicht

unbedingt verwahrlost sein, oftmals sind sie es jedoch. Der Zustand

der gekauften Immobilie ist dem Anleger in der Regel allerdings

nicht bekannt. Die Rückabwicklung solcher Käufe ist praktisch nicht

möglich, denn die Beweispflicht der Täuschung liegt in solch einem

Fall beim Anleger. Zudem sind die Vermittler im Nachhinein oft nicht

mehr auffindbar und das Widerrufsrecht gilt für Verbraucher auf Kredit-

verträge nur sehr eingeschränkt. Die Folge solcher Geschäfte sind

– neben gravierenden finanziellen Problemen auf Seiten der Anleger –

Leerstände in den entsprechenden Wohngebäuden und damit negative

städtebauliche Auswirkungen im Umfeld. Wegen der Belastungen

durch den überhöhten Kaufpreis für die Immobilie sowie die fehlenden

Mieteinnahmen, sind die Neueigentümer in aller Regel auch nicht mehr

Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen

Page 56: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

54Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße

in der Lage, die Kosten für eine notwendige Sanierung aufzuwenden.

Für die Kommunen gestaltet sich der Umgang mit „Schrottimmobilien“

aus rechtlichen Gründen außerordentlich schwierig und belastet zudem

die Gemeindekasse. Im Weiteren soll die Problematik näher erläutert

werden, wobei auch das innovative rechtliche Instrumentarium, das in

Bremerhaven bereits zur Anwendung gekommen ist, kurz beleuchtet

wird (vgl. Zeit Online).

Page 57: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

55

Im Ortsteil Goethestraße sind gleich eine ganze Reihe der Immobilien

von eben beschriebenen Spekulationsgeschäften betroffen und zum

Teil bereits extrem verwahrlost. Im bundesweiten Vergleich handelt

es dabei um einen besonders problematischen Fall, da hier gleich

mehrere erschwerende Aspekte zusammenkommen: Zum einen ist das

die durch den Strukturwandel bedingte rückläufige Bevölkerungszahl

und die damit einhergehende Veränderung der sozialen Mischung,

zum anderen vor allem die Handlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der

Eigentümer. Meist befinden sich die jeweiligen Gebäude zudem im

Besitz mehrerer Eigentümer, was die Situation zusätzlich erschwert,

da an den betroffenen Objekten bauliche Maßnahmen nur durchge-

führt werden können, wenn zuvor ein (Zwischen-)Erwerb durch die

Kommune stattgefunden hat. In einigen Fällen gelingt es dabei trotz

erheblichen Aufwands nicht, einen oder gar sämtliche Eigentümer zu

ermitteln (BMVBS 2009).

Grundstücke, für die keine nachhaltige Nutzungsperspektive existiert,

können für die jeweiligen Eigentümer grundsätzlich zu einer so hohen

Abbildung 21: Wohnungsleerstand

Page 58: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

56Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Belastung werden, dass sie die öffentlich-rechtlichen Lasten, die mit

diesem Eigentum verbunden sind, nicht mehr begleichen können. In

solchen Fällen leiten die Gemeinden üblicherweise ein Vollstreckungs-

verfahren bis hin zur Zwangsversteigerung ein. Dieses Instrument

wurde auch in Bremerhaven mehrfach eingesetzt, wobei es jedoch bei

zahlreichen Zwangsversteigerungen erneut zu offensichtlichen Speku-

Page 59: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

57

Abbildung 23: Leerstandsentwicklung

lationskäufen kam. Helfen könnte der Gemeinde in solchen Fällen

lediglich ein Vorkaufsrecht.

Die bestehenden rechtlichen Regelungen zum Vorkaufsrecht nach

§ 24 ff. BauGB sind jedoch im Zwangsversteigerungsverfahren nicht

anwendbar. Das Land Bremen und die Stadt Bremerhaven hatten

daher den Versuch unternommen ein gesetzliches Vorkaufsrecht im

Zwangsversteigerungsverfahren einzuführen. Hierzu entwickelte die

Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz im April 2009 ein Sondergutachten,

woraus allerdings hervorgeht, dass nach der geltenden Rechtslage

(§ 471 BGB, § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB) solch eine Gesetzesänderung

ausgeschlossen ist (BMVBS 2009, Zeit Online).

Allerdings wurde von der Stadt Bremerhaven ein „Schrottimmobilien-

kataster“ erstellt, in dem die verwahrlosten Immobilien erfasst sind,

zudem kam im Einzelfall die sogenannte Ersatzvornahme zwecks

Gefahrenabwehr zum Einsatz. Eine Arbeitsgruppe mit den Vertretern

verschiedener Dezernate (Bauordnungsamt, Stadtkasse, Rechtsamt,

Stadtplanungsamt sowie ein externer Moderator) wurde eingerichtet.

Diese setzt sich gegenwärtigen mit der Immobiliensituation auseinander

(BMVBS 2009, Zeit Online).

Page 60: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

58

Eine vollkommen neue Entwicklung auf diesem Gebiet ist seit Juni

2009 zu beobachten: Nach einem Beschluss der Stadtverordneten-

versammlung besitzt die Stadt nun mit dem „Vorkaufsortsgesetz“

das Vorkaufsrechte auf 16 genau bestimmte Gebäude, für die ein

dringender Handlungsbedarf im Sinne der Bauordnung besteht

(Bremerhaven Online). Zehn dieser Gebäude sind mithilfe dieses

experimentellen Gesetzes bereits in den Besitz der Stadt gelangt,

zwei davon konnten schon abgerissen werden. Am 14. April 2011

beschloss der Bauausschuss einstimmig, das Gesetz auf zwölf weitere

Häuser auszudehnen. Nach dem Bremerhavener Beispiel wird inzwi-

schen auch in Gelsenkirchen, wo ähnliche Probleme mit verwahrlosten

Immobilien zutage treten, an einem Vorkaufsortsgesetz gearbeitet (Zeit

Online, Nordseezeitung-Zeitung).

Page 61: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

59

2.3 Stadtumbauprojekte und Förderprogramme

Im Folgenden sollen einige der im Rahmen des „Stadtumbaus West“

sowie des Programms „Urban II“ getroffenen Maßnahmen dargestellt

werden, sofern sie für Lehe und den Ortsteil Goethestraße von Belang

sind. Abschließend lässt sich beurteilen, inwiefern dadurch eine Verbes-

serung der Situation im Untersuchungsgebiet herbeigeführt werden

konnte.

Angesichts einer rückläufigen demografischen Entwicklung sowie den

negativen Folgen des wirtschaftlichen Strukturwandels wurde 2002

vom Bund nach dem Vorbild des „Stadtumbaus Ost“ der „Stadtumbau

West“ ins Leben gerufen, für den insgesamt 30 Mio. Euro bereitgestellt

wurden. Eine der 16 Pilotstädte, die im Rahmen des Forschungspro-

gramms ExWoSt (Experimenteller Wohnungs- und Städtebau) mithilfe

der Bundesförderung sowie ergänzender Landesmittel und kommu-

naler Gelder neue Strategien des Stadtumbaus erproben konnten war

Bremerhaven.

Die Zielsetzung lautete hier, gemeinsam mit den Akteuren der

Wohnungswirtschaft einen Rückbau von Wohnungsbestand bei gleich-

zeitiger Modernisierung des zu erhaltenden Bestandes zu organisieren.

Zu diesem Zweck initiierte die Stadt mehrere Impulsprojekte, deren

Fokus unter anderem auf dem Ortsteil Goethestraße lag. Beispielsweise

wurde – erstmalig in einer der beteiligten Pilotstädten – auf der Basis

von Stromzählerdaten eine gesamtstädtische Leerstandsanalyse vorge-

nommen, die im Laufe des Programms jährlich aktualisiert wurde.

Eine weitere Maßnahme im Rahmen des „Stadtumbaus West“ war die

Verlegung des Suchtzentrum in die Rickmerstraße im Jahr 2007, um

dadurch die örtliche Drogenszene, die für den Fortzug vieler Familien

aus dem Ortsteil-Goethestraße verantwortlicht gemacht wurde, zu

verlagern (vgl. Stadtumbau West 2008). Dem Problem sinkender

Schülerzahlen versuchte man durch Schließung der Deichschule und

der Theodor-Storm-Schule zu begegnen. Nach Abriss der ersteren

entstand an dieser Stelle eine öffentlich Freifläche, eine Art Quartiers-

platz, der allerdings aufgrund seiner unzureichenden Intetration in sein

städtebauliches Umfeld sowie seiner Freiraumgestaltung umstritten ist.

Das Gebäude der Theodor-Storm-Schule hingegen wurde erfolgreich

umgenutzt und beherbergt nun „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“

Page 62: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

60

(Näheres dazu in Kapitel 2.5.5). Zwei weitere Schulen wurden zudem

zusammengelegt und durch einen Neubau ergänzt. Für den allge-

meinen Rückbau des Wohnungsbestandes richtete die Stadt zudem

einen Strukturfond „für den vereinfachten Erwerb von ungenutzten

bzw. verfallenen Gebäuden“ ein (vgl. Stadtumbau West 2008).

Ebenfalls Auswirkungen auf den Ortsteil Lehe-Goethestraße hatte

das europäische Förderprogramm Urban II, das in den Jahren 2001

bis 2006 für Maßnahmen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Stadt-

entwicklung aufgelegt worden war. In Bremerhaven bezog es sich

auf ein Gebiet, in dem rund 23.000 Einwohner leben, insbesondere

den Stadtteil Lehe, aber auch auf angrenzende Ortsteile (Europäische

Union 2010). Ebenfalls umfasste war der Ortsteil Goethestraße.

Im Rahmen des Programms wurde eine allgemeine Strategie entwi-

ckelt, die vorsah, grundsätzlich die im Gebiet vorhandenen Potentiale

zu nutzen und langfristig durch Impulse von außen zu ergänzen. Dabei

fand eine Aufteilung in vier verschiedene Teilbereiche statt: Technologie

und Innovation, Qualifikation der Bewohner, Dienstleistung und Handel

sowie die Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität. Innerhalb

des ersten Teilbereichs war es das Ziel, aus den Erfahrungen des

Bremerhavener Innovations- und Gründerzentrums zu lernen, um so

einen speziellen Technologie-Park zu entwickeln, der an die lokalen

Bedürfnisse angepasst ist. Betrachtet man das eigentliche Projekt-

gebiet, den Ortsteil Goethestraße, so stand dort die Qualifizierung der

Bewohner im Mittelpunkt der Bemühungen, um so die nötigen Voraus-

setzungen für das Entstehen neuer Arbeitsplätze zu schaffen. Mithilfe

dieser Maßnahme wird angestrebt, die Chancengleichheit zu erhöhen,

der Ausgrenzung benachteiligter Gruppen entgegenzuwirken und neue

wirtschaftliche und soziale Perspektiven zu schaffen (vgl. Europäische

Union 2010).

Als übergeordnete Ziele werden zudem eine Stabilisierung der

wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und die (Wieder-)Herstellung

der Konkurrenzfähigkeit gegenüber den Standorten im Stadtumland

genannt (Europäische Union 2010). Ausgehend vom diesem Zielka-

talog werden konkrete operative Handlungsschwerpunkte formuliert:

Dazu gehört unter anderem die Technologieförderung in Form des

„Leuchtturmprojekts“ „Technologie-Park“, der auf einem Areal am

Neuen Hafen entstehen soll, welches zwar nicht innerhalb des

eigenen Projektgebiets liegt, durch seine unmittelbare Nähe jedoch

Page 63: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

61

Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremerhaven

die Arbeitsplatzsituation und Sozialstruktur im Gebiet beeinflussen

kann. Zur ökonomischen Belebung des Gebiets wurde darüber hinaus

ein Stadtteilmanagement ins Leben gerufen, welches kleinere und

mittlere Unternehmen bei der Identifizierung, Formulierung und Lösung

quartiersbezogener Probleme unterstützt. Zudem soll es das Image

nach innen und außen verbessern helfen sowie der Verwahrlosung

durch Aufwertungsmaßnahmen entgegenwirken. Dieses Projekt wird

mit einer Million Euro unterstützt (Europäische Union 2010).

Im Bereich Arbeitsmarkt und Soziales wurde zur Förderung von

Qualifizierung und Existenzgründung eine neue Organisations-

struktur gebildet, die die Vernetzung und Optimierung von Aktivitäten

innerhalb des Programmgebiets zum Ziel hat. Dazu schuf man das

„Activity-Center-Lehe“, das in Verbindung mit dem Stadtteilmana-

gement angesiedelt wurde und mit einem Volumen von drei Millionen

Euro gefördert wird. Zu den sozialen Maßnahmen gehören zum Beispiel

der Ausbau vorhandener Betreuungskapazitäten, sowie die Verbes-

serung der Kinder- und Jugendsozialarbeit, wie auch der Drogenarbeit

Zum Thema städtebauliche Erneuerung und Ökologie wird die Absicht

formuliert, einkommensstärkere Käuferschichten wieder vermehrt für

Lehe zu gewinnen und dem dortigen Einzelhandel neuen Schwung zu

verleihen. Dazu soll aus Mitteln eines Investitionsprogramms der öffent-

Page 64: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

62

liche Raum im Leher Stadtteilzentrum aufgewertet werden. Neben der

Betonung städtebaulicher Alleinstellungsmerkmale (z. B. ortsprägende

Gebäude, Platzanlagen, Parks und Eingangssituationen) gehört dazu

auch die Verbesserung funktionaler Aspekte, beispielsweise der

Parkplatzsituation oder eine gute Erreichbarkeit für den Langsam-

verkehr (Fahrrad und Fuß). Des Weiteren wurden Industriebrachen

am Geeste-Ufer im Westen des Urban II-Projektgebiets ökologisch

nachhaltig saniert und durch Öffnung eines Freiraumzugs zum

Landschaftsraum Geeste-Niederung für eine zukünftige Freizeitnutzung

erschlossen. Außerdem stehen die Industriebrachen als mögliche

Konversionsflächen für neue gewerbliche Nutzungen im Technologie-

bereich zur Verfügung.

Neben den hier dargestellten „Stadtumbau West“ und „Urban II“

existiert noch eine Vielzahl weiterer Programme, die in den vergan-

genen 20 Jahren (z. T. auch noch länger) in Bremerhaven durchgeführt

worden sind. Abgesehen von den in den 1970er Jahren erfolgten

städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen hatten diese jedoch keinen

direkten physischen Einfluss auf den Ortsteil Goethestraße bzw.

betrafen nicht speziell dieses Gebiet, sondern die Gesamtstadt. In

der Regel lag der Fokus dabei auf ökonomischen Maßnahmen, die

das Projektgebiet allenfalls durch ihre sozialen und ökonomischen

Auswirkungen tangiert haben. Zu diesen Förderprogrammen zählen

beispielweise das Soziale Stadt-Programm des Bundes, das Ziel-

2-Programm, die Gemeinschaftsinitiativen KONVER und RESIDER

sowie das aktuelle EFRE-Bremen der Europäischen Union.

Die im Rahmen des „URBAN II“ sowie des „Stadtumbaus West“

durchgeführten Maßnahmen haben zweifellos zur Aufwertung des

physischen, d. h. gebauten öffentlichen Raums in Lehe beigetragen.

Außerdem haben sie offensichtlich geholfen die Situation sozial

benachteiligter Menschen zu verbessern, etwa indem Arbeitslosen eine

neue berufliche Perspektive geboten oder eine Anlaufstelle für Familien,

junge Erwachsene und Drogenabhängige geschaffen wurde. Auch der

Rückbau von Wohnungen hat in einigen Fällen durchaus funktioniert.

Angesichts der langen Dauer dieser Programme und der Summe

öffentlicher Gelder, die hier investiert wurden, erscheint das Ausmaß

der städtebaulichen Missstände wie auch der sozialen Spannungen

dafür zu sprechen, dass diese Probleme nicht allein mit finanziellen

Mitteln zu lösen sind.

Page 65: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

63

Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“

2.4 akteursanalyse

Abbildung 26 zeigt die Akteurslandschaft bezogen auf das Untersu-

chungsgebiet, wie sie im Verlauf der Projektarbeit von der Gruppe

eingeschätzt wurde. Diese Einschätzung leitet sich vor allem aus den

von uns durchgeführten Experteninterviews mit den Vertretern der

jeweiligen Institutionen ab. Die Nähe zur Mitte – das dortige Symbol

steht für den Ortsteil Goethestraße – deutet an, welche Relevanz dem

jeweiligen Akteur für das Gebiet beigemessen wird. Somit befinden sich

im innersten Kreis die Schlüsselakteure, also diejenigen, die von uns

als zentral für die Entwicklung der Goethestraße betrachtet werden:

das Arbeitsförderungs-Zentrum im Lande Bremen GmbH (AFZ), „die

theo“ (das Zentrum für Arbeit, Familie und Kultur) und die Städtische

Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH (Stäwog). Im mittleren Kreis

sind die Primärakteure versammelt, die ebenfalls eine herausgehobene

Rolle spielen bzw. spielen können: das Stadtplanungsamt Bremerhaven

Page 66: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

64

Abbildung 26: Akteurslandschaft

und die Astrid-Lindgren-Schule. Im äußeren Kreis schließlich befinden

sich die Sekundärakteure, die wir als zum Teil interessante, aber für

das Gesamtgebiet nicht wesentliche Handelnde identifiziert haben: die

Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe (ESG Lehe), die Bewohner des

Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43, das Designlabor

Bremerhaven, das Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresfor-

schung (AWI), die Stadtteilkonferenz, die Behörde für Denkmalpflege

und das Bauordnungsamt, sowie die Bremerhavener Gesellschaft für

Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS).

Desweiteren sind in der Grafik die Akteure den drei Polen Zivilgesell-

schaft, Privatwirtschaft oder Staat zugeordnet. Je nach Ausrichtung

und Trägerform lässt sich der jeweilige Akteur entweder klar an einem

Page 67: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

65

Abbildung 27: Bewertung der Akteure

der Pole verorten oder steht zwischen zweien der drei Kategorien.

Beispielsweise ist die Stäwog zwar eine Kapitalgesellschaft und lässt

sich somit der Privatwirtschaft zuordnen, allerdings ist sie vollständig

im Besitz der Stadt Bremerhaven und somit gleichzeitig ein staatlicher

Akteur mit großem Einfluss auf die Stadtentwicklungspolitik. Deutlich

wird zudem, dass im Bereich der Privatwirtschaft eindeutig Defizite

bestehen, da hier kein starker Akteur vorhanden ist – eine Erkenntnis,

die die Ergebnisse der bisherigen Analyse bestätigt.

Im Übrigen muss betont werden, dass diese Auflistung keinesfalls eine

vollständige Übersicht sämtlicher relevanter Akteure sein soll, sondern

vielmehr eine Momentaufnahme darstellt, die die entsprechende

Arbeitsphase des Projekts widerspiegelt. Im weiteren Projektverlauf

sind zu dieser Liste zusätzliche Akteure hinzugekommen, andere

erwiesen sich als weitgehend irrelevant. Im Hinblick auf die Schlüssel-

und Primärakteure allerdings gab es keine Veränderungen, so dass wir

uns dazu entschieden haben, die Grafik unverändert zu lassen, um den

Prozesscharakter der Arbeit zu betonen. Auf diese Weise wird deutlich,

dass im Verlauf eines Projekts gelegentlich auch Um- bzw. Holzwege

beschritten werden.

In Abbildung 27 werden die bereits bekannten Akteure nochmals

aufgelistet und in Bezug auf ihre Legitimität, ihre jeweiligen Ressourcen

sowie ihre Vernetzung innerhalb der Stadt und des Ortsteils bewertet.

Legitimität meint dabei die institutionelle Stellung, also „zugeschriebene

oder erworbene Rechte, die beispielsweise durch das Gesetz, den

Auftrag und die öffentliche Zustimmung abgesichert sind“ (gtz). Unter

Ressourcen können sowohl Wissen, Sachverstand und Fähigkeiten

als auch materielle und finanzielle Mittel verstanden werden, die es

Page 68: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

66

dem Akteur erlauben, „gestaltenden Einfluss auf Thema und Verände-

rungsziel auszuüben“ (gtz). Der Punkt Vernetzung schließlich bezieht

sich auf „die Anzahl und Festigkeit der Beziehungen zu anderen

Akteuren“ (gtz). Für jedes dieser Attribute werden in der Tabelle drei

Werte unterschieden: Ein „+“ in der Spalte „Vernetzung“ beispielsweise

steht für „gut vernetzt“, ein „-“ für „wenig vernetzt“ und ein schwarzer

Kreis repräsentiert einen mittlere Stufe der Vernetzung.

Wie bereits erwähnt, wurden im Laufe der Projektarbeit zahlreiche

Experteninterviews mit den meisten der hier dargestellten Akteure

geführt. In diesen wurden nähere Informationen über die jeweilige Insti-

tution und deren Projekte, ihren spezifischen Beitrag zur Stadtteilarbeit,

die Wahrnehmung von Zusammenhängen innerhalb des Ortsteils

etc. ermittelt. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden im folgenden

Kapitel ausführlich dargestellt.

Page 69: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

67

2.5 experteninterviews

2.5.1 Stadtplanungsamt Bremerhaven

Eines der ersten Experteninterviews wurde am 15. Dezember 2010,

also relativ früh im Projektverlauf, jedoch bereits nach Abschluss der

ersten Analysephase, mit dem Leiter des Bremerhavener Stadtpla-

nungsamtes Herrn Norbert Friedrich sowie einer weiteren Mitarbeiterin,

Frau Sandra Levknecht, geführt. Schon vor Beginn des Projekts

hatte zu diesen beiden Personen Kontakt bestanden, so dass die

Unterstützung durch Kartenmaterial u. Ä. bereits im Vorfeld gesichert

war. Außerdem wurde der Gruppe verdeutlicht, dass an den Ergeb-

nissen des Projekts durchaus Interesse bestünde, da die Stadt noch

über kein fertiges Konzept verfüge, wie mit den Baulücken zukünftig

umgegangen werden soll. Betont wurde allerdings auch, dass von

Seiten der Stadt bzw. der Stadtplanung kein „Grünzug“ gewünscht

sei, weswegen rein freiraumplanerische Lösungen nicht in Betracht

kämen. Stattdessen wurde deutlich, dass im Ortsteil Goethestraße

auch zukünftig am Ideal der geschlossenen gründerzeitlichen

Blockrandbebauung festgehalten wird und es ganz klar das Ziel ist, den

Bevölkerungsfortzug zu stoppen sowie den Prozess mittelfristig wieder

umzukehren. „Mehr Platz zum Leben“, so das Motto, das sich Bremer-

haven für seinen Stadtumbauprozess gegeben hat (der im Rahmen

des Stadtumbaus West stattfindet und sich intensiv mit dem Thema

demographischer Wandel bzw. schrumpfende Bevölkerung auseinan-

dersetzt), gilt für das Viertel um die Goethestraße also nur sehr bedingt.

Ein Projekt der vergangenen Jahre, das uns in diesem Zusammenhang

vorgestellt wurde, ist der Abriss der Deichschule, auf deren Grund-

stück unter starker Beteiligung der Öffentlichkeit in der Folge ein neuer

Quartiersplatz entstand. Nach Einschätzung von Herrn Friedrich verlief

dieser Prozess recht erfolgreich, demgegenüber stehen allerdings

auch Aussagen von Anwohnen, die neben dem Ablauf des Verfahrens

insbesondere das Ergebnis kritisieren. Darauf angesprochen, dass es

bezüglich der Gestaltung äußerst kontroverse Ansichten gegeben habe

– bemängelt wurde von Beteiligten beispielsweise, dass wesentliche

Wünsche der Bevölkerung, etwa nach mehr Grün, nicht berücksichtigt

worden seien –, verwies Herr Friedrich unter anderem auf die hohen

Kosten, die mit der Pflege eines solchen Freiraums verbunden sind.

Erstmals nähergebracht wurde uns bei diesem Gespräch auch die

Page 70: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

68

Problematik der Schrottimmobilien, welche die Stadtplanung vor große

Herausforderungen stellt (vgl. Kapitel 2.2.5). Als vollkommen neuartigen

Lösungsansatz beschrieb man uns das Vorkaufsortsgesetz, das zu

jenem Zeitpunkt allerdings noch nicht verabschiedet war, also noch

nicht angewandt werden konnte. Weitere Erkenntnisse und Informa-

tionen, die in dem etwa einstündigen Experteninterview gewonnen

wurden, finden sich bereits in anderen Kapiteln dieses Berichts, so

dass an dieser Stelle auf weitere Ausführungen verzichtet werden kann.

Das Thema Zwischennutzung kam zwar am Rande zur Sprache,

bislang jedoch setzt die Stadt primär darauf, dass die bereits beste-

henden wie auch die zukünftigen Lücken in der Blockrandbebauung

dank mittelfristig steigender Einwohnerzahlen im Ortsteil Goethe-

straße rasch durch neue Gebäude geschlossen werden. Hierzu gab

es auch schon mehrere Ideenwettbewerbe, darunter das Projekt

„15räume“, bei dem das Stadtplanungsamt als Mitveranstalter

auftrat. Vorgeschlagen wurden dabei ausschließlich moderne, zum

Teil architektonisch sehr ansprechend gestaltete Wohnhäuser, deren

Verwirklichung angesichts des Leerstands und der damit verbundenen

sozialen Problemen im Ortsteil in absehbarer Zeit allerdings wenig

aussichtsreich erscheint.

Im Übrigen bleibt anzumerken, dass die an diesem Gespräch neben

Herrn Friedrich beteiligte Frau Levknecht das Stadtplanungsamt

Bremerhaven in der Eigentümerstandortgemeinschaft Lehe e. V.

vertritt, so dass auch deren Perspektive berücksichtigt wurde.

2.5.2 BIS Bremerhaven

Bei der BIS (Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und

Stadtentwicklung mbH) handelt es sich um ein halbstaat-liches Unter-

nehmen, das von der Stadt Bremerhaven ins Leben gerufen wurde,

um Wirtschaftsförderung im Immobilien-, Infrastruktur- und Tourismus-

sektor zu betreiben. Matthias Pautzke, mit dem am 13.12.2010 ein

etwa einstündiges Experteninterview geführt wurde, ist ein langjähriger

Mitarbeiter dieser Einrichtung.

Er nimmt in Bremerhaven verschiedene Potentiale wahr: Dazu gehören

für ihn der Tourismus, welcher steigende Einnahmen generiert sowie

Page 71: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

69

nach wie vor der Fischereihafen. Darüber hinaus hat sich Bremer-

haven seiner Ansicht nach in den vergangenen Jahren als Standort für

nachhaltige Energien und hier im Speziellen im Bereich der Windkraft-

anlagen profiliert. Namhafte Hersteller wie Areva produzieren ihre

Anlagen in der Stadt. Daher ist geplant, eigens einen Hafen anzulegen,

von dem aus großdimensionierte Offshore-Windkraftanlagen auf das

offene Meer verschifft werden können. Zudem soll der Bereich Bildung

und Forschung gestärkt werden. So befindet sich in Bremerhaven

eine Niederlassung des Fraunhofer Instituts, dessen weiterer Ausbau

bereits geplant ist. Das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres-

forschung (AWI) hat in Bremerhaven einen Standort, überdies besitzt

die Stadt eine Hochschule, die sich auf den maritimen Forschungsbe-

reich konzentriert. Positiv zu vermerken ist, so Pautzke, nicht zuletzt

die konstante Nachfrage nach Gewerbefläche in der städtischen

Peripherie.

Im Zentrum von Bremerhaven wurden in der jüngeren Vergangenheit

städtebauliche Leuchtturmprojekte umgesetzt, um der städtischen

Wirtschaft neue Impulse zu geben. Unter anderem wurde dazu der

sogenannte T.I.M.E-Port geschaffen, Räume und Infrastrukturen, die

auf Gründer im IT-Bereich zugeschnitten sind. Bei der Akquise von

Fördermitteln wurde hierbei auch Lehe mit einbezogen.

Der Stadtteil Lehe hat aus Pautzkes Sicht vor allem ein Imageproblem,

ähnlich wie Bremerhaven aus gesamtdeutscher Sicht. Von Seiten der

BIS wurden zur Vermarktung des Wirtschaftsstandorts Bremerhaven

schon diverse Marketingstrategien umgesetzt, allerdings sieht Pautzke

die negative Presse immer wieder dafür verantwortlich, dass alle

Anstrengungen eines „Imagewechsels“ bislang eher erfolglos geblieben

seien. In Lehe erkennt er Potential nördlich der Grimsbruchstraße im

Kisterquartier: Auf dem ungenutzten Areal könne gewerbliche Nutzung

umgesetzt werden.

Für den Ortsteil Goethestraße sind von Seiten der BIS aktuell keine

Maßnahmen geplant, allerdings glaubt Pautzke, dass am ehesten

eine Identifikationsfigur, die sich der Probleme annimmt, die Situation

verbessern könnte. Bei neuen Projekten müsse in Zukunft zudem

grundsätzlich darauf geachtet werden, ein neues Aktionsschema

zu entwickeln. Bisher, so Pautzke, werde zu häufig als erstes nach

Fördermitteln verlangt.

Page 72: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

70

2.5.3 Stäwog – Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH

Interviewpartner bei der Stäwog, der Städtischen Wohnungsgesell-

schaft Bremerhaven, war am 13.12.2010 ihr Geschäftsführer Christian

Bruns. Vor seiner Tätigkeit bei dem Unternehmen war Herr Bruns 16

Jahre lang bei der GEWOBA beschäftigt, einem überwiegend im Land

Bremen tätigen Wohnungsunternehmen und Immobilien-Dienstleister,

dessen Hauptaktionär die Stadt Bremen ist. In dieser Stellung hat

er die Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten im Ortsteil Lehe-

Goethestraße in den 1990er Jahren aus nächster Nähe miterlebt bzw.

aktiv daran mitgewirkt. Aufgrund dieser Tatsache und weil Herr Bruns

in Bremerhaven aufgewachsen ist, besitzt er einen äußerst engen

persönlichen Bezug zu dem Viertel rund um die Goethestraße, was ihn

nach Meinung der Projektgruppe zu einem entscheidenden Akteur dort

macht.

Wie er selbst darlegte, gehen auf sein individuelles Engagement auch

einige Entscheidungen zurück, die unter rein ökonomischen Gesichts-

punkten keinen unmittelbaren Sinn ergeben. Beispielsweise erwarb die

Gesellschaft vor einigen Jahren entgeltfrei eine Immobilie im Ortsteil-

Goethestraße, in der Schleusenstraße 33, da die Eigentümerin, eine

Rentnerin, den Gründerzeitbau finanziell nicht mehr tragen konnte.

40 Jahre lang waren an und in diesem Gebäude eigentlich notwendige

Erhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen vernachlässigt worden,

so dass sich die Kosten für die Sanierung schließlich auf 2.400 Euro/

m2 summierten. Wirtschaftlich vernünftiger wäre in solch einem

Fall natürlich ein Abriss (und eventueller Neubau) des Wohnhauses

gewesen, doch für Herrn Bruns stand der Aspekt des Denkmal-

schutzes in diesem Fall im Vordergrund. Die Stäwog, 1941 als

„Wesermünder Wohnungsgesellschaft mbH“ mit 463 Wohnungen

und drei Mitarbeitern gegründet, ist eine hundertprozentige Tochter

der Stadt Bremerhaven. Heute beschäftigt das Unternehmen 61

Mitarbeiter und verwaltet Wohnraum für rund 13.000 Mieter, womit es

zu den wichtigsten Anbietern von Wohnungen und Einzelhandelsge-

schäften in der Stadt gehört. Von den rund 65.000 Mietwohnungen

in Bremerhaven gehören etwa 5.000 der Stäwog (zum Vergleich, die

GEWOBA besitzt ca. 1.000), hinzu kommen 227 gewerbliche Objekte.

Des Weiteren übernimmt die Stäwog die Hausverwaltungen für Eigen-

tümergemeinschaften, beispielsweise bei einem Personalwohnhaus für

Page 73: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

71

das Zentralkrankenhaus, einem behindertenfreundliches Mietshaus für

die Arbeiterwohlfahrt sowie bei mehreren Geschäftsgebäuden für die

BIS Bremerhaven.

Im Jahr 2009 betrugen die Umsatzerlöse der Gesellschaft 27 Mio.

Euro, ihre Bilanzsumme lag bei über 164 Mio. Euro. Hinzu kommt, dass

die Stäwog auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das Handwerk

in Bremerhaven ist: Sie nimmt regelmäßig die Dienste von etwa 150

Handwerksunternehmen für Instandsetzung, Instandhaltung, Moderni-

sierung und Sanierung von Immobilien in Anspruch. 2009 betrug das

Gesamtvolumen dieser Aufträge 11,7 Mio. Euro.

In einem knapp einstündigen Gespräch ging Herr Bruns ausführlich

auf die Probleme des Ortsteils Lehe-Goethestraße ein und legte dar,

welche Rolle die Stäwog in diesem Viertel spielt bzw. zukünftig zu

spielen gedenkt.

Zunächst stellte er dar, welche Faktoren aus seiner Sicht für den

privaten Leerstand im Ortsteil Lehe-Goethestraße verantwortlich sind.

Am Beginn dieses Prozesses stand für Herrn Bruns die Werften-

und Fischereikrise, entscheidend dazu bei trug seiner Ansicht nach

darüber hinaus der Abzug der amerikanischen Streitkräfte im Jahr

1993, wodurch sich in Bremerhaven der Wohnungsleerstand alleine

um rund 1.000 WE vergrößerte. Im Anschluss erläuterte Herr Bruns,

wie in den Folgejahren ahnungslose Privatanleger die zum Teil bereits

maroden Gebäude im Ortsteil Goethestraße gekauft hatten und sich

anschließend mit der notwendigen Sanierung finanziell überfordert

sahen (vgl. Exkurs Schrottimmobilien). Da solche Immobilien nicht

selten bis zu acht Eigentümer haben, bedeutet es zudem für die

Stäwog, die an einigen dieser Grundstücke Interesse zeigt, einen

enorm hohen Verwaltungsaufwand, alle Parteien eines Gebäudes

ausfindig zu machen. Um die Kooperation mit den verschuldeten

Eigentümern zu verbessern, arbeitet die Stäwog nach Herrn Bruns

Angaben daran, einen professionellen Schuldenberater einzusetzen,

der als Kommunikator und Mediator zwischen den betroffenen Banken

und Schuldnern agieren soll. Als weiterer Lösungsansatz böte sich an,

Immobilien, die erhaltenswert und noch nicht abbruchreif sind, unter

Denkmalschutz zu stellen, wodurch die steuerlichen Kosten zu neun

Prozent abgeschrieben werden könnten.

Page 74: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

72

Schließlich widersprach Herr Bruns der Ansicht, die zum Beispiel auch

der Gesprächspartner bei der BIS vertreten hatte, dass in Zukunft

weniger auf Fördertöpfe als auf private Initiative gesetzt werden solle.

Seiner Meinung nach geht es nur mit öffentlichen Mitteln, die Städte-

bauförderung sollte daher keinesfalls gekürzt, sondern im Gegenteil

weiter ausgebaut werden. Zumal sich, so Herr Bruns, der Einsatz

öffentlicher Gelder, über die Jahre betrachtet auch wirtschaftlich

rechne, da es durch die ausgelösten Aufwertungseffekte zu einer

Verfünffachung der ursprünglichen Mittel komme. Bedauert wurde,

dass EFRE-Fördergelder bislang nur für touristische Projekte eingesetzt

werden konnten.

Zuletzt legte der Geschäftsführer der Stäwog noch seine Vision für den

Ortsteil Goethestraße dar: Gefragt seien in Zukunft verstärkt Pioniere

wie das Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43 – ein Projekt,

das die Stäwog durch den Einbau eines neuen, extern angebrachten

Aufzugs gefördert hat, obwohl diese Maßnahme unter wirtschaftlichen

Gesichtspunkten keinen Sinn ergibt, da sich die Kosten angesichts der

niedrigen Mieten kaum jemals amortisieren werden. Allerdings könnten,

so Herr Bruns, bereits zehn solcher „Leuchtturmprojekte“ das Image

der Goethestraße dauerhaft wandeln und somit das Quartier mittel-

fristig zum Kippen bringen.

2.5.4 „Lebens(t)raum“ – Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43

Ebenfalls am 15. Dezember 2010 war die Projektgruppe eingeladen

zu einem Gespräch mit einigen Bewohnern des Projekts „Lebens-

(t)raum – Gemeinschaftliches Wohnen in der Goethestraße/Bremer-

haven“. Zum einen erhielten wir dabei eine allgemeine Einschätzung

des Ortsteils Goethestraße aus der Perspektive überwiegend älterer

Menschen, zum anderen gewannen wir interessante Einblicke in die

innovative Wohnform des Mehrgenerationenhauses. Da uns dieses

Modell aus verschiedenen Gründen geeignet erscheint, den Aufwer-

tungsprozess im Ortsteil Goethestraße zu befördern, stand zudem vor

allem die Frage der konkreten Umsetzung eines solchen Projekts im

Vordergrund.

Page 75: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

73

Die Idee dazu entstand im Herbst 2002 innerhalb eines Freundes-

kreises aus acht Frauen und Männern im Seniorenalter, die sich bereits

seit Längerem damit beschäftigt hatten, wie sie im Alter wohnen

wollen. Der Grundgedanke, den alle teilten, war ein gemeinsames

Wohnkonzept, das einerseits individuell und selbstbestimmt sein sollte,

andererseits aber auch den Aspekt der gegenseitigen Unterstützung

sowie die Möglichkeit gemeinsamer Freizeit- bzw. Alltagsgestaltung zu

berücksichtigen hatte. Die angestrebte Wohnform ähnelte damit einer

Wohngemeinschaft, mit der Ausnahme, dass sie sich auf ein gesamtes

Wohnhaus bezog. Das Konzept, das dafür entwickelt wurde, sieht

einzelne Wohnungen als privaten Rückzugsraum vor, wie man das

von der klassischen Wohnform des Mehrparteien-Hauses kennt, hinzu

kommen Gemeinschaftsräume, die den sozialen Austausch ermög-

lichen. Dadurch soll der Vereinsamung und möglichen Einschränkungen

im Alter entgegengewirkt werden. Erst während der Realisierungsphase

des Konzeptes entwickelte sich die Grundidee des Wohnens im Alter

schließlich zum Mehrgenerationswohnen weiter.

In einem weiteren Schritt musste für die Umsetzung des Konzepts eine

passende Immobilie gefunden werden, wobei zunächst völlig offen war,

in welchem Stadtteil diese liegen sollte. Um Unterstützer zu gewinnen

und auszuloten, ob ein solches Projekt breiteres Interesse weckt, arbei-

teten die Initiatoren ihre Vorstellungen schriftlich aus und verschickten

sie an verschiedene Organisationen in Bremerhaven, darunter die

Wohnungsgesellschaften Stäwog und GeWoBa, die Volkshochschule

(VHS) sowie das Bauamt.

Die Stäwog und das Bauamt nahmen sich der Idee bereitwillig an,

zudem unterstützte die VHS Bremerhaven die Gruppe intensiv in der

Realisierungsphase. 2003 etwa organisierte man Seminare und stellte

Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen die Initiatoren tagen und die

zukünftige Wohngruppe zusammenstellen konnten. Darüber hinaus

agierte die VHS als Mediator und Kommunikator für die Gruppe und

akquirierte externe Berater, um das Wissen über gemeinschaftliche

Wohnformen zu vertiefen. Schließlich nahm sie sich des Themas

„Alternative Wohnformen im Alter“ im Rahmen einer Ausstellung

an, die bereits realisierte Projekte in Deutschland zeigte. Außerdem

besuchte der erweiterte Teilnehmerkreis dieser Aktionsreihe beste-

hende Wohnprojekte in Hamburg (Lärchenhaus), Bremen (Beginenhof),

Hannover und Bleckede.

Page 76: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

74

Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43

Im Zuge der konkreten Realisierung fand dann ein partieller Austausch

der potentiellen Interessenten bzw. Bewerber statt. Dies hatte zwei

Gründe: Zum einen schreckten speziell junge Familien davor zurück,

nach Lehe zu ziehen, den Stadtteil also, für den sich die Mehrheit

der Beteiligten entschieden hatte, da sie die Sicherheit ihrer Kinder

im öffentlichen Raum gefährdet sahen. Zum anderen nahm die

Umsetzung des Projekts so viel Zeit und Energie in Anspruch, dass

Bewerber mit akutem Wohnbedarf nicht länger mitziehen konnten. Und

schließlich gab es potentielle Bewohner, die statt der innenstadtnahen

Lage einen Standort am Stadtrand präferierten, da sie auf einen großen

Garten wertlegten. Unsere Gesprächspartner hingegen bevorzugten

die Urbanität eines geschlossenen, innenstadtnahen Altbauquartiers

und waren froh, keine Gartenarbeit verrichten zu müssen, auch wenn

einzelne durchaus bedauerten, dass es in ihrer jetzigen Nachbarschaft

nur wenig Grün gibt.

Nachdem die Entscheidung für den Stadtteil Lehe bzw. den Ortsteil

Goethestraße gefallen war, bot die Stäwog den Initiatoren mehrere

Objekte im Quartier an. Darunter stellte sich der Gründerzeitbau in

der Goethestraße 43 als am geeignetsten heraus, da dort genügend

Raum für gemeinschaftliche Nutzungen zur Verfügung stand und sich

zudem im Innenhof ein Aufzug einbauen ließ, der für altengerechtes

Wohnen unabdingbar war. Die Umbaumaßnahmen führte die Stäwog

Page 77: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

75

in enger Absprache mit den künftigen Mietern durch. Dabei wurde

das Treppenhaus saniert und der erwähnte Fahrstuhl installiert, die

historischen aber zu kleinen Balkone wurden durch größere ersetzt und

die Gemeinschaftsräume ausgebaut oder erweitert. Weitere Sonder-

wünsche der zukünftigen Mieter kalkulierten und finanzierten diese

selbst. Die Kosten für den Umbau in Höhe von rund 1 Mio. Euro trug

größtenteils die Stäwog, im Gegenzug bekam sie Mieteinnahmen über

einen Zeitraum von zehn Jahren vertraglich zugesicherte, die Unter-

zeichnung der Verträge fand vor Baubeginn statt.

Bei einer Führung durch das Haus, das 1903 erbaut wurde und unter

Denkmalschutz steht, bekamen wir einen Eindruck vom Inneren dieses

Wohnprojekts. In zehn Wohneinheiten, die jeweils zwei bis vier Zimmer

haben, leben drei Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie,

das jüngste Mitglied der Hausgemeinschaft ist fünf, das älteste 77

Jahre alt. Die Wohnung im Parterre wird gemeinschaftlich genutzt,

neben einem Gemeinschaftsraum, der regelmäßig auch von externen

Gruppen und kleineren Vereinen angemietet wird, finden sich dort

Bad und Küche, ein Atelier, eine Werkstatt sowie eine Saune, die

nach Fertigstellung des Hauses eingebaut wurde. Im Innenhof gibt es

einen gemeinsamen Garten, der Dachboden wurde zum Freizeitraum

umfunktioniert und mit Fitness-Geräten und einem Billardtisch

ausgestattet.

Einmal im Monat finden sich alle Bewohner zusammen, um über

sämtliche Belange des gemeinschaftlichen Lebens zu diskutieren,

Kosten zu kalkulieren und Beschlüsse zu fassen. Zugleich soll damit

das nachbarschaftliche Verhältnis und die Vernetzung gefördert

werden. Gemeinsam genutzte Räume wie Werkstatt, Atelier oder

Dachboden verwalten die jeweiligen Hauptnutzer, da diese erfahrungs-

gemäß bereitwilliger die Verantwortung tragen. Seit 2006 verfügt das

„Haus 43“, wie es in diesem Bericht auch gelegentlich genannt wird,

über einen Internetauftritt (www.wohnprojekt-bremerhaven.de), auf

dem über die Konzept, Entstehung und Umsetzung des Wohnprojekts

informiert wird.

Währen des Gesprächs wurde nicht zuletzt auch thematisiert, welche

Auswirkungen das Mehrgenerationenhaus auf den Ortsteil Goethe-

straße hat. Die Bewohner meinten, einen deutlichen Aufwertungseffekt

für die nähere Umgebung ausmachen zu können und sahen positive

Folgen für das Image des Gebiets auch über die Grenzen Bremer-

Page 78: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

76

havens hinaus. Seit Bestehen der Gemeinschaft reagiert offensichtlich

nach und nach die Nachbarschaft auf das gepflegte Erscheinungsbild

des Hauses, indem beispielsweise Fensterscheiben regelmäßiger

geputzt, Gardinen erneuert oder Hauseingänge instandgesetzt werden.

Jährlich veranstalten die Bewohner einen Tag der offenen Tür sowie

mehrere Grillabende, als weiteres Engagement kommt die Beratung

von an ähnlichen Wohnprojekten Interessierten aus anderen Städten

hinzu.

