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Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts R g geschichte Rechtsgeschichte www.rg.mpg.de http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg13 Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 13 (2008) http://dx.doi.org/10.12946/rg13/060-079 Rg 13 2008 60 – 79 Ruth WolAutorit ät und Authentizit ät: Zum Verhältnis von Text und Siegel-Bild am Beispiel des Rechtsgutachtens Giovanni d'Andreas vom 9.5.1329 Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0

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Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts Rggeschichte

Rechtsgeschichte

www.rg.mpg.de

http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg13

Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 13 (2008)

http://dx.doi.org/10.12946/rg13/060-079

Rg132008 60 – 79

Ruth Wolff

Autorität und Authentizität: Zum Verhältnis von Text und Siegel-Bild am Beispiel des Rechtsgutachtens Giovanni d'Andreas vom 9.5.1329

Dieser Beitrag steht unter einer

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Abstract

The analysis of the consilium of the famous canonist Giovanni d’Andrea and three of his Bolo-gnese colleagues from 9th May 1329 reveals that legal consilia in the fourteenth century were usually authenticated both with the signature and signumof the notary draing the document and with the seals of the jurists.

Three of the seal impressions formerly ap-pended to the document illustrate in a strikingly similar fashion a detailed image widely dissemi-nated on seals of jurists in medieval Italy: the doctor sitting enthroned in the cathedra, turned towards the viewer and at the same time concen-trated on the open book in his hands.

The image is a sympathetic visualisation of the basic scheme of the consultation of the legal doctors, i. e. the transmission of the theoretical legal knowledge of the studium to the world out-side the university, which is exemplified in the text of the document in a specific casus. Seals of medi-eval jurists bear an effigy of the owner of the seal, like other seals of high-ranking persons, such as emperors, kings and bishops. Thereby, and by the insistent repetition of a picture form which can be distinguished clearly by its three dimensionally refined visual idiom from the seals of emperors, kings and bishops, the seals of doctors of law advertise themselves as sigilla authentica which enjoy absolute credibility.

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Autorität und Authentizität:Zum Verhältnis von Text undSiegel-Bild am Beispiel desRechtsgutachtens Giovannid’Andreas vom 9.5.1329*

Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht ein Rechtsgut-achten vom 9. Mai 1329, das der berühmte Rechtsgelehrte Gio-vanni d’Andrea († 1348) unter Hinzuziehung seiner KollegenGiovanni Calderini, Filippo Formaglini und Azo de Raminghisverfasste.1 An das Gutachten waren ehemals die Abdrücke derSiegel der vier Juristen angehängt, die mittlerweile getrennt vondem Gutachten im Florentiner Staatsarchiv aufbewahrt werden. ImFolgenden soll der Zusammenhang von Text und Siegeln anhanddieses Gutachtens exemplarisch untersucht werden, wobei einbesonderes Verhältnis von Text und Siegel-Bild zu Tage tritt, dasbislang weder von der rechtshistorischen noch von der kunst-historischen Forschung in den Blick genommen wurde. Kernfragendieses Verhältnisses sind diejenigen von Autorität und Authentizi-tät, die sowohl die Bilder als auch die Texte, und nicht zuletzt ihrenges Beziehungsgeflecht, betreffen.

1. Typologie und diplomatisches Erscheinungsbildder Rechtsgutachten in der bisherigen Forschung

Die Rechtsgeschichte hat sich in jüngerer Zeit verstärkt juris-tischen consilia zugewandt und eine Fülle von Materialien undUntersuchungsergebnissen zusammengetragen.2 Theorie und Pra-xis mittelalterlichen Ratgebens wurden darüber hinaus in einembreiteren kulturgeschichtlichen Rahmen in ihren theologischenUrsprüngen und Zusammenhängen, bezüglich juristischer undmedizinischer Gutachten und consilia zur Magie untersucht.3 DieGeschichte juristischer Gutachten beginnt in der Mitte des12. Jahrhunderts, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts wachsensie explosionsartig an und erleben im ausgehenden 13. und wäh-rend des 14. Jahrhunderts ihren Triumph.4 M. Ascheri hat eineTypologie der Rechtsgutachten aufgestellt und unterscheidet vier

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* Der Beitrag stellt erste Ergebnissedes Projekts »Siegel-Bilder« vor,das unter der Leitung von Prof. Dr.Michael Stolleis (MPI für europä-ische Rechtgeschichte) und Prof.Dr. Gerhard Wolf (Kunsthistori-sches Institut in Florenz – MPI)durchgeführt wurde.

1 Florenz, Archivio di Stato, Diplo-matico di S. Maria Nuova,9.5.1329.

2 Aus der mittlerweile umfangrei-chen Literatur zu Rechtsgutachtenseien hier zitiert: Mario Ascheri,Consilium sapientis, perizia medi-ca e res judicata, diritto dei dottorie istituzioni comunali, in: Proceed-ing of the Fifth International Con-gress of Medieval Canon Law,Città del Vaticano 1980, 533–579; M. Ascheri, Saggio di bi-bliografia consiliare, in: ders.,Diritto medievale e moderno. Pro-blemi del processo, della culturae delle fonti giuridiche, Rimini1991, 243–259; Ingrid Baum-gärtner (Hg.), Consilia im späten

Mittelalter. Zum historischen Aus-sagewert einer Quellengattung,Sigmaringen 1995 (Schriftenreihedes Deutschen Studienzentrums inVenedig, 13); Monica Chiantini,Il Consilium sapientis nel processodel secolo XIII. San Gimignano1246–1312, Siena 1994; LegalConsulting in the Civil Law Tra-dition, edited by M. Ascheri,I. Baumgärtner, J. Kirshner,Berkeley 1999.

3 Consilium. Teorie e pratiche delconsigliare nella cultura medieva-le, a cura di Carla Casagrande,Chiara Crisciani, Silvana Vec-chio, Firenze 2004.

4 Mario Ascheri, I »consilia« deigiuristi: una fonte per il tardoMedioevo, in: Bullettinodell’Istituto storico italiano per ilMedioevo CV (2003) 305–333,hier 310.

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Typen, von denen für das vorliegende Thema nur zwei genanntwerden sollen.5 Erstens das consilium sapientis, das vom Richteroder einer der beiden Parteien bzgl. zweifelhafter juristischerPunkte für die Urteilsfindung von sapientes, also gelehrten Juristendes allgemeinen Rechts, die außerhalb des Gerichtshofs tätig wa-ren, erbeten wurde und für den Richter in seinem Urteilsspruchbindend war. Dieses war zumeist sehr knapp formuliert. Zweitensdas consilium pro parte, mit dem eine oder mehrere der Parteienvor oder während des Prozesses gelehrte Juristen außerhalb desGerichtshofs beauftragte, das aber für den Richter nicht bindendwar. Die consilia pro parte sind im Gegensatz zu den consiliasapientis ausführlich formuliert, nicht zuletzt deshalb, weil sie denRichter überzeugen mussten. Ihre Ausführlichkeit machte sie an-wendbar für andere, zukünftige Fälle, und sie wurden deshalbbereits um 1300 gesammelt und schließlich als Sammlungen ge-druckt.6 Die consilia pro parte wurden ebenfalls vor Gericht prä-sentiert, gingen aber nicht wie die consilia sapientis in die Prozess-akten ein. Allerdings wurden sie zumeist von den Kommunen oderkirchlichen Stellen, die sie in Auftrag gegeben hatten, im Originalaufbewahrt und in die Libri iurium aufgenommen.

Ascheri hebt das feierliche Erscheinungsbild der consilia proparte hervor: Oft seien sie auf ganzen Pergamentbögen geschriebenund in den meisten Fällen mit dem Siegel des Konsulenten besiegelt.Im 13. und bis zum Ende des 14. Jahrhunderts seien sie vonNotaren ausgestellt, die Inhalt und Urheberschaft des consiliumsauthentisierten. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts seien Rechts-gutachten auf Papier geschrieben und ohne die Redaktion einesNotars mit der eigenhändigen Unterschrift des Konsulenten undseinem jetzt direkt in das Papier eingedrückten und nicht mehranhängenden Siegel authentisiert.7

Die Siegel selbst und ihre Bilder haben in der bisherigenForschung noch kein Interesse gefunden. Die eher raren Abbildun-gen von Urkunden zeigen so zumeist auch nicht die anhängendenSiegel, oder wenn doch, in einer Bildqualität, die weder die Siegel-umschrift noch das Siegelbild erkennen lässt.

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5 Ascheri, I »consilia« dei giuristi314–319.

6 Die ersten Sammlungen von Con-silia sind diejenigen von Dino delMugello († 1303?), sodann vonOldrado da Ponte († kurz nach1337) und Federico Petrucci (†nach 1343), s. Vincenzo Colli,Consilia dei giuristi medievali eproduzione libraria, in: LegalConsulting, 173–225.

7 Mario Ascheri, I consilia comeacta processuali, in: La diploma-tica dei documenti giudiziari. Daiplaciti agli acta – secc. XII–XV,Bologna, 12–15 sett. 2001, a curadi Giovanni Nicolaj, Roma2004, 309–328, hier 321 f.

