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1 Der Schnitter Ein Roman über ein finsteres, mystisches Kapitel Mittelalter Philipp Gurt

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DerSchnitter

Ein Roman über ein finsteres, mystisches Kapitel Mittelalter

Philipp Gurt

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Wird immer dunkler die Nacht, welche eine Menschenseele erfasst,

so wird dann auch das kleinste Licht zum hellsten Sonnenschein

-Philipp Gurt-

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Gewidmet meinen Kindern

Patrick, Seraina, Raphael

Einen besonderen Dank

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Einführung

Frühling im Jahre des Herrn 1438 irgendwo mitten in Europa in einer Stadt welche dem Wandel dieser un-ruhigen Zeiten genauso unterworfen war wie den Jah-reszeiten und der Tag- Nachtgleiche. In jener Zeit als die Menschen noch glaubten, dass in Bäumen Seelen wohnen, und als das Leid, Elend und alles Sonderbare den dunkeln Mächten zugeschrieben wurde, als weise Frauen den Feuertod erlitten, in jener düsteren und mystischen Zeit konnte folgendes ge-schehen...

Sein Mund war trocken und sein Schädel brummte, als würde er jeden Moment zerbersten. Vor seinen Augen begannen schwarze Punkte zu tanzen und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Unterleib. Sein Magen krampfte und Wasser mit Blut und Essensres-ten gemischt erbrach sich aus seinem Munde. Stol-pernd taumelte er sich aus dem Zimmer, die enge, dunkle Diele hinunter, zitternd suchend seine Hand nach Halt. Kraftlos stiess er die schwere, dicke mas-sivhölzerne Haustüre auf und schleppte sich, über die Geröll- und Schlammreste hindurch, die noch in den Strassen lagen, zum Brunnen hin der in der Platzmitte vor dem Haus stand. Seine Hände und Arme tauchten zitternd in das schlammig kalte Nass. Die Atemzüge flach und schwer. Sein Blick schweifte unruhig um-her.

Es war sehr früh am Morgen, eigentlich am Scheide-punkt der Nacht zum Morgengrauen.

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Keine Menschenseele in den Gassen. Seine Hände krallten sich an dem steinigen Brunnen-

rand fest. Nun steckte er seinen Kopf bis zu den Schultern in das kalte Wasser hinein, und zog ihn her-aus, in dem er sich, da seine Kräfte und sein Atem zur Neige gingen, einfach nach hinten zu Boden sinken liess.

So kauerte er da am Brunnenrand, tief nach vorn in sich gebrochen. Sein Haupt nach vorne herab gesenkt und mit dem Rücken an den Brunnentrog gelehnt. Das Wasser triefte von seinen zerzausten, nach vorne her-abhängenden schwarzen Haaren, auf seine Beine hin-unter. Jeden Tropfen hörte er wie das Dröhnen des Donners der letzten stürmischen Tage.

Dieses Schmerzen. Die Brust schnürte es ihm stetig zu und nur mit Mühe bekam er genug Luft um die tanzenden Schatten vor Augen in Schach zu halten.

Hatte er ihn doch erwischt. Lange, so dachte er, würde er nicht mehr durchhalten. Nicht nach all den Tagen die hinter ihm lagen und Einer düsterer war als der Andere.

Was war nicht alles geschehen in den letzen Mona-ten? Und warum bloss, warum nur? So etwas kann es doch gar nicht geben?!

Es kam ihm vor als ob er träumte und jeden Moment in seiner Kammer das Erwachen erwartete und der Müllermeister Staufer ihn mit schroffer Stimme zu wecken versuchte. Er dann schnell sein Oberhemd überwerfen würde, und während er stolpernd, da er gleichzeitig mit Gehen die in die Schuhe zu steigen versuchte, auf den Mühlenhof laufen müsste wo be-reits das leere Fuhrwerk zur Beladung stand und alle auf ihn warteten.

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Ein erneuter Krampf durchfuhr ihn und schüttelte ihn heftig durch. Er ballte seine Fäuste, so als ob er nicht aufgeben wollte.

Nein, kein Traum, diese Schmerzen! Pander wusste der Schnitter wartete auf ihn, so wie

die letzten Tage schon, und irgendwann würde er ihm nicht mehr entkommen und dastehen wie die tausend andere Weizenhalme um ihn herum, und gemeinsam würden sie auf das letzte Licht der Dämmerung war-ten.

Wenn dann der Schnitter mit seiner grossen Sense im dunklen Gewand durch die ärengelben Weizenfel-der schritt und mit kräftigen, gut geschwungenen Zü-gen die Halme mähte, Schritt um Schritt im stetig gleichen Rhythmus dahin zog, ohne auch nur ein Halm einzeln zu sehen, im dämmrigen farbenfrohen Restlicht des Tages, tief seine Sense in die Mitte des Feldes vorantrieb, so war doch nur das monotone Ratsch zu hören, das bei jedem Schnitt die Luft im Tal immer mehr mit Unheil schwängerte.

So zog der Schnitter im dunklen, bodenlangen Ge-wand mit Kapuze, tief übers nicht sichtbare Gesicht gezogen, dahin.

Er kam jeden Tag in der Dämmerung, wenn die letz-te Tagesglut einem lauen kraftlosen Wind gewichen war, dann wenn das Restlicht des Tages auf der Schwelle der Nacht war und noch versuchte mit den schönsten, Restfarben die Nacht zu verdrängen und mit jedem Ratsch dunkelte es mehr ein.

Manchmal zog der Schnitter Bahnen ins reife Wei-zenfeld die niemand verstand und die Menschen sam-melten sich in den Kirchen und beteten und suchten nach den Gründen.

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Und manchmal spürten die Menschen, dass der Schnitter hinter genau ihnen her war und versuchten seinem Schnitt zu entkommen.

Der Schnitter hatte es nie eilig und so zog er immer im gleichen monotonen Rhythmus über die Weizen-felder dahin.

Doch in manchen Zeiten schnitt er das Korn bis weit in die frühen Morgenstunden hinein und hörte nicht wie gewohnt nach dem Eindunklen auf, sodass die Grillen in diesen Nächten nicht zu hören waren. Aber beeilen musste er sich nie.

Manchmal wenn eine Frau in den Wehen lag und auf die Niederkunft ihres Kindes wartete, und obwohl die Schmerzen fast ihren gespannten Bauch zerriss, das Kind einfach nicht kommen wollte, da schickte man nach dem Bader um mit seiner Heilkunst doch noch den Schnitter vor dem Hause zu vertreiben.

Die Stunden gingen dann dahin und irgendwann ging der Vater stampfend mit den schweren Schuhen aus dem Haus, mit dem Wissen einen oder beide verloren zu haben. Man hörte ihn dann fluchen, dass es ausge-rechnet ein Junge gewesen war.

Manchmal aber wenn der Bader den Bauch auf-schnitt und unter den Schreien der Mutter, den Bauch vernähte und das Fieber nicht kam und die Wunde verheilte, da zog der Schnitter ab. In der nachfolgen-den Dämmerung war ein Ratsch weniger zu hören.

Er kam dann wieder als der Kleine drei Jahre alt war und nach tagelangem Fieberkrampf eines Morgens still dalag. Er hatte es nie eilig.

Kinder kamen und gingen und noch ehe der kleine Körper unter der Erde war wuchs im Bauch der Mutter der nächste heran.

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Damit konnten und mussten die Menschen leben, dass der Schnitter sein Recht verlangte und so war es nun mal.

Panders Gedanken begannen zu kreisen. Wie konnte es nur soweit kommen. Alles war so

normal, ja friedlich. Er war zufrieden. Bis, ja bis zu dem Tage als die Ereignisse die ganze Stadt in ihren Bann zog, und sich ein düsterer Schleier der Finsternis über die Menschen herab senkte und ihnen Unfassba-res Leid widerfahren liess. Keiner vermochte zu pro-phezeien wann der Schnitter seine Arbeit niederlegte.

Die Bilder der Vergangenheit holten ihn ein....

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I.

Pander der Unfreie und das Bürgertum ”Pander; heb ihn hoch”, rief ihm der meist grimmige Müllermeister Staufer in schroffem Ton zu. Pander packte mit seinen kräftigen Armen den Mehlsack und wuchtete ihn hoch auf den Holzwagen hinauf. Kaum hatte er ihn oben, ertönte es erneut; ”Der nächste”.

Pander war ein kräftiger, aber nicht überaus gross gewachsener Mann mit einem freundlichen, sonnen-gebräunten Gesicht. Seine brandschwarzen schulter-langen Haare waren meist zerzaust und hingen ihm in Strähnen in die Augen. Stets trug er ein gestreiftes hellblaues Oberhemd. Die Ärmel bis zu Ellenbogen zurück gekrempelt, und das Hemd bis zur Brust hin aufgeknöpft, so, wie es viele anderen Handwerksge-sellen ebenfalls trugen.

Er war Anfang dreissig, also in den besten Jahren. Gesund, und es fehlten ihm nur gerade zwei Zähne und davon keiner der Schneidezähne.

Die tagtägliche schwere Arbeit hatte ihn noch nicht sehr gezeichnet. Seine Hände waren rau und sein Rü-cken erinnerte in morgens daran was er tags zuvor an Tagwerk vollbracht hatte. Säcke wuchten und die schweren Arbeiten am hölzernen Mühlerad. Rund um die Mühle gab’s immer mehr als genug zu tun.

Er liebte die alte Mühle. Das Klappern des schweren Holzrades im Wasser, von dem er glaubte, jedes Holz-stück einzeln zu kennen da er diese mindestens einmal in den Händen gehabt hatte. Er bewunderte auch die

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Technik welche die schweren Mühlsteine zu drehen liess. Das Holzwerk mit den Verzahnungen und den Lederriemen, den Umlenkrollen und das gleichmässi-ge Drehen der Mühlsteine. Nur wer einmal so einen schweren Mühlstein hochwuchte musste konnte die Kraft fühlen welche erbracht werden musste um die kleinen Körner zu mahlen.

