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Rechtsfragen der Organtransplantation Bochum, 16. April 2013 Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie Prof. Dr. Stefan Huster

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Rechtsfragen der OrgantransplantationBochum, 16. April 2013

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Einführung

Probleme: - „Tod auf der Warteliste“

- Gerechtigkeit der Organverteilung

Juristische Unterscheidung:Rechtsprobleme der Organgewinnung (I.)Rechtsprobleme der Organverteilung (II.)

Tatsächlicher Zusammenhang:Defizite bei Gewinnung verschärfen Probleme bei

Verteilung.Defizite bei Verteilung verschärfen Probleme bei

Gewinnung.

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I. Organgewinnung

1. Ausgangssituation:

- Tod auf der Warteliste (D: 3/Tag = 1000/Jahr) bei gleichzeitigem Auseinanderfallen von Spende- und Erklärungsbereitschaft (75 vs. 25%)

- schlechte Situation im europäischen Vergleich

- Lebendspende als Alternative? Problematisch, weil gesundheitlich belastend und rechtlich nur in engen Grenzen möglich (vgl. § 8 I 2 TPG: „besondere persönliche Verbundenheit“); wg Kommerzialisierungsgefahr gebilligt von BVerfG, NJW 1999, 3399 ff.

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I. Organgewinnung

2. Organisatorische Verbesserungen

a) Transplantationsbeauftragte in Entnahmekrankenhäusern (vgl. jetzt § 9b TPG)- zuvor schon vielfach in Landeskrankenhausgesetzen

b) angemessene Vergütung der Entnahmekrankenhäuser

c) Aufklärung und Information - konkretisiert durch Reform 2012; Aufklärung auch zu Verhältnis zu Patientenverfügung- neutral oder werbend? Vgl. TPG § 1 I 1: „fördern“, § 2 I 2: „ergebnisoffen“)

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I. Organgewinnung

3. Entnahmevoraussetzung (1): Freiwilligkeit

a) Notstandslösung (-)

b) Widerspruchslösung: in vielen europäischen Ländern und Stellungnahmen (z.B. Ethikrat 2007), in D politisch inopportun und juristisch umstritten

c) bisher: erweiterte Zustimmungslösung (§§ 3, 4 TPG). Probleme:- wenige Organspendeausweise- belastende Situation für Ärzte und Angehörige- Wille des Verstorbenen oder der Angehörigen?

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I. Organgewinnung

d) jetzt Reform 2012: Entscheidungslösung (§ 2 Ia TPG)- ergänzt erweiterte Zustimmungslösung, ersetzt sie nicht!- regelmäßige Aufklärung und „Aufforderung“ zur Erklärung durch gesetzl. und private KKen - ohne Sanktionen (vgl. § 2 IIa TPG: „niemand kann verpflichtet werden“)- wirksam?

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I. Organgewinnung

e) Reziprozitäts-/Club-Modell (Ranking auf Warteliste nach Spendebereitschaft: Verknüpfung von Organgewinnung und -verteilung)

f) finanzielle Anreize- „Spende“?- soziale Selektion? Kommerzialisierung? Aber auch bei Erstattung der Begräbniskosten o.ä.?

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I. Organgewinnung

4. Entnahmevoraussetzung (2): Tod des Spenders („dead donor rule“)

a) § 3 TPG: Hirntod („endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm“)- unabhängige Feststellung durch zwei Ärzte, die iÜ. an Transplantation nicht beteiligt sein dürfen (vgl. § 5 TPG)- Konkretisierung durch RLinien der BÄK (§ 16 I Nr. 1 TPG)- auch in anderen Rechtsbereichen akzeptiert

b) Kritik: - auf Transplantationsmedizin zugeschnitten- phänomenologisch unplausibel; „Zerebralfetischismus“- verfassungsrechtlich unzulässig

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I. Organgewinnung

c) Problem:- Sterben ist kontinuierlicher Prozess; Todeszeitpunkt muss festgesetzt werden (vgl. Lebensbeginn)- unterschiedliche Todesauffassungen mit religiös-weltanschaulichem Hintergrund- kann Hirntod nur als Entnahmezeitpunkt definiert werden? Aber: „Ärzte töten nicht“.