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2. Ähnlichkeiten – das diplomatische Erscheinungsbild desRechtsgutachtens und seiner Siegel

Giovanni d’Andreas Rechtsgutachten vom 9. Mai 1329 han-delt von dem Patronatsrecht der Familie der Portinari am Hos-pital und der Kirche von Santa Maria Nuova in Florenz, und

genauer von dem Recht, den Präfekten desHospitals zu präsentieren. Das berühmte Flo-rentiner Hospital, das eines der ersten werdensollte, bei dem die medizinische Versorgungim Vordergrund stand, war 1288 von FolcoPortinari, dem Vater von Dantes Beatrice,gegründet worden, der in seinem Testamentbestimmt hatte, dass das Patronat »in per-petuum« seinen männlichen Nachkommenzukomme.8 Giovanni d’Andreas consiliumhatte einen Schiedsspruch des DominikanersUberto di Guido am 3.8.1329 zur Folge, derden männlichen Portinari das alleinige Rechtder Auswahl des Vorstehers des Hospitalszuerkannte.9 Das Gutachten ist ein consiliumpro parte, das von den Söhnen Fulco Portina-ris, Maneto und Gerado, in Auftrag gegebenwurde. Ascheri, der das Gutachten publiziert,vermerkt nicht, dass unter dem Datum des9. Mai 1329 zwei besiegelte Pergamenturkun-den im Florentiner Staatsarchiv aufbewahrtwerden.10 (Bild 1 und Bild 2) Beide Urkundenzeigen das von Ascheri beschriebene feierlicheErscheinungsbild und sind jeweils auf einemgroßen Pergamentbogen von dem Notar Gio-vanni del fu Benvenuto da Belviso geschrieben

und mit seinem Notariatszeichen versehen, und beide waren ur-sprünglich mit vier anhängenden Siegeln versehen, von denen sichan den Urkunden nur noch die Schnüre erhalten haben. Die vierRechtsgelehrten bestätigen in beiden Exemplaren jeweils am Endedes Gutachtens, dass sie die Siegel anbringen ließen und außer-dem den Notar beauftragten, aus dem consilium ein öffentlichesInstrumentum zu machen.11 Der Notar bestätigt seinerseits in derSubskriptionszeile, dass er den vorangegangen Text im Auftrag der

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8 Die Gründung des Hospitals er-folgte am 23.6.1288; Fulcos Tes-tament wurde bereits am 15.1.1288 ausgestellt. Zu Fulco Porti-nari s. Arnaldo D’Addario, Art.»Portinari, Fulco«, in: Enciclope-dia Dantesca, Bd. IV, Roma 1973,608. Zum Hospital s. Il R. Arci-spedale di S. Maria Nuova: I suoibenefattori, sue antiche memorie,Firenze 1888 und La bellezzacome terapia. Arte e assistenzanell’ospedale di Santa MariaNuova a Firenze. Atti del Con-

vegno Internazionale, Firenze 20–22 maggio 2004, a cura di EnricoGhidetti e Esther Diana, Firen-ze 2005.

9 Vgl. L. Passerini, Storia deglistabilimenti di beneficenza ed’istruzione elementare gartuitadella città di Firenze, Firenze1853, 291.

10 Zunächst in: Mario Ascheri,Analecta manoscritta consiliare(1285–1354), in: Bulletin of the

medieval canon law 15 (1985) 61–94, hier IV, 86–92, sodann einzweites Mal in: Maria Ascheri,I »consilia« dei giuristi: una fonteper il tardo Medioevo, in: Bullet-tino dell’Istituto storico italianoper il Medioevo CV (2003) 305–333, hier Nr. 1, 328–330.

11 facientes apponi sigilla ac etiammandantes (…) notario ut de ipsoconsilio publicum conficiat instru-mentum.

Bild 1: Rechtsgutachten des Giovanni d’Andrea vom 9.5.1329(Florenz, Archivio di Stato, Diplomatico di S. Maria Nuova,9.5.1329), Urkunde A

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besagten Rechtsgelehrten geschrieben, in »öffentlicher Form« redi-giert und mit seinem gewohnten Zeichen signiert habe.12 Offen-sichtlich hat sich der Notar bemüht, beiden Exemplaren des Gut-achtens das gleiche Erscheinungsbild zu geben, was die Größe desverwendeten Pergamentbogens angeht, die Zeilenzahl, aber auchhinsichtlich der Zierinitiale und der den Text gliedernden Groß-buchstaben oder der Hervorhebung des Na-mens des ursprünglichen Patrons des Hospi-tals von Santa Maria Nuova, Fulco Portinari,jeweils etwa in der Mitte der ersten Zeile derUrkunden. Erst bei genauerem Hinsehen zei-gen sich minimale Unterschiede der beidenUrkundenexemplare: Bei der Zierinitiale derUrkunde A ist so z. B. der obere Balken überdem I ein wenig über den Stamm des I fort-gesetzt, während dieser Balken in der UrkundeB über dem Stamm des I endet. Die nach untenoffenen Rundungen des Notariatszeichen derUrkunde A sind ein wenig größer als diejeni-gen auf der Urkunde B. Die Urkunde A hat77, die Urkunde B nur 76 Zeilen. Sowohl beider Urkunde A als auch bei der Urkunde Bsind zudem am linken und rechten TextrandWorte ergänzt, die im Haupttext vergessenwurden.13 Der Text beider Urkunden stimmtjedoch Wort für Wort miteinander überein.

Im Inventar der »sigilli staccati« des Flo-rentiner Staatsarchivs, also der Sammlung vonca. 800 Siegelabdrücken, die von ihren Ur-kunden getrennt aufbewahrt werden, sindunter dem Datum des 9. Mai 1329 tatsächlichinsgesamt acht Siegelabdrücke aufgeführt,d. h. jeweils zwei Abdrücke des Siegels Gio-vanni d’Andreas, Giovanni Calderinis, Filippo Formaglinis undAzo de Raminghis’.14 Das Siegel Azo de Raminighis’, das kleinerals die anderen und nicht spitzoval, sondern rund ist,15 hat sich inbeiden Exemplaren nur schlecht konserviert. Sein Siegelbild istkaum zu erkennen, möglicherweise handelt es sich um ein Tier.Einer der beiden Siegelabdrücke Giovanni d’Andreas ist zudemnur fragmentarisch erhalten. Es ist jedoch deutlich zu sehen, dass

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12 Et ego Johannes condam Benuen-nuti de Beluiso Bononiensis ciuisimperiali auctoritate notarius pre-dicta de mandato dictorum domi-norum scripsi et in publicamformam redegi a meo consuetosigno signaui.

13 Die Tatsache, dass die Urkunde Ban vier Stellen Textergänzungenam Rand vorweist, während derText der Urkunde B nur an zweiStellen und mit jeweils nur einem

Wort am Rand ergänzt ist, ließeallenfalls darauf schließen, dassder Notar zuerst die Urkunde Bgeschrieben hat. Und doch istnicht eine Urkunde die Kopie deranderen, denn bei beiden Urkun-den handelt es sich um selbstän-dige Schriftstücke, die nicht auf-einander verweisen, sondern involler Unabhängigkeit voneinan-der bestehen können und jeweilsmit vier Siegeln versehen sind.

14 Der Archivar P. Berti führte Endedes 19. Jahrhunderts von Urkun-den abgetrennte Siegelabdrückeaus verschiedenen kleinerenSammlungen zusammen undtrennte weitere Siegel von Doku-menten ab. In seinem handschrift-lichen Inventar ordnete er dasMaterial in fünf Reihen und injeweils chronologischer Folge an.Unter dem Datum des 9.5.1329sind jeweils zwei Abrücke desSiegels von Giovanni d’Andrea(Nr. 82 und Nr. 83, wobei Nr. 82nur noch in einem Fragment er-halten ist), von Giovanni Calderini(Nr. 84 und Nr. 85), von FilippoFormaglini (Nr. 86 und Nr. 87)und von Azo de Raminghis(Nr. 88 und Nr. 89) aufgeführt.

15 Die Siegelabdruck Azo de Ramin-ghis’ misst nur etwa 2 cm imDurchmesser.

Bild 2: Rechtsgutachten des Giovanni d’Andrea vom 9.5.1329(Florenz, Archivio di Stato, Diplomatico di S. Maria Nuova,9.5.1329), Urkunde B

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jeweils ein Siegelstempel zwei Abdrücke erzeugt hat, bei denenWachs der gleichen Farbe verwendet wurde. Der Stempel Giovannid’Andreas wurde zweimal in fast schwarzes Wachs abgedrückt,während die Stempel Giovanni Calderinis, Filippo Formaglinis undAzo de Raminghis’ jeweils zweimal in rotes Wachs eingedrücktwurden. Die sechs Siegelabdrücke sind in eine schützende Schaleaus naturfarbenem Wachs eingebettet.

Abgesehen von der unterschiedlichen Farbe des Wachses,durch die vor allem die Abdrücke des Siegels von Giovanni d’An-drea hervorstechen, sind sich die Siegelabdrücke Giovanni d’An-dreas, Filippo Formaglinis und Giovanni Calderinis sehr ähnlich,denn sie zeigen im spitzovalen Format jeweils das gleiche Motiv,den Rechtsgelehrten, der in seiner Kathedra vor einem Pult throntund ein geöffnetes Buch in den Händen hält (Bild 3, 4 und 5).

3. Das Bildmotiv in der bisherigen Siegelforschung

Das Gutachten Giovanni d’Andreas vom 9. Mai 1329 veran-schaulicht auf plastische Weise die Dominanz des Bildmotivs desdoctor in cathedra auf Siegelabdrücken an Rechtsgutachten, aufdie bereits Robert Davidsohn in seiner Geschichte von Florenz ausdem Jahr 1925 aufmerksam machte.16 Davidsohns Hinweis bliebin der Siegelkunde unbeachtet, unter anderem deshalb, weil die

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16 Robert Davidsohn, Geschichtevon Florenz, Vierter Band: DieFrühzeit der Florentiner Kultur,Zweiter Teil: Gewerbe, Zünfte,Welthandel und Bankwesen, Ber-lin 1925, hier 123.

