16
(Aus der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. -- Direktor: Dr. A. Gross.) Raum-Zeit-Struktur und Denkstiimng in der Sehizophrenie. (II. Mitteilung 1,) Von Franz Fischer. (Eingegangen am 24. Dezember 1929.) Einlcitung. Wenn in der Psychopathologie ein in vieler Hinsicht neues Gebiet erschlossen wird, wie dies die formal-dynamische Betrachtungsweise der schizophrenen Raum- und Zeitstruktur darstellt, dann ist es gerecht- Iertigt, eine kurze Allgemeinbetrachtung an den Anfang zu stellen. So wird -- ohne den Tatsachen Gewalt anzutun -- am ehesten das Neuartige der vorliegenden Untersuchungen deutlich. In gleicher Weise tritt auch die Verbindung mit frfiheren ldinischen Einsichten hervor. Die Formanalyse der Raum-Zeit-Strulctur wendet sich an den psychi- schen Akt und hat ihn zum Untersuchungsgegenstand. Sic vermutet abet zugleich in psychischen Bereichen auBerhalb des Bewul~tseinsvoll- zugs Bedingungen oder Effekte ffir die Raum-Zeit-Erscheinungen. Sic reiht sich ein in jenes bedeutsame Arbeitsgebiet, das mit Gruhles und Kron/elds HinwGis auf die Wichtigkeit der Alct]ormelemente in der Psycho- pathologic seinerzeit er6ffnet wurde. Die klinische Auswertung dieses Hinweises Ifihrte u. a. zur Analyse der schizophrenen DenkstSrungen. Ich daft eine Aufz~hlung der Denkst6rungsarbeiten (yon: Beringer, Biirger, Gruhle, Mayer-Gross, Carl Schneider u. a.) unterlassen, zumal diese Untersuchungen neuerdings in gr61~erem Rahmen (Berze, Gruhle, Carl Schneider) gewiirdigt wurden. Andererseits wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen, wie gerade die Anknfipfung an die Psychopatho- ]ogle der schizophrenen Dcnkabl~ufe ffir die Raum-Zeit-Untersuchungen wichtig werden mul~. Wir stol~en damit bereits auf Gift wesentliches Moment, n~mlich auf den eigentiimlichen Doppelcharakter der Raum-Zeit-Elemente, deren denkzugewandte Seite soeben erw~hnt wurde, -- auf jenes Gebundensein 1 Vgl. dazu Zeitstruktur und Schizophrenie. Diese Z. I~1, H. 3 u. 4, 544. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 124. 16

Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

(Aus der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch. - - Direktor: Dr. A. Gross.)

Raum-Zeit-Struktur und Denkstiimng in der Sehizophrenie. (II. Mitteilung 1,)

V o n

Franz Fischer.

(Eingegangen am 24. Dezember 1929.)

Einlcitung. Wenn in der Psychopathologie ein in vieler Hinsicht neues Gebiet

erschlossen wird, wie dies die formal-dynamische Betrachtungsweise der schizophrenen Raum- und Zeitstruktur darstellt, dann ist es gerecht- Iertigt, eine kurze Allgemeinbetrachtung an den Anfang zu stellen. So wird - - ohne den Tatsachen Gewalt anzutun - - am ehesten das Neuartige der vorliegenden Untersuchungen deutlich. In gleicher Weise tr i t t auch die Verbindung mit frfiheren ldinischen Einsichten hervor.

Die Formanalyse der Raum-Zeit-Strulctur wendet sich an den psychi- schen Akt und hat ihn zum Untersuchungsgegenstand. Sic vermutet abet zugleich in psychischen Bereichen auBerhalb des Bewul~tseinsvoll- zugs Bedingungen oder Effekte ffir die Raum-Zeit-Erscheinungen. Sic reiht sich ein in jenes bedeutsame Arbeitsgebiet, das mit Gruhles und Kron/elds HinwGis auf die Wichtigkeit der Alct]ormelemente in der Psycho- pathologic seinerzeit er6ffnet wurde. Die klinische Auswertung dieses Hinweises Ifihrte u. a. zur Analyse der schizophrenen DenkstSrungen. Ich daft eine Aufz~hlung der Denkst6rungsarbeiten (yon: Beringer, Biirger, Gruhle, Mayer-Gross, Carl Schneider u. a.) unterlassen, zumal diese Untersuchungen neuerdings in gr61~erem Rahmen (Berze, Gruhle, Carl Schneider) gewiirdigt wurden. Andererseits wird sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen, wie gerade die Anknfipfung an die Psychopatho- ]ogle der schizophrenen Dcnkabl~ufe ffir die Raum-Zeit-Untersuchungen wichtig werden mul~.

Wir stol~en damit bereits auf Gift wesentliches Moment, n~mlich auf den eigentiimlichen Doppelcharakter der Raum-Zeit-Elemente, deren denkzugewandte Seite soeben erw~hnt wurde, - - auf jenes Gebundensein

1 Vgl. dazu Zeitstruktur und Schizophrenie. Diese Z. I~1, H. 3 u. 4, 544. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 124. 16

Page 2: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

242 Fr. Fischer :

und ttervorwachsen aus einer triebha/t unterbauenden Schicht und auf das mit[ormende Einffehen derselben Raum-Zeit-Vollziige in das sich aktuell bildende und in das t~tige oder die Welt erfassende BewuBtsein.

Nicht unabhi~ngig yon jener triebhaften Herkunft hat das Raum- Zeit-Geschehen eine gewisse l~ichtung und Valenz hin zum Ganzen der psychologisChen Pers6nlich~it, also eine Rolle yon entscheidender Bedeutung. Das ist keine Konstruktion, sondern wird yon jedem Menschen so erlebt. Man hat, diese Zeit, das yon der Person erlebte innere Wachstum, die ,,Ichzeit" genannt (vgl. Mitteilung I, S. 548).

In einer friiheren Mitteilung 1 und in zwei kurzen Hinweisen 2 haben wir einige Erscheinungsformen der schizophrenen Zeit zur Darstellung gebracht. Die dortigen Untersuchungen stehen den Befunden yon v. Gebsattel, E. Straus, MinlcowsIci methodisch nahe. Sie bringen zu- gleich Neues sowohl hinsichtlich der Untersuchungsart wie der Befunde.

In den beiden Abhandlungen yon Berze und Gruhle, die ein grol~es Beobachtungsmaterial und vielseitig ausgepr~gte Begriffe darbieten~ wird der schizophrenen Ramn-Zeit-Struktur nirgends ausdrficklich Er- w~hnung getan. Ein yon Gruhle zitierter DenkstSrungsfall (,,Meine Seele macht lange Wanderungen an den St~tten meiner Jugend") macht ein Mitspielen irgendeines Zeitph~nomens an der StSrung wahr- scheinlich. Aber offenbar wurde die Raum-Zeit-Seite des Denkaktes damals nicht welter verfolgt.

Was die Stellung Carl Schneiders zu den schizophrenen Raum-Zeit- Problemen betrifft, so stfitzt er sich auch hier auf das Einschla/erleben. Er glaubt, die Raum-Zeit-Gegebenheiten in der Schizophrenie seien wider- spruchslos in den Rahmen des Gesamtsyndroms einzuffigen. Er unter- scheidet zwischen nichtvergegenst~ndlichtem und vergegenst~ndlichtem Zeiterleben, ohne klinische Beobachtungen ausdrficklich heranzuziehen. Er betont schliel~lich mit Recht, dab - - abgesehen yon den gelegentlich angefiihrten Zeiterlebnissen in der Selbstschilderung des Kranken Hahnenfu~ (Arbeit yon Beringe r u n d Mayer-Gross!) - - Zeitf~lle in der Schizophrenie noch so gut wie unbekannt seien. Ich hoffe durch die vorliegende Arbeit erweisen zu kSnnen, daI~ fiber das Einschlaferleben hinaus die Basis der Raum-Zeit-Erfassung in der Schizophrenie wesentlich vielseitiger sein mul l Es ist hier keine Veranlassung, sonstwie auf das sehr anregende Buch einzugehen.