Das Wohnprojekt „Lebens(t)raum“ ist zwar nicht das einzige im Ortsteil

Goethestraße (daneben existiert ein weiteres dieser Art), aber fraglos

das mit Abstand erfolgreichste, und stellt als solches einen wichtigen

Akteur dar. Zu verdanken ist es dem Einsatz und Durchhaltevermögen

einiger weniger Personen, darüber hinaus erscheint die Unterstützung

durch bestimmte Institutionen, insbesondere einer Wohnungsgesell-

schaften unabdingbar.

2.5.5 „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“

Durch Umnutzung eines ehemaligen Schulgebäudes, der Theodor-

Storm-Grundschule, entstand 2006 im Ortsteil Goethestraße „die

theo für Arbeit, Familie und Kultur“. Geboren wurde das Projekt aus

der Überlegung heraus, dass nach Schließung der Schule – bedingt

durch Wegzug und demografischen Wandel – eine weitere Brache

unbedingt vermieden werden sollte. Daher wurde nach einer neuen

Funktion für das schöne alte Gebäude gesucht. Initiator war das

Arbeitsförderungszentrum Bremerhaven (AFZ), das das Ziel verfolgte,

durch Zusammenführung und Vernetzung von arbeitsmarktpolitischen,

familienorientierten, sozialen und kulturellen Aktivitäten in einem Haus

den Stadtteil Lehe aufzuwerten und sein Image zu verbessern. Das

Konzept beinhaltet drei Schwerpunkte: Arbeit, Familie und Kultur. Im

Vordergrund steht zwar die Arbeitsvermittlung und Existenzsicherung,

doch wussten die Verantwortlichen, dass die gesamte Situation eines

Menschen in Not betrachtet werden muss, um sinnvoll helfen zu

können.

Am Beginn des Projekts fand sich eine große Runde möglicher Koope-

rationspartnern zusammen, die vom AFZ eingeladen worden waren.

Page 79: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

77

Dabei wurden Ideen für mögliche Nutzungen gesammelt, die nach

und nach verpflichtend wurden: Für jeden Vorschlag sollte es einen

tatsächlich Verantwortlichen geben, der in der Lage ist, diesen auch

umzusetzen. Aus diesem Grund wurde nicht jede Idee automatisch

akzeptiert, sondern die Leitung des Projekts behielt im gesamten

Planungsprozess die Federführung. So wurde die Runde sukzessive

immer kleiner, bis sie nur noch aus zukünftigen Mietern bestand. Noch

vor dem Umbau waren 80 Prozent der geplanten Geschossfläche

vermietet. Über die eigentliche Arbeit, die im Haus selbst geleistet

wird, hinaus sollte das Projekt auch durch seine Ausstrahlwirkung zur

Aufwertung der Umgebung beitragen helfen.

Insgesamt wurden für den Umbau der ehemaligen Theodor-

Storm-Schule zum „Haus für Arbeit, Familie und Kultur“ 2,6 Mio.

Euro benötigt, die aus Mitteln der europäischen Union (URBAN 2),

verschiedenen Strukturfonds des Bundes und des Landes (EFRE

und ESF), dem Stadtumbau West-Programm sowie kommunalen

Arbeitsmarktfördertöpfen stammten. Bemerkenswert ist, dass

die im Voraus eingeplante Summe nicht überschritten wurde. Am

Umbauprozess beteiligt waren neben Seestadt Immobilien, einem

Eigenbetrieb der Stadt Bremerhaven, der alle städtischen und städtisch

genutzten Immobilien verwaltet, zahlreiche Handwerksbetriebe sowie

Erwerbslose. Der Eigentümer des Gebäudes ist weiterhin die Stadt

Bremerhaven, verwaltet wird es durch Seestadt Immobilien. „Die theo“

wurde als innovatives und soziales Projekt vielfach ausgezeichnet und

trägt sich dank einer hohen Auslastung der zur Verfügung stehenden

Räume von Anfang an selbst.

Vielfältige Nutzungen sind hier unter einem Dach vereint: Neben der

Agentur für Arbeit gehören unter anderem eine Schuldnerberatung,

eine Kinderkrippe, ein Kulturbüro und eine Filmdokumentationsfirma

zu den festen Mietern, darüber hinaus gibt es eine Existenzgründe-

retage mit einem flexiblen Raumangebot, für die eine lange Warteliste

existiert. Desweiteren befindet sich ein Restaurant in der ehema-

ligen Turnhalle der Schule. Die vielfältigen kulturellen Einrichtungen

und Veranstaltungen werden sehr gut angenommen, Angebote für

Jugendliche stehen allerdings nur sehr begrenzt zur Verfügung. Dies

ist jedoch eine bewusste Entscheidung, da sich in der unmittelbaren

Nachbarschaft der Lehe-treff, eine Jugendfreizeiteinrichtung, befindet,

mit der „die theo“ nicht in Konkurrenz treten soll. Nicht zuletzt finden

in den Räumlichkeiten auch Feiern, Veranstaltungen, Konferenzen und

Page 80: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

78

Tagungen statt, eine schöne Jugendstil-Aula sowie modern ausge-

stattete Konferenzräume können auch von Externen für Veranstaltung

angemietet werden.

Zweimal im Jahr findet ein Mietertreffen statt, auf denen die drin-

gendsten Anliegen diskutiert sowie mögliche kleinere Projekte, welche

gemeinschaftlich durchgeführt werden sollen, organisiert werden.

Dazu gehören zum Beispiel einmal pro Jahr ein Tag der offenen Tür

oder die Lange Nacht der Kultur, bei der das Angebot der „theo“ einer

breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Mieter besitzen dabei eine

große Verantwortung und müssen Ideen selbständig organisieren und

umsetzen, da kein Hausmanagement vorhanden ist.

Ein wichtiger Bestandteil des Hauses ist die sogenannte Existenz-

gründeretage, auf der Selbstständige aus unterschiedlichen Branchen

bezahlbaren Büroraum finden. Ab 100 Euro monatlich inklusive

Nebenkosten kann man hier einen Büroplatz mieten, der mit Tisch,

Stuhl und Schränken ausgestattet ist, neben Einzelbüros existieren

auch solche für bis zu vier Personen. Nach Bedarf kann ein Internetan-

schluss eingerichtet werden, um den sich die Mieter allerdings selbst

kümmern müssen. Derzeitige Mieter sind Programmierer, Handwerker,

Sicherheitsdienste, eine Versicherung, eine Unternehmensberatung, ein

Veranstalter von Kindergeburtstagen sowie eine Maklerin. Insgesamt

gibt es 16 Plätze, von denen zwei derzeit nicht belegt sind. Die

Verträge sind begrenzt auf jeweils drei Jahre, einmalig können sie

für zwei Jahre verlängert werden. Die Existenzgründer werden nach

Möglichkeit unterstützt, etwa, indem eine Einschätzung der Tragfä-

higkeit des Geschäftskonzepts vorgenommen wird. Darüber hinaus

werden regelmäßig Workshops für Gewerbetreibende veranstaltet. In

erster Linie allerdings ist es das Ziel der Verantwortlichen, Eigenenga-

gement zu fördern.

Öffentlichkeitsarbeit wir von der theo aufgrund der knappen Finanzlage

nur sehr begrenzt betrieben. Es existiert jedoch eine Internetseite

(www.die-theo.de ), die von den festen Mietern mitgestaltet wird,

außerdem beteiligt sich „die theo“ an Veranstaltungen im Quartier und

erstellt gelegentlich Flyer.

Das inklusive Hausführung rund anderthalbstündige Informationsge-

spräch wurde im Januar 2011 mit den beiden Vertreterinnen des AFZ,

Frau Anja Mengel und Frau Annabell Hänchen, geführt. Einige der

Page 81: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“

79

wesentlichen Überlegungen und Vorschläge, die dabei zur Sprache

kamen, sollen an dieser Stelle kurz wiedergegeben werden. Für die

Konzeption unseres eigenen Projekts relevant ist beispielsweise die

Tatsache, dass die Leitung der „theo“ an der Brachfläche, die vor

kurzem durch den Abriss einer Schrottimmobilie direkt gegenüber des

Gebäudes entstanden ist, großes Interesse hat: Vor allem bei größeren

Veranstaltungen fehlt es der Einrichtung an Parkplätzen.

Bedauert wurde, dass momentan kein Konzept existiert, wie mit den

Baulücken umgegangen werden soll. Die vermüllten oder mit Brettern

vernagelten leerstehenden Grundstücke jedoch haben nach Ansicht

unserer Gesprächspartnerinnen auf jeden Fall negative Auswirkungen

auf das Gebiet und tragen zum weiteren Verfall bei. Grünflächen in

den Brachen wurden tendenziell befürwortet, allerdings wurde auch

zu bedenken gegeben, dass sich darum jemand kümmern muss. Als

Lösung für dieses Problem schlug Frau Mengel vor, die Parzellen an

die anliegenden Häuser anzubinden und zu privaten Schrebergärten

umzufunktionieren. Eine weitere sinnvolle Nutzungsidee könnte ihrer

Meinung nach eine Hundewiese sein, da es im Ortsteil Goethestraße

viele Hundehalter gibt, jedoch keine Plätze, wo die Tiere ihr Geschäft

verrichten können. Die Gehwege im Viertel sind folglich stark mit

Hundekot verunreinigt, wie auch uns immer wieder auffiel, zumal es

vielen Bewohnern, so Frau Mengel, offensichtlich an Verantwortungs-

bewusstsein fehlt.

Page 82: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

80

Auch für ähnliche Konzepte wie „die theo“ gäbe es nach Ansicht

der beiden AFZ-Mitarbeiterinnen noch Bedarf. Als vielversprechend

betrachten sie zum Beispiel ein Haus für Existenzgründer, welches

sich einem bestimmten Thema bzw. einer Branche widmet, etwa der

Gesundheit oder der Schönheitspflege. Nach Einschätzung unserer

Gesprächspartnerinnen ließen sich mit einer solchen Idee auch leichter

Fördergelder finden. Allgemein wurde angemerkt, dass bei allen

geplanten Maßnahmen mögliche Multiplikationseffekte berücksichtigt

werden müssten, um bereits im Vorfeld beurteilen zu können, wie viel

ein angestrebtes Projekt tatsächlich zur Aufwertung des Quartiers

beiträgt.

Das ursprüngliche Ziel, mithilfe der „theo“ die Aufwertung im Quartier

zu forcieren, gelang in dieser Hinsicht wohl nur zum Teil: Einige Häuser

in der Nähe wurden saniert, allerdings scheint die Ausstrahlungs-

wirkung der Institution noch nicht allzu weit zu reichen, da jenseits der

unmittelbaren Umgebung keine Verbesserungen zu beobachten sind.

Dennoch stellt diese Einrichtung nach drei Jahren des Bestehens auf

jeden Fall einen äußerst aktiven Akteur im Quartier dar.

2.5.6 Designlabor Bremerhaven

Am Geestehafen, wo historische Backsteinspeicher und schicke

Loftwohnungen an der Wasserkante ein wenig an die Hamburger

HafenCity erinnern, befindet sich in einem unscheinbaren grauen

Gebäude, welches ehemals als Fährhaus diente, das Designlabor

Bremerhaven. Innen überrascht es mit einem riesigen lichtdurchfluteten

Dachgeschoss mit Designermöbeln und englischsprachigen Zitaten an

den Wänden.

Mit der seit 1995 bestehenden Einrichtung hat sich Bremerhaven

zum Ziel gesetzt, als in hohem Maße vom Strukturwandel betroffene

Stadt vom Boom der „Creative Industries“ zu profitieren. Erforscht

werden sollen hier die Möglichkeiten interdisziplinärer Gestaltung für

die Zukunft. So erarbeiten die Teams des Designlabors Konzepte für

Wirtschaft und Wissenschaft, fördern den Austausch von Ideen sowie

die Entwicklung neuartiger Konzepte für den Markt und dienen somit

als Impulsgeber für Innovationen in der Region. Initiiert wurde das

Projekt von der Wirtschaftsförderung Bremen, außerdem erhält es

Page 83: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

81

Mittel von der Europäischen Union. Das Institut gehört zur Einrichtung

der Bremer Design GmbH, und die Freie Hansestadt Bremen vergibt

regelmäßig Stipendien an junge Diplomdesigner aus dem europäischen

Raum, die im Designlabor Bremerhaven ein Team auf Zeit bilden. 2008

beispielsweise trafen dort mehr als 70 Bewerbungen von Nachwuchs-

gestaltern aus 15 europäischen Ländern ein. Als Projektleiter stehen

international renommierte Designspezialisten zur Verfügung, neben den

sechsmonatigen Projekten sind Beratung, Workshops und Ausstel-

lungen weitere wichtige Bestandteile der Arbeit des Labors.

Unser Gesprächspartner am 6. April 2011 war Holger Kattert, der

Projektmanager dieser Einrichtung. Er stellte uns zwei interessante

Projekte der vergangenen Jahre vor, von denen das erste den Titel

trug: „Verlorene Orte im Stadtraum – neue Perspektiven für den Laden-

leerstand“. Auftraggeber dieses Projekts war das Stadtplanungsamt

Bremerhaven, das sich davon neue, konzeptorientierte Ideen aus einer

innovativen Perspektive erhoffte. Von besonderer Relevanz für unser

P3-Projekt war die Tatsache, dass das Projekt des Designlabors in der

Hafenstraße umgesetzt wurde, die ja zugleich Teil des eigenen Projekt-

gebiets ist und als ehemals florierende Einkaufsstraße seit geraumer

Zeit eine hohe Leerstandsquote aufweist.

Eines der leerstehenden Ladenlokale wurde vom Designlabor

angemietet und von den Stipendiaten mit einfachen Mitteln in Selbst-

arbeit renoviert und gestaltet. Interessant ist in diesem Zusammenhang,

dass es trotz der offensichtlichen Verfügbarkeit geeigneter Läden

schwierig war, einen zu finden, der überhaupt zur Vermietung stand.

Zum einen fürchten sich viele Vermieter vor Mietnomaden, welche nicht

nur keine Miete bezahlen, sondern nach dem Auszug auch ein totales

Chaos hinterlassen, zum anderen scheinen viele Vermieter bereits

resigniert zu haben, so dass sie weder postalisch noch telefonisch zu

erreichen sind. Ihre Läden sind oft schmutzig und vollgestellt mit alten

Kisten, enthalten jedoch keinerlei Informationen für potentielle Mieter.

Mit ein wenig frischer Farbe und einem seriösen Schild, so Herr Kattert,

wären dagegen rasch eventuelle Interessenten gefunden. Schließlich

gibt es drittens auch einige Optimisten unter den Vermietern, die auf

bessere Zeiten hoffen und ihren Laden nicht zum derzeitigen Marktpreis

anbieten wollen.

Nach längerer Suche konnte jedoch ein ehemaliger Schuhladen für eine

geringe Miete übernommen werden. Dort bot sich den Stipendiaten

Page 84: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

82

des Designlabors die Möglichkeit, unterschiedliche Nutzungen für

leerstehende Geschäfte zu testen. In der Renovierungsphase, welche

bereits viel Aufmerksamkeit innerhalb des Viertel erzeugte, erhielt der

Laden durch einfache, aber konsequent umgesetzte Designelemente,

wie beispielsweise ein wiederkehrendes Logo, die Farbe Grün und

Einrichtungsgegenstände aus recycelten Materialien, eine ungewöhn-

liche Gestaltung. Im Folgenden sah das Konzept eine zweimonatige

Projektlaufzeit vor, welche sich in drei aufeinanderfolgende Phasen aus

Galerie, Mediencafé und Verkaufslokal für Designprodukte gliederte.

Die Eröffnung des neuen Ladenlokals in der Hafenstraße 73 unter dem

Namen „vorübergehend* geöffnet“ erfolgte mit einer Fotoausstellung

der Stipendiaten, welche den Blick von außen auf Bremerhaven

einfangen sollte. Bei dieser Gelegenheit wurden Einwegkameras an

die Besucher verteilt, mit denen diese selbst zum Thema „Heimatliebe“

Fotos ihrer jeweiligen Lieblingsorte in Bremerhaven schießen konnten,

um damit an einem Wettbewerb teilzunehmen. Die Rücklaufquote der

Kameras lag bis zur zweiten Vernissage, bei welcher die Gewinner

dieses Wettbewerbs prämiert werden sollten, bei rund 90 Prozent.

Die zahlreichen Teilnehmer wie auch die Galeriebesucher der ersten

Ausstellung konnten somit ein weiteres Mal in die Hafenstraße geladen

werden, zudem schmückten die Siegerfotos in der Folgezeit das Café,

welches der Galerienutzung folgte.

In dieser zweiten Konzeptphase, dem Mediencafé, richteten die Stipen-

diaten des Designlabors einen kleinen Cafébetrieb ein und installierten

ein großes Regal, in welches die Besucher Bücher einstellen sollten,

die dann von anderen im Café gelesen bzw. angesehen oder aber

mitgenommen werden konnten. Während der dritten Phase schließlich

wurden Designgegenständen von befreundeten Künstlern verkauft,

hinzu kamen eine kleine eigene Kollektion sowie das selbst entworfene

Mobiliar aus dem Café, welches sich als besonders begehrt erwies.

Die Besucherzahlen des Ladens waren sehr unterschiedlich,

Spitzenwerte wurden jeweils zur Eröffnung einer neuen Phase und an

Wochenenden registriert. Die meisten Besucher, so Herr Kattert, waren

„die üblichen Verdächtigen“, also kunst- und designaffine Personen,

daneben nahmen aber auch Anwohner aus Lehe das Angebot

wahr. Offensichtlich bestanden jedoch bei manchen auch Barrieren:

Bestimmte Personen saßen zwar jeden Tag auf den Sitzgelegenheiten

vor dem Café, betraten dieses aber nie. Die Wunschvorstellung

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83

der Veranstalter war es gewesen, das Konzept einem Nachfolger

an die Hand zu geben, um so „vorübergehend*geöffnet“ zu einer

festen Institution in der Hafenstraße zu machen, was allerdings an

mangelndem Interesse scheiterte.

Ein nachfolgendes Projekt mit dem Titel „Projekt Brache – Verlorene

Orte 2“, das uns Herr Kattert ebenfalls vorstellte, beschäftigte sich mit

dem kreativen Umgang mit Freiräumen in schrumpfenden Städten. Im

Fokus stand dabei die Erschließung einer Brachfläche für die öffent-

liche Nutzung in Bremerhaven-Geestemünde. Städtebauliche und

gestalterische Interventionen für die konkrete Umsetzung in der Brache

wurden zunächst angeleitet und werden nun, nach Projektende, von

Stadtteilbewohnern weitergeführt. Aus Fehlern beim vorangegangenen

Ladenleerstandsprojekt wurden die Lehren gezogen, dass eine aktive

Öffentlichkeitsarbeit, etwa durch die Berichterstattung in der Norde-

ezeitung, notwendig ist und dass die Anwohner integriert werden

müssen:

„Die Erfahrung aus Vorgängerprojekten zeigt, dass Revitalisierung

möglich ist, wenn gestalterische Interventionen von den Bürgern als

Chance begriffen werden, ein Stück neue Lebensqualität in ihrem

Umfeld zu entwickeln. Das Designlabor wird daher die Akteure aus der

Stadt in die aktive Mitgestaltung einbeziehen. Zu diesem Zweck wurde

eigens ein Laden an der Georgstraße in Bremerhaven angemietet, um

vor Ort mit den Bürgern gemeinsam Ideen zur kreativen Rückeroberung

von Freiräumen zu entwickeln. In einem Workshop wurde zum

Beispiel aus alten Ästen von der Brachfläche Hocker gebaut oder es

wurde gemeinsam mit dem Kindergarten zu Weihnachten die Bäume

geschmückt“ (Designlabor Bremerhaven).

Viel Wert legte Herr Kattert schließlich auf die Feststellung, dass es

in Bremerhaven genügend Projekte unter dem sozialen Mantel gebe.

Worauf es in Zukunft dagegen vermehrt ankäme, sei eine aktive

Förderung der Bewohner, um sie dazu zu animieren, eigene Ideen

umzusetzen. Oft fehle allerdings auch schlichtweg das Wissen, wie

man ein Problem angeht, wie auch das Beispiel der Brachflächen in

Lehe zeige. Zudem herrsche vielfach Unklarheit über die Besitzverhält-

nisse und damit die Furcht, sich eine Brachfläche anzueignen. Nach

Meinung Herrn Katterts ist bei neuen Projekten das Entscheidende

ein hoher Innovationsgehalt, es sollte also nach Möglichkeit etwas

völlig Neues, noch nie Dagewesenes ins Viertel getragen werden,

Page 86: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

84

das zudem durch gutes Design mit großem Wiedererkennungswert

besticht. Andererseits sollte man dabei die Erwartungen nicht zu hoch

ansetzen, so Kattert, da es in kleineren Städten wie Bremerhaven an

der kreativen, künstlerischen und studentischen Szene fehlt, die für

Stadterneuerungsprozesse bzw. die Initiierung von alternativen Stadt-

gestaltungen so wichtig ist, wie man beispielsweise an Berlin sehen

kann.

Zweifellos stellt das Designlabor Bremerhaven ein großes Potential

auch für den Ortsteil Goethestraße dar. Fruchtbar könnte unter

Umständen eine Kooperation der Institution mit der „theo“ sein, da

einerseits das Designlabor das nötige Know-how im Bereich Design,

Produktgestaltung und kreativer Ideenfindung besitzt, während die

Theo durch ihre Stadtteilarbeit viel mit den Menschen im Quartier in

Kontakt kommt, Räumlichkeiten zur Verfügung stellen kann sowie viel

Kompetenz im sozialen und wirtschaftlichen Bereich mitbringt.

Page 87: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

85

2.6 Zwischenfazit: Zentrale erkenntnisse der analyse

In einem Zwischenfazit sollen die wichtigsten Erkenntnisse aus der

Analyse hier noch einmal kurz zusammengefasst werden. Der Fokus

liegt dabei auf jenen Punkten, die sich für das Konzept als besonders

relevant erwiesen haben, aus denen also Handlungsfelder und Zielset-

zungen für die weitere Arbeit abgeleitet wurden:

1. Der Leerstand im Quartier, bedingt durch starke Abwanderungs-

tendenzen, schreitet voran und stellt ein enormes Problem dar. Dabei

verteilen sich allerdings Leerstände wie auch Lücken nicht gleichmäßig

über den gesamten Ortsteil, sondern konzentrieren sich an bestimmten

Stellen. Ein Abriss maroder Gebäude ist in vielen Fällen mittlerweile

kaum noch zu vermeiden, es werden folglich weitere Baulücken

hinzukommen.

2. Die klassischen Instrumente der Stadtplanung alleine scheinen ganz

offenbar nicht auszureichen, um das Viertel nachhaltig zu stabilisieren,

geschweige denn aufzuwerten. Durch diverse Stadtumbauprojekte

und Förderprogramme wurden zwar an einzelnen Stellen bauliche

Verbesserungen erreicht – die wie „die theo“ auch die soziale Infra-

struktur stärken – diese können aber die Abwärtsspirale, in dem sich

der Ortsteil Goethestraße befindet, bislang nicht aufhalten. Ein Problem

in diesem Zusammenhang ist zweifellos die starke Abhängigkeit von

öffentlichen Geldern (die in Zeiten leerer Gemiendekassen zukünftig

zudem eher spärlicher als bisher fließen dürften). Neben den finanziellen

Mitteln sind auch die personellen Ressourcen der Stadtplanung in

Bremerhaven beschränkt. Andererseits finden sich in- und außerhalb

des Ortsteils zahlreiche engagierte Akteure, sowohl aus dem zivilgesell-

schaftlichen als auch aus dem institutionellen Bereich.

3. Die Bremerhavener Wirtschaft wurde in den vergangenen

Jahrzehnten von mehreren Strukturkrisen hart getroffen, unzählige

Arbeitsplätze in hafenabhängigen Betrieben gingen dabei verloren.

Hinzu kam der Abzug der amerikansichen Streitkräfte, der auf Kaufkraft

wie Arbeitsmarkt ebenfalls nachteilige Effekte hatte. Mittlerweile setzt

die Stadt recht erfolgreich auf die Förderung und Neuansiedlung von

Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, der Logistik

sowie der Nahrungsmitteltechnologie, daneben existieren diverse

Forschungs- und Hochschuleinrichtungen, deren Beschäftigtenzahl

Page 88: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

86

aller Voraussicht nach weiter zunehmen wird. Allerdings bietet der

tertiäre, größtenteils stark wissensbasierte Sektor so gut wie keine

Arbeitsplätze für jene gering Qualifizierten, die zuvor im primären

(Fischfang) und sekundären (v. a. Schiffbau) Sektor tätig waren. Die

Arbeitslosigkeit in der Gesamtstadt ist hoch, wird allerdings noch weit

übertroffen von der Quote, die der Ortsteil Goethestraße zu verzeichen

hat. Andererseits scheint es dort sehr viele potentielle Existenzgründer

zu geben, wie etwa die lange Warteliste der „theo“ belegt. Zugleich

zeigt sich, dass trotz des Leerstands vielfach geeignete Räume fehlen.

4. Der Ortsteil Goethestraße verfügt aufgrund der baulichen Mängel

wie der sozialen Probleme über ein extem schlechtes Image in

Bremerhaven. Allerdings ist er weder bei den Bewohnern noch in

der Gesamtbevölkerung als „Quartier“ im Bewusstsein, sondern wird

dem Stadtteil, zu dem er gehört, d. h. Lehe, zugerechnet. Potentiell

attraktiv ist er als Wohnstandort aufgrund seiner sehr zentralen Lage,

zudem hebt er sich wegen der besonderen städtebaulichen Struktur

und des hohen Altbaubestands deutlich von anderen Bremerhavener

Vierteln ab, er besitz damit gewissermaßen ein Alleinstellungsmerkmal

innerhalb der Stadt.

Page 89: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

87

2.7 Potentialkarten

Methodisch wie inhaltlich (sowie auch im Hinblick auf den Projekt-

verlauf) sind die Potentialkarten zwischen Analyse und Konzept

angesiedelt. Sie wurden zu einem Zeitpunkt erstellt, als die Analyse

bereits abgeschlossen und das Konzept, die Toolbox, in Grundzügen

entwickelt war. Die Notwendigkeit, einer solchen Karte zeigte sich, als

bei der Erarbeitung der ersten Tools die Frage auftauchte, wo diese

im Projektgebiet konkret zu verorten seien. Erst wenn dies geklärt ist,

lässt sich nämlich mit einiger Gewissheit beurteilen, ob und wie die

vorgeschlagenen Projekte, die in anderen Städten bereits funktionieren,

auf das Quartier übertragbar sind. Bei einer weiteren Ortsbegehung

wurden daher also die räumlichen Potentiale noch einmal gesondert

untersucht und in drei Karten dargestellt, die die Bestandskarten zu

Gebäudezustand, Leerstand und Nutzungsstruktur ergänzen.

Auf der Übersichtskarte (Abb. 30) lässt sich zunächst einmal ablesen,

welche Bedeutung die Hafenstraße für die Nahversorgung besitzt:

Praktisch alle Geschäfte im Untersuchungsgebiet konzentrieren

sich entlang dieser Achse, die trotz vereinzeltem Ladenleerstand im

Großen und Ganzen „funktioniert“. Einige wenige Nahversorgungs-

einrichtungen befinden sich darüber hinaus in der zentral gelegenen

Goethestraße, die im Norden zudem einen kleinen, beinahe trichter-

förmigen Platz besitzt, der wie eine Art Quartierseingang wirkt bzw.

als solcher fungieren könnte. Desweiteren dargestellt ist die fußläufige

Entfernung zum Wasser, d. h. zum Hafen in der Wesermündung,

sowie zur Innenstadt. Die vom Vorkaufsortsgesetz betroffenen Häuser

dürfen insofern als Potentiale gelten, da sie – im Gegensatz zu anderen

Schrottimmobilien, die unter Umständen noch über Jahre hinweg ihre

negative Wirkung verbreiten – in Kürze abgerissen werden, so dass die

Grundstücke für eine neue Nutzung zur Verfügung stehen. Schließlich

finden sich in der Karte zwei horizontale Zäsuren, von denen die erste

auf Höhe der Kistnerstraße eine Änderung der Nutzungsstruktur der

Goethestraße markiert: Während im nördlichen Teil noch Ladenlokale

zu finden sind, existieren solche im südlichen Abschnitt der Straße nicht

mehr. Die Zollinlandstraße, eine Parallelstraße weiter südlich, stellt zum

einen eine Zäsur im Hinblick auf den Charakter der Goethestraße dar,

die sich ab hier verengt und von einer zentralen Erschließungsstraße zu

einer reinen Anliegerstraße wird. Zum anderen verändert sich südlich

davon auch die städtebauliche Struktur, da dort zahlreiche Nachkriegs-

Page 90: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

88

gebäude die gründerzeitlichen Blöcke ergänzen bzw. schließen und

zudem die Geschosshöhe tendenziell abnimmt, in einigen Straßen auf

nur noch zwei bis drei Stockwerke.

Bereits vermerkt sind auf der Übersichtskarte auch die beiden im

Zuge der Kartierung definierten „Keimzellen“, die im Folgenden jeweils

separat im Detail dargestellt werden (Abb. 31 und 32). Keimzelle 1

liegt im Nordosten des Gebiets, das im Vergleich zu den vorherigen

Kartendarstellungen bereits an der Frenssenstraße endet, da sich

im Zuge der Analyse ein Kerngebiet herausgebildet hat, das das

nördlich davon gelegenen Areal nicht miteinschließt (vgl. Kapitel 2.2.1).

Das „Schlüsselgebäude“ ist hier ganz eindeutig „die theo“, da sie

aufgrund ihres hervorragenden baulichen Zustands wie auch ihrer

Nutzung eine positive Wirkung oder zumindest Ausstrahlung auf ihre

Umgebung besitzt. Eventuell kann auch dem Leher Jugendtreff eine

solche Funktion zukommen. In der Umgebung der „theo“ finden sich

einige weitere Gebäude, die dank ihres guten Erhaltungszustands und

ihrer optischen Anmutung als „besonders schöne Häuser“ klassifiziert

wurden. Weshalb auch sie ein Potential darstellen, wird deutlich, wenn

man die Aussagen von Akteuren wie den Bewohnern des Mehrgene-

rationenhauses oder dem Geschäftsführer der Stäwog berücksichtigt,

dass gepflegte Gebäude die Nachbarschaft aufwerten (während

umgekehrt marode Häuser benachbarte „anstecken“ können). Gastro-

nomische Einrichtungen, Spielplätze, besonders schöne begrünte

Innenhöfe sowie ein erhöhtes Passantenaufkommen zählen aus

jeweils nachvollziehbaren Gründen ebenfalls zu den Potentialen, zu

denen nicht zuletzt auch die Brachflächen zu zählen sind, auch wenn

sie momentan zum Teil noch durch physische Barrieren, d. h. Zäune,

abgetrennt sind.

Die zweite Keimzelle liegt sehr zentral im Zentrum des Quartiers, ihr

Kern befindet sich in der Goethestraße etwa auf Höhe der Adolfstraße.

Dieser Abschnitt der von Nord nach Süd verlaufenden Mittelachse,

die dem Ortsteil ihren Namen gibt, weist eindeutig den stärksten

Passantenverkehr auf, außerdem spielen hier zahlreiche Kinder auf

der verkehrsberuhigten Straße und den breiten Gehwegen. Neben

baumbestandenen Innenhöfen fallen die zum Teil liebevoll gepflegten

und bepflanzten kleinen Vorgärten vor allem auf der westlichen Seite

der Goethestraße auf. Nahversorgungseinrichtungen, Gastronomie und

ein Friseur finden sich hier ebenso wie soziale Einrichtungen, etwa die

Kindernachmittagsbetreuung Rückenwind e. V. (s. dazu auch Kapitel

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92

Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße

Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1

Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2

4.1), hinzu kommt als eines der Schlüsselgebäude das Mehrgenerati-

onenhaus in der Goethestraße 43. Als potentielles Schlüsselgebäude

wurde zudem ein Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße

ausgemacht, das momentan leersteht, aber dank seiner exponierten

Lage für vielfältige Nutzungen infrage kommt. Unbesetzte Räume

stellen daneben zwei kleinere Brachflächen in Baulücken dar.

Page 95: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

93

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Page 97: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

3. Konzept

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96

Abbildung 33: Eines der prämierten Bilder der Kinder-Fotosafari

Page 99: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

97

3.1 Zentrale Projektfragen

Auf Grundlage der wichtigsten Analyseerkenntnisse formulierte die

Gruppe im weiteren Projektverlauf eine Reihe von Fragen, aus denen

wiederum die Leitgedanken und zentralen Kategorien des Konzepts

abgeleitet wurden. Um diesen Prozess auch im Rahmen dieses

Berichts anschaulich und nachvollziehbar zu machen, entspricht dabei

je eine Frage einem der unter Kapitel 2.7 aufgeführten Punkte, die

ebenfalls bereits vier Oberthemen zugeordnet sind.

1. Zweifellos stellt die hohe Leerstandquote im Ortsteil Goethestraße

ein großes Problem dar. Der Verfall vieler davon betroffener Gebäude

schreitet voran, was sich wiederum negativ auf die noch intakten

Gebäude, auf die Lebensumstände der Bewohner sowie nicht zuletzt

auch auf das Image des Viertels auswirkt. Einen ähnlichen Effekt haben

momentan die Baulücken, da durch sie die nach wie vor prägende

Blockrandstruktur zerstört wird. Ohne Nachnutzung bleiben Brach-

flächen zurück, die das Stadtbild nicht nur optisch beeinträchtigen,

sondern auch auf symbolischer Ebene den Niedergang verkörpern.

Andererseits ließe sich die Frage stellen, ob und inwiefern Leerstand,

Lücken und Brachen nicht auch als Chance begriffen werden können,

d. h., ob und wie sie sich eventuell für eine zukünftige Aufwertung

dieses dichten, innenstadtnahen Wohnviertels nutzen lassen. Also:

Leerstand und Baulücken als Potential?

2. Die bisherigen Bemühungen und Maßnahmen der Stadtplanung zur

Aufwertung des Ortsteils Goethestraße werden durchaus anerkannt. Da

sie aber offensichtlich alleine nicht ausreichen, das Viertel zum Kippen

zu bringen, müssen weitere Akteure gefunden werden, die hier einen

positiven Einfluss ausüben. Die im Projektverlauf interviewten Personen

sowie die durch sie vertretenen Einrichtungen, zählen bereits jetzt

dazu. Daneben gilt es jedoch, weitere potentielle „Kümmerer“ auf allen

Ebenen zu identifizieren und nach Möglichkeiten zu suchen, wie diese

besser eingebunden bzw. selbst in die Lage versetzt werden können,

ihre Ideen zu verwirklichen. Kurz: Wer sind die Kümmerer und wie

können sie aktiviert werden?

3. Der Fokus städtischer Wirtschaftsförderung liegt meist auf Großbe-

trieben einerseits und andererseits auf dem breiten Spektrum an

wissensbasierten Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung,

Page 100: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

98

Informations- und Hochtechnologie etc. Auf diesen Feldern hat auch

Bremerhaven in den vergangenen Jahren einigen Erfolg vorzuweisen,

vorbildlich ist zudem die Unterstützung für junge Startup-Unternehmen

insbesondere aus der IT-Branche. Potentielle Existenzgründer

finden sich allerdings nicht nur in den genannten Sparten, sondern

auch in weniger prestigeträchtigen und medienwirksamen Beschäf-

tigungsfeldern, etwa dem Handwerk, der Beratung, den sozialen

Dienstleistungen sowie dem sonstigen Servicebereich. Mit der „theo“

steht eine erste Anlaufstelle für Menschen zur Verfügung, die sich trotz

geringer finanzieller Mittel selbständig machen wollen. Hier stellt sich

die Frage: Wie können diese lokalen Ökonomien unterstützt werden?

4. Hinlänglich beschrieben wurde bereits das Imageproblem, unter

dem der Ortsteil Goethestraße seit mittlerweile vielen Jahren leidet. Zu

den tatsächlichen Mängeln und Nachteilen treten dabei verstärkend

zahlreiche Vorurteile sowie verzerrte bzw. übertriebene Darstellungen

hinzu, die die öffentliche Wahrnehmung zusätzlich negativ beeinflussen.

Von den Bewohnern selbst wird die Situation zwar ebenfalls als proble-

matisch wahrgenommen, ihr Bild entspricht jedoch nicht annähernd

dem der Bremerhavener Gesamtbevölkerung. Dass sich das Image

eines Viertels im Laufe der Zeit wandelt, mal zum Positiven, mal zum

Negativen, stellt im Übrigen keine Ausnahme, sondern vielmehr den

Normalfall dar. Allerdings ist dies kein unabänderliches Schicksal, da

dieser Prozess gezielt beeinflusst werden kann, zumal wenn objektive

Potentiale vorhanden sind. Deshalb zuletzt die Frage: Wie lässt sich

das Image des Ortsteils Goethestraße verbessern?

Page 101: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

99

3.2 Vision „Bürgerstadt Goethequartier“

Im Rahmen der Konzeptentwicklung entwarf die Projektgruppe für den

Ortsteil Goethestraße eine Vision, die als (vorläufiges) Leitbild dienen

sollte, an dem sich die einzelnen Bestandteile des Konzepts ausrichten.

Hierbei wurde versucht, sämtliche der oben dargestellten Themenfelder

und zentralen Projektfragen zu integrieren und auf ein prägnantes

Bild zu verdichten. Es lautet: „Unter Nutzung der Möglichkeitsräume

entsteht eine „Bürgerstadt‘ Goethequartier“.

Der Begriff „Möglichkeitsräume“ greift dabei die unter Kapitel 3.1

ausgeführte Überlegung auf, dass Leerstand und Baulücken derzeit

zwar vor allem als Mangel wahrgenommen werden, prinzipiell jedoch

auch ein Potential darstellen, da sie vielfältige neue Nutzungen ermög-

lichen. Welche Räume genau darunter zu verstehen sind, wird unter

3.3.1 näher ausgeführt und visuell anhand einer „Typologie der Möglich-

keitsräume“ verdeutlicht. Als Nutzer der leerstehenden Wohnungen

und Ladenlokale, aber auch der Baulücken kommen unter anderem

natürlich Existenzgründer, also Vertreter der lokalen Ökonomien,

infrage, weshalb gerade für sie solche freien (und vergleichsweise

günstigen!) Flächen eine große Chance darstellen.

Die „Bürgerstadt“ leitet sich ab aus der Erkenntnis, dass neben den

klassischen, d. h. institutionell verankerten, Akteuren der Stadtplanung

viele weitere vorhanden sind, die der zivilgesellschaftlichen Sphäre

entstammen und sich freiwillig bzw. ehrenamtlich für die Gesell-

schaft einsetzen. Ein Beispiel ist der Rückenwind e. V., der für sozial

benachteiligte Kinder aus dem Ortsteil Goethestraße eine kostenlose

Nachmittagsbetreuung inklusive Abendessen anbietet. Andere, wie

die Bewohner des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße

43, haben zwar primär ihre eigenen Interessen im Blick, interagieren

darüber hinaus aber in vielfältiger Weise mit ihrer Umgebung und wirken

nicht zuletzt auch indirekt positiv auf ihr Lebensumfeld ein, etwa durch

die Vorbildfunktion, die sie ausüben. Wiederum andere engagieren sich

– zum Teil jenseits ihres eigentlichen Auftrags bzw. aus persönlicher

Betroffenheit stärker als gewöhnlich – im Rahmen ihrer beruflichen

Funktion, so etwa der Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft

Stäwog. Weitere tatsächliche und potentielle „Kümmerer“ traten zum

Beispiel bei den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 in Erscheinung (s.

dazu Kapitel 4.2), etwa der Vorsitzende der ESG Lehe als Mitinitiator

Page 102: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

100

oder die Organisatoren und Helfer dieser Veranstaltung, die größtenteils

unbezahlt ihren Dienst versahen.

Solches und ähnliches bürgerschaftliches Engagement wird in Zukunft

ohne Zweifel verstärkt notwendig sein, wenn heute selbstverständ-

liche kommunale Leistungen (etwa im Bereich Bildung, Soziales und

Kultur, aber auch bei der Gestaltung und Pflege des öffentlichen

Raumes) auch zukünftig gewährleistet sein sollen. Kritiker mögen hier

– durchaus zurecht – den Rückzug des Staates aus seiner bisherigen

Verantwortung beklagen, doch angesichts der finanziellen Schieflage

vieler Kommunen sowie anhaltender wirtschaftlicher Schwäche, hoher

Arbeitslosigkeit, Abwanderung und demografischem Wandel bleibt

ihm vielerorts vermutlich gar keine andere Wahl mehr, als immer mehr

Aufgaben von der staatlichen auf die zivilgesellschaftliche Ebene zu

verlagern. Andererseits hat sich der Staat in der Vergangenheit nicht

immer als effizienter und erfolgreicher Problemlöser erwiesen, weshalb

verstärkte Bürgerbeteiligung und Selbstorganisation – nicht nur in der

Planung, sondern auch der Umsetzung – nicht nur als Notlösung,

sondern vor allem als Chance betrachtet werden sollten.

Das Konzept der „Bürgerstadt“ bzw. der „Bürgergesellschaft“, dessen

profilierteste Vertreter die Soziologen Ulrich Beck und Amitai Etzioni

sind, wird im Rahmen dieses Projekts keinesfalls so verstanden, dass

sich der lokale Staat als Akteur der Stadtentwicklung, d. h. hier der

Aufwertung des Ortsteils Goethestraße, zurückziehen und das Feld

den Bürgerinnen und Bürgern überlassen sollte. Vielmehr geht es

darum, dass Stadt und Stadtplanung sich zukünftig verstärkt darum

bemühen, interessierte Bewohner organisatorisch und rechtlich zu

unterstützen sowie eventuell zu qualifizieren, um sie damit in die Lage

zu versetzen, ihre Projekte eigenständig zu verwirklichen. Das Ideal ist

somit der „aktivierende und befähigende Staat“, wie er beispielsweise

von Anthony Giddens propagiert wird. Seine theoretischen Wurzeln hat

dieses Konzept in der angloamerikanischen Tradition der handlungs-

orientierten Philosophie des Kommunitarismus, der – anders als in den

stark sozialstaatlich geprägten Ländern Mitteleuropas oft behauptet

– durchaus an den gesellschaftlichen Zielen des sozialen Ausgleichs

und der sozialen Emanzipation festhält, diese jedoch in eine Balance zu

bringen versucht mit dem Anspruch größtmöglicher Freiheit und Eigen-

verantwortung des Individuums. Konkret setzt dieses Konzept dabei

vor allem auf die Stärkung von Nachbarschaftsbeziehungen und der

Förderung gemeinsamer Kommunikation.

Page 103: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

101

Das Grundproblem, das sich in diesem Zusammenhang allerdings

stellt, ist, dass Menschen mit höherer Bildung, die sich in gesicherten

Verhältnissen befinden, weitaus eher bereit sind, sich bürgerschaftlich

zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen als jene, deren

Lebenssituation prekär ist. Dass jedoch auch solche Personen aktiviert

werden können, zeigt wiederum das Beispiel des Rückenwind e.

V., wo zumindest einige der Betreuerinnen ganz offenbar selbst aus

schwierigen sozialen und ökonomischen Verhältnissen stammen. Der

Schlüssel scheint hierbei die direkte persönliche Betroffenheit der

Frauen zu sein, deren Kinder zumeist ebenfalls die Nachmittagsbe-

treuung besuchen. Die Initiative für ein Projekt allerdings wird in den

allermeisten Fällen von Menschen ausgehen müssen, die aufgrund

ihrer (früheren) beruflichen Tätigkeit, ihrer sonstigen Qualifikationen

und Fähigkeiten, ihrer Vernetzung etc. für die Rolle des „Kümmerers“

prädestiniert sind. Dies gilt es auch bei der Beurteilung der folgenden

konzeptionellen Vorschläge im Auge zu behalten.

