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AZ Zürich Samstag/Sonntag, 29./30. Juni 1991 Nr. 148 Jtfut Äbf t Mtnm 11 1 TT * * » 1 . . Briefadresse von Redaktion, Vertag und Druckerei: Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01) 258 11 1 1, Telefax 252 13 29 Anzeigenabteilung: Postfach 215, CH-8021 Zürich, Telefax 258 16 77 Inlandabonnemente: Telefon (01) 258 15 30, Telefax 258 18 39 Auslandabonnemente: Telefon (01) 258 1 1 1 1, Telefax 258 18 Abonnementspreise und weitere Angaben Seite 4 (Impressum) und schweizerisches Handelsblatt Der Zürcher Zeitung 212. Jahrgang bFr. 60.- LiL 2200.- sKr. 12.- Schweii dKr. 12.- lFr. 45.- Pt». 200.- _ , .- DM 2.50 hfl. 3.25 Kan. Inseln ä-r. I.5Ü n=f. 10.- nKr. 13- Po. 225.- Dr. 260. öS 20. IX 6000.- £ 0.90 Esc. 240.- R 90.- Auf dem Weg zu neuen Grenzen in Osteuropa Weder die Peitsche noch das Zuckerbrot haben gewirkt; Mahnungen der Europäi- schen Gemeinschaft an die südslawischen Nationen, der Wink Staatssekretär Bakers mit dem Zaunpfahl, Jugoslawien könne nur als einheitlicher Staat mit westlichem Bei- stand rechnen, haben Kroatien und Slowe- nien nicht davon abgehalten, den entschei- denden, aus dem Staatsverband hinaus- führenden Schritt zu tun. Aus Zagreb und Ljubljana ertönt an die westlichen Adressen vielmehr die vorwurfsvolle Erwiderung, die Forderung nach Bewahrung der jugoslawi- schen Einheit missachte das auch für Kroa- ten und Slowenen geltende Recht auf Selbst- bestimmung; und sie zeuge von Unkenntnis der Geschichte. In der Tat. Wenn Erfahrung auf dem Bai-, kan etwas lehrt, so ist es die Erkenntnis, dass ethnisch-sprachliche Verwandtschaft als die. Grundlage staatlicher Gemeinsamkeit - die Idee war ursprünglich ein Kind der Roman- tik - eine ungleich schwächere Kraft ist als die von unterschiedlichen historischen Fü- gungen geprägte Eigenart von Nationen. Dass die kommunistische Diktatur in Kroa- tien und Slowenien unwiederbringlich weg- gefegt worden ist, in katholischen Regionen, die seit dem Hochmittelalter zu westlich aus- gerichteten Reichen gehört hatten, entspringt gewiss ebensowenig einem Zufall wie die Resistenz nationalistisch verbrämter KP- Macht in Serbien, einem orthodoxen und vom türkischen Joch erst im späten 19. Jahr- hundert endgültig befreiten Land. Mit wei- cher Gewalt historisches Erbe sich meldet, erfährt zurzeit selbst die Tschechoslowakei, wo innerstaatliche Spannungen letztlich auf die Tatsache zurückgehen, dass die Slowakei einst zur östlichen, Böhmen und Mähren aber zur westlichen Hälfte der Donaumonar- chie gehört haben. Welche Wirren auch bei der Verteilung der jugoslawischen Erbmasse noch bevorstehen Tagesinformation Massive Warnungen Bakars an Saddam Staatssekretär Baker hat erklärt, das Verstecken von Atomwaffen könnte für den Irak ernsthafte Folgen haben. Seite Forderungen des VPOD An seinem viertägigen Kongress hat der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) in Davos eine Reihe von Gleich- stellungs-, Mitbestimmungs- und radikalen Umweltschutzforde- rungen gestellt Er sprach sich ferner für einen EG- Beitritt aus. Seite 21 Ungebrochener Pioniergeist im Silicon Valley Allen Zweifeln zum Trotz ist im Silicon Valley auch heute noch ein ausgeprägter Pioniergeist lebendig. Die Dynamik in diesem «Tal der Talente» zeigt, dass der technologische Wettlauf nicht allein von den Grosskonzernen un d mit staatlicher Unterstüt- zung gewonnen werden kann. Seite 33 Kritik an Zürcher Stadtsperrungsideen Zahlreiche Parteien und Verbande haben (fast ausschliesslich ablehnend) Stellung genommen zur Idee, als Antismogmass- nahme die Zürcher Innenstadt für Motorfahrzeuge zu sperren. Seite 55 Luc Roosen - der erwartete Tour-Sieger Seit Montag galt es als nahezu sicher, was am Freitag auf der Offenen