Bild 3: Abdruck des Siegels von Giovanni d’Andrea vom9.5.1329 (Florenz, Archivio di Stato, »sigilli staccati«,Nr. 83)

Bild 4: Abdruck des Siegels von Filippo Formaglini vom9.5.1329 (Florenz, Archivio di Stato, »sigilli staccati«,Nr. 86)

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internationale Siegelforschung seit ihren Anfängen und bis heuteentscheidend von Frankreich bestimmt wird. In Frankreich wurdenbereits im 19. Jahrhundert große Siegel-Repertorien von Siegelab-drücken anlegt, von denen jeweils ein Abguss konserviert wurde.17

In jüngerer Zeit manifestiert sich die Vitalität der französischenSiegelforschung u. a. in der Erstellung des Corpus des sceaux fran-çais du moyen age.18 Das umfangreiche erfasste Material ist inFrankreich, aber auch in anderen Ländern nach französischemVorbild nach Siegelführern geordnet. Rechtsgelehrte aber werdenunter den Siegelführern nicht aufgeführt. Die Kritik auch derfranzösischen Siegelforschung an der Klassifizierung nach Siegel-führern führte u. a. dazu, dass auch die in der deutschen Siegel-kunde vorherrschende Klassifizierung nach Bildtypen Eingang indie internationale Siegelforschung fand, die mit dem Vocabulaireinternationale de la sigillographie eine Bildtypologie von Siegelnvorschlägt.19 Das Bild des in der Kathedra thronenden Gelehrtenist in dieser Bildtypologie nicht vertreten.20

In Italien bedeutet Siegelforschung dagegen in erster Linie dieUntersuchung von Siegelstempeln, die sich in großer Anzahl er-halten haben und in den beiden größten Sammlungen des Floren-tiner Nationalmuseums, dem Bargello, und im Palazzo Veneziain Rom wie auch in vielen kleineren Museen zusammengeführtsind. Die immer noch grundlegende Untersuchung zu italienischen

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17 G. Demay, Inventaire des sceauxde l’Artois et de la Picardie re-cueillis dans les dépôts d’Archives,musées et collections particulièresdes départements du Pas-de-Ca-lais, de l’Oise, de la Somme et del’Aisne …, avec un catalogue depierres gravées ayant servi à scel-ler, Paris 1877; ders., Inventairedes sceaux de la collection Clai-rambault à la Bibliothèque natio-nale, Paris 1877; ders., Inventairedes sceaux de la Flandre, recueillisdans les dépôts d’Archives, muséeset collections particuliéres du dé-partement du Nord, 2 Bde., Paris1873; ders., Inventaire des sceauxde la Normandie, avec une intro-duction sur la paléographie dessceaux, Paris 1881; L.-C. Douëtd’Arq, Collection de sceaux, 3Bde., Paris 1863–1868 (1872).

18 Bislang sind erschienen: Corpusdes sceaux français du MoyenAge, Bd. I: Les sceaux des villes,par B. Bedos, Paris, 1980 undCorpus des sceaux français duMoyen Age, Bd. II: Les sceaux desrois et de régence, par M. Dalas,Paris 1991.

19 Die deutsche Siegelkunde des19. Jahrhunderts ging mit F. L.von Hohenlohe-Waldenburg,Sphragistische Aphorismen. 300mittelalterliche Siegel systematischklassifiziert und erläutert, Walluf(bei Wiesbaden) 1973, unver.Nachdruck der Ausgabe von1882, bei der Klassifizierung derSiegel allein davon aus, was dasSiegel selbst visualisiert und un-terschied vier große Kategorien:Schriftsiegel, Bildsiegel, Porträt-siegel und Wappensiegel. Diesegrobe Einteilung wurde von ToniDiederich, Prolegomena zu einerneuen Siegeltypologie, in: Archivfür Diplomatik 29 (1983) 242–248 zu 24 Bildttypen erweitert, dieer 28 Siegelführergruppen gegen-überstellt. Gelehrte sind nicht beiden Siegelführergruppen aufge-führt, ebenso wenig wie das Bilddes Doctor in cathedra bei denBildtypen.

20 Vocabulaire International de laSigillographie, hg. v. Conseil In-ternational des Archives. Comitéde sigillographie (Ministero per ibeni culturali e ambientali Pubbli-cazioni degli archivi di StatoSussidi 3), Roma 1990.

Bild 5: Abdruck des Siegels von Giovanni Calderini vom9.5.1329 (Florenz, Archivio di Stato, »sigilli staccati«,Nr. 84)

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Siegeln, Giacomo Bascapès Sigillografia,21 basiert ebenfalls vorallem auf Siegelstempeln. Die hier in unterschiedlichen Zusammen-hängen erwähnten Beispiele für die Siegel von Rechtsgelehrtenzeigen, dass die meisten von ihnen das Motiv des Doctor in Ka-thedra veranschaulichen. Als Beispiel sei hier das Siegel des BiagioMontanini, doctor legum aus Siena, genannt, das sich im Museumdes Palazzo Venezia in Rom befindet und auf den Beginn des14. Jahrhunderts datiert wird.22 Wie die Rechtsdoktoren Giovannid’Andrea, Giovanni Calderini und Filippo Formaglini thront auchihr Sieneser Kollege in seiner Kathedra vor einem Pult, auf dem eingeöffnetes Buch liegt, dem er sich zuwendet. Sein Siegel ist rund,und das (beschädigte) Familienwappen vor dem Pult eingeblendet.Aber nicht nur Doktoren des Rechts, sondern zum Beispiel auchRichter führten Siegelstempel mit dem Motiv, wie Lando delleStelle, dessen bronzener Siegelstempel vom Ende des 13. Jahrhun-derts im Museo Civico in Siena konserviert wird (Bild 6).23 Aucheinige Mediziner wählten das Motiv des Doctor in Cathedra fürihre Siegelstempel,24 wie z. B Leuzio, doctor logice et medicinalisscientiae, dessen Siegel in die zweite Hälfte des 13. Jahrhundertsdatiert wird.25

4. Das Bildformular

Die Siegelabdrücke Giovanni d’Andreas, Giovanni Calderinisund Filippo Formaglinis veranschaulichen also ein Motiv, das imItalien des Mittelalters auf Siegeln von Rechtsgelehrten weit ver-breitet war. Die Ähnlichkeit der Siegelabdrücke der drei Rechts-doktoren beschränkt sich allerdings nicht auf das Motiv, sondernumschließt auch die Art und Weise, in der es in Szene gesetzt wird.So ist der in der Kathedra thronende Rechtsgelehrte immer in dergleichen Haltung visualisiert. Die Kathedra ist immer auf der vomBetrachter aus rechten Bildhälfte abgebildet und das Pult auf derlinken. Das Buch liegt nicht völlig geöffnet auf dem Pult, sondernwird immer vom Gelehrten zu Dreivierteln geöffnet mit seinenbeiden Händen gehalten. Der Kopf des Gelehrten ist bei allenSiegeln dem Buch zugeneigt. Gelehrter, Kathedra und Pult füllenjeweils das Siegelbild zum Großteil und vor einer ansonstenvon anderen Bildmotiven oder Dekorationen leer gelassenen Bild-fläche aus. Die Bildfläche wird von der Siegelumschrift gerahmt,die durch feine Perlleisten vom Bildfeld abgetrennt ist. Im oberen

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21 G. C. Bascapé, Sigillografia. Il si-gillo nella diplomatica, nel diritto,nella storia, nell’arte, 3 Bde., Mi-lano 1969–1984.

22 Rom, Museo di Palazzo Venezia,Sammlung Tagliavini, Inv. Nr. 7.Vgl. Elisabetta Cioni, Il sigillo aSiena nel medioevo, Siena PalazzoPubblico, 25.2.–19.3.1989, Siena1989, Kat. Nr. 18. Der Siegel-stempel ist aus Bronze, rund undmisst 41 mm im Durchmesser. DieSiegelumschrift lautet: + SigillumBLSII.LEGVm.DOCTOrIS DEMONTANINIs.De.SENis.

23 Siena, Museo Civico, Inv. Nr. 201.Vgl. Cioni, Il sigillo a Siena nelmedioevo, Kat. Nr. 17. Der Sie-gelstempel hat einen Durchmesservon 28 mm, die Umschrift lautet:LANDI.IVDICIS. DomiNI.BAR-TALOMeI.DE STELLIS.

24 Bascapé, Sigillografia, Bd. I: Si-gillografia generale. I sigilli pub-

blici e quelli privati, 91: »(…)quelli (sigilli, Erg. v. mir) di teo-logi, dottori di diritto, canonisti,notai o giudici ecclesiastici, li ri-traggono seduti presso il leggìoo lo scrittoio, nell’atto di leggere,di insegnare, di sentenziare. (…)Magistrati laici, notai, giudici,appaiono seduti in cattedra o alloscrittoio, come quelli ecclesiastici,e cosi pure i maestri e qualchemedico.«

25 Florenz, Museo Nazionale delBargello, Inv. Nr. 935, Sigilli nelMuseo Nazionale del Bargello, acura di Andrea Muzzi, BrunaTomasello, Attilio Tori,Bd. III: Sigilli di enti civili, Firenze1990, Kat. Nr. 354, 154. Derrunde bronzene Siegelstempelmisst 33 mm und trägt die Siegel-umschrift: + S.’LEUTII. DOCT.LOGICE. ET. MEDICINAL’.SCIE.