Der Begriff „Quartier“, das letzte Element der Vision, schließlich soll

betonen, dass es von der Projektgruppe als wünschenswert erachtet

wird, dass der Ortsteil Goethestraße innerhalb wie außerhalb dieses

Gebiets künftig weitaus stärker als Einheit wahrgenommen wird. Statt

der bisherigen administrativen Bezeichnung wurde mit „Goethequartier“

ein wesentlich prägnanterer Name gewählt, der zugleich eine gewisse

emotionale Verhaftung mit diesem Raum ausdrückt. Sowieso sprechen

die meisten Menschen bislang meist nur von „Lehe“ – und assoziieren

damit eher Negatives, während das „Goethequartier“ noch unbelastet

ist, so dass im Idealfall ein vollkommen neues Image geprägt werden

kann. Im Gegensatz zu unzähligen Investoren-Architekturträumen,

denen das „Quartier“ als komplett beliebiges und artifizielles Etikett

„aufgeklebt“ wird, um so die Immobilien besser vermarkten zu können,

handelt es sich beim Goethequartier in großen Teilen um ein histo-

risch gewachsenes Viertel, das sich durch seine relativ homogene,

in Bremerhaven einzigartige Bausubstanz auszeichnet. Zudem lässt

es sich vergleichsweise leicht von seiner Umgebung abgrenzen und

erscheint auf einer Kartendarstellung als markantes Dreieck.

„Möglichkeitsräume“, deren vielfältige, zumindest partiell lokalöko-

nomische, neue Nutzungen zu einer Aufwertung ihrer Umgebung

beitragen, eine aktive Bürgergesellschaft, die (unterstützt durch einen

ermöglichenden kommunalen Staat) viele ihrer Belange selbst in die

Hand nimmt und ein klar wahrnehmbares Quartier, das ein positives

Page 104: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Image besitzt – so lautet also die Vision, an der sich die nun folgenden

Konzeptvorschläge orientieren. Im Anschluss soll das hier entworfene

Szenario noch einmal anhand der einzelnen Konzeptbausteine konkre-

tisiert und auf seinen Wahrscheinlichkeitsgehalt hin überprüft werden.

Page 105: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

3.3 toolbox

Page 106: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zwei

Das Konzept, das wir, das „Projekt Goethequartier“, für den Ortsteil

Goethestraße vorschlagen, besteht nicht aus einer fertigen, in sich

geschlossenen Strategie, sondern besitzt die Form einer sogenannten

„Toolbox“ (was auf Deutsch nichts anderes heißt als Werkzeugkasten).

Dies bedeutet, dass die einzelnen Maßnahmen, die Tools oder

Werkzeuge, vollkommen unabhängig voneinander funktionieren und

somit jederzeit auch einzeln angewandt werden können. Warum das

so sein soll, wird verständlich, wenn man einmal betrachtet, an wen

sich dieser Maßnahmenkatalog in erster Linie richtet: Nicht an „die

Stadt“ oder das Stadtplanungsamt, sondern an einzelne Personen

oder kleine Gruppen, die in ihrem Viertel selbst etwas bewegen wollen.

Und anders als die eben genannten Institutionen, sind solche Akteure

normalerweise natürlich nicht in der Lage, langfristige, koordinierte

Strategien umzusetzen und große Projekte zu stemmen, wie sie in

stadtplanerischen Konzepten ansonsten häufig vorgeschlagen werden.

Dazu fehlen neben den finanziellen Mitteln meist auch die personellen

Ressourcen, ganz zu schweigen von der demokratischen Legitimation,

die man braucht, um im Großen etwas zu verändern. Kleine Projekte

hingegen benötigen oft nicht mehr als drei, vier engagierte Menschen

mit viel Tatkraft und Enthusiasmus, eine überschaubare Summe an

Geld und von Fall zu Fall vielleicht noch ein wenig guten Willen und

Kooperationsbereitschaft seitens der Behörden, die das Ganze geneh-

migen müssen.

Welche Kosten jedes der von uns vorgeschlagenen Tools mit sich

bringt, wie lange die Umsetzung dauert, welche Rechtsform sich dafür

anbietet, wo eventuelle Hürden und Hemmnisse liegen, an welchem

Ort es möglicherweise verwirklicht werden könnte und vor allem, wo

das jeweilige Projekt bereits erfolgreich funktioniert (hat) – all das soll

in dem nun folgenden Katalog beantwortet werden. Dieser setzt sich

zusammen aus einer steckbriefartigen Zusammenfassung aller 15

Tools, die anschließend dann ausführlich beschrieben werden. Zuvor

allerdings möchten wir noch kurz jene vier Handlungsfelder vorstellen,

denen sich die Maßnahmen und Projekte jeweils zuordnen lassen.

Sie haben sich ergeben aus einer umfangreichen Analyse, die wir,

eine Gruppe von Stadtplanungsstudenten der HafenCity Universität

Hamburg, über Monate hinweg im Ortsteil Goethestraße durchge-

führt haben. Trotzdem sind natürlich Sie, die Leser (und hoffentlich

irgendwann auch Nutzer!) unseres Konzepts, der Toolbox, die eigent-

lichen Experten. Jedenfalls sofern Sie in Bremerhaven und vielleicht

Page 107: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

drei

sogar im „Goethequartier“ leben. Deshalb sind wir interessiert an allen

Ideen und Vorschlägen Ihrerseits – spontanen, noch unausgegorene

wie auch konkreten – und freuen uns darüber, wenn Sie uns diese

mitteilen wollen. (Sie erreichen uns übrigens unter: goethequartier@

googlemail.com und finden uns auch auf Facebook). Schließlich ist es

ja gerade das Prinzip der Toolbox, dass sie jederzeit erweitert werden

kann – während andere Tools, die sich als unbrauchbar erweisen,

daraus möglicherweise irgendwann auch wieder verschwinden.

Page 108: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vier

1) MöGlichkeitSräuMe

Unter „Möglichkeitsräumen“ verstehen wir sämtliche Räume, ob in

geschlossenen Gebäuden oder im Freien, die momentan nicht oder

nicht ausreichend genutzt werden, aber in Zukunft für eine neue, zum

Teil dauerhafte, zum Teil auch nur temporäre Nutzung infrage kommen.

Da sie zumeist noch in keiner Weise festgelegt sind, stehen sie für

alle Möglichkeiten offen, sie bieten Raum für verrückte Fantasien und

wilde Träumereien, ebenso wie für sehr konkrete Planungen. Da sich

andererseits jedoch nicht jede Idee an jedem Ort verwirklichen lässt

und manche Räume für bestimmte Nutzungen besser geeignet sind

als andere, haben wir eine kleine „Typologie der Möglichkeitsräume“

erstellt: Mit Hilfe von Piktogrammen, also kleinen symbolischen Bildern,

wird die jeweilige Raumsituation dargestellt und durch jeweils ein

beispielhaftes Foto illustriert. Und so betrachtet wird eine Baulücke

vielleicht auf einmal zu einem „Möglichkeitsraum“ für eine abendliche

Filmvorführung, ein leerstehendes Ladenlokal bietet Potential für

ein neues, innovatives Geschäftskonzept, und wo heute noch ein

abbruchreifes Gebäude steht, kann schon morgen ein Garten auf Zeit

entstehen.

Zum ersten ist da natürlich die klassische Baulücke, also eine Brach-

fläche, die entstanden ist, nachdem ein Gebäude aus einem Block

herausgerissen wurde. Stand dieses Gebäude an einer Ecke, so

hinterlässt sein Abriss eine „Ecklücke“, also eine Brachfläche, die

zumeist deutlich größer ist und sich in exponierterer Lage befindet

als eine Lücke innerhalb eines Blocks. Einzelne Flächen liegen auch

bereits seit vielen Jahren brach und sind inzwischen mit hohen

Bäumen bewachsen, was manche Nutzungen ausschließt. An anderen

Stellen lassen sich möglicherweise der Blockinnenhof hinter der Lücke

(oder zumindest Teile davon) in eine neue Nutzung mit einbeziehen.

Schließlich gibt es das verlassene Ladenlokal und die leerstehende

Page 109: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (1): Klassische Baulücke

Wohnung sowie nicht zuletzt die zukünftige bzw. entstehende

Baulücke, das heißt Häuser, die in absehbarere Zeit abgerissen und

dadurch schon heute vom „Schandfleck“ zum „Möglichkeitsraum“

werden.

fünf

Page 110: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum

Abbildung (2): „Ecklücke“

sechs

Page 111: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (4): Baulücke inklusive Blockinnenhof

Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss

sieben

Page 112: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (6): Zukünftige bzw. entstehende Baulücke

Abbildung (7): Leerstehende Wohnung

zehn

Page 113: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neun

2) küMMererkonZePte

Ein „Kümmerer“ ist ganz allgemein gesprochen ein Mensch, der sich

für ein Projekt oder für seine Mitmenschen engagiert, der sich nicht mit

den Gegebenheiten abfindet, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten

etwas bewegen will, der Ideen hat, wie man die eigene Nachbarschaft,

das eigene Viertel zum Positiven verändern kann, und diese dann auch

umzusetzen versucht. Dazu wird er als Veranstalter und Organisator

tätig, ist Ansprechpartner für andere Interessierte und animiert diese

dazu, sich für seine Sache – die damit zur gemeinsamen Sache wird

– einzusetzen. Neben Organisationstalent verfügt er zumeist über gute

Kontakte zu verschiedenen Akteuren (oder ist in der Lage, diese rasch

aufzubauen), er ist kommunikativ und hat, sofern bei dem Projekt Geld

im Spiel ist, ein gewisses Grundverständnis in wirtschaftlichen und

finanziellen Fragen. Dabei kann fast jeder ein Kümmerer sein, ob er

nun im Rahmen seiner bezahlten Arbeit außergewöhnlich stark für ein

bestimmtes Anliegen eintritt oder ob er ehrenamtlich, neben oder nach

seinem Berufsleben aktiv wird. Und manchmal kann aus einer Tätigkeit

als Kümmerer mit der Zeit sogar ein Beruf werden…

Im Goethequartier und in Bremerhaven haben wir bei unserem Projekt

eine ganze Reihe von Kümmerern kennengelernt: die Verantwort-

lichen der „theo“ beispielsweise, den Geschäftsführer der Stäwog, die

Initiatoren des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 und

nicht zuletzt auch die außerordentlich engagierten Ehrenamtlichen und

zu geringen Bezügen Angestellten des Rückenwind e. V., mit denen

zusammen wir eine Kinder-Fotosafari veranstalten durften. Auch bei

den Leher Sommer-Kulturwochen 2011, bei denen wir die Fotos

der Kinder in der Kulturwohnung ausgestellt haben, sind uns solche

Menschen begegnet, nicht zuletzt die Organisatoren dieser tollen

Veranstaltungsreihe selbst. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass es

viele weitere potentielle Kümmerer gibt, die Lust haben, ihren eigenen

Page 114: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zehn

3) lokale ökonoMien

Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die es sich weder zeitlich

noch finanziell leisten können, sich als Kümmerer zu engagieren, die

sich um ihr eigenes berufliches Fortkommen sorgen müssen und daher

voll auf ihre Arbeit konzentriert sind. Andererseits ist die Zahl derer, die

keine Arbeit haben, im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremerhaven

insgesamt enorm hoch, viele Jobsuchende hier hoffen zum Teil schon

lange vergeblich darauf, in dieser Stadt eine Stelle zu finden. Dabei ist

es gar nicht mal unbedingt so, dass diese Menschen nicht können. Im

Gegenteil, viele von ihnen haben mal einen Beruf erlernt und würden

gerne wieder darin arbeiten. Oder haben eine tolle Geschäftsidee,

die sie unbedingt in die Tat umsetzen wollen. Um solchen Leuten

den (Wieder-)Einstieg in den Job zu erleichtern, bietet „die theo“ auf

einer ganzen Etage Räume für Existenzgründer an, wo diese zu sehr

geringen Mieten ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen, inklusive

zwanglosem Kontakt zu anderen Selbstständigen, die sich in einer

ähnlichen Situation befinden, etwa beim wöchentlichen gemeinsamen

Frühstück.

Dieses Konzept hat uns beeindruckt. Allerdings reichen die Kapazitäten

der „theo“ bei weitem nicht aus, um allen, die sich darum bewerben,

auch tatsächlich einen Raum anzubieten. Viele der potentielle Gründer

müssen stattdessen mit der Warteliste vorliebnehmen und bekommen

ihre Chance somit eventuell erst in einigen Jahren. Und damit bleibt

Beitrag zu leisten, dass ihre Nachbarschaft, ihr Quartier vorankommt.

Ihnen wollen wir mit dieser Toolbox eine erste kleine Hilfestellung

geben.

Page 115: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

elf

eine gute Idee für weitere Jahre in der Schublade, ein weiterer Mensch

bleibt ohne bezahlte Arbeit und andere, denen er vielleicht irgendwann

eine Stelle geboten hätte, müssen ebenfalls weiter warten.

Neben Tools, die auf Kümmererkonzepten basieren enthält die Toolbox

daher auch eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, die lokalen

Ökonomien, d. h. vor allem Existenzgründer und Selbständige, zu

stärken – damit das Goethequartier irgendwann sein eigenes kleines

„Wirtschaftswunder“ erlebt.

4) MarketinGinStruMente

„Marketing? Das ist doch viel heiße Luft mit nichts dahinter!“ – so

denken viele unwillkürlich, wenn sie diesen Begriff hören. Zumal, wenn

es dabei um Städte geht. Denn eine Stadt ist doch nun einmal, was sie

ist, ebenso wie auch ein Stadt- bzw. Ortsteil immer der gleiche bleibt,

ob nun mit Marketing oder ohne. Oder etwa nicht? Wir sagen ganz

klar, „Nein“, denn wir sind davon überzeugt, dass sich durch Marketing

viel verändern lässt, weshalb dieses Instrument unserer Auffassung

nach auch zu jedem guten Konzept dazugehört. Denn zum einen ist

Marketing viel mehr als „Werbung“, auch wenn es damit umgangs-

sprachlich häufig gleichgesetzt wird, zum anderen sehen wir, dass man

beim Ortsteil Goethestraße gar keine „heiße Luft“ produzieren muss,

denn dort ist bereits jede Menge vorhanden, auf das man aufbauen

kann. Doch zunächst zur Frage, was Marketing – das ja ursprünglich

aus der Welt der Unternehmen stammt – im Zusammenhang mit

Städten oder Quartieren überhaupt bedeutet. Um an dieser Stelle nicht

zu viel zu verraten (da gleich das erste Tool, Neighbourhood Branding,

auf diesen Aspekt ausführlich eingeht), hier nur ein paar zentrale

Gedanken: Wie wir alle wissen, besitzt jeder Stadtteil, jedes Quartier

Page 116: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zwölf

sein eigenes Image, seinen estimmten Ruf. Im Falle des Ortsteils

Goethestraße ist es darum im Moment leider nicht zum Besten bestellt.

Was zum Teil natürlich an den tatsächlich vorhandenen Problemen

liegt, zum Teil aber auch an den Dingen, die andere Bremerhavener,

von denen manche noch nie hier waren, über das Viertel erzählen. Die

Menschen, die selbst hier leben, sehen einiges davon möglicherweise

ganz anders, und mögen, trotz aller Schwierigkeiten, ihre Nachbar-

schaft alles in allem ganz gerne.

Auch wir glauben, dass es sich rund um die Goethestraße im Grunde

ziemlich gut wohnen lässt, dass dieses Viertel auf jeden Fall etwas

Besonderes ist und deshalb eines Tages wieder richtig attraktiv sein

kann, für junge Familien mit Kindern ebenso wie für Senioren, kurz,

dass es unglaublich viel Potential besitzt. Und damit dies alle erfahren,

damit auch die Menschen von Außerhalb in Zukunft wieder das

Positive erkennen, dazu braucht es Marketing. Zum einen sind das

natürlich die klassischen Werbemaßnahmen, zum anderen aber eben

auch tolle Projekte und interessante Veranstaltungen – so wie etwa die

Leher Sommer-Kulturwochen 2011.

Katalog

Page 117: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

#01: Neighbourhood Branding

#02: Leerstands- und Baulückeninformationssystemsystem

#03: temporäre stadt

#04: Bauspielplatz

#05: Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten

#06: Laden zu verschenken

#07: Probewohnen

#08: Wächterhäuser

#09: mode aus dem Quartier

#10: Öffentliche Hotspots

#11: Coworking

#12: Gastronomie

#13: Zen-Garten

#14: Altengerechtes Wohnen

#15: Balkone in Baulücken

dreizehnKatalog

kataloGAbbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien

Page 118: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierzehn

nutZunGShinweiSe

Die untenstehenden Symbole dienen der Orientierung innerhalb dieses

Katalogs und sollen das Auffinden von Informationen erleichtern. Ihre

jeweilige Bedeutung wird im Folgenden kurz erläutert.

Neben diesem Symbol sind die jeweiligen Referenzbeispiele

beschrieben. Es handelt sich hierbei um erfolgreiche Projekte,

Maßnahmen oder Instrumente, deren Anwendung auch im Ortsteil

Goethestraße in Frage kommt.

Weshalb die Referenzbeispiele auf das Goethequartier übertragbar sind

und wie sie sich dort umsetzen lassen, wird neben diesem Symbol

erklärt.

Die Euro-Symbole zeigen an, wie viel die Umsetzung des jeweiligen

Tools voraussichtlich kostet. Je mehr davon markiert sind, desto höher

die Kosten. Auch die Frage, ob eventuell Einnahmen zu erwarten sind,

wird hier beantwortet.

Welche Akteure das Tool umsetzen könnten und wer auf jeden Fall zu

beteiligen ist, lässt sich unter diesem Punkt nachlesen.

Hier finden sich Angaben zu Umsetzungszeitpunkt und -zeitraum. Eine

Uhr symbolisiert, dass sich das Tool rasch umsetzen lässt, drei Uhren

stehen für eine relativ lange Planungs- und Realisierungsphase.

Neben diesem Symbol ist ein Vorschlag notiert, welche Rechtsform

sich für das jeweilige Tool anbietet.

Eventuelle Konflikte oder Hemmnisse, die der Umsetzung des Tools

im Wege stehen könnten, sind hier aufgeführt. Außerdem gibt es

Hinweise, wie damit umgegangen werden kann.

Abschließend wird jedes Tools einer oder mehrerer der Oberkategorien

zugeordnet, die oben beschrieben wurden. Also: Werden Möglich-

keitsräume genutzt? Lässt sich das Tool für Marketingzwecke

verwenden? Dient es der Förderung lokaler Ökonomien? Beinhaltet es

Kümmererkonzepte?

Der nun folgende Katalog enthält insgesamt 15 Tools. Zunächst

werden diese jeweils auf einer Seite in Form eines kurzen Steckbriefs

vorgestellt. Anschließend folgt eine ausführliche Beschreibung jedes

einzelnen Tools.

Page 119: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfzehn

#01: neiGhBourhooD BranDinG

Referenz: Beteiligungsverfahren in der niederländischen Gemeinde

Hoogvliet, einer rund 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt,

die unter einem schlechten Ruf litt. Ergebnis des Prozesses war eine

signifikante Imageverbesserung.

Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße be-

sitzt ebenfalls ein negatives Image. Daher bietet sich die Durchführung

eines ähnlichen Verfahrens an, wie es im Rahmen von INTERREG IIIB

entwickelt wurde. Die Marke „Goethequartier“ könnte hierbei ein erster

Schritt auf dem Weg hin zu einem neuen Image sein.

Finanzierung: Kosten fallen lediglich für Personal (Moderatoren), Ver-

anstaltungsräume und Medienkommunikation an.

Akteure: Erwünscht ist ein möglichst großer Teilnehmerkreis,

bestehend aus Bewohnern des Viertels, Haus- und Grundstücks-

eigentümern, Wohnungsgesellschaften, Einzelhändlern etc.

Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühe Umsetzung wird empfoh-

len, die Durchführung dauert nur wenige Tage.

Rechtsraum: Informelles Beteiligungsverfahren, das keine spezielle

Rechtsform benötigt.

Konflikte/Hemmnisse: Problematisch ist die heterogene Eigentü-

merstruktur im Viertel; in anderen Fällen litt die Moderation z. T. unter

mangelnder Akzeptanz.

Übergeordnete Kategorie(n): Marketinginstrumente

kurZüBerSichten

Page 120: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechzehn

Referenz: Elektronisches Baulückeninformationssystem in Berlin, Leer-

standsmelder in Hamburg

Übertragbarkeit und Implementierung: Direkte Übertragung des

Berliner Beispiels möglich, Leerstandsmelder muss den Verhältnissen

im Goethequartier angepasst werden. Baulückenkataster und freiwilli-

ge Angaben von Haus- und Wohnungseigentümern werden im Internet

veröffentlicht. Hauptadressaten des Tools sind Zwischennnutzer.

Finanzierung: Im günstigsten Fall (d. h. der Verwendung von Google

Maps wie beim Hamburger Leerstandmelder) liegen die Kosten für die

Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei maximal 1.000 Euro,

der Betrieb ist ebenfalls sehr günstig.

Akteure: Stadtplanungsamt, Grundstücks- und Immobilieneigentümer,

ESG Lehe

Zeitpunkt und Dauer: Das Tool sollte so zeitnah wie möglich um-

gesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen

darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, kann ein

solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit

sein.

Rechtsraum: Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine be-

sondere Rechtsform notwendig.

Konflikte/Hemmnisse: Aufgrund der extrem heterogenen Eigentümer-

struktur im Viertel ist die freiwillige Beteiligung eventuell gering. Fraglich

ist zudem die Finanzierung.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien

#02: leerStanDS- unD Baulücken- inForMationSSySteM

Page 121: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebzehn

#03: teMPoräre StaDt

Referenz: Provisorische Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum (Pécs),

befristeter Shared Space (Duisburg), temporäre Brücken (Istanbul), pro-

visorische Grillplätze (Basel), Open Air-Kino (Hamburg)

Übertragbarkeit und Implementierung: Denkbar sind von den

Anwohner organisierte Filmvorführungen, Märkte, Feste, Ausstel-

lungen, Musikfestivals etc. Ein Beispiel war auch die Einrichtung der

„Kulturwohnung“ während den Leher Sommer-Kulturwochen (mit Foto-

ausstellung des „Projekts Goethequartier“).

Finanzierung: Kosten variieren stark, je nach Veranstaltung. Von Null-

Euro-Projekten bis hin zu kostenintensiveren Events ist alles möglich.

Finanzielle Einnahmen, die die Ausgaben decken, sind in Einzelfällen zu

erwarten.

Akteure: Veranstalter sind in erster Linie Vereine und Bewohner-

gruppen.

Zeitpunkt und Dauer: Sehr kurzfristige Umsetzung möglich, zum Teil

auch längere Planung notwendig. Charakteristisch für dieses Tool ist

die begrenzte zeitliche Dauer aller Aktionen.

Rechtsraum: Normalerweise keine Rechtsform notwendig, z. T. emp-

fiehlt sich jedoch die Gründung eines eingetragenen Vereins oder einer

BGR. Eine Genehmigung ist im Regelfall obligatorisch.

Konflikte/Hemmnisse: Ordnungsrechtliche Vorschriften wie Brand-

schutz, sanitäre Anlagen etc. können ein Problem darstellen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

Page 122: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Referenz: Die Idee der „Gerümpelspielplätze“ stammt ursprünglich

aus Dänemark. Beispiele für Bauspielplätze in Deutschland sind der

„RaBauKi“ in Siegen oder der „Kolle 37“ in Berlin.

Übertragbarkeit und Implementierung: Im Ortsteil Goethestraße

existieren viele konventionelle Spielplätze, diese werden aber vor allem

von den älteren Kindern kaum genutzt. Die Zahl der Kinder ist über-

proportional hoch, viele stammen zudem aus sozial schwierigen

Verhältnissen. Bauspielplätze ermöglichen die Gestaltung der eigenen

Spielumgebung und verbinden dies mit pädagogischen Konzepten. Ein

Grundtsück hierfür steht im Goethequartier zur Verfügung.

Finanzierung: Die Kosten für die Realisierung sind nicht allzu hoch,

der Betrieb kann jedoch nur auf ehrenamtlicher Basis organisiert wer-

den.Hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über

Fördermittel.

Akteure: Optimale Kooperationspartner wären etwa der Rückenwind

e.V. und das Jugendzentrum Lehe-Treff.

Zeitpunkt und Dauer: Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeit-

nah umsetzen, da ein passendes Grundstück vorhanden ist und für

den Anfang nur wenig Material benötigt wird.

Rechtsraum: Betrieben werden Bauspielplätze in aller Regel von

einem eingetragener Verein.

Konflikte/Hemmnisse: Eventuelle Konflikte mit Anwohnern aufgrund

von Lärm sind nicht auszuschließen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, Kümmererkonzepte

achtzehn

#04: BauSPielPlatZ

Page 123: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunzehn

#05: nachBarSchaFtSGärten/ interkulturelle Gärten

Referenz: Die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße (Leipzig) und

der „Prinzessinnengarten“ in Berlin sowie diverse interkulturelle Gärten.

Übertragbarkeit und Implementierung: Wünschenswert wäre dieses

Tool wegen des geringen Grünanteils im Quartier. Für die zahlreichen

Migranten im Ortsteil Goethestraße könnten interkulturelle Gärten die

Möglichkeit für eine bessere Integration bieten. Geeignete Brachflächen

in Baulücken stehen zur Verfügung.

Finanzierung: Die Anfangsinvestitionen belaufen sich auf rund 5.000

Euro für Geräte und Material. Weitere Kosten können durch Eigenleis-

tung von Freiwilligen aufgefangen werden.

Akteure: Eigenorganisation durch die Bewohner ist realistisch. Die

jeweiligen Grundstücke müssen durch die jeweiligen Eigentümer (be-

fristet) bereitgestellt werden; idealerweise hat die Stadt die Fläche zuvor

erworben.

Zeitpunkt und Dauer: Eine Umsetzung innerhalb weniger Wochen ist

möglich, insbesondere, wenn nicht direkt in die Erde gepflanzt werden

soll. Beste Zeitpunkt für den Beginn ist der Frühling.

Rechtsraum: Die Pachtung des Grundstücks und die Vermietung der

Parzellen an die einzelnen Nutzer wird meist von einem eingetragenen

Verein übernommen.

Konflikte/Hemmnisse: Um das Konfliktpotential mit den Grund-

stückseigentümern zu minimieren, sollte die Gartennutzung zeitlich

befristet sein. Bei der Nutzung kann eine geringfügige Störung der un-

mittelbaren Anwohner nicht ausgeschlossen werden.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketing-

instrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

Page 124: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zwanzig

#06: laDen Zu VerSchenken

Referenz: Wettbewerb „Laden zu verschenken“ in der Langen Straße

in Rostock. Gesucht wurde das innovativste Geschäftkonzept, der Ge-

winner erhielt ein Ladenlokal mietfrei für ein Jahr.

Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße

ist von hohem Ladenleerstand betroffen. Für eine Umsetzung des

Konzepts eignet sich etwa ein leersteendes Ladenlokal an der Ecke

Goethestraße/Kistnerstraße.

Finanzierung: Beim Rostocker Referenzbeispiel fielen Kosten von ca.

18.000 Euro an, hauptsächlich für die Miete des Objekts. Angesichts

der niedrigen Gewerbemieten in Bremerhaven kann diese Summe

auch geringer ausfallen.

Akteure: Veranstalter in Rostock war die Lokalzeitung, die ausführ-

lich über den Wettbewerb berichtete. In Bremerhaven kommt daher

die Nordsee-Zeitung infrage. Gewonnen werden muss auch ein Eigen-

tümer, der Interesse hat, seine Immobilie für das Projekt zur Verfügung

zu stellen.

Zeitpunkt und Dauer: Realistisch sind ungefähr drei Monate von der

Idee bis zum Ende des Wettbewerbs. Eine Umsetzung des Tools ist je-

derzeit möglich, sobald ein Ladenlokal gefunden ist.

Rechtsraum: Abgeschlossen wird ein Pachtvertrag; die Teilnehmer

des Wettbewerbs erkären ihr Einverständnis zur Medienarbeit.

Konflikte/Hemmnisse: Erschwerende Faktoren sind unklare Besitzver-

hältnisse und eventuell mangelnde Bereitschaft seitens der Eigentümer.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, lokale Ökonomien

Page 125: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Referenz: Probewohnen in der Innenstadt von Görlitz. Zur Verfügung

gestellt wurde dabei eine voll eingerichtete Altbauwohnung, die eine

Woche lang kostenfrei genutzt werden konnte.

Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der vergleichbaren

Situation, also der innenstadtnahen Lage in einem historischen Altbau-

viertel, würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten.

Mögliche Wohnungen sind zu Genüge vorhanden, müssten zuvor je-

doch vermutlich renoviert werden.

Finanzierung: Renovierung und Einrichtung verursachen gewisse

Kosten, darüber hinaus muss die Miete getragen werden.

Akteure: Die Wohnung könnte von der Stäwog bereitgestellt werden,

das Stadtplanungsamt und das Designlabor kommen als Partner infra-

ge, die das Projekt – ähnlich wie im Referenzfall – forschend begleiten.

Zeitpunkt und Dauer: Probewohnen lässt sich zu jedem Zeitpunkt mit

geringem Aufwand realisieren, die Dauer kann auf zunächst ein Jahr

begrenzt werden.

Rechtsraum: Die Rechtsform ergibt sich aufgrund des Veranstalters,

etwa der Wohnungsgesellschaft Stäwog.

Konflikte/Hemmnisse: Die individuelle Dauer des Probewohnens sollte

eine Woche nicht übersteigen, zudem müssen die Bewerber sorgfältig

ausgewählt werden, da andernfalls Probleme mit „Mietnomaden“ auf-

treten können, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.

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mente, lokale Ökonomien

einundzwanzig

#07: ProBewohnen

Page 126: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundzwanzig

#08: wächterhäuSer

Referenz: Das Referenzprojekt sind die „Wächterhäuser“ in Leipzig.

Dort bekommen Nutzer leerstehender Altbauten den Mietpreis erlassen

und bezahlen nur die Verbrauchskosten. Im Gegenzug kümmern sie

sich um die Renovierung der Gebäude und verhindern Vandalismus.

Der Gundsatz lautet also: „Erhalt durch Nutzung“.

Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der ähnlichen

Problematik im Ortsteil Goethestraße ist das Projekt für eine Imple-

mentierung bestens geeignet. Der Erfinder der „Wächterhäuser“,

HausHalten e.V. in Leipzig, lädt zudem ausdrücklich dazu ein, das Kon-

zept zu kopieren und stellt sämtliche Informationen zur Verfügung.

Finanzierung: Die Anfangsinvestition für die Einrichtung der „Wächt-

erhäuser“ sind recht hoch, durch ehrenamtliche Arbeit können aber

zumindest die Betriebskosten beinahe auf Null reduziert werden.

Akteure: Kooperationspartner können die Stadt Bremerhaven und die

Stäwog sein, potentielle Nutzer wären die Bewohner.

Zeitpunkt und Dauer: Planung und Umsetzung können einige Monate

bis über ein Jahr in Anspruch nehmen.

Rechtsraum: Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für

solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat.

Konflikte/Hemmnisse: Wiederum ist die heterogene Eigentümer-

struktur ein Problem, auch ist die Bereitschaft seitens der Eigentümer,

sich an Projekten wie diesen zu beteiligen, schwer einschätzbar. Von

den Vereinsgründern erfordert das Tool viel Eigeninitiative und bedeutet

einen hohen Zeitaufwand.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

Page 127: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreiundzwanzig

#09: MoDe auS DeM quartier

Referenz: „Made auf Veddel“ in Hamburg. Migrantinnen aus einem

sozial benachteiligten Stadtteil, die traditionelle Handarbeitstechni-

ken beherrschen, fertigen in Zusammenarbeit mit einer Modemacherin

Haute Couture.

Übertragbarkeit und Implementierung: Auch im Goethequartier

lassen sich, insbeondere unter den zahlreichen Bewohnern nicht-deut-

scher Herkunft, mit Sicherheit Personen finden, die über besondere

Fähigkeiten im Handarbeitsbereich verfügen.

Finanzierung: Keine großen Anfangsinvestitionen notwendig, da Ar-

beitsgeräte meist schon vorhanden sind. Im Idealfall lassen sich mit

diesem Projekt Gewinne erzielen.

Akteure: Bewohnerinnen des Quartiers mit besonderen Fähigkeiten in

Handarbeitstechniken

Zeitrpunkt und Dauer: Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen

gebunden, es könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Er-

folg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen.

Rechtsraum: Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig,

es kann jedoch ein Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann

Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsge-

sellschaft (OHG).

Konflikte/Hemmnisse: Eventuell sind Sprachbarrieren und kulturelle

Differenzen zu überwinden, auch die Suche nach interessierten Perso-

nen gestaltet sich möglicherweise schwierig.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien,

Kümmererkonzepte

Page 128: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundzwanzig

#10: öFFentliche hotSPotS

Referenz: Flächendeckende öffentliche WLAN-Netze an vielen Orten

der Welt, z. B. in Estland. Darüber ist der kostenlose Zugang ins Inter-

net möglich.

Übertragbarkeit und Implementierung: Eine direkte Übertragbarkeit

dieses Konzepts auf das Goethequartier ist jederzeit möglich, dabei

stehen verschiedene technische Varianten zur Auswahl.

Finanzierung: Je nach Variante entstehen kaum Kosten, angesichts

der großen Vorteile erscheinen die Einrichtungskosten allemal gering.

Akteure: Zwei Modelle sind denkbar: Entweder können Bewohner

ihre privaten WLAN-Zugangspunkte zu einem „BürgerInnennetz“ ver-

knüpfen oder die Stadt richtet (eventuell in Kooperation mit einem

Unternehmen) im gesamten Viertel ein öffentliches Netz ein.

Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühzeitge Umsetzung wird

empfohlen, Planung und Realisierung benötigen nur sehr wenig Zeit.

Rechtsraum: Die Umsetzung kann entweder als kommunales Pro-

jekt oder in Form einer GmbH erfolgen. Für BürgerInnennetze sind laut

Gesetz sogenannte „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Da-

tenweiterleitung erforderlich.

Konflikte/Hemmnisse: Bei den BürgerInnennetzen stellen juristische

Fallstricke und technische Schwierigkeiten gewisse Hürden dar.

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mien, Kümmererkonzepte

Page 129: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundzwanzig

#11: coworkinG

Referenz: Gute Beispiele mit jeweils leicht unterschiedlichen Konzepten

sind das betahaus in Hamburg oder das Rockzipfel Eltern-Kind-Büro

in Leipzig. Coworking bedeutet das Teilen von Arbeitsräumen und da-

zugehöriger Infrastruktur durch Selbständige und Freiberufler, die keine

eigenes Büro benötigen.

Übertragbarkeit und Implementierung: Im Goethequartier sind of-

fenbar viele potentielle Existenzgründer vorhanden, denen jedoch die

geeigneten Räume fehlen. Viele leerstehende Häuser oder einzelne un-

genutzte Räume bieten sich als mögliche Coworking Spaces an.

Finanzierung: Eine kostendeckende Bewirtschaftung ist möglich, aller-

dings fallen anfangs Kosten für Renovierung und Einrichtung an, damit

die Räume überhaupt als Büro genutzt werden können.

Akteure: Potentielle Existenzgründer können das Tool in Eigenregie

nutzen, Institutionen wie die BIS oder „die theo“ sollten jedoch ihre Un-

terstützung anbieten.

Zeitpunkt und Dauer: Da viele Existenzgründer dringend einen Raum

suchen, sollte ein solches Projekt bald umgesetzt werden. Die Umset-

zungsdauer beträgt rund ein Jahr.

Rechtsraum: Als Rechtsformen infrage kommen eine GmbH oder ein

eingetragener Verein.

Konflikte/Hemmnisse: Im Moment stellt der Ortsteil Goethestraße si-

cherlich keine allzu prestigeträchtige Adresse dar. Die Anwesenheit

heterogene Nutzergruppen in einem Raum kann zu Konflikten führen.

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mente, lokale Ökonomien

Page 130: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsundzwanzig

#12: GaStronoMiSche ZwiSchen- nutZunG

Referenz: Die „Ponybar“ in Berlin. Welch zentrale Rolle gastronomi-

schen Zwischennutzungen auf Brachflächen bei der Aufwertung von

Stadträumen zukommt, lässt sich mittlerweile an vielen Orten beobach-

ten. Sehr häufig sind „Raumpioniere“ die Auslöser für weitere innovative

Nutzungen.

Übertragbarkeit und Implementierung: Freiräume sind im Goethe-

quartier reichlich vorhanden, andererseits fehlt es an Gastronomie-

betrieben, die auch eine jüngere Klientel ansprechen. Um zudem

Personen von außerhalb anzuziehen, sind solche Einrichtungen in

hohem Maße geeignet.

Finanzierung: Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Spei-

sen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest

der Betrieb einer Zwischennutzung finanzieren lässt.

Akteure: Die wesentlichen Akteure neben den Betreibern sind die

Eigentümer der Brachflächen, die sich zu einer solchen Zwischen-

nutzungslösung bereit erklären müssen.

Zeitpunkt und Dauer: Eine kurzfristige Umsetzung ist jederzeit mög-

lich. Allerdings kann das Genehmigungsverfahren einige Zeit in

Anspruch nehmen.

Rechtsraum: Auf jeden Fall ist eine Gaststättenerlaubnis einzuholen,

die Betriebsformen der gastronomischen Einrichtungen sind variabel.

Konflikte/Hemmnisse: Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind

in einem dicht bebauten Wohngebiet wie dem Goethequartier nicht

auszuschließen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, lokale ökonomien, Kümmererkonzepte

Page 131: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundzwanzig

#13: Zen-Garten

Referenz: Zen-Garten in Gelsenkirchen, „Japanischer Garten Kaisers-

lautern e. V.“, Japanischer Garten im Erholungspark Marzahn in Berlin.

Zen-Gärten stellen eine besondere Form der Gartengestaltung dar, die

nicht auf die herkömmlichen Elemente setzt, sondern als Materialien

Kies, Steine und Moos verwendet.

Übertragbarkeit und Implementierung: Ein japanischer Steingarten in

einer Baulücke würde einen überraschenden Akzent im Goethequartier

setzen. Die Referenzbeispiele zeigen, dass sich für eine solches Projekt

nicht nur exklusive, sondern auch ganz gewöhnliche Orte eignen.

Finanzierung: Ein Zen-Garten ist im Unterhalt sehr günstig, da er nach

dem Anlegen kaum Pflege benötigt. Für das Material müssen ebenfalls

nur sehr geringe Kosten veranschlagt werden, bei den Referenzbesipie-

len betrugen sie maximal 5.000 Euro.

Akteure: Einrichten könnte einen solchen Garten entweder die Stadt

oder ein noch zu gründender Verein. Als Kooperationspartner kommt

eventuell auch die Astrid-Lindgren-Schule in Betracht.

Zeitpunkt und Dauer: Eine Realsierung dieses Tools ist jederzeit mög-

lich und nimmt verlgleichsweise wenig Zeit in Anspruch.

Rechtsraum: Dank des geringen Aufwands für die Einrichtung handelt

es sich bei diesem Tool um eine potentielle Zwischennutzung. Dafür

sind eine Nutzungsvereinbarung bzw. ein Pachtvertrag notwendig.

Konflikte/Hemmnisse: Mit möglichen Nutzungskonflikten wie Zweck-

entfremdung und Vandalismus ist zu rechnen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, Kümmererkonzepte

Page 132: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundzwanzig

#14: altenGerechteS wohnen

Referenz: Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße

43, ein Wohnprojekt in einem altengerecht sanierten Gründerzeit-

bau. Die überwiegend älteren Bewohner waren von Anfang an in die

Planung einbezogen und entschieden sich bewusst für den innenstadt-

nahen und urbanen Standort.

Übertragbarkeit und Implementierung: Das Modell des altersge-

rechten Wohnens stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar.

Dies hätte positive Effekte auf das gesamte Viertel.

Finanzierung: Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten

verbunden, eine Refinanzierung über höhere Mieten ist im Moment nur

zum Teil möglich.

Akteure: Neben älteren Menschen, die ein solches Wohnprojekt of-

fensiv verfolgen, braucht es für die Umsetzung das Engagement einer

Wohnungsgesellschaft, etwa der Stäwog

Zeitpunkt und Dauer: Die Durchführung von Projekten dieser Art

würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen.

Rechtsraum: Eine bestimmte Rechtsform ist nicht notwendig: Wäh-

rend manche Wohnprojekte als e. V. oder GbR organisiert sind,

verzichten andere auf eine rechtliche Absicherung und schließen ihre

Mietvertrag direkt mit dem Vermieter ab.

Konflikte/Hemmnisse: Das Imageproblem des Quartiers stellt im Mo-

ment noch eine recht hohe Hürde dar. Zudem ist die Finanzierung nur

mit wohwollender Unterstützung einer Wohnungsgesellschaft möglich.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, Kümmererkonzepte

Page 133: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Referenz: Vorbild für dieses Tool sind Architekturbeispiele aus Leipzig-

Connewitz und München. Diese innovativen Projekte zeigen, welche

Qualitäten Balkonbrücken entwickeln können, zumal, wenn sie mit Klet-

terpflanzen dicht bewachsen sind.

Übertragbarkeit und Implementierung: Die vorhandenen und zu-

künftig entstehenden Baulücken stellen einerseits ein Problem dar,

andererseits können sie auch genutzt werden, um die Wohnungen

in den benachbarten Gebäuden deutlich auzuwerten, damit diese für

neue Mieter- bzw. Käuferschichten interessant werden.

Finanzierung: Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist

dieses Tool jedem Fall als relativ teuer einzuschätzen. Die Kosten müs-

sen vom Eigentümer getragen werden.

Akteure: Verantwortlich für dieses Projekt sind die Eigentümer selbst,

Unterstützung könnte eventuell die ESG Lehe bieten.

Zeitpunkt und Dauer: Die Einrichtung von Balkonen in Lücken ist erst

zu einem Zeitpunkt denkbar, wenn sich der Immobilienmarkt im Quar-

tier einigermaßen stabilisiert hat.

Rechtsraum: Für ein solches Projekt ist lediglich eine Bauge-

nehmigung erforderlich.

Konflikte/Hemmnisse: Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planeri-

sche, finanzielle und zeitliche Aufwand dar.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstru-

mente, lokale Ökonomien

neunundzwanzig

#15: Balkone in lücken

Page 134: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreißig

#01: neiGhBourhooD BranDinG

Jeder Teilraum einer Stadt hat einen gewissen Ruf, ein Image. Dieses

kann positiv oder negativ sein. Gilt ein Raum als „stigmatisiert“, leiden

darunter seine Bewohner ganz erheblich: So entscheidet der Ruf eines

Quartiers oftmals darüber, welche Chancen seine Bewohner erhalten

und vor allem, welche nicht. Eine bestimmte Adresse kann die Verwei-

gerung eines angestrebten Arbeitsplatzes oder die Exklusion aus einem

sozialen Netzwerk bedeuten. Interessant dabei ist, dass sich häufig

der Ruf eines Gebiets, also das Fremdbild, entscheidend von dem Bild

unterscheidet, das die Bewohner dieses Gebiets selbst wahrnehmen

(Selbstbild, Identität). Da das Image eines Quartiers oftmals durch die

mediale Berichterstattung und Gerüchte bestimmt wird, kann ersteres

deutlich negativer ausfallen, als das Selbstbild der Einwohnerschaft

(vgl. Jung 2010).

Aus der Sicht der Wohnungswirtschaft führen große Verände-

rungen, wie die wachsende Bedeutung von Wohnungsbestand, sich

ändernde Präferenzen einer neuen Generation von Mietern sowie

der Wandel vom Vermieter- zum Mietermarkt dazu, dass die Images

von Quartieren für die erfolgreiche Stadtentwicklung immer relevanter

werden. Besonders in den schrumpfenden Regionen (aber nicht

nur dort) besteht die Aufgabe der Wohnungspolitik inzwischen nicht

mehr in der quantitativen Bedarfsdeckung mit Wohnraum, sondern

vielmehr in der Anpassung des Bestandes an die Bedürfnisse unter-

schiedlicher Mietergruppen. Ähnlich wie Menschen durch den Kauf

bestimmter Produkte (Autos, Zeitschriften, elektronischer Geräte)

ihren Lebensstil ausdrücken wollen, wählen sie Quartiere mit einem zu

ihnen passenden Image aus. Bei der Vermarktung kann es daher keine

Standardlösungen für alle Quartiere geben: Bestimmte Konsumenten-

millieus suchen eher Sicherheit, Ordnung und Ruhe, andere wiederum

Diversität und Erlebnissreichtum (PNDonline).

Neighbourhood Branding ist eine Technik, die sich an der Marken-

bildung im Konsumbereich orientiert, die Marke wird allerdings nicht für

ein Produkt, sondern für einen bestimmten urbanen Raum entwickelt.

Im Brandingprozess erhält die Marke eine Leitbildfunktion, da sie

grundsätzlich für alle baulichen und nicht-baulichen, sowie physischen

Page 135: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

#01: neiGhBourhooD BranDinG

einunddreißig

und nicht-physischen Aktivitäten in diesem Raum verwendet werden

kann. Kern des Neighbourhood Branding ist dabei die Arbeit am Image

des jeweiligen Raums. Mithilfe bestimmter Kommunikationsstrategien

wird der Versuch unternommen, Einfluss auf Identität (Innensicht) wie

Image (Außensicht) zu nehmen. Ziel ist die Steigerung der Sympa-

thien für ein Quartier, wobei die Stärken und einzigartigen Merkmale

hervorgehoben werden, so dass sich der entsprechende Ort nachhaltig

zu einer Marke entwickeln kann (vgl. Jung 2010, Prediger 2011).