Rennbahn in Zürich Oerlikon Tatsache wurde: der Sie- ger der 55. Tour de Suisse heisst Luc Roosen. Die letzte Etappe stand im Zeichen einer Soloflucht des Italieners Stefano Co- lage. Seite 59 mögen, gewiss ist, dass man sich auf der europäischen Landkarte an einige neue Grenzen wird gewöhnen müssen - nicht nur auf dem nördlichen Balkan. Die Aufzählung in der engeren Nachbarschaft -unter Erwäh- nung Mazedoniens, vorab aber Kosovos - lässt sich fortsetzen. Und wenn Rumäniens Aussenminister mit Blick auf die Sowjet- moldau vor einem protestierenden Parla- ment beteuert, Bukarest wolle sich mit dem Bestand zweier rumänischer Staaten abfin- den, so fallt es schwer, darin etwas anderes zu sehen als eine zur Stunde opportune Be- schwichtigung. Am nordwestlichen Rand der UdSSR erscheint aber die Rückkehr der bal- tischen Republiken in die Familie unabhängi- ger Staaten nur noch als eine Frage der Zeit, ob nun ihre Wiedergeburt das Ergebnis sowjetischen Zerfalls oder des friedlich zuge- standenen Austritts aus einer erneuerten Union sei n wird. Französische, britische und amerikanische Staatsmänner, die Sieger im Ersten Welt- krieg, haben seinerzeit die neuen mittel- und osteuropäischen Grenzen gezogen. Sie be- gründeten Nationalstaaten, unter ihnen manch einen, der ethnisch keineswegs rein war; und bei ihrer Unkenntnis der Region schufen sie auch schwere Rivalitäten, bis heute nachwirkende innere und äussere Ter- ritorialkonflikte, viel Minderheitenelend, stif- teten allgemein Unfrieden, dessen Nutznies- ser später Hitler hiess. Die aus der Sowjet- union in der Schlussphase des Kriegs zu- rückrollende Welle der von Nazideutschland ausgelösten Flut überspülte dann die östliche Hälfte des Kontinents; ob als Komplize des Dritten Reichs 1939/40 oder als Triumpha- tor über den «Faschismus» 1945, Moskau sicherte sich in beiden Fällen Stücke der ter- ritorialen Beute. Dies ist Vorgeschichte der politischen Landkarte Ostmitteleuropas, wie sie uns heute vorliegt. Dass es sich dort mehrheitlich um Länder handelt, die wie in Westeuropa von ihren historischen Voraussetzungen und Bevölkerungsstrukturen her saturiert und im Gleichgewicht sind, lässt sich weder behaup- ten noch erwarten. Schwelende Konflikte, jahrzehntelang von Moskaus schwerer Hand oder - wie in Jugoslawien - vom Einpartei- staat zugedeckt, brechen jetzt auf. Westliche Weisheit hat sich angesichts dieser Entwick- lung bisher in der Wiederholung einer stereotypen Formel erschöpft: die bestehen- den Grenzen seien unbedingt zu achten und die Rechte der nationalen Minoritäten zu ge- währleisten. Welche Sprengkraft in der Tat Minderhei- ten im Verhältnis von Nachbarn zukommen kann, zeigen zurzeit mit erschreckender. Klarheit die Auseinandersetzungen um die in Kroatien wohnhaften Serben, Kämpfe, denen bereits vor der Ausrufung der slowe- nischen und kroatischen Unabhängigkeit Merkmale eines Bürgerkriegs anhafteten. Doch um die Proportionen zu wahren: Bel- grads laut verkündeter Vorsatz, man werde nicht zulassen, dass 600 000 Serben ausser- halb des eigenen Staatsgebiets verblieben, muss in rumänischen und ungarischen Oh- ren wie ein Hohn klingen; denn je rund drei Millionen Rumänen und Ungarn leben heute jenseits der Grenzen ihres Mutterlandes. Und was den Serben in Kroatien recht ist, sollte auch den über anderthalb Millionen Albanern Kosovos billig sein. Gerechte Trennungslinien zwischen Staa- ten zu ziehen, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite Minoritäten übrig- lassen, ist auf der bunten Siedlungskarte Ost- und Mitteleuropas ein hoffnungsloses Unter- fangen; die dilettantischen Friedensstifter nach dem Ersten Weltkrieg scheiterten an dieser Aufgabe, und auch die heutige inter- nationale Gemeinschaft kennt da keine Rezepte. Immerhin