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Abschluss des Siegelovals ist das Bildfeld jeweils von einem Drei-pass gerahmt, der von einer Architektur mit einer begiebeltenTempelfront in der Mitte bekrönt wird. Der im Profil abgebildeteKopf des Gelehrten ist unter dem zentralen und höchsten Rund-bogen des Dreipasses mit der Tempelfront darüber platziert. Deruntere Abschluss des Siegelovals wird bei den Siegeln Giovannid’Andreas und Filippo Formaglinis von ihrem Familienwappenausgefüllt, das die Siegelumschrift überdeckt und auf der das Bilddes in der Kathedra thronenden Gelehrten ruht. Der entsprechendeBildraum auf dem Siegel Giovanni Calderinis ist von einer Deko-ration mit Dreiecken und Kreisen ausgefüllt, möglicherweise weilseine Familie kein Wappen führte. Das Pult auf den Siegeln allerdrei Rechtsgelehrter ist jeweils mit schmalen, runden Bögen deko-riert, bei Giovanni Calderini in zwei, bei den anderen Rechtsge-lehrten in drei übereinander liegenden Zonen. Die Kathedra hat beiallen drei Siegeln eine hohe Rückenlehne, die Seitenlehne ist ver-ziert und der Mantel des Rechtsgelehrten hängt ein wenig über dieSeitenlehne.

Die Siegelabdrücke der drei Rechtsgelehrten zeigen also einsorgfältig konstruiertes Bildformular, das jeweils in allen Detailsauf kleinster Bildfläche wiederholt wird, auch wenn deutlich künst-lerische Unterschiede erkennbar sind. Auch die oben erwähntenSiegelstempel des Richters Lando delle Stelle und des Rechtsdok-tors Biagio Montanini visualisieren dieses Bildformular in wichti-

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heBild 6: Siegelstempel des Richters Lando delle Stelle (Siena, Museo Civico, Inv.

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gen Grundzügen: Der Richter und der Rechtsdoktor thronen ganz-figurig und zentral in der rechts gezeigten Kathedra vor dem Pultlinks, sie halten das Buch zu Dreivierteln geöffnet in ihren Händenund wenden sich ihm zu. Allerdings wird hier auf die Präsentationdes Gelehrten unter dem von einer Tempelfront bekrönten Drei-pass verzichtet und die Wappen sind seitlich und nicht unterhalbder Bildfigur platziert, wohl vor allem aufgrund des runden undnicht spitzovalen Formats dieser Siegelstempel.

In wichtigen Grundzügen ist das Bildformular, mit dem dasMotiv des Doctor in Cathedra auf den Siegelabdrücken Giovannid’Andreas, Giovanni Calderinis und Filippo Formaglinis präsen-tiert wird, also bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Italienortsübergreifend verbreitet. Das bezeugt auch ein SiegelstempelGiovanni d’Andreas, der heute im Museo Civico Medievale inBologna aufbewahrt wird und der ein anderer sein muss als der-jenige, der die Siegelabdrücke von 1329 produziert hat (Bild 7).Dieser Siegelstempel wurde im Jahr 2006 in der Ausstellung Giottoe le arti a Bologna al tempo di Bertrando del Poggetto präsentiert.26

Er ist spitzoval und die Siegelumschrift lautet wie die der Abdrückeaus dem Jahr 1329: S(igillum) Ioh(ann)is Andree Doct(oris) Decre-tor(um). Aus stilistischen Gründen wird der Stempel im Katalog-beitrag auf das Ende des 13. bzw. den Anfang des 14. Jahrhunderts

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26 Bologna, Museo Civico Medieva-le, Inv. Nr. 3929; Giotto e le arti aBologna al tempo di Bertrando delPoggetto, hg. v. Massimo Medi-ca, Milano 2005, Katalogbeitragvon Silvia Giorgi, 112 und Abb.auf 113.

Bild 7: Siegelstempel des Giovanni d’Andrea (Bologna, Museo Civico Medie-vale, Inv. Nr. 3929) und moderner Abguss dieses Stempels

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datiert, wobei seine frühen gotischen Formen hervorgehoben wer-den.27 Auch die Abdrücke des Siegels von Giovanni d’Andrea imFlorentiner Staatsarchiv werden im entsprechenden Katalogbeitragerwähnt, wobei allerdings nicht bemerkt wird, dass sie keinesfallsvon dem in der Ausstellung präsentierten Stempel stammen kön-nen. Der Stempel ist wohl tatsächlich in die Anfangszeit der uni-versitären Karriere Giovanni d’Andreas zu datieren, kann abernicht vor 1298, dem Jahr seiner Promotion zum doctor decretorumgeschaffen worden sein, da die Siegelumschrift ihn als solchenausweist.28 Von dem nicht erhaltenen Siegelstempel, der den Ab-druck am Gutachten von 1329 erzeugte, hat sich hingegen einweiterer Abdruck, diesmal nicht aus fast schwarzem, sondern ausrotem Wachs im Staatsarchiv von Florenz erhal-ten, der an eine Urkunde vom 30. Mai 1315 an-gehängt war (Bild 8).29 Wieder authentisierte dasSiegel ein Rechtsgutachten Giovannis, hier fürdie Bauhütte des Florentiner Baptisteriums, mitdem es gelang, die Opera vor der Auferlegung despäpstlichen Zehnts zu bewahren.30

Den im Bologneser Museum konserviertenSiegelstempel Giovanni d’Andreas und den nichterhaltenen Siegelstempel des Rechtsdoktoren, derdie Abdrücke von 1315 und 1329 im FlorentinerStaatsarchiv erzeugt haben muss, trennen also imHöchstfall 17 Jahre. Beide zeigen das gleicheBildformular, an dem der berühmte BologneserKanonist festhielt, auch wenn es alles andere alsneu und nicht auf Siegel von Rechtsgelehrtender bedeutenden Universitätsstadt Bologna be-schränkt war. Der Vergleich des Siegelstempelsmit den Siegelabdrücken verdeutlicht jedoch, wo-rauf es dem Rechtsgelehrten bei seinem späteren,nicht mehr erhaltenen Siegelstempel angekom-men sein muss.

Auf dem Siegelstempel aus dem Museo Ci-vico in Bologna beansprucht das Wappen weit-aus mehr Bildraum als auf den Abdrücken desFlorentiner Staatsarchivs, auf denen die Figurdes Rechtsgelehrten im Vergleich größer veran-schaulicht werden kann. Das Bildfeld, in dem das

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27 Giotto e le arti a Bologna, 112 mitVerweis auf Renzo Grandi, Imonumenti dei dottori e la scul-tura a Bologna (1267–1348), Bo-logna 1982, 166: »Il sigillo, con-servato al Museo civico, resta te-stimonianza importante, ad unadata presumibilmente molto pre-coce, di orientamenti già in tuttogotici.«

28 Zu Giovanni d’Andreas Werde-gang und Promotion s. Giorgio

Tamba, Art. »Giovanni d’An-drea«, in: Dizionario Biograficodegli Italiani, Bd. 55, 2000, 667–672, hier bes. 668.

29 Staatsarchiv von Florenz, Diplo-matico Mercatanti, 30.5.1315.Der Siegelabdruck ist im Inventarder »sigilli staccati« des Staatsar-chivs von Florenz unter der Nr. 62verzeichnet.

30 Auf das Gutachten wies bereitsRobert Davidsohn, Storia di

Firenze, Bd. IV, Firenze 1965, 248mit Anm. 2, hin, datierte es aberirrtümlich auf das Jahr 1306. Eswurde zum ersten Mal in Lapusde Castiglionchio, Allegatio-nes, nu. 140, Venetiae 1571, fol.170rb–vb ediert. Vgl. Ascheri,Analecta consiliare, Nr. 8, 66.

Bild 8: Abdruck des Siegels von Giovanni d’Andrea vom30.5.1315 (Florenz, Archivio di Stato, »sigilli staccati«,Nr. 62)

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Wappen dargestellt ist, ist auf dem Stempel durch eine einfachehorizontale Leiste von dem darüber liegenden mit dem Rechtsge-lehrten separiert, auf den Abdrücken dagegen ist der obere hori-zontale Abschluss des Wappens selbst die Basis für den Aufbauvon Kathedra und Pult, die nicht mehr in distanzierter Seiten-ansicht, sondern in umgekehrter perspektivischer Verkürzung zumBetrachter hin geöffnet dargestellt sind und die wir uns jetzt inihrem Zusammenhang dreidimensional als Polyeder auf hexago-nalem Grundriss vorstellen können. Der Gelehrte, dessen Beinenun in eleganter Überkreuzung zu sehen sind, ist in seiner Sitz-haltung auf den Betrachter hin ausgerichtet, auch wenn sich derOberkörper dem Pult mit dem aufgeschlagenen Buch zuwendetund der Kopf im Profil dem Buch zugeneigt ist. Mit anderenWorten: Die Figur ist in Bewegung geraten, sie öffnet sich einer-seits zum Betrachter hin, während andererseits die Beziehung desGelehrten zum Buch intensiviert ist. Der Siegelstempel zeigt zudemnoch nicht den rahmenden Dreipass mit der bekrönenden Archi-tektur. Seine Hinzufügung auf den Siegelabdrücken trägt zurgrößeren Plastizität des Bildeindrucks bei und nobilitiert darüberhinaus den Gelehrten, der wie unter einem Baldachin in seinerKathedra thront.