Schliel~lich erwi~hne ich einige Bemerkungen zum Raum-Zeit-Problem, wie sie in den Schizophreniearbeiten zerstreut und ohne systematische Geschlossenheit aufgeiunden werden. Mayer-Gross spricht yon der ,,Sinn- und Zeitgestalt" eines psychotischen Zustandsbildes, womit wohl eine

1 Zeitstruktur und Schizophrenie. Diese Z. 1~1, H. 3 u. 4. ~- Re/erate: Tagung siidwestdeutscher Neurologen und Psychiater. Friihjahr

1929 in Baden-Baden und Herbst 1929 in Basel.

Page 3: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit.Struktur und Denkstiirung in der Schizophrenie. II. 243

vorl~ufige Formel gemeint ist. Gerade die Beziehung zwischen Sinn und Zeit ist Gin sehwieriges und wGnigstens in der Psychopathologie noch kaum in Angriff genommenes Gebiet. - - Bi~rger finder ffir eine gewisse Form von ZeitstSrung - - wie er sie in einem sehr eigenartigen Fall yon Paraphrenie beobachten konnte - - den Ausdruck , ,Niehtausgebreitetsein der Zeitfl~chen "und erwi~hnt die Wichtigkeit der Zeitstrukturierung. Auch diese Notiz ist nur beili~ufig in die Schilderung eingeffigt. - - Auf die Wichtigkeit der Meskalinrauschprotokolle der Heidelberger Klinik ffir die schizophrenen Zeiterlebnisse habe ich bereits in einer frfiheren Arbei t hingewiesen. I n diesem vorliegenden Aufsatze kann wiederholt an die Meskalinerlebnisse angeknfipft werden. - - I n den Arbeiten fiber die arehaisch-primitive Erlebnisweise wird des Zei tmoments manchmal Erwi~hnung getan. Es wird aber nirgends als eine in sich wichtige Fragestel lung in den Vordergrund gerfickt (Storch, Reiss u. a.).

Hauptteil. Krankengeschiehte I.

Es folgt zun~Ghst die Krankengeschichte eines jugendlichen Schizo- phrenen, der im subakuten Stadium untersueht und beobachtet wurde. Abgesehen yon den Zeit- und Denkst6rungen bot seine Psychose keine wesentlichen Besonderheiten. Die Vorgeschichte braucht deshalb nur kurz angedeutet zu werden.

Ein griiblerisch-sensitiver Psychopath wurde durch eine seelische Ersehiitte- rung sinnf/~llig geisteskrank (nachdem die Krankheit sehon 1/ingere Zeit larviert bestanden hatte), und zwar in Form verschrobener Erregungszust/~nde mit Sinnes- tituschungen, Verfolgungsideen, Fremdheitserlebnissen und sonstigen klassisehen Symptomen der Schizophrenie. ~qaeh dem Abflauen der schweren Erregungen wurde der Kranke, obwohl noch immer innerlich mit krankhaften Erlebnissen besehi~ftigt, zug/~nglich und aussprachebereit. In diese Zeit fallen die hier nieder- gelegten Angaben, die zum grol3en Tell spontan, zum geringeren Teil auf vor- siehtig gerichtetes Ausfragen yon ihm geliefert wurden.

Meist war er in eigentiimlich zerfahrener Um~he, /~ngstlieh, von fragendem Gesiehtsausdruck, aussprachebereit, aber oft im Aussprechen gehindert, irgend- wie getrieben und gequ/ilt. Aueh wenn er ~uBerlieh ruhig und gleichm/i$ig erschien, fiel er h/~ufig auf dutch versunkenes Dasitzen, dutch ein Hinstarren auf einzelne Gegenst/inde, wodureh er wie gebannt ersehien. Dann wieder zeigte er merkwiirdige Armbewegungen (in Form yon Armwiegen ~der -drehen), und zwar gerade als Unterbrechung der eben erw~hnten Versunkenheit. Oft lief er im Krankensaal umher und betrachtete einzelne Gegensti~nde, wobei seine Aus- drueksmotorik etwas Fragendes, Suchendes zur Schau trug. Sonst wurde/iul3er- lich niehts Auffallendes bemerkt. Wir betonen noch, dab der Kranke wahrsehein- lich w/~hrend s~mtlieher Untersuchungen optisch-akustisch halluzinierte. Auf dieses wesenttiche Moment soll in einem anderen Zusammenhang zuriickge~iffen werden.

Erlebnis 1. Wir bringen jetzt die Aussagen des Kranken, iibergehen aber dabei die ab-

geleiteten Gebilde seines psyehotisehen Innenlebens, symbolisehe Zeitverkleidungen,

16"

Page 4: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

244 Fr. Fischer:

rationalisierte Erkl/~rungsversuche u.a. Sie kSnnen nach bereits bekannten Ge- sichtspunkten - - dieses Mal eben nur aus oder mit einem besonderen Ursprungs- erlebnis, der ZeitstSrung - - abgeleitet werden. Damit ist fibrigens Nichts fiber eine mSgliche prim/~re Beziehung zwischen den der Symbolik zugrunde liegenden Mechanismen und der psychotischen Raum-Zeit-Begrfindung ausgesagt.

,,Alles in mir ist in unaufhSrlicher Ver/inderung begriffen. Stark und schwach. Jetzt so, dann wieder so. Man weiB nicht, was kommt. Man ist ganz machtlos. ]ch weiB genau, wo ich bin, und auch Alles fiber mich selbst."

,,Warum ich die B/~ume betrachte ? Ich sehe, wie sie sich bewegen. Das ist meine Rettung. Das reil~t reich wieder heraus. Ich selbst bleibe ja auf der Stelle stehen, wenn AUes so in mir durcheinanderl/~uft, was man doch gar nicht v0n- einander unterscheiden kann. Aber kaum habe ich's gepackt, wie die B/s hin und her schwanken, dal~ ich an dem Baum die Zeit wieder gefunden habe, dann fi~llt es wieder yon mir ab. KSnnen Sie mir sagen, ob es verboten ist, sich mit dem Raum zu befassen ? Man daft doch nicht alles wieder zum Ersticken bringen. Jetzt habe ich die richtige Zeit wiedergefunden. Der Raum bedr~ngt mich. Er ist fiir reich nicht da. Hier im Saal, dort vor dem Fenster und iiber- haupt Alles."

,,Heute geht es mir etwas besser. Jetzt kann ieh selbst mithelfen, daft Alles wieder in Ordnung kommt. Ganz soll es mich nicht unterkriegen! Heute ist es besser mit dem Geist und der Zeit. Ich bewege den Baum. Es kommt so fiber mich und treibt mich hin zum Baume. Ich gehe so zu ihm hin nur in Gedanken und jetzt habe ich die Zeit wieder. So viele Zeiten gibt es, immer wieder~a~f andere Art, wer kennt sich da aus ? Bin ich vielleicht selbst die Zeit oder ein lebendiges Uhrwerk ?"

,,Wenn ich den Baum dazu nehme und so auf eine Art hinauskomme, dann bin ich doch selbst wieder da. Man ist bier wie eingesperrt."