Aus seinen schwarzen Augen funkelte stets ein le-bensfrohes Leuchten. Im Grunde genommen konnte er mehr als zufrieden sein. Er hatte eine gute, ehrliche Arbeit und war vor allem gesund. Hatte eine Kammer bei den Müllersleuten Staufers und es fehlte ihm auch sonst an nichts. Auch ein Grund für seine gute Ge-sundheit, das Essen bei Stauffers. Es war deftig und schmackhaft. Und dies war nicht selbstverständlich, wenn er daran dachte, was ihm die anderen Gesellen so erzählten was diese in den Teller bekamen und sich nicht trauten zu murren. War die Suppe noch so wäss-rig und kaum eine Kartoffel drin. Zuwenig zum Leben und doch zuviel um zu Sterben, lachten sie miteinan-der darüber.

Theresia Staufer war ausser einer ausgezeichneten Köchin, eine herzensgute Frau. Im Stillen dachte Pan-der manchmal darüber nach, dass wenn dieser Staufer nicht einer der wenigen Bürger von Torstheim wäre, (welche über fast die meisten Rechte verfügten, Be-sitz-, Erb- und eben das Heiratsrecht), dieser nie zu einer so einem guten Weib gekommen wäre. Obwohl er manchmal schon spürte, das eigentlich auch der Staufer gar nicht so ein mürrischer, und gegen aussen harter Mensch war. Vielleicht war er, Pander, auch ein wenig neidisch, wäre er doch auch nicht abgeneigt gewesen sich ein Weib zu nehmen und heiraten zu können.

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Aber eines war nicht abzustreiten, Staufer war ein wichtiger Mann, denn etwas sehr wertvolles besassen die Staufers schon seit Generationen, das Mühlen-recht. Das hiess, niemand anderes ausser ihnen durfte im grossen Umkreis weder eine Mühle bauen noch eine solche betreiben. Dieses Recht war, zum Leidwe-sen des Klosters in Torstheim, Staufers verbrieft. Zwar noch aus der Zeit als in Torstheim der Stadtvogt re-gierte, aber dennoch immer noch rechtens.

Staufer war auf die Lieferaufträge des Klosters an-gewiesen, die ja über das meiste Kulturland rings um Torstheim verfügte, und somit auch das Bestimmungs-recht über dieses besass, aber das Kloster konnte ihr Getreide wiederum nur bei Staufers mahlen lassen. So entstand schon vor Jahren eine Pattsituation. Lediglich bei der Festlegung der alljährlichen Mahlpreisen, hatte Staufer nicht freie Hand. Diese wurden nach altem Schlüssel errechnet wobei die Menge der gelieferten Rohware sich direkt auf den Sackpreis auswirkte. Wer viel brachte, zahlte pro Sack weniger und umgekehrt. Bis jetzt war er damit auch zufrieden.

Staufer wusste nur zu gut, dass das Kloster schon lange versuchte sich die Mühle einzuverleiben. Bis jetzt konnte Staufer alle Versuche erfolgreich abweh-ren.

Sei es der ehrliche Versuch durch Kauf, oder die An-fechtung der Verbriefung, die der Stadtvogt von Auer vor 150 Jahren gesiegelt hatte.

Vor Jahren wuchs auf grossen Teilen der Getreide-felder der Bürger, und nur auf kleinen des Klosters, kaum ein grüner Halm. Wie vergiftet lagen die Felder Brach. Es war richtig unheimlich wie die Felder so dalagen, als ob der Frühling sie vergessen hätte. Erst im nächsten Jahr erholte sich der Boden langsam wie-

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der. Busse sollten die Bürger tun. Ein Zeichen des Himmels wurde dies von Kloster gedeutet.

Der Schaden für die Bürger und den für den Mahl-ausfall Staufers war gross. In jenem Jahr ging der grösste Teil seiner Einnahmen verloren und er war sich sicher, auch dies war ein weiterer Versuch des Klosters, seine Mühlenrechte zu erhalten, auch wenn das nicht zu beweisen war und er sehr vorsichtig mit Vorwürfen wie diesen sein musste. Er durfte sich nicht mit Vorwürfen gegen das Kloster, die Gunst der got-tesfürchtigen Einwohner, zu denen er sich eigentlich auch zählte, verlieren.

Wie wichtig die Mühle für das Kloster war, wurde ihm da erst richtig bewusst. Dass auch die Vernich-tung eines grossen Anteil Ernte und den grossen fi-nanziellen Schaden für viele Torstheimer in Kauf ge-nommen wurde. Der Plan wäre auch fast aufgegangen, hätte damals der Freiherr Pompeia ihn nicht mit den nötigen finanziellen Mitteln unterstützt, hätte es schlecht um ihn gestanden. Dann hätte Staufer verkau-fen müssen, an das Kloster, diese hätte in jedem Falle das Vorkaufsrecht, das ihr immer zusteht, sicherlich genutzt.

Das war jetzt fünf Jahre her. Und seither war Ruhe eingekehrt. Staufer wusste aber auch, so schnell gab das Kloster nicht auf, wenn es um ihre Interessen gin-ge. Das musste damals nicht nur er erfahren. Alle de-ren Interesse und die des sich Kloster kreuzten, muss-ten sich vorsehen. Und das waren alle Bürger, deren 15 an der Zahl.

Darunter waren der Doktor der auch Bader genannt wurde, der Metzger, Goldschmied, der Küffner, der zugleich Schindelmacher war, der Schmied, der Schneider und eben Staufer der Müller.

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So schlossen sich in den letzten Jahren die Bürger langsam zusammen, unter der Federführung des Frei-herren Pompeia dem mächtigsten Mann ausserhalb der Kirche.

Diesem gehörten die meisten Unfreien, sicher gegen die hundert. Diese wohnten in den Weiler der Freiher-ren, welche rings um Torstheim verstreut lagen und bestellten für ihn dessen Kulturland.

Die Bürger hatten bis 20 Unfreie pro Kopf, welche auch direkt für sie arbeiteten.

Gemeinsam stellten sie nun ein grosses Machtpoten-tial dar, und seither wurden eben keine Versuche mehr gewagt, auch nur ein Bürger und dessen Interessen zu beschneiden.

Das Richter- und das Schlichtungsrecht und noch al-le anderen Stadtämter, wurden weiterhin von Kirchen-hausleuten beamtet. So war auf beiden Seiten Vorsicht geboten. Dennoch das Kloster sah seine Vorherrschaft schwinden.

Das Bürgertum war auch in anderen Landesteilen im Vormarsch.

Die Bürger wurden zwangsläufig von der Kopfsteuer befreit, sie mussten jetzt nur noch einen jährlichen Anerkennungszins an das Kloster leisten. Ausser Pompeia, der Freiherr.

Das Kloster war auch auf die vielen Unfreien der Bürger und vor allem auf die des Freiherren angewie-sen, wenn es galt grössere Bauvorhaben zu verwirkli-chen oder wenn das Städtchen gegen Angreifer zu verteidigen war.

Die Stadtwacht des Klosters zählte gerade 50 Mann. Diese waren dafür bestens bewaffnet.

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In jener Zeit tobte in allen Landesteilen der gleiche Krieg, der in jahrelangen Fehden überging.

Der Krieg um Macht und Gut. Es wurde um alles ge-rungen, um das Recht eine Taverne zu führen, das Schmiederecht, das Münzrecht, wer was und wie viel anbauen durfte. Jeder einflussreiche Bürger oder Frei-herr versuchte seine gesellschaftliche Stellung zu fes-tigen und auszuweiten. Es wurde vor nichts zurückge-schreckt. Intrigen und Blutfehden war übliche Mittel zum Zweck.

Also wer Macht hatte, wollte mehr. Sei es um sich zu schützen oder um der Machtwillen allein.

Staufer aber wollte nur der bleiben den er war und seine Ruhe, und seine Mühle. Dennoch auf der Hut sein war alles.

Pander selber war noch ledig, und vor allem einer der vielen ”Unfreien”, und deshalb konnte er nur we-nige persönliche Entscheide selber fällen, bestenfalls mitreden.

Das letzte Wort, hatte der Torstheimer Vizdum Stratschapetta, eine Art Stadtammann. Der Vizdum gehörte zu den Kirchenhausleuten und wurde direkt vom Abt selber ernannt, und war dessen rechte Hand in allen weltlichen Belangen. Ihm oblag die Befehls-gewalt der Stadtwacht.

Der Stratschapetta war ein grosser, schlanker, dun-kelhaariger Mann mit grossem Schnauz und stechen-dem Blick. Er war überaus loyal und auf Korrektheit bedacht. Mit ihm hatten die Bürger in erster Linie zu schaffen, wenn es darum ging Forderungen zu erhe-ben, Streitigkeiten zu schlichten und ähnliche Dinge.

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”PANDER, schläfst du oder was, der nächste” die forschen Worte Staufers rissen Pander zu seinen Ge-danken heraus. Das weitere Beladen des Fuhrwerkes wollte einfach nicht enden. Eine elende Plackerei, dachte Pander, und sah noch auf den noch grossen Säckestapel am Müh-lentor der einfach nicht schwinden wollte.

Gestern Abend war er noch mit ein paar anderen Ge-sellen im Weinkeller verhockt. Vielleicht waren des-halb die Mehlsäcke heute schwerer als an anderen Tagen, so schien es ihm jedenfalls. Das war wirklich einer der Tage die nie enden wollen und er ertappte sich immer wieder dabei wie er seinen Gedanken nachhing und nur wie mechanisch die Bewegungen ausführte.