hat die Aussenwelt, durch Schaden belehrt, die Bedeutung er- kannt, die bei der Wahrung von Stabilität der gerechten Behandlung von Minoritäten zu- kommt. Eine Expertentagung der Konferen z für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) wird sich demnächst in Genf- auf schweize- risches Betreiben hin - des Themas anneh- men. Der Augenblick, manche widerspen- stige, auf nationale Dominanz und Assimila- tionszwang bestehende osteuropäische Re- gierung auf Normen einer toleranten Min- derheitenpolitik zumindest zu verpflichten, ist günstig. Die politische Bedingung west- lichen Beistands für die vom Kommunismus ruinierten Länder heisst Rechtsstaatlichkeit - mit allen Konsequenzen, die sie auch für die Minoritäten haben muss. Wenig hilfreich, ja unverständlich wirkt demgegenüber das Ceterum censeo von der Unveränderlichkeit der Grenzen. Staats- sekretär Baker und den nach Belgrad pil- gernden EG-Aussennünistern, die alle in diesen Chor einfallen, sollte es zu denken geben, dass sie mit ihren Ratschlägen dem radikalen serbischen Nationalkommunisten Milosevic den Rücken stärken - wahrhaft keine schmeichelhafte Allianz. Der Wunsch der «Grossen», in den wenig frequentierten Nebenräumen des «europäischen Hauses» möge Ruhe herrschen, ist verständlich; dass aber mit Gewalt oder frommem Zuspruch nicht beisammengehalten werden kann, was nicht beisammenbleiben will, und dass der Versuch, ein auseinanderbrechendes Staats- gebilde zu retten, nicht Ruhe, sondern erst recht Unrast und Blutvergiessen erzeugt, dies erleben wir heute. Rasch gezogene Parallelen mit dem Jahr 191 4 ( «Pulverfass Europas») treffen glück- licherweise insofern nicht zu, als sich auf dem Balkan heute Grossmachtinteressen nicht im entferntesten im damaligen Aus- mass kreuzen. Europa wird den kroatischen und slowenischen Willen zur Unabhängig- keit zur Kenntnis nehmen müssen. Dass die Grenzen auf dem Kontinent Bestand haben sollten, kann nicht ein Ziel an sich sein, son- dern lediglich ein Mittel zur Friedensbewah- rung. Die Festschreibung der Grenzen war seinerzeit an der KSZE eine Forderung der Sowjets zur Sicherung ihres 1945 errungenen Besitzstandes. Die Konferenz schloss aber friedliche Grenzveränderungen nicht aus. Das Mass, das sich westliche Betrachtungs- Verstärkter Grenzschutz Österreichs Verletzung des Luftraums durch Flugzeuge der jugoslawischen Armee dk. Wien, 28. Juni Die österreichische Bundesregierung hat am Freitag die Schutzmassnahmen an den Grenzen zu Slowenien verstärkt. Verteidigungsminister Fasslabend bestätigte, dass Flugzeuge der jugo- slawischen Armee mehrfach in das österreichische Hoheitsgebiet eingedrungen seien. Der jugoslawi- sche Botschafter in Wien wurde dringend ins Aussenministerium zitiert. Es wurde ihm eine Note überreicht, in welcher österreich energisch gegen die Verletzungen seines Luftraums prote- stiert, die sich vor allem in der Nähe des Grenz- übergangs Spielfeld in der Steiermark ereignet haben. Der österreichische Luftraum, so heisst es im Verteidigungsministerium, werde mit allen Mitteln verteidigt. Überwachungsflugzeuge mar- kieren in Grenznähe Präsenz. Es stehen auch Ab- fangjäger einsatzbereit. Verteidigungsminister Fasslabend gab bekannt, dass die Grenztruppen bis Freitag abend um etwa 3000 Mann verstärkt werden. Inzwischen ist auch eine Jagdpanzereinheit in die betroffene Krisen- region verlegt worden. Auf Wunsch der Kärntner Landesregierung wurde am Abend ein verstärkter Assistenzeinsatz bewilligt, der mit lSSO Mann die Exekutive bei der Grenzüberwachung unterstüt- zen soll. und Handlungsweise unterlegt, kann - ob es um den jugoslawischen oder den sowjeti- schen Fall geht - nicht die Erhaltung födera- tiver Staatswesen um jeden Preis sein, son- dern der Grad an Demokratie, den