Insbesondere werden dabei auch nachbarschaftsorientierte Strukturen

unterstützt, was den Bewohnern ermöglicht, sich mit „ihrem“ jeweiligen

Ort zu identifizieren.

Darüber hinaus ist Neighbourhood Branding allerdings mehr als

ein Marketing-Tool, da im Zuge dieses Prozesses zugleich ein Bild

erarbeitet und kommuniziert wird, das von den Menschen im Quartier

als gehaltvoll und richtig angesehen wird. Konkret demonstrieren lässt

sich dieses Phänomen an der Gemeinde Hoogvliet, einer etwa 20 km

von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren

errichtet wurde und derzeit ca. 40.000 Einwohner zählt. Etwa ein Drittel

des ursprünglichen Gebäudebestandes wurde bereits abgerissen und

durch Neubauten ersetzt, nachdem die hier tätige Wohnungsbaugesell-

schaft Woonbron festgestellt hatte, dass für Hoogvliet eine Anpassung

Abbildung (9): Impression von Hoogvliet

Page 136: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiunddreißig

an die sich verändernden Wohnbedürfnisse notwendig ist, um die

Konkurrenzfähigkeit des dortigen Wohnungsmarktes zu erhalten

(Stadtentwicklung Zürich 2006).

Zudem mussten in Hoogvliet jedoch auch emotionale Aspekte in

die Planung miteinbezogen werden. Denn wie eine Umfrage im

Vorfeld gezeigt hatte, resultierte die Unzufriedenheit der Bewohner im

Normalfall nicht aus dem Zustand ihrer jeweiligen Wohnung, sondern

vor allem aus dem negativen Image der Siedlung. Luftverschmutzung,

Verkehrslärm, Plattenbauten mit kleinen grauen Wohnungen – das

sind die Schlagworte, mit denen Hoogvliet im nahen Rotterdam

assoziiert wurde. In deutlichem Kontrast dazu stand das Bild, das

die Anwohner von ihrem Quartier zeichneten: ruhig, grün, fahrrad-

freundlich, mit stark ausgeprägten sozialen Netzwerken etc. Während

des Branding-Prozesses führte man daher zum einen SWOT-Analysen

sowie historische Gebietsanalysen durch, zum anderen ermittelte

man darüber hinaus in einem Beteiligungsprozess (drei ganztägige

Termine mit 70 Bewohnern) identitätsstiftende Kernbegriffe wie Selbst-

bewusstsein, Entschlossenheit, Gemeinschaft und Abenteuer, die in

einem „Brandbook“ mit 200 atmosphärischen Fotos aus der Stadt

illustriert wurden. Zudem entwickelten die Bewohner ein Logo und

einen Slogan. Wie die Evaluation des Projekts gezeigt hat, verbesserte

sich das Image der Großwohnsiedlung durch diese Maßnahmen ganz

erheblich, wovon sowohl die Bewohner als auch die Investoren profi-

tieren konnten. Besonders erfolgreich wurde das Verfahren im ebenfalls

von Imageproblemen geprägten Quartier Schwamendingen in Zürich

angewandt, und auch in Deutschland wird Neighbourhood Branding

inzwischen als Planungsinstrument eingesetzt (Stadtentwicklung Zürich

2006).

Die Erfahrung mit Neighbourhood Branding zeigt, dass dieses Tool

ganz maßgeblich dazu beiträgt, neue Erkentnisse über ein Gebiet zu

gewinnen. Selbst Spezialisten, die bereits jahrelang in einem Quartier

gearbeitet hatten und es zu kennen glaubten, konnten nach dem

Einsatz dieses Werkzeugs entscheidende Durchbrüche erzielen

(PNDonline).

Schließlich trägt Neighbourhood Branding auch dem ökonomischen

Verwertungsgedanken Rechnung: Ebenso wie mit Hilfe von Marke-

tingmaßnahmen in der Industrieproduktion die Nachfrage aktiviert

wird, so wird hier durch Bildung einer Marke die Nachfrage für ein

Page 137: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreiunddreißig

spezifisches Wohnprodukt gefördert. Um Leerstände und andere

negative Effekte auf dem Wohnungsmarkt zu minimieren, müssen

sich die Anbieter von Wohnungen sowie die Verantwortlichen in der

Stadtentwicklung differenziert mit den Wünschen der Mieter und Käufer

sowie denen der ansässigen und potentiellen Bewohner außeinander-

setzen. Die dabei entwickelte Marke spricht zwar nicht jeden an, bei

den Bewohnern eines Quartiers jedoch führt sie zu mehr Zufriedenheit,

der Branding-Prozess kann Partizipation fördern und reduziert die

Planungsunsicherheit (PNDonline; Jung 2010).

Die Erfahrung aus Holland, wo das Werkzeug bereits seit 2000 erfolg-

reich praktiziert wird, zeigt, dass sich Neighbourhood Branding vor

allem finanziell lohnt. So kam das niederländische Planungsbüro

Ruimtelijk in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Wert eines

bebauten Grundstücks ungefähr zur Hälfte vom Image des Quartiers

abhängt, in dem sich dieses befindet. Zudem stellte sich heraus, dass

nach dem Einsatz des Tools in als schwierig geltenden Gebieten in

vielen Fällen neue Bewohnerschichten angesiedelt werden konnten, die

das Gebiet stabilisierten (PNDonline).

Die Analyse der Projektgruppe zeigte, dass das negative Image

neben der Spekulation mit Schrottimmobilien und dem Bevölkerungs-

rückgang in Bremerhaven die wichtigsten Ursache für die Probleme

des Immobilienmarktes im Goethequartier ist. Die Experteninterviews

brachten zudem die Erkenntnis, dass das Image des Quartiers deutlich

schlechter ist als das Bild, das die Bewohner von ihm haben. Ein

deutlicher Hinweis auf die negative Wirkung des Quartiers-Images ist

die Tatsache, dass das Gebiet trotz seines Alleinstellungsmerkmals

Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet

Page 138: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierunddreißig

in Bremerhaven (gründerzeitliche Blockrandbebauung) sowie

bedeutender tandortvorteile (Nähe zum Stadtzentrum und Wasser)

– Faktoren, die in Städten wie Hamburg oder Berlin zu hohen Immobi-

lienpreisen führen würden – unter Bremerhavenern als Wohnort eher

unbeliebt bleibt. Die Leerstandsquote hier ist deutlich höher als in der

übrigen Stadt und Investitionen für die Sanierungen bleiben weitgehend

aus. Die Image-Verbesserung des Goethequartiers scheint vor diesem

Hintergrund ein Schlüsselelement der behutsamen Aufwertung und

Erneuerung dieses Gebiets zu sein (vgl. Jung 2010).

Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaftsinitiative INTERREG

III B wurde, angelehnt an die Praktiken in Holland, anhand von fünf

Großwohnsiedlungen eine praktikable Vorgehensweise für Neigh-

bourhood Branding-Verfahren im deutschen Kontext entwickelt. In

einem ersten Schritt werden die relevanten Akteure über das Verfahren

informiert. In der zweiten Phase untersuchen die Teilnehmer die

historische Entwicklung des Gebiets sowie die aktuell herrschende

Stimmung. Parallel werden SWOT-Analysen erstellt und Interviews

mit Interessensgruppen geführt. Schlüsselthemen werden identifiziert,

Stärken und Schwächen des Gebiets, Hoffnungen und Frustrationen

werden in Form von Kollagen und Cartoons festgehalten. In der dritten

Phase erfolgt dann das eigentliche Branding: Ohne den Einfluss von

Profis wird in moderierten Sitzungen die Identität des Raums erarbeitet

und in Form von Bildern und Texten festgehalten. Sobald sich ein

umfassendes Bild von den Stärken und Potentialen des Quartiers

ergeben hat, kann dieses anhand der Kernwerte analysiert werden.

Im letzten Schritt erfolgt die Implementierung: die Ergebnisse des

Prozesses werden in die übrigen Maßnahmen integriert. Da die Marke

fortan die Vision des Quartiers bildet, an deren Realisierung alle Akteure

arbeiten können, muss sie diesen zunächst bekannt gemacht. Ab

diesem Zeitpunkt wird „eine Markenkultur entwickelt, die sich wie eine

Corporate Identity durch alle Handlungsfelder zieht“ (Jung 2010, S.

188).

Zumindest einer der erwähnten Schritte, nämlich die Akteurs-

Interviews, wurde bereits in der vorliegenden Arbeit durchgeführt und

dokumentiert. Von der Projektgruppe werden zudem eine sinnvolle

Abgrenzung des Gebiets, die der administrativen Einheit des Ortsteils

Goethestraße entspricht, sowie ein neuer, medienwirksamer Name

(„Goethequartier“) vorgeschlagen. Der vorliegende Projektbericht kann

Page 139: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfunddreißig

somit als erste Hilfestellung oder Anregung bzw. als Ideenpool sowie

als Grundlage bei der Umsetzung von Neighbourhood Branding im

Goethequartier dienen. Ein weiterer Schritt könnte in diesem Zusam-

menhang zudem im Rahmen des Verfahrens gemacht werden: Den

Bewohner bliebe es überlassen zu entscheiden, welche der anderen

Tools im vorliegenden Katalog sie für ihr Quartier als geeignet erachten,

welche sich mit ihrer Zukunftsvision nicht decken und welche weiter-

entwickelt werden müssen.

Die Umsetzungskosten dieses Tools sind sehr niedrig einzuschätzen.

Da es sich zunächst um ein Bürgerbeteiligungsverfahren handelt,

müssen vorerst keine baulichen Maßnahmen durchgeführt werden.

Lediglich die Personalkosten für Vorbereitung, Moderation und

Dokumentation, die Kosten für PR und Werbung (vor dem Verfahren

und danach) sowie die Räumlichkeiten, in denen das Verfahren

durchgeführt wird, müssen berücksichtigt werden. Durch ehrenamt-

liches Engagement und die Nutzung der vorhandenen Ressourcen

in der Verwaltung und der beteiligten Wohnungsgesellschaft (z. B.

Moderation, Bereitstellung von Räumen etc.) können auch diese

Kosten praktisch auf Null reduziert werden.

Die Teilnahme (oder zumindest das Interesse) wichtiger Akteure

(Anwohner, Grundstückseigentümer, Wohnungsbaugesellschaften,

Investoren und Einzelhändler) ist für Neighbourhood Branding von

entscheidender Bedeutung. Hierbei gilt: Je mehr Akteure bei der

Umsetzung Engagement zeigen, desto größer ist die Wirkung, die die

Maßnahme entfaltet (Prediger 2011).

Zu empfehlen ist eine möglichst frühzeitige Durchführung der

Maßnahme. Dadurch kann sich – nachdem eine Marke und eine

Vision entwickelt wurden – die weitere Entwicklung des Quartiers an

diesen zwei Säulen orientieren. Kostspielige Eingriffe in das Gebiet,

die von den Bewohnern und anderen Akteuren gar nicht erwünscht

sind und deswegen ihre Wirkung verfehlen, werden damit im Vorhinein

vermieden, die weitere Entwicklung verläuft zielgerichteter und

effizienter.

Die Umsetzung selbst kann ebenfalls in einem sehr kurzen Zeitraum

durchgeführt werden. Für Information und Koordination der beteiligten

Page 140: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsunddreißig

Akteure werden eventuell einige Wochen benötigt, das Verfahren selbst

dauert den Referenzbeispielen zufolge nur wenige Tage.

Bei Neighbourhood Branding handelt es sich um ein informelles

Bürgerbeteiligungsverfahren. Eine besondere Rechtsform ist hierfür

nicht vorgesehen und auch nicht notwendig.

Bei den meisten Quartieren, in denen das Verfahren in der Vergan-

genheit durchgeführt worden ist, handelt es sich um Plattenbau- und

Großwohnsiedlungen. Die Immobilien waren in der Regel im Eigentum

einer einzigen oder einiger weniger Wohnungsgesellschaften. Dagegen

könnte die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Goethequartier

womöglich ein Hindernis darstellen. Andererseits existieren keine

Belege dafür, dass Neighbourhood Branding in Altbauquartieren, die

ja in keinem Fall völlig homogene Eigentumsverhältnisse aufweisen,

grundsätzlich nicht funktioniert. Vielmehr kann gerade dieses Merkmal

in Verbindung mit der historischen Bedeutung des Ortes bei der

Entwicklung einer erfolgreichen Marke eine entscheidende Rolle

spielen.

Wie in Gesprächen mit Teilnehmern einer früheren Beteiligungs-

veranstaltung in Lehe durchklang, hat der Einsatz einer externen

Moderation dort bei vielen Bewohnern zu Ablehnung geführt. Um dies

zu vermeiden empfiehlt es sich eventuell, mit der Moderation eine

Person aus dem Gebiet zu betrauen.

Neighbourhood Branding ist in erster Linie ein Marketingwerkzeug,

das darauf abzielt, einen in einem schlechten Zustand befindlichen

Wohnungsmarkt zu stabilisieren. Die Bedeutung, die weiche Stand-

ortfaktoren wie das Image eines Quartiers für die Wohnungswirtschaft

besitzen, darf keineswegs unterschätzt werden. Andererseits aller-

dings darf es nicht beim reinen Marketing bleiben, vielmehr muss

Neighbourhood Branding in Verbindung mit anderen Werkzeugen,

klassischen wie innovativen, sinnvoll eingesetzt werden.

Page 141: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenunddreißig

#02: leerStanDS- unD Baulücken- inForMationSSySteM

Vorbild für dieses Tool ist unter anderem das elektronische Baulü-

ckeninformationssystem in Berlin, das das Kataster aller in der Stadt

bestehenden Baulücken und „mindergenutzten Flächen“ im Internet

zugänglich macht und mithilfe von interaktiven Karten grafisch abbildet

(vgl.: http://fbinter.stadt-berlin.de/blm). Neben der Lage sind sämtliche

relevante Daten wie Flurstückgröße und Größe der bebaubaren Fläche

angegeben, außerdem erhält der Interessent anhand von Fotos einen

ersten Eindruck vom Grundstück und seiner Umgebung. Weitere

Informationen betreffen die Eigentumsverhältnisse (im Eigentum

der Stadt oder in privatem Eigentum?), die mögliche Nutzung, die

Eignung für Baugemeinschaften/Baugruppen, die Nähe zum Wasser,

zu Grünräumen und zu U- und S-Bahn sowie die planungsrechtliche

Situation (Bebauungsplan vorhanden?, Sanierungs- oder Erhal-

tungsgebiet?, Denkmalschutz?). Zudem haben die Eigentümer die

Möglichkeit, ihre (E-Mail-)Adresse anzugeben oder auf ihre Homepage

hinzuweisen. Ein Link zur Bauberatung und zur Vermessungsbehörde

ermöglicht den Nutzern die direkte Kontaktaufnahme mit der jeweils

zuständigen Stelle auf Bezirks- oder Stadtebene.

Außer über die Kartenfunktion können potentielle Investoren sowie

Architekten und Bauherren auch mithilfe eines detaillierten Suchrasters

nach Flächen mit bestimmten Standortfaktoren recherchieren.

Neben den genannten Personengruppen wird das System auch von

den Sachbearbeitern in den bezirklichen Stadtplanungsämtern als

Instrument zur effizienten Verwaltung der Bauflächen genutzt. Die

Zugriffszahlen auf die Internetseite lagen im ersten Jahr, 2002, bei

durchschnittlich ca. 7.500 im Monat, Ende 2009 waren es bereits

knapp 17.000 Nutzer. In dieser Zeit hat sich zudem der im System

registrierte Grundstücksbestand deutlich reduziert, 260 Flächen mit

insgesamt 110 ha konnten aktiviert werden (werkstatt-stadt.de).

Ein weiteres Referenzprojekt ist der sogenannte Leerstandsmelder in

Hamburg (www.leerstandsmelder.de), bei dem es sich im Gegensatz

zum Baulückenmanagement in Berlin um eine private Initiative einer

Gruppe von Künstlern und Stadtplanern handelt (zum jeweiligen

rechtlichen Hintergrund, s. u.). Hierbei sind die Nutzer dazu aufge-

Page 142: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtunddreißig

rufen, Wohnungs- und Gewerbeleerstand mithilfe einer Checkliste zu

registrieren und anschließend auf der Internet-Plattform des Projekts

einzutragen. Die entsprechenden Orte werden dann jeweils auf einer

Karte markiert, die einen interaktiven Zugang zu den steckbriefartig

aufgelisteten Daten ermöglicht, also Lage, vorherige Nutzung (Wohnen,

Büro, Gewerbe), Umfang und Dauer des Leerstands, Eigentümer

(öffentlich/privat) etc. Ergänzt werden diese Informationen durch Fotos

der jeweiligen Gebäude.

Beide der vorgestellten Internetprojekte lassen sich – in unter-

schiedlicher Weise, doch nach Möglichkeit kombiniert – auf das

Goethequartier bzw. Bremerhaven als Gesamtstadt übertragen.

Ein Baulückenkataster liegt beim Stadtplanungsamt vor, ist aber

momentan nicht öffentlich zugänglich. Die rechtliche Grundlage für

eine Veröffentlichung auch im Internet bildet das Baugesetzbuch

(BauGB), in dem es unter § 200 Abs. 3 heißt: „Die Gemeinde kann

sofort oder in absehbarer Zeit bebaubare Flächen in Karten oder Listen

auf der Grundlage eines Lageplans erfassen, der Flur- und Flurstücks-

nummern, Straßennamen und Angaben zur Grundstücksgröße enthält

(Baulandkataster). Sie kann die Flächen in Karten oder Listen veröffent-

lichen, soweit der Grundstückseigentümer nicht widersprochen hat.

Die Gemeinde hat ihre Absicht zur Veröffentlichung einen Monat vorher

öffentlich bekanntzugeben und dabei auf das Widerspruchsrecht der

Grundstückseigentümer hinzuweisen“ (Senatsverwaltung für Stadtent-

wicklung Berlin).

In Berlin hat die Erfahrung gezeigt, dass nur wenige Eigentümer von

diesem Recht Gebrauch machen. Umgekehrt haben aber einige

die Möglichkeit genutzt, ihre Adresse bzw. einen E-Mail-Kontakt

anzugeben, um so für potentielle Interessenten unmittelbar erreichbar

zu sein. Auch der direkte Link zu den Planungs- und Genehmigungs-

behörden darf als vorbildlich gelten, da dies eine zeitaufwendige Suche

nach den jeweils zuständigen Stellen erspart. Im Gegensatz zu Berlin,

das in den vergangenen Jahren ein konstantes, wenn auch moderates

Bevölkerungswachstum vorzuweisen hat, sollte der Hauptfokus des

Bremerhavener Baulückenmanagementsystems momentan (!) nicht

auf einer möglichen Bebauung der verzeichneten Brachengrundstücke

liegen, sondern auf deren temporärer Nutzung. Adressaten wären also

nicht primär potentielle Investoren und Bauherren, sondern Zwischen-

nutzer, weshalb auch die Kategorien des Berliner Vorbilds dahingehend

angepasst werden müssten (d. h. zum Beispiel Art der möglichen

Page 143: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neununddreißig

Zwischennutzung, eventuelle Konflikte, Ansprechpartner bei den

Behörden etc.).

Idealerweise müsste das Baulückenkataster mit dem ebenfalls vorhan-

denen – wenn auch nicht mehr gleichermaßen intensiv gepflegten

– Leerstandskataster der Stadt Bremerhaven verknüpft werden. Dazu

bietet allerdings das Baugesetzbuch keine rechtliche Grundlage,

da eine Veröffentlichung solcher Daten einen zu starken Eingriff in

die Privatsphäre der Eigentümer darstellen würde. Das Hamburger

Beispiel basiert, wie oben dargestellt, daher auch nicht auf offiziellen

Daten, sondern auf Informationen aus der interessierten Öffentlichkeit.

Angesichts der völlig unterschiedlichen Situation – in Hamburg erklärt

sich das große Interesse an der Leerstandsthematik aus dem enormen

Nachfragedruck, der auf dem Wohnungsmarkt lastet – ist mit einer

ähnlichen Beteiligung der Bevölkerung im Goethequartier kaum zu

rechnen. Erfolgversprechender erscheint daher ein System, das auf

den freiwilligen Angaben der Eigentümer basiert, wie das etwa beim

Einzelhandels-Informations-System (EIS) der Stadt Aachen der Fall

ist (Stadt Aachen), und das sich eventuell zunächst auf die Erfassung

von leerstehenden Ladenlokalen und anderen gewerblich nutzbaren

Flächen beschränkt. In einem weiteren Schritt kann eine solche

Online-Plattform um Wohnungsleerstände erweitert werden, die von

Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder

Page 144: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierzig

Eigentümern, die noch nicht resigniert haben, selbst gemeldet werden.

Dieses System sollte ebenfalls primär Informationen zu einer möglichen

Zwischennutzung enthalten. Die Kombination der beiden Instrumente

Brachflächenkataster und (freiwilliges) Leerstandskataster ergäbe

dann ein umfassendes interaktives Datenbanksystem aller temporär

nutzbaren „Möglichkeitsräume“ – wodurch eine spätere reguläre,

also dauerhafte Nutzung natürlich keineswegs ausgeschlossen wäre,

sondern im Gegenteil sogar befördert würde.

Da dieses Tool zumindest teilweise im Baugesetzbuch rechtlich

verankert ist, kommt für die Finanzierung in erster Linie natürlich die

Stadt Bremerhaven infrage, die dazu eventuell auf finanzielle Mittel

aus dem EFRE-Programm 2007-2013 zurückgreifen könnte. Dafür

sind „ökonomische[...], soziale[...] und ökologische[...] Kriterien“ (Land

Bremen 2011) ausschlaggebend, die in diesem Fall erfüllt wären. Da

von der Maßnahme auch die Eigentümer im Goethequartier (bzw. in

der Gesamtstadt) profitieren würden, erscheint eine Beteiligung von

dieser Seite nicht ausgeschlossen, allerdings sind viele dieser Personen

finanziell dazu wohl nicht (mehr) in der Lage.

Im günstigsten Fall, also der Verwendung von Google Maps wie beim

Hamburger Leerstandsmelder, liegen die Kosten für die Einrichtung

einer solchen Internet-Plattform bei rund 1.000 Euro, hinzu kommen

Host-Kosten, die zwischen 5 Euro pro Jahr und maximal 50 Euro im

Monat liegen, je nach Anbieter und zur Verfügung stehender Leistung.

Die gelegentlichen Kosten für die Wartung der Website durch einen

Programmierer sind ebenfalls eher zu vernachlässigen, falls diese

Kompetenz nicht beim Stadtplanungsamt vorhanden ist, könnte

eventuell auch eine freiwillige Person diese Aufgabe unentgeltlich

übernehmen.

Dieses Tool ist das einzige innerhalb des Katalogs, bei dem die Initi-

ative nur vom Stadtplanungsamt ausgehen kann. Für die konkrete

Umsetzung fehlen eventuell die personellen Ressourcen, daher müsste

diese Aufgabe gegebenenfalls extern, also an ein privates Büro oder

einen sonstigen Dienstleister vergeben werden. Die Mitwirkung der

Grundstücks- und Immobilieneigentümer ist wünschenswert, Interesse

an einer engen Zusammenarbeit hätte aus nachvollziehbaren Gründen

auf jeden Fall die Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe.

Page 145: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

einundvierzig

Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine

wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches

Programm dafür gewählt wird, d. h. wie aufwendig sich die technische

Umsetzung gestaltet, kann ein solches Informationssystem innerhalb

weniger Wochen einsatzbereit sein. Im Folgenden ist eine regelmäßige

Aktualisierung und Erweiterung notwendig, die im einfachsten Fall

jedoch keinerlei technologischer Sachverstand erfordert.

Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine beson-

dere Rechtsform notwendig.

Das Hauptproblem bei diesem Tool dürften eventuelle Finanzierungs-

probleme sein, außerdem erscheint fraglich, ob bei der Stadt

Bremerhaven und dem Stadtplanungsamt der nötige (politische) Wille

für ein solches Projekt vorhanden ist. Ein weiteres Hindernis stellt

zudem die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Quartier dar.

Als rein virtuelles Tool, nutzt ein Leerstands- und Baulückeninformati-

onssystem zwar keine Möglichkeitsräume, schafft aber eine wichtige

Grundlage für andere Tools, d. h. Projekte, aus dieser Kategorie und

beschleunigt deren Realisierung.

Zudem ist ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem in

höchstem Maße dazu geeignet, lokale Ökonomien zu fördern, indem es

die Suche nach gewerblich nutzbaren Räumen stark vereinfacht. Durch

eine entsprechende Gestaltung der Online-Plattform können schließlich

auch Marketingeffekte erzielt werden.

Page 146: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundvierzig

#03: teMPoräre StaDt

Der Begriff „temporäre Stadt“ wird in der aktuellen Stadtplanungs-

debatte häufig verwendet. Er beschreibt zeitlich begrenzte

Veranstaltungen oder Installationen, die sich über einen klar definierten

Zeitraum an einem bestimmten Ort im städtischen Raum befinden.

Der planerische Hintergrund dieses Konzepts lässt sich wie folgt

beschreiben:„Die Aufgabe der Architektur und Stadtplanung besteht

heute nicht mehr allein darin, neue Räume für geforderte Nutzungen

zu schaffen, sondern parallel dazu Strategien zur Aktvierung existie-

render Stadträume zu entwickeln. Urbanistische Projekte bedeuten

hier nicht die Implementierung einer dauerhaften Struktur, sondern das

Initiieren und Auslösen nachhaltiger räumlicher Aneignungsprozesse“

(P2 Temporäre Stadt, HafenCity Universität Hamburg). Somit ist die

„temporäre Stadt“ ein Instrument, um beispielsweise vernachlässigte

oder „vergessene“ Stadträume wieder zu aktivieren.

Im Jahr 2010 wurden in den drei damaligen europäischen Kultur-

hauptstädten Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet in einem

Studentenwettbewerb innovative Lösungen zu diesem Thema

befördert. Primär ging es dabei darum, Stadträume durch temporäre

Installationen oder sonstige Ideen miteinander zu verbinden und

erlebbar zu machen. In Pécs, der fünftgrößten Stadt Ungarns, etwa

versuchte man, mithilfe von Hockern, die im öffentlichen Raum aufge-

stellt wurden, eine Verbindung zwischen zwei städtebaulich getrennten

Teilen der Stadt herzustellen. Die Anwohner und Besucher konnten die

Sitzgelegenheiten selbst platzieren und nach Belieben nutzen, wodurch

das Ziel, die räumliche Barriere zu überwinden, erreicht wurde.

Im Ruhrgebiet wollte man den Duisburger Innenhafen an die Innenstadt

anbinden, von der er normalerweise durch eine stark frequentierte

Verkehrstrasse abgeschnitten ist. Im Zuge des Kulturhauptstadtjahrs

entstand auf dieser Straße ein „Shared Space“, also ein Verkehrsraum,

in dem alle Teilnehmer gleichberechtigt und daher gezwungen sind,

einander zu respektieren. Zwar wurden die Autofahrer durch die neuen

Nutzer, das heißt Fußgänger und Radfahrer, die sich auf ihrer

angestammten Straße bewegen, etwas ausgebremst, doch durch

die vereinfachte räumliche Zugänglichkeit der Innenstadt konnte

Page 147: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

#03: teMPoräre StaDt

dreiundvierzig

tatsächlich eine städtebauliche Brücke zwischen dieser und dem

Innenhafen geschaffen werden. In Istanbul schließlich sollte ein altes

Hafenareal belebt werden, in dem Stadtplaner viel Potential sahen.

Dazu wurden schwimmende Flöße ins Hafenbecken eingelassen, die

viele Besucher anzogen, wodurch das Areal in den Mittelpunkt der

städtischen Wahrnehmung rückte und den Bürgern somit nachhaltig

ins Gedächtnis gerufen wurde (P2 Temporäre Stadt).

Neben diesen neuartigen, relativ spektakulären Ideen, die in universi-

tären Wettbewerben erdacht wurden und teilweise erhebliche Kosten

verursachten, funktioniert die „temporäre Stadt“ aber auch auf einer

niederschwelligeren Ebene: So lassen sich zum Beispiel jegliche Feste,

Ausstellungen, Märkte und Festivals diesem Instrument zuordnen.

Besonders populär sind in den vergangenen Jahren zudem sommer-

liche Open Air-Filmvorführungen geworden. In Hamburg etwa wird an

manchen Abenden der Rathausmarkt, also ein Ort, der sich natürlich

bereits voll im städtischen Bewusstsein befindet, zum Freiluftkino.

Ähnliches geschieht jedoch auch in Wilhelmburg, einem sozial eher

benachteiligten Stadtteil, wo ebenfalls ein temporäres Kino existiert,

das dazu beitragen soll, der Öffentlichkeit die räumlichen Potentiale

des Stadtteils zu vermitteln. An anderen Orten, etwa in Basel, haben

Abbildung (12): Open Air-Kino

Page 148: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundvierzig

sich beispielsweise Grillplätze auf Zeit als sehr erfolgreich erwiesen,

auch Lesungen und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten sind

beliebte Projekte im Kontext der „temporären Stadt“. Grundsätzlich

sind der Kreativität bei diesem Tool kaum Grenzen gesetzt; eventuelle

Konflikte werden alleine schon dadurch entschärft, dass es sich jeweils

nur um eine zeitweilige Aktion handelt, ein Experiment, das nach

einigen Tagen, Wochen oder Monaten wieder endet und auch vorher

jederzeit abgebrochen bzw. gegebenenfalls modifiziert werden kann.

Sehr häufig nutzen Events aus dem Bereich der „temporären Stadt“

natürlich Brachflächen, da hier meist geringere Konflikte mit anderen,

regulären Nutzungen auftreten als im öffentlichen Raum. Auch für die

Eigentümer einer solchen Fläche kann eine Zwischennutzungslösung

vielfach von Vorteil sein, und das gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen

müssen sie nicht fürchten – wie das bei einer dauerhaften, doch finan-

ziell ebenfalls wenig attraktiven Nutzung der Fall wäre –, dass sie bei

einem lukrativeren Angebot für ihr Grundstück die Zwischennutzer nur

schwer wieder loswerden. Zum anderen rückt damit ihre Brachfläche

wieder verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – und damit auch

von Personen, die eventuell an einer dauerhaften und wirtschaftlichen

tragfähigen Nutzung interessiert sind.

Veranstaltungen von einer ähnlichen Dimension wie in den Kultur-

hauptstädten (die als Referenz für die „temporäre Stadt“ vor allem

deshalb gewählt wurden, weil der Begriff in diesem Zusammenhang

geprägt wurde), sind im Goethequartier eher unwahrscheinlich und

nach unserer Einschätzung auch gar nicht nötig. Denn während es

in Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet um großräumliche Problem-

lösungen ging, stellt sich die Situation rund um die Goethestraße

herum vollkommen anders dar: Baulücken und Leerstand sind zwar

ebenfalls eine städtebauliche Herausforderung, verlangen aber eher

nach kleinmaßstäblicheren Lösungsansätzen. Überschaubare Projekte

wie Filmvorführungen, Feste, Kunstausstellungen und Musikfestivals

lassen sich zudem von den Anwohnern selbst organisieren und

umsetzen. Der Austausch der Bürger untereinander wird gefördert, und

auch sonst eher inaktive Personen werden eventuell zum Mitmachen

animiert. Andererseits erfordert „temporäre Stadt“ aber eben auch

Kreativität, Engagement und Einsatz, ein fertiges Konzept für das Was,

Wo und Wie der Umsetzung gibt es meist nicht.

Einen kleinen Beitrag im Sinne der „temporären Stadt“ haben wir, das

„Projekt Goethequartier“, im Rahmen unserer Projektarbeit im Ortsteil

Page 149: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundvierzig

Goethestraße übrigens selbst geleistet: In Kooperation mit der Aktion

Rückenwind e. V., einer Nachmittagsbetreuungseinrichtung für Kinder

aus dem Stadtteil, wurde eine Fotosafari veranstaltet, bei der die Kinder

mit Einwegkameras besonders schöne und besonders hässliche Orte

im Quartier fotografieren sollten. Anschließend wurden die Ergebnisse

aufbereitet und im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen in der

„Kulturwohnung“ präsentiert. Ein temporäres Projekt aus dem Bereich

Kunst und Kultur also, das gleich auf doppelte Weise einen vernach-

lässigten Raum ins Rampenlicht zu rücken hilft: Einerseits durch

Zwischennutzung einer zuvor leerstehenden Wohnung, andererseits

aber auch durch die neuen, zum Teil überraschenden Blickwinkel

auf das Viertel, die den Besuchern beim Betrachten der Kinderfotos

vermittelt wurden.

Angaben über die zu erwartenden Kosten lassen sich an dieser Stelle

kaum machen, da diese immer abhängig sind von Art und Größe

des Projekts. Um das Beispiel Open Air-Kino zu nehmen: Bereits mit

einem Beamer und einem Bettlaken lässt sich praktisch kostenlos

eine kleine Filmvorführung organisieren. Wenn jedoch finanzielle Mittel

bereit stehen, können dazu auch eine Leinwand, ein Filmprojektor

und eine Bühne aufgebaut werden. In solch einem Fall lassen sich

gegebenenfalls natürlich auch Einnahmen erzielen, die zumindest die

entstandenen Kosten decken. Auch der unbezahlte Einsatz freiwilliger

Helfer kann bei vielen Projekten dazu beitragen, die Ausgaben zu

minimieren.

Wie schon bei der Frage nach den Kosten sind angesichts der Fülle

möglicher Projekte Angaben hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure

ebenfalls nur schwer möglich. Generell bietet sich für kulturelle Events

natürlich das Kulturbüro Lehe als Kooperationspartner und eventueller

Mitorganisator an, darüber hinaus besteht von Fall zu Fall sicherlich

auch Interesse seitens des Stadtplanungsamtes. Als eine der Institu-

tionen, die eventuell Räume zur Verfügung stellen können (u. a. auch

einen großen Saal mit Bühne), kommt im Goethequartier grundsätzlich

„die theo“ in Betracht. Bei Freiluftveranstaltungen müssen selbstver-

ständlich die Eigentümer des betreffenden Grundstücks einwilligen.

Ist eine sonstige öffentliche Genehmigung erforderlich, sind zusätzlich

die entsprechenden Ämter und Behörden zu kontaktieren. Veranstal-

tungen, die Lärm erwarten lassen, sollten darüber hinaus unbedingt mit

den Anwohnern abgestimmt werden.

Page 150: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechundvierzig

Auch hier gilt das Gleiche wie für Kosten und Akteure. „Temporäre

Stadt“ impliziert allerdings bereits, dass das Entsprechende Projekt

zeitlich begrenzt ist, dauerhafte Einrichtungen zählen daher nicht zu

diesem Tool. Veranstaltungen unter freiem Himmel werden vorwiegend

im Sommerhalbjahr stattfinden, da sie meist stark witterungsabhängig

sind.

Für Privatpersonen gilt, dass Veranstaltungen grundsätzlich organisiert

werden dürfen, solange keine Gewinnabsicht besteht, lediglich eine

Aufwandsentschädigung kann erhoben werden. Einem eingetragener

Verein ist es zudem erlaubt, kostendeckend zu arbeiten. Falls Gewinn-

absichten bestehen, kann ein Unternehmen mit Rechtsform gegründet

werden, etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die keine

Einlagen notwendig sind.

Die „Möglichkeitsräume“, die für das Tool „temporäre Stadt“

infrage kommen, können sowohl Baulücken als auch leerstehende

Wohnungen bzw. Ladenlokalen sein. Für Veranstaltungen im öffent-

lichen und halböffentlichen Raum erteilt dabei grundsätzlich das

Ordnungsamt die benötigte Genehmigung. Ist von der Planung

eine Fläche oder ein Raum betroffen, der sich in privatem Eigentum

befindet, müssen beim Liegenschaftsamt Auskünfte über die Eigen-

tumsverhältnisse eingeholt werden. Wurden die Eigentümer informiert,

können sie ihre Erlaubnis zur Durchführung eines Events, dem

Aufstellen einer Installation etc. geben.

Abhängig von Größe, Art und Ort einer Veranstaltung sind ordnungs-

rechtliche Vorschriften zu Brandschutz, Fluchtmöglichkeiten,

Lärmschutz, sanitären Anlagen usw. zu beachten. Darüber hinaus sind

Konflikte mit Anwohnern nie ganz auszuschließen.

Die meisten der Projekte, die im Rahmen dieses Tools vorstellbar sind,

werden auf die eine oder andere Weise Möglichkeitsräume nutzen. Die

Initiative für eine Veranstaltung geht in aller Regel von einem Kümmerer

aus, der sich stark mit seinem Projekt identifiziert und deshalb auch

im weiteren Verlauf einen Großteil der organisatorischen Aufgaben

übernimmt, also Helfer rekrutiert, Räume sucht, Genehmigungen

einholt, Werbung macht, Kooperationspartner gewinnt etc.

Page 151: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundvierzig

Zur Stärkung der lokalen Ökonomie können kulturelle und künstlerische

Events höchstens indirekt beitragen, die Projekte selbst haben norma-

lerweise keine Gewinnabsicht, sind also nicht primär wirtschaftlich

orientiert.

Veranstaltungen aus dem Spektrum der „temporären Stadt“ eignen

sich in höchstem Maße als Marketinginstrumente, da sie aufgrund

ihres meist deutlich innovativen und kreativen Gehalts häufig ein

Bild des Raumes vermitteln, das dem Bekannten vollkommen

widerspricht. Speziell in „Problemvierteln“ können sie damit zu einer

Imageverbesserung beitragen helfen, zumal sich zu solchen Anlässen

gegebenenfalls auch Personen von außerhalb einfinden. Daneben

fördern besondere Ereignisse, insbesondere Feste, das Zusammen-

gehörigkeitsgefühl der Bewohner und tragen so in hohem Maße zur

Stärkung der Identifikation mit „ihrem“ Viertel bei. War eine Veran-

staltung erfolgreich, kommt außerdem noch der Stolz auf das Erreichte

hinzu, der die Beteiligten dazu animiert, sich auch künftig für ihre

Nachbarschaft zu engagieren.

Page 152: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundvierzig

#04: BauSPielPlatZ

Von herkömmlichen Spielplätzen unterscheiden sich Bauspielplätze

dadurch, dass Kindern dort die Möglichkeit gegeben wird, die vorhan-

denen Geräte nicht nur passiv zu nutzen, sondern ihre Spielumgebung

aktiv (mit) zu gestalten. Beispielsweise können sie Holzhütten bauen,

Lagerfeuer machen, ihre Fahrräder reparieren, den Garten bepflanzen,

Nistkästen basteln, Metall und Holz bearbeiten und vieles mehr. Dazu

bekommen sie Baumaterialien und Werkzeug zu Verfügung gestellt

und erhalten, wenn nötig, Hilfe von Erwachsenen. Teil des Konzepts

ist häufig ein pädagogischer Ansatz: So sollen die Kinder auf dem

Bauspielplatz lernen, Respekt und Rücksicht aufeinander zu üben,

ohne Gewalt jeglicher Art miteinander umzugehen und gemeinsam

Aufgaben zu bewältigen. Zugleich ist es das Ziel, dass die Kinder

dabei ihre eigenen körperlichen Grenzen erfahren sowie lernen, mit

Rückschlägen umzugehen und durch Ausdauer zu einem selbstge-

steckten Ziel zu gelangen. Durch den erzielten Erfolg gewinnen sie

Selbstbestätigung und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Vorbild für diese Form der Abenteuerspielplätze sind die sogenannten

„Gerümpelspielplätze“, die in Dänemark eine lange Tradition besitzen.

Deren Konzeption resultiert aus den Erkenntnissen des Landschafts-

architekten C. Th. Sorenson, der Kinder beim Spielen auf Baustellen

und Schrottplätzen beobachtete. Mitte der 60er Jahre kam die Idee

nach Deutschland, als viele Erwachsene die bis dahin geltenden

Erziehungskonzepte, die fantasielosen Spielplätze sowie die Funk-

tionalisierung öffentlicher Räume hinterfragten und nach Alternativen

suchten, um ihren Kindern wieder sinnliche Erfahrungen zu ermög-

lichen und ihr Geschick, ihre Ausdauer, Kreativität und Fantasie zu

fördern (RaBauKi).

Eher temporären Charakter hat das Bauspielplatz-Projekt „RaBauKi“ in

Siegen, im Zuge dessen seit 16 Jahren jeweils für drei Wochen in den

Sommerferien eine Wiese zu einer kleinen Stadt aus Hütten, Buden

und anderen Bauwerken verwandelt wird. Aufgrund der begrenzten

Teilnehmerzahl von 150 Kindern müssen die Plätze verlost werden.

Gemeinsam mit circa 25 ehrenamtlichen Helfern sowie Lehramts- und

Sozialpädagogikstudenten wird den Kindern ein vielfältiger Lern- und

Page 153: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

#04: BauSPielPlatZ

neunundvierzig

Erfahrungsraum geboten, bei welchem die Kinder nicht nur Hütten

bauen sondern auch zusammen kochen und spielen. Am Ende gibt es

ein großes Fest, zu welchem auch die Eltern eingeladen werden. Der

ehrenamtliche Verein RaBauKi e. V. finanziert sich neben öffentlichen

Mitteln aus Geld- und Sachspenden. Für die Kinder ist die Teilnahme

am Bauspielplatz kostenlos.

Auch in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es seit 1990 einen Bauspielplatz,

den Kolle 37, zwischen Jüdischem Friedhof und Kollwitzstraße. Zur Zeit

seiner Gründung verstand sich der Bauspielplatz vor allem als Freizeit-

einrichtung mit vorrangig handwerklichen Angeboten. Im Laufe der Zeit,

angeregt durch den Kontakt mit den Kindern, die zum großen Teil aus

problembelasteten, sozial benachteiligten Familien stammen, wurde

dieses Angebot erweitert, um diesen Kindern besondere Aufmerk-

samkeit widmen zu können. Das Bezirksamt fördert das Projekt durch

die Finanzierung von 3,5 Stellen für pädagogische Mitarbeiter und

einer Zivildienststelle. Desweiteren wurde der Bauspielplatz mit Mitteln

des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung im Rahmen des

URBAN-Programmes finanziert sowie durch Spenden mehrerer großer

gemeinnütziger Organisationen, wie etwa der Stiftung Deutsches

Hilfswerk oder der Deutschen Klassenlotterie (Kolle 37). Der Bauspiel-

platz steht den Kindern ganzjährig am Nachmittag zur Verfügung, er

Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz

Page 154: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfzig

ist, ebenso wie der „RaBauKi“, kostenlos und ist als offene Einrichtung

konzipiert, an der jeder partizipieren darf. Der Samstag ist jeweils

Familientag, an dem sich auch die Eltern handwerklich betätigen

dürfen, zudem gibt es einen täglichen Mittagstisch. Die Aktivitäten, die

auf dem Programm stehen, reichen von Backen, Filzen, Schmieden

und kreatives Gestalten über Bogenschießen, Klettern und Akrobatik

bis hin zur Tierpflege. Jugendliche nutzen vor allem das Angebot des

kostenlosen Musikproberaums, außerdem bietet der Bauspielplatz

gute Voraussetzungen, etwas über die Natur und ihre Kreisläufe zu

erfahren: In vielen Winkeln und Nischen gedeiht eine große Artenvielfalt

an Pflanzen, Vögeln und Insekten, so dass Themen wie Ökologie,

Nachhaltigkeit und Umweltschutz den Kindern selbstverständlich und

spielerisch vermittelt werden. Ein Highlight des „Kolle 37“ stellt das

jährlich stattfindende Hüttenbaufestival dar, bei dem Gruppen von drei

bis sieben Kindern in einem Zeitraum von sechs Wochen ihre selbst

entworfene Hütte errichten.

Im Goethequartier gibt es zwar eine Menge Spielplätze, dennoch

scheinen viele der zahlreichen Kinder im Viertel ihre Zeit am liebsten

auf der Straße zu verbringen. Die meisten der vorhandenen Spiel-

plätze werden, so die Erfahrung, als eher langweilig und fantasielos

empfunden und daher trotz mangelnder Alternativen selten genutzt.