Müllermeister Staufer stand wie eh und je hoch oben auf dem Wagen und nahm die schweren Säcke entge-gen. Das richtige Aufeinanderschichten für die richti-ge Gewichtsverteilung, überliess Staufer niemandem ausser ihm selbst. In der Erntezeit halfen gegen sechs Tagelöhner Staufer und Pander. Unter dem Jahr, gin-gen lediglich zwischendurch ein bis zwei Tagelöhner zur Hand, je nachdem was an Arbeit anstand.

So ging es meistens jeden Tag. An Arbeit mangelte es in der Mühle nie.

Anlieferungen der Bauern entgegen nehmen, Malen, Ausliefern und die Mühle in Schwung halten. Das gab wirklich mehr als genug zu tun. Die Mühle war schon alt, und da waren grössere Reparaturen alle paar Wo-chen fällig.

Der Wagen war nun vollbeladen und Pander schwang sich hinten auf die Ladung hoch.

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”Hüh”, rief Staufer den zwei nicht mehr jüngsten Gäulen zu und liess die Peitsche über den Pferdehäup-tern knallen.

Der Wagen setzte sich mit einem Ruck, in Richtung Torstheim, in Bewegung.

Zuerst ging es durch die etwa ein Kilometer lange Talenge, immer am Fluss entlang, welcher an der Mühle vorbei auch an Torstheim vorüber floss, bis sich das Tal wieder zu öffnen begann. Auch an so heissen Sommertagen wie gerade an diesem Tage ei-ner war, blies hier stets ein kühler Wind hindurch. Im Winter hingegen war es eisig kalt. Der Schnee lag bis weit in den Frühling hinein an Felswänden und am dem Boden. Nur wenig Sonnenlicht drang bis zum Boden durch, ausser im Hochsommer wenn die Sonne im Zenit stand.

Trotz, oder wegen dieser fast unwirklichen erschei-nenden Talenge fühlte Pander sich dort wohl, und wenn er mal seine Ruhe suchte, dort fand er sie.

Nach einer holprigen Fahrt, öffnete sich die Enge und man konnte von weitem die Klosterkirche von Torstheim erkennen.

Der Wagen fuhr weiter auf dem löchrigen, steinigs-staubem Weg.

Gesprochen wurde auf der Fahrt meist nicht viel. Pander war das recht so. Er sprach zwar gerne, aber nur unter seinesgleichen.

Nach nicht ganz halbstündiger Fahrt kamen sie am Zoll, vor der Stadtmauer, an. Sie wurden, da man sie kannte, ohne Kontrolle durchgewunken. So fuhren sie durchs Stadttor in Torstheim ein.

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Torstheim war ein eine mittelgrosse Stadt mit etwa 1500 Bewohner, und lag von Bergen umrahmt, einge-bettet in einer Bodensenkung.

Diese Lage bescherte den Einwohner von Torstheim bei Windstille sehr heissschwüle Tage. Umso kälter waren die schneereichen Winter. Im Frühjahr und im Herbst, zogen regelmässig Föhnstürme durchs Land, und alle paar Jahre wieder wurden sie so stark, dass sie grosse Schäden im Kulturland rings um der Stadt anrichteten.

Die meisten Bewohner, fast alles Unfreie, lebten vom Ackerbau und der Schafszucht und dem Hand-werksgewerbe. Sie führten ihre Arbeit als Knechte oder Dienstmägte des Kloster oder für einen der Bür-ger aus. Am meisten Unfreie ausserhalb des Klosters gehörten zu dem Freiherren Pompeia.

Während der Erntezeit wurden sie von durchreisen-den Tagelöhnern unterstützt.

Über dem Städtchen thronte mächtig, als wäre sie über alles erhaben, das Kloster mit der riesigen Klos-terkirche. Unten drängten sich die Häuser, unterteilt in drei kleine Stadtteile, eng aneinander, so als ob sie Schutz suchen wollten.

Eine mächtige Stadtmauer, mit neun stattlichen Türmen und zwei Stadttoren, umzog ganz Torstheim. Sie führte auch an den steilen Bergseiten hinauf zum Kloster, und schloss dort an die Klostermauern an. Einzig die Gerberei und das Siechenhaus befanden sich ausserhalb der kleinen Stadt. Ebenso die Hütte des Sündenfressers.

Wenn jemand starb der zu arm für eine letzte Ölung war, wurde dem Sündenfresser ein Mal vor dessen Hütte am Waldrand gestellt. Dann läutete man die kleine Glocke vor der Hütte und ging. Die Menschen

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glaubten, dass wenn jemand die letzte Ölung nicht erhalten konnte die Sünden vom Sündenfresser weg gefressen wurden. Und dann konnten sie den Toten auf dem Armenfriedhof vor der Stadt zu Grabe tragen.

Natürlich lag auch die Mühle von Müllermeister Staufer, welche sich hinter der Talenge direkt am Fluss befand ausserhalb des Städtchens.

Torstheim war ein geschäftiger Ort. Von weither kamen Kaufleute, Reisende, aber auch Taglöhner und grosse Persönlichkeiten auf der Durchreise in den Sü-den, und aus den verschiedensten Gründen hierher. Der rege Waren- und Personenverkehr brachte beacht-liche Zolleinnahmen dem Kloster ein. Und am wö-chentlichen Markt, wurden die vielen Erzeugnisse der Torstheimer feilgeboten und verkauft.

Im Städtchen war fast alles zu kaufen, sofern man es auch berappen konnte. Es gab die Klosterbäckerei, eine Schmiede, einen Küffner, Korber, eine Schneide-rei und für feine Leute die Parfümerie und allerlei an-ders Kleingewerbe. Und natürlich auch Wirts- und Gasthäuser.

Die Gassen von Torstheim waren eng, mit grob be-hauenen Steinen gepflastert, und rochen auch nicht sonderlich gut. Kein Wunder wurde doch der Schmutz und Kot der Menschen in Haufen in den Gassen auf-geschichtet und nur zwischendurch von Tagelöhner oder anderen Habenichtsen für eine Mahlzeit vor die Stadt gekarrt.

Es gab Orte und Gassen in Torstheim die einem auch bei Tage zu einem schnellen Schritt bewogen. In der Nacht hingegen war es so oder so niemanden so rich-tig wohl alleine durch die Gassen zu gehen, obwohl die Stadtwächter mit Gesindel kurzen Prozess mach-ten. Trotzdem, man mied gewisse Winkel und Orte

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ganz einfach. Einzig die Feuerwacht und der Zeitrufer wirkten beruhigend auf den nächtlichen Heimkehrer.

In dem Stadtteil in dem die feinen Leute wohnten war alles anders. Es war sauber und die Strassen mit viel weniger Löcher und Unrat. Dieser Stadtteil war bedeutend kleiner, als der der Armen.

Die kleinen Dörfer ringsum Torstheim hatten ihre Steuern ebenfalls dem Kloster zu entrichten. Und dass niemand zuwenig berappte, dafür sorgte der Vizdum Stratschapetta wiederum.

Wegen den grossen Steuerabgaben, die ja auch die Torstheimer an das Kloster zu zahlen hatten, ging es vielen Einwohner mehr schlecht als recht. Zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben. Und die richtigen Armen, Krüppel und Schwachsinnige, welche für kei-ne Arbeit mehr zu gebrauchen waren, siechten im Seuchenhaus vor den Toren der Stadt dahin.

Der Abt war nicht gerade beliebt, und die Messen die sein Orden abhielt, wurden meist aus Gehorsam, und wirtschaftlicher Abhängigkeit besucht, denn ein jeder war in irgendeiner Art und Weise vom Kloster abhängig.

Die Torstheimer waren aber streng gläubige Men-schen, und so sehr sie Gott verehrten, so sehr fürchte-ten sie den Teufel. Sie hatten für jede Not ein Heiligen zu dem sie beteten und um Fürbitte ersuchten. Der Aberglaube war tief in den Seelen der Menschen ver-wurzelt. Manch einer hatte Angst angehext zu werden. Es wurde getratscht und Augen und Ohren waren überall.

Staufer hatte heute eine Lieferung für das Kloster ge-

laden, und so mussten deshalb quer durch ganz Torstheim fahren um zu dieser zu gelangen.

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Das Gefährt ratterte durch die schmalen Gassen und Staufer grüsste mal links mal rechts und je nachdem zückte er mit einem Nicken den Hut.

Die Sonne schien steil zwischen den Hausdächer in die Gassen hinunter und blendete Pander.

Es herrschte an diesem Nachmittag, emsiges Treiben im Städtchen. Eine Magd zog einen Handkarren voll Gemüse hinter sich her und der Schweiss bildete klei-ne, glänzende Tropfen auf ihrer Stirn. Ein paar Laus-buben sprangen mit kleinen Stöcken einander nach. Vor dem Korbmacher wurde gerade eine Ladung Ger-tenstöcke abgeladen. Und aus der Schmiede ertönte das mächtige Schlagen der Schmiedehämmer auf den Amboss. Irgendwo musste jemand frisches Apfelmuss am Einkochen sein. Er liebte warmes Apfelmuss und da es genug Äpfel gab, kam er bei Stauffers nicht zu kurz und sein schmachtender Blick war Lohn genug für die Frau Stauffer.

Ein Ochsenkarren mit Streu für die Pferdestallungen des Klosters fuhr hinter ihnen und hatte daher wohl den gleichen Weg wie sie.

Eine enge, mit Kopfsteinpflaster bestückte Strasse, führte die letzten zweihundert Meter den Berg hoch zum Kloster.

Links und recht an den Bergseiten lagen die Reben des Abtes, und dessen Wein wurde weit herum ge-rühmt.

Pander musste an dieser Ansteigung, wie immer ab-steigen und die Pferde am Halfter ziehen. Nach ein paar Minuten kam das Gespann erschöpft oben an und sie fuhren in den Klosterhof ein.