Wir brechen die Schilderung vorl~ufig hier ab, ohne alle ~uBerungen fiber das Er leben der ]nnenwe l t und die Beziehung zum Sehraum und den anderen Sinnesr~umen zu ersch6pfen. Dem K r a n k e n selbst war sub- jek t iv neben der Ze i t -Raum-StSrung Anderes ebenso wichtig. H/~ufig konn te nu r nach vorsichtiger Umgehung gewisser Komplexgebie te (homosexuelle Beeintr~chtigung, paranoide Ideen u. a.) die Ze i t -Raum- StSrung selbst un te rsuch t Werden. Vielleicht ist diese subjekt ive Ver-

te i lung der Bedeutsamkei t wichtig. - - Der K r a n k e leidet an einem Durcheinanderwogen seiner psychi:

schen Welt , wobei er auch In tens i t~tsunterschiede , etwas Dynamisches

angibt . Das Innere ist ihm ungreifbar, zerflieBend, fremd. E r k a n n

seine seelischen Vollziige n icht mehr als b e k a n n t , ,voraussehen" oder

i n diese Vollzfige in normaler Weise eingehen, nachdem er an ihrer Herbeiff ihrung sich beteiligte. - - So erlebt er es wenigstens. Dabei ist

die Orient ier thei t in jeder Weise erhalten. Die W a h r n e h m u n g eiries bewegten G e g e n s t a n d e s (Baum vor dem

Fenster) erlebt er als eine Re t tung , wie er sagt. Er sieht sich mitgerissen u n d erf~hrt eine Anregung ffir seine innerl iche Bewegtheit , die in Er-

s t a r rung liegt: Die Ichzeit wird also an der Weltzeit , mindes tens aber

an einer aus der Weltzei t sich darb ie tenden Bewegungswahrnehmung

entfacht .

Page 5: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und DenkstSrung in der Schizophrenie. II. 245

Bemerkenswert ist seine sehr genaue Selbstschilderung fiber das Durcheinanderwogen der Innenwelt: Das mangelnde ,,Raumgeffihl", die Engigkeit der Augenblicke, das Uberwiegen der Intensit~tsfolge fiber alle andern Elemente - - dies Alles sind Merkmale ffir einen psychischen Zustand besonderer Art. Bergson hat in ~hnlicher Weise das tiefere Ich gekennzeichnet. Andererseits kSnnte man auch vielleicht yon irgend. einer Form yon Verwirrtheit sprechen. Ubrigens war bei dem Kranken keine BewuBtseinstrfibung sicher festzustellen, was ja bei der Schizo- phrenie oft mit Schwierigkeiten verbunden ist.

Wir wollen uns hier mit einem Hinweis auf Bergsons Angaben be- gnfigen. Ob dieser eigentiimliche Zustand unseres Kranken auf einem Heraufkommen tieferer Vorg~nge und Mechanismen beruht - - ob andererseits die im BewuBtsein greifbaren Ordnungsformen zuerst oder nur sparer gestSrt sind --, kurz, die Frage der topischen Zuteilung und der Entstehung soll hier fibergangen werden. Allerdings wird diese Arbeit zeigen, dab jene eigenartigen subjektiv gehabten Bewegtheits- formen und -stSrungen mit den gestSrten Ordnungsfaktoren des Be- wuBtseins (DenkstSrungen!) irgendwie genetisch zusammengebracht werden mfissen.

Mayer-Gross spricht yon einem Plus an Zeit und einem Minus an Raum in gewissen psychotischen Zust~nden und sieht darin die An- deutung einer Gesetzm~Bigkeit. Diese sehr treffende Formel kann hier ohne Ab~nderung fibernommen werden.

Andere Erlebnisse diffuser und gestaltloser Bewegtheit wurden yon mir in einer /righeren Arbeit erw~hnt.

(Eine Andeutung davon bringt die Kranke Fo. S. 555; den Zu- sammenhang mit einem ddj~ vu-Erlebnis zeigt der Fall Sche. S. 557; eine komplizierte Form bringt die Selbstschilderung des Kranken Ge. S. 566.)

Die Ichzeit-Welt-Zeitbeziehung ist uns aus frfiheren Schilderungen vertraut (vgl. Mitteilung I, Fall Ze. S. 559).

Die irgendwie in einer Schwankung des psychotischen Seelenlebens neu erwachende innere ,, Selbstbewegungsmacht" (Scheler) - - das Ichzeit- Er l ebn i s - wird yon dem Kranken sofort ,,objektiviert", gewissermaBe~ einer Verfestigung und Sicherung entgegengeffihrt. Er ,,rfittelt" am Baum, Er bewegt ein in der Weltzeitsph~re befindliches Objekt, wenn auch nur im Spiel der Phantasie, im Teilhaben an einem innen ver- bleibenden Vollzug. Es handelt sich also nicht um eine normale Wahr- nehmung mit gegensti~ndlicher Geffilltheit, auch nicht um das konkret und einsinnig Gerichtete, wie es der reale Willensakt an sich aufweist. Es ist nur ein dynamisches Planen, ein innerer Entwurf. Diese Seite der StSrung muB mit grSBter Pr~zision erfaBt werden, weft sie eine wichtige Grundlage bildet zum Verst~ndnis anderer psychotischer Er-

Page 6: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

246 Fr. Fischer:

scheinungen, die noch im Dunkel liegen. (Erlebnis der Leere, des Leer- raums und gewisse Erinnerungsph~nomene.)

Sehr ins t rukt iv sind die Angaben fiber das Eingesperrtsein, das Nichttei lhabendiirfen am Raume und die vielseitig-uniibersehbaren Innenvorgange. Das Tei lnehmenkSnnen an der Auf~enwelt, und zwar an der Aul~enwelt als einem Raume, als einer Sphere von Bewegtheiten, gilt dem Kranken gleieh mit dem Zuriickfinden zu sich selbst, zum gesunden Ich. Es wird dabei - - wenigstens in diesem Erlebnis - - nur ein Sinnesraum zu Rate gezogen. Diese Erwei terung eines Sinnes- eindrucks zu einer allgemeinen Weise der Umweltserfassung, wie Beringer sich ausdriickt, wurde bereits bei den Meskalinrauschanalysen festgestellt.

Erlebnis 2.

Wir lassen je tz t den Kra nke n wieder zu Worte kommen, und zwar fiber das Erlebnis des leeren Raumes. Oft wenn der Kranke leieht erregt im Saal oder Gar ten stand, maehte er Bemerkungen, wie die nachfolgend angegebenen, wobei er sich haufig bis in die einzelnen Ausdriicke und Redewendungen wiederholte:

,,Man kann mit dem Rock/~rmel anfangen oder mit einem Knopf. Oder mit etwas an der Wand. Warum denn nieht ? Ich steUe mir vor, es wird iiberall hin fortgeleitet, eine Bewegung sozusagen, wo ich mitten dabei bin. Alles ist in der Phantasie, aber ich bin mitten drin. Ich werfe es nach vorw~rts auf eine Stelle oder sofort auch iiberall him"

Ein n~heres Eingehen f6rderte noch weitere Einzelheiten zutage. Er gab an, wenn er ruhig dasitze und die Gegenst/~nde betrachte, sei ,,oft alles so leer, bald da, bald dort", gerade dann, wenn er sich nicht so reeht datum kiimmere.

,,Die Luft ist noch da, die Luft zwischen den Gegenst/mden im Zimmer. Die Gegenst~nde selbst aber nicht. Oft geht es so reihenweise, wie ich an die einzelnen Dinge denken mug, Bettstange, Kissen, Wand, Fenster usw. Dann geht immer das fort, woran ieh denke. Ein leeres Stiick setzt sich an das andere bin, und nachher ist ja noch alles da. Manchmal ist aueh alles leer. So ein ganzes Weltmeer wird da ausgeschSpft sozusagen, und mir ist dabei/~ngstlich zu Mute."