die sich abspaltenden Länder aufweisen oder anstre- ben. Hilflosigkeit gegenüber dem südslawi- schen Drama, ohnmächtige Appelle an die Parteien, sich der Gewalt zu enthalten, zei- gen indessen in diesen Tagen mit aller Deut- lichkeit, welch weiter Weg zu einer «neuen Weltordnung» trotz allen Anstrengungen der KSZE zur Schaffung von Streitschlichtungs- mechanismen selbst auf unserem Kontinent noch zurückzulegen bleibt Kein gutes Vor- zeichen für jene, die in der Konferenz bereits den Rahmen eines künftigen europäischen Sicherheitssystems erblicken wollen. Nach Luftangriffen auf Flughäfen und Fahrzeugkolonnen Prekäre Waffenruhe in Slowenien Besetzung der Grenzposten durch die Armee Der slowenische Präsident Kucan und der stellvertretende jugoslawische Verteidigungs- minister Brovet haben einen Waffenstillstand vereinbart. Belgrad liess verlauten, die Streit- kräfte des Bundes hätten die Kontrolle über die Grenzübergänge übernommen. Zuvor war es erneut zu heftigen Kämpfen zwischen Angehörigen der jugoslawischen Armee und der slowenischen Territorialverteidigung gekommen, bei denen es weitere Todesopfer gegeben hat. Am Freitag hat die jugoslawische Luftwaffe die Flugplätze von Ljubljana und Maribor bombardiert und offenbar auch Kolonnen von Fahrzeugen angegriffen. C. Sr. Ljubljana, 28. Juni Laut Angaben des slowenischen Informations- ministers haben am Freitag, kurz nach zehn Uhr, Flugzeuge der jugoslawischen Luftwaffe den Flugplatz von Brnik, der etwa 30 Kilometer von Ljubljana entfernt liegt, angegriffen. Dabei wurde ein Hangar mit Flugzeugen der slowenischen Luftlinie «Adriatic Airways» sowie ein Flugzeug, das auf der Landebahn abgestellt war, beschädigt. Das Ziel dieser Aktion bestand offenbar darin, die blockierte Landepiste zu räumen. Etwas später meldete Radio Ljubljana auch einen Angriff auf den Flugplatz von Maribor. Ungewisse Zahl der Opfer Am Freitag vormittag attackierten Flugzeuge eine von der slowenischen Territorialverteidigung errichtete Sperre auf der Strasse von Ljubljana nach Zagreb sowie Kolonnen von Fahrzeugen in der Gegend von Sentilj in der Nähe der österrei- chischen Grenze. Bei diesem Angriff sind laut Angaben von Radio Ljubljana mindestens drei Personen ums Leben gekommen. Auch sei auf Zivilfahrzeuge geschossen worden. Nach Anga- ben des Informationsministers nimmt die Zahl jener ständig zu, die dem Aufruf der slowenischen Führung zum Verlassen ihrer Einheit Folge lei- sten. Weiter wurde am Freitag offiziell mitgeteilt, dass in erbeuteten Panzern - und offenbar auch in einem Flugzeug - chemische Kampfwaffen gefun- den worden seien. Es ist unklar, wie viele Menschen bei den Zu- sammenstössen zwischen Einheiten der Bundes- armee und der slowenischen Territorialverteidi- gung in der Nacht auf den Freitag insgesamt ums Leben gekommen sind. Verteidigungsminister Jansa, der am Donnerstag abend im Fernsehen in Uniform auftrat, sprach von hundert Toten und Verletzten. Slowenien befinde sich, so sagte er wörtlich, im Krieg. Nach seinen Angaben sollen auch sechs Helikopter - einer von ihnen über Lju- bljana - abgeschossen und fünfzehn Panzer er- beutet worden sein. Das Belgrader Verteidigungs- ministerium bestätigte lediglich die Zerstörung von zwei Helikoptern und den Tod von insgesamt fünf Personen. Auch seien bei den bewaffneten Zwischenfallen bisher nur wenige Personen ums Leben gekommen. Ungewiss war am Freitag auch lange, wie viele der insgesamt 27 slowenischen Grenzübergänge von der Armee und der Bundes- polizei bereits besetzt waren und wer wo die Kon- trolle ausübte. Die Angaben darüber gingen weit auseinander. Slowenische Abzugsforderung Präsident Kucan betonte am Freitag erneut, dass Verhandlungen nicht möglich seien, solange Neue Zürcher Zeitung vom 29.06.1991