Tatsächlich sind die konventionellen Spielgeräte starr und unbeweglich,

in Beton zementiert, und lassen den Kindern daher kaum Freiraum

zu eigener Gestaltung. Besonders angesichts der dichten gründer-

zeitlichen Bebauung des Quartiers, in dem die meisten Kinder zudem

in Mietwohnungen zu Hause sind und es keinen Wald oder größere

Freiflächen gibt, wäre es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem die

Kinder (und jüngeren Jugendlichen) selbstbestimmt spielen können

Und Raum haben, ihrer Energie freien Lauf zu lassen.

Wie die Referenzbeispiele zeigen, ist ein Bauspielplatz dank seiner

Kombination aus Freiflächen und handwerklicher Angebote, hervor-

ragend dazu geeignet, Freizeitgestaltung und sozialpädagogische

Aspekte wirksam miteinander zu verbinden. Besonders geeignet

erscheint ein solcher Ansatz angesichts der sozialen Situation im

Goethequartier: Die Kinderarmut hier beträgt rund 40 Prozent, viele

Eltern sind alleinerziehend, es herrscht zum Teil eine hohe Suchtpro-

blematik und viele der Kindern können dem Regelunterricht aufgrund

von Sprachdefiziten und fehlender Unterstützung von zuhause nicht

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einundfünfzig

folgen (Rückenwind e. V.). Aus eigener Erfahrung können wir zudem

sagen, dass viele der Kinder im Quartier wenig Vertrauen in ihre Fähig-

keiten besitzen, sich andererseits aber durch Neugierde und Ausdauer

auszeichnen und durchaus ihre Potentiale haben. Durch einen Bau-

spielplatz können diese Fähigkeiten gestärkt werden: Die Kinder im

Goethequartier würden mehr Selbstvertrauen erlangen und soziales,

gemeinschaftliches Handeln erlernen.

Aus Gesprächen mit den Betreuerinnen des Rückenwind e. V. wissen

wir, dass die Nachmittagsbetreuung mit bis zu 90 Kindern ihre Kapazi-

tätsgrenzen erreicht hat. Ein Bauspielplatz würde hier ein sinnvolles

Ergänzungsangebot darstellen, besonders auch für ältere Kinder, die

der Verein mit seinem Angebot nicht mehr erreicht und die noch zu

jung sind für den Jugendtreff. Anstatt auf der Straße zu spielen würde

der Bauspielplatz hier eine spannende Alternative darstellen. Um den

Bauspielplatz umzusetzen, wird vor allem viel Platz benötigt. Zwischen

Zollinlandstraße und Meidestraße befindet sich ein großes öffentliches

Areal, eine Rasenfläche, neben dem sich ein offenbar wenig genutzter

Spielplatz befindet, der in einen zukünftigen Bauspielplatz integriert

werden könnte.

Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“

Page 156: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundfünfzig

Wie die Referenzbeispiele zeigen, kann solch ein Projekt nur auf ehren-

amtlicher Basis gestemmt werden, hilfreich sind zudem Spendengelder

und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Andererseits können die

Kosten relativ niedrig gehalten werden, wenn das Holz und sonstige

Baumaterialien gespendet werden. Die Fläche müsste zudem natürlich

von der Stadt zur Verfügung gestellt werden.

Wichtige Akteure im Quartier, die momentan in der Kinder- und

Jugendarbeit aktiv sind und von deren Erfahrung man somit profi-

tieren könnte, sind der Rückenwind e. V. sowie das Jugendzentrum

Lehe-Treff. Eine enge Kooperation mit diesen beiden Einrichtungen

ist vor allem deswegen zu empfehlen, weil der Bauspielplatz das

bereits vorhandene Angebot im Goethequartier sinnvoll erweitern und

ergänzen kann, jedoch keinesfalls eine Konkurrenz zu bestehenden

Institutionen darstellen soll. Der Rückenwind e. V. als möglicher Partner

besitzt zudem schon Expertise im Bau von Holzhütten mit Kindern,

da eine solche Aktion bereits im eigenen Garten durchgeführt wurde.

Desweiteren wäre es denkbar, dass ein lokaler Handwerksbetrieb

die Patenschaft für das Projekt übernimmt und den Kindern mit

Fachwissen und Material zur Seite steht. Auch sonstige Bildungs- und

Betreuungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Astrid-Lindgren-Schule,

könnten in das Projekt miteinbezogen werden und – wie andernorts

der Fall – den Bauspielplatz am Vormittag für diverse Aktivitäten mit

Klassen oder Kindergartengruppen nutzen.

Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein

passendes Grundstück zur Verfügung steht und für den Anfang nur

wenig Material benötigt wird.

Für die Gründung des Bauspielplatzes ist es ratsam, dass sich alle

Interessierten, vor allem natürlich Eltern, idealerweise angeführt von

einem „Kümmerer“, in einem gemeinnützigen Vereins zusammen-

schließen. Dadurch wird der Austausch von Ideen gefördert und das

Projekt beschleunigt, zugleich hilft eine starke Organisation dabei,

Hemmnisse zu beseitigen und die Finanzierung zu erleichtern. Deswei-

teren muss mit der Stadt ein Zwischennutzungsvertrag geschlossen

werden, der den Bauspielplatz zunächst einmal temporär – beispiels-

weise auf ein Jahr – beschränkt. Falls auf dem Areal zukünftig anderes

geplant werden sollte, kann der Spielplatz rasch wieder abgebaut

werden, ansonsten ließe sich der Vertrag mit dem Einverständnis der

beiden Vertragspartner, beliebig oft verlängern.

Page 157: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreiundfünfzig

Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und natürlich entsteht auch Lärm,

d. h., Konflikte mit Anwohnern sind nicht auszuschließen. Allerdings ist

an der betreffenden Stelle bereits ein Spielplatz vorhanden, der, falls er

gemäß seiner Bestimmung intensiv genutzt würde, auch jetzt schon

eine Geräuschkulisse erzeugen würde, außerdem ist das Quartier

in Teilen bereits jetzt durch Mischnutzung geprägt, so dass sich der

Unterschied in Grenzen halten dürfte. Eine Lösung wäre, die Öffnungs-

zeiten auf wenige Stunden am Nachmittag zu beschränken, um die

Lärmbelastung einzudämmen. Desweiteren müssten sich Erwachsene

finden, die den Bauspielplatz innerhalb der Öffnungszeiten betreuen,

da sonst die Verletzungsgefahr zu groß ist. Ein allgemeines Problem ist

zudem Vandalismus: Der Rückenwind e.V. etwa verlor im Frühjahr 2010

drei Hütten durch mutmaßliche Brandstiftung. Aus diesem Grund sollte

der Bauspielplatz außerhalb der Öffnungszeiten unzugänglich sein.

Das Tool „Bauspielplatz“ stellt eine neue, intensive Nutzungsmög-

lichkeit für einen momentan stark untergenutzten bis gar nicht

genutzten Freiraum im Quartier dar, fällt also unter die Kategorie

„Möglichkeitsraum“.

Auf jeden Fall bedarf es für Realisierung wie Betreuung eines solchen

Platzes mehrerer „Kümmerer“, die sich der pädagogischen und

handwerklichen Erziehung der Kinder annehmen und Spaß haben an

der gemeinsamen Arbeit mit jungen Menschen.

Nicht zuletzt besitzt das Tool auch unter Marketinggesichtspunkten

eine große Bedeutung, da sich viele Eltern, besonders in größeren

Städten, einen Ort wünschen, an dem ihre Kinder sich wohlfühlen und

in sicherer Umgebung spielerisch lernen, ihrer Kreativität Ausdruck zu

verleihen. Das Projekt Bauspielplatz kann, wie auch das Beispiel in

Siegen zeigt, Ausstrahlkraft weit über das Quartier hinaus entfalten.

Page 158: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundfünfzig

#05: nachBarSchaFtSGärten/ interkulturelle Gärten

In Deutschland noch vor wenigen Jahren als innovative Idee gefeiert,

gehören gemeinschaftlich genutzte Gärten in der Großstadt inzwischen

längst zum Standardrepertoire, wenn es um die (temporäre) Nutzung

innerstädtischer Brachflächen geht.

Ihren Ursprung hat die urban gardening-Bewegung in den USA, wo

bereits in den 1970er Jahren erste Gemeinschaftsgärten (community

gardens) entstanden, unter anderem in New York, das damals zu

großen Teilen im wirtschaftlichen Niedergang begriffen war. In jüngerer

Vergangenheit boomt dieses Konzept vor allem im ehemals indust-

riell geprägten Nordosten des Landes, wo zahlreiche Städte schon

seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Schrumpfung konfrontiert

sind. Typischerweise trifft dieser Prozess zuerst und am stärksten die

Wohngebiete im Stadtzentrum, die Stück für Stück entvölkert werden.

Während sich die Wohlhabenderen in die – auch bei schrumpfenden

Städten wie Detroit häufig florierenden – suburbanen Einfamilienhaus-

siedlungen zurückziehen, bleiben insbesondere ärmere, zumeist den

ethnischen Minderheiten zugehörige Bevölkerungsgruppen zurück.

Innerhalb Deutschlands kann für Bremerhaven zum Beispiel Leipzig

als Vorbild dienen, da dort ebenfalls innenstadtnahe Altbauquartiere

von Bevölkerungsschwund und nachfolgendem Leerstand bzw. Abriss

betroffen sind. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, entstanden

2004 im Stadtteil Lindenau auf Initiative des dortigen Stadtteilvereins

die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße, die ehemals verwahr-

loste und vermüllte Brachengrundstücke nutzen. Ziel des Projekts

war dabei „nicht die Schaffung von dauerhaftem Grün, sondern eine

stadträumliche und soziale Aufwertung dieses stark von Perforation

geprägten Gebietes als Beitrag zur langfristigen Etablierung neuer

Wohnmodelle“ (Leipziger Westen).

Am Anfang des Projekts stand die Recherche nach den Grundstücks-

eigentümern und die anschließende Kontaktaufnahme. Stellvertretend

für die Gartennutzer schloss der Stadtteilverein Lindenau daraufhin

mit den diversen Eigentümern Nutzungsvereinbarungen, die die

unentgeltliche Nutzung der Grundstücke für Nachbarschaftsgärten

Page 159: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundfünfzig

gewährleisten. Die Verträge verlängern sich jeweils automatisch um ein

Jahr, sofern sie nicht gekündigt werden. Eine Kündigung ist allerdings

nur im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Bebauung zulässig.

Beim Anlegen des Gartens halfen neben den Mitgliedern des

Bürgervereins auch Bewohner des Stadtteil sowie Jugendliche, die

Sozialstunden ableisten mussten. Die Finanzierung erfolgte über das

EU-Programm URBAN II sowie zum überwiegenden Teil durch ehren-

amtliche Tätigkeit und Sachspenden. Entscheidend hierbei war die

tägliche Berichterstattung in der lokalen Presse, die dazu beitrug, alle

Bewohner des Stadtteils zu informieren, Spenden zu akquirieren und

weitere Bürger zum Mitmachen zu motivieren.

Die Gartenparzellen, die nicht durch Zäune abgegrenzt werden (dürfen),

werden jedes Jahr im Februar neu vergeben, die Aufteilung erfolgt

dabei in Absprache mit bereits aktiven Nutzern. Die Nutzung der

Gärten ist – abgesehen von einem einmaligen Anteil von 45 Euro am

Wasserverbrauch – kostenfrei. Um Vandalismus zu verhindern, ist das

gesamte 500 qm große Grundstück nur durch ein abschließbares Tor

zugänglich, zudem kümmert sich ein ehrenamtlicher Verantwortlicher

darum, dass einzelne Parzellen nicht verwahrlosen, d. h., er spricht

Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin

Page 160: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsundfünfzig

Nutzer, die ihren Teil des Grundstücks offensichtlich nicht mehr pflegen,

bei Bedarf direkt an. Die erhofften positiven sozialen Folgen haben sich

nach Angaben des Stadtteilvereins bereits eingestellt: So zog beispiels-

weise eine Familie mit fünf Kindern in ein Gebäude direkt neben den

Nachbarschaftsgärten, weil ihr die Aussicht auf eine grüne Umgebung

sowie die Möglichkeit der gärtnerischen Betätigung direkt vor der

Haustür attraktiv erschien.

Unter den unzähligen Gartenprojekten, die in Berlin verwirklicht

werden, hat in den vergangenen Jahren insbesondere der 2009

gegründete „Prinzessinnengarten“ im Stadtteil Kreuzberg eine relativ

große Bekanntheit erlangt. Vorbildlich ist er vor allem aufgrund seines

dezidiert temporären Charakters sowie seiner ökonomischen Tragfä-

higkeit. Das gemeinnützige Unternehmen ‚Nomadisch Grün‘, das die

rund 6.000 qm große Brachfläche am Moritzplatz vom Berliner Liegen-

schaftsfond gepachtet hat, versteht sich zwar in erster Linie als eine

Einrichtung zur „Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in den Bereichen

Umweltschutz, Biodiversität, Gesundheitsfürsorge, Klimaschutz und

nachhaltige Stadtentwicklung“ (Nomadisch Grün), daneben steht

jedoch auch ein gewerblicher Ansatz, der sich in einer Gartengas-

tronomie und der Direktvermarktung des Gemüses äußert. Zudem

akquirieren die Betreiber Fördergelder für ihre diversen Bildungs-,

Jugend- und Umweltprojekte und vergeben für 55 Euro pro Jahr

Patenschaften für jeweils ein Gemüsebeet.

Diese Beete bestehen aus recycelten Industriekörben, die zusammen

ein transportables und modulares System bilden, das das Projekt mobil

und gleichzeitig vom Boden unabhängig macht, wodurch zugleich

der Anbau nach Biokriterien gewährleistet ist. Gemäß ihres sozialen

und kulturellen Anspruchs veranstalten die Betreiber des „Prinzessin-

nengartens“ kollektive Gartenbauaktionen, an denen jeweils mehrerer

hundert Anwohner und sonstige Interessierte teilnehmen, eine regel-

mäßige „Gartensprechstunde“, ein Kulturprogramm, Bildungsangebote

für Kinder und Jugendliche etc. Auf diese Weise werden unterschied-

liche städtische Kulturen, Milieus und Lebensformen einbezogen, was

letztlich die Nachbarschaft in dem sozial schwachen Quartier stärkt

und aktiviert.Als weitere Argumente für die urbane Landwirtschaft

lassen sich die kostengünstige Versorgung mit gesunden, frischen

Lebensmitteln sowie die dadurch bedingte Steigerung der Lebens-

qualität anführen, hinzu kommt die Attraktivitätssteigerung durch mehr

Page 161: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundfünfzig

Grün in der Stadt. Aspekte wie die Verkürzung von Transportwegen,

also die Reduktion von Verkehr und CO2 sowie die Verbesserung des

Mikroklimas spielen im Kontext des Goethequartiers dagegen eine eher

untergeordnete Rolle.

Die Integration von Bewohnern mit kulturell vollkommen unter-

schiedlichen Hintergründen ist das primäre Ziel der interkulturellen

oder internationalen Gärten, die seit einigen Jahren das Spektrum

der Gartenprojekte bereichern. Referenzbeispiele hierzu finden sich

zahlreich auf der Website der Stiftung Interkultur (www.stiftung-inter-

kultur.de), die ein informelles Netzwerk für sämtliche Gärten dieses Typs

in Deutschland, Österreich und der Schweiz darstellt und viele nützliche

Tipps anbietet sowie Praxisseminare veranstaltet. Insgesamt sind unter

diesem Dach momentan 112 Interkulturelle Gärten organisiert, 65

weitere sind nach Angaben der Stiftung derzeit in Planung, darunter

einer in Bremerhaven-Wulsdorf.

Welche potentiellen Vorteile und Chancen sich aus innerstädtischen

Gärten speziell für Migranten ergeben, schildert die Stiftung Interkultur

vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrung: Zum einen stammen

diese Menschen häufig aus kleinbäuerlichen Verhältnissen oder bringen

sonstige Erfahrungen in Gartenwirtschaft oder Handwerk mit, sind

also an Subsistenzwirtschaft gewöhnt und aufgrund ihrer begrenzten

finanziellen Mittel zum Teil sogar darauf angewiesen. Dadurch, dass

sie auch in der neuen Heimat ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen

können, ergeben sich zudem Erfolgserlebnisse, die insbesondere für

sozial benachteiligte Menschen von großer Bedeutung sind. Darüber

hinaus stellen Interkulturelle Gärten im Idealfall Anknüpfungspunkte für

eine stärkere Integration in den Arbeitsmarkt dar und sind der beruf-

lichen Orientierung Jugendlicher förderlich. Auch das bei Migranten

häufig vermisste bürgerschaftliche Engagement kann sich in diesem

Rahmen eventuell leichter entfalten. Nicht zuletzt bietet die Vielfalt der

Pflanzen und der damit zubereiteten Gerichte die Chance des inter-

kulturellen Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Das gemeinsame Essen, das in den Interkulturellen Gärten stattfindet,

wird so zum verbindenden Element. In diesem Zusammenhang weist

die Stiftung Interkultur darauf hin, dass es sich vielfach bewährt habe,

gewisse Quoten für die Nutzung der Parzellen einzuführen, um auf

diese Weise zu verhindern, dass sich bestimmte Gruppen bewusst

abschotten (Stiftung Interkultur).

Page 162: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundfünfzig

Insbesondere das Leipziger Beispiel erscheint für den Ortsteil Goethe-

straße relevant, da Ausgangssituation (schrumpfende Stadt) wie Lage

(Altbauquartier) sehr ähnlich sind. Die einzelnen Realisierungsschritte

können daher im Grunde übernommen werden. Als vorbildlich darf

vor allem die dortige Nutzungsvereinbarung gelten, die bei konkreten

Plänen für eine Neubebauung die rasche Kündigung vorsieht, während

eine willkürliche bzw. prophylaktische Vertragsauflösung ausge-

schlossen ist. Das Modell des interkulturellen Gartens könnte zudem

für das Goethequartier interessant sein, da hier der Anteil an Menschen

mit nicht-deutscher Herkunft besonders hoch ist.

Als konkreter Ort für die Realisierung kommt im Prinzip jede Baulücke

infrage, die Größe spielt dabei keine entscheidende Rolle. Hinsichtlich

der Lage stellen sich jedoch zwei Fragen, die miteinander zusammen-

hängen: Erstens, soll der Garten etwas abseits angelegt sein, also

ruhig und geschützt, oder sich an einer eher exponierten und damit

publikumswirksamen Stelle befinden? Und zweitens, soll er primär von

den unmittelbaren Anwohnern genutzt werden oder, im Idealfall, eine

Art Treffpunkt für die Menschen aus dem gesamten Goethequartier

bilden? Im zweiten Fall würde sich das große Grundstück gegenüber

Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York

Page 163: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunundfünfzig

der „theo“ (oder ein Teil davon) anbieten, wobei zu berücksichtigen ist,

dass diese Einrichtung selbst auf die Freifläche spekuliert, um sie als

Parkplatz nutzen zu können. Zudem könnte das Areal eventuell wieder

bebaut werden, was einer temporären Gartennutzung allerdings nicht

im Wege steht.

Wie die Beispiele zeigen, entstehen vor allem zu Beginn des Projekts

gewisse Kosten, die jedoch größtenteils durch Eigenleistung von

Freiwilligen aufgefangen werden können. Die Stiftung Interkultur rechnet

mit Anfangsinvestitionen von 5.000 bis 9.000 Euro für Geräte und

Material (Stiftung Interkultur), darin enthalten sind aber auch Posten,

die nicht in jedem Fall notwendig sind. Die Pofitorientierung spielt nur

bei den allerwenigsten Gartenprojekten eine Rolle, Gewinne lassen sich

realistischerweise nur auf größeren Grundstücken erzielen.

Relevante Akteure sind zunächst einmal die jeweiligen Grundstücks-

eigentümer; idealerweise ist dies die Stadt, die die Fläche zuvor

erworben hat. Darüber hinaus müssen auf jeden Fall die unmittelbaren

Anwohner einbezogen werden, da sie durch die Nutzungsänderung

voraussichtlich beeinträchtigt sind.

Je nachdem, wie viele (ehrenamtliche) Mitarbeiter zur Verfügung

stehen, kann eine Brachfläche innerhalb weniger Wochen für die

Gartennutzung vorbereitet werden. Zeitaufwändig gestaltet sich vor

allem die Bearbeitung bzw. der Austausch des Bodens, falls direkt

ins Erdreich gepflanzt werden soll. Werden andere Pflanzbehältnisse

benutzt, bedarf es dagegen nur einer sehr kurzen Vorbereitungszeit. Es

empfiehlt sich, mit den ersten Schritten im Winter zu beginnen, damit

die Beete rechtzeitig zu Beginn des Frühjahrs zur Verfügung stehen.

Als rechtlicher Rahmen bietet sich am ehesten ein eingetragener Verein

an, der das gesamte Grundstück vom Eigentümer (unentgeltlich)

pachtet und zeitlich befristet an die Nutzer vergibt.

Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu

minimieren, ist es entscheidend, diese davon zu überzeugen, dass

die Gartennutzung auf eine zeitliche Befristung hin ausgelegt ist

und jederzeit beendet werden kann. Empfehlenswert sind daher

Nutzungsvereinbarungen nach dem Beispiel Leipzigs sowie bewusst

temporäre Pflanzbehältnisse wie im „Prinzessinnengarten“. Sofern

Page 164: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechzig

sich das entsprechende Grundstück im Besitz der Stadt Bremerhaven

befindet, ist allerdings fraglich, ob eine gärtnerische Zwischennutzung

für die Verantwortlichen überhaupt in Frage kommt. Bei der Nutzung

selbst schließlich kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren

Anwohner – je nach Lage des entsprechenden Grundstücks – nicht

ausgeschlossen werden.

Sämtliche denkbare Gartenprojekte sind primär natürlich unter dem

Aspekt der Nutzung von Möglichkeitsräumen zu betrachten, da sie in

Baulücken bzw. auf Brachflächen angesiedelt sind.

Allerdings lassen sich damit auch Marketingabsichten verfolgen, da

innerstädtische Garten-Initiativen, trotz des Booms der vergangenen

Jahre, auf lokaler Ebene immer noch eine gewisse Aufmerksamkeit

erzeugen dürften. Da Gärten zudem für die meisten Menschen extrem

positiv besetzt sind, ist damit zu rechnen, dass ein solches Projekt das

Image des Quartiers deutlich aufwertet.

Insbesondere in der Planungs- und Vorbereitungsphase braucht es

Menschen, die sich für ein relativ umfangreiches Projekt wie dieses

einsetzen. Auch danach kann, wie die Referenzbeispiele zeigen, auf die

Betreuung durch einen „Kümmerer“ vermutlich nicht völlig verzichtet

werden, da ansonsten völlige Vernachlässigung durch einige Nutzer

und eventuell Vandalismus drohen.

Die lokalökonomische Bedeutung eines Gemeinschaftsgartens

beschränkt sich in aller Regel auf die Eigenversorgung der betei-

ligten Anwohner. Wie das Beispiel des „Prinzessinnengartens“ zeigt,

kann jedoch ein solches Projekt bei entsprechender Größe auch mit

(beschränktem) kommerziellem Hintergrund betrieben werden.

Page 165: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

einundsechzig

#06: laDen Zu VerSchenken

Ein überaus interessantes Projekt zur Belebung einer Einkaufsstraße

lief im Frühjahr 2011 in Rostock an: Dort initiierte das städtische

Wohnungsunternehmen WIRO in Kooperation mit der Ostsee-Zeitung

unter dem plakativen Namen „Laden zu verschenken“ einen Ideen-

wettbewerb, bei dem die Teilnehmer ihre Geschäftsidee für einen

Laden in der Langen Straße 5 einreichen konnten. Prämiert wurde

das beste Konzept, das selbstverständlich einen Geschäftsplan

enthalten musste, anhand dessen unter anderem Finanzierung und

wirtschaftliche Tragfähigkeit beurteilt werden konnten. Der Gewinner

des Wettbewerbs konnte ab Juni das 86 Quadratmeter große Geschäft

beziehen, die Jahresnettokaltmiete von ca.18.000 Euro wurde ihm von

der WIRO für ein Jahr erlassen. Die Jury des Wettbewerbs bestand

aus Vertretern von Politik, Wirtschaft und Medien, zudem berichtete

die Ostsee-Zeitung als Mitveranstalter ausführlich über dieses Projekt

und spendiert nach eigenen Angaben dem Sieger ein öffentlich-

keitswirksames, auf die Idee zugeschnittenes Werbekonzept (WIRO,

Ostsee-Zeitung).

Das Projekt richtete sich ausdrücklich an Existenzgründer, daher durfte

im Zusammenhang mit der Idee zuvor weder eine Gewerbeanmeldung

vorgelegen haben, noch durfte das Konzept in der Vergangenheit bei

einem anderen Wettbewerb eingereicht worden sein. Um die Existenz-

gründung zu unterstützen, bot die WIRO dem Gewinner nach dem

Wettbewerb eine fachliche Beratung an (WIRO).

Erstmals über das Projekt berichtet hatte die Ostsee-Zeitung Anfang

März 2011, nach Angaben der WIRO waren zudem rund vier Wochen

Vorbereitungszeit notwendig. Die Idee zu dem Wettbewerb stammte

von einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft, die Gewerbefläche,

die im Rahmen dessen zur Verfügung gestellt wurde, befand sich

bereits im Bestand der WIRO (WIRO, Ostsee-Zeitung).

Im Zuge der Analyse, die die Projektgruppe im Ortsteil Goethestraße

durchführte, zeigte sich, dass Ladenleerstand hier ein Problem darstellt,

für das bislang keine befriedigende Lösung gefunden wurde – eine

Einschätzung, die unter anderem von Holger Kattert vom Designlabor

Page 166: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundsechzig

Bremerhaven bestätigt wurde. Außerdem ergab die Analyse, dass

Existenzgründer für die wirtschaftliche Entwicklung im Ortsteil Goethe-

straße eine weit größere Rolle spielen könnten als bisher. Beide dieser

Erkenntnisse versucht das Tool „Laden zu verschenken“ zu verbinden.

Für die Implementierung des Projekts sollte ein strategisch günstiger

Ort gewählt werden. Infrage kommt beispielsweise ein leerstehendes

Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, das momentan

das einzig nicht genutzte in der Goethestraße ist. Der Laden

befindet sich in einem sanierungsbedürftigen Gebäude mit sieben

Wohneinheiten und einer Gewerbeeinheit, das derzeit im Rahmen

einer Zwangsversteigerung durch die wesDA Consulting Real Estate

Vertriebsgesellschaft mbH verkauft wird (wesDA). Dieses Gebäude

könnte aufgrund seiner Lage an der Grenze zwischen dem relativ

belebten nördlichen Abschnitt der Goethestraße und dem südlichen

Teil, der rein dem Wohnen vorbehalten ist (die Zäsur bildet hier die

Kistnerstraße), eventuell eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des

Quartiers spielen. Die Umsetzung eines öffentlichkeitswirksamen

Projekts wie „Laden zu verschenken“ an dieser Stelle wäre zudem

ein sinnvoller Beitrag zur Aufwertung des Gebiets. Sollte sich die

Durchführung hier nicht realisieren lassen, sind natürlich auch andere

Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock

Page 167: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreiundsechzig

Standorte denkbar, beispielsweise in der Hafenstraße, die ebenfalls

Ladenleerstand zu verzeichnen hat.

Neben der Nachnutzung eines einzelnen leerstehenden Ladens ließe

ein Ideenwettbewerb wie der eben beschriebene weitere positive

Effekte für das Gebiet erhoffen: Da die Teilnehmer mit der Erstellung

eines Geschäftsplans (in den unter Umständen viel Zeit investiert

wurde) bereits den ersten Schritt in Richtung einer Existenzgründung

unternommen haben, könnten sich einige von ihnen, die nicht den

ersten Platz erreicht haben, dazu entschließen, ihr Konzept an einem

anderen Ort umzusetzen. Auf diese Weise werden durch das Tool

möglicherweise private Existenzgründungen generell gefördert und

somit die lokalen Ökonomien auch indirekt unterstützt.

Die Kosten der Jahresnettokaltmiete beim Referenzbeispiel aus

Rostock belaufen sich auf 18.000 €, zuzüglich einiger Kosten für die

Vorbereitung des Projekts, die allerdings von der veranstaltenden

Wohnungsgesellschaft als eher niedrig eingeschätzt wurden. Zu

beachten ist allerdings, dass sich das Ladenlokal in der Langen Straße

bereits vor Beginn des Wettbewerbs im Bestand der WIRO befand,

während das von uns für die Umsetzung eines solchen Projekts

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§HAUS 43

RÜCKENWIND

FRAUENCAFÉ

POTENTIALE (KEIMZELLE #2)

§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Einzelhandel

Restaurant

Café

Kneipe

Friseur

physische Barrieren

Schlüsselgebäude

Passanten

spielende Kinder

Begrünung

gestaltete Gärten

Brachfläche

Abbildung (18): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“

Page 168: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundsechzig

empfohlene Gebäude erst noch zwangsversteigert wird. Der Mindest-

kaufpreis beträgt dabei 70.000 €. (Ostsee-Zeitung, wesDA).

Die tatsächlichen Kosten der Implementierung des Tools „Laden zu

verschenken“ hängen stark von der Art der Durchführung ab und sind

nur schwer abzuschätzen. Denkbar wäre etwa, dass die Stäwog,

die grundsätzlich am Kauf einiger Gebäude im Ortsteil Goethestraße

interessiert ist, das Haus inklusive des Ladens erwirbt, um dann

das Erdgeschoss dafür zu nutzen, einen ähnlichen Wettbewerb

umzusetzen. Auch wenn hierbei neben dem Kaufpreis noch zusätzliche

Kosten für die Gebäudesanierung anfallen würden, erscheint diese

Variante besonders empfehlenswert, da so das Ladenprojekt mit einem

beispielhaften Wohnprojekt in den oberen Geschossen gekoppelt

werden könnte.

Ein alternatives Szenario sähe so aus, dass das Gebäude zunächst

von einem beliebigen Käufer erworben wird, an den anschließend der

Wettbewerbsveranstalter, eventuell das Stadtplanungsamt, herantritt,

um ihm die Durchführung des beschrieben Projekts anzubieten. Für

den Neueigentümer könnte dies attraktiv sein, da ein Geschäft mit

Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße

Page 169: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundsechzig

einem tragfähigen Konzept langfristig den Leerstand des Laden-

lokals verhindert und zugleich die gesamte Immobilie aufwertet. Bei

dieser Variante könnten die Kosten für die Anwendung des Tools

entscheidend minimiert werden, zugleich kommen jedoch andere

Unwägbarkeiten hinzu, da erfahrungsgemäß die Bereitschaft des

Eigentümers zur Beteiligung an einem solchen Projekt nicht vorausge-

setzt werden kann.

Das Beispiel aus Rostock zeigt, dass es für solch ein Projekt lediglich

zweier Parteien bedarf, die beide allerdings von großer Bedeutung

sind: Zum einen ist das der Eigentümer des fraglichen Objekts, je nach

Ausgang der Zwangsversteigerung wäre das im Goethequartier die

Stäwog, die Stadt oder ein Dritter. Im letzteren Fall sollte die Rolle des

Vermittlers und des Projektinitiators im Idealfall vom Stadtplanungsamt

übernommen werden. Zum anderen ist für eine erfolgreiche Durch-

führung eine hohe Medienpräsenz entscheidend, entsprechend der

Ostsee-Zeitung in Rostock käme im Ortsteil Goethestraße

natürlich die Nordsee-Zeitung als Kooperationspartner infrage.

In Rostock dauerte der Wettbewerb rund drei Monate, inklusive vier

Wochen Vorbereitungszeit. Eine vergleichsweise schnelle Umsetzung

scheint also möglich. Dass das empfohlene Objekt bereits zum Verkauf

steht und momentan nicht vermietet ist, spricht ebenfalls für eine

zügige Durchführung.

Nach Abschluss des Wettbewerbs kann ein gewöhnlicher Pachtvertrag

zwischen dem Besitzer und dem Nutzer abgeschlossen werden. Alle

Teilnehmer müssen zudem eine „Einverständniserklärung zur Medien-

arbeit“ unterzeichnen, in der sie sich mit der Presseberichterstattung

auch über ihre Person einverstanden erklären.

Die Besitzverhältnisse im Ortsteil Goethestraße stellen wohl die größte

Hürde bei der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ am

empfohlenen Ort dar. Die Lösung dieses Problems (Zwischenerwerb

durch die Stadt) ist aufgrund der Immobilienspekulation oftmals mit

einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden.

Sollte das Objekt dagegen von einem Dritten erworben werden, der

von einer Kooperation überzeugt werden kann, weil er statt an einer

kurzfristigen Gewinnerzielung an einer nachhaltigen ökonomischen

Page 170: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsundsechzig

Verwertung interessiert ist, steht einem solchen Projekt kaum etwas

im Wege. Falls hingegen kein Interesse des Eigentümers an einem

solchen Wettbewerb besteht, müsste die Maßnahme an einem Ort mit

günstigeren Besitzverhältnissen umgesetzt werden.

Da der Schwerpunkt des Tools „Laden zu verschenken“ auf der Unter-

stützung der Existenzgründer liegt, dient es vor allem der Förderung

der lokalen Ökonomie.

Das Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße stellt aufgrund

des derzeitigen Leerstands eindeutig einen Möglichkeitsraum dar.

Durch das Tool kann dieser nachhaltig aktiviert werden, die Art seiner

Nutzung ergibt sich dabei aus dem Konzept des künftigen Mieters.

Die intensive Medienberichterstattung über ein solches Projekt erhöht

nicht nur die Chancen auf eine rege Beteiligung und auf einen ökono-

mischen Erfolg des zukünftigen Nutzers, sondern wirkt sich zweifellos

auch positiv auf das Image des gesamten Quartiers aus.

Page 171: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundsechzig

#07: ProBewohnen

In der historischen Innenstadt von Görlitz können seit 2008 sämtliche

Interessierte – Familien, Alleinerziehende mit Kindern, Lebensgemein-

schaften, Ehepaare ohne Kinder, Singles und Senioren – unter dem

Motto „Schau doch mal rein! Probewohnen“ eine Woche lang sanierte

und voll eingerichtete Wohnungen mietfrei nutzen. Das Projekt wurde

unter der Federführung der TU Dresden in Zusammenarbeit mit dem

Görlitz Kompetenzzentrum Revitalisierender Städtebau, der Stadt

Görlitz und der WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz ins Leben

gerufen und mit Mitteln des Bundes aus dem Forschungsprogramm

„Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) gefördert.

Insgesamt gab es über 750 Bewerber aus ganz Deutschland und dem

angrenzenden Ausland, die das Angebot annehmen wollten. Aufgrund

dieses großen Interesses entschlossen sich die drei Projektpartner zur

Fortsetzung des Programms bis 2010, so dass letztlich 120 Personen,

Paaren und Familien eine Teilnahme ermöglicht werden konnte.

Während die WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz mbH die Organi-

sation übernahm, führte das Kompetenzzentrum die wissenschaftliche

Begleitstudie durch, für die jeder erwachsene Teilnehmer befragt

wurde.

Ziel der gesamten Aktion war es, Görlitzern wie auch Ortsfremden

die Vorteile und die Lebensqualität aufzuzeigen, die mit dem Leben in

der Görlitzer Innenstadt verbunden sind. Durch die Erprobung bzw.

Simulation des Wohnalltags konnten dabei eigene Wohnerfahrungen

gemacht werden, außerdem erhofft man sich von den „Probewohner“

Hinweise für die weitere Quartiersentwicklung. Angesichts des hohen

baukulturellen Werts der historischen Innenstadt ist eine Verbesserung

der dortigen Wohnqualität wie auch des Images dieses Stadtraums

von großer Bedeutung: „Nur auf dieser Basis gelingt die Erhaltung

und zukunftsorientierte Nutzung älterer Häuser in der Innenstadt von

Görlitz“ (Stadtforschung TU Bremen). Aufgrund des großen Erfolgs des

Projekts erhielt die Initiative „Probewohnen“ 2009 den Nationalen Preis

für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur.

Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der Lage des Gebiets in

einem historischen Innenstadtgebiet und der hohen Leerstandsquote,

Page 172: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundsechzig

würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Momentan

gibt es bereits ein ähnliches Projekt, das leerstehende Immobilien als

Ferienwohnungen offeriert. Der Ansatz des Probewohnens würde

allerdings noch weiter greifen: Zum einen würde das Projekt Leute

anlocken, die bislang nicht die Absicht hatten, Bremerhaven zu

besuchen, zudem würden der Charme des Gründerzeitquartiers ins

Bewusstsein rücken und die Leerstandsproblematikt thematisiert

werden, es ließe sich mediale Aufmerksamkeit erzielen und die Inter-

views mit den Probanden könnten eventuell dabei helfen, Potentiale

aufzudecken. Das Probewohnen wäre somit auch Forschungsge-

genstand und würde dazu beitragen, elementare Fragen zu klären,

wie sich die Wertschätzung des Ortsteils Goethestraße sowie seine

Wohnqualität verbessern lassen und welche gestalterischen Verände-

rungen damit verbunden sind.

Als erster Schritt ist es natürlich notwendig, eine passende Immobilie

für das Projekt ausfindig zu machen. Auf der Website der Wohnungs-

gesellschaft Stäwog steht momentan beispielsweise eine 67m2 große

Wohnung im Herzen des Goethequartiers in einem schönen sanierten

Gründerzeitgebäude leer. Das Objekt befindet sich in der Adolfstraße.

Da die betreffende Wohnung aufgrund der momentanen Leerstands-

problematik im Quartier vermutlich für einen längeren Zeitraum nicht

regulär vermietet werden kann, entstünden durch das Probewohnen

nur relativ geringe Kosten, etwa für den organisatorischen Aufwand

und die eventuell notwendige Renovierung. Andererseits würde die

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§HAUS 43

RÜCKENWIND

FRAUENCAFÉ

POTENTIALE (KEIMZELLE #2)

§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Einzelhandel

Restaurant

Café

Kneipe

Friseur

physische Barrieren

Schlüsselgebäude

Passanten

spielende Kinder

Begrünung

gestaltete Gärten

Brachfläche

Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“

Page 173: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunundsechzig

Aktion der Stäwog voraussichtlich viel mediale und öffentliche Aufmerk-

samkeit bescheren, die sich mittelfristig auch ökonomisch auszahlen

dürfte. Zudem befände sich die Wohnung durch die Renovierung in

bestem Zustand, so dass sie bei Interesse sofort vermietet werden

könnte. Für die Möblierung der Wohnung würde es sich anbieten,

ortsansässige Möbelgeschäfte oder Möbeltischlereien um Ausstel-

lungsstücke zu bitten, um die Wohnung komfortabel und gemütlich

einrichten zu können (im Unterschied zu Görlitz, wo ausschließlich

IKEA-Möbel verwendet wurden). Die Renovierung könnten Bremer-

havener Handwerksbetriebe übernehmen und im Gegenzug dafür als

Sponsoren wirksame mediale Aufmerksamkeit genießen.

Als Hauptakteur, der die Wohnung bereitstellt, kommt in erster Linie

natürlich die Stäwog in Frage, das Stadtplanungsamt wäre wichtig

bei der Koordinierung und Organisation des Projekts. Außerdem

könnte das Designlabor die Aktion begleiten und auch die Befragung

der Probanden sowie die Auswertung der gesammelten Daten

übernehmen. Zudem müssten Sponsoren gefunden werden, die Möbel

zur Verfügung stellen und Handwerksarbeiten übernehmen.

Eventuell könnte auch das gesamte Projekt „Probewohnen“ unter

Federführung des Designlabors stattfinden (in Kooperation mit

der Stäwog natürlich) und unter dem Titel „Verlorene Orte 3“ die

Forschungsreihe dieser Einrichtung mit dem Thema Leerstände im

Wohnungsbereich fortsetzen. Damit würde das Projekt zweifellos auch

Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Görlitz

Page 174: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebzig

einen besonders hohen kreativen und innovativen Gehalt bekommen.

Beispielsweise könnten die Möbelstücke und Accessoires für die

Wohnung von den Stipendiaten des Designlabors in Eigenregie herge-

stellt werden, zudem würden die Ergebnisse der Aktion anschließend in

einem Projektbericht veröffentlicht werden.

Das Tool „Probewohnen“ sollte baldmöglichst in Angriff genommen

werden, da es relativ einfach und mit wenig finanziellem Aufwand

umzusetzen ist, bei den Teilnehmern jedoch interessante Erfahrungen

zutage fördert und auch den veranstaltenden Institutionen eventuell

zu neuen Erkenntnissen verhilft. Zudem bringt solch ein Projekt auf

jeden Fall mediale Aufmerksamkeit für das Goethequartier mit sich.

Hinsichtlich der zeitlichen Dauer kann die Aktion zunächst auf einen

einjährigen Zeitraum beschränkt werden, bei großer Nachfrage lässt

sich das Projekt nach Belieben verlängern.

Wenn das Projekt in Kooperation mit der Stäwog erfolgt, ergeben

sich keinerlei rechtlichen Probleme, da die Wohnungsgesellschaft auf

diesem Gebiet viel Kompetenz und Erfahrung mitbringt und im Allge-

meinen gegen Schäden etc. bereits gut abgesichert ist.

Die Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen,

außerdem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da

andernfalls eventuell Probleme mit sogenannten „Mietnomaden“

auftreten, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.

Zum einen nutzt das Tool „Probewohnen“ einen Möglichkeitsraum und

zeigt durch attraktive Zwischennutzung dessen Potential auf.

Zum anderen lässt es sich unter die Kategorie der Förderung lokaler

Ökonomien einordnen, da es sich aktiv damit beschäftigt, wieder eine

funktionierende Immobilienstruktur und damit Perspektiven für Mieter

und Vermieter im Quartier zu schaffen.

Nicht zuletzt beinhaltet es einen Marketingaspekt, da es mediale

Aufmerksamkeit verschafft und der Außenrepräsentation dient.

Page 175: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

einundsiebzig

#08: wächterhäuSer

Große mediale Aufmerksamkeit erfuhr in jüngster Zeit das Projekt

des 2004 in Leipzig gegründeten Vereins HausHalten e. V. Engagierte

Stadtplaner, Architekten und Geographen haben sich dabei zum Ziel

gesetzt, Altbaugebäude in städtebaulich wichtigen Lagen vor dem

Verfall zu bewahren. Hintergrund der Aktion ist die seit 1990 erfolgte

Sanierung von circa 80 Prozent der gründerzeitlichen Bebauung in

Leipzig, die einherging mit einem Rückgang der Bevölkerung um rund

100.000 Einwohner im selben Zeitraum. Infolge dessen stehen derzeit

etwa 45.000 Wohnungen in der Stadt leer. Durch das extreme Überan-

gebot an Wohnraum besteht vielerorts kaum eine Chance auf reguläre

Wiedernutzung, zugleich führt der Leerstand nicht nur zu einem

schnelleren Verfall der Gebäudesubstanz, sondern bringt die Eigen-

tümer oftmals auch in eine schwierige finanzielle Lage. Um den Verlust

zumindest der denkmalgeschützten Gebäude zu vermeiden, hat es

sich HausHalten e. V. zur Aufgabe gemacht, Eigentümer leerstehender

Gebäude und kreative Raumsuchende zusammenzubringen: Die einen

werden von ihren Betriebskosten entlastet und erhalten von den Nutzer

Leistungen wie Instandhaltung und Kontrolle, die anderen bekommen

ihrerseits viel Fläche für wenig Geld zur Verfügung gestellt. Mit diesem

Modell wird Vandalismus verhindert, und entstehende Witterungs-

schäden werden von den Nutzern zügig gemeldet oder eigenständig

behoben. Der Leitgedanke der „Wächterhäuser“ lautet somit: „Gebäu-

deerhalt durch Nutzung“.

Konkret sieht es so aus, dass sich Interessenten bei dem Verein mit

einem Konzept für ein „Wächterhaus“ bewerben können. Bevorzugt

werden besonders kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungen,

da man davon ausgeht, dass sie eine positive Ausstrahlung auf

das Quartier haben. Wohnnutzung ist aus diesem Grund nur in

Verbindung mit Gewerbenutzung möglich. Die Nutzer, die vor Einzug

Mitglieder des Vereins werden müssen, bezahlen in der Regel keine

Mietkosten, lediglich Betriebskosten und Vereinsbeiträge. Besonders

in den ersten Monaten werden sie zudem in organisatorischen und

bautechnischen Fragen unterstützt, außerdem stellt der Verein über

die gesamte Nutzungsdauer Werkzeug für Reparaturarbeiten zur

Verfügung. Generell übernimmt HausHalten e. V. neben der Vermittlung

auch eine beratende Funktion: Eigentümern in besonders schwieriger

Page 176: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundsiebzig

Lage beispielsweise wird geholfen, Fördermittel zur Sicherung ihrer

Gebäude zu beantragen. Zugleich werden vom Verein offensiv solche

Nutzer („Hauswächter“) angeworben, die mit fachlicher Unterstützung

in der Lage sind, die Immobilienobjekte in einen nutzbaren Zustand

versetzten. Dabei wird auch auf das Wissen und Können der lokalen

Bevölkerung und des Handwerks zurückgegriffen, kleinere Arbeiten an

den Häusern werden zudem von langzeitarbeitslosen Jugendlichen im

Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt (HausHalten e.