Der Pa t ien t Ge. (Mitteihmg I, S. 566) gab ~hnliehes an, aber n icht mi t dieser Exakthei t . Hier wird sehr deutlich, dab ein intentionales Hingreifen und -streben den Leerraum erst in Erseheinung t re ten l~l~t, dab ferner eine gewisse willentlich-triebhafte Mitteleinstellung als Be- dingung da sein mul~ und dab schlieBlich aus dem dynamischen, unfer- t igen Projekt bald eine 5rtlich festgelegte Leerraumstelle, bald der , ,absolute Leer raum" entspringen kann. Wie dieses eigenartige Lokali- sieren und Vorwegnehmen am Ers t reb ten mi t dem , ,absoluten Leer- r a u m " zusammenh~ngt , ist - - wenigstens in der Schizophrenie - - ganz ungeld~trt.

Die Ausdrticke des Kra nke n ,,Denken" fiir gegenst~ndliehe In ten t ion und , ,Luft" ffir Leerraum sind nattirlich nicht exakt , aber t ro tzdem verstandlich.

Page 7: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und DenkstSrung in der Sehizophrenie. II. 24fi

Schliei31ich mul~ noch erw~hnt werden, dal~ der Kranke sich eigen-

t i imlich unsicher und unfrei den R a u m d i n g e n gegenfiber ffihlte. Wir

fassen zusammen: Es erf~hrt ein schizophren E rk rank t e r dynamisch-

wesensm~l~ige Zusammenh~tnge von Ichzeit, Bewu[~tseinsaktion, ener- getisch und sinnesm~iBiger Weltzei tergreifung und Zerfall des Ich-

bewul~tseins. Wir diirfen es n icht als Zufall bet rachten, wenn dieser K r a n k e

in einer yon ihm geschilderten Kons te l l a t ion zuerst - - gewissermaBen

,,kurz zuvor" - - das Gegensti~ndlich-Ri~umliche aufsucht und dami t

sich und sein SelbstbewuBtsein wiederfindet. Gerade die zeitgenSs-

sische Philosophie - - etwa Scheler - - wies auf dieses Vorgegebensein

des Gegenstandl ichen vor dem Auf tauchen des Ichbewui3tseins hin.

Die Angaben des K r a n k e n geben also eine I l tus t r ierung ffir e inen

hSchst wichtigen und bewuBtseinskonst i tu t iven Vorgang, dessen im

Normal leben kaum ffihlbare Akt ion in der Schizophrenie vielleicht an

Deut l ichkei t gewinnen kann .

E r l e b n i s 3.

Bei der Be t rach tung des Uhrzeigers an einer W a n d u h r gab der K r a n k e Folgendes an :

,,Was soll ich mit der Uhr ? Ich mul~ sie immer anschauen. Es treibt reich hin, die Uhr anzuschauen. So viele Zeit gibt es, ich bin immer wieder anders. Wenn die Uhr an der Wand nieht ware, miil3te ich umkommen. Bin ich nicht selbst eine Uhr ? ~berall an allen Stellen ? Aber ich kann es nicht anders, es ~ndert sich zu sehr.

Jetzt betrachte ich wieder die Uhr, den Zeiger und das Zifferblatt und daft sie geht. Das reil3t sich wie yon selbst auseinander und ich bin dabei, kann aber nichts andern.

Ich sage mir immer wieder, daft es eine Uhr ist, aber das pal3t nicht recht zusammen: Zeiger, Zifferblatt und daft sie geht. Da ist ein besonderer Eindruck dabei, als ob es sich auseinandergelSst h~ttte, es ist abet doch beieinander.

Aber da ist etwas anderes noch mit dabei. Ich bin ganz erstaunt, ich habe noch nie etwas J~hnliches erlebt. Der Zeiger ist namlich immer wieder anders, jetzt ist erda, dann springt er gewissermal3en fort und dreht sich so. Ist es immer wieder ein anderer Zeiger ? Vielleicht steht jemand hinter der Wand und steckt immer einen neuen Zeiger hinein, jedesmal an einer anderen Stelle. Ich mul~ schon sagen, das ist keine laufende Uhr, das springt und ver~ndert sich.

Man ist hingegeben an die Beobachtung der Uhr und verliert den Faden zu sich selbst - - da ich selbst eine Uhr bin, iiberall in mir; da es so immer dureh- einander geht. Dies alles bin ich s e l b s t - es geht mir verloren, wenn ich die Uhr an der Wand betrachte. Es ist ein Weglaufen aus sich selbst, ieh bin fliichtig und bin nicht mehr da. Ieh weiB nur: die Uhr springt mit vielen Zeigern umher und kann nicht so recht zusammengebracht werden.

Jetzt ist es wieder genug mit der Wanduhr, aber nicht nach meinem Willen, und ich muB wieder auf die andere Stelle, in die andere Art hinein. Wie ich gesagt habe: ich bin die lebendige Uhr, ich bin iiberall die Uhr - - es kommt und geht immer so welter.

Page 8: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

248 Fr. Fischer :

Wenn ich mich dann wieder herausrei~e, weft Alles so durcheinander geht, dann schaue ich wieder nach der Wanduhr hin, sie kann mir helfen, so ~hnlich wie der Baum vor dem Fenster, Ger~usche sind nicht so gut."

Die St6rungen sind kurz benannt folgende: Eine Unf~higkeit, die Vorg~nge der AuBenwelt mit den Innenvorg~ngen in Beziehung zu setzen (Uhrzeigergang- l~ortgang des Innenlebens), eine weitere Un- f~higkeit, die Teile und das Ganze eines Gegenstandes (Uhr) in normaler Weise aufeinander zu beziehen, den Gegenstand in einer gegliederten Sinnganzheit denkend zu erfassen (vgl. die yon Biirger beschriebene Ord- nungsstSrung). Unser Kranker kann das Zifferblatt in einer beliebigen Lage, das Zifferblatt in verschiedenen Lagen und die laufende Uhr als Ganzes nicht zusammenfassen. Hinaus fiber die Ordnungsst6rung im schizophrenen Denkakt (Biirger) zeigt sich hier ein geschichtliches Element alteriert. Denn der Kranke ist nicht nut unf~hig in der Erfassung der Teile des Gegenstandes als Ganzes, sondern auch unfithig, ein in ver- schiedenen Zeitphasen sich pri~sentierendes Gegenstandselement ins Ganze einzuschlieBen. Ferner besteht ein ungewolltes, Ms Drang sich meldendes Schwanken zwischen zwei Pole11 der Beziiglichkeit. Bald ni~mlich gibt er sich riickhaltslos der Beobachtung der AuBenvorg~nge hin, verliert dabei gewissermaBen den Kontakt mit dem gegenst~ndlichen Haben seiner Innenwelt, bald zeigt er eine v611ige, ebenfalls ungewollte, drangm~Bige Wegwendung yon dem Gegenstande zum Innern, ja zu einer gewissermaI3en gegenstandsunberfihrten Schicht dieses Innern: er versinkt in ein heterogen-ungetrenntes Durcheinander, wie wir dies schon hi~ufig erw~hnt haben.

Wir werden nachher erfahren, dab die schematische Trennung in ,,Verfallensein an die Welt" und Versinken ins Inhere nicht geniigend den Sachverhalt ersch6pft, fahren aber zuniichst mit der Aufz~hlung der Erscheinungen fort.