Zu Fuss konnte man das Kloster über eine lange, breite Treppe, die ebenfalls durch die wunderschönen Reben führten, innert Kürze aus Torstheim erreichen.

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Von dort oben hatte man eine herrliche Aussicht. Man konnte über das ganze grüne Tal, die Wälder, und Flussbiegung sehen, welche hinter dem Berg ver-schwand.

Diese Aussicht genoss Pander immer aufs Neue. Und er atmete jedes Mal tief ein, schloss einen Mo-ment die Augen, öffnete sie beim ausatmen wieder, und fühlte sich einfach frei und wohl.

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II.

Rizzi und der Tod

Nach dem Abladen in der Klosterbäckerei, wo im-mer alles fein säuberlich gezählt und gewogen wurde und alles fein säuberlich ins Erntebuch eingetragen wurde, zog es Müllermeister Staufer, wenn immer möglich ins Gasthaus Reben. Dies aber nur, wenn er die Lieferung wie heute, erst am späten Nachmittag führte.

Pander durfte diese Zeit ebenfalls für die Einkehr in den Weinkeller nutzen. Dieser befand sich unten im Städtchen. Dort traf er sich mit seinesgleichen und es wurde viel geschwatzt und gelacht und unsittliche Witze gerissen.

Die Tische waren ausgediente in Hälften gesägte Fässer und Licht gab es nur aus ein paar verrussten Lampen. Die Wände waren dunkel und es roch es muffig nach altem fauligem Holz, Erde und natürlich auch nach Wein. Allerdings nur nach billigem Fusel.

Ein Vorteil hatte diese muffige Schenke. Es war im-mer kühl und man konnte sich auch lautstark austo-ben. Es wurde gegrölt und gelacht und vor allem ge-soffen. Natürlich erst so richtig, wenn der freie Tag vor der Türe stand.

Als Pander an diesem Spätnachmittag die Steinstu-fen in den Weinkeller hinunter stieg, konnte er noch nicht ahnen, das nun unmittelbar die Schreckensereig-nisse ihren Anfang und auch sein Unheil seinen Lauf nehmen würde.

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Im Weinkeller unten angelangt wurde er lautstark von den bereits anwesenden anderen Gesellen be-grüsst. Er setzte sich zwischen Sie und bestellte seinen üblichen Krug Roten.

Die eingeschworene Stammrunde war fast komplett. Wie immer sassen sie am Stammtisch, oder besser gesagt am, Stammfass, das grösste aller Fässer. Da sassen sie, Der Schmiedegeselle, und sein bester Freund, Rizzi, Müntener der Steinbehauer, Blaser der Küffner, Brasser von der Zimmerei.

Die Restlichen Leute sassen verstreut an Ihren Fäs-sern und scherten sich einen Teufel um sie. Das war ihnen allen rechts so.

Wie üblich nahmen die Gesellen ihre Meister aufs Korn, und je grösser der Spott, und Hohn um so lauter das Gelächter.

Ausser Rizzi, dem von der Schmiede war heute wohl nicht zum Spassen zumute. Pander wunderte sich schon ein wenig, dass er Rizzi, der sonst für jeden Schalk zu haben war, so ruhig und fast in sich gekehrt da sass. Na ja, vielleicht ist ihm etwas über die Leber gekrochen, aber das wird schon wieder, dachte sich Pander. So redeten und lachten sie weiter.

Rizzi aber wurde nach einer Weile richtig fahl im Gesicht.

”Hey Rizzi” so Müntener mit seiner fast weiblich hohen Stimme, ”sauf kein Wein, wenn du ihn nicht verträgst.”

”Vor allem kein Weisswein, der macht halt weiss im Gesicht, wenn man nichts mehr schlucken kann.” hak-te Blaser nach, und das Gelächter ging wieder los.

”Heronimus,” rief Brasser den Wirt, ”einen Krug Roten, unser Freund Rizzi braucht Farbe” und alle lachten schallend los.

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Rizzi aber verzog keine Miene und es schien so als ob er den Schalk der anderen gar nicht gehört hätte. Pander wurde nun doch ein wenig stutzig. Vielleicht war Rizzi krank.

”Rizzi,” und Pander griff freundschaftlich übers Fass an dessen Oberarm, ” Was hast du, ist dir nicht gut? Na komm, war nicht so gemeint. Also sag schon, was ist los.”

Rizzi, aber starrte nur, mit nach vorne herab gesenk-tem Kopf, aufs Fass, und hielt sich mit beiden Händen den seitlich den Kopf. Ehe Pander noch weiter etwas sagen konnte, begann Rizzi zu stöhnen. Zuerst ein dumpfes, Luft herauspressendes, dann ein Lautes hel-les Stöhnen, und plötzlich schrie der arme Kerl auf.

Nun wurde es plötzlich ruhig im Weinkeller. und auch die anderen Gäste schauten nun in Richtung Riz-zi, um zu sehen was wohl los war.

Rizzis Hände begannen zu zittern und die Augen quollen rötlich auf. Er stand mit leicht gebeugten Knien, so als ob er unschlüssig sei, aufzustehen oder wieder Platz nehmen solle, immer noch bei seinem Stuhl. Immer wieder schrie er kurz auf vor Schmer-zen. Pander und die anderen, sassen wie gelähmt und keiner wusste so richtig was er nun tun sollte und konnte. Rizzi begann nun wild ums sich zu schlagen und redete nur wirres Zeug.

Pander rief Heronimus dem Wirt zu, er solle ge-schwind nach dem Freiherr Pompeia, der auch Doktor war, rufen.

Plötzlich schoss Rizzi auf einen der Gäste zu und schlug diesem einen Weinkrug an die Stirn. Der Ge-troffene sank blutend zu Boden. Nun folgen die Krü-ge, und die Stühle quer durch den Weinkeller.

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Wie ein wildes Tier, schreiend und seltsame Laute von sich gebend stürzte sich Rizzi auf alles was sich im in den Weg stellte. Pander versuchte ihn von hinten um den Hals zu greifen, und die anderen griffen Arme und Beine. Rizzi wehrte sich nach Kräften, und er hatte als Schmiedegeselle auch deren mehr als genug, und sosehr die vier ihn zu halten versuchten, Rizzi riss sich los. Er stürzte die Steinstufen zum Ausgang hoch, hielt in der Mitte der Treppe unverhofft an, drehte sich um schaute still und verzweifelt in Panders Augen, so als ob er für einen kurzen Moment wieder zu Sinnen gekommen war, und ihm ganz bewusst wurde, dass nun sein Ende nahe war. Pander und die anderen blie-ben beim Treppenaufgang verdutzt stehen.

So stand Rizzi da. Alle Augenpaare auf ihn gerichtet. Pander, immer

noch wie angewurzelt, unfähig zu einer Handlung, sah tief in den Augen seines Freundes, dessen Hilfeschrei. So standen sie beide weiter nur da, einander anschau-end, hilflos, beide. Pander spürte wie es ihn innerlich fast zerriss. Er fühlte elend hilflos, zum Nichtstun ver-dammt. Er wollte seine Angst heraus schreien, er wollte schreien, helft ihm doch, irgendeiner soll ihm um Gotteswillen helfen. Aber keine Silbe kam aus seinem Mund.

Nun wankte Rizzi ein wenig, und es sah einen Mo-ment so aus als wollte er sich seitlich mit dem Arm noch an der Mauer abstützten, dann brach er zusam-men, und viel die paar Steinstufen, fast vor die Füsse der anderen, hinunter.

Da lag er nun mit dem Kopf voran auf den Stufen. Blut und Schaum rann aus seinem Mundwinkel und begann eine kleine Lache auf dem Steinboden zu bil-den. Seine Augen verstört geöffnet.

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Alles war still. Totenstill. Keiner sagte ein Wort. Pander war wie gelähmt. Alles ging irgendwie so schnell und trotzdem wie eine Ewigkeit.

Das war Rizzi sein Freund. Tot! Was war los? Was war passiert? Rizzi musste sicher jeden Moment auf-stehen und sie alle auslachen. Und sie würden ihm, dann sagen, dass dies sein bester Streich war.

Nein. Konnte er nicht, er war tot. Sie alle wussten es, aber keiner sagte es. So verharrten sie.

Plötzlich, sie wussten nicht wie lange Sie den vor ihnen liegenden Rizzi entgeistert anstarrten, durch-brach die oben aufgehende Türe die Stille und der Wirt trat mit dem Doktor Freiherr Pompeia ein.

Pompeia sah Rizzi auf der Treppe liegen und bückte sich zu ihm nieder. Er griff diesem an den Hals und an die Brust.

Er schüttelte nur leise den Kopf und zog dabei seine schon sonst so schmalen Lippen, zu einem dünnen weisslichem Strich, zusammen.

Alle wussten was das zu bedeuten hatte, sie hatten es ja geahnt. Rizzi war tot. Wirklich mausetot, kein Witz von ihm. Nein. Tot.

Klar hie und da starb einer. Der Tod war ihnen ge-genwärtig- Aber nicht so. So nah, so das zu sehen war wie der Tod langsam den letzten Lebenshauch aus einem Menschen und Freund presste.

”Freiherr Pompeia”, dort drüben liegt noch einer, rief einer der Gäste. und zeigte auf den zu Boden gesun-kenen Verletzten.

Pompeia ging zu dem Schwerverletzten hin, öffnete seine Tasche und versorgte diesen notdürftig.

”So helft mir doch damit ich ihn zu mir bringen kann Sonst stirbt der Mann”, rief Pompeia befehlend in die Runde.

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Aber Pander hörte nichts. Er musste unentwegt Rizzi anschauen. Wie gebannt sah er auf dessen Gesicht.