V.).

Die Wohndauer in „Wächterhäusern“ ist zumeist begrenzt auf fünf

Jahre, das Modell stellt also eine befristete Zwischennutzungslösung

dar. Allerdings hat der Eigentümer die Möglichkeit, sein Objekt auch

vorzeitig auf den klassischen Immobilienmarkt zurückzuführen, weshalb

für beide Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen gilt. Das

Projekt ist mittlerweile so erfolgreich, dass alleine in Leipzig bereits 13

solcher Wächterhäuser existieren, daneben interessieren sich auch

andere ostdeutsche Städte (sowie zunehmend solche im Westen)

für das Konzept. So wurden beispielsweise in Erfuhrt, Chemnitz und

Magdeburg Vereine nach dem Modell von HausHalten e. V. gegründet

Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig

Page 177: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

dreiundsiebzig

und es entstanden erste Wächterhäuser (HausHalten e. V., HausHalten

Magdeburg e. V., Stadthalten-Chemnitz e. V.).

HausHalten e. V. in Leipzig lädt ausdrücklich dazu ein, das Konzept

„Wächterhäuser“ zu kopieren. Aufgrund einer ähnlichen Problematik im

Goethequartier (Leerstand und Verfall der gründerzeitlichen Bebauung)

eignet sich das Konzept ganz offensichtlich für die Implementierung in

diesem Gebiet. Da Eckgebäude in der hauptsächlich von Altbau gebil-

deten Blockrandstruktur eine herausgehobene Bedeutung haben, d. h.

entscheidend für das Straßenbild sind, sollten diese zuerst als poten-

tielle „Wächterhäuser“ geprüft werden. Zumal sie sich aufgrund eher

ungünstiger Grundrisse und einem relativ kleinen Innenhofgrundstück

regulär besonders schwer vermieten lassen und damit mehr als andere

Gebäude vom Verfall bedroht sind. Konkret könnte sich etwa das als

„Schlüsselgebäude“ identifizierter Objekt an der Ecke Goethestraße/

Kistnerstraße für die Umsetzung des Tools „Wächterhaus“ anbieten,

doch auch andere Immobilien müssten natürlich auf ihre Eignung

geprüft werden.

G O

E T

H E

S T

R A

S S

E

U H L A N D S T R A S S E

H E I N R I C H S S T R A S S E

A D O L F S T R A S S E

K I S T N E R S T R A S S E

Z O L L I N L A N D S T R A S S E

§HAUS 43

RÜCKENWIND

FRAUENCAFÉ

POTENTIALE (KEIMZELLE #2)

§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Einzelhandel

Restaurant

Café

Kneipe

Friseur

physische Barrieren

Schlüsselgebäude

Passanten

spielende Kinder

Begrünung

gestaltete Gärten

Brachfläche

Abbildung (23): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“

Page 178: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundsiebzig

Für die Übertragung des Leipziger Konzepts auf andere Städte gibt es

bei HausHalten e. V. eine Ansprechperson, die Beratung interessierter

Kommunen übernimmt das Bildungs- und Kompetenzzentrum des

Vereins. Zudem wurde ein Maßnahmenkatalog für die Errichtung eines

„Wächterhauses“ erarbeitet, der an dieser Stelle kurz skizziert werden

soll:

1. Zunächst werden geeigneter Objekte identifiziert, danach erfolgt die

Kontaktaufnahme mit den Eigentümern. Diesen wird der Projektansatz

vorgestellt und somit eine Möglichkeit aufgezeigt, ihrer häufig ausweg-

losen Situation zu entkommen. Anschließend folgen die Einschätzung

des baulichen Zustands sowie die Erstellung eines fachlich fundierten

Gutachtens über die unumgänglichen Sicherungsmaßnahmen.

2. In einem nächsten Schritt wird der rechtliche Rahmen des jeweiligen

Projekts festgelegt. Auf Grundlage der abgeschlossenen Verträge

können Zuschüsse und Fördermittel zur Gebäudesicherung an den

Hauseigentümer gewährt werden.

Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenau

Page 179: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundsiebzig

3. Danach werden Nutzer mit einem für das konkrete Gebäude

passenden Konzept gesucht und die erforderlichen Sicherungs- bzw.

Instandsetzungsmaßnahmen durch Fachfirmen durchgeführt. Nun kann

die Übergabe der Immobilie an die „Hauswächter“, die vom Verein

beraten unterstützt werden, erfolgen.

4. Um den Ansatz des „HausHaltens“ insgesamt bekannt zu machen

und zugleich positive Auswirkungen für das Quartier zu erzielen, bietet

sich eine öffentlichkeitswirksame Eröffnung des Hauses, etwa mit

einem Straßenfest, an (HausHalten e. V.).

Für die erfolgreiche Einrichtung der „Wächterhäuser“ bedarf es

natürlich gewisser Anfangsinvestitionen Allerdings können diese durch

Einbeziehung von Fördermitteln und ehrenamtlicher Arbeit (zumindest

theoretisch) beinahe auf Null reduziert werden.

Obwohl prinzipiell ganz unterschiedliche Akteure für die Einrichtung

der Wächterhäuser denkbar wären, etwa die Stadt selbst, die Stäwog,

einzelne Eigentümer etc., scheint sich am ehesten das Modell

aus Leipzig anzubieten: ein zu diesem Ziel gegründeter Verein aus

engagierten Bürgern, die die gründerzeitliche Bausubstanz ihrer Stadt

bzw. ihres Viertels erhalten wollen. Fachwissen in den Bereichen Archi-

tektur, Bauingenieurwesen, Stadtplanung oder Jura wäre dabei zwar

von Vorteil, ist allerdings keine unbedingte Voraussetzung, da auf die

grundsätzlichen, vielfach erprobten Verfahrensweisen sowie auf alle

notwendigen rechtlichen Instrumente, die in Leipzig erarbeitet wurden,

zurückgegriffen werden kann.

Die Vorbereitung des Projekts kann einige Zeit in Anspruch nehmen,

da viele Aspekte geklärt werden müssen. Die konkrete Zeitspanne, die

etwa zwischen einigen Monaten und über einem Jahr variieren dürfte,

häng dabei von vielen Faktoren ab: der Suche nach Eigentümern, der

Zusammenstellung der beteiligten Personen, der Bereitstellung von

Fördermitteln etc. Entscheidend ist jedoch, dass kaum etwas dagegen

spricht, mit der Umsetzung sofort zu beginnen.

Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte

als vorteilhaft erwiesen hat. Den grundsätzlichen rechtlichen Rahmen

für die Wächterhäuser stellt zudem die sogenannte „Gestattungsver-

einbarung Haus“ zwischen dem Eigentümer und dem zuständigen

Page 180: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsundsiebzig

Verein/Akteur dar. Hierdurch wird die Übergabe der Nutzungsrechte

an den Verein für einen bestimmten Zeitraum – in der Regel fünf Jahre

– festgelegt. Die Eigentumsrechte und -pflichten werden dabei nicht

berührt; ein Verkauf oder eine herkömmliche Sanierung beispielsweise

sind weiterhin (auch während der Vertragszeit) möglich. Zwischen

dem Verein und den Nutzern werden sodann Unternutzungsverträge

abgeschlossen. In der Folge kann sich daraus ein direktes, reguläres

Vertragsverhältnis ergeben (HausHalten e. V.).

Ab dem Zeitpunkt, da der Wunsch entsteht, das Tool „Wächter-

häuser“ im Goethequartier zu implementieren, bis zur Eröffnung des

ersten Hauses sind sicherlich einige Hürden zu überwinden. So ist

beispielsweise nicht sicher, ob der Eigentümer einer ins Auge gefassten

Immobilie erfolgreich ermittelt werden kann und ob seinerseits die

Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Projekt besteht. Zudem müsste

zunächst sichergestellt sein, ob in Bremerhaven überhaupt genügend

Personen vorhanden sind, die willens und in der Lage sind, einen

Verein zu gründen und dessen Arbeit voranzutreiben. Durch die

umfangreiche Vorleistung des HausHalten e. V. in Leipzig steht aller-

dings ein nicht zu unterschätzender Pool an Know-how bereit, der bei

der Lösung möglicher Probleme hilfreich sein kann.

Das Tool deckt wie kaum ein anderes alle übergeordneten Kategorien

ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden.

Zunächst einmal werden durch die Wächterhäuser „Möglichkeits-

räume“, d. h. hier Wohnungsleerstand, nachhaltig aktiviert und für

einen für das Quartier positiven Zweck eingesetzt.

Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutige

Orientierung an gewerblicher und kultureller Nutzung. Auch die Einbe-

ziehung lokaler Handwerksbetriebe und die Zusammenarbeit mit der

Arbeitsagentur verfolgt das Ziel, die Wirtschaftskraft im Quartier zu

stärken.

Die Berichterstattung über das innovative und medienwirksame Projekt

kann das Image des Quartiers zu verbessern helfen.

Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt,

so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als

besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven

städtischen Gesellschaft.

Page 181: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundsiebzig

#09: MoDe auS DeM quartier

Der kleine Hamburger Stadtteil Veddel, auf einer Elbinsel im Hafen-

gebiet gelegen, ist äußerst multikulturell geprägt und wird in der

Öffentlichkeit zumeist als sozialer Brennpunkt wahrgenommen. Das

„Förderwerk Elbinseln e.V.“ jedoch suchte 2008 nach den Potentialen

der dort lebenden Menschen und entdeckte, dass viele der Migran-

tinnen ausgesprochen gute Näherinnen sind und zum Teil Techniken

beherrschen, die andernorts längst in Vergessenheit geraten sind.

Daraufhin initiierte man – finanziert durch Gelder der Internationalen

Bauausstellung Hamburg (IBA) – ein Bewerbungs- und Ausbildungs-

programm, das sich als so erfolgreich erwies, dass im folgenden Jahr,

2009, mit finanzieller Unterstützung der EU-Initiative „Lokales Kapital

für soziale Zwecke – Stärken vor Ort“ ein Werkstatt-Atelier im Stadtteil

Veddel eingerichtet wurde. Es folgte, ermöglicht durch Privatspenden

und Förderprogramme, die Gründung einer Produktionsgenossen-

schaft, aus der schließlich in Kooperation mit der Hamburger

Modedesignerin Sibilla Pavenstedt das integrative Projekt „Made auf

Veddel“ hervorging. Im Herbst 2010 wurde dieses an die Pavenstedt &

Pauli GmbH übertragen, die sich dazu verpflichtet hat, es mindestens

bis 2013 im Sinne der Initiatoren weiterzuführen.

Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit entsteht nun auf der Veddel

aufwendige, multikulturell inspirierte Haute Couture. Als echter

Verkaufsschlager erwies sich daneben zur Advents- und Weihnachts-

zeit individuell gefertigter Christbaumschmuck, der in Hamburger

Boutiquen verkauft wurde. Die Teilnehmerinnen, Frauen aus aller Welt,

profitieren von dem Projekt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wird

ihnen ermöglicht, ihre handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen und

weiterzuentwickeln, zum anderen gewinnen sie im Zuge dessen einen

engeren Bezug zum eigenen Stadtteil und fühlen sich dadurch stärker

integriert.

Auch im Goethequartier leben viele Menschen nicht-deutscher

Herkunft, weshalb man davon ausgehen kann, dass auch unter ihnen

die eine oder andere Person zu finden ist, die über besondere Fähig-

keiten in einer der diversen Handarbeitstechniken verfügt. Allerdings

muss das Referenzprojekt „Made auf Veddel“ an die lokalen Gegeben-

heiten in Bremerhaven angepasst werden, da hier beispielsweise nicht

Page 182: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundsiebzig

dieselben potentiellen Käuferschichten wie in Hamburg existieren.

Deswegen empfiehlt es sich, das Tool „Mode aus dem Quartier“

(zunächst) auf einer weit niedrigeren Ebene anzusiedeln und andere

Kooperationspartner, Kunden und Vertriebswege eventuell erst zu

einem späteren Zeitpunkt ins Auge zu fassen. Zunächst einmal sollte

es darum gehen, einen losen Kreis aus talentierten Menschen mit

Handarbeitsfähigkeiten zu bilden, der anfangs als informelles Netzwerk

fungiert und dem persönlichen und fachlichen Austausch dient.

Dafür müssen zunächst weder Räume gemietet werden, noch ist es

notwendig, einen Verein, eine Genossenschaft o. Ä. zu gründen.

Möglicherweise findet sich unter den Beteiligten bereits eine Person,

die gemeinsam mit anderen eigene Entwürfe umsetzen möchte. Falls

nicht, könnten etwa Privatpersonen gesucht werden, die Interesse an

einer kostengünstigen Fertigung ihrer selbstentworfenen Kreationen

haben. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass dies explizit unter

einem eigenen Namen geschieht (der optimalerweise Bezug nimmt

auf den Herkunftsort), da es mittelfristig das Ziel sein muss, die „Mode

aus dem Goethequartier“ zu einer eigenen „Marke“ zu machen – nicht

notwendigerweise im rechtlichen Sinne, aber zumindest inoffiziell. Als

Kooperationspartner infrage kommen eventuell auch Absolventen

des Studiengangs „Mensch und Mode“ der Hochschule für Künste

Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck

Page 183: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunundsiebzig

Bremen, die sich nach dem Studium selbständig zu machen versuchen

und dabei zum größten Teil über wenig finanzielle Mittel verfügen.

Sollte es irgendwann gelingen, das Projekt kommerziell so erfolgreich

zu gestalten, dass Einnahmen erzielt werden, kann schließlich auch

über die Anmietung eigener Räume nachgedacht werden. Ein geeig-

neter Ort hierfür wäre beispielsweise das unter Tool #08 erwähnte

potentielle „Wächterhaus“ an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, da

dieses Konzept ausdrücklich eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe

vorsieht.

Da Menschen mit besonderer Begabung für textile Handarbeit im

Normalfall eine Nähmaschine besitzen, sind keine größeren Anfangsin-

vestitionen notwendig. Für das Anbieten der eigenen Dienstleistungen

eignen sich Anzeigen, Aushänge, Flyer etc., die ebenfalls nur recht

geringe Kosten verursachen, hinzu kommt kostenlose Mund-zu-Mund-

Propaganda und eventuell ein Internetauftritt.

Ob mit diesem Projekt, ähnlich wie in Hamburg, Gewinne zu erzielen

sind, lässt sich wegen der mangelnden direkten Vergleichbarkeit vieler

Faktoren im Vorfeld nicht abschätzen. In diesem Zusammenhang muss

allerdings immer berücksichtigt werden, dass bei „Made auf Veddel“

Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige

Page 184: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtzig

wesentlich höhere Investitionen getätigt wurden, die durch Stiftung-

und Fördergelder aufgebracht wurden. Selbstverständlich bietet sich

die Beantragung von Mittel aus Initiativen wie „Lokales Kapital für

soziale Zwecke - Stärken vor Ort“ auch für das Goethequartier an,

dazu muss das Projekt zunächst einmal allerdings einen hohen Konkre-

tisierungsgrad erreicht haben und konzeptionell ausgearbeitet werden.

Falls es gelingt „Mode aus dem Quartier“ bis auf eine kommerziell

erfolgreiche Stufe zu führen, sind natürlich auch Einnahmen zu

erwarten, da handgearbeitete Textilwaren prinzipiell begehrt sind. Im

Vordergrund steht aber zunächst der integrative Gedanke.

Personen, die über besondere Handarbeitskenntnisse verfügen,

können eventuell in der Moschee im Viertel, in Kulturvereinen oder dem

Frauencafé in der Goethestraße geworben werden. Die Vorlage einer

solchen Anzeige inklusive Übersetzungen ins Türkische und Arabische,

findet sich in Abbildung 26. Außerdem ist das Tool „Mode aus dem

Quartier“ in besonderem Maße auf „Kümmerer“ angewiesen, die bei

diesem Projekt die Initiative übernehmen, d. h. potentielle Kunden

akquirieren, Kontakte suchen (bzw. bereits über diese verfügen), die

Verständigung innerhalb der Gruppe organisieren etc.

Abbildung (27): Eine Modenschau

Page 185: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

einundachtzig

Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, könnte also

sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens

nach einem Jahr einstellen, bis die „Marke“ in Bremerhaven sowie,

idealerweise, auch darüber hinaus ansatzweise etabliert ist, kann ein

weiteres Jahr oder mehr vergehen.

Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann

jedoch ein eingetragener Verein gegründet werden. Bestehen

irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine

Offene Handelsgesellschaft (OHG).

Sofern die Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen kommen, sind

aller Voraussicht nach gewisse Sprachbarrieren und kulturelle Diffe-

renzen zu überwinden, auch die erste Kontaktaufnahme, d. h. die

Suche nach interessierten Personen, gestaltet sich eventuell schwierig.

Je nach Gruppengröße muss außerdem ein geeigneter Raum gefunden

werden; infrage kommen hier sicherlich die „theo“ sowie möglicher-

weise das Frauencafé. Die größte Hürde dürfte jedoch das Herantragen

des Angebots an mögliche Kunden darstellen, auf diesem Feld muss

der „Kümmerer“ also besonders aktiv sein.

Das Tool lässt sich zunächst einmal in die Kategorie „Kümmerkon-

zepte“ einordnen, da der Schwerpunkt bei diesem Projekt vor allem zu

Beginn auf der sozialen Integration liegt und das Projekt viel persön-

liches Engagement benötigt.

Im Idealfall gewinnt die „Mode aus dem Quartier“ auch eine lokal-

ökonomische Bedeutung und kann damit zugleich zur Nutzung von

Möglichkeitsräumen beitragen.

Schließlich hätte eine Marke, die Bezug nimmt auf das Goethequartier,

auch unter Marketinggesichtspunkten eine positive Wirkung auf das

Image des Viertels.

Page 186: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundachtzig

#10: öFFentliche hotSPotS

Die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verarbeiten und auszutau-

schen ist im 21. Jahrhundert zweifellos eine Grundvoraussetzung für

sozialen und ökonomischen Erfolg. Unumstritten ist mittlerweile auch,

dass das Internet als eine Metatechnologie die Schlüsselrolle in der

Informationsgesellschaft spielt.

Für Privatpersonen wird ohne Internetverbindung der Zugang zu vielen

Verdienstmöglichkeiten, beruflichen Netzwerken und Konsummärkten

erheblich erschwert, zum Teil sogar unmöglich gemacht. Zugleich

zeigen empirische Studien, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen

(in den Industrieländern sind es Frauen, ethnische Minderheiten,

Menschen mit niedriger Bildung und geringem Einkommen, Bewohner

des ländlichen Raums und Ältere) bei der Internetnutzung unterre-

präsentiert sind. Dieses gesellschaftliche Phänomen wird als „Digitale

Spaltung“ oder „Digitale Kluft“ bezeichnet. Da sich die Ungleichheit

beim Zugang zum Internet zudem nachhaltig negativ auf die übrigen

Lebensbereiche auswirkt, kann bzw. muss die Bekämpfung der

„Digitalen Spaltung“ durchaus als öffentliche Aufgabe gesehen werden

(Hiesmeir u.a. 2011).

Viele Gemeinden stellen sich dieser Aufgabe bereits und fördern neben

Internet-Einsteigerkursen beispielsweise den Ausbau der kostenlosen

Internet-Infrastruktur. Eines der ersten Projekte dieser Art existiert seit

Dezember 2002 in Hamburg: HOTSPOT HAMBURG ist ein Projekt der

Initiative Hamburg@work in Kooperation mit der Deutschen Telekom,

Fujitsu Siemens Computers, Datenlotsen-Informationssysteme und

Siggelkow Computer und ermöglicht mittlerweile vielerorts einen

drahtlosen Internetzugang. Zwar richtet sich das Angebot vor allem

an Touristen, kann und wird jedoch auch von den Anwohnern genutzt

(Hamburg Tourismus, Flensburg Online).

Ein weiteres Pilotprojekt ist die „Hotspot-Initiative“ der österreichischen

Stadt Linz. Hier wurden an 130 öffentlichen Gebäuden und Orten

Verbindungsstationen für den Einstieg ins Internet per Funknetz einge-

richtet. Zusätzlich gibt es an ausgewählten Orten auch kostenlose

Leihlaptops (Hiesmeir u.a. 2011).

Page 187: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

#10: öFFentliche hotSPotS

dreiundachtzig

Weltweit bekannt ist zudem das Angebot des Konzerns Starbucks: In

mehr als 6.800 ihrer amerikanischen Filialen betreibt die Kaffeehaus-

Kette eine Mediennetzwerk, bei dem die Besucher über das Internet

auch Zugriff auf zahlreiche Musik- und E-Book-Angebote haben. In den

deutschen Filialen ist die Internetnutzung allerdings auf zwei Stunden

begrenzt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Aufenthaltsqualität durch

kostenfreien Internetzugang so gesteigert wird, dass sich die Einrich-

tungskosten im Hinblick auf die ökonomischen Vorteile häufig sehr

relativieren (Süddeutsche Zeitung).

Das größte Projekt dieser Art kommt allerdings aus Estland: Der

kostenlose Internetzugang ist in dem baltischen Staat ein verfas-

sungsmäßiges Grundrecht. Mit über 1.000 Zugangspunkten wird hier

praktisch das gesamte Land mit einer schnurlosen Internet-Infrastruktur

erschlossen, rund die Hälfte der Punkte ist kostenfrei (Hamburger

Abendblatt).

Bremerhaven verfügt zwar bereits über einige kostenfreie Hotspots,

allerdings handelt es sich überwiegend um kommerzielle Angebote,

also um solche in Cafés oder Hotels. Außerdem befinden sich alle

Angebote außerhalb des Ortsteils Goethestraße (Cityreview).

Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs

Page 188: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 189: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
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sechsundachtzig

Unsere Analyse der Bevölkerungsstruktur hat ergeben, dass jedoch

gerade hier viele der Bevölkerungsgruppen leben, die bei der Inter-

netnutzung in der Regel unterrepräsentiert bleiben, insbesondere

ethnische Minderheiten und Menschen mit geringem Einkommen. Eine

Hotspot-Initiative im Goethequartier könnte also zugleich ein wichtiger

Beitrag zur Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ wie zur Aufwertung

des Gebiets und zur Tourismusförderung sein.

Bei der Umsetzung gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansatz-

punkte: Die Umsetzung seitens der Kommune (Stadtnetz) oder das

sogenannte „BürgerInnennetz“. Bei der technischen Implementierung

eines Stadtnetzes bietet sich die sogenannte „vermaschte Topologie“

an. Dabei werden mehrere Zugangspunkte (oder Access-Points) in

einem Netzwerk zusammengeschlossen, wobei sich jeder Punkt

in Reichweite von zwei anderen befindet. Auf diese Weise kann ein

größerer Versorgungsbereich mit Wireless LAN (WLAN) abgedeckt

werden als bei anderen Technologien, die Einrichtung ist kostengüns-

tiger, weil weniger Kabel benötigt werden, zudem kann so ein höherer

Grad an Zuverlässigkeit hergestellt werden, da der Ausfall eines

Knotens durch die anderen Knoten im Netzwerk abgefangen wird

(Vachon u.a. 2009).

Der zweite Ansatz, das „BürgerInnennetz“ existiert zum Beispiel bereits

in London, Wien, Graz und in fast allen deutschen Großstädten. Seine

Verbreitung wird allerdings durch den geringeren Bekanntheitsgrad

etwas gehemmt. Grundlage dieser Technologie ist die Verbindung

von privaten WLAN-Knoten seitens der Internetnutzer oder durch

Vereine. Dabei wird der eigene Zugang kostenlos anderen Nutzern

zur Verfügung gestellt, der Zusammenschluss erfolgt in der Regel

selbstorganisiert. Bei genügend Teilnehmern entsteht auf diese Weise

ein Netzwerk, das ganze Stadtteile umfassen kann und sämtlichen

Mitgliedern einen mobilen Internetzugang ermöglicht. Die Abhängigkeit

von einem Provider wird auf diese Weise überwunden. Unter www.

freifunk.net wird die Funktionsweise und die Einrichtung eines „Bürger-

Innennetzes“ näher beschrieben (Hiesmeir u.a. 2011).

Im Falle eines Stadtnetzes ist die Investition seitens der Gemeinde

notwendig, angesichts der enormen positiven Auswirkungen werden

Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur

Page 191: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundachtzig

diese eher geringen Ausgaben aber als sinnvoll erachtet. Da durch die

Maßnahme auch die Privatwirtschaft in dem jeweiligen Gebiet profitiert,

könnte die Finanzierung zudem durch die städtische Wirtschafts-

förderung erfolgen. Auch die Einbeziehung von EU-Fördergeldern

für Tourismusprojekte sowie eine eventuelle Mischfinanzierung sind

denkbar.

Eine Kooperation mit privaten Akteuren ist möglich, aber nicht

vollkommen unbedenklich. Das Beispiel San Francisco, wo die Stadt

eine Kooperation mit dem Konzern Google einging, hat gezeigt, dass

bei diesem Modell ein Potential für Missbrauch durch die privaten

Partner besteht. So wurden persönliche Nutzerdaten im großen

Umfang gesammelt, um durch personifizierte und ortsgebundene

Werbeanzeigen das Projekt zu refinanzieren.

Ein „BürgerInnennetz“ erfordert dagegen keine städtischen Inves-

titionen, wie die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, werden im

Grundsatz lediglich ein alter Computer, eine selbstgebastelte Antenne

und etwas Kabel benötigt, um ein Haus mit 35 Bewohnern für weniger

als vier Euro pro Person und Monat mit Bandbreitinternet zu versorgen

(Hiesmeir u.a. 2011).

Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum

Page 192: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundachtzig

Die Akteurskonstellation variiert je nach Umsetzungsform: Eine

kommunale Durchführung im Alleingang ist ebenso möglich, wie eine

Kooperation mit der technisch ausgerichteten Hochschule Bremer-

haven oder privaten IT-Unternehmen.

Im Falle des „BürgerInnennetzes“ erfolgt die Umsetzung durch die

Bewohner im Ortsteil selbst. Zu empfehlen sind bei dieser Variante

Angebote zur technischen und juristischen Unterstützung der

Anwohner.

Im Hinblick auf die eher niedrigen Kosten, die sehr kurze Planungs-

und Ausführungsdauer sowie die gleichzeitig zu erwartenden großen

positiven Auswirkungen empfiehlt sich eine frühzeitige Umsetzung.

Denkbare Rechtsformen sind: die Realisierung als ein kommunales

Projekt sowie die Umsetzung durch einen zu diesem Zweck gegrün-

deten Verein oder eine GmbH.

„BürgerInnennetze“ erfordern eine spezielle Vertragsform, die

sogenannten „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenwei-

terleitung (Hiesmeir u.a. 2011).

Für das Projekt lassen sich einige wenige Hemmnisse identifizieren:

Zum einen ist die anonyme Nutzung von Hotspots in Deutschland aus

juristischen Gründen untersagt, daher ist eine Anmeldung zumindest

mit Nachnamen und einer beliebigen E-Mail-Adresse notwendig.

Dadurch kann einerseits die Nutzungsbereitschaft sinken, anderer-

seits bedarf es eines zusätzlichen Aufwands, um eine funktionierende

Datenbank der angemeldeten Nutzer und ein Registrierungsinterface

einzurichten (Hamburg Tourismus).

Was die „BürgerInnennetze“ angeht, so hat sich erwiesen, dass – trotz

der theoretisch recht einfachen Installation – die technische Umsetzung

häufig eine immense Hürde darstellt, weshalb solche Freifunknetze

bislang auch erst wenig Verbreitung gefunden haben. Zudem wirken

die rechtlichen Aspekte auf Laien oftmals abschreckend, eine

technische und juristische Beratung der Bürger erscheint deswegen

unerlässlich (Hiesmeir u.a. 2011).

Page 193: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunundachtzig

Wie eine eigene Analyse der WLAN-Zugangspunkte im Goethequartier

ergab, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt voraussichtlich noch

kein Bürgernetz einrichten, da die dafür notwendige kritische Maße an

Nutzern noch nicht erreicht ist. Somit empfiehlt sich die Umsetzung

des Tools in Form eines Stadtnetzes. Insbesondere in diesem Fall stellt

die Maßnahme eine indirekte Förderung der lokalen Wirtschaft dar,

vor allem die Aufenthaltsqualität in gastronomischen Betrieben und im

öffentlichen Raum wird durch den flächendeckenden Internetzugang

erheblich verbessert. Bei einer baldigen Umsetzung, würden die öffent-

lichen Hotspots zudem in Bremerhaven ein Novum bedeuten und für

das Goethequartier ein Alleinstellungsmerkmal schaffen. Nicht zuletzt

könnten auch Existenzgründer auf die Einrichtung eines eigenen Inter-

netanschlusses verzichten.

Selbstverständlich kann flächendeckender Internetzugang auch für

offensives Stadtteilmarketing genutzt werden: Öffentliche Hotspots

bringen nicht nur einen höheres Maß an Aufenthaltsqualität und ökono-

mische Standortvorteile für den Einzelhandel, sondern sind auch für

Touristen von Interesse.

Für die erfolgreiche Umsetzung des Zugangs als ein BürgerInnennetz

scheint die Unterstützung der Anwohner in technischen und juristi-

schen Fragen von enormer Bedeutung zu sein. Eine mit diesen Fragen

vertraute Person aus dem Ortsteil könnte eine ideale Lösung beim

Abbau der identifizieren Hemmnisse darstellen.

Page 194: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunzig

#11: coworkinG

Coworking (auch Co-working, auf Deutsch „zusammen arbeiten“)

bezeichnet das Teilen eines Büros oder Arbeitsraumes, des

Coworking-Space, sowie der damit verbundenen Infrastruktur. Im

Unterschied zur Beschäftigungskonstellation in einem typischen Büro

arbeiten die einzelnen Coworker meist nicht in derselben Firma oder für

denselben Arbeitgeber, sondern sind Selbstständige und Freiberufler,

die mit ihrer Arbeit häufig nicht an einen festen Ort gebunden sind.

Auch für Leute die ansonsten zuhause arbeiten, stellt Coworking eine

attraktive Alternative da. Die Vorteile sind dabei nicht nur finanzieller

Art: Hinzu kommt, dass man zwar alleine arbeitet, sich dabei jedoch

in einer belebten, gut ausgestatteten Arbeitsumgebung befindet. Die

so entstehenden Kontakte wiederum fördern nebenbei die Kommu-

nikation mit anderen selbständig Beschäftigten aus ähnlichen oder

völlig anderen Arbeitsfeldern, woraus sich nicht selten Synergieef-

fekte ergeben. Zudem veranstalten einige dieser Einrichtungen auch

gemeinsame Workshops oder Seminare (Coworking Wiki).

Ein Beispiel für einen solchen Coworking Space ist das „betahaus“

in Hamburg, das seit 2009 besteht und zurückgeht auf die Initi-

ative mehrerer Selbständiger und Freiberufler, die gemeinsam das

Konzept entwickelten und umsetzten. Momentan gibt es in zwei

Räumen insgesamt 44 Arbeitsplätze, die flexibel vermietet werden:

Einen Arbeitsplatz gibt es für einen Tag, eine Woche oder auch einen

ganzen Monat, daneben steht ein Konferenzraum zur Verfügung. Ein

Tagesticket (9-17 Uhr) kostet 17 Euro, die monatliche Nutzungsgebühr

beträgt 249 Euro, auch eine 24-Stunden-Nutzung ist gegen einen

geringen Aufschlag möglich. Im Preis bereits inbegriffen ist die Nutzung

der gesamten Infrastruktur: Hochgeschwindigkeitsinternet, WLAN,

Drucker, Scanner, Kopierer, Fax sowie eine kleine Bar, an der kosten-

günstig Kalt- und Heißgetränke erworben werden können (betahaus

Hamburg)

Ein weiteres Referenzbespiel für das Tool „Coworking“ ist das

„Rockzipfel Eltern-Kind-Büro“ in Leipzig. Die Besonderheit hier ist,

dass arbeitenden Eltern ihre Kinder zur Arbeit mitbringen können, wo

diese von anderen Coworkern wechselseitig betreut werden. Die Eltern

Page 195: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

einundneunzig

geben dabei ihre Verantwortung nicht ab, sondern haben ihre Kinder in

der Nähe und können jederzeit mit ihnen in Kontakt treten. In diesem

Coworking-Space stehen sieben Räume zur Verfügung, darunter auch

Ruheräume, Wickel- und Spielzimmer (Rockzipfel).

Unter vielen Coworking-Spaces gibt es im Übrigen sogenannte

„Roaming-Vereinbarungen“: So kann man z. B. mit einem Monatsticket

des „betahauses“ Hamburg auch die gleichnamige Einrichtung in Berlin

nutzen und wird somit in der Wahl seines Arbeitsortes noch flexibler.

Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier in einem leerste-

henden Ladenlokal oder einer Erdgeschosswohnungen, aber auch in

einem komplett unbenutzten Gebäude eingerichtet werden. Mögliche

Standorte hierfür sind im zahlreich vorhanden, eine Immobilie, die

sich beispielsweise besonders anbietet, ist das Gebäude an der Ecke

Goethestraße/Kistnerstraße. Eine große potentielle Nutzergruppe

stellen dabei die Existenzgründer im Quartier dar, von denen einige

momentan für eine befristete Dauer die Existenzgründeretage in der

„theo“ nutzen, für die jedoch wiederum eine Warteliste existiert. Ähnlich

wie in Hamburg sollte sich eine Gruppe möglicher Coworker zusam-

menfinden und gemeinsam ein Konzept entwickeln. Die Initiative dazu

Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space :

Page 196: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

zweiundneunzig

könnte etwa auch von der „theo“ ausgehen, indem Personen von der

Warteliste und Nutzer, die aufgrund des Endes ihrer auf fünf Jahre

beschränkten Mietzeit in absehbarer Zeit ausziehen müssen, aktiv

miteinander in Kontakt gebracht werden, beispielsweise im Rahmen

eines Existenzgründerseminars.

Zur Einrichtung eines Coworking-Space sind zunächst einmal Inves-

titionen in die Arbeitsinfrastruktur notwendig. Dem Beispiel der „theo“

folgend, könnte sich die Möblierung jedoch auf einen einfachen

Schreibtisch, einen Bürostuhl und einen kleinen Schrank bzw. ein

Regal pro Arbeitsplatz beschränken, wodurch sich die Kosten deutlich

eingrenzen lassen. Größere finanzielle Aufwendungen sind darüber

hinaus notwendig, um die Räumlichkeiten zu renovieren und in einen

Zustand zu bringen, der die Nutzung als Büro ermöglicht. Bewirt-

schaftet werden kann ein Coworking-Space bei entsprechender

Auslastung kostendeckend, zudem lassen sich die Anfangsinvesti-

tionen wieder hereinholen. Für einen eventuellen Betreiber ist es auch

möglich, kleinere Einnahmen zu erzielen

Die zentralen Akteure sind die potentiellen Coworker selbst. Bei

der Entwicklung und Umsetzung eines solchen Konzepts kann die

Wirtschaftsförderung Bremerhaven sowie „die theo“ Hilfestellung

geben. Desweiteren empfiehlt es sich, einem der deutschlandweiten

Netzwerke beizutreten, die sich mittlerweile gebildet haben (mehr

dazu unter www.coworking.de). Bei der Anmietung eines geeigneten

Raumes könnten die Stäwog und das Stadtplanungsamt ein wichtiger

Partner sein.

Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier jederzeit entstehen.

Wichtige vorbereitende Schritte wie die Erarbeitung eines Konzepts,

die Schaffung aller nötigen rechtlichen Voraussetzungen (also z. B. die

Gründung eines Vereins oder einer Gesellschaft) sowie die Suche nach

geeigneten Räumen dürften rund ein Jahr beanspruchen.

Das Projekt kann als eigenständige Firma im Handelsregister der Stadt

Bremerhaven als GmbH eingetragen werden, ebenso ist die Organi-

sation als Verein denkbar.

Eine gewisse Herausforderung stellt das Finden geeigneter Räumlich-

keiten dar. Viele Gebäude im Goethequartier haben einen hohen

Renovierungsbedarf, bei leerstehenden Wohnungen kann zudem

Page 197: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space

dreiundneunzig

oftmals nicht einmal der Eigentümer ausfindig gemacht werden.

Sollte ein geeigneter Raum gefunden werden, können die Renovie-

rungskosten eventuell das Budget der Beteiligten übersteigen. Für

Selbständige, die Kundenkontakt haben oder auf eine prestige-

trächtige Adresse angewiesen sind bzw. Wert legen, könnte das

momentane Imageproblem des Viertels unter Umständen ein Problem

darstellen. Konflikte während der Nutzung schließlich sind nie völlig

auszuschließen, da in Coworking-Spaces häufig sehr heterogene

Berufsgruppen und unterschiedlche Arbeitsweisen aufeinandertreffen.

Allerdings lässt sich in diesem Zusammenhang das Konfliktpotential

bereits im Vorfeld minimieren, indem sich Nutzer aus ähnlichen

Beschäftigungsfeldern zusammentun.

Page 198: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

vierundneunzig

Dieses Tool nutzt mit leerstehenden Wohnungen oder Ladenlokalen

Möglichkeitsräume im Quartier.

Zudem dient es der Unterstützung und Förderung von Existenzgrün-

dungen, ist also von hoher Relevanz für die lokalen Ökonomien.

Sollte ein Coworking-Space im Goethequartier eingerichtet werden,

wäre dies der erste in Bremerhaven, woraus sich auch Potential

für Marketingmaßnahmen ergäbe. Immerhin handelt es sich

hierbei um eine innovative und äußerst zukunftsträchtige Form der

Arbeitsorganisation.

Page 199: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

fünfundneunzig

#12: GaStronoMiSche ZwiSchen- nutZunG

Auch wenn ihre Dauer begrenzt ist, tragen Zwischennutzungen häufig

zur räumlichen Entwicklung bei: Indem sie auf soziale Prozesse Einfluss

nehmen, prägen sie den Ort, an dem stattfinden, über den Zeitraum

ihres Bestehens hinaus. Ein temporär genutzter Ort kann sich im Zuge

dessen dauerhaft im städtischen Kontext verankern. Zudem verkörpern

Zwischennutzer meist innovative, urbane Lebensstile, die durch sie

entstehende Nachfrage kann nicht mehr mittels der zuvor existenten,

etablierten Angebotsstrukturen abgedeckt werden, woraus wiederum

auch längerfristigen Nutzungen ökonomische Vorteile ziehen.

Zwischennutzungen finden in der Regel auf Flächen statt, für die sich

zum entsprechenden Zeitpunkt keine reguläre, d. h. wirtschaftliche,

Verwertung findet. Zugleich gilt: Je intakter die umliegende Infrastruktur,

je besser die Anbindung und je dichter das Netz an potentiellen

Akteuren ist, desto erfolgreicher kann eine Zwischennutzung reali-

siert werden. Ideale Bedingungen bestehen daher in Quartieren mit

hoher Zentralität, guter Anbindung und einem Bewohnermilieu, das

Zwischennutzungen annimmt. Am Beispiel Berlins zeigt sich, dass es

vor allem junge Bewohner und Zugezogene sind, die imstande sind,

sich ungenutzte Räume schnell anzueignen. Angestammte Bewohner

hingegen brauchen dazu gewisse Anreize. Denn neben den Eigen-

schaften des Ortes spielen für die Initiierung einer Zwischennutzung die

Bereitschaft zu Eigenleistung sowie gegenseitige Unterstützung, Kreati-

vität und ein gut funktionierendes Netzwerk eine wesentliche Rolle.

Wenn erst einmal ein Zwischennutzungsprojekt besteht und sich

etabliert hat, kann dies eine Art Kettenreaktion ähnlicher Projekte

auslösen: Das Vorhandensein neuer Konsumenten führt dazu, dass

sich weitere Zwischennutzungen ansiedeln, die Konzentration bewirkt

Konkurrenz, die sich mittelfristig positiv auf den gesamten Standort

auswirkt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007).

 

Der sogenannte Spreeraum-Ost in Berlin gilt als eines der bekanntesten

Beispiele für eine intensive Zwischennutzung, zwischen Michaelbrücke

und Elsenbrücke hat sich in den letzten Jahren eine einzigartige Dichte

an Projekten aus diesem Bereich entwickelt. Ausschlaggebende

Faktoren waren unter anderem die zentrale Lage, die bis dahin eher

Page 200: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

sechsundneunzig

schleppend verlaufene wirtschaftliche Situation des Gebiets, die gute

Anbindung und die Verfügbarkeit sehr unterschiedlicher Flächen. Eine

entscheidende Rolle unter den diversen Typen temporärer Nutzung

kommt dabei der Gastronomie zu, da gastronomische Angebote

Konsumenten aus allen Bevölkerungsgruppen anlocken; es werden

mehr Milieus angesprochen als beispielsweise durch ein Sportangebot

auf einer Konversionsfläche.

Eine der populärsten gastronomischen temporären Nutzungen in

Berlin ist die Ponybar in Berlin-Mitte, Alte Schönhauser Straße 44.

Das Projekt wurde 2001 zuerst als „Gastronomischer Garten“ in

einer Baulücke realisiert, 2003 übernahmen die Betreiber der Ponybar

den heutigen Garten. Das Gewerbe hat zwei Geschäftsführer, drei

Angestellte und wird als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)

betrieben. Konsumenten sind vorwiegend junge Leute, darunter ein

Drittel Touristen und zwei Drittel Berliner.

Eine gastronomische Zwischennutzung in einer Baulücke wäre

Teil einer Strategie, mit der eventuell auch Bevölkerungsgruppen

von außerhalb ins Quartier gelockt werden könnten. Da zudem die

vorhandene Angebotsstruktur momentan nur unzureichend die

Nachfrage der jungen Bewohner aus dem Ortsteil selbst bedient,

Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin

Page 201: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

siebenundneunzig

erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt eine solche Nutzung als

wünschenswert.

Je nachdem, wie viel Kapital zur Verfügung steht, welcher Aufwand

betreiben werden soll und welcher zeitliche Rahmen ins Auge gefasst

wird, können unterschiedliche Konzepte realisiert werden: Ein Garten-

Café wie die Pony Bar in Berlin etwa wird man nur saisonal betreiben

können. Die räumliche Intervention, die damit verbunden ist, würde

sich auf Möbel, Sonnenschirme, ein Toilettenhäuschen und einen

überdachten Tresen beschränken. Für die Zubereitung von Getränken

wäre zudem ein Strom- und Wasseranschluss notwendig.

Bei der Suche nach einem geeigneten Ort ist weniger der Ist-Zustand

des Grundstücks entscheidend als vielmehr die Idee hinter dem

geplanten Konzept. Andererseits wird die ursprüngliche Idee in der

Regel maßgeblich durch den Ort beeinflusst, so dass es also im

Wesentlichen darum geht, zu ergründen, welche Inspiration ein Raum

vermittelt und wie er andererseits an die Idee angepasst werden

kann. Der nächste entscheidende Schritt für die Realisierung ist das

Herantreten an bzw. die Suche nach dem jeweiligen Eigentümer

des Grundstücks. Dabei kann das Vermessungs- und Katasteramt

Bremerhaven behilflich sein, bei dem alle Liegenschaften und deren

Eigentümer verzeichnet sind. Konkret infrage kommt im Goethequartier

jede bestehende und zukünftige Baulücke, die weder zu groß ist (da

darunter die Atmosphäre einer gastronomischen Zwischennutzung

leidet) noch zu klein (da in diesem Fall nicht genügend Platz zur

Verfügung steht). Auch eine ruhige und abgeschiedene Lage ist wegen

des mangelnden Publikumsverkehrs nicht zu empfehlen, dagegen stellt

Baumbestand kein Problem dar, sondern wird vielfach sogar erwünscht

sein. Sehr zentral gelegen ist beispielsweise ein Brachengrundstück in

der Uhlandstraße, sehr nah zur Goethestraße, das sich zudem direkt

hinter dem Frauencafé befindet, so dass möglicherweise dessen Infra-

struktur mit genutzt werden könnte.

Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf

jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb

der Zwischennutzung finanzieren lässt. Trotzdem sind eine detaillierte

Kostenaufstellung und eine realistische Finanzierungsplanung vorweg

zu empfehlen, ein Businessplan ist zudem ein gängiges und wichtiges

Instrument, das für die Beantragung eventueller Kredite und die

Akquirierung von Fördermittel unerlässlich ist. Bei diesem Schritt kann

Page 202: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

achtundneunzig

möglicherweise „die theo“, die über eine hohe Kompetenz im Bereich

Existenzgründung verfügt, behilflich sein.