Der Kranke bezeichnet sein Innenleben als Uhr, betont also in unklarer Weise den Zeitlichkeitscharakter seiner seelischen Vorg~nge. Er bietet ferner eine eigentiimliche Affektreihe angesichts des tats~ch- lichen Gegenstandes (Uhr), n~mlich ein verzweifeltes oder dranghaftes Klebenbleiben, eine angsteffiillte oder selbstbewuBt-tr~umerische Weg- wendung. SchlieBlich erlebt der Kranke, was aus den Meskalinrausch- protokollen bereits bekannt ist, den Zerfall einer normalerweise als Linie sich darbietenden Bewegungsfolge zu unverbundenen Einzelsukzes- sionen (Beobachtung des wandernden Uhrzeigers). Ubrigens ist auch hier, wie im Meskalinrausch, die Art der Einstellung und Hinwendung yon gr6Bter Wichtigkeit.

Die voranriickende Uhr bietet wohl i~hnlieh wie die Betrachtung der bewegten Bi~ume dem Kranken einen gewissen Vorteil gegeniiber den Geh6reindriieken, weil er im Optischen mit geringerer Anstrengung des

Page 9: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und Denkst6rung in der Sehizophrenie. II. 249

Geistes ein Bewegungserlebnis entgegennimmt. Ferner ist die Uhr als symbolische Tr~gerin einer bestimmten traditionellen Zeitform, der Uhr- zeit eben, von besonderer Wichtigkeit fiir eine die Zeit suchende Person.

Zur Theorie des Uhrzeigererlebnisses bemerken wir: Sein Doppel- aspekt enthi~lt eine anschauliche Bestimmung der von Bergson definierten Raum-Zeit-Verflechtung. Die tiefere PersSnlichkeit, so sagt Bergson, hat wohl Zeithehkeitseharakter, entbehrt aber der raumhaften Ordnungs- werte. Sie ist also ohne Stellenwert, ohne klare Scheidung der Einzel- zusti~nde, kurz heterogen durcheinanderwogend. Der geordnete Cha- rakter des BewuStseins riihrt, so meint Bergson, vom weltentliehenen Raumfaktor. Er begriindet die Scheidung in einzelne Inhalte, das geordnete Ablaufen als Ordnung und die Gleichm~l~igkeit. Die eine, n~mlich die tiefere Seite dieser Verflechtung, hat der Kranke erlebnis- m~13ig in sich, und zwar anders als der Gesunde: als ein gegenstands- fernes und doch ursprfingliches Innewerden (,,Ich bin die lebendige Uhr; iiberall und in allem bin ich die Zeit, aber immer auf andere Art !"). Die andere, aul~enweltszugewandte Seite wird ihm gegenst~ndlich an der Wahrnehmung des wandernden Uhrzeigers, und zwar auch wieder auf abgewandelte Weise.

Es ist gerechtfertigt zu sagen : Die Schizophrenie lockert und entfernt zwei im normalen Seelenleben verflochtene Gegebenheiten, eben die Raum-Zeit-Faktoren. So gibt also die Untersuchung des Uhrzeiger- erlebnisses eine andeutungshafte Trennung innerhalb der Raum-Zeit- Struktur selbst. Wir sehen in verschwommenen Umrissen die MSglich- keit, den Raum- und den Zeitfaktor in der Schizophrenie einerseits und die Denkstruktur andererseits gegeneinander abzuw~gen.

Erlebnis 4. Eines Tages wurde der Patient unerwartet yon seinem Vater besucht, und

zwar nach einem mehrw6chigen Zwischenraum. In der Zeit vor diesem Besuche und wohl bei der Anwesenheit des Vaters selbst litt der Kranke in sehr qu~lender Weise an fliicht[g unfaflbaren Stimmungen und einem inneren Durcheinander, das wir wiederholt schon vermerkt haben (diese Feststellung wird sich bei der Analyse als wichtig erweisen !).

Er gab an: ,,Was soll ich damit tun. Ich kenne dich nicht. Bist du der Vater ? Aber

du siehst ja anders aus als friiher. Warum bist du ver/mdert ? Bin ich krank ? Dieses Durcheinander ist furchtbar, daft ich nicht so zu Ende kommen kann, dal3 man nichts fassen und festhalten kann. Was ist mir bier aufgestellt worden! Das lasse ich mir nicht gefallen; ein Scheingebilde haben die vor reich hingestellt. Es sieht wie mein Vater aus, aber falsch und nicht wirklich, vielleicht aus Nebel gemaeht oder angestrichene Luft, eine groSe T/~uschung gegen mich.!'

,,Er sieht so alt aus, so ver~ndert, als ob etwas stehengeblieben sei. Ist denn atles so weitergegangen, so fortgegangen, so mit der Zeit. Vielleicht komme ich iiberhaupt nicht zum Altwerden oder zum Sterben und so. Es gibt eine ge- frorene Ewigkeit. Alles ist so fliichtig fiir mich, ich muB immer stillestehen."

Page 10: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

250 Fr. Fischer :

,,Wie lange bin ich denn hier ? Bin ich schon lange hier oder nicht. Vielleicht bin ich schon l~nger hier als mein Vater iiberhaupt alt ist, aber das kann ich alles nicht mehr sagen, obwohl ich es doeh wissen sollte. Ich weil3 nicht, wann der letzte Besuch war. Der Vater ist dagewesen, das weiB ich. Jetzt ist er wieder da. Wie sol] ich das zusammenbringen, so zweimal. Wie gehSrt das zusammen ? Der Vater wie er damals hier war und jetzt wieder. Es will nicht recht zusammen- kommen in meinem Kopf."

,,Ich kann nicht recht zuriick; damals war doch auch der Vater da. Ich will zurfick. Es zieht reich dorthin. Abet da liegt etwas dazwischen, wie soil ich sagen, so ganz leer und hart. Man kann es nicht durehdringen und man kann nicht hindurchlaufen. Es fitllt fiber reich her. Ich kann den Zeitraum nicht fassen. Ich kann dorthin nicht zuriick, um es zusammenzubringen."

,,Dal3 es immer so durcheinandergeht. Man weil3 nicht, wie alt man wird und wo man steht. Man weill nichts melu'. Einmal war ich bei der Kirchweih gewesen. Ein anderes Mal war zu Hause bei uns ein schtines Fest. Es ist traurig, dab man es sagen mug, abet das sind ffir reich jetzt so komisehe Erinnerungen, wissen Sie, wie wenn man kleine Tuchfetzen in den Bach wirft. Hin und her. Da gibt es keinen richtigen Platz mehr."

Der P a t i e n t zeigt also, seinem Vater gegeni ibergestel l t , e in sehr e igenar t iges Verhal ten , naml ich ein Schwanken in der a f fek t iven Stel- lungnahme, ja noch mehr : eine Uns ieherhe i t im Iden t i f ika t ions - und Realit~ttsurteil . E r zweifelt , ob es sein Va te r sei, der vor ihm stehe, und ferner, ob diese Person n ich t ein Scheingebi lde sei. Das s ind zwei Sym- p tome, die fibrigens scharf ge t r enn t werden miissen. Schlieftlich zeigt sich der K r a n k e unfiihig, sein Lebensa l t e r und das des Vaters sich zu vergegenwi~rtigen und abzusehi~tzen. Die gleiche Insuff iz ienz bes t eh t gegeni iber der Daue r seiner Ans ta l t s in t e rn i e rung und der Zei ts t recke , die seit dem le tz ten Besuch des Vaters ve rgangen ist.

D a m i t is t in grober Fo rmul i e rung die psychische Oberf lache dar - gestel l t . Wi r k o m m e n zur Ana lyse und suchen zuni~chst die Denk- s tSrung auf.

