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Redlichkeit in der Wissenschaft Vor zehn Jahren hat die Deut- sche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Denkschrift zur Siche- rung der guten wissenschaftlichen Praxis herausgegeben. Wie steht es heute um die Redlichkeit in der Wissenschaft? „Natürlich arbeiten wir alle nach den Regeln der guten wissen- schaftlichen Praxis“ …, aber wel- che Regeln sind denn gemeint? Wer kennt denn die Richtlinien seiner wissenschaftlichen Einrich- tung zur guten wissenschaftlichen Praxis? – Viele sagen: „Das weiß man doch auch so!“ Aber was weiß man denn? Zur Umsetzung der guten wis- senschaftlichen Praxis haben die DFG und alle wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland Ombudspersonen eingesetzt, an die sich Wissenschaftler bei Fra- gen zur guten wissenschaftlichen Praxis wenden können. Der Alltag einer Ombudsperson zeigt deutlich, wo die Probleme in der Wissenschaft liegen. Das fängt an bei der einfachen Frage nach der Aufbewahrung von Primär- daten. Wer hat alle in seinem In- stitut erarbeiteten Daten aus den letzten zehn Jahren aufbewahrt? Es geht weiter mit der Frage: Wie viel darf man aus anderen Arbei- ten übernehmen? Viele junge Wis- senschaftler haben nie wirklich gelernt, richtig zu zitieren, und was ein Plagiat ist. Und dass man auch nicht aus seiner eigenen Di- plomarbeit abschreiben darf, ohne explizit darauf zu verweisen. Wie steht es mit dem geistigen Eigen- tum, wer darf die pfiffige Idee eines Doktoranden umsetzen? Die Frage der Autorschaft scheint zunächst jedem klar – doch die meisten Probleme entstehen durch Autorschaftsfragen. Wann ist ein Diplomand oder eine Doktorandin Koautor, wann Erstautor? Was ist ein Seniorautor und wann wird die- ser zum Ehrenautor? Es gibt immer wieder junge Wissenschaftler, die nicht wissen, welche Rechte und Pflichten mit der Autorschaft auf ei- ner wissenschaftlichen Publikation verbunden sind, und leider gibt es auch immer noch Institutsdirekto- ren, welche die Letztautorschaft für sich in Anspruch nehmen, ohne an den Arbeiten beteiligt gewesen zu sein. Eine solche Ehrenautorschaft schließt die Denkschrift der DFG ausdrücklich aus. Noch mehr Probleme können sich bei der Beteiligung von Nach- wuchswissenschaftlern an Patenten ergeben. Wie ehrlich sind wir als Wissen- schaftler uns selbst gegenüber? Sind wir nicht aus Enthusiasmus oder unter Erfolgsdruck manchmal verleitet, ein Ergebnis unserer Hy- pothese anzupassen, anstatt es kri- tisch zu hinterfragen? Wie leicht lassen sich mit dem Computer Bil- der verschönern oder Kurven glät- ten – und wie redlich ist das? Die Kommission, welche die Denkschrift erarbeitet hat, stellte bewusst den Begriff der wissen- schaftlichen Redlichkeit in den Vordergrund und nicht den der Fälschung. Denn Fälschungen wie im Falle des koreanischen Stamm- zellenforschers Hwang Woo-suk sind sehr viel seltener als Unred- lichkeiten. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie gut und offen die Kommunikation in Instituten und Arbeitsgruppen ist. Nehmen wir als Professoren unsere Leitungs- aufgaben ausreichend wahr, um neben der Aufsicht und Ausbil- dung auch Qualitätssicherung und Konfliktlösung zu gewährleisten? Fördern wir wirklich immer das wechselseitige Vertrauen und die gegenseitige Anerkennung? Die Ombudsarbeit gibt ausrei- chend Einblick in das Wissen- schaftssystem, um zu zeigen, dass viele Probleme durch fehlende Absprachen zur Autorschaft oder Mangel an konstruktiv-kritischer Diskussion von unerwarteten Ergebnissen und Fehlern oder über mögliche Interessenkonflikte entstehen. Wo stehen wir heute in Bezug auf die DFG-Denkschrift (zu finden in der Rubrik „Übersichten ...“ auf www.dfg.de)? Das Ombudssystem ist im Wissenschaftssystem noch nicht ausreichend akzeptiert, und es gibt in Deutschland noch keine konsequente Ausbildung zur guten wissenschaftlichen Praxis. Es gibt also noch viel zu tun, und ich den- ke, es lohnt sich. Prof. Ulrike Beisiegel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Sprecherin des Ombudsgremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Wie ehrlich sind wir als Wissenschaftler uns selbst gegenüber?“ 399 Leitartikel Nachrichten aus der Chemie | 56 | April 2008 | www.gdch.de/nachrichten

Redlichkeit in der Wissenschaft

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Redlichkeit in der Wissenschaft

Vor zehn Jahren hat die Deut-sche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Denkschrift zur Siche-rung der guten wissenschaftlichen Praxis herausgegeben. Wie steht es heute um die Redlichkeit in der Wissenschaft?

