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FUEV-Kongress 2012 Moskau RESÜMEE SCHWERPUNKT SPRACHE [auf der Grundlage der Notizen, mit der Audioaufnahme abgeglichen, redaktionell bearbeitet] Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, wie die letzten Stunden gezeigt haben, ist nicht nur die Minderheiten- und Sprachensituation in der Russischen Föderation kompliziert – Dagestan wurde uns als ein extremes Beispiel dafür präsentiert –, sondern auch das Thema Sprache und Sprachenrechte selbst ist äußerst komplex. Wir haben sehr viele Informationen und Anregungen bekommen, wurden auf viele Schwierigkeiten hingewiesen, auf gute und schlechte Beispiele – ich möchte nun versuchen, eine kurze Zusammenfassung zu wagen, eine grobe Linie zu zeichnen; bitte sehen Sie es mir nach, wenn dies teilweise subjektiv bleiben muss. Mehrmals wurde deutlich, dass von Minderheiten einmal erlangte Rechte beständig erhalten, verteidigt werden müssen, und dass es daher erforderlich ist, permanent politischen Druck zu erzeugen. Wir sagen in Deutschland: von nichts kommt nichts. Das heißt: ohne den massiven Einsatz der Betroffenen, jeweils mit den Möglichkeiten, die die Minderheit hat – und die sind sehr unterschiedlich, abhängig davon, wie die Machtverhältnisse sind, wie repressiv die Macht auftritt, welche rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten vorhanden sind – geht es nicht. Die Minderheiten müssen, im Idealfall mit Unterstützung internationaler Organisationen, möglichst großen Druck aufbauen, das gilt eigentlich für alle Minderheitenrechte. Es hat sich gezeigt, wie eng Sprachenrechte, praktische Sprachförderung und die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen miteinander verknüpft sind. Sprachförderung kostet Geld, das ist aber fast immer und überall knapp oder wird ungern gegeben, wie wir heute schon mehrmals gehört haben; und es braucht den politischen Willen zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen – also sind wir wieder beim Thema “Druck erzeugen”: Weder Geld noch politischen Willen bekommt man als Minderheit ohne Druck. Es wurde ebenso auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Minderheiten selbst ihre Identität und ihre Sprache erhalten wollen. Wir haben mehrere Fälle in Europa, wo dies nicht sehr stark ausgeprägt ist. Wenn die Eltern nicht mitziehen, wenn die Eltern ihren Kindern die Sprache nicht zuhause beibringen, wenn sie sich nicht für sprachliche Erziehung in den Kindergärten und Grundschulen einsetzen, wenn sie die Kinder nicht in den entsprechenden Schulen anmelden, wenn sie z.B. in Fällen, wo es kaum noch Muttersprachler gibt, nicht auch bei der Spracherziehung in den Bildungseinrichtungen helfen – dann wird es sehr schwierig. Ohne die Eltern geht es nicht. Darüber hinaus brauchen wir konkrete Gesetzgebung: in Bezug auf die Sprachencharta in der Russischen Föderation haben wir verstanden: es geht nicht darum, ob die Charta ratifiziert wird – dazu hat sich Russland verpflichtet – es geht nur darum, wie und wann dies geschieht; womit wir wieder beim politischen Druck sind, diesmal hier in der Russischen Föderation. Es war die Rede davon, dass wir gegenüber Minderheitensituationen ein Trägheitsmoment auf Seiten der Regierungen haben. Wir müssen also dafür sorgen, dass diese Trägheit abgebaut wird, dass unsere Probleme gesehen und diskutiert werden. Wir müssen deshalb als FUEV versuchen, schlagkräftiger zu werden. Das geplante Kompetenzzentrum wurde bereits angesprochen. Vieles von dem, was hier gefordert oder angeregt wurde, völlig zu Recht, ist auch schon in den vergangenen Jahren in den Workshops “Quo Vadis FUEV” gefordert oder angeregt worden: best practices zum Beispiel, gut lesbare und verständliche Übersichten über vorhandene Rechte, Hilfestellung bei der Einforderung und Umsetzung der Rechte – wir wissen das, wir haben aber im Moment nur geringe

Resümee FUEN Schwerpunkt Sprache - Hauke Bartels

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FUEN Kongress 2012 in Moskau

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FUEV-Kongress 2012 Moskau RESÜMEE SCHWERPUNKT SPRACHE [auf der Grundlage der Notizen, mit der Audioaufnahme abgeglichen, redaktionell bearbeitet] Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde, wie die letzten Stunden gezeigt haben, ist nicht nur die Minderheiten- und Sprachensituation in der Russischen Föderation kompliziert – Dagestan wurde uns als ein extremes Beispiel dafür präsentiert –, sondern auch das Thema Sprache und Sprachenrechte selbst ist äußerst komplex. Wir haben sehr viele Informationen und Anregungen bekommen, wurden auf viele Schwierigkeiten hingewiesen, auf gute und schlechte Beispiele – ich möchte nun versuchen, eine kurze Zusammenfassung zu wagen, eine grobe Linie zu zeichnen; bitte sehen Sie es mir nach, wenn dies teilweise subjektiv bleiben muss.