Ohne dem Befund Gewal t anzutun , k a n n m a n sagen: Der K r a n k e is t unfi~hig, eine gegl ieder te Ganzhe i t zu h a b e n oder zu vollziehen. Die E i n o r d n u n g zweier I nha l t e (Er innerungsb i ld vom Vate r be im vor igen Besueh - - augenbl ickhches W a h r n e h m u n g s b i l d yore Vater) in die fo rma l - s t ruk tu r i e r t e Ganzhe i t des Denkens is t ihm unmSglich. Es

bes t eh t demnach , so scheint es zuni~chst, eine Denks tSrung , und zwar vom Typus , den Beringer besehr ieben h a t : Die Spannwei t e des in ten t io - na len Bogens is t zwischen den I n h a l t e n geloekert . Die Teile des Denk-

aufbaus f inden sieh n ieh t mehr zusammen. Dieser sehr gl i icklich gewi~hlte Ausd ruck Beringers ( , ,Lockerung des

i n t en t iona l en Bogens") ist, gemessen an der Assozia t ionspsychologie , neu und "positiv. W i r werden sofort sehen, dab d e r s e l b e Begriff, an- gewand t auf die Zei t -StSrung, nur eine Seite der Ersche inung dar- s te l len kann. Aber d a m i t is t bere i t s der (~bergang zum Ze i t -P rob lem

gegeben.

Page 11: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und Denkst6rung in der Schizophrenie. II. 251

Welche Zeit-StSrungen gibt der Kranke an ? Der Kranke ist un- fahig, in einem innerliehen Vollzug sich zuriickzudehnen und zurfick- zugreifen auf einen frfiheren Punkt seines irgendwie noch gegenw~rtigen Vergangenheitsgeffiges. Er ist au~erstande, in dynamischer Weise den Lebensraum zu ermessen, der sich entfaltet haben sollte. Im Ausdruck: ,,Ich kann den Zeitraum nicht fassen, ich kann dorthin nicht zuriick, um es zusammenzubringen," kommt dieser Defekt deutlich heraus.

Was bisher bei den schizophrenen Denkanalysen unberficksichtigt blieb, ist dieses ,,Werdemoment des Aktes" (Scheler), diese Wachstums- strecke, die immer zwischen zwei Inhalten liegen mu{3, sofern sie nicht in der Einheit eines ungeteilten Augenblicks zusammen da sind.

Da alles Denken immer zugleieh ein Reproduzieren enthalt - - ein Denkakt ist ja nieht Anfang, sondern immer Momentpunkt in einem sieh entfaltenden, dynamisch ges~ttigten Bewu~tsein - - , also dank des Eingebettetseins ]edes Den]~a]ctes in ein werdendes Dasein muB jede Stockung des dynamisehen Flusses, aber auch jede StSrung in den formenden Ordnungsfaktoren zu einem Defekt ffihren. Wie nennen also zwei St6rungsstellen, die vielleicht nur verschiedene Aspekte einer StSrung sind.

Wenn wir v o n d e r Denkanalyse ausgehen, seheint ein Ordnungs- faktor alteriert zu sein. Andererseits - - und dies ist das Neue - - kann auch eine StSrung des Zeitlich-Dynamisch-Triebhaften vorliegen.

Um wieder zum klinisch Anschaulichen zurfickzugreifen, formulieren wir: Der Kranke leidet an einer Den]cst6rung (Wegfall des die zwei Inhalte iiberspannenden dynamischen Bogens). Er leidet an einer Zeit- st6rung (neuartiges, ffemdes und bedr~ingendes Gegebensein des inneren Selbstbewegungserlebnisses).

Schlie~lich muB nochmals auf das heterogen-zeitlose Durcheinander- wogen seiner Innenwelt, jenen psychotischen Zustand, der den Pa- tienten h~ufig und auch w~hrend der beiden Besuche des Vaters okku- pierte, zurfickgegriffen werden. Wenn wir e ine Spanne der Weltzeit in einem Zustand durehleben, der keine Spur h in te r l~ t , kein Ver- gangenheitsgeffige erzeugt (da ja auch aktuell kein Ordnungsgeffige bestand!), so wird die Person auch unf~hig sein, yon einem Punkt der Gegenwart sieh zurfickzutasten in einen anderen Punkt des Daseins. Der Kranke hat also keine innere Skala, auf der er die beiden Be- suchstage seines Vaters geschichtlich rangieren k6nnte. Daraus l~Bt sich seine Unf~higkeit der Zeitabschatzung erkl~ren 1.

Wir dfirfen annehmen, die qu~lende Aufeinanderfolge qualitativ

1 Inwieweit und in welchem Sinne der Kranke, dem Vater gegenfibergestellt, eine zu 15sende ,,Denkaufgabe" vor sich sieht, werden wir anderswo darzustellen versuchen. Die Psychopathologie des Situationellen in der Schizophrenie ist noch ziemlich ungekl~rt.

Page 12: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

252 Fr. Fischer:

unterschiedlicher Innenzustitnde gebe den Ursprung ab fiir das soeben gesehilderte Phi~nomen. Beim Wegfall der Ordnungsstellen mug die triebhaft heraufdr~ngende Ichzeit unentfaltet bleiben, wie wir dies iiberall bei unseren Kranken feststellen konnten, oder, anders gesagt, sie dr~ngt sich auf in einer ,,verworrenen Anschauung", um mit Bergson zu sprechen. Sie erscheint und gleitet wieder weg. Dies hat ja der Kranke sehr eindrucksvoll gesagt. Andererseits erw~chst aus dieser Inkonstanz des Ichbewul~tseins die Unm6gliehkeit, vergangene Daseinsmomente oder neue Eindriicke festzuhalten, irgendwie aufzubewahren. Das ,,Sinn- gefiige der Vergangenheit", um Scheler anzufiihren, unterbleibt. Es unterbleibt sowohl als durchffihlbarer Innenraum der Seele wie als Wertgebilde mit affektbetonten Erinnerungsgipfeln und schliel~lich als Grundlage jeglicher Erinnerung und der daran ankniipfenden Urteile identifikatorischen oder realisierenden Charakters.

Je tz t wissen wir, warum der Kranke zu seinem Vater eine eindeutige Stellung nicht einnehmen kann. Irgendwie bruchstiiekhaft zurfick- gefiihrt auf die Erinnerung an jenen ersten Besuch weiB er jetzt auf einmal, daf~ er stehenblieb und wie wenig er in der dazwischenliegenden Zeit innerlich lebendig war und sich entfaltete. In natiirlicher Folgerung oder mit instinkthafter Ubertragung dieses Stillstandes auf die Gegen- standswelt bezieht er den Vater ein in das Stillestehen. Der Vater ist also jung geblieben. Er steht. - - Bald besehri~nkt sich der Kranke, vielleicht ausgehend yon einem aktuellen Sinneswert oder einer vor- li~ufig noch nieht zu fassenden besonders gearteten Denkst6rung. Er sieht dann den Stillstand nur an sich. Aber er nimmt ihn zugleich als Norm fiir Alles. - - Darin k6nnen wir einen allgemein-psychotischen Zug erblicken - - : Der Vater ist sehr alt geworden, weil das Nichtweiter- waehsen dem Kranken dank des schizophrenen Stillstandes irgendwie evident und allgemein gtiltig erscheinen mul~. Der in der Zeitlichkeit weiter gewachsene Vater muf~ fiir ihn, den Stillestehenden, eine Uber- raschung sein.

Das zweite Symptom, ni~mlich der Vater als Scheingebilde, deutet auf eine Verdr~ngungstendenz, so kann man wenigstens annehmen. Aber diese analytische Deutung geniigt nicht. Wir versuchen .vielmehr eine wesensmiil~ige Beziehung zwischen dem Denkvollzug, dem Raum- Zeit-Gesehehen und dem eigenartig dazu tretenden oder vielleicht irgend- wie schon darin enthaltenen Charakter des Realseins aufzufinden. Dieser sehwer durehsehaubare Zusammenhang soll damit nur erw~hnt werden.