Dasjenige, was auf dem frühen Siegelstempel aus dem Bolog-neser Museum hölzern und starr ausgedrückt ist, wird auf denspäteren Siegelabdrücken im Florentiner Staatsarchiv demnachgesteigert und pointiert formuliert, wie die Zentralität der Bildfigurdes Rechtsgelehrten, sein autoritatives Gewicht und seine Konzen-tration auf das Buch, aber auch seine Öffnung nach außen, die aufdem Siegelstempel bereits durch das vom Gelehrten geöffnete Buchausgedrückt ist. Denn die Hinwendung zum Buch, das die Händegeöffnet halten, meint nicht das stumme Lesen und Studieren,sondern lautes Lesen, also Vorlesen und Erklären (praelegere),31

wie es vor allem im Unterricht an der Universität geschieht undauf zahlreichen Grabmälern von Rechtsgelehrten besonders inOberitalien visualisiert ist.32 Auch auf einigen Siegeln von Rechts-gelehrten bzw. Medizinern ist so das Bildmotiv des Doctor inCathedra durch die Abbildung eines oder mehrerer Schüler bzw.Studenten ergänzt, wie beispielsweise auf dem Siegel des Cremone-ser Rechtsdoktors Riccardo Malombra, der in Padua kanonischesRecht lehrte,33 oder auf dem Siegelstempel des Magisters derMedizin, Pasquzio aus Perugia, der im Museo del Bargello auf-

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31 Zur juristischen »lectio« als lautvorgetragener s. M. Bellomo,Saggio sull’Università del dirittocomune, Catania 1979, 78–79.Zum mündlichen Charakter desUniversitätsunterrichts J. Mieth-ke, Die mittelalterlichen Universi-täten und das gesprochene Wort,in: Historische Zeitschrift CCLI(1990) 1–44; bei den studia derBettelorden: G. Severino Polica,Libro, lettura, »lezione« negliStudia degli ordini mendicanti(sec. XIII), in: Le scuole degli or-dini mendicanti (sec. XIII–XIV),Todi 1978, 305–371, 373–413;allgemein: Luoghi e metodi d’in-segnamento nell’Italia medievale(sec. XII–XIV), a cura di L. Gar-gan e O. Limone, Lecce, Galatina1989.

32 Zu den Gelehrtengrabmälern Bo-lognas s. u. a. Grandi (Fn. 27), zudenjenigen in Padua Jill EmileeCarrington, Sculpted Tombs ofthe Professors of the University ofPadua, c. 1358 – c.1557, Ann Ar-

bor, Michigan, 1997 (Mikrofiche-Ausgabe) (Dissertation SyracuseUniversity 1996). Zur Typologievon Gelehrtengrabmälern am Bei-spiel der Grabmäler in der KircheSant’Anonio in Padua s. RuthWolff, Le tombe dei dottori alSanto: considerazioni sulla lorotipologia, in: Il Santo [2. Ser.]42.2002 (2003), 277–297.

33 Venedig, Archivio di Stato, Attidiplomatici e privati, b. 11, n. 361.

Das Consilium ist von E. Besta,Riccardo Malombra, professorenello studio di Padova, consultoredi Stato in Venezia, Venezia 1894,80–82 und Abbildung auf 111editiert. Zu seinem Inhalt s. Besta,54–57. Vgl. auch Il sigillo nellastoria e nella cultura, AusstellungVenezia, Museo Correr, 6.7.–31.8.1985, Katalog hg. v. Stefa-nia Ricci, Roma 1985, Nr. 97,99.

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bewahrt und in das 14. Jahrhundert datiert wird.34 Das Bild-formular des Doctor in Cathedra, der ein aufgeschlagenes Buchin den Händen hält, ist also das Bild eines Gelehrten, der seinWissen »öffnet« und nach außen mitteilt, wie bei der Unterrichtungdes gelehrten Wissens des ius commune an die Studenten innerhalbder Universitäten, aber auch in der Vermittlung und Anwendungdieses Wissens auf Bereiche außerhalb der Universität, wie im Fallder consilia der Rechtsdoktoren. Auf Siegeln taucht das Bildfor-mular weitaus früher als auf Grabmälern auf, was von der bis-herigen Forschung noch nicht erkannt wurde.35

5. Die Beziehung von Text und Siegel-Bild

In seinen Ursprüngen ist das knappe, aber sorgsam konstru-ierte Bildformular des Doctor in cathedra also eine kongenialeVeranschaulichung des grundsätzlichen Musters des Ratgebens derRechtsdoktoren – der Vermittlung gelehrten Wissens nach außen –,das sich im Text der Urkunde, an die das Siegel angehängt ist, ineinem konkreten Fall (casus) exemplifiziert. Zugespitzt ließe sichsagen: Es ist nicht das Siegel-Bild, das den Text veranschaulicht,sondern der Text illustriert das Bild auf dem Siegel. Diese Art derText-Bild-Relation trifft auf allgemeine Weise für alle Rechtsgut-achten zu, die mit Siegeln mit dem Bild des Doctor in cathedraauthentisiert sind. Bild und Text können aber noch spezifischeraufeinander verweisen, wie es der Fall eines weiteren Rechtsgut-achtens verdeutlichen soll, dessen Siegel durch die Hinzufügungeines Details zum Bildformular des Doctor in cathedra darüberhinaus auf Vorbilder und Konnotationen dieses Bildformularsverweist. Das consilium des Boncius, decretorum doctor und Priorder Kirche San Martino in Siena, vom 17. August 1313 ist wie dasGutachten Giovanni d’Andreas in zwei Exemplaren konserviert.36

Nur eines der beiden Exemplare (Urkunde A) ist allerdings voneinem Notar, hier Meo del fu Riccio, ausgestellt und mit seinemNotariatszeichen versehen. Eine anhängende Siegelschnur verweistauf die ehemalige Besiegelung des Gutachtens. Das andere Exemp-lar (Urkunde B) ist weder durch einen Notar noch durch ein Siegelauthentisiert. Der Abdruck des Siegels von Boncius befindet sichjetzt wie die Siegelabdrücke von Giovanni d’Andreas Rechts-gutachten von 1329 in der Sammlung der »sigilli staccati« desFlorentiner Staatsarchivs.37 Im Gutachten des Juristen Boncius

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34 Florenz, Museo Nazionale delBargello, Inv. Nr. 1837, Sigilli nelMuseo Nazionale, Bd. III, Kat.Nr. 389, 165 f.

35 In der Grabmalsforschung wurdestets das Grabmal des Rolandinodei Passeggeri vor San Domenicoin Bologna als erstes Grabmal miteiner Schulszene angesehen (vgl.zuletzt Mario Fanti, La tomba diRolandino, monumento dell’ideo-logia culturale e politica bolognese

del Duecento: Giorgio Tamba[Hg.], Rolandino 1215–1300. Al-le origini del notariato moderno,Ausstellung Bologna, Museo Ci-vico Medievale 12 ottobre–17 di-cembre 2000, Milano 2002, 110–113), das 1306 fertig gestellt ge-wesen sein muss. Zeitgleich istaber auch in Treviso ein Grabmalmit einer Doctor-in-Cathedra-Sze-ne entstanden, nämlich das Grab-mal des Bonincontro de Arpo,

doctor legum, das auf dem Fried-hof des Doms vor San Giovannierrichtet war und sich jetzt imDepot des Museo di Santa Cateri-na in Treviso befindet (s. RuthWolff, Zur »Gruppe« der Ge-lehrtengrabmäler des Mittelaltersin Oberitalien, in: Creating iden-tities: die Funktion von Grabma-len und öffentlichen Denkmälernin Gruppenbildungsprozessen,hg. von Wolfgang Neumann,Kassel 2007 [Kasseler Studien zurSepulkralkultur 11], 219–230,hier 222 und Anm. 26, 229). DasGrabmal soll demnächst in einereigenen Publikation vorgestelltwerden.

36 Florenz, Staatsarchiv, DiplomaticoCamaldoli, 17.8.1313. Das Gut-achten ist von Ascheri, Analectaconsiliare, Nr. 7, 65 f. und Nr. II,80–83, ediert.

37 Florenz, Archivio di Stato, im In-ventar der »sigilli staccati« Nr. 61.

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geht es um die Gültigkeit einer Urkunde, die eine Belehnungbezeugt. Es ist ebenfalls ein consilium pro parte und wurde beiBoncius von den zwei streitenden Parteien, dem Prior der Eremitenvon Camaldoli und einem gewissen Ciapetta von Monte Aguto,angefragt.

Der gut erhaltene Abdruck des Siegels von Boncius ist imGegensatz zu den Siegelabdrücken am Gutachten Giovanni d’An-dreas nicht spitzoval, sondern rund und etwas kleiner (Bild 9).Wieder sehen wir links ein Pult in perspektivischer Verkürzung miteiner doppelten Reihe von schmalen Rundbögen und rechts eineKathedra und den in ihr thronenden Rechtsgelehrten vor einer

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Bild 9: Abdruck des Siegels des Rechtsdoktoren Bonciusvom 7.8.1313 (Florenz, Archivio di Stato, »sigilli stacca-ti«, Nr. 61)

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ansonsten leer gelassenen Bildfläche. Auch hier hält der Rechts-doktor ein aufgeschlagenes Buch in beiden Händen. Seine Bildfigurist jedoch weniger zentriert positioniert als auf den Siegelabdrü-cken des Gutachtens Giovanni d’Andreas, und die Kathedra desRechtsgelehrten und damit auch er selbst sind weniger auf denBetrachter ausgerichtet. Beides erklärt sich aus der Hinzufügungeiner Bildfigur, d. h. des Engels, der dem Doktor von links obenherabschwebend das Buch überreicht und ihn ein wenig aus derBildmitte verdrängt. Die Halbfigur des im Profil dargestelltenEngels verlangt zudem die Konzentration des ebenfalls stärker inSeitenansicht abgebildeten Juristen auf den göttlichen Boten.