Mehrmals wurde deutlich, dass von Minderheiten einmal erlangte Rechte beständig erhalten, verteidigt werden müssen, und dass es daher erforderlich ist, permanent politischen Druck zu erzeugen. Wir sagen in Deutschland: von nichts kommt nichts. Das heißt: ohne den massiven Einsatz der Betroffenen, jeweils mit den Möglichkeiten, die die Minderheit hat – und die sind sehr unterschiedlich, abhängig davon, wie die Machtverhältnisse sind, wie repressiv die Macht auftritt, welche rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten vorhanden sind – geht es nicht. Die Minderheiten müssen, im Idealfall mit Unterstützung internationaler Organisationen, möglichst großen Druck aufbauen, das gilt eigentlich für alle Minderheitenrechte.

Es hat sich gezeigt, wie eng Sprachenrechte, praktische Sprachförderung und die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen miteinander verknüpft sind. Sprachförderung kostet Geld, das ist aber fast immer und überall knapp oder wird ungern gegeben, wie wir heute schon mehrmals gehört haben; und es braucht den politischen Willen zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen – also sind wir wieder beim Thema “Druck erzeugen”: Weder Geld noch politischen Willen bekommt man als Minderheit ohne Druck.

Es wurde ebenso auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Minderheiten selbst ihre Identität und ihre Sprache erhalten wollen. Wir haben mehrere Fälle in Europa, wo dies nicht sehr stark ausgeprägt ist. Wenn die Eltern nicht mitziehen, wenn die Eltern ihren Kindern die Sprache nicht zuhause beibringen, wenn sie sich nicht für sprachliche Erziehung in den Kindergärten und Grundschulen einsetzen, wenn sie die Kinder nicht in den entsprechenden Schulen anmelden, wenn sie z.B. in Fällen, wo es kaum noch Muttersprachler gibt, nicht auch bei der Spracherziehung in den Bildungseinrichtungen helfen – dann wird es sehr schwierig. Ohne die Eltern geht es nicht.

Darüber hinaus brauchen wir konkrete Gesetzgebung: in Bezug auf die Sprachencharta in der Russischen Föderation haben wir verstanden: es geht nicht darum, ob die Charta ratifiziert wird – dazu hat sich Russland verpflichtet – es geht nur darum, wie und wann dies geschieht; womit wir wieder beim politischen Druck sind, diesmal hier in der Russischen Föderation.

Es war die Rede davon, dass wir gegenüber Minderheitensituationen ein Trägheitsmoment auf Seiten der Regierungen haben. Wir müssen also dafür sorgen, dass diese Trägheit abgebaut wird, dass unsere Probleme gesehen und diskutiert werden.

Wir müssen deshalb als FUEV versuchen, schlagkräftiger zu werden. Das geplante Kompetenzzentrum wurde bereits angesprochen. Vieles von dem, was hier gefordert oder angeregt wurde, völlig zu Recht, ist auch schon in den vergangenen Jahren in den Workshops “Quo Vadis FUEV” gefordert oder angeregt worden: best practices zum Beispiel, gut lesbare und verständliche Übersichten über vorhandene Rechte, Hilfestellung bei der Einforderung und Umsetzung der Rechte – wir wissen das, wir haben aber im Moment nur geringe

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Möglichkeiten, all dies zu realisieren. Das Kompetenzzentrum soll genau hier Abhilfe schaffen. Auch das Netzwerk RML2future war schon ein wichtiger Schritt in diese Richtung und hat eine ganze Menge Ergebnisse geliefert. Es geht jetzt darum, diese Ergebnisse allen verfügbar zu machen und zu vermeiden, dass sie in Schubladen verschwinden. Denn dazu haben sich zu viele Menschen zu lange Gedanken gemacht. Wichtig sind ja auch ganz praktischen Dinge: Dmitrij Funk hat in seinem Vortrag auf eine Initiative hingewiesen zur Ausarbeitung von Sprachkorpora mit Audiodateien, Wörterbüchern usw. – das machen andere auch, auch an dem Institut, wo ich arbeite, wir so etwas gemacht, Sprachdokumentation, didaktische Hilfmittel werden ausgearbeitet. Auch das soll ein Element des Kompetenzzentrums sein: bestimmet Musterbeispiele, Techniken, die mit einfachen Mitteln und wenig Geld funktionieren, zur Verfügung zu stellen und Beratung bei der Umsetzung zu geben.