Die anderen trugen den Schwerverletzten an Rizzi vorbei, die Steinstufen hinauf.

Pander musste sich setzten. Er nahm zuhinterst im dunkelsten Ecken der Schenke Platz, und rührte sich nicht vom Fleck.

Er sass dort schon eine ganze Weile, da kamen die anderen zurück um Rizzi zu holen. Wie in Trance stand Pander auf und half den andern Rizzi die Stufen hinauf zu tragen. Oben im Tageslicht angelangt legten sie ihn auf ein Fuhrwerk, welches oben an der Strasse bereitstand.

Mit einem Peitschenknall begann der Ochse sich in die Riemen zu legen und der Karren setzte sich in Bewegung.

Sie fuhren die Marktgasse hinunter, an der Schmiede vorbei, bogen dann links ab in die Goldgasse wo auch der Goldmacher seinen Laden hatte, und die nächste Gasse war dann die Freihherrengasse in der auch das stattliche Haus mit reich verzierte Fassade des Freiher-ren Pompeias stand.

Immer noch wie in Trance half Pander mit, Rizzi vom Karren zu hieven. Er bemerkte kaum die vielen Menschen die Maulaffenfeil hielten. Es musste sich bereits herum gesprochen haben. Alle drängten sich hin zum Karren jeder versuchte einen Blick von dem Toten zu erhaschen. Alle redeten wild durcheinander.

”Platz da”, rief Pompeia fast böse in die gierende Menschenschar hinein. ”Er ist schon tot, seht ihr denn das nicht, los, Platz da!”, und diesmal war Pompeia wirklich Böse, und zur Unterstreichung seiner Worte drängte er mit wildem Gefuchtel die Schar zurück.

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Sie fassten nun Rizzi an Armen und Beinen und tru-gen ihn ins Haus hinein. Kaum drinnen angelangt schloss die Haushälterin energisch die schwere Haus-türe hinter sich und das Gemurmel verstummte all-mählich.

So standen Sie nun da. Keiner sagte ein Wort. Die Haushälterin, Trude Reich, hiess sie war um die vier-zig, ziemlich rundlich, und hatte neben einem gutmü-tigen Trost auch energische Zurechtweisung bereit. Je nachdem in welcher Situation sie gerade war.

Trude kannte natürlich auch Rizzi. Schon mehrmals musste sie ihn versorgen als er sich bei der Arbeit ver-letzte.

Rizzi war immer gutgelaunt und zu einem Spässchen bereit. Auch wenn er nicht immer die Behandlung bezahlen konnte war er im Haus stets hilfsbereit und man konnte auf ihn zählen, wenn mal etwas grösseres an Arbeit anstand, war es nun hier um Haus, oder auf irgend einem Gut des Freiherren Pompeia.

Dieser Rizzi lag da nun da vor ihr mit verzerrtem, verkrampftem Gesicht, die Augen weit offen. Tot. Er musste furchtbare Qualen erlitten haben.

Sie hatte schon viele Tote gesehen. Kleine Kinder, alte Leute die über sechzig Jahre alte waren. Verun-fallte, aber keiner hatte so ein Gesicht.

”Trude, ..... TRUDE”, rief Pompeia zum wiederhol-ten Male immer energischer und riss diese so zu Ihren Gedanken zurück zum Geschehen.

”Ja, ja”, stammelte Trude. ”Bringe mir bitte meine Instrumente und lege Sie

mir zurecht. Du weisst schon”, erwiderte Pompeia. Sie legten nun Rizzi in den eher düsteren Raum

rechts von der kleinen Eingangshalle hin, dort wo von

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Pompeia die Toten zurechtmachte, für den Einsarger des Klosters.

”So nun müsst Ihr gehen” sagte Pompeia und hielt zur Unterstreichung seiner Worte die Türe auf.

”Gebt auf Pander noch acht” rief er den Davonlau-fenden noch nach.

Trude hatte bereits die Lampe im Totenraum ange-zündet und die Instrumente lagen bereit.

Als erstes zogen sie Rizzi die Kleider aus. Trude wusch ihn mit einem warmen, nassen Tuch, beinahe zärtlich ab, so als ob sie ihn trösten wollte. Sie mochte nicht mehr nachdenken. Sie wusch einfach.

Als sie fertig war ging sie schweigend aus dem Raum, der hölzerne Fussboden knarrte unter ihr, und zog leise die Türe hinter sich zu.

Pompeia der daneben stand beugte sich nun seiner-seits über den toten Rizzi.

Pompeia wusste, dass er selber von vielen Torsthei-mer sehr geschätzt wurde. Half er doch den mittello-sen unter ihnen, auch mal ohne eine Bezahlung, und liess sie dabei nicht ihre Armut spüren. Pompeia war, als einziger Freiherr, der mächtigste Mann ausserhalb der Kirche und verfügte über viele Güter. So konnte er sich auch das Recht leisten, Kranke und Verletzte zu verarzten, auch ohne Bezahlung. Zum Missfallen des Klosters, welche selbst über ein Krankenraum verfüg-te. Stillschweigend wurde Freiherrn Pompeias Tun gebilligt. Er fühlte sich einfach dazu berufen, und ihn interessierte die biologische Schöpfung Mensch über alle Massen hinaus. Er erstellte selber Mixturen und Pülverchen und verabreichte diese den Armen. Lau-fend suchte er nach besseren Mittel und versuchte auf Gut Glück mal dies mal das aus. Natürlich nicht an sich selber. Die Armen und Kranken waren seine Ver-

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suchsobjekte, die nicht lange fragten was ihnen der freigiebige Freiherr und Doktor so gab.

So musste er sich natürlich, als Doktor interessierten, was mit diesem Rizzi nun geschehen war. Allein der Gerüchte wegen, die sicherlich bereits die Runde zu machen begannen.

Nun gut, an etwas musste dieser Rizzi ja zu Tode gekommen sein. Und das würde er auch erklären kön-nen. Er, ja er dachte, hätte einiges als Doktor schon geleistet, und deshalb musste er ja eine Erklärung fin-den.

Die anderen hatten ihm den Vorgang geschildert, und Pompeia begann nun an möglichen Ursachen her-umzuspekulieren.

Aber halt, Pompeia eines nach dem anderen, wies er sich selbst zurecht und seine Augen suchten Rizzi, der ja nackt vor ihm lag, nach sichtbaren Verletzungen ab. Ein paar frische Quetschungen, die er sich wohl bei dem Kampf mit den anderen zugezogen hatte. Ein paar alte, blaugelbe Blutergüsse. Die sicher schon mehrere Tage alt waren. Im Mund fehlten etliche Zäh-ne, halt normal. Rizzi war ja auch schon 35 Jahre alt. Und das Blut welches ihm aus dem Munde geflossen war, kam mit grosser Wahrscheinlichkeit von einem Zungenbiss, den er sich wiederum bei der Auseinan-dersetzung zugezogen hatte.

Gerne hätte Pompeia Rizzi geöffnet, doch das wurde als schlimmstes Teufelswerk abgetan. Dennoch, von seinen Wissensdurst getrieben hat er doch schon etli-che mittellose, Stadtstreicher geöffnet, die nicht von dem Kloster geholt wurden.

Fein säuberlich notierte er sich dann alles, fertigte Abbildungen an und schrieb alles in sein Buch, wel-ches er hütete auch bei nur irgendjemand zu erwäh-

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nen. Nein unvorstellbar, wenn das in falsche Hände geriete, und alle Hände ausser den seinen meinte er damit, dann stand es schlecht um ihn. Als Teufels-werk, Satanist, war schon mancher so geendet. Aber Rizzi konnte er nicht öffnen, vor allem nicht vor der letzten Ölung. Danach vielleicht, ja er musste zuerst nachdenken.

Nach dem er ein weiteres Mal Rizzi äusserlich nach irgendwelchen Spuren absuchte, und nichts weiter fand, legte er seine Instrumente zur Seite und lies, den Vizdum informieren, der seinerseits das Kloster den Vorfall wissen liess.

So richtig liess in der seltsame, schreckliche Tod ei-nes noch vor Stunden scheinbar kerngesunden Mannes nicht zufrieden, er hatte da schon ein paar Erklärun-gen, doch die musste er zumindest vorerst für sich behalten.

Während Pompeia Rizzi untersuchte, schlurfte Pan-

der schweren Herzens zum Kloster hoch. Das Fuhr-werk von Müllermeister Staufer war natürlich nicht mehr da. Es war bereits schon Abend. Also blieb Pan-der nichts anderes übrig als der weite Weg zu Fuss zur Mühle zu gehen.

Als er durchs Städtchen hinaus ging sah er wie da und dort das Geschwätz seinen Gang nahm, wie üb-lich, nach aussergewöhnlichen Ereignissen. Er hörte wie jemand sagte. Der Teufel, ja der Teufel musste da seine Hand im Spiel halten. Er mochte gar nicht mehr hinhören und begann immer schneller aus dem Städt-chen zu gehen. Bald lief er. Die Leute drehten sich nach ihm um, aber Pander lief immer schneller aus Torstheim hinaus, bis er zu seiner vertrauten Talenge kam.

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Völlig erschöpft und ausser Atem lief er in diese hinein und setzte er sich unter einen grossen Felsvor-sprung abseits des Weges hin.

Vor ihm plätscherte das Wasser, das in diesem heis-sen Sommer nicht so reichlich floss, talwärts Richtung Torstheim.

Ein dicker Klos drückte Pander im Hals und er konn-te kaum mehr richtig atmen. Er nahm einen handgros-sen Stein, der vor ihm am Boden lag und schmetterte in mit einen Schrei an die gegenüberliegende Fels-wand. Mit einem dumpfen Aufschlag zerbarst dieser in viele kleine Stücke. Er begann, die Steine die rund um ihn herumlagen, wie wild um sich zu werfen und dabei schrie er immer wieder;

”Warum? Waaarumm?” Nachdem er sich richtig den Schmerz von der Seele

geworfen hatte setzte er sich hin weinte leise und schlief dabei aus Erschöpfung ein.