Das Bild auf dem Siegel von Boncius verweist durch die Hin-zufügung des Engels auf eines der Vorbilder der Abbildungen desDoctor in Cathedra auf Siegeln, d. h. auf Darstellungen des göttlichinspirierten Schreibens oder Studierens gelehrter Heiliger oderzuerst der Evangelisten selbst. Das Siegel des Boncius ist das einzigemir bekannte Siegel eines Rechtsdoktoren mit der zusätzlichenAbbildung eines Engels. Es ist jedoch anzunehmen, das dasjenige,was auf dem Siegel des Boncius explizit veranschaulicht ist, alsodie göttliche, höhere Inspiration des Wissens der Gelehrten, aufSiegel-Bildern ohne die ergänzende Darstellung des Engels durchdas beschriebenen Bildformular des Motivs des Doctor in Cathedraimplizit mitgemeint ist. Denn im 14. Jahrhundert verändert sichumgekehrt auch die Darstellungsweise gelehrter Heiliger und zu-erst des hl. Hieronymus, der jetzt nicht mehr in seiner gestrengenZelle veranschaulicht wird, sondern in seinem Studiolo, umgebenvon Büchern. Bezeichnenderweise war es der Jurist Giovanni d’An-drea, der den Kult des hl. Hieronymus durch sein Liber de Lau-dibus s. Hieronymi stark förderte. In dem Liber de Laudibus er-zählt er, wie er eine besondere malerische Präsentationsweise desHeiligen vorgeschrieben habe: Der hl. Hieronymus solle in derKathedra thronend gemalt werden, mit dem abgesetzten Hut, derheute von Kardinälen getragen werde, sowie mit dem Löwen.38

Die explizite Veranschaulichung der göttlichen Inspiration aufdem Siegel des Doktors des kanonischen Rechts Boncius durch denEngel hat in dem Text des Rechtsgutachtens ihre Entsprechung inder wiederholten und insistierenden Anrufung des göttlichen Bei-standes. Wie viele seiner Kollegen und auch Giovanni d’Andrealeitet auch Boncius sein consilium mit der Invokation »In nomineDomini amen« ein. Im Gegensatz zu Giovanni d’Andrea wieder-

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38 »Dictavi formam, qua nunc in ca-thedra sedens pingitur cum capelloquo nunc Cardinalis utuntur, de-posito, et leonoe mansueto (…)«,zitiert nach Millard Meiss,French and Italian variations onan early fifteenth-century theme:St. Jerome and his study, in: Ga-zette des beaux-arts 62 (1963)147–170, hier 157.

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holt Boncius die Invokation nach der Präsentation des zu bera-tenden Falls und bevor er seinen Rat abgibt: »Christi nomineinvocato, consulendo et declarando dico (…).«39 Die weniger zen-trierte Abbildung des Rechtsgelehrten auf seinem Siegel spiegeltsich im Text zudem in der Bescheidenheitsformel wider, mit dersich der Gelehrte einleitend als »inter decretorum doctores mini-mus« vorstellt und die als Tonfall sein gesamtes Konsilium durch-zieht, das sich darin deutlich vom Tenor des Gutachtens Giovannid’Andreas unterscheidet.40

6. Doppelte Authentisierung

Das Gutachten des Boncius von 1313 ist in einem seiner beidenExemplare und dasjenige des Giovanni d’Andrea von 1329 in bei-den Exemplaren von einem Notar geschrieben und besiegelt.

Bereits im Jahr 1181 legte das kanonische Recht unter Beru-fung auf Papst Alexander III. (1159–1181) fest, dass die Beweis-kraft einer Urkunde vergehe, wenn ihre Zeugen gestorben seien, essei denn, sie sei von öffentlicher Hand, d. h. von einem Notargeschrieben oder mit einem authentischen Siegel versehen.41 Ausder Sicht der Rechtsgeschichte zeugt die Dekretale Alexanders III.von der frühen Bedeutung des Notariats in Italien, die in vielerleiHinsicht tatsächlich kaum überschätzt werden kann.42 Aus derSicht der internationalen Siegelkunde hingegen bedeutet die De-kretale eine Aufwertung des Siegels als Authentisierungsmittel.In Italien allerdings habe das Siegel aufgrund der frühen undstarken Präsenz des Notariats eine weitaus geringere Rolle als inden anderen europäischen Ländern gespielt. Die Untersuchungendes Projekts »Siegel-Bilder« zeigen ein anderes Ergebnis:

In der Tat ist ein Großteil der in italienischen Archiven auf-bewahrten Urkunden von Notaren geschrieben. Viele von ihnensind tatsächlich nur mittels Unterschrift und signum des Notarsauthentisiert. Dabei handelt es sich in der Mehrheit um Urkunden,die der Notar im Auftrag und im Interesse von Privatpersonenschrieb, wobei er, wie G. Tamba darstellt, eine übergeordnete Rolleeinnahm. Anders im Fall von Notaren, die in kaiserlichen undköniglichen Kanzleien oder der päpstlichen Kanzlei tätig waren, fürdie sie normative, gerichtliche, politische und administrative Ur-kunden schrieben, die man in weitesten Sinne als »öffentlich«bezeichnen kann: Hier habe der Notar eine diesen »öffentlichen«

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39 Ascheri, Analecta consiliare, 82.40 Ascheri, Analecta consiliare, 80:

In nomine Domini amen. EgoBoncius prior ecclesie sancti Mar-tini Senarum inter decretorumdoctores minimus electus et as-sumptus a venerabili patre dominoAccurso priore heremi Camaldu-lensis (…)

41 Decr.Gr. IX, II, 22,2: Corruit in-strumentum, si testes inscripti de-cesserint, nisi sigillum habeat au-thenticum, vel a notario sit con-fectum. Alexander III.: Scripta ve-ro authentica, si testes inscriptidecesserint, nisi forte per manumpublicam facta fuerint, ita, quodappareant publica, aut authenti-cum sigillum habuerint, per quodpossint probari, non videnturnobis alicuius firmitatis roburhabere.

42 Zum Notariat in Italien und v. a. inBologna s. Gianfranco Orlan-delli, Genesi dell’ »ars notarie«nel secolo XIII, in: Studi medievali3. ser. 6 (1965) 329–368; BrigideSchwarz, Das Notariat in Bo-logna im 13. Jahrhundert, Quellenund Forschungen aus italienischenArchiven und Bibliotheken 53(1973) 49–92; G. Costamagna,Notaio (diritto intermedio), in:Enciclopedia del diritto, Bd. 28,

Milano 1978, 559–565; AndreasMeyer, »Felix et inclitus nota-rius«. Studien zum italienischenNotariat vom 7. bis 13. Jahrhun-dert, Tübingen 1986 (Bibliothekdes Deutschen Historischen Insti-tuts in Rom 92); Giorgio Tamba,Una corporazione per il potere. Ilnotariato a Bologna in età comu-nale, Bologna 1998, bes. 7–171und 299–353.

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Institutionen gegenüber untergeordnete Rolle eingenommen. No-tare, die für Kommunen tätig waren, seien dagegen ein Sonderfall,da sie zumeist nur für kurze Zeit berufen wurden, wobei die»öffentliche« Rolle der Kommunen weniger klar definiert gewesensei und die Notare gleichzeitig für Privatpersonen tätig gewesenseien.43

Tamba geht nicht auf die Frage der Besiegelung von Notariats-instrumenten ein. Seine Beschreibung der über- bzw. untergeordne-ten Rolle der Notare spiegelt sich jedoch deutlich in den Urkundenund ihrer Besiegelung bzw. Nichtbesiegelung wider: »Privaturkun-den«, bei denen der Notar eine untergeordnete Rolle einnahm,bedürfen keiner zusätzlichen Authentisierung durch das Siegel.Urkunden, die vom Notar im Auftrag einer übergeordneten Instanzgeschrieben und mit seinem signum und seiner Unterschrift au-thentisiert werden, werden jedoch zusätzlich mit dem Siegel dieserInstanz authentisiert. Eines von zahlreichen Beispielen einer derar-tigen doppelten Authentisierung ist eine Urkunde vom 29.10.1311,in der Bischof Ranieri von Cremona seine Verfügungen von einemNotar »publizieren«, d. h. »in publicam formam« bringen lässt undden Notar beauftragt, das bischöfliche Siegel an der Urkunde an-zubringen, ad fidem plenarium adhibendum.44

Auch im Gutachten Giovanni d’Andreas und seiner Kollegenvom 9.5.1329 werden in der Subskription der Doktoren dieAuthentisierung durch das Siegel und den Notar nebeneinandergenannt: »So sagen und beraten wir vier Doktoren, indem wirunsere Siegel an dieses Gutachten anbringen lassen und auch denNotar Johannes de Benvenuti de Belvisio beauftragen, aus diesemGutachten ein öffentliche Urkunde anzufertigen«.45 Im Gutachtendes Boncius vom 17.8.1313 bestätigt der Notar Meus am Ende derUrkunde, dass er beim Vortrag des Gutachtens zugegen gewesensei, seinen Text im Auftrag des oben genannten dominus Bonciusgeschrieben, in eine öffentliche Form gebracht und vor den zuvorgenannten Zeugen und dem Herrn Prior dessen Siegel mit einerSeidenschnur der Urkunde »eingefügt« habe.46 Die beiden in derDekretale Alexanders III. genannten Möglichkeiten der Authenti-sierung – durch den Notar und durch das Siegel – wurden in deritalienischen Siegelpraxis also nicht als einander ausschließendeAlternativen verstanden, sondern häufig simultan und zur wechsel-seitigen Verstärkung verwendet. Siegel und notarielle Abfassungauthentisieren die Rechtsgutachten.