Krankengesehichte II. Es folgt die Wiedergabe eines sehizophrenen Erlebnisses, n~mlich

eine Fortsetzung der Selbstsehilderung des Patienten Ge. (vgl. Mit- teilung I, S. 566).

Page 13: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und Denkst6rung in der Sehizophrenie. lI. 253

Der Kranke gibt Folgendes an (es handelt sich um eine durch vorsichtige lJntersuchung erweiterte Tagebuchnotiz):

,,An einem angenehmen Herbsttag unternahm ich mit mehreren Freunden eine Wanderung, die uns am Sp~tnachmittag auf eine grol]e, yon Waldern um- standene Wiese fiihrte. Wir rasteten dort und da mich das Gespr~ch nicht in- teressierte, setzte ich mich abseits. Ich betrachtete die Farbenwirkungen der Nachmittagssonne auf der Herbstwiese. Dabei war mir eigenttimlich feierlich zumute, so als ob die gediimpfte Stimmung der Landschaft auf reich tiber- gegangen sei. Irgendeine kaum faBbare Schwankung des Gemiites nahm reich v611ig gefangen, verursachte in mir einen sehr qu~lenden Zustand innerer Unfreiheit und wollte doch nicht recht klar werden. Als dieses dumpfe Brtiten l~nger anhielt, fiberkam mich pl6tzlich ein eigentiimliches Interesse an der reich umgebenden Landschaft, so als ob eine Frage da drau•en an mich gestellt sei, deren Beantwortung mir, so sehr ich meine innerste Seele daftir nach auBen kehren miil3te, sehr fraglich erschien. Dann wurde das Ganze fiir reich sehr wichtig, wieso und warum ist schwer zu sagen. Ich habe nie etwas Ahnliches zuvor erlebt.

W~hrend meine Freunde einige Meter yon meinem Platze entfernt sprachen und lachten, wurde mir pl6tzlich wie durch eine ffemde Gewalt die Landschaft weggertickt. Ich glaubte, innerlich zu sehen, daI~ hinter dem mattblauen Abend- himmel ein zweiter schwarzer Himmel sich dehne, der yon grauenhafter Weite sei. Dann fiel mir, wie ein sehr wichtiges Zitat, der unsinnige Satz ein: ,Die Sonne, Tasso, ist ein schwarzer Rul3flocken, deine Seele nicht minder und alles mul~ untergehen.' Die L~eherliehkeit, der abstol~ende Unsinn dieser Worte war mir klar, trotzdem nahm ich sie sehr wichtig. Dann wurde alles, wie soll ich sagen, mit einem Male grenzenlos, umfassend oder so ~hnlich. Es steht mir kein Aus- druck zur Verfiigung.

Ich weiB nur noch, dab die tterbstlandschaft, ohne ihren Platz zu verrticken, yon einem zweiten Raum durchwoben war. So rein und unsichtbar. Es war kaum festzustellen. Dieser zweite Raum war dunkel oder leer oder schauerlieh, schwer zu sagen, welcher Ausdruek das Richtige trifft. Bald sehien der eine Raum sich zu bewegen. Bald gingen beide durcheinander. Sie iiberquerten sich. Ich wei~ nieht, auf welche Weise. Es ist falsch, nur yon Raum zu sprechen. Denn dasselbe spielte sich in mir ab. Es war ein fortw~hrendes an reich gerichtetes Fragen, ein Befehl, auszuruhen, sogar zu sterben, oder weiterzugehen.

Ich kam mirvor wie ein Verschollener, der auf einer einsamen Insel leben muG, wo er nur noch von weitem das Meer branden h6rt. Sonst ist alles um ihn tot. Dieses ferne und feierliche Rauschen erschien wie eine Erinnerung an die verschwundene Zeit, zu der ich nicht mehr zuriiekfinden kann. Mit dem Brausen der Brandung, die bald schweigt und bald rauscht, war die Landschaft bald ver- sunken, bald wieder da. Das Schweigen der Erinnerung und des Meeres, das Wegsinken oder Auftauchen der Abendlandsehaft, das war ich alles selbst."

Mit ausgelSst durch eine passiv-feierliche Ha l tung (vgl. die Wichtig-

kei t der E ins te l lung in den Meskalinrauschprotokollen von Beringer u n d von Bensheim!) entwickel t sich bei einem im Beginn der Psychose

s tehenden Schizophrenen ein StSrungserlebnis mi t Unklarhe i t des

Denkens und m i t EinfMlen yon grotesker Pragung. Es steigert sich

d a n n zu einer AblSsung des K r a n k e n yon seinem gesunden I n n e n l e b e n

und yon der normalen Umwelt . Es setzt sich fort zu Raum- u n d Zeit- s tSrungen, und zwar zusammen mit einer gewissermaBen physio-

Page 14: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

254 Ft. Fischer:

gnomischen Besee l the i t der L a n d s c h a f t und e inem aus der Umwel t here indr ingenden, pe r sonenhaf t sich da rb i e t ende n Impuls .

Die R a u m - Z e i t - P h i n o m e n e s ind: Wegr i i ckung des no rma l erf i i l l ten Raumes , Auf t auchen eines zwei ten Raumes yon unen t sche idba ren Quali- t i t e n , Durche inander und Ine inande r der be iden R i u m e , a l te rn ie rendes Vorspr ingen des einen oder des anderen R a u m s und schliei~lich e ine g inz l i che AbgelSs the i t v o n d e r Norma lpe r son und der no rma len Umwel t , abe r doch noch ein rest l iches Besi tzen der Normalpe r son als eines fernen,

ungre i fba ren Er innerungs inha l t e s (---- das Inseler lebnis) . Zu le tz t k o m m t ein Wegs inken in das S t ruktur lose .

R e c h t in te ressan t is t die J~hnlichkeit m i t gewissen Meskal inrausch- erscheinungen (Beringer); die Rolle de r Eins te l lung, die Vielgesta l t ig-

ke i t der R a u m p h i n o m e n e und schlie~lich die e r i n n e r u n g s m i ~ i g sich a u f d r i n g e n d e Spur de r NormalpersSn l ichke i t im StSrungser lebnis . Auch hier gi l t wohl der Hinweis Beringers, nich t alles E r l eb t e gehe in die Schi lderung ein.

Krankengeschichte III. W i r k o m m e n zum Erlebnis der lebeudigen Leere. Meines Wissens is t

dieses Sch izophren iesymptom bisher u n b e k a n n t gebl ieben.

Ein akut erkrankter Schizophrener berichtet fiber seine Erlebnisse. Wihrend der Untersuchung bot er das Bild eines ingstlichen, erwartungsvollen Halluzinanten mit k6rpermotorischer Unruhe, DenkstSrungen und optisch-akustischen Sinnes- tiuschungen, ffir deren Zusammenhang mit der Raum-Zeit-Struktur dieser Fall selbst keinen Anhalt bietet. Er gibt an:

,,Jetzt bin ich hier gleich wieder im Zimmer. Es geht schon wieder an. Eigent- lich bin ich doch ein Mensch. Ich daft aber kein richtiger Mensch sein, das wird mir weggenommen. Ich bin in einem Schwebezustand, nichts ist mir sicher, alles vergeht, es kommt aber wieder besser, es dr ingt sich zusammen. Ich komme mirvor wie ein Raum mit Mauern, mit Boden und Decke. Ich bin aus einer weiten gro0en Stelle so hereingeholt worden. ])as macht reich lest und ruhig, wenn ich nicht so schweben muf, aber ganz richtig ist es doch nicht und geht auch gleich wieder weiter.