Als er erwachte war es bereits Dunkel und trotz der heissschwülen Sommernacht begann es ihn leicht zu frösteln. Alles kam ihm unwirklich vor. Wo war er? Hatte er nur geträumt, das mit Rizzi?

Er streckte sich und ging hinauf zu der Mühle. Von weitem war die Mühle zu sehen, ihre Silhouette mit dem grossen Mühlrad hob sich deutlich, in dieser hel-len Mondnacht, von der Umgebung ab. Im Staufers Haus, gleich daneben, brannte noch Licht.

Pander klopfte an. Er hörte wie Staufer mit schweren Schritten auf die Türe zuschlurfte und diese aufmach-te.

”Was!?, du traust dich noch unter meine Augen, du du Taugenichts”, schrie ihn Staufer sofort an, als er ihn sah, und sein Kopf wurde rot wie eine Tomate

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dabei. ”Saufbold, Tagedieb Streuner”, schrie er aufs Neue und zitterte vor Wut.

Das war nun zuviel für Pander. Er ballte seine rechte Pranke zur Faust und schlug Staufer mit einem einzi-gen Fausthieb nieder. Dann riss er ihn an seinem Hemd hoch, und schrie dem völlig verdutzten und nichts mehr begreifenden Staufer ins Gesicht;

”Haltet euer Schandmaul. Haltet endlich euer Schandmaul. Rizzi, Rizzi von der Schmiede ist tot. Tot tot, tot. Da braucht ihr mich gar nicht anzuschrei-en. ”

Und kaum hatte er das gesagt lies er Staufer wie ei-nen nassen Mehlsack zu Boden sinken.

Alles war still nur das Schnaufen der beiden Streit-hähne war zu hören. Pander und Staufer blickten zur Seite.

”Tot?” fragte Staufer und richtete sich wieder auf und warf seinen fragenden Blick hinauf zu Pander.

”Tot!”, antwortete im Pander knapp. ”Wieso?..Tot?” hackt Staufer nach. Sie setzten sich an den massigen Holztisch hin und

langsam konnte Pander die Einzelheiten schildern und als er fertig war herrschte betretenes Schweigen.

So sassen sie noch eine ganze Weile bis Staufer die Stille durchbrach, und sich mit einem Aufschnauben erhob, und meinte;

”Gehen wir schlafen, morgen sieht alles anders aus.” Mehr konnte und wollte er auch nicht mehr dazu sa-gen. Es tat ihm leid. Er wusste um die tiefe Freund-schaft der beiden und Rizzi war schon manchmal auch in der Mühle zur Hand gegangen. Und auch Staufer war empfänglich für dessen witzige Art und dessen Hilfsbereitschaft.

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Pander erhob sich seinerseits und mit einem kurzen Gemurmel verliess er das Haus, und ging hinüber zum Anbau, wo er seine Kammer hatte. Er legte sich im Dunkeln auf sein Bett mit Heumatratze und starrte in die Schwärze. Sein Geist war wie gelähmt. Er konnte weder Freude, noch Trauer noch sonst irgendein Ge-fühl verspüren. Ausser eben dieser Leere. Irgendwann schlief er ein.

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III.

Im Kloster

Plötzlich fuhr er hoch. Die Sonne schien im mitten ins Gesicht. Was, ist es Sonntag?., Nein verschlafen, wieso? Staufer hätte in sicherlich rufen lassen.

RIZZI! da durchfuhr ihn, und ein beklemmendes Ge-fühl machte sich sofort breit in ihm.

Ganz benommen stand er auf und ging zum kleinen Fenster, von dem er die Mühle und die Zufahrt sehen konnte.

Der Wagen stand am Eingang und Manni, einer der Tagelöhner, war gerade dabei die Pferde einzuspan-nen. Nun kam auch Staufer zum Mühlentor hinaus und redete mit ihm.

Pander schloff schnell in die Schuhe hinein, lief die Stiege hinunter, und ging zu den Beiden hin

Staufer blickte ihn an und ehe sich Pander für sein Verschlafen entschuldigen konnte, meinte dieser;

”Wir wollten dich nicht wecken, du weisst ja..” und wirkte beinahe verlegen dabei, dass auch er einen wei-chen Kern hatte. Als wollte er diesen vermeintlichen Fehler sofort wieder gut machen, fuhr er im gewohn-ten schroffen Ton fort;

”Essen steht auf dem Herd bereit und dann aber fer-tig aufladen, es muss noch eine Fuhre in das Kloster und bei Hofers noch das Holz für die Ausbesserungen am Mühlrad holen.”

So gesehen war alles wieder wie sonst. Pander ging in die Essküche und Frau Staufer reichte im den Teller mit dem Haferflockenbrei und ein Stück

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Brot. Ihr Blick war mitfühlend und ehrlich besorgt. Sie rieb noch einen Apfel an der Schürze plank und drückte ihn beim hinausgehen in die Hand. Pander dankte es mit einem Nicken.

Diesmal wurde zwar noch weniger gesprochen, als sie Richtung Torstheim zufuhren. Und Pander war froh konnte er langsam seinen Apfel essen, so war er sich sicher noch weniger angesprochen zu werden.

Doch als sie sich dem Städtchen nährten spürte ein jeder die Spannung die in der Luft lag. Pander schaute während der Fahrt durch Torstheim zerstreut mal links und rechts und liess bloss ja nicht seinen Blick zulan-ge auf einer Stelle beruhen. Das gleichmässige Rütteln des Wagens passte zu seiner innerlichen Stimmung und vertiefte diese nur noch mehr.

Vor der Klosterbäckerei im Klosterhof machten sie sich daran die Mehlsäcke ins Lager zu tragen.

Während des Endladens kam ein, in einer schwarzen Kutte und hochgezogener Kapuze, bekleideter Mönch auf Pander zu und sprach ihn an;

”Du musst Pander sein?”, tönte es unter der Kapuze hervor.

Pander nickte bejahend. ”Komm mit mir mit”, und schon lief der Mönch ra-

schen Schrittes davon. Pander schaute zu Staufer, und als dieser bejahend

nickte, folgte er dem Mönch. Sie liefen quer über den grossen Klosterhof, welcher

mit massiven Steinplatten bestückt war, und traten an einem Seiteneingang, einem kleinen Bogen, in das Kloster ein.

Pander schloss die Türe hinter sich, und im ersten Moment konnte er, von der Sonne draussen noch ge-blendet, kaum etwas erkennen.

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Der Mönch eilte weiter voraus. Treppe hinauf, hinein in einen langen Korridor rechts, links geradeaus, ein nächster Gang links ...

Pander hatte längst die Orientierung verloren und begnügte sich mittlerweile seinen Blick auf die schwarze Kutte vor ihm zu halten.

Plötzlich hielten Sie vor einer Türe an. Der Mönch klopfte an. Die Türe ging auf und ein weiterer Mönch, genau gleich gekleidet, erschien.

”Pander”, und dabei zeigte der erste Mönche auf Pander.

”Tritt ein”, so der andere Mönch kurz und bündig zu Pander. Nun langsam begann sich dieser zu wundern.

Er befand sich mitten in einem Raum mit Altar und vielen brennenden Kerzen. Gestalten in den ver-schiedensten Kleidungen, befanden sich darin. Die einen kniend die anderen stehend, in irgendwelche dicken Bücher versunken. Ein beissender Rauch durchzog den Raum, und biss fürchterlich in der Nase.

Drei Mönche knieten vor dem Altar, nach vorne her-ab gebeugt, in sich versunken, leise, lateinische Ge-sänge in steter Monotonie in tiefer Stimmlage vor sich her singend, da wusste Pander, kein Zweifel hier wur-de eine Messe von besonderer Art gehalten. Und er, er befand sich mitten drin. Doch irgendwie passte auch dies in das Geschehen der letzten Stunden hinein. Trotzdem ein leiser Schauer lief ihm über den Rücken hinunter.

Eine Handbewegung deutete Pander an, sich auf den vor ihm stehenden leeren Stuhl zu setzten. Wortlos nahm er Platz. Es sass still, und hörte den Gesängen der Mönche weiter zu, die sich weiter kniend, mit dem Gesicht dem Altar zugewandt hielten.

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Er wusste nicht wie lange er da schon sass, da ging plötzlich die Türe auf und mehrere Mönche betraten den Raum. Sie gingen die drei Stufen hinauf zum Al-tar. Alle hatten sie die Kapuzen weit vorn übers Ge-sicht gezogen und im Dämmerlicht, und Rauchqualm konnte Pander keine Gesichtszüge ausmachen. Nun standen die vor ihm knienden Mönche auf und verlies-sen, weiter in ihren Gesängen einstimmend und die Hände in den weiten Kuttenärmel verschränkt, den Raum.

Plötzlich wurde es ganz ruhig. Und Pander spürte erst jetzt, dass sein Herz ihm bis zum Halse pochte, und er jeden Pulsschlag in den Ohren dröhnte. Pum, Pum, Pum ......

Nun formierten sich die Mönche beim Altar. Einer stand in der Mitte, hinter den Altar, und die restlichen knieten seitlich links und rechts auf den Stufen dessel-ben.

”Steh auf!”, forderte die Stimme des stehenden Mönches.

”Du weisst warum du hier bist?!” fragend und doch feststellend gemeint.