Samstag/Sonntag, AZ Zürich Jtfut Äbft Juniarhiv.mm.gov.si/vlada/20/tuji/29.06.1991S.1bbb.pdf · 2011. 6. 9. · AZ Zürich Samstag/Sonntag, 29./30. Juni 1991 Nr. 148 Jtfut ÄbftMtnm

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  • AZ Zürich Samstag/Sonntag, 29./30. Juni 1991Nr. 148

    Jtfut ÄbftMtnm11 1 TT * * » 1 . .

    Briefadresse von Redaktion, Vertag und Druckerei:Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01) 258 1 1 1 1, Telefax 252 13 29Anzeigenabteilung: Postfach 215, CH-8021 Zürich, Telefax 258 16 77Inlandabonnemente: Telefon (01) 258 15 30, Telefax 258 18 39Auslandabonnemente: Telefon (01) 258 1 1 1 1, Telefax 258 18 3«Abonnementspreise und weitere Angaben Seite 4 (Impressum)

    und schweizerisches Handelsblatt

    Der Zürcher Zeitung 212. Jahrgang

    bFr. 60.- LiL 2200.- sKr. 12.-Schweii dKr. 12.- lFr. 45.- Pt». 200.-_ , .- DM 2.50 hfl. 3.25 Kan. Inselnä-r. I.5Ü n=f. 10.- nKr. 13- Po. 225.-

    Dr. 260. öS 20. IX 6000.-£ 0.90 Esc. 240.- R 90.-

    Auf dem Weg zu neuen Grenzen in OsteuropaWeder die Peitsche noch das Zuckerbrot

    haben gewirkt; Mahnungen der Europäi-schen Gemeinschaft an die südslawischenNationen, der Wink Staatssekretär Bakersmit dem Zaunpfahl, Jugoslawien könne nurals einheitlicher Staat mit westlichem Bei-stand rechnen, haben Kroatien und Slowe-nien nicht davon abgehalten, den entschei-denden, aus dem Staatsverband hinaus-führenden Schritt zu tun. Aus Zagreb undLjubljana ertönt an die westlichen Adressenvielmehr die vorwurfsvolle Erwiderung, dieForderung nach Bewahrung der jugoslawi-schen Einheit missachte das auch für Kroa-ten und Slowenen geltende Recht auf Selbst-bestimmung; und sie zeuge von Unkenntnisder Geschichte.

    In der Tat. Wenn Erfahrung auf dem Bai-,kan etwas lehrt, so ist es die Erkenntnis, dassethnisch-sprachliche Verwandtschaft als die.Grundlage staatlicher Gemeinsamkeit - dieIdee war ursprünglich ein Kind der Roman-tik - eine ungleich schwächere Kraft ist alsdie von unterschiedlichen historischen Fü-gungen geprägte Eigenart von Nationen.Dass die kommunistische Diktatur in Kroa-tien und Slowenien unwiederbringlich weg-gefegt worden ist, in katholischen Regionen,die seit dem Hochmittelalter zu westlich aus-gerichteten Reichen gehört hatten, entspringtgewiss ebensowenig einem Zufall wie dieResistenz nationalistisch verbrämter KP-Macht in Serbien, einem orthodoxen undvom türkischen Joch erst im späten 19. Jahr-hundert endgültig befreiten Land. Mit wei-cher Gewalt historisches Erbe sich meldet,erfährt zurzeit selbst die Tschechoslowakei,wo innerstaatliche Spannungen letztlich aufdie Tatsache zurückgehen, dass die Slowakeieinst zur östlichen, Böhmen und Mährenaber zur westlichen Hälfte der Donaumonar-chie gehört haben.

    Welche Wirren auch bei der Verteilung derjugoslawischen Erbmasse noch bevorstehen

    TagesinformationMassive Warnungen Bakars an SaddamStaatssekretär Baker hat erklärt, das Verstecken von Atomwaffenkönnte für den Irak ernsthafte Folgen haben. Seite

    Forderungen des VPODAn seinem viertägigen Kongress hat der Verband des Personalsöffentlicher Dienste (VPOD) in Davos eine Reihe von Gleich-stellungs-, Mitbestimmungs- und radikalen Umweltschutzforde-rungen gestellt Er sprach sich ferner für einen EG- Beitritt aus.

    Seite 21

    Ungebrochener Pioniergeist im Silicon Valley

    Allen Zweifeln zum Trotz ist im Silicon Valley auch heute nochein ausgeprägter Pioniergeist lebendig. Die Dynamik in diesem«Tal der Talente» zeigt, dass der technologische Wettlauf nichtallein von den Grosskonzernen u nd mit staatlicher Unterstüt-zung gewonnen werden kann. Seite 33

    Kritik an Zürcher StadtsperrungsideenZahlreiche Parteien und Verbande haben (fast ausschliesslichablehnend) Stellung genommen zur Idee, als Antismogmass-nahme die Zürcher Innenstadt für Motorfahrzeuge zu sperren.