Wenn es fiber mich kommt, daf ich wie ein Zimmer sein soll, ist immer alles andere mit dabei; man kann es kaum beschreiben: ganz leer, alles ist leer, es ist furchtbar. Das Sterben wire vielleicht besser. Die Leere schafft an mir, da muff schon etwas Rechtes daran sein; abet es hat eine falsche Gewalt fiber mich.

Dann wird es wieder besser. Die Ruhe kommt fiber reich, der fremde Mensch steht da, er steht in mir und hat die Leere vielleicht weggeschaftt. Ganz sicher ist e rda , aber da muf man doch wieder zweifeln, weil die Leere auch wieder da ist und weft ich immer noch wie in einem Zimmer bin. ]:)ann splelen auch immer die Bilder durcheinander, farbig allerlei Zeug und die Stimmen sprcchen mit raft'."

E in K r a n k e r e r leb t die sehr e indrucksvol le und oft sich wiederholende Aufeinandeffolgc dreier Ichzust i inde. Diese zugleich als Modi f ika t ionen des Gegenstandsbewul~tseins sich da rb i e t ende n E r s c h e i m m g e n werden yon ihm ganz versch iedenar t ig gewer te t und auch versch iedenar t ig in der A f f e k t i v i t i t ve ra rbe i t e t .

Page 15: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

Raum-Zeit-Struktur und DenkstSrung :in der Schizophrenie. II. 255

Zun~chst das Zimmererlebnis: Der Kranke sieht sich irgendwie als umgrenzten Raum, als etwas innerlich Gefestigtes, als bestimmte Ganzheit, aber nicht ohne das EinflieBen i~ngstlich-erwartungsvoller Affekte. Gemessen an dem nachfolgenden grauenerregenden Leerheits- erlebnis, ist das Zimmerph~nomen beruhigend und iiberschaubar.

Das Leerheitserlebnis besteht in dem Auftauchen eines grenzenlosen oder, besser gesagt, eines in seiner Begrenztheit nicht zu fiberblickenden Etwas mit dem Charakter des vSlligen Entleertseins. Dieses Vacuum wirkt kri~ftig auf den Kranken ein, es lebt, bedr~ngt ihn, und gilt ihm als real.

Das dritte Erlebnis, n~mlich das Auftauchen einer mit der Innenwelt und dem Personkern unmittelbar verknfipften Fremdperson, steht in der Bekanntheit-Fremdheits-Linie ungef~hr auf der Mitre. Der Kranke hat das leibhaftige Gegenw~rtigsein dieser Fremdperson vor sich und in sich. Gleichzeitig, und zwar ohne die MSglichkeit einer zeitlichen Unterscheidung, ist der Raum leer; Zeit und Person sind leer und stehen still, aber damit geht einher ein eigentfimliches Aufgewfihltsein seines Innern und der Welt.

Es ist sehr auffi~llig, dab diese verschiedenen Faktoren, ni~mlich Raum und Person, beide in verschiedenen Fassungen, gewissermal~en gleichzeitig gegeben sind. Wir erinnern uns an die Selbstschilderungen Staudenmeiers und an die analytisch gerichteten Arbeiten yon Schilder. Dort besteht gewissermaBen nur eine Ebene, n~mlich ein Hervorwachsen yon Teilpersonen als anschaulich gewordenen Teilstrebungen der PersSn- lichkeit. Hier dagegen - - und damit mfindet die Betrachtung wieder zurfick zum Raum-Zeit-Problem --, hier scheinen verschiedenartige, aber wesentliche Teile des seelischen Vollzugs in einer eigentiimlichen Ver- wobenheit gelockert und zugleich in sich alteriert zu sein: Die Person als Ganzes (Fremdperson), nochmals die Person als Ganzes, aber jetzt unter fast vSlligem ErlSschen des Dynamischen (Leere-Erlebnis) und schlieBlich eine irgendwie erfahrene teilweise Konsolidierung (Zimmererlebnis). (,,Wenn das Zimmer dann fiber mich kommt, bin ich wieder da. Die Zeit regt sich wieder. Christus l~i~t seine Macht wieder ab, und die Leere geht weg. Aber all das andere ist immer noeh da.")

Hier scheint eine Lockerung der Einheit oder, besser gesagt, ein paradoxes Nebeneinander gewisser Bruchstficke des seelischen Aktes vorzuliegen. Mehr soll fiber diesen Fall nicht gesagt werden.

Schlu/3.

Die in dieser Arbeit niedergelegten Fi~lle entstammen si~mtlich dem akuten oder subakuten Stadium der Schizophrenie. Die Analyse der Endzustiinde wurde nicht gegeben.

Page 16: Raum-Zeit-Struktur und Denkstörung in der Schizophrenie

256 Fr. Fischer : Raum-Zeit-Struktur und Denkstfrung in der Schizophrenie. II.

~ber die Raum-Zeit-Struktur des schizophrenen Endzustands soll allgemein nur soviel gesagt werden: Auch im Endzustand besteht die MSglichkeit, Denkanalyse und Raum-Zeit-Analyse aneinander zu ver- tie/en. Diese letztere, die Analyse der Raum-Zeit-StSrung des End- zustandes, bietet jedoch neue Schwierigkeiten, zu deren Bew~ltigung weitere methodische Gesichtspunkte gefunden werden mfissen. Anderer- seits ist die Verfolgung der Denk-Raum-Zeit-Struktur in ihren Wand- lungen innerhalb der einzelnen Schizophreniephasen ungemein auf- schlul~reich. (Ich nenne nur die mit der intentionalen Aktverarmung [Mayer-Gross] verbundenen Raum-Zeit-Umwandlungen, fiber die ich an anderer Stelle berichten werde.)

Diese Arbeit hat ihren methodischen Schwerpunkt nicht in der DenkstSrungsanatyse, sondern in der Raum-Zeit-Untersuchung. Die bedeutsame Beziehung zwischen Alteration des Denkvollzugs und der Raum-Zeit-Elemente wird in methodischer Geschlossenheit der Gegen- stand einer sp~teren Untersuchungsreihe bilden.

Bei der Durchforschung der Schizophrenief~lle fiel es immer wieder auf, dab ein doppelter Zugang zur Erfassung des Seelischen sich dar- bietet - - eben die Raum-Zeit- und die Denk-Analyse. Andererseits scheint es gewisse Eigenarten des Bewul~tseinsaktes zu geben, denen das Denken and das Raum-Zeit-Moment gewissermaSen gleichm~Big und unteilbar angehSrt. Diese zuni~chst noch nicht exakt erfai~bare, aber vielleicht wesentliche Erscheinung mSchte ich als Denk-Zeit-Raum- Verschr~nkung in der Schizophrenie bezeichnen. Wenn H6nigswald yon pr~sentieller und substantieller Seite oder Art des seelischen Ge- schehens spricht, mSgen ihn ~hnliche Gedanken geleitet haben. Auf die klinisch-empirische und auf die allgemein-psychopathologische Grundlage dieses Verschr~nkungsph~nomens werde ich in einem an- deren Zusammeahang ausffihrlich zurfickkommen.

Es ergibt sich in der Analyse der schizophrenen Raum-Zeit-Struktur ein Untersuchungsfeld yon grSl~ter Spannweite. Dringt doch das Raum- Zeit-Geschehen durch alle Schichten des Psychischen und heftet sich formal-dynamisch an jeglichen Vorgang an. Es gibt wohl innerhalb des psychologisch erforschbaren Gebietes der Schizophrenie kein Sym- ptom, das nicht durch Analyse der Raum-Zeit-Struktur in unserer Auffassung korrigiert, erweitert oder vertieft werden kSnnte und das dadurch nicht adi~quater als bisher ins Ganze des psychischen Ge- schehens sich ffigen liei~e.