5. Vertrauen!

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II. Organverteilung

1. Verteilung durch:

a) Aufnahme auf Warteliste in einem Transplantationszentrum (vgl. § 10 TPG)

b) Organvermittlung durch Vermittlungsstelle (vgl. § 12 TPG)- auch möglich: Beauftragung ausländischer Stelle: Eurotransplant (gemeinnützige Stiftung in Niederlanden; vermittelt vermittlungspflichtige Organe in D, Ö, NL, Bel, Lux, Slow, Kroa, Ung.

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II. Organverteilung

2. Inhaltliche gesetzliche Vorgaben:

a) Aufnahme: „nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ (§ 10 II Nr. 2 TPG)

b) Vermittlung: „nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 III 1 TPG)

- Konkretisierung jeweils durch RLinien der BÄK (§ 16 I 1 Nr. 2 und 5 TPG), die Vermutungswirkung auslösen (§ 16 I 2 TPG)

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II. Organverteilung

3. „Regulierte Selbstregulierung“

a) Keine staatliche Organisation, sondern private Akteure:- Entnahmekrankenhäuser- Transplantationszentren- Koordinierungsstelle, § 11 TPG (DSO, vertraglich beauftragt durch GKV-Spitzenverband, DKHG und BÄK)- Vermittlungsstelle, § 12 TPG (Eurotransplant, vertraglich beauftragt durch GKV-Spitzenverband, DKHG und BÄK)- BÄK, § 16 TPG

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II. Organverteilung

b) staatlicher Rechtsrahmen, aber:

- vage gesetzliche Vorgaben (s.u.)- gering ausgeprägte staatliche Aufsichts- und Kontrollrechte (gar

nicht über BÄK; bzgl. Koordinierungs- und Vermittlungsstelle nur Genehmigung der Verträge durch BMG, Überwachung der Tätigkeit erfolgt durch Überwachungskommission der Auftraggeber)

- Legitimation der RLinien der BÄK? (s.u.)- Übertragung von Hoheitsgewalt auf Eurotransplant (Art. 24 GG)?- Rechtsschutzdefizite, insb. bzgl. Vermittlung durch Eurotransplant

(Art. 19 IV GG)

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II. Organverteilung

4. Kriterien für Aufnahme und Vermittlung

a) Exemplarisch: BVerfG v. 28. 1. 2013

- Versagung der Aufnahme auf Warteliste für Herztransplantation wegen fehlender Deutschkenntnisse („Compliance“; vgl. RLinie der BÄK)

- Antrag auf Prozesskostenhilfe für Klage gegen Krankenhaus auf Schmerzensgeld wegen Diskriminierung und Verletzung seins Persönlichkeitsrechts; von LG und OLG abgelehnt

- VB wegen Verletzung von Art. 3 I iVm. 20 III GG (Rechtsschutzgleichheit)

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II. Organverteilung

BVerfG, aaO., Rn. 17: „In der Literatur wird bereits formal die Richtlinienermächtigung der Bundesärztekammer in § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 TPG in Frage gestellt. Insbesondere aber wird inhaltlich die in den Richtlinien vorgesehene Kontraindikation der Compliance und das Anknüpfen an sprachliche Verständigungsschwierigkeiten im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG und eine fehlende Erforderlichkeit durch die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Dolmetschers kritisiert. Diese Fragen wurden in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und lassen sich auch nicht mit den von der Rechtsprechung bereitgestellten Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantworten.“

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II. Organverteilung

b) Grundsätzlich:

Vermittlung nach „Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 III 1 TPG)

- Verteilungsmaßstäbe sind keine „medizinischen“, sondern Gerechtigkeitskriterien

- Erfolgsaussicht und Dringlichkeit werden oft in unterschiedliche Richtungen weisen; Rangverhältnis unklar und verfassungsrechtlich umstritten (vgl. Lebertransplantation: Rückgang des Einjahresüberlebens von 90 auf 50-60% wegen stärkerer Gewichtung von Dringlichkeit)

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II. Organverteilung

- Verhältnis zu anderen Kriterien, z.B. Wartezeit? (insbes.: lange Wartezeit vermindert Erfolgsaussicht!)

- umstrittene Priorisierungskriterien (Compliance, Abstinenz, Selbstverschulden, sozialer Wert, Alter)

Ergebnis: offensichtlich nicht wissenschaftlich-medizinische, sondern normativ-politische Fragen

Konsequenz: Muss in einem grundrechtssensiblen Bereich der Gesetzgeber selbst beantworten?!

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