Der Kostenaufwand vor Eröffnung kann je nach Ausstattung und

Aufwand unterschiedlich ausfallen. Zu berücksichtigen ist dabei aller-

dings, dass Firmen häufig zu Marketingzwecken Mobiliar und andere

Sponsoring-Materialien zur Verfügung stellen, wodurch die Kosten

für die Einrichtung einer temporären Nutzungen erheblich gesenkt

werden können. Meist sind dies Getränkelieferanten bzw. -hersteller,

die damit den Abschluss von Verträgen über die Versorgung der

gastronomischen Einrichtung mit ihren Produkten verbinden. Hierbei ist

selbstverständlich die beschränkte Laufzeit der jeweiligen Zwischen-

nutzung zu bedenken.

Der wichtigste Akteur ist zunächst einmal der Eigentümer der jeweiligen

Brachfläche, ohne dessen Einverständnis eine Umsetzung natürlich

unmöglich ist. Eine befristete Nutzung hat dabei den Vorteil, dass sie

kaum Veränderungen am Grundstück selbst mit sich bringt und zeitnah

wieder entfernt werden kann, was den Vorstellungen eines Eigen-

tümers entgegenkommt, der mittelfristig auf eine lukrativere Nutzung

seiner Fläche spekuliert bzw. hofft. Als Vermittler, der in dieser Hinsicht

Vertrauen schaffen kann, kommt die ESG Lehe in Betracht, zumal

sich der Verein bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema beschäftigt

und das nötige Netzwerk besitzt. „Die theo“ steht bei Fragen zum

Thema Existenzgründung zur Seite und stellt eventuell Räume für die

Planungsphase zur Verfügung. Was bei temporären Projekten immer

eine Rolle spielt, sind persönliche Netzwerke, Freunde, Bekannte und

Nachbarn, die angesichts des meist engen finanziellen Rahmens als

freiwillige Helfer willkommen sind. Zudem schafft dies ein Gefühl der

Zugehörigkeit, sowohl in Bezug auf die Nutzung als auch den jewei-

ligen Ort.

Die Umsetzung dieses Tool an sich nimmt nicht viel Zeit in Anspruch.

Was man aber berücksichtigen sollte, ist die Vorlaufzeit: Die Kommu-

nikation mit dem entsprechenden Grundstückseigentümer kann sich

unter Umständen schwierig und langwierig gestalten und auch für das

Genehmigungsverfahren sollte etwas Zeit eingeplant werden. (Hierbei

gilt es zu berücksichtigen, dass gastronomische Nutzungen, die auf

die Zubereitung von warmen Speisen verzichten, vom Gewerbeamt

weitaus schneller genehmigt werden als solche mit „warmer Küche“,

Page 203: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

neunundneunzig

da sie wesentlich weniger Auflagen erfüllen müssen.) Ein durchdachtes

Konzept erleichtert und beschleunigt dabei die Vorbereitungsphase. Für

eine saisonale Nutzung sollte man dafür mit mindestens drei Monaten

kalkulieren, besser erscheint allerdings ein Planungszeitraum von

sechs.

Bei einer gastronomischen Nutzung werden Getränke und teilweise

Speisen angeboten, daher muss beim Wirtschaftsamt eine Gaststät-

tenerlaubnis beantragt werden. Für Veranstaltungen kann eine einfache

Gestattung erteilt werden, sie gilt bis zu sechs Wochen. Die Gebühren

richten sich nach der Größe des Betriebes, die Einhaltung von Hygie-

neauflagen wird vom Gesundheitsamt kontrolliert.

Mit dem Grundstückseigentümer kann, wie im Fall der Ponybar, eine

mündliche oder auch schriftliche Nutzungsvereinbarung getroffen

werden, die Betriebskosten (von 1.000 Euro im Jahr beim Berliner

Beispiel) und die notwendige Haftpflichtversicherung tragen dabei

die Nutzer. Die Genehmigung für die Nutzung erfolgte durch das

Gewerbeamt.

Jede temporäre Nutzung muss zudem die gesetzlichen Sicher-

heitsvorschriften beachten: Die Fläche darf beispielsweise nur dann

Dritten zugänglich gemacht werden, wenn deren Schutz gewährleistet

ist, bei Nichtbeachtung kann es zu Schadensersatzansprüchen

kommen. Folgende Aspekte sollten daher beim Thema Sicherheit

von Zwischennutzungen u. a. berücksichtigt werden: Bodenqualität/

Schadstoffe, schadhafte Einzäunung (Verkehrssicherungspflicht),

Baumbestand (Instandhaltungspflicht), Streupflicht bei Winterbetrieb

und Straßenreinigung. Einer der häufigsten Gründe, dass temporäre

Nutzungen scheitern, ist, wie an dieser Liste nachvollziehbar wird, die

umfangreiche Versicherungspflicht: Fast immer besteht das Amt auf

einer Haftpflichtversicherung für das Grundstück und/oder eine Veran-

stalter-Haftpflichtversicherung, die aber dank bestimmter vertraglicher

Regelungen jedoch auch beim Grundstückseigentümer verbleiben

kann.

In vielen Fällen kommt es nicht zu einer temporären Nutzung, obgleich

Flächenpotentiale bestehen. Die Gründe hierfür liegen entweder beim

Eigentümer oder aber im Ort begründet, beispielsweise wenn dieser zu

große Anpassungen erfordert.

Page 204: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundert

Grundstückseigentümer sind selbstverständlich immer an einer

möglichst rentablen Nutzung ihrer Liegenschaft interessiert und stehen

daher Zwischennutzungen häufig kritisch gegenüber, auch wenn

keine andere Lösung in Sicht ist. Insbesondere wenn der Aufwand

für Verwaltung und Betreuung in keinem angemessenen Verhältnis zu

Mieteinnahmen und eingesparten Unterhaltskosten stehen, werden die

Eigentümer temporären Nutzungen nur widerwillig zustimmen.

Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten

Wohngebiet wie der Goethequartier nicht auszuschließen, daher ist

eine abendliche Bewirtung schwierig.

Das Tool deckt alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier

als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zwischennutzungen aktivieren

Möglichkeitsräume, sie haben beispielhaften Charakter und stecken,

wie bereits erwähnt, den sie umgebenden Raum häufig regelrecht an.

Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutig

gewerbliche Orientierung. Gastronomische Nutzungen binden die

lokale Kaufkraft und generieren im Idealfall zusätzliche von außen.

Die Berichterstattung über das medienwirksame Projekt kann das

Image des Quartiers verbessern helfen. Eine eigene Internetseite oder

der Eintrag auf Webseiten, die gastronomische Angebote auflisten (z.

B. Qype), tragen ebenfalls zu seiner Breitenwirkung bei. Nicht zuletzt

werden auch die Bewohner aktiviert und entwickeln dank der vor der

eigenen Haustür vorhandenen Gastronomie eine stärkere Bindung an

ihr Quartier.

Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt,

so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als

besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven

städtischen Gesellschaft.

Page 205: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hunderteins

#13: Zen-Garten

Zen-Gärten werden im japanischen „kare san sui“ genannt, was

übersetzt soviel heißt wie „trockene Landschaft“. Mithilfe einfachster

Elemente – erlaubt sind lediglich Kies oder Sand, größere Steine und

Moos – wird dabei versucht, das „innere Wesen“ der Natur nachzu-

formen. Diese spezifische Landschaftsarchitektur wurde in Japan in der

späten Kamakura Phase (1185-1333) entwickelt und beruht auf den

Lehren des Zen-Buddhismus (Seike u. a. 1983). Zen-Gärten zeichnen

sich durch ihre besondere Schlichtheit und Abstraktion aus und

entfalten doch aus jeder Perspektive eine neue Spannung und Ästhetik.

Bevorzugt werden asymmetrische Arrangements und Gruppierungen

von Elementen in ungerader Zahl. Da diese nicht gleichmäßig aufzu-

teilen sind, verhindern sie, dass der Garten allzu vollkommen wirkt und

erinnern damit an das Ungeordnete der Natur. Gegensätze sind in der

japanischen Gartengestaltung zwar sehr wichtig, dennoch müssen

alle Elemente in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen,

um Stille und Entspannung zu vermitteln. Ganz ähnlich wie bei der

japanischen Tuschzeichnung werden auch im Garten „weiße Flächen“

ausgespart, um ein Gleichgewicht zu schaffen und der Phantasie des

Betrachters Raum zu geben (Nitschke 1993).

Einer der berühmtesten Zen-Gärten ist der Ryoanji in Kyoto, Japan,

welcher durch seine Einfachheit und Mystik besticht. Auch in

Deutschland findet die japanische Gartenkunst immer größeren

Anklang, gute Beispiele finden sich u. a. in Gelsenkirchen, Kaisers-

lautern und Berlin.

In Gelsenkirchen etwa wurde das lange vernachlässigte und im

Laufe der Zeit zugewucherte „Alpinum“ am Rande des Stadtgartens

freigelegt und dient nun als Kulisse für einen japanischen Steingarten.

Ehemals sprudelte aus den Felsen Wasser, floss in einen kleinen

Bachlauf und mündete dann in einen See. Nun wird die Szenerie –

auch aus Kosten- und Aufwandsgründen – durch Kies und Steine

nachgestellt. Das Anlegen dieses Japanischen Steingartens hat gerade

einmal 5.000 Euro gekostet, neben den Stadtdiensten waren noch eine

Steinmetzfirma sowie einige weitere Betriebe beteiligt, welche Elemente

für den Garten stifteten. Die Umsetzung zeigt, dass man auch mit

bescheidenen Mitteln viel erreichen kann, wenn gute Ideen vorhanden

Page 206: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertzwei

sind und sich einige Akteure zusammenschließen. Um die tägliche

Pflege des Zen-Gartens kümmert sich im Rahmen einer Patenschaft

ein benachbartes Hotel, welches selbst von der neuen Anlage profitiert

(Der Westen).

Anders als der Japanische Garten in Gelsenkirchen, wurde der in

Kaiserslautern auf private Initiative hin angelegt: 1997 gründeten

zunächst 18 Mitglieder den Verein „Japanischer Garten Kaisers-

lautern e. V.“, der für zunächst 30 Jahre ein Gartenareal am Standort

Abendsberg von der Stadt Kaiserslautern pachtete. Zwar war und

ist allein der Verein für die Entwicklung und Gestaltung des Gartens

verantwortlich, doch steht dieser als öffentliche Anlage allen Bürgern

zur Naherholung zur Verfügung. Wesentliche Ziele der Vereinssatzung

sind nicht nur die bauliche Weiterentwicklung des Gartens, sondern

auch die Nutzung des Gartens als Forum zur Förderung der japani-

schen Garten- und Lebenskultur sowie der internationale Austausch

zwischen Deutschland und Japan, insbesondere mit der Partnerstadt

Kaiserslauterns, Bunkyo-ku, einem Stadtteil von Tokio (Japanischer

Garten Kaiserslautern e.V.). Nach zweieinhalbjähriger Bauphase, in der

der Verein Unterstützung durch ABM-Kräfte erhielt, wurde 1999 der

erste Abschnitt des Japanischen Gartens eröffnet. 2004 kam – dank

finanzieller Unterstützung durch die Kunst- und Kulturstiftung der

Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan :

Page 207: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertdrei

Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern

Stadtsparkasse Kaiserslautern – während eines zweiwöchigen Garten-

bauseminars unter Leitung eines japanischen Gartenbaumeisters zu

der bestehenden Anlage noch ein Zen-Garten hinzu. Inzwischen,

2011, hat der Verein über 800 Mitglieder, und der Japanische Garten

in Kaiserslautern gilt als einer der größten Europas sowie als eine der

Hauptattraktionen der Stadt.

In Berlin schließlich entstand im Erholungspark Marzahn, im Rahmen

des Projekts „Gärten der Welt“, ein Japanischer Garten, dessen

Hauptteil im kare san sui-Stil, also als Zen-Garten, konzipiert ist und

ein schönes Beispiel der japanischen Landschaftsarchitektur darstellt

(GrünBerlin).

Ein Zen-Garten in einer Baulücke würde neben den existierenden

Grünflächen (und den hoffentlich zukünftig entstehenden Nachbar-

schaftsgärten) eine neue Form der Freiraumgestaltung in das Quartier

bringen. Diese stellt eine zugleich unkonventionelle wie preisgünstige

Alternative zu etwaigen Betonflächen dar, wie sie in den vergangenen

Jahren hauptsächlich aus Kostengründen andernorts im Viertel

angelegt wurden. Die Besonderheit einer solchen japanischen Stein-

gartenanlage ist, dass unsere üblichen Assoziationen zu Grünflächen

aufgebrochen werden, da wir hier mit ungewohnten ästhetischen

Page 208: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertvier

Kategorien und einer untypischen Nutzung konfrontiert werden.

Dass sich diese exotische Gattung der Landschaftsarchitektur aber

durchaus auch auf das Goethequartier übertragen lässt und nicht

etwa zu schick oder weithergeholt ist, zeigen die Referenzbeispiele

aus anderen deutschen Städten. Der Reiz dieses Tools liegt ja gerade

darin, dass etwas vollkommenes Neues, Exotisches geschaffen wird,

das die Bewohner herausfordert, zum Nachdenken anregt, das das

Quartier aufwertet und eventuell Besucher von außerhalb anzieht.

Ein japanischer Zen-Garten benötigt nur eine geringe Fläche, sollte

aber an einem halbwegs geschützten und ruhigen Ort liegen. Optimal

dafür geeignet wäre eine Baulücke, in der sich ein kleiner, idyllischer

Mikrokosmos schaffen ließe, welcher aufgrund des Zugangs nur

von einer Seite seine Stille bewahren könnte. Infrage kommen dafür

beispielsweise zwei Baulücken in der Heinrichstraße. Eine davon ist

zwar mit Bäumen bewachsen, diese könnten aber möglicherweise in

den Garten integriert werden.

Ein entscheidender Vorteil eines Zen-Gartens ist, dass er im Unterhalt

äußerst unaufwendig ist, da er, nachdem er einmal angelegt wurde,

in seinem ursprünglichen Zustand verbleiben kann, ohne jemals

gegossen oder sonst wie intensiv gepflegt werden zu müssen.

Die Instandhaltung konventioneller öffentlicher Freiflächen und

Grünanlagen ist dagegen für die Stadt häufig sehr kostenintensiv.

Auch für die Einrichtung eines japanischen Steingartens fallen keine

größeren Summen an, benötigt werden lediglich einige massive

Steine, Moos und jede Menge Kies – jeweils im ursprünglichen Sinn

des Wortes! – sowie ein kleiner Bagger. Wasserelemente, Blumen,

Pflanzen oder Bäume sind in der Zen-Philosophie dagegen nicht

vorgesehen, weshalb umfangreiche Bodenarbeiten, die bei Baulücken

unter Umständen ein besonderes Problem darstellen könnten, völlig

entfallen.

Getragen werden müsste das Projekt wohl von der öffentlichen Hand,

d. h. der Stadt Bremerhaven, möglicherweise ließe sich für eine solch

prestigeträchtige Anlage aber auch ein Sponsor finden, zum Beispiel

ein lokaler Gartenbaubetrieb.

Als weiterer Kooperationspartner könnte die Astrid-Lindgren-Schule

fungieren: Beispielsweise wäre es denkbar, dass im Rahmen einer

Page 209: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertfünf

AG oder auch einer regulären Klasse das Projekt „Japanischer Stein-

garten“ durchgeführt wird, und die Kinder auch im Folgenden die

Anlage pflegen und eventuell für Mediationsunterricht nutzen. Deswei-

teren muss notwendigerweise das Wissen eines Gärtners, welcher

sich für japanische Gartenbaukunst interessiert, oder eines (Hobby-)

Japanologen in das Projekt mit einfließen. Die Nordsee-Zeitung könnte

zudem zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Projekt

sowie der Akzeptanz des Vorhabens beitragen. Zum Beispiel ließen

sich Intention, Geschichte und Nutzung japanischer Steingärten in

einem oder mehreren Artikeln beleuchten, um so den Bewohner diese

neue Form der Freiraumgestaltung näherzubringen. Natürlich bietet

sich auch die Gründung eines Vereins an, der sich mit der Pflege des

Gartens und der japanischen Kultur beschäftigt, ähnlich wie im Beispiel

Kaiserslautern.

Eine Realisierung dieses Tools ist jederzeit möglich. Eine baldige

Umsetzung wäre jedoch wünschenswert, da ein solches Projekt das

Goethequartier mit recht einfachen Mitteln aufwerten und für mediale

Aufmerksamkeit sorgen würde. Da Kosten wie auch Aufwand der

Umsetzung relativ gering sind, ließe sich, falls eine längerfristige

Nutzung für die Baulücke gefunden wird, ein Zen Garten auch schnell

wieder abbauen, zumal er einen vergleichsweise temporären Charakter

besitzt.

Falls sich die fragliche Baulücke im Eigentum der Stadt befindet und

ein Verein die Umsetzung übernehmen will, bietet sich ein befristeter

Pachtvertrag an. Gehört sie einem privaten Eigentümer, käme eventuell

auch das im Zusammenhang mit Tool #05 (Nachbarschaftsgärten/

Interkulturelle Gärten) beschriebene Modell einer Nutzungsvereinbarung

infrage, bei der sich der Vertrag so lange jeweils automatisch um ein

Jahr verlängert, bis eine Neubebauung konkret in Aussicht steht.

Mit möglichen Nutzungskonflikten, einer Zweckentfremdung als

Hundekotplatz und Vandalismus ist zu rechnen. Deswegen erscheint

es extrem wichtig, eine breite Akzeptanz für das Projekt zu schaffen

und insbesondere auch die Nutzung eines Zen-Gartens den Quartier-

bewohnern näher zu bringen. Ansonsten könnte man natürlich eine

physische Barriere um den Steingarten anlegen und ihn nur tagsüber

öffnen, um so nächtlicher Zerstörungswut entgegenzuwirken. Damit

die Anlage darüber hinaus in einem gepflegten Zustand bleibt wäre es,

Page 210: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertsechs

wie das Beispiel Gelsenkirchen zeigt, sinnvoll, eine Patenschaft an ein

benachbartes Unternehmen oder eine Privatperson zu vergeben, die

bei Bedarf den Müll entsorgt oder den Kies harkt.

Das Tool „Zen-Garten“ fällt zunächst einmal in die Kategorie Möglich-

keitsräume, da es eine Baulücke nutzt.

Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, für das es dank seines extrem

hohen Innovationsgehalts sorgen würde, ist es zudem ganz ohne

Frage ein Marketinginstrument.

Schließlich benötigt solch ein Projekt in der Planungs- und Umset-

zungsphase eine Person, die es vorantreibt, also einen Kümmerer. Ein

solcher kann auch der Pate sein, der sich in der Folge der Pflege des

Gartens widmet.

Page 211: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertsieben

#14: altenGerechteS wohnen

Als Referenz für dieses Tool kann ein Pionierprojekt aus dem Goethe-

quartier selbst dienen: das Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“

in der Goethestraße 43. Dort wurde 2002 mit Hilfe des städtischen

Wohnungsunternehmens Stäwog aus einer denkmalgeschützten

Gründerzeitstadtvilla ein Gebäude, das den Bedürfnissen speziell der

älteren Generation entspricht. Von den ersten Planungen vergingen

bis zur Realisierung vergingen rund drei Jahre. Währenddessen baute

der Vermieter, die Stäwog, das Haus nach den Wünschen der zukünf-

tigen Mieter um, dazu gehörten neben Sanierungsmaßnahmen ein

gläserner Fahrstuhl, neue Balkone und eine barrierearme Gestaltung

im Inneren. Dabei wurde in Absprache mit den künftigen Bewohnern

festgelegt, welche Arbeiten der Vermieter zu übernehmen hatte und

welche Sonderwünsche selbst finanziert werden mussten. Um besser

kalkulieren zu können und finanziell abgesichert zu sein, ließ die Stäwog

zudem alle Mieter in spe vor Baubeginn die Mietverträge unterschreiben

[Lebens(t)raum].

Nach dem Umbau umfasst das 1903 erbaute, denkmalgeschützte

Haus in der Goethestraße 43 zehn barrierearme, abgeschlossene

Wohnungen mit jeweils zwei bis vier Zimmern. Im Parterre entstand

eine emeinschaftlich genutzte Wohnung mit Gemeinschaftsraum, Bad

und Küche sowie einem Atelier, einer Werkstatt und einer Sauna. Ein

großzügiger Dachboden bietet Platz für einen Billardtisch und Sport-

geräte. Zum Innenhof hin wurden die historischen Balkone gegen

großzügige moderne ausgetauscht, der verglaste Fahrstuhl wurde aus

praktischen Gründen ebenfalls auf der Hofseite an der Außenfassade

angebracht.

Zum Konzept des Mehrgenerationenhauses, in dem heute drei

Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie unter dem

Motto „Selbstbestimmt und Tür an Tür gemeinsam mit Menschen“

leben, beinhaltet auch die Möglichkeit gemeinsamer Freizeitge-

staltung und gegenseitiger Unterstützung sowie vereinfachter sozialer

Kontaktaufnahme im Alter. Der Gemeinschaftsraum wird auch für

externe Veranstaltungen, wie etwa die Stadtteilkonferenz, genutzt.

Ein weiteres, ähnliches Projekt wurde auch in einem Gebäude in der

Goethestraße/Ecke Dorotheastraße realisiert: Auch dort bei haben

Page 212: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertacht

ältere Bremerhavener ihre Einfamilienhäuser am Stadtrand verkauft und

gemeinsam eine Gründerzeitvilla saniert, um im Rentenalter ruhig und

innenstadtnah leben zu können. Dass solche Wohnmodelle zu einer

Attraktivitätssteigerung des Goethequartiers sowie zu einer Verbes-

serung seines Images beitragen, steht außer Frage.

Das altersgerechte Wohnen stellt für das Goethequartier ein großes

Potential dar. Auch wenn Umfragen zeigen, dass die Altersgruppe 50+

ein möglichst langes Wohnen in den eigenen vier Wänden anstrebt

(Protze u. a. 2006), zeigt sich, dass insbesondere im gehobenen

Einkommenssegment der „Silver Ager“ eine hohe Experimentierfreude

und Mobilitätsbereitschaft vorhanden ist. Nach eigenen Angaben

möchten viele Rentner heute gerne innenstadtnah leben, um mobiler

zu sein und kulturelle wie soziale Angebote nutzen zu können. Dabei

wollen sie aber nicht auf den gewohnten Komfort, wie etwa einen

kleinen Garten oder Autostellplätzen, verzichten. Entsprechende

Angebote für ein „Smart City Housing“, die noch dazu mit gebündelten

Dienstleistungsangeboten wie Wohnungsreinigung oder Einkaufs-

service verbunden sind, werden bislang jedoch kaum offeriert (Milleker

2006).

Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43

Page 213: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertneun

Das Goethequartier besitzt in dieser Hinsicht zahlreiche Vorteile: seine

innenstadtnahe Lage (das Zentrum ist fußläufig in zehn Minuten zu

erreichen), der gut ausgebaute ÖPNV, die vorhandene Nahversorgung

inklusive sozialer Einrichtungen etc. Zudem bietet das historische

Gründerzeitquartier ein urbanes Flair und zugleich die nötige Ruhe, die

ältere Menschen schätzen.

Ein Handlungskonzept, das generationengerechtes Wohnen in

Bremerhaven fördert, müsste sich vor allem auf das Segment der

älteren Wohnungsnachfrager konzentrieren, da diese eine weiter rasch

zunehmende Gruppe darstellen. Bestehende Aktivitäten, vorhandene

Einrichtungen und Beratungsangebote in diesem Bereich müssen

zielgerichtet ausgebaut und gefördert werden. Das Handlungskonzept

sollte dabei folgende Schwerpunkte setzen (vgl. Protze u.a. 2006).

- Anpassungen des Wohnungsbestands im Hinblick auf

barrierefreies Wohnen

- Aktivierung eines generationsgerechten Wohnungsneubaus

- Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen insbesondere

durch fachliche Unterstützung

- Schaffung von weiterer sozialer Infrastruktur im Stadtteil

- Verstärkte Information und Marketing

Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverantwortlichen :

Page 214: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertzehn

Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten für Planung-

und Durchführung verbunden: Die Mittel für Marketing, Information

und Organisation könnte dabei die öffentliche Hand, also die Stadt,

übernehmen, die altersgerechte Sanierung jedoch müssten der

jeweilige Hauseigentümer selbst tragen, wobei er im Gegenzug dafür

auch höhere Mieterträge erhält. Da die Kosten für den Einzelnen sehr

hoch sind, das Projekt gleichzeitig aber einen hohen Innovations-

gehalt besitzt, kommt die Förderung durch Gelder aus öffentlichen

Programmen wie dem Stadtumbau West in Betracht.

Die Stäwog überzeugte schon bei dem Pionierprojekt Mehrgeneratio-

nenhaus Goethestraße 43 mit Kompetenz und großem Geschick. Von

ihrer Erfahrung als städtische Wohnungsgesellschaft ließe sich auch

bei zukünftigen Projekten profitieren. Desweiteren muss das Stadtpla-

nungsamt Informationen bereitstellen und aktiv für ein altersgerechtes

Quartier eintreten. Um ein Projekt wie das Mehrgenerationenhaus ins

Leben zu rufen, ist aber vor allem das Interesse potentieller Bewohner

von elementarer Bedeutung, die sich bei der Umsetzung über das

normale Maß hinaus engagieren müssen.

Falls das Ziel besteht, im Goethequartier altersgerechtes Wohnen

zu fördern, sollte dies baldmöglichst von der Stadt und der Stäwog

kommuniziert werden. Bei entsprechender Nachfrage können die

notwendigen Sanierungsmaßnahmen beginnen, die natürlich stark

vom Interesse der Hauseigentümer abhängen. Die Durchführung von

Projekten würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen.

Für den Fall, dass Interessierte selbst als Bauherren agieren möchten,

können sie beispielsweise eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts)

gründen. Diese Rechtsform ist besonders geeignet, da keine gesetzlich

festgelegten Einlagen notwendig sind. Andererseits können Austritts-

hürden eingerichtet werden, da der Rückzug eines Einzelnen aus einer

Bauherrengruppe das gesamte Projekt gefährden könnte. Ferner räumt

der Bundesgerichtshof der GbR eine beschränkte Haftung einzelner

Gesellschafter ein, falls dies in den allgemeinen Geschäftsbedingungen

festgelegt ist (IHK Bremerhaven). Tritt die zukünftige Bewohnerschaft

eines generationengerechten Hauses hingegen nur als Mietergruppe

auf, kann ein Verein gegründet werden, der dem Vermieter als

Vertragspartner dient. Beim Pionierprojekt Lebens(t)raum wurde jedoch

auch darauf verzichtet, stattdessen schloss jeder Mieter einen individu-

ellen Mietvertrag mit der Stäwog ab.

Page 215: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertelf

Vergleicht man im Hinblick auf das Wohnen im Alter Wunsch und

Realität, so zeigen sich große Differenzen: Wie Umfragen belegen,

zeigt sich die Generation 55+ anderen Wohnformen als dem traditio-

nellen Wohnen in den eigenen Wänden gegenüber durchaus offen und

flexibel. So könnten sich beispielsweise rund 30 Prozent dieser Alters-

gruppe vorstellen, in einer Hausgemeinschaft zu leben, während sechs

Prozent dies sogar definitiv vorhaben (vgl. Milleker 2006). Tatsächlich

liegen die Zahlen aber weitaus niedriger, da bislang geeignete

Angebote fehlen. Dies liegt unter anderem an den recht hohen

Kosten, die eine altersgerechte Sanierung mit sich bringt, und die bei

einem Mietpreisniveau wie beispielsweise im Goethequartier kaum zu

refinanzieren sind. Auch das Imageproblem des Quartiers stellt eine

hohe Hürde dar, daher wäre es wichtig, durch Marketingstrategien

einen Imagewandel von einem durch soziale Probleme und Leerstand

geprägten Viertel zu einem altersgerechten, qualitativ hochwertigen

und citynahen Wohnstandort in Gang zu setzen und dieses neue

Konzept einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen.

Das Tool fällt in die Kategorien Möglichkeitsräume, da altersgerechtes

Wohnen ein neues Konzept für die Nutzung leerstehender Altbauten im

Quartier darstellt.

Wie die Erfahrung des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße

43 lehrt, braucht es zudem eine kleine Gruppe engagierter Menschen,

die solch ein Projekt initiiert und von der Planung bis zur Umsetzung

begleitet.

Mehrere dieser Projekte sind auf jeden Fall geeignet, einen Image-

wandel des Viertels in Gang zu setzen bzw. zu unterstützen, weshalb

sich generationengerechtes Wohnen auch als ein Marketinginstrument

begreifen lässt.

Page 216: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertzwölf

#15: Balkone in Baulücken

Die Anregung für dieses Tool lieferte ein Projekt des Architekturbüros

HPP, das 1998 in Leipzig-Connewitz mit „Wohnen für junge Menschen“

ein Beispiel schuf, wie Baulücken als Potential genutzt werden können:

Die Lücke zwischen den Häusern bedeutet für die Architekten nicht

Leere, sondern ermöglicht eine geradezu skulpturale Brücke. Auch

in Leipzig wurde die innovative Idee aus der Not heraus geboren: Der

Stadtteil Connewitz ist wie das Goethequartier ein dichtes gründer-

zeitliches Wohnquartier mit Blockrandbebauung, das aufgrund starker

Abwanderung und mangelnder Investitionen heute große Brachflächen

aufweist. Zugleich stellt dieser Stadtteil aber auch ein beispielhaftes

Modellprojekt für einen neuen qualitativen Stadtumbau dar, bei dem mit

immer weniger Menschen versucht wird, Stadtstrukturen aufrecht zu

erhalten. Das Büro HPP etwa beweist, dass der Umgang mit Lücken

und immer geringerer baulicher Dichte durchaus reizvoll und spannend

und darüber hinaus auch bezahlbar sein kann. Im Falle des Referenz-

beispiels handelt es sich um offene Erschließungsbrücken, welche die

Gebäude miteinander verbinden und zugleich Wohneingangsbereiche

darstellen. Inzwischen haben sich die Bewohner, zumindest in der

wärmeren Jahreszeit, ihre Brücken angeeignet und nutzen diese als

Freiluftsitz und grüne Balkonoase.

Entstanden ist das Projekt durch ein architektonisches Gutachter-

verfahren unter dem Titel „Wohnen für junge Menschen“ inklusive

anschließender Entwurfsrealisierung. Ausgerufen wurde der Wett-

bewerb von der Stadt Leipzig und der lokalen Wohnungsbaugenossen-

schaft, welche sich die Förderung individueller und anpassungsfähiger

Wohnformen mit der Option der Eigeninitiative zum Ziel gesetzt

hat. Zum Sieger wurde der Entwurf von HPP gekürt, welcher sechs

freistehende Hausquader – verbunden mit den beschriebenen

Balkonbrücken – vorschlug, um den Blockrand wiederherzustellen

und zugleich zu einem neuen, großen begrünten Hof überzuleiten

(Käpplinger 2001). Das Projekt trug wesentlich zur Quartiersbelebung

bei und fand in einem sonst als schwierig geltenden Wohnumfeld rasch

Mieter.

Als weiteres Referenzbeispiel – aus rein ästhetischer Sicht, jedoch auf

einer völlig anderen Ebene angesiedelt – kann das Gebäude der Swiss

Page 217: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertdreizehn

Re-Versicherung in München-Unterföhring dienen. Die Architekten

des Büros Bothe Richter Teherani gestalteten den Verwaltungsbau mit

einer Art „schwebenden“ Hecke, die um das Gebäude herumführt, so

dass man das Gefühl hat, in einer grünen „Oase“ zu arbeiten anstatt

in einem trostlosen, peripheren Gewerbegebiet. Das Gebäude besteht

aus insgesamt 16 Flügeln, die in den oberen Geschossen von einem

begehbaren Rankgitter umfasst werden, auf dem die Mitarbeiter auf

einer Länge von 600 Metern in luftiger Höhe um das Gebäude herum-

gehen können. Momentan bedecken Glyzinien und wilder Wein noch

eher spärlich den Maschendrahtzaun, an dem sie emporwuchern

sollen, in ein paar Jahren jedoch, wenn sie das Gebäude komplett

umwachsen haben, werden sie bis zur Unterkante des Gerüsts

Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Architekten

Page 218: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertvierzehn

entlaubt, so dass die Hecke dann aus der Ferne wirkt, als würde sie

schweben (Kunz u. a. 2005).

Das Beispiel aus Leipzig ließe sich sehr gut auch im Goethequartier in

Baulücken, die in der Blockrandstruktur entstanden sind, umsetzen.

Große private Freiluftsitze hätten hier ihren besonderen Reiz, da in der

gründerzeitlichen Architektur die Balkone eher Zier- als Nutzbalkone

darstellen. Die moderaten baulichen Ergänzungen würden zu einer

Aufwertung des Quartiers beitragen, die Balkonwohnungen wären

auch für neue Mieter aus anderen Stadtteilen attraktiv. Zudem würden

die momentan zugewucherten und vermüllten Baulücken dank der

neuen, kreativen Nutzung nicht länger Problemflächen darstellen und

die städtebauliche Struktur der Blockrandbebauung wäre – zumindest

im Ansatz – relativ unaufwendig wieder hergestellt.

Um den Balkonen in dem sehr dichten Viertel ein private Atmosphäre

zu geben, könnte das beschriebene Projekt des Architekturbüros

Bothe Richter Teherani als Beispiel herangezogen werden: Mit der

„grünen Haut“ erhielt das Versicherungsgebäude eine halbdurchlässige

Schicht, die es von seiner Umgebung abschirmt. Auf ähnliche Weise

ließe sich auch auf den Balkonen eine Privatsphäre herstellen. Zudem

würden die so entstehenden vertikalen Grünfläche für die umliegenden

Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München

Page 219: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertfünfzehn

Bewohner einen besonderen Blickfang darstellen und ein wenig Grün

in die ansonsten dichte Bebauungsstruktur bringen, zumal der der

Wunsch nach einer grüneren Gestaltung des Quartiers nach eigenen

Erfahrungen sehr hoch ist.

Für die konkrete Umsetzung des Tools kommen bereits bestehende

Baulücken in der Mitte der Blockrandstruktur infrage, aber auch das

Grundstück am Quartiersplatz in der Uhlandstraße, das in naher

Zukunft im Zuge des Vorkaufsortsgesetzes abgerissen werden dürfte.

Die Finanzierung müssten die jeweiligen Hausbesitzer selbst tragen,

könnten in der Folge aber damit rechnen, dass dieser innovative

Anbau in den Lücken auch den Wert der Wohnungen steigert und

diese so leichter vermittelbar sind. Die Kosten hängen von der Art

der Baukonstruktion ab sowie von der Frage, ob Bauteile speziell

angefertigt werden müssen oder nicht. Wenn die Konstruktion von den

Hauswänden unabhängig auf Stützen ruht, ist dies preiswerter als die

nachträgliche Anbringung am bestehenden Mauerwerk, wodurch sich

zudem statische Probleme ergeben könnten, so dass die tragenden

Außenwände nachgestärkt werden müssten. Allerdings erscheint die

zweite Lösung raffinierter, da sie den Eindruck der Leichtigkeit und

des sozusagen „freien Schwebens“ vermittelt. Genaue Kosten können

G O

E T

H E

S T

R A

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U H L A N D S T R A S S E

H E I N R I C H S S T R A S S E

A D O L F S T R A S S E

K I S T N E R S T R A S S E

Z O L L I N L A N D S T R A S S E

§HAUS 43

RÜCKENWIND

FRAUENCAFÉ

POTENTIALE (KEIMZELLE #2)

§ vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude

Einzelhandel

Restaurant

Café

Kneipe

Friseur

physische Barrieren

Schlüsselgebäude

Passanten

spielende Kinder

Begrünung

gestaltete Gärten

Brachfläche

Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“

Page 220: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertsechzehn

nur von einem Architekten berechnen werden und sind abhängig von

den jeweiligen Umständen. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen

dieses Katalogs ist dieses Tool allerdings in jedem Fall relativ teuer

einzuschätzen.

Wichtigste Akteure sind die jeweiligen Hausbesitzer, die die baulichen

Veränderungen durchführen. Daneben sind noch die Arbeit eines

innovativen Architekten sowie die Unterstützung durch das Stadtpla-

nungsamt vonnöten.

Die Implementierung der Balkone in Lücken ist im Katalog der von

uns vorgeschlagenen Maßnahmen weit hinten angesiedelt, da die

finanzielle Dimension wie die Umsetzungsdauer als eher hoch einge-

schätzt werden. Außerdem ist dieses Tool wohl erst sinnvoll, wenn das

Quartier bereits eine gewisse Aufwertung erfahren hat, da erst dann

die Eigentümer die Sicherheit haben, für ihre verbesserten Wohnungen

auch Mieter zu finden, die solvent genug sind, die höheren Mietpreise

zu bezahlen.

Für die Errichtung der Balkone ist lediglich eine Baugenehmigung

erforderlich.

Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss Re-Gebäude empor

Page 221: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

hundertsiebzehn

Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und

zeitliche Aufwand dar.

In erster Linie nutzen die Balkone auf besonders innovative Weise das

Potential, das der Möglichkeitsraum „Baulücke“ bietet.

Da sie zudem den jeweils betroffenen Wohnungsbestand direkt

aufwerten und damit den Immobilienmarkt stabilisieren helfen, wird

auch die Kategorie „lokale Ökonomie“ berührt.

Der Marketingeffekt, der sich durch die Umsetzung des Tools bewirken

ließe, ist nicht zu unterschätzen: Eine solch innovative Idee würde nicht

nur in der lokalen Presse, sondern auch in bundesweiten Fachzeit-

schriften vorgestellt werden sowie Besucher aus der ganzen Stadt und

darüber hinaus anziehen.

Page 222: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
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Page 224: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 225: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

4. Interventionen

Page 226: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

106

Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35

4.1 kinder-Fotosafari

Für die Intervention ausgewählt wurde das Tool #04, „Temporäre

Stadt“. Zur Diskussion standen dabei eine Reihe möglicher Aktionen

(von einem Grillfest über eine Ausstellung mit lokalen Künstlern bis

hin zu einer Filmvorführung), die im Rahmen einer Nutzwertanalyse

hinsichtlich ihres zeitlichen Horizonts, der Kosten sowie der zu erwar-

tenden Außenwirkung bewertet wurden. Im Ergebnis erschien eine

Kinder-Fotosafari mit anschließender Ausstellung der Bilder als die

geeignetste Alternative, da sie sich sowohl innerhalb der zur Verfügung

stehenden Zeit als auch zu vertretbaren Kosten realisieren ließ. Zudem

war davon auszugehen, dass die Ausstellung inklusive medialer

Berichterstattung die erwünschte öffentliche Wahrnehmung gewähr-

leisten würde. Ein weiterer Aspekt, der bei der Entscheidung eine

Rolle spielte, war, dass im Quartier überproportional viele Kinder leben.

Diese lassen sich über die spezifischen Institutionen (Schule, Freizeit-

und Betreuungseinrichtungen etc.) relativ einfach erreichen bzw.

aktivieren und sind zudem rasch für eine Mitwirkung zu begeistern.

Bürgerbeteiligungsverfahren, die auf erwachsene Personen zielen,

Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken

Page 227: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

107

wären angesichts des sozialen Umfeld im Quartier zweifellos weitaus

schwieriger zu organisieren gewesen und hätten vermutlich keine

vergleichbare Aktivierung der Bewohner des Ortsteils Goethestraße

bewirkt. Wie sich später zeigte, eignen sich Kinder für die Beteiligung

auf Stadtteil- bzw. Quartiersebene auch deswegen besonders gut,

da sie meist über eine starke Identifikation mit ihrer unmittelbaren

Umgebung verfügen, in der sie zur Schule gehen und nachmittags

spielen. Außerdem sind sie tendenziell neugierig und besitzen noch

eine relativ unvoreingenommene Perspektive auf ihr Viertel – auch wenn

sie dessen Probleme durchaus wahrnehmen.

Nachdem die Gruppe als Projektpartner zunächst die Astrid-Lindgren-

Schule favorisiert hatte, entschied sie sich schließlich für die „Aktion

Rückenwind für Leher Kinder e. V.“, die bei einer der Ortsbegehungen

als interessanter Akteur identifiziert worden war. In dieser Institution,

sehr zentral, ungefähr in der Mitte der Goethestraße gelegen, werden

in mehreren Räumen, die sich über zwei Stockwerke verteilen, an vier

Nachmittagen die Woche (Dienstag bis Freitag) sowie an zahlreichen

Wochenenden und in allen Ferien Kinder zwischen vier und zwölf

Jahren betreut. Etwa 60 bis 100 Kinder nehmen dieses Angebot pro

Tag an, fast alle davon wohnen auch im Quartier. Bis auf einige wenige

400 Euro-Kräfte arbeiten die Betreuerinnen, die mehrheitlich ebenfalls

Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke

Page 228: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 229: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 230: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

110

aus der Nachbarschaft stammen, ehrenamtlich, die Finanzierung

erfolgt allein durch Spenden sowie eingeworbene Projektgelder. Ziel

des 2003 gegründeten Vereins ist es, die „körperlichen, geistigen,

emotionalen, kulturellen und sozialen Interessen und Fähigkeiten“ der

Kinder zu fördern, damit diese „aktiv auf ihre Lebensgestaltung und

die Entwicklung ihres Stadtteils Einfluss nehmen“ können (Rückenwind

e.V.).

Angesichts dieser Zielsetzung ist nachvollziehbar, dass von Seiten des

Rückenwind e. V. an einer Zusammenarbeit mit der Projektgruppe

großes Interesse bestand. Nach einer ausführlichen Vorbespre-

chung begleiteten daher am 18. Mai 2011 einige Gruppenmitglieder

gemeinsam mit je einer Betreuerin drei Gruppen von je vier Kindern im

Alter zwischen sieben und zwölf Jahren durch das „Goethequartier“.

Um die Sichtweise der Fotografen nicht zu beeinflussen, beschränkte

sich die Rolle der Erwachsenen ganz bewusst darauf, von Zeit zu

Zeit die Aufgabenstellung in Erinnerung zu rufen. Diese lautete, die

jeweiligen Lieblingsorte zu fotografieren sowie Orte, an denen sich die

Kinder nicht wohlfühlen bzw. die ihnen nicht gefallen. Aus praktischen

Gründen wurden dazu Einwegkameras verwendet, zudem war die

Aktion als Wettbewerb angelegt, um den Ehrgeiz der Beteiligten zu

wecken.

Währenddessen und im Anschluss an die Fotosafari bekamen alle

interessierten Rückenwind-Kinder jeweils eine DIN A3-Skizze einer

Baulücke zur Verfügung gestellt (bzw. bei Bedarf auch mehrere

Exemplare), in die sie ihre Ideen für die Nutzung einer Baulücke

zeichnen konnten. Die zentrale Erkenntnis dieser Malaktion, an der

sich auch einige der Betreuerinnen beteiligten, war der allgemeine

Wunsch nach mehr Grün im Quartier sowie nach abwechslungsreichen

Spiel- und Sportmöglichkeiten. Eine Bebauung der Lücke mit einem

vollwertigen Gebäude wurde hingegen nur einmal vorgeschlagen.

Abbildung 37: Einige der Siegerfotos

Page 231: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

111

4.2 ausstellung

Die Ergebnisse der Fotosafari sowie die Baulückenzeichnungen

wurden schließlich rund einen Monat später, ab dem 17. Juni, unter

dem Titel „Augenhöhe < 1,50 Meter – Der Ortsteil Goethestraße aus

Kinderperspektive“ in Bremerhaven präsentiert. Die Ausstellung fand

statt im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen 2011, einer dreiwö-

chigen Veranstaltungsreihe mit zahlreichen kulturellen Angeboten, die

auf Initiative der Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe, des

Kulturbüros Lehe sowie des Stadtplanungsamtes Bremerhaven in

eben diesem Jahr erstmalig durchgeführt wurde. Ursprünglich hatte die

Projektgruppe für die Intervention eine Baulücke gewählt, später sollte

als temporärer Ausstellungsort der vor einigen Jahren neu geschaffene

Quartiersplatz dienen. In beiden Fällen hätte sich die Präsentation

jedoch auf einen Tag beschränkt und wäre zudem witterungsabhängig

gewesen. Daher nahm die Gruppe das Angebot des künstlerischen

Leiters der Kulturwochen, des Autors und Theatermachers Erpho Bell,

gerne an, die Ausstellung für die Dauer von zwei Wochen in der „Kultur-

wohnung“ zu zeigen. Hierbei handelte es sich um einen klassischen

„Möglichkeitsraum“, eine ehemals leerstehende Erdgeschosswohnung,

zur Goethestraße hin gelegen, sehr zentral, direkt gegenüber dem

Mehrgenerationenhaus und nur wenige Schritte vom Rückenwind e. V.

Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung

Page 232: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

112

entfernt. Außer den von der Projektgruppe ausgestellten Fotos behei-

mateten die Räume eine Kunstinstallation und dienten für drei Wochen

als Veranstaltungsort für diverse Lesungen sowie als Tauschbibliothek.

Zwar war das Konzept der „Kulturwohnung“ zeitlich befristet auf die

Sommer-Kulturwochen, doch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass

sich daraus eventuell eine dauerhafte Einrichtung ergeben könnte.

Im Zentrum der Vernissage, die über den Flyer der Leher Sommer-

Kulturwochen sowie eigene Plakate publik gemacht worden war, stand

die Prämierung der Siegerfotos, d. h. jener drei Fotoserien je eines

Fotografen, die die Projektgruppe als am „künstlerisch wertvollsten“

und aussagekräftigsten bewertet hatte. Als Preis erhielten die Kinder

jeweils ein Sachbuch, das von einer örtlichen Buchhandlung gestiftet

worden war, zudem bekamen sämtliche anwesende Kinder des

Rückenwind e. V. je einen Gutschein für Kuchen und Kakao. Sonstige

Besucher konnten für Kaffee und Kuchen spenden, der Erlös wurde

unserem Projektpartner Rückenwind e. V. übergeben. Musikalisch

umrahmt wurde die Ausstellungseröffnung von einem Bremerhavener

Saxofonisten, die örtliche Presse war durch unseren Medienpartner,

das Sonntagsjournal, vertreten (vgl. dazu Kapitel 4.3).

Neben den Fotos, die zum Teil auf DIN A4 vergrößert und auf

Kappa-Platte aufgezogen worden waren, zum Teil in normaler

Größe nebeneinander aufgereiht gezeigt wurden, präsentierte die

Projektgruppe auf Plakaten vier eigene Ideen, d. h. Tools, für das

Abbildung 39: Ausstellungseröffnung

Page 233: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

113

Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts Goethequartier“

Goethequartier. Diese konnten zum einen schriftlich kommentiert

werden, zum anderen ergaben sich aber auch bereits bei der

Vernissage angeregte Diskussionen über die Vorschläge. Dabei

wurde der von der Projektgruppe vorgeschlagene bzw. geprägte

Begriff „Goethequartier“ von einigen Besuchern wie selbstverständlich

verwendet – ein Beweis für dessen Eingängigkeit sowie eventuell ein

erster Hinweis darauf, dass nach dieser „Marke“ ein emotionales wie

faktisches Bedürfnis bestehen könnte. Alle Interessierten hatten zudem

die Möglichkeit, sich in eine Mailingliste einzutragen, um so nach

Abschluss des Projekts den Katalog, d. h. die Toolbox, zugesandt zu

bekommen. Ganz offensichtlich waren unter den rund 30 erwachsenen

Besuchern der Vernissage zahlreiche potentielle „Kümmerer“, so dass

das Ziel der Intervention, solche Personen zu identifizieren, voll erreicht

wurde. Auch im weiteren Verlauf der Ausstellung, währenddessen

keine Gruppenmitglieder mehr anwesend sein konnten, blieb die

Publikumsbeteiligung nach Angaben der Veranstalter rege. So kamen

etwa einige der jungen Fotografen noch einmal mit ihren Eltern wieder,

die bei der Eröffnung nicht anwesend waren. Außerdem bekundete

der Rückenwind e. V. den Wunsch, die Fotoreihen nach Abschluss der

Ausstellung in der „Kulturwohnung“ noch weitere zwei Monate in den

eigenen Räumen aufhängen zu dürfen. Anschließend sollen die Kinder

ihre jeweiligen Bilder bekommen.

Page 234: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

114

4.3 öffentlichkeitsarbeit

Begleitet wurden die Interventionen von einer intensiven Öffentlichkeits-

arbeit. Ziel war es, über das „Projekt Goethequartier“ zu informieren,

den Kontakt mit den Bewohnern des Projektgebiets zu intensivieren

und darüber hinaus ein Netzwerk zu relevanten Akteuren der Stadt-

entwicklung aufzubauen. Dadurch sollte der Austausch von Ideen

und Vorschlägen sowie insbesondere die Diskussion über das eigene

Konzept gefördert werden. Als erste Maßnahme wurde zu diesem

Zweck unter dem Namen „Goethequartier“ eine Facebook-Präsenz

eingerichtet, auf der in regelmäßigen Abständen Informationen über die

eigene Projektarbeit sowie über den Ortsteil Goethestraße veröffentlicht

wurden – letzteres natürlich in erster Linie für ortsfremde Personen.

Nach eher zurückhaltendem Beginn entwickelte sich die Seite

innerhalb kurzer Zeit zu einer viel genutzten Plattform, wie über 17.000

„Post Views“ bis zum Zeitpunkt der Endredaktion dieses Berichts

belegen. Auch von Menschen aus dem Goethequartier selbst kamen

immer wieder Anfragen, die Interesse bekundeten an den Ergeb-

nissen der Kinder-Fotosafari und an der Ausstellung, dem Stand der

Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe

Page 235: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 236: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 237: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

117

Projektarbeit, dem Projektbericht sowie der aktuell noch ausstehenden

Endpräsentation vor Ort. Auch in der Blogosphäre hat das Projekt

seine Spuren hinterlassen: Seine äußerst positiven Eindrücke von der

Fotoausstellung schilderte ein bekannter lokaler Kulturschaffender in

seinem Blog (http://juwiswelt.blogspot.com), das sich hauptsächlich

mit den Themen Kunst und Stadtentwicklung beschäftigt.

Zweites wichtiges Standbein der Öffentlichkeitsarbeit bildete schließ-

lich der Kontakt zur lokalen Presse, wobei wir als Medienpartner

bewusst das Bremerhavener Sonntagsjournal gewählt hatten –

deutschlandweit eine der ersten und mittlerweile eine der letzten

Gratis-Sonntagszeitungen –, da dieses im Gegensatz zur kostenpflich-

tigen Nordsee-Zeitung auch im Goethequartier viel gelesen wird. In

einem ersten Artikel durften wir unser Projekt vorstellen, ein weiterer

erschien unmittelbar nach der Ausstellung; das dazugehörige Bild zeigt

zwei der drei Gewinner des Fotowettbewerbs zusammen mit einigen

Projektmitgliedern.

Nicht zuletzt wurde für das „Projekt Goethequartier“ ein Logo ent-

wickelt (s. Abb. 41), das dazu gedacht war, der P3-Gruppe im Rahmen

der Außenkommunikation, insbesondere auf den Ausstellungsplakaten,

zu einer Corporate Identity zu verhelfen.

Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat

Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik

Abbildung 44: Zitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“

Page 238: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)
Page 239: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

5. Ausblick: Das Goethequartier im Jahr 2025

Page 240: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

120

Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie

Page 241: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

121

In diesem Kapitel soll die Vision, die zuvor für das Goethequartier

entwickelt wurde, und der sämtliche Tools verpflichtet sind, noch

einmal überprüft und konkretisiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei

die Frage, welchen Beitrag die einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen

und Instrumente eventuell bei der Verwirklichung dieses Zukunfts-

szenarios, also beim Prozess der schrittweisen Aufwertung, leisten

können. Aufgezeigt werden soll zudem, welche Verknüpfungen und

Interdependenzen zwischen den Tools bestehen, wie diese also – im

Idealfall! – ineinandergreifen. Der vorläufige Endpunkt der prognosti-

zierten bzw. erhofften Entwicklung wird im Rahmen dieses Ausblicks

ungefähr auf das Jahr 2025 terminiert, da dies von heute, 2011,

aus betrachtet als ein realistischer Zeithorizont erscheint, innerhalb

dessen alle Tools ihre volle Wirkung entfalten können. Bis dahin, so

steht zu hoffen, ist aus dem Ortsteil Goethestraße ein echtes Quartier

mit eigenem, positiv besetztem Image geworden, dessen Bewohner

sich im Sinne einer „Bürgergesellschaft“ aktiv für ihre Nachbarschaft

einsetzen. Die momentan bestehenden Freiräume, also Baulücken und

Leerstand, so die Vision, werden dabei einer vielfältigen neuen Nutzung

zugeführt, was nicht nur Wachstumseffekte für die lokalen Ökonomien

zur Folge hat, sondern das Viertel auch wieder attraktiv macht für

Bevölkerungsschichten, die heute andere Teile der Stadt vorziehen.

In diesem Zusammenhang muss allerdings immer auch berücksichtigt

werden, dass der planerische Handlungsspielraum seine Grenzen

findet in der allgemeinen makroökonomischen und gesamtstädtischen

Entwicklung, die trotz gegenteiligen Tendenzen in einigen Bereichen

sicherlich auch zukünftig eine große Herausforderung darstellen

wird: Der Kontext, in dem sich die Aufwertung des Projektgebiets

vollziehen soll, bleibt aller Voraussicht nach auch in den kommenden

Jahren bestimmt durch demographischen Wandel und schrumpfende

Bevölkerungszahlen. Nichtsdestotrotz erscheint das hier beschriebene

Szenario angesichts der im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremer-

haven vorhandenen Potentiale als durchaus realistisch, zumal im

Rahmen der vorgeschlagenen Tools detailliert dargelegt wird, wie diese

jeweils genutzt bzw. gestärkt werden können.

Eines der Hauptziele, die mit der Toolbox verbunden sind, ist es, die

Menschen im Quartier zu aktivieren, d. h., sie dazu zu bewegen, einen

eigenen kleinen Beitrag zur Belebung und Aufwertung ihres Wohn- und

Lebensumfeldes zu leisten. Zum einen braucht es dazu „Kümmerer“,

die bereit sind, sich eines speziellen Themas, eines Projekts persönlich

Page 242: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

122

anzunehmen und dieses umzusetzen. Zum anderen jedoch muss es

die Intention sein, über diese kleine Personengruppe hinaus auch die

breite Masse der Bevölkerung stärker einzubinden und an Prozessen

der Stadtentwicklung intensiver zu beteiligen. Tool #01, „Neigh-

bourhood Branding“, trägt diesem Gedanken Rechnung, indem es

Wege aufzeigt, wie dies, erfolgreicher als bislang der Fall, gelingen

kann. Schließlich dient der Branding-Prozess einerseits zwar durchaus

der Imagekorrektur (also einer Verbesserung der Außenwahrnehmung),

primär jedoch geht es hierbei darum, Partizipation zu fördern und die

Verständigung der Menschen über die Potentiale und Perspektiven

ihrer eigenen Nachbarschaft zu initiieren bzw. zu intensivieren. Im Zuge

dessen bilden und verstärken sich Netzwerke, Akteure finden sich

zusammen, es entstehen Konstellationen, die im weiteren Verlauf der

angestrebten Entwicklung zum Gelingen von Projekten entscheidend

beitragen können.

Ein weiteres grundlegendes Instrument stellt Tool #02 dar: Ein inter-

netbasiertes Informationssystem, das sämtliche Baulücken und

(gewerblichen) Leerstände im Quartier – bzw. darüber hinaus im

gesamten Stadtgebiet – abbildet und Interessierten zugänglich macht.

Dies ermöglicht bzw. erleichtert es, die im Rahmen des Projekts

„Möglichkeitsräume“ genannten Raumpotentiale einer neuen Nutzung

zuzuführen. Angesichts der (momentan) nicht vorhandenen Nachfrage

nach dauerhaften, ökonomisch lukrativen Lösungen wird diese dabei

in vielen Fällen temporär angelegt sein. Die Toolbox enthält hierzu

ein Reihe von Vorschlägen aus dem weiten Spektrum der Zwischen-

nutzung: Tool #03 „Temporäre Stadt“, Tool #04 „Bauspielplatz“ und

Tool #05 „Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten“, hinzu kommen

Tool #07 „Probewohnen“ und Tool #12 „Temporäre Gastronomie“.

Am wenigsten dauerhaft sind dabei die Projekte im Zusammenhang

mit der „temporären Stadt“, die in erster Linie Eventcharakter besitzen.

Dass aber selbst kurze künstlerische oder kulturelle Interventionen über

ihre eigentliche Dauer hinaus raumwirksam werden und damit auf die

Stadtentwicklung einwirken können, lässt sich etwa am Beispiel der

Ausstellung demonstrieren, die das Projektteam selbst im Goethe-

quartier durchgeführt hat. Zum einen vermittelten die Fotos der Kinder

den Besuchern einen zum Teil ganz neuen Blick auf das eigene Viertel,

auch auf dessen schöne Seiten. Die intensive Betrachtung der Bilder

führte dabei bei manchen zu Rätselraten, wo genau eine bestimmte

Situation denn zu verorten sei, sowie zu Aha-Erlebnissen nach dem

Page 243: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

123

Motto „Das ist mit ja noch nie aufgefallen!“. Befördert wurde durch die

Ausstellung bei den Bewohnern also nicht nur die Beschäftigung mit

dem eigenen Lebensumfeld (die zu einer verstärkten Identifikation mit

diesem beitragen kann), sondern darüber hinaus auch das Gespräch

über Probleme und Potentiale des Viertels. Und dies gerade auch bei

Personen, die sich ansonsten nicht mit derartigen Themen befassen

würden. Ein Beispiel hierfür sind die Eltern der Rückenwind-Kinder, die

zwar ganz überwiegend nicht bei der Vernissage anwesend waren und

kulturelle Veranstaltungen dieser Art größtenteils wohl generell eher

meiden würden, im Fall der Ausstellung „Augenhöhe < 1,50 Meter“

aber eine Ausnahme machten: Im Laufe der zwei Wochen kamen

mehrere von ihnen gemeinsam mit ihren Kindern vorbei, um sich die

Fotoserien in Ruhe zu betrachten.

Zum anderen ist zu erwarten – ohne, dass dies an dieser Stelle

nachgewiesen werden kann – dass zumindest bei einigen der

Besucher die temporär eingerichtete „Kulturwohnung“ auch über

die Ausstellung hinaus im Gedächtnis verankert bleibt. Durch eine

vorübergehende, nur zwei oder drei Wochen andauernde Nutzung

wurde also ein Ort geschaffen, der aufzeigt und daran erinnert, dass es

neben Verfall und Niedergang auch Zeichen für einen positiven Wandel

des Ortsteils Goethestraße gibt. Aufgrund des großen Erfolgs werden

die Leher Sommer-Kulturwochen aller Voraussicht nach auch im

kommenden Jahr stattfinden, im Jahr 2025 feiern sie demnach bereits

15-jähriges Bestehen und haben sich zu einer festen Institution entwi-

ckelt. Die Beteiligung der Anwohner, sowohl aktiv wie auch passiv, hat

gegenüber heute noch wesentlich zugenommen, viele Bürger führen

unter dem Dach dieser Veranstaltungsreihe selbständig Aktionen durch.

Die „Kulturwohnung“ ist derweil zu einer dauerhaften, ganzjährigen

Einrichtung geworden, in den Räumen finden regelmäßig Ausstellungen

und Lesungen statt, zu denen auch Besucher von außerhalb zahlreich

erscheinen.

Das größte Problem bei solchen Veranstaltungen ist es mittlerweile,

2025, einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe der Goethestraße zu

ergattern, dagegen stehen für ein anschließendes Bier oder Glas Wein

eine Reihe attraktiver gastronomischer Einrichtungen zur Auswahl.

Einige der ursprünglich temporären Cafés und Bars im Quartier haben

nach wie vor nur im Sommer in einer Baulücke geöffnet und beleben

während dieser Monate das Straßenbild, andere erwiesen sich – auch

dank neu zugezogener Bevölkerungsschichten – als wirtschaftlich so

Page 244: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

124

erfolgreich, dass sie sich in leerstehenden Ladenlokalen dauerhaft

etablieren konnten.

Aktuell, also 2011, ist der Wohnungsleerstand im Ortsteil Goethestraße

so hoch, dass zu den bereits vorhandenen Baulücken in den nächsten

Jahren beinahe zwangsläufig einige weitere hinzukommen werden.

Der erwartete Zuzug neuer Bewohner und die nachfolgende Stabili-

sierung des Wohnungsmarktes, die die Hauseigentümer wiederum zu

verstärkten Investitionen in die Substanz motiviert, kommen für viele

Gebäude vermutlich zu spät. Daher erscheint es wahrscheinlich, dass

– trotz eventueller Neubebauung einiger Brachengrundstücke – auch

im Jahr 2025 noch zahlreiche Lücken bestehen, deren einstmals als

Zwischenlösung geplante Nutzung zu einer dauerhaften geworden ist.

Der Bauspielplatz etwa ist im Laufe der Zeit über das Viertel hinaus

zu einer beliebten Anlaufstation für Bremerhavener Kinder geworden,

die hier im Kleinen einüben, was sich im Großen, also im gesamten

Goethequartier, zur Regel entwickelt hat: Umfassende, gleichberech-

tigte Kommunikation unter allen Akteuren, insbesondere der Dialog

über gemeinsame Projekte sowie eine breite Kooperation bei deren

Umsetzung.

Angesichts der großen Anzahl an Flächen gehören zu den ursprünglich

als Zwischennutzung angelegten Projekten, die sich im Jahr 2025

verstetigt haben, auch zwei Gemeinschaftsgärten. Der eine wird

von den direkten Anwohnern genutzt, die sich angesichts der

Möglichkeit, innenstadtnahes, urbanes Wohnen und einen eigenen

Garten verbinden zu können, für das Goethequartier und gegen ein

eigenes Haus im Umland entschieden haben. Der andere Garten,

der sich primär dem interkulturellen Austausch verschrieben hat,

wird von Menschen aus dem ganzen Viertel genutzt und stellt somit

einen wichtigen Treffpunkt dar. Unter den Nutzern sind viele, die das

Gärtnern als Hobby pflegen und dabei vor allem auch die die Gemein-

schaft mit anderen suchen, beispielsweise beim sommerlichen Kochen

im Gartenrestaurant. Für einige andere wiederum, die trotz der verbes-

serten Wirtschaftslage in prekären Verhältnissen leben, stellt das selbst

angepflanzte Gemüse darüber hinaus jedoch eine wichtige Quelle der

Ernährung dar und bedeutet eine deutliche finanzielle Entlastung.

Unter den Zwischennutzungen, die im Jahr 2025 nicht mehr

existieren, findet sich dagegen das Modellprojekt „Probewohnen“.

Die dafür genutzte Wohnung wurde, zusammen mit einigen anderen,

Page 245: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

125

irgendwann in eine reguläre Ferienwohnung umgewandelt. Dank des

Tourismusbooms, von dem Bremerhaven aufgrund seiner zahlreichen

Freizeiteinrichtungen bereits seit vielen Jahren profitiert, kommen Jahr

für Jahr mehr Besucher in die Stadt, von denen einige ein Gründerzeit-

viertel mit historischer Bausubstanz den postmodern-futuristischen,

ästhetisch anspruchslosen Hotels am Hafen vorziehen. Besonders für

ältere, kulturell interessierte Reisende sowie für junge Familien, die sich

ein Hotel nicht leisten können und wollen, sind die Ferienwohnungen im

Goethequartier attraktiv.

Sowohl für Gäste von außerhalb wie auch für Menschen aus anderen

Stadtteilen, die gerne die Gastronomie im Quartier nutzen, und nicht

zuletzt auch für die Bewohner und Gewerbetriebenden rund um

die Goethestraße selbst ist überall kostenlos verfügbares Internet

längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Nachdem das vor zwölf

Jahren von der Stadt organisierte WLAN-Pilotprojekt dem Ortsteil

Goethestraße in Bremerhaven viel Aufmerksamkeit beschert und sich

– zumal angesichts der geringen Kosten – als großer Erfolg erwiesen

hatte, wurde das Modell schon vor Längerem auf die gesamte Stadt

ausgedehnt. Welchen Anteil die Einrichtung öffentlicher „Hotspots“

(Tools #10) am wirtschaftlichen Aufschwung des Goethequartiers

hatte, lässt sich selbstverständlich nicht genau beziffern. Fest steht

allerdings, dass diese Maßnahme zumindest einige Jahre lang einen

klaren Standortvorteil für das Viertel mit sich brachte und vor allem für

Existenzgründer eine große Erleichterung darstellte. Zusammen mit den

extrem günstigen Mieten war kostenloses WLAN ein Argument auch für

viele noch nicht etablierte Selbständige und Freiberufler aus der ganzen

Stadt, ihr Büro hier anzusiedeln. Als ganz entscheidend erwies sich in

diesem Zusammenhang auch die Gründung eines Coworking Space

(Tool # 11) im Goethequartier, da hierdurch zahlreichen Menschen ein

kostengünstiger (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben ermöglicht wurde.

Im Jahr 2025 zeigen sich die lokalen Ökonomien im Vergleich zu

2011 deutlich gestärkt, mit einigen der in Bremerhaven erfolgreichen

Wirtschaftszweige bestehen vielfältige Wechselbeziehungen, die sich

zum Teil zweifellos weiter intensivieren werden.

Ein anderes Projekt, das weithin Beachtung findet und das Goethe-

quartier kurzzeitig sogar bundesweit in die Medien brachte, ist das

mithilfe von Tool #09, „Mode aus dem Quartier“ ins Leben gerufene

Label „GQ“: Sechs Frauen unterschiedlichen Alters fertigen unter

Verwendung traditioneller Handarbeitstechniken multikulturell inspirierte,

Page 246: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

126

originelle Bekleidung, die über das Internet sowie über eine Boutique

in Bremen vertrieben wird. Nachdem das Projekt nur schleppend

anlief und mehrere Male kurz vor dem Aus stand, fand sich schließlich

eine engagierte Person mit guten Kontakten, die es zum Erfolg führte.

Produziert wird bereits seit mehreren Jahren in einem Gebäude an

der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, in dessen Erdgeschoss sich ein

Ladenlokal befindet, das einst im Rahmen des Wettbewerbs „Laden

zu verschenken“ (Tool #06) für ein Jahr mietfrei vergeben wurde. Das

innovative Geschäftskonzept des Gewinners hat sich dank eines gut

ausgearbeiteten Businessplans als erfolgreich erwiesen, zwei andere

Ideen, die damals von nicht-siegreichen Teilnehmern eingereicht

worden waren, konnten später in der Hafenstraße realisiert werden.

Neben dem kleinen Mode-Unternehmen und dem Geschäft finden

sich in dem Eckhaus mehrere weitere gewerbliche Nutzungen,

wodurch es eine positive Ausstrahlung auf seine Umgebung besitzt

und an dieser Stelle so etwas wie ein „Schlüsselgebäude“ darstellt.

Auch dank dieser Maßnahme hat sich der zentrale Teil des Goethe-

quartiers (neben dem nordöstlichen Bereich rund um „die theo“) zu

einer Art „Keimzelle“ entwickelt, von der aus die Aufwertung des

Ortsteils voranschreitet. Zu diesem Prozess beigetragen hat ganz

wesentlich auch die „Wächterhaus“-Initiative (Tool #08), mit deren

Hilfe einige zentrale Gebäude vor dem weiteren Verfall und damit dem

Abriss bewahrt werden konnten, bis sich eine reguläre, kommerzielle

Nutzung gefunden hatte – so wie im Fall des Gebäudes an der Ecke

Goethestraße/Kistnerstraße.

Alle beschriebenen Maßnahmen und Instrumente gemeinsam –

darunter auch ein so ungewöhnliches und überraschendes Tool wie

der Zen-Garten in einer Baulücke (#13) – haben dazu beigetragen, die

Qualität des städtischen Raumes enorm zu steigern. Nachdem mit der

Umsetzung der ersten Projekte begonnen worden war, erschienen die

Brachflächen und Leerstände irgendwann nicht mehr als Makel und

als Zeichen des Abstiegs, sondern wurden zu „Möglichkeitsräumen“,

also zu einem Potential dieses Viertels. Zudem veränderten die neuen,

zunächst überwiegend temporären Nutzungen den Blick auf das

ehemalige „Problemviertel“, das einstmals extrem negative Image

des Ortsteils verbesserte sich im Zuge dessen nach und nach. Unter-

stützend hierbei wirkte im Übrigen auch der neue, noch unbesetzte,

d. h. somit weitgehend unbelastete, Name „Goethequartier“. Resultat

der konkreten Aufwertungsmaßnahmen wie auch der Imagestei-

Page 247: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

127

gerung war ein vermehrter Zuzug aus ganz Bremerhaven, u. a. von

Bevölkerungsgruppen, die zum aktuellen Zeitpunkt, 2011, deutlich

unterrepräsentiert sind: Junge Familien, die sich in sozial stabilen und

finanziell gesicherten Verhältnissen befinden, sowie alte Menschen.

Tool #14, „Altersgerechtes Wohnen“, nimmt auf dieses momentane

Defizit Bezug, wobei solche Wohnprojekte entweder selbst aktiv zur

Aufwertung ihrer Umgebung beitragen können (wie das Beispiel des

Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 zeigt) oder aber

erst entstehen, wenn bereits erste Korrekturen stattgefunden haben.

Ebenso muss Tool #15 hinsichtlich des Zeitpunkts seiner Umsetzung

im Katalog recht weit hinten angesiedelt werden, da hierbei zwei

Faktoren eine Rolle spielen, die eng miteinander zusammenhängen:

Zum einen zielen „Balkone in Baulücken“ auf eine Mieter- bzw. Käufer-

schicht, die auf absehbare Zeit noch nicht für das Goethequartier

gewonnen werden kann, zum anderen sind Investitionen in der notwen-

digen Höhe für Hausbesitzer natürlich erst dann lukrativ, wenn sie sich

über höhere Mieten auch refinanzieren lassen. Ob der Prozess der

Aufwertung und Neupositionierung bis 2025 so weit fortgeschritten ist,

erscheint aus heutiger Perspektive fraglich, soll aber andererseits nicht

grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Zuletzt bleibt noch die Frage, welche Rolle die Stadtplanung in diesem

Zukunftsszenario spielt. Unter 3.1 wurde im Zusammenhang mit dem

Begriff „Bürgergesellschaft“ bereits ausgeführt, dass und weshalb sie

keineswegs an Bedeutung verliert, sondern dass sich vielmehr ihre

Rolle wandelt, hin zu einer ermöglichenden, fördernden Instanz, die

insbesondere die „Kümmerer“ bei der Realisierung ihrer jeweiligen

Projekte unterstützt. Diese Funktionsverschiebung zeigt sich auch

in zahlreichen der 15 Tools, bei denen das Stadtplanungsamt als

wichtiger Kooperationspartner bzw. sekundärer Akteur vorgesehen ist,

im Wesentlichen jedoch andere Beteiligte für Planung und Umsetzung

verantwortlich sind.

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Page 249: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

6. Fazit

Page 250: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

130

Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“

Page 251: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

131

Im abschließenden Fazit sollen nun Projektverlauf wie Projektergebnis

resümiert und dabei kritisch reflektiert werden. Insbesondere das

Planungsverständnis, das sowohl in der Arbeit der Gruppe als auch in

diesem Bericht zum Ausdruck kommt, gilt es dabei vor dem Hinter-

grund des Erreichten noch einmal zu überprüfen.

Welch ein Wagnis ein komplett selbst organisiertes studentisches

Projekt generell darstellt – zumal, wenn es sich über zwei Semester

bzw. neun Monate erstreckt –, wurde bereits im Vorwort wie auch in

der Einleitung thematisiert. Dass das „Projekt Goethequartier“ letztlich

zu einem Erfolg geworden ist, lässt sich dabei wohl auf mehrere Gründe

zurückführen. Zunächst zur Arbeitsorganisation: Als großer Vorteil hat

sich ganz eindeutig erwiesen, dass die Problemstellung von Anfang an

relativ klar auf der Hand lag. Wie beschrieben, musste sie dann zwar

angesichts der Ergebnisse der Analyse im Verlauf des Projekts deutlich

erweitert werden, doch im Grundsatz blieb das Erkenntnisinteresse

dasselbe: Wie soll die Stadtplanung auf die Herausforderung reagieren,

die die bestehenden und zukünftigen Baulücken (sowie der Leerstand

– dies die Ergänzung) für den Ortsteil Goethestraße darstellen? Sehr

rasch wurde zudem klar, dass bei der Beantwortung dieser Frage nicht

eine wie auch immer geartete Neubebauung der Brachflächen das

Thema sein kann, sondern dass der geeignete Ansatz vielmehr primär

in Zwischennutzungslösungen gesucht werden muss. Neben diesem

grundsätzlichen inhaltlichen Konsens bestand auch eine weitgehende

persönliche Übereinstimmung innerhalb des Projektteams, weshalb die

Phase der „Gruppenfindung“ kaum Zeit in Anspruch nahm.

Ein weiterer Erfolgsfaktor für das Projekt war die gute, sehr realistische

Zeitplanung, insbesondere in Bezug auf die eigenen Interventionen.

Das Machbare wurde hierbei dem theoretisch Möglichen und

Wünschenswerten vorgezogen. (Andererseits erwiesen sich die durch-

geführten Aktionen schließlich ganz ohne Frage als die richtige Wahl,

wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird.) Bei der konkreten

Umsetzung – das soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden

– war daneben jedoch auch etwas Glück im Spiel: Die terminliche

Übereinstimmung mit den Leher Sommer-Kulturwochen 2011 und vor

allem das Angebot, die „Kulturwohnung“ nutzen zu können, machten

die Ausstellung in dieser Form erst möglich. Auch andere Akteure

erwiesen sich als wahrer Glücksfall, ganz speziell der Rückenwind

e.V., aber auch das Mehrgenerationenhaus, dessen Bewohner gleich

die ersten Gesprächspartner der Projektgruppe im Plangebiet waren

Page 252: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

132

und uns den Zugang zum Ortsteil Goethestraße sehr erleichterten.

Auch das Designlabor und „die theo“ seien an dieser Stelle noch

einmal gesondert erwähnt, da die jeweiligen Experteninterviews mit

diesen Institutionen ihre deutlichen Spuren im Konzept des „Projekts

Goethequartier“ hinterlassen haben. Etwas bedauernswert erscheint

im Rückblick hingegen, dass die Relevanz der Eigentümerstandort-

gemeinschaft (ESG) Lehe anfangs nicht voll erfasst wurde, was daran

liegt, dass von dieser Seite offenbar nicht die geeigneten Gesprächs-

partner zur Verfügung standen. Dass hingegen das Stadtplanungsamt

Bremerhaven im Rahmen des Projekts nicht Hauptansprechpartner

war, erklärt sich zum einen daraus, dass die dort vorhandenen perso-

nellen Ressourcen offenbar beschränkt sind, zum anderen aber auch

aus der Tatsache, dass dieser Akteur für das Konzept nicht als zentral

angesehen wurde.

Dem entspricht die bereits erwähnte inhaltliche Orientierung an

Zwischennutzungen und kleinteiligen, separat umsetzbaren Projekten.

Dass diese nichtsdestotrotz vielfältige Bezüge und Querverbindungen

untereinander aufweisen, konnte in Kapitel 5 aufgezeigt werden.

Eine Erfahrung aus der Analyse, die bei der Ausarbeitung der Tools

berücksichtigt wurde, ist zudem, dass sämtliche Maßnahmen nach

Möglichkeit an vorhandene Akteurskonstellationen anschließen und

bereits bestehende Netzwerke nutzen sollten. Darauf wurde auch bei

den eigenen Interventionen explizit geachtet, für die als Kooperati-

onspartner der Rückenwind e. V. und das Kulturbüro Lehe gewonnen

werden konnten. Ein eventueller Versuch, Aktionen wie die Fotosafari

und die Ausstellung komplett in Eigenregie zu organisieren, hätte

dagegen zweifellos eine Überforderung der Projektarbeit bedeutet

und nicht die erwünschte Außenwirkung gehabt. So jedoch bleibt der

Eindruck, dass das „Projekt Goethequartier“ spätestens mit den Inter-

ventionen im Viertel „angekommen“ ist.

Generell lässt sich feststellen, dass die beiden Aktionen, Fotosafari

und Ausstellung, die eine Konkretisierung des Tools „temporäre Stadt“

darstellen, wesentlichen zum Projekterfolg beigetragen haben. Zumal

in Anbetracht der kurzen Zeit, wurden die damit verbundenen Ziele voll

erreicht: Die Interaktion mit den Bewohnern wurde gefördert, ebenso

wie die Diskussion über das Konzept dieses Projekts, zudem gelang

es, potentielle Kümmerer zu identifizieren und für die Toolbox zu inter-

essieren. Das „Projekt Goethequartier“ wurde insgesamt sehr positiv

aufgenommen und der für den Ortssteil geprägte neue Name ganz

Page 253: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

133

selbstverständlich verwendet. Nicht zuletzt hat die Ausstellung gezeigt,

dass auch planungsfremde Bevölkerungskreise (einschließlich der

Kinder) an das Thema Stadtentwicklung herangeführt werden können,

wenn die passenden Wege und Mittel gewählt werden.

Ein generelles Erfolgsgeheimnis für sämtliche temporäre Aktionen bzw.

Interventionen dürfte schließlich sein, dass sich diese Maßnahmen

konkret auf den jeweiligen Ort beziehen und sich mit ihm auseinander-

setzen sollten. Nur dann können sie auch längerfristig raumwirksam

werden, während beliebige „Events“ keine nachhaltige Wirkung

entfalten. Ähnliches gilt für längerfristige Zwischennutzungen, die

ebenfalls speziell auf den Raum zugeschnitten sein müssen, um mehr

darzustellen als bloß eine „nette Idee“. Aus diesem Grund wurde bei

den diversen Projekten, die in der Toolbox versammelt sind, bewusst

auf einen starken Ortsbezug Wert gelegt. Nicht zuletzt deswegen sind

wir, das „Projekt Goethequartier“, davon überzeugt, dass mit diesem

Katalog ein geeignetes Instrument zur Verfügung steht, mit dem sich

die Abwärtsspirale im Ortsteil Goethestraße stoppen lässt. Darüber

hinaus zeigt das Konzept unseres Erachtens Wege auf, wie das Viertel

auch mittel- und langfristig, d. h. also dauerhaft, aufgewertet werden

kann.

Nach dem planerischen Selbstverständnis dieses Projekts spielt dabei,

wie bereits mehrfach erwähnt, das Stadtplanungsamt nicht die zentrale

Rolle, stattdessen nehmen andere Akteure einen gewichtigeren Platz

als bisher ein. Andererseits wäre es sicherlich vermessen zu glauben,

dass Stadtentwicklung ausschließlich mithilfe von Zwischennut-

zungsprojekten erfolgen kann. Nötig ist vielmehr eine neue Sicht- und

Herangehensweise, die beide Aspekte einschließt, die klassischen

Instrumente der Stadtplanung wie die weitgehend ungesteuerte

Entwicklung durch „Raumpioniere“ und Zwischennutzer. Dass diese

Akteure mittlerweile selbst in etablierten Kreisen der Immobilienwirt-

schaft und Wirtschaftsförderung als Chance für die Stadtentwicklung

begriffen werden, zeigen etwa Beiträge wie der folgende, der auf der

Website des Immobilien-Dienstleisters „Heuer Dialog“ erschienen ist

und dieses Themenfeld äußerst positiv darstellt: „Zwischennutzungen:

Perspektive für Immobilieneigentümer, Nutzer und eine strategische

Stadtentwicklung“ (Aufrecht 2011).

Angesichts des erfolgreichen Verlaufs des Projekts würden einige der

Mitglieder dieser P3-Gruppe nur zu gerne auch in Zukunft als „urbane

Page 254: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

134

Interventionisten“ im Goethequartier agieren, um so an einer möglichen

Aufwertung des Viertels mitzuwirken. Da sich dies wohl leider nicht

realisieren lässt, andererseits jedoch von mehreren Seiten Interesse

an der Umsetzung einiger Teile der Toolbox bekundet wurde, soll das

„Projekt Goethequartier“ zumindest über eine Internet-Präsenz weiter-

geführt werden. Dies zeigt einmal mehr, wie sehr wir davon überzeugt

sind, dass eine Aufwertung des Ortsteils Goethestraße möglich ist und

dass dieses Viertel mittelfristig wieder ins Positive kippen kann.

Page 255: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

135

Page 256: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

136

Abbildung 1: Die Projektgruppe

Abbildung 2: Eine Baulücke im Quartier

Abbildung 3: Schrottimmobilie in der Uhlandstraße

Abbildung 4: Darstellung der vorläufigen Zeitplanung

Abbildung 5: Gantt-Diagramm des Projektablaufs

Abbildung 6: Kinderspielplatz im Quartier

Abbildung 7: Großräumliche Lage der Stadt Bremerhaven

Abbildung 8: Historische Karte von Lehe, Bremerhaven und Geeste-

münde, um 1910. Stadtplanungsamt Bremerhaven.

Abbildung 9: Bevölkerungsstruktur Bremerhavens. Nach: Statistisches-

Landesamt Bremen, Stand 2009.

Abbildung 10: Strukturkrisen in Bremerhaven. URL:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/

commons/7/74/%C3%9Cberseehafen3-Bremerhaven.jpg,

http://ais.badische-zeitung.de/piece/01/f0/ff/22/32571170.

jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011.

Abbildung 11: Arbeitslosigkeit und Beschäftigtenstruktur in Bremerha-

ven. Nach: Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2010.

abbildungsverzeichnis

Sofern nicht anders angegeben, handelt es sich bei den Abbildungen

um eigene Darstellungen oder Fotos.

Page 257: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung 12: Potentialachse von Bremerhaven. Nach: GEWOS 2004.

Abbildung 13: Stadträumliche Lage des Ortsteils Goethestraße

Abbildung 14: Bevölkerungsrückgang im Ortsteil Goethestraße. Nach

Statistisches Landesamt Bremen, Stand 2009.

Abbildung 15: Städtebauliche Struktur des Ortsteils Goethestraße

Abbildung 16: Gewerbliche Nutzung im Ortsteil Goethestraße

Abbildung 17: Gebäudezustand im Ortsteil Goethestraße

Abbildung 18: Historische Aufnahme der Goethestraße, ca. 1917.

URL: http://www.zeno.org/ Ansichtskarten/M/Bremer-

haven,%20Bremen/Goethestra%DFe, Zugriff am 08. Juli

2011.

Abbildung 19: Innerstädtische Wanderungsbewegungen. Nach: GE-

WOS 2004.

Abbildung 20: Leerstand im Ortsteil Goethestraße

Abbildung 21: Wohnungsleerstand

Abbildung 22: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Gebäude. Nach:

VKOG.

Abbildung 23: Leerstandsentwicklung. Nach: Bundesamt für Bauwesen

und Raumordnung 2010.

Abbildung 24: Stadtumbauprojekte und Förderprogramme in Bremer-

haven

137

Page 258: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

138

Abbildung 25: Eine Brachfläche gegenüber der „theo“

Abbildung 26: Akteurslandschaft

Abbildung 27: Bewertung der Akteure

Abbildung 28: Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43. URL:

http://www.wohnprojekt-bremerhaven.de/alben/img.som-

mer_im_gartenhof/gartenhof_9.jpg, Zugriff am 08. Juli

2011.

Abbildung 29: „die theo für Arbeit, Familie und Kultur“. URL: http://up-

load.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/52/Lehe_Theo-

dor-Storm-Schule.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung 30: Potentialkarte Ortsteil Goethestraße

Abbildung 31: Potentialkarte Keimzelle 1

Abbildung 32: Potentialkarte Keimzelle 2

Abbildung 33: Eines der prämierten Bilder der Kinder-Fotosafari

Abbildung (1): Klassische Baulücke

Abbildung (2): „Ecklücke“

Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum

Abbildung (4): Baulücke inklusive Blockinnenhof

Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss

Abbildung (7): Leerstehende Wohnung

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Abbildung (6): Zukünftige bzw. entstehende Baulücke

Abbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien

Abbildung (9): Impression von Hoogvliet. URL: http://1.bp.blogspot.

com/_2hoz3Q8FGsk/SeEcoU-Ij5I/AAAAAAAAAA4/gR8J-

2bvit0/s1600/Woensdag+8+April+2009+Oudemaas+Spijk

enisse+Hoogvliet+025.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet. URL: http://www.wimby.

nl/modules/beeldbank/albums/albun10/4_Onderwijs_4_

RGB.jpg, http://www.wimby.nl/modules/beeldbank/

albums/albun10/6_Natuur_4_RGB.jpg, http://www.wim-

by.nl/modules/beeldbank/albums/albun10/3_Geme-

enschap_4_RGB.jpg, Zugriff jeweils am 08. Juli 2011.

Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder. Screenshot von URL:

http://www.leerstandsmelder.de, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (12): Open Air-Kino in Hamburg-Wilhelmsburg. URL: http://

de.academic.ru/pictures/dewiki/79/Open-Air-Kino_in_Be-

ckum.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz. URL:

http://www.bauspielplatz-muemmelmannsberg.de/mod_

gallery/bilder/DSCN1970.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.

Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“

Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin. URL: http://upload.wikime-

dia.org/wikipedia/commons/4/4d/Berlin-Kreuzberg_

Prinzessinneng%C3%A4rten_1.jpg, Zugriff am 08. Juli

2011.

139

Page 260: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

140

Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York. URL: http://

moresongsaboutfoodandthefuture.files.wordpress.

com/2011/04/urban-farm-brooklyn-31.jpg, Zugriff am 08.

Juli 2011.

Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock. URL: http://www.wiro.de/

redaktion/download.php?id=220&type=file, Zugriff am 08.

Juli 2011.

Abbildung (18): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“

Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße

Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“

Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Gör-

litz. URL: http://www.reinigungsgesellschaft.de/projek-

te/_2009/presse01.jpg, Zugriff am 07. Juli 2011.

Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig. URL: http://

upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/

W%C3%A4chterhaus_in_Leipzig.jpg, Zugriff am 08. Juli

2011.

Abbildung (23): Verortung des Tools „Laden zu verschenken“

Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenaus. URL: http://static.

panoramio.com/photos/original/6203323.jpg, Zugriff am

08. Juli 2011.

Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck. URL:

http://4.bp.blogspot.com/_d27zL84hsY8/TEXpuxnZAYI/

AAAAAAAAEDU/79aX3DmQ7xY/s1600/DSCF1897.jpg,

Zugriff am 08. Juli 2011.

Page 261: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige

Abbildung (27): Eine Modenschau. URL: http://www.virtuos-artandfa-

shion.com/fileadmin/user_upload/Images/news/moden-

schau4.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs. URL: http://

upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4e/

Stiftungsparkassa_hotspot.jpg/220px-Stiftungsparkassa_

hotspot.jpg, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur.

URL: http://www.router-switch-shop.eu/img/hotspot-ac-

cesspoint-dual-ssid-vlan-1400.gif, Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum. URL: http://www.

zintzen.org/2007/07/22/070722-pitstop1-blog-on-the-road,

Zugriff am 08. Juli 2011.

Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space. URL: http://farm5.

static.flickr.com/4023/4269923648_b6b92bfba6.jpg, Zu-

griff am 08. Juli 2011.

Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space. URL: http://t3n.de/

news/wp-content/uploads/2010/09/coworking.jpg, Zugriff

am 08. Juli 2011.

Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin. URL: http://lh4.

ggpht.com/_ujkNtEvidGU/RpNnKo1SoXI/AAAAAAAAAJ4/

H4IrFFTX0Ow/Berlin%20(207).jpg, Zugriff am 08. Juli

2011.

Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan. URL: http://www.flickr.

com/photos/80426126@N00/387717897/sizes/l/in/photo-

stream, Zugriff am 08. Juli 2011.

141

Page 262: Projekt Goethequartier: Bericht (komplette Version)

142

Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern. URL: http://www.

fotocommunity.de/pc/pc/display/24506776, Zugriff am 07.

Juli 2011.

Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43, URL:

http://www.pressebox.de/uploads/thumbnail/width/80/

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Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverant-

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Abbildung 34: Der Rückenwind e. V. in der Goethestraße 35

Abbildung 35: Kinder zeichnen ihre Ideen zur Nutzung von Baulücken

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Abbildung 36: Teilnehmerin der Fotosafari vor einer Baulücke

Abbildung 37: Einige der Siegerfotos

Abbildung 38: Vorbereitung der Ausstellung in der Kulturwohnung

Abbildung 39: Ausstellungseröffnung

Abbildung 40: Ausstellungsbesucher betrachten die Plakate des „Projekts

Goethequartier“

Abbildung 41: Das Logo der Projektgruppe

Abbildung 42: Eigenes Ankündigungsplakat

Abbildung 43: Facebook-Screenshot und -Statistik

Abbildung 44: Zeitungsartikel über das „Projekt Goethequartier“

Abbildung 45: Vom Vorkaufsortsgesetz betroffene Immobilie

Abbildung 46: Fotoausstellung „Augenhöhe < 1,50 m“

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