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43 Tamba, Una corporazione per ilpotere, 173 f.

44 Perugia, Archivio di Stato, Cor-porazioni religiose soppresse, SanFrancesco al Prato, perg. N. 59.Die Verfügung zur publicatio lau-tet als ganze: »In quorum omniumtestimonium predictus venerabilispater publicari mandavit per Ildi-brandinum notarium infrascrip-tum et, ad fidem plenariam adhi-bendam, sui sigilli appensione

muniri.« Das Siegel der Urkundeist verloren. Die Urkunde ist pub-liziert in: Francesco d’Assisi,Documenti e Archivi. Codici eBiblioteche. Miniature, Milano1982, 31 und Kat. Nr. 17, 35.

45 Ita nos predicti quatuor doctoresdicimus et consulimus huic con-scilio (sic) nostra facientes apponisigilla ac etiam mandantes JohanniBenvenuti de Belviso notario ut de

ipso consilio publicum conficiatinstrumentum.

46 Ego Meus olim Riccii notarius prolacioni diciti consilii interfui et demandato supradicti domini Bonciiprefatum consilium et suprascrip-ta omnia scripsi et in publicamformam redegi sub anno indictio-ne die et loco et coram testibussuprascriptis et de ipsius dominiprioris mandato sigillum suumcum curdella siria huic instrumen-tum inserui.

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7. Authentizität und Autorität

Das Siegel, das Glauben gegenüber Dritten erzeugt, muss lautder Dekretale Alexanders III. ein authentisches Siegel sein. Maria-no Welber, dem wir die einzige Untersuchung zu Siegeln im west-lichen Europa und ihrer Stellung im Recht verdanken, die alsdritter Band von Giacomo Bascapès »Sigillografia« erschien, be-tont zu Recht, dass das sigillum authenticum eine Invention deskanonischen Rechts sei, dessen ideologischer Hintergrund dasSiegel nicht zufällig und nahezu ausschließlich als Stempel desGöttlichen begreife.47 In der Dekretale Alexanders III wird eszum ersten Mal erwähnt, wobei nicht näher bestimmt wird, welcheSiegel als authentisch anzusehen seien. Folgerichtig divergierenauch Glossen und Kommentare in der Bestimmung des authenti-schen Siegels, die u. a. dem jeweils geltenden Gewohnheitsrechtüberlassen wird. Auflistungen, welche Siegel als authentisch anzu-sehen seien, differieren daher voneinander je nach den kulturellenund rechtlichen Voraussetzungen ihres Entstehungsortes. Das Spe-culum iudiciale des Guillelmus Durantis, das u. a. aufgrund derSchulung seines Verfassers an der Bologneser Universität demItalien des gelehrten Rechts zugeordnet werden kann und bekann-termaßen von Giovanni d’Andrea und Baldo degli Ubaldi ergänztwurde,48 fasst die Problematik des authentischen Siegels folgender-maßen zusammen: »Die römische Kurie ist gehalten, einem Siegelnicht zu glauben, außer wenn es authentisch ist (…) Daher sind dieSiegel von Erzbischöfen, ihren Amtsträgern, die von Fürsten sowievon exemten Äbten und die von Notaren, die die Gerichtsbarkeithaben, glaubwürdig in fremden Geschäften, nicht aber die anderer,niederer Äbte, ebenso wenig wie die von Dekanen oder Archidia-konen, es sei denn, diese ständen ihrer Gerichtsbarkeit voran. (…)Die Siegel von Bischöfen sind (…) glaubwürdig, die Siegel vonAmtsträgern unterhalb der Bischöfe hingegen nicht (…). Und auchdann genießen sie Glauben, wenn die Gewohnheit so ist, dass ihrenSiegeln Glaubwürdigkeit geschenkt wird. Was sie außerhalb desGerichts bewirken, und inwieweit ihnen geglaubt wird, nämlich nurbis zu einem gewissen Grad, und zwischen welchen Personen ihnenGlaubwürdigkeit zukommt, wird gemäß derjenigen Gewohnheitfestgelegt, die die Siegel authentisch macht.«49

Giovanni d’Andrea oder Baldo degli Ubaldi glossieren dieconsuetudo loci in ihren Ergänzungen des Speculum iudiciale und

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47 Mariano Welber, I sigilli nellastoria del diritto medievale italia-no, Milano 1984 (Bd. III von Si-gillograpfia. Il sigillo nella diplo-matica, nel diritto, nella storia,nell’arte, Bd. I: Sigillografia gene-rale: i sigilli pubblici e quelli pri-vati, Milano 1969, Bd. II: Sigillo-grafia ecclesiastica, Milano 1978),hier 184 ff.

48 Zur Verbreitung des Speculum iu-diciale im universitären Bereichund seinen zahlreichen Editionens. Vincenzo Colli, Lo Speculumiudiciale di Guillaume Durand:codice d’autore ed edizione uni-versitaria, in: Juristische Buchpro-duktion im Mittelalter, hg. v.V. Colli, (Studien zur europä-ischen Rechtsgeschichte 155),Frankfurt am Main (Klostermann)2002, 517–566.

49 Guillaume Durant, Speculumiudiciale illustratum et repurga-tum a Giovanni Andrea et Baldodegli Ubaldi I 2, Bd. 1, Basel 1574(Neudruck Aalen 1975), 623–629, bes. 626: »De probationibus:(…) Curia Romana tenet, quodnon creditur sigillo, nisi sit au-thenticum (…) Unde sigilla ar-chiepiscoporum, officialium

suorum, et principum, et abbatumexemptorum, et notariorum, iu-risdictionem habentium, faciuntfidem in alienis negotiis, non au-tem aliorum abbatum inferiorum,vel decanorum, vel archidiacono-rum, licet praesint iurisdictioni,nisi in his, quae sunt suae iuris-dictionis; tunc enim cuilibet ordi-nario vel delegato creditur (…)Sigilla episcoporum, et supra, fa-ciunt fidem; inferiorum vero epis-

coporum non, nisi ut iam dictumest; et nisi consuetudo hoc habeat,quod eorum sigiliis credatur, dehis, quae extra iudicium fiunt, etquantum eis credatur, pura usquead certam summam, et inter quaspersonas, statur enim in hoc con-suetudini, quae facit sigilla authen-tica (…).« Vgl. auch M. Welber,Sigilli nella storia del diritto, 221 f.zur Interpretation des sigillum au-thenticum durch Durandus 221 f.

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erläutern, dass beispielsweise in Venedig öffentliche Urkunden(instrumenta) immer noch von Geistlichen (und nicht von Notaren)geschrieben würden. In vielen Gegenden genieße dieses oder jenesSiegel, diese oder jene Unterschrift und dieser oder jener Stempeloder Abdruck Glaubwürdigkeit. Manchmal werde daher eineeigentlich private Urkunde auch als öffentliche Urkunde bezeich-net. Eine solche Urkunde weise nur einen geringen Defekt auf,wenn die Person, die sie geschrieben habe, von großem Ansehenund großer Glaubwürdigkeit (magnae opinionis et fidei), aber keinNotar sei.50

Hier wird deutlich, wie groß der Spielraum ist, den das Rechtder consuetudo zuerkennt: Einerseits sind es bestimmte Formen derBeglaubigung, wie z. B. bestimmte Siegel, die sich in lang anhal-tender Tradition durchgesetzt haben, und andererseits ist es dieAutorität und Anerkanntheit der Person oder Institution, von derdie Urkunde ausgeht, die über die öffentliche Glaubwürdigkeit vonUrkunden entscheidet. Auch im Dekretalenrecht wird die Authen-tizität des Siegels wechselweise auf die honestas des Siegelführersoder den Bekanntheitsgrad und die Integrität des Siegels bezo-gen.51 Giovanni d’Andrea sind die entsprechenden Textstellen gutbekannt und er erläutert sie in seinem um 1338 publiziertenDekretalenkommentar, der Novella Decretalium.52

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Rechtsgelehrte wieGiovanni d’Andrea und viele seiner Kollegen sich selbst als perso-nae magnae opinionis einschätzten und tatsächlich ein ungewöhn-lich hohes Sozialprestige genossen.53 Nach I. Baumgärtner war esgerade der »intensive Praxisbezug zur Zeit der Kommentatorenoder Konsiliatoren« in der Jurisprudenz, der zu einem »regelrech-ten Aufstieg eines sich etablierenden Standes« und einer »allmäh-lichen Angleichung an den Adel« geführt habe. Der »nobilitas exgenere«, d. h. dem Geblütsrecht des Adels, sei so neben dem Standder Geistlichkeit die »nobilitas propter scientiam« der Gelehrtenunter Vorherrschaft der Legisten gegenüber gestanden.54 Dass ihreSiegel sogar dann als authentische Siegel anerkannt wurden, wenndas Rechtsgutachten nicht von einem Notar geschrieben, sondernnur besiegelt war, zeigt ein Gutachten des Doktors der RechteRiccardo Malombra aus Cremona von 1310/11.55 Es bezieht sichauf Forderungen Kaiser Heinrichs VII. an die Republik Venedignach zu zahlenden Tributen. Malombra entwickelt und bestätigt inseinem Gutachten die unwiderrufbare Gültigkeit der Stadtgesetz-