    Seite 55

    Luc Roosen - der erwartete Tour-SiegerSeit Montag galt es als nahezu sicher, was am Freitag auf derOffenen Rennbahn in Zürich Oerlikon Tatsache wurde: der Sie-ger der 55. Tour de Suisse heisst Luc Roosen. Die letzte Etappestand im Zeichen einer Soloflucht des Italieners Stefano Co-lage. Seite 59

    mögen, gewiss ist, dass man sich auf dereuropäischen Landkarte an einige neueGrenzen wird gewöhnen müssen - nicht nurauf dem nördlichen Balkan. Die Aufzählung

    in der engeren Nachbarschaft -unter Erwäh-nung Mazedoniens, vorab aber Kosovos -lässt sich fortsetzen. Und wenn RumäniensAussenminister mit Blick auf die Sowjet-moldau vor einem protestierenden Parla-ment beteuert, Bukarest wolle sich mit demBestand zweier rumänischer Staaten abfin-den, so fallt es schwer, darin etwas andereszu sehen als eine zur Stunde opportune Be-schwichtigung. Am nordwestlichen Rand derUdSSR erscheint aber die Rückkehr der bal-tischen Republiken in die Familie unabhängi-ger Staaten nur noch als eine Frage der Zeit,ob nun ihre Wiedergeburt das Ergebnissowjetischen Zerfalls oder des friedlich zuge-standenen Austritts aus einer erneuertenUnion s e in wird.

    Französische, britische und amerikanischeStaatsmänner, die Sieger im Ersten Welt-krieg, haben seinerzeit die neuen mittel- undosteuropäischen Grenzen gezogen. Sie be-gründeten Nationalstaaten, unter ihnenmanch einen, der ethnisch keineswegs reinwar; und bei ihrer Unkenntnis der Regionschufen sie auch schwere Rivalitäten, bisheute nachwirkende innere und äussere Ter-ritorialkonflikte, viel Minderheitenelend, stif-teten allgemein Unfrieden, dessen Nutznies-ser später Hitler hiess. Die aus der Sowjet-union in der Schlussphase des Kriegs zu-rückrollende Welle der von Nazideutschlandausgelösten Flut überspülte dann die östlicheHälfte des Kontinents; ob als Komplize desDritten Reichs 1939/40 oder als Triumpha-tor über den «Faschismus» 1945, Moskausicherte sich in beiden Fällen Stücke der ter-ritorialen Beute.

    Dies ist Vorgeschichte der politischenLandkarte Ostmitteleuropas, wie sie unsheute vorliegt. Dass es sich dort mehrheitlichum Länder handelt, die wie in Westeuropavon ihren historischen Voraussetzungen undBevölkerungsstrukturen her saturiert und imGleichgewicht sind, lässt sich weder behaup-

    ten noch erwarten. Schwelende Konflikte,jahrzehntelang von Moskaus schwerer Handoder - wie in Jugoslawien - vom Einpartei-staat zugedeckt, brechen jetzt auf. WestlicheWeisheit hat sich angesichts dieser Entwick-lung bisher in der Wiederholung einerstereotypen Formel erschöpft: die bestehen-den Grenzen seien unbedingt zu achten unddie Rechte der nationalen Minoritäten zu ge-währleisten.

    Welche Sprengkraft in der Tat Minderhei-ten im Verhältnis von Nachbarn zukommenkann, zeigen zurzeit mit erschreckender.Klarheit die Auseinandersetzungen um diein Kroatien wohnhaften Serben, Kämpfe,

    denen bereits vor der Ausrufung der slowe-nischen und kroatischen Unabhängigkeit

    Merkmale eines Bürgerkriegs anhafteten.Doch um die Proportionen zu wahren: Bel-grads laut verkündeter Vorsatz, man werdenicht zulassen, dass 600 000 Serben ausser-halb des eigenen Staatsgebiets verblieben,muss in rumänischen und ungarischen Oh-ren wie ein Hohn klingen; denn je rund dreiMillionen Rumänen und Ungarn leben heutejenseits der Grenzen ihres Mutterlandes.Und was den Serben in Kroatien recht ist,sollte auch den über anderthalb MillionenAlbanern Kosovos billig sein.