„Natürlich arbeiten wir alle nach den Regeln der guten wissen-schaftlichen Praxis“ …, aber wel-che Regeln sind denn gemeint? Wer kennt denn die Richtlinien seiner wissenschaftlichen Einrich-tung zur guten wissenschaftlichen Praxis? – Viele sagen: „Das weiß man doch auch so!“

Aber was weiß man denn? Zur Umsetzung der guten wis-

senschaftlichen Praxis haben die DFG und alle wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland Ombudspersonen eingesetzt, an die sich Wissenschaftler bei Fra-gen zur guten wissenschaftlichen Praxis wenden können.

Der Alltag einer Ombudsperson zeigt deutlich, wo die Probleme in der Wissenschaft liegen. Das fängt an bei der einfachen Frage nach der Aufbewahrung von Primär-daten. Wer hat alle in seinem In-stitut erarbeiteten Daten aus den letzten zehn Jahren aufbewahrt? Es geht weiter mit der Frage: Wie viel darf man aus anderen Arbei-

ten übernehmen? Viele junge Wis-senschaftler haben nie wirklich gelernt, richtig zu zitieren, und was ein Plagiat ist. Und dass man auch nicht aus seiner eigenen Di-plomarbeit abschreiben darf, ohne explizit darauf zu verweisen. Wie steht es mit dem geistigen Eigen-tum, wer darf die pfiffige Idee eines Doktoranden umsetzen?

Die Frage der Autorschaft scheint zunächst jedem klar – doch die meisten Probleme entstehen durch Autorschaftsfragen. Wann ist ein Diplomand oder eine Doktorandin Koautor, wann Erstautor? Was ist ein Seniorautor und wann wird die-ser zum Ehrenautor? Es gibt immer

wieder junge Wissenschaftler, die nicht wissen, welche Rechte und Pflichten mit der Autorschaft auf ei-ner wissenschaftlichen Publikation verbunden sind, und leider gibt es auch immer noch Institutsdirekto-ren, welche die Letztautorschaft für sich in Anspruch nehmen, ohne an den Arbeiten beteiligt gewesen zu sein. Eine solche Ehrenautorschaft schließt die Denkschrift der DFG ausdrücklich aus.

Noch mehr Probleme können sich bei der Beteiligung von Nach-wuchswissenschaftlern an Patenten ergeben.

Wie ehrlich sind wir als Wissen-schaftler uns selbst gegenüber? Sind wir nicht aus Enthusiasmus oder unter Erfolgsdruck manchmal verleitet, ein Ergebnis unserer Hy-pothese anzupassen, anstatt es kri-tisch zu hinterfragen? Wie leicht lassen sich mit dem Computer Bil-der verschönern oder Kurven glät-ten – und wie redlich ist das?

Die Kommission, welche die Denkschrift erarbeitet hat, stellte bewusst den Begriff der wissen-schaftlichen Redlichkeit in den Vordergrund und nicht den der Fälschung. Denn Fälschungen wie im Falle des koreanischen Stamm-zellenforschers Hwang Woo-suk sind sehr viel seltener als Unred-lichkeiten.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie gut und offen die Kommunikation in Instituten und Arbeitsgruppen ist. Nehmen wir als Professoren unsere Leitungs-aufgaben ausreichend wahr, um neben der Aufsicht und Ausbil-dung auch Qualitätssicherung und Konfliktlösung zu gewährleisten? Fördern wir wirklich immer das wechselseitige Vertrauen und die gegenseitige Anerkennung?

Die Ombudsarbeit gibt ausrei-chend Einblick in das Wissen-schaftssystem, um zu zeigen, dass viele Probleme durch fehlende Absprachen zur Autorschaft oder Mangel an konstruktiv-kritischer Diskussion von unerwarteten Ergebnissen und Fehlern oder über mögliche Interessenkonflikte entstehen.

Wo stehen wir heute in Bezug auf die DFG-Denkschrift (zu finden in der Rubrik „Übersichten ...“ auf www.dfg.de)? Das Ombudssystem ist im Wissenschaftssystem noch nicht ausreichend akzeptiert, und es gibt in Deutschland noch keine konsequente Ausbildung zur guten wissenschaftlichen Praxis. Es gibt also noch viel zu tun, und ich den-ke, es lohnt sich.

Prof. Ulrike Beisiegel,

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf,

Sprecherin des Ombudsgremiums der

Deutschen Forschungsgemeinschaft

„Wie ehrlich sind wir als

Wissenschaftler uns selbst

gegenüber?“

399�Leitartikel�

Nachrichten aus der Chemie | 56 | April 2008 | www.gdch.de/nachrichten