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50 Speculi carissimi viri GuilelmiDurandi pars secunda …, 117 r,zit. Nach Welber, 193, Anm.188: »Unde Venetiis statur instru-mentis scriptis per sacerdotes. Inmultis partibus, facit fidem certumsigillum, certa subscriptio, certastampa, vel formae impressio. (…)Per praedicta instrumentum pri-vatum dicitur etiam publicum,omnino vero privatum, quod nul-lum supplementum habet de

praedictis. Quandoque patitur de-fectum modicum, scilicet quandopersona scribens est magnae opi-nionis, et fidei, sed non est tabel-lio: et habet eius scriptura omnia,quae requiruntur in publico.«

51 Zur honestas des Siegelführers s.z. B. die Dekretale Innozenz III. anBischof von St. Andrews und denAbt von Broch (Dekretalen Capi-tel 9, X, II, 22): »Super tertio veroarticulo taliter respondemus, quod

inquiratis diligentius veritatem, et,si consuetudo illius patriae obtinetapprobata, ut instrumentis illiusregis fides adhibeatur in talibus,vos ea secure poteritis admittere,praesertim quum supradictus rextantae fuerit honestatis, quod ip-sius instrumenta maximae aucto-ritatis sint in partibus Scoticanis.«Zu den sigilla ignota s. die Dekre-tale Innozenz III. an den Erzbi-schof von Canterbury (DekretalenCapitel VII, X, II, 22).

52 Die relevanten Textstellen findensich vor allem in Giovannis Kom-mentar zu De fide instrumentorumund De probationibus, s. IoannesAndreae Bononiensis In secun-dum Decretalium librum Com-mentaria (quae Novellas appella-vit) Acutissima, Venetiis 1581(Anast. Neudruck Würzburg1993), De probationibus, 109 ff.und De fide instrumentorum,162 ff. Die abschließende Auswer-tung der Untersuchung von Gio-vanni d’Andreas Kommentarenund derjenigen seiner Kollegen zusiegelrelevanten Stellen soll in ei-ner größeren Publikation vorge-stellt werden. Zur Entstehungszeitund Publikation der Novella s.F. Gillmann, Zur Frage der Ab-fassungszeit der Novella des Io-hannes Andreae, in: Archiv fürkatholisches Kirchenrecht 104(1924) 261–275 und 264–268.

53 Gabriel Le Bras, Velut splendorfirmamenti: le docteur dans ledroit de l’Eglise médiévale, in:Mélanges Etienne Gilson, Etudesde Philosophie médiévale, Paris1959, 373 ff.; Ingrid Baumgärt-ner, »De privilegiis doctorum«.Über Gelehrtenstand und Doktor-würde im späten Mittelalter, in:Historisches Jahrbuch, 106 (1986)298–332 und Giorgio Borelli,»Doctor an miles«: aspettidell’ideologia nobiliare nell’operadel giurista Cristoforo Lanfran-chini, in: Nuova Rivista Storica,anno LXXIII, Gennaio-Aprile1989, 151–168.

54 Baumgärtner, »De privilegiisdoctorum«, hier besonders 299–302.

55 S. Fn. 33.

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gebung Venedigs auch gegenüber einer höheren Autorität wie derkaiserlichen. An das consilium ist der bereits erwähnte spitzovaleWachsabdruck seines Siegels angehängt mit dem Motiv des Doctorin Cathedra in dem hier analysierten Bildformular, das durch zweiin kleinerem Figurenmaßstab abgebildete Studenten ergänzt ist.Wie aus der Korrobationsformel hervorgeht, ist das consiliumnicht von einem Notar geschrieben, sondern von Malombra selbstund allein mit dem Siegel Malombras bekräftigt.56

Sowohl der Anspruch der Siegel von Rechtsgelehrten aufAuthentizität als auch ihre Rezeption als sigilla authentica tretenjedoch am deutlichsten anhand des Siegel-Bildes zu Tage. Denn dieüberragende Mehrheit der Siegel von Rechtsgelehrten veranschau-lichen das Motiv des Doctor in Cathedra und damit ein Bild desSiegelführers selbst. Siegel mit dem Bild des Siegelführers werdenin der Sphragistik als »Repräsentationsmittel von hohem Rang«eingestuft,57 das nur hochrangigen Personen vorbehalten war. Sopräsentieren sich Könige und Kaiser seit Kaiser Otto III. und denJahren 997/98 bis zu Kaiser Karl V. mit dem Bild des frontalthronenden Herrschers.58 Der Herrscherstand repräsentierte sichdagegen mit dem Bild des Reiters auf dem Pferd, in Frankreichbereits seit dem 11. Jahrhundert, mit einer Blütezeit im 13. biszum Ausklang im 16. Jahrhundert.59 Bischöfe haben sich wieGelehrte nicht nur, doch vorwiegend mit einem Bild ihrer selbstauf Siegeln veranschaulichen lassen. M. Groten hat z. B. das »Auf-kommen der bischöflichen Thronsiegel im Deutschen Reich« unter-sucht, die sich in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegenüberdem Brustbild der Bischöfe aus politischen Motiven durchsetz-ten.60 In anderen Ländern, wie Frankreich und England, spielte dasThronbildsiegel bei Bischöfen keine Rolle, sondern hier war dasBild des stehenden und segnenden Bischofs dominant,61 ebensowohl auch in Italien, über dessen Bischofssiegel keine eigenständi-gen Untersuchungen vorliegen.

Rechtsgelehrte stellen sich mit ihrem Siegel-Bild also auf glei-che Ebene mit weltlichen und geistlichen Herrschern. Dies gelingtnur, weil sich viele Rechtsgelehrte verschiedener Orte und übereinen langen Zeitraum diesem gemeinsamen Siegel-Bild unterord-nen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Bildmotivs, sondernvor allem in Bezug auf das Bildformular, das sich als ein sehrsorgfältig konstruiertes erwiesen hat. Seine Stärke liegt darin, dasses sich nicht auf die immergleiche Wiedergabe von »Attributen«

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Autorität und Authentizität

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56 »Et prout superius sigilatim scrip-tum est, consilium est mei Rizardipredicti, manu quidem mea scrip-tum meique sigilli munim(in)e ro-boratum«, zit. nach Besta, Ricar-do Malombra, 82.

57 Toni Diederich, Prolegomena zueiner neuen Siegeltypologie, in:Archiv für Diplomatik 29 (1983)242–284, hier 267.

58 Erich Kittel, Siegel, Braun-schweig 1970, 210 ff.

59 Kittel, Siegel, 250 ff.60 Manfred Groten, Das Auf-

kommen der bischöflichen Bi-schofssiegel im deutschen Reich,in: Historisches Jahrbuch 100(1980) 163–197. Zu französi-schen Bischofssiegeln s. Robert-Henri Bautier, Apparition, dif-fusion et évolution typologique dusceau épiscopale au Moyen Age,in: Die Diplomatik der Bischofs-urkunde vor 1250: La diploma-

tique épiscopale avant 1250;Referate zum VIII. InternationalenKongress für Diplomatik, Inns-bruck, 27. September – 3. Oktober1993, hg. von Christoph Hai-dacher und Werner Köfler,Innsbruck 1995, 269–280.

61 W. H. St. John Hope, Seals ofEnglish Bishops, in: Proceedings ofthe Society of Antiquaries of Lon-don, 2nd. Ser. 11, 271–306.

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wie Kathedra, Pult und Buch beschränkt, sondern den Rechtsge-lehrten in einer Körperhaltung visualisiert, die sein Bild auf Siegelnauf den ersten Blick von Bildern anderer hochrangiger Siegelführerunterscheidbar macht, also von dem Bild des frontalen Thronensder Kaiser und Könige oder des hieratischen Stehens der Bischöfe.Trotz des sehr kleinen Bildformats wird die Wiedererkennbarkeitnicht durch eine abstrahierende und summarische, sondern viel-mehr durch eine verfeinerte Bildsprache erreicht, wobei die Plasti-zität von Siegelstempel und Siegelabdruck, das Hervortreten undZurückliegen einzelner Bildpartien und der Wechsel von Licht undSchatten eine bedeutende Rolle spielt. Denn erst durch die ge-steigert formulierte räumliche Darstellung des Gelehrten in leichterKörperdrehung werden einzelne Bildelemente stärker hervorgeho-ben, andere mehr zurückgesetzt, und das Bildformular kann auchaus größerem Abstand klarer als eigenständiger Bildtypus wahr-genommen werden. Dadurch und durch die insistierende Wieder-holung des Bildtypus auf Siegeln vieler Rechtsgelehrter werdendiese zu sigilla nota, denen Glaubwürdigkeit geschenkt wird.

Siegel von Rechtsgelehrten erweisen sich so als anschaulichesBeispiel für die Genese eines authentischen Siegel-Bildes, das sichdurch ortsübergreifende und lang anhaltende consuetudo zu be-haupten vermag und in engem Zusammenhang mit den consilia derRechtsgelehrten entsteht.

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