Pander wusste nicht so recht was er darauf erwidern sollte. Klar, die Sache mit Rizzi war ja schon sehr seltsam, aber was hatte er damit zu tun. Er starb ja nicht. Und ehe er antworten konnte, erwiderte die Stimme, ”Rizzi, der Schmiedegeselle….“

Natürlich wusste er das. Gestern, ja kaum ein Tag her, wie sollte er so etwas so schnell vergessen?

”Aldus, ist mein Name, der Abt und der Vizdum Stratschapetta haben mich beauftragt, die Geschehnis-se zu Untersuchen und deshalb bist du hier. Du weisst das Böse hat viele Gesichter und der Teufel ruht

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nicht” so der nun nicht mehr namenlose Mönch wei-ter.

Geschehnisse, von was für Geschehnisse sprach der bloss?

”Geschehnisse?”, rutsche Pander sogleich über die Lippen.

”Ja, Geschehnisse, die keine Zeit verstreichen lassen dürfen. eine Bürgerin und vier Unfreie sind gestern auf sonderbarste Art und Weise verstorben, und das ganze Städtchen ist in Aufruhr. Jeder fürchtet er könn-te der nächste sein. Und du warst Rizzis bester Freund. Es könnte sein, dass auch du vom Teufel besessen bist und es bis jetzt noch nichts bemerkt hast.

Pander hörte zu, konnte aber erst gar nicht glauben was er da alles hörte. Noch mehr Tote und nun sollte womöglich auch noch er vom Teufel besessen sein. Er setzte sich ohne nachzufragen.

”Die Anzeichen wie die Leute zu Tote kamen deutet eindeutig auf satanische Wirkung ein” und während Aldus das sagte zog er ein wenig seine Kapuze aus dem Gesicht zurück, und im fahlen Kerzenschein konnte Pander sein schmales weissgelbliches Gesicht kurz erkennen.

”Also berichte uns, ist irgendetwas Besonderes in der letzten Zeit vorgefallen mit Rizzi oder dir? Habt ihr an Ritualen oder Teufelsaustreibungen teilgenom-men?

Pander hatte eigentlich nichts zu überlegen, trotzdem verzog er eine nachdenkliche Miene, und nach länge-rem Zögern antwortete er, dass er keinerlei teuflische oder ähnliche Begegnungen je gehabt hätte oder habe, und soweit ihm bekannt sicher auch Rizzi nicht.

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”Nun gut, vorsichtshalber reinigen wir auch dich”, meinte Aldus und winkte zwei der knienden Mönche herbei.

Reinigen? dachte sich Pander und nun wurde ihm wirklich unwohl.

”Nur im Falle, dass du bereits von der dunklen Seite des Teufels befallen bist”, sprach Aldus, als hätte die-ser die Gedanken Panders soeben vernommen.

”Glaub mir, es ist nur zu deinem besten” so Aldus weiter.

Pander hatte aber schon Schlimmes über so genannte Teufelsaustreibungen vernommen, es soll dabei gar schon Tote gegeben haben. Nein, irgendwie musste er diese Prozedur von sich abwenden, ehe es zu spät ist. Währenddessen bereiteten die beiden Mönche alles für die Austreibung vor.

Auf einen altarähnlichen Tisch, den sie von der Raumecke in die Mitte des Raumes stellten, legten sie mit Weihwasser bedunkte weisse Tücher. Die leder-nen Gurtriemen für Arme und Beine wurde zurechtge-legt. Kerzen, Bücher, eine grosse silberne Schale, und ein mächtiges Kruzifix lagen bereit.

Als Pander sein Blick auf diesen Altartisch warf, und sah, dass immer mehr Utensilien bereitgestellt wur-den, da passierte es.

Pander schob Aldus energisch zur Seite, und sprang mit einem Riesensatz zur Türe, riss diese auf und flüchtete in den dunklen Korridor hinaus. Raus, schnell raus hier, dachte er sich.

Seine Augen versuchten den dämmrig, schummrigen Korridor zu durchdringen. Wo ging es raus? Er lief geradeaus, da hörte er hinter sich bereits die lauten Stimmen von Aldus und den anderen Mönchen. Er kam an einer Treppe an und rannte diese hinunter. Das

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Geschrei der ihn verfolgenden Mönche wurde immer lauter und er hörte wie verschiedene Türen aufgerissen wurden. Er jagte weiter die Stufen hinunter. Wo, wo ist dieser verfluchte Ausgang?

Nein, das war der falsche Weg, er musste nochmals rauf, diese Treppe führte in das Kellergewölbe. Er drehte um und wollte ein Stockwerk höher als er oben bereits eine ganze Horde Mönche auf ihn zustürmen sah.

”Dort, dort ist er haltet ihn” hörte einen rufen. Siedendheiss durchfuhr es ihn. Die nackte Ueberle-

bensangst packte nun eiskalt zu. Kehrt, hinab in die Kellergewölbe. Er rannte einfach

hinein in die dunklen Gänge, so schnell wie ihn seine Beine trugen. Geradeaus, links, rechts, nur weg vom Geschrei der Verfolgenden. Die Lungen brannten ihn und sein Herz jagte, er musste weiter, einfach weiter. Es ging nicht mehr, er musste kurz halt machen.

Er stellte sich in einen dunkle, feuchtkalte Nische im Kellergewölbe, welche nach nasser Erde und Stein roch, und versuchte so gut es ging leise wieder zu Atem zu kommen.

Während er so in nach vorn gebückter Haltung, die Arme an den Knien abstützend, ruhte, hörte er von weitem wieder die Stimmen. Er musste also wieder weiter.

Seine Augen hatten sich allmählich an das Schum-merlicht gewöhnt und er konnte unweit von sich eine Türe ausmachen. Er Griff den massigen Eisenriegel und... es war offen. Gott Lob.

Leise öffnete er die Türe und, schloss sie sofort hin-ter sich zu. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Türe und wollte eben tief durchatmen, als eine tiefe Stimme fragte,

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”Was willst du hier?” Und plötzlich stand ein ziemlicher Riese von einem

Mönch vor ihm. Pander überlegte fieberhaft. Die anderen mussten

bald zu hören sein, und dann wusste auch dieser Mönch Bescheid.

”Ja, ähm, mmhh” und ehe er antworten konnte waren die Verfolger bereits gut zu hören.

Aldus krächzte, ”Verteilt euch, schaut in jedem Raum nach.”

Pander seinerseits ballte die Faust und wollte soeben wenigstens versuchen den Riesenmönch niederschla-gen, als dieser ihm zuvorkam und zu ihm leise sagte; ”Dort hinten”, und er zeigte dabei auf ein paar Säcke, ”versteck dich dort, schnell.”

Pander ganz verblüfft, war einen Moment wie ge-lähmt, da gab ihm der Mönch eine kräftigen Schubs, und schon flog er Richtung der aufeinander geschich-teten Säcke. Pander wieder gefasst duckte sich schnell hinter diesen, und war kaum unten da wurde auch schon die Türe aufgerissen.

” Jonathan hast du was gehört oder gesehen?” fragte irgendein Mönch, und blieb in dem Türrahmen stehen.

”Was soll ich gesehen oder, gehört haben?”, stellte sich Jonathan ahnungslos dumm hin.

”Ach, schon gut, wieso frage ich dich überhaupt” erwiderte grimmig der andere Mönch und schlug die Türe wütend hinter sich zu.

Langsam verstummten die aufgeregten Stimmen der Verfolger, in den Weiten der Gänge.

Pander aber traute sich immer noch nicht recht aus seinem Versteck hervor, bis Jonathan sich über die Säcke beugte und meinte;

”Komm raus, sie sind sicher weg”.

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Pander kroch immer noch ein wenig misstrauisch hinter den Säcken hervor und stand langsam auf.

”Danke”, stotterte er; ”Danke, Aber wieso hast du mir geholfen?”, und erst jetzt sah Pander wie gross Jonathan wirklich war. Da wäre er an den falschen geraten, mit seiner Faust.

”Das ist nicht so einfach zu erklären, setz dich und ich werde es versuchen.”

Und beide nahmen nun auf den Säcken Platz. ”Weisst du”, fing Jonathan an; ”ich bin schon ewig

hier, diese Mauern sind mein Zuhause. Man sagt so allgemein, dass ich nicht immer ganz richtig im Kopf sei. Aber das stört mich nicht. Auch werde ich meis-tens zur Drecksarbeit eingeteilt. So wie heute, die al-ten, muffigen Kellerräume aufräumen und das Unge-ziefer jagen. Mir macht das aber nichts aus, denn so habe ich meine Ruhe. Weisst du eigentlich bin ich nicht gerne allein, aber hier im Kloster schon. Und Aldus, du hast ja bereits Bekanntschaft mit ihm ge-macht, ist überaus eifrig, Weisungen des Abtes durch-zuführen. Und seit gestern Abend wieder einmal be-sonders. So war unschwer für mich zu erraten, dass du schwer in Not warst. Das ganze Teufelsaustreibungs- und Verbannungsritual, ich glaube nicht, dass das den wirklich Besessen auch hilft. Und wenn ihr Schreien und Wehklagen in den weiten der Gänge verhallt, dann weiss ich nicht mehr welcher Teufel nun wen austreiben versucht. Aldus und sein Gefolge sind dann nicht mehr Herr ihrer Sinne. Und seit gestern Abend waren es schon mehrere Austreibungen. Also ich musste dir einfach helfen. Verstehst du jetzt warum?”

Pander war richtig gerührt, so ein Riese mit einem so weichen Kern. Dieser Kerl musste man einfach auf Anhieb gern haben. Schon wie er das ganze sagte,

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unbeholfen, nach den richtigen Worten suchend. Er mochte ihn einfach sofort. Und das bestimmt nicht nur weil er ihn vorerst gerettet hat.

”Danke, wirklich ich muss dir danken”, bedankte sich Pander erneut. ”Aber ich hoffe, dass du meinet-wegen nicht in Schwierigkeiten gerätst”, fügte er ihn sorgenvollem Ton sogleich an.