    Gerechte Trennungslinien zwischen Staa-ten zu ziehen, die weder auf der einen nochauf der anderen Seite Minoritäten übrig-lassen, ist auf der bunten Siedlungskarte Ost-und Mitteleuropas ein hoffnungsloses Unter-fangen; die dilettantischen Friedensstifternach dem Ersten

    Weltkrieg scheiterten andieser Aufgabe, und auch die heutige inter-nationale Gemeinschaft kennt da keineRezepte. Immerhin hat die Aussenwelt,

    durch Schaden belehrt, dieBedeutung er-

    kannt, die bei der Wahrung von Stabilität dergerechten Behandlung von Minoritäten zu-

    kommt. Eine Expertentagung der Konferenzfür Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE)wird sich demnächst in Genf- auf schweize-risches Betreiben hin - des Themas anneh-men. Der Augenblick, manche widerspen-stige, auf nationale Dominanz und Assimila-tionszwang bestehende osteuropäische Re-gierung auf Normen einer toleranten Min-derheitenpolitik zumindest zu verpflichten,ist günstig. Die politische Bedingung west-lichen Beistands für die vom Kommunismusruinierten Länder heisst Rechtsstaatlichkeit -mit allen Konsequenzen, die sie auch für dieMinoritäten haben muss.

    Wenig hilfreich, ja unverständlich wirktdemgegenüber das Ceterum censeo von derUnveränderlichkeit der Grenzen. Staats-sekretär Baker und den nach Belgrad pil-gernden EG-Aussennünistern, die alle indiesen Chor einfallen, sollte es zu denkengeben, dass sie mit ihren Ratschlägen demradikalen serbischen NationalkommunistenMilosevic den Rücken stärken - wahrhaftkeine schmeichelhafte Allianz. Der Wunschder «Grossen», in den wenig frequentiertenNebenräumen des «europäischen Hauses»möge Ruhe herrschen, ist verständlich; dassaber mit Gewalt oder frommem Zuspruchnicht beisammengehalten werden kann, wasnicht beisammenbleiben will, und dass derVersuch, ein auseinanderbrechendes Staats-gebilde zu retten, nicht Ruhe, sondern erstrecht Unrast und Blutvergiessen erzeugt,dies erleben wir heute.

    Rasch gezogene Parallelen mit dem Jahr1 9 14 ( «Pulverfass Europas») treffen glück-licherweise insofern nicht zu, als sich aufdem Balkan heute Grossmachtinteressennicht im entferntesten im damaligen Aus-mass kreuzen. Europa wird den kroatischenund slowenischen Willen zur Unabhängig-keit zur Kenntnis nehmen müssen. Dass dieGrenzen auf dem Kontinent Bestand habensollten, kann nicht ein Ziel an sich sein, son-dern lediglich ein Mittel zur Friedensbewah-rung. Die Festschreibung der Grenzen warseinerzeit an der KSZE eine Forderung derSowjets zur Sicherung ihres 1945 errungenenBesitzstandes. Die Konferenz schloss aberfriedliche Grenzveränderungen nicht aus.Das Mass, das sich westliche Betrachtungs-

    Verstärkter GrenzschutzÖsterreichs

    Verletzung des Luftraums durchFlugzeuge der jugoslawischen Armee

    dk. Wien, 28. Juni

    Die österreichische Bundesregierung hat amFreitag die Schutzmassnahmen an den Grenzenzu Slowenien verstärkt. VerteidigungsministerFasslabend bestätigte, dass Flugzeuge der jugo-slawischen Armee mehrfach in das österreichischeHoheitsgebiet eingedrungen seien. Der jugoslawi-sche Botschafter in Wien wurde dringend insAussenministerium zitiert. Es wurde ihm eineNote überreicht, in welcher österreich energischgegen die Verletzungen seines Luftraums prote-stiert, die sich vor allem in der Nähe des Grenz-übergangs Spielfeld in der Steiermark ereignethaben. Der österreichische Luftraum, so heisst esim Verteidigungsministerium, werde mit allenMitteln verteidigt. Überwachungsflugzeuge mar-kieren in Grenznähe Präsenz. Es stehen auch Ab-fangjäger einsatzbereit.

    Verteidigungsminister Fasslabend gab bekannt,dass die Grenztruppen bis Freitag abend um etwa3000 Mann verstärkt werden. Inzwischen ist aucheine Jagdpanzereinheit in die betroffene Krisen-region verlegt worden. Auf Wunsch der KärntnerLandesregierung wurde am Abend ein verstärkterAssistenzeinsatz bewilligt, der mit lSSO Mann dieExekutive bei der Grenzüberwachung unterstüt-zen soll.

    und Handlungsweise unterlegt, kann - ob esum den jugoslawischen oder den sowjeti-schen Fall geht - nicht die Erhaltung födera-tiver Staatswesen um jeden Preis sein, son-dern der Grad an Demokratie, den die sichabspaltenden Länder aufweisen oder anstre-ben.