Die Äußerung, man müsse mehr vor Ort sein, zu bestimmten Brennpunkten usw. fahren, haben wir mehrmals gehört. Das ist richtig, auch das ist uns bewusst. Wir haben ja bei der FUEV die sogenannten fact finding missions. Aber es scheitert auch hier immer wieder am Geld. Ich komme darauf zurück.

Bei der Ausarbeitung des Rechts auf Sprache wird es neben der redaktionell-inhaltlichen Arbeit, d.h. dem Zusammenstellung und Darstellen von Informationen zu schon bestehenden Rechten, sehr auf die Betonung der praktischen Anwendbarkeit dieser Rechte ankommen, darauf darzustellen, wie man konkret vorgehen kann. Das haben wir auch in der Diskussion gehört. Eine wichtige Frage ist hier auch: Was will die FUEV? Das ist etwas, worüber wir uns klar werden müssen und das wird durchaus auch keine einfache Disskussion, weil wir viele sich teilweise gegenseitig widersprechende Interesse auch in der FUEV und in den von uns vertretenen Minderheiten haben. Was für die Minderheiten gilt und für die Sprachförderung, nämlich dass für die Arbeit Geld gebraucht wird, das gilt auch für die FUEV. Wir hatten gestern und heute den Europarat hier. Es wurde gesagt: Es ist prima, was ihr macht. Wir wollen euch als Partner. Wir wollen euch als Berater. Dann sage ich: Das freut uns sehr. Es freut uns, dass der Europarat mit uns zusammenarbeiten will. Weil wir uns in den letzten Jahren Fachwissen erarbeitet haben, weil wir Erfahrung mit den Problemen von Minderheiten haben, weil unser Kontakt zur den Mitgliedsorganisationen intensiver geworden ist weil wir zusammenarbeiten und uns besser als zuvor gegenseitig verstehen. Dann sage ich aber auch: gebt uns bitte das Geld, die strukturellen Möglichkeiten, die wir brauchen, um effektiv arbeiten zu können, um zu den Minderheiten zu fahren und “vor Ort” Präsenz zu zeigen und uns zu informieren, um Expertise bereitzustellen, schriftlich oder durch Kontakt mit Fachleuten usw. Es geht nicht, dass das Europäische Parlament, die Regierungen usw. von uns Hilfe möchten, aber auf der anderen Seite auf Dauer nicht bereit sind, eine gewisse finanzielle Unterstützung zu gewähren für die Struktur, die wir ja aufbauen und unterhalten müssen. Und die wir allein durch unsere Mitgliedsbeiträge nicht finanzieren können.

Und ein letzter Punkt. Wir haben sehr viel über Probleme geredet, darüber, wie schwierig alles ist, wie kompliziert – und es ist richtig das zu tun. Die FUEV will nicht naiv sein, sie will keinem naiven Konzept von Minderheitenförderung anhängen, sie will sich den Problemen stellen, soweit sie dazu in der Lage ist. Und das machen wir ja, das haben wir auch auf diesem Kongress gezeigt. Aber über bestimmte Dinge müssen wir nicht reden. Dass Zwänge und Diskriminierungen, wie sie der Kollege aus Polen gerade noch beschrieben hat, unerträglich sind, dass generell die Diskriminierung von sprachlichen Minderheiten nicht akzeptabel ist und dass umgekehrt die Abwesenheit von Zwang für uns ein selbstverständliches Recht ist – das sind Dinge, die überhaupt nicht kompliziert sind, die sind ganz einfach. Und die FUEV muss immer wieder den Minderheiten zur Hilfe kommen, wenn

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es zu Situationen kommt, in denen Diskriminierungen auftreten – da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren und zu problematisieren, da muss man einfach mit möglichst viel Macht sagen: njet, nicht mit uns, wir werden das nicht tolerieren und wir werden, wo immer wir können, vor dem Europarat oder an anderer Stelle, uns dafür einsetzen, dass derartige Zwänge abgeschafft werden. Danke sehr. Hauke Bartels, Moskau, 18.5.2012