    Hilflosigkeit gegenüber dem südslawi-schen Drama, ohnmächtige Appelle an dieParteien, sich der Gewalt zu enthalten, zei-gen indessen in diesen Tagen mit aller Deut-lichkeit, welch weiter Weg zu einer «neuenWeltordnung» trotz allen Anstrengungen derKSZE zur Schaffung von Streitschlichtungs-mechanismen selbst auf unserem Kontinentnoch zurückzulegen bleibt Kein gutes Vor-zeichen für jene, die in der Konferenz bereitsden Rahmen eines künftigen europäischenSicherheitssystems erblicken wollen.

    Nach Luftangriffen aufFlughäfen und Fahrzeugkolonnen

    Prekäre Waffenruhe in SlowenienBesetzung der Grenzposten durch die Armee

    Der slowenische Präsident Kucan und der stellvertretende jugoslawische Verteidigungs-minister Brovet haben einen Waffenstillstand vereinbart. Belgrad liess verlauten, die Streit-kräfte des Bundes hätten die Kontrolle über die Grenzübergänge übernommen. Zuvor wares erneut zu heftigen Kämpfen zwischen Angehörigen der jugoslawischen Armee und derslowenischen Territorialverteidigung gekommen, bei denen es weitere Todesopfer gegebenhat. Am Freitag hat die jugoslawische Luftwaffe die Flugplätze von Ljubljana und Mariborbombardiert und offenbar auch Kolonnen von Fahrzeugen angegriffen.

    C. Sr. Ljubljana, 28. Juni

    Laut Angaben des slowenischen Informations-ministers haben am Freitag, kurz nach zehn Uhr,Flugzeuge der jugoslawischen Luftwaffe denFlugplatz von Brnik, der etwa 30 Kilometer vonLjubljana entfernt liegt, angegriffen. Dabei wurdeein Hangar mit Flugzeugen der slowenischenLuftlinie «Adriatic Airways» sowie ein Flugzeug,das auf der Landebahn abgestellt war, beschädigt.Das Ziel dieser Aktion bestand offenbar darin, dieblockierte Landepiste zu räumen. Etwas spätermeldete Radio Ljubljana auch einen Angriff aufden Flugplatz von Maribor.

    Ungewisse Zahl der Opfer

    Am Freitag vormittag attackierten Flugzeugeeine von der slowenischen Territorialverteidigungerrichtete Sperre auf der Strasse von Ljubljananach Zagreb sowie Kolonnen von Fahrzeugen inder Gegend von Sentilj in der Nähe der österrei-chischen Grenze. Bei diesem Angriff sind lautAngaben von Radio Ljubljana mindestens dreiPersonen ums Leben gekommen. Auch sei aufZivilfahrzeuge geschossen worden. Nach Anga-ben des Informationsministers nimmt die Zahljener ständig zu, die dem Aufruf der slowenischenFührung zum Verlassen ihrer Einheit Folge lei-sten. Weiter wurde am Freitag offiziell mitgeteilt,

    dass in erbeuteten Panzern - und offenbar auch ineinem Flugzeug - chemische Kampfwaffen gefun-den worden seien.

    Es ist unklar, wie viele Menschen bei den Zu-sammenstössen zwischen Einheiten der Bundes-armee und der slowenischen Territorialverteidi-gung in der Nacht auf den Freitag insgesamt umsLeben gekommen sind. VerteidigungsministerJansa, der am Donnerstag abend im Fernsehen inUniform auftrat, sprach von hundert Toten undVerletzten. Slowenien befinde sich, so sagte erwörtlich, im Krieg. Nach seinen Angaben sollenauch sechs Helikopter - einer von ihnen über Lju-bljana - abgeschossen und fünfzehn Panzer er-beutet worden sein. Das Belgrader Verteidigungs-ministerium bestätigte lediglich die Zerstörungvon zwei Helikoptern und den Tod von insgesamtfünf Personen. Auch seien bei den bewaffnetenZwischenfallen bisher nur wenige Personen umsLeben gekommen. Ungewiss war am Freitag auchlange, wie viele der insgesamt 27 slowenischenGrenzübergänge von der Armee und der Bundes-polizei bereits besetzt waren und wer wo die Kon-trolle ausübte. Die Angaben darüber gingen weitauseinander.

    Slowenische Abzugsforderung

    Präsident Kucan betonte am Freitag erneut,dass Verhandlungen nicht möglich seien, solange

    Neue Zürcher Zeitung vom 29.06.1991

    Grenzen

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