”Ach was, ich bringe dich hier raus und keine Men-schenseele erfährt etwas davon. Wir müssen aber noch ein Weilchen warten, bis sich der Trubel gelegt hat und dann bringe ich dich raus. Erzähl doch, wieso genau bist du hier? Was ist denn mit dir passiert?”

Pander fing zu erzählen an. Währenddessen auf dem Klosterhof.... Staufer wunderte sich langsam wo Pander blieb und

blickte ungeduldig in Richtung in welche dieser samt Mönch verschwunden war. Sie hatten längst abgela-den und mussten eigentlich weiter. So in Gedanken versunken, wurde er plötzlich von lautem Gebrüll und nahem Glockengebimmel aufgeschreckt. Aus den Tü-ren im Hof kamen verschiedene Mönche herausge-stürzt, blickten links und rechts, liefen weiter, sie suchten irgendetwas.

Auf einmal zeigte ein Mönch in seine Richtung und eilte schnellen Schrittes geradewegs auf ihn zu. Noch nicht einmal bei ihm angekommen rief er ihm schon etwas zu. Staufer konnte es aber nicht verstehen und schaute weiter den herbeieilenden Mönch an. Dieser kam nun angeschnaubt und wiederholte wohl seine Frage von vorhin.

”Wo ist Pander? Ist er hier?”

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” Pander?” fragte Staufer nach. ”Nein, der ist nicht hier, das müsst schon ihr schon selber wissen, wo er steckt. Ihr habt ihn ja mitgenommen. Und überhaupt was ist los? Hat er was angestellt?”

Der Mönch winkte mit einer kurzen Handbewegung ab, drehte sich um und meinte nur in unterschwellig drohenden Ton;

”Wenn ihr ihn seht, lasst es uns wissen, es ist besser so für ihn”, und, er machte eine ganz kurze Pause, und fügte dann in unterschwelligem Drohen bei, ”auch für euch und eure Mühle.”

Staufer erwiderte kurz und bündig, ”Ihr wagt es, einem Bürger zu drohen?” und schaute

den Mönch dabei grimmig an. Dieser drehte sich, ohne darauf eine Antwort zu ge-

ben um, und lief davon.. Staufer griff sich an die Stirn und atmete tief aus.

Was war eigentlich los? Gestern der Tod Rizzi und heute Pander. So kannte er Pander nicht. Er hatte ei-gentlich nie Ärger gegeben mit Pander. Dafür war dieser zu ruhig und überlegt. Er merkte erst jetzt so richtig, wie zufrieden er mit ihm war.

Langsam gaben die Mönche ringsum ihn herum, die Suche nach Pander wohl auf, und das Geschehene begann sich zu beruhigen. Zumindest äusserlich.

Eines war ihm klar, er musste wohl nicht mehr auf Pander warten. So begab er sich auf den Weg ins Städtchen.

”Hmm, so geschah das also”, meinte Jonathan als

ihm Pander das Geschehene zu Ende erzählte. ”Und jetzt bist du erst richtig in das Ganze hineingeschlit-tert, mit deiner Flucht vor Aldus.”

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”Besser, als vielleicht tot”, erwiderte Pander zynisch. „Ich habe zuviel gehört von den Verhören und den Teufelsaustreibungen, und wer weiss was die mit mir alles gemacht hätten. Und ich weiss ja, ich habe kei-nen Pakt mit dem Teufel geschlossen und auch sicher Rizzi nicht. Der war immer so fröhlich und witzreich gewesen. Aber dieser Aldus da, der hat für mich was Teuflisches an sich. Habe kurz sein fahles Gesicht gesehen und ich glaubte ein Jünger Satans vor mir zu haben. Beginnen wieder diese Teufels und Hexen-wahnvorstellungen wie vor Jahren? Was ist bloss los in dieser Zeit, Jonathan“? Jonathan hörte ihm zu ohne mit der Miene zu verraten was er davon hielt und als Pander eine länger Pause machte, hackte er sogleich ein.

”Nun gut, warte hier auf mich bis ich wieder komme, und rühr dich nicht von der Stelle, ich bin bald zurück und dann helfe ich dir hier raus”, schärfte Jonathan Pander ein, und klopfte diesem zur Aufmunterung einmal auf die Schulter. Sagte es und verschwand aus der Türe.

Pander hockte sich wieder hinter die Säcke und war-tete. Er zog die kaltmuffige, staubige Luft durch die Nase, und kam sich dabei fast wie begraben vor. Ru-hig war’s. Wirklich still, Keine Schritte, keine dump-fen Stimmen, auch nicht von weit her. Nicht einmal Mäuse oder Ratten, oder sonstiges Ungeziefer hörte er. Er fing an leise Schnalzlaute mit der Zunge von sich zu geben. Und erschrak dabei, wie laut das klang. Im Raum wurde wohl seit langem alte Ware gelagert welche mit Staub und alten Spinnweben bedeckt wur-den. Altes staubiges Zeug dass die Zeit vergessen hat-te.

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Die spinnen ja, dachte er weiter, ich und von Teufel besessen. Sie sollten einem besser in Ruhe lassen. So könnte er im Weinkeller sein Krug kippen, und alles wäre wieder gut.

Langsam ging ihm auf, dass er sich auch ausserhalb des Klosters nicht mehr blicken lassen konnte. Das Kloster hatte Augen und Ohren überall. Die Stadt-wacht wusste bestimmt schon Bescheid. Das wurde schwierig, wo sollte er hin. Hier konnte er ja auch nicht bleiben. Er kannte das Gefühl erst gar nicht aber ihm wurde klar, er war auf der Flucht und mit seinem davonlaufen vorhin, hatte er sich wohl richtig ver-dächtig gemacht. Er war zum Futter des Hexenswahn geworden. Erst mal raus hier und dann schaut man dann weiter, versuchte er sich selber zu beruhigen. Trotzdem hing er weiter seinen Gedanken nach, Er hing seinen Ge-danken nach und war zwischen Wach und Schlaf bis er plötzlich von weitem Schritte vernahm. Die Türe ging auf, und sogleich wieder zu und Jonathan brummte leise.

”Ich bin’s. Komm raus.” Erleichtert, dass Jonathan das war, kam Pander hin-

ter den Säcken hervor gekrochen. ”Da” flüsterte Jonathan, ”lass es dir schmecken”,

und drückte dabei Brot, Wurst und ein Stück Käse Pander in die Hand.

Einen Krug mit Wein stellte er neben sich zu Boden, zeigte Pander darauf und meinte,

”Für den Durst.” Eigentlich hatte Pander überhaupt keinen Hunger,

aber als er das frische Brot und die Wurst und den Käse roch da biss er kräftig ein, und spürte erst jetzt wie gross sein Hunger war.

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Während er ass, sass Jonathan neben ihm und freute sich sichtlich über dessen Appetit. Den Wein teilten sie sich und als sie fertig waren zog Jonathan eine Kutte unter der seinen hervor.

”Zieh das an, keine Angst ist keine von meinen, sie wird dir schon passen.”

Man sah ihm an, dass er das Lachen richtig unter-drücken musste.

Pander zog sich die Kutte über und Jonathan half ihm beim umbinden des Strickes um die Taille.

”Siehst gar nicht übel aus” Jonathan musterte ihn kurz und meinte noch. ”Doch, ich glaube so geht’s. Zieh die Kapuze noch hoch und dann folge mir ein-fach. Wenn du angesprochen wirst, überlass das Spre-chen einfach mir. Ich kann dich aber nur bis unterhalb des Klosters bringen, dann musst du selber schauen wie du weiterkommst. Aber du wirst es schon schaf-fen.”

Jonathan öffnete die Türe und sie betraten zusammen die dunklen Kellergewölbe. Nach ein paar Schritten weiter, wurde es heller und Jonathan nahm die Fackel aus der Wandhalfterung hinunter.

”So komm.” Im Flackerlicht der Fackel, sahen die Gewölbe noch

gespenstischer aus als vorher im fahlen Schein, den das bisschen Tageslicht das manchmal durch die we-nigen Oberlichter, welche auch ein wenig zu Lüftung dienten, seinen Weg fand.

Zielstrebig führte Jonathan, Pander durch diesen Irrgarten an Fluren, Hallen und Räumen. Alsbald tra-ten sie durch eine alte, kleine stark verwitterte Tür, ins Freie.

Pander war überrascht, dass sie sich schon direkt un-terhalb der Klostermauern, in den Reben befanden.

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Unter ihnen konnte man im Eindunkeln der Nacht ein paar wenig schwache Lichter ausmachen.

”So, weiter musst du nun leider selber gehen. Aber denke daran, des Abtes Gefolge ist überall. Und der Vizdum Stratschapetta ist ein eifriger, gottesfürchtiger Mann. Nimm dich also in Acht vor ihm und seinen Leuten. Am besten du gehst in die Fremde..... Schade, wir wären sicher Freunde geworden,” meinte nach kurzen Schweigen Jonathan weiter.

”Sind wir das nicht schon ein wenig?” und während Pander das sagte schaute er auf Jonathan.

”Ja das glaube ich auch und ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder, und sei es in der Fremde.” Jonathan klopfte Pander auf die Schulter, drehte sich um und ging zurück ins Kloster.

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IV.

Pompeia

Pander stand nun alleine da. Unter ihm lag das schwach beleuchtete Torstheim.

Dort wo die Sonne unterging trug der Himmel noch die letzten Schleier des Sonnenunterganges. Dunkel-violett mit Türkis durchzogen und mit silbernen Wol-kenbanden verziert. Ein zu schöne Nacht für eine Flucht.

Vor ihm lagen die steilen Reben. Er zog die kühle Sommernachtsluft tief durch die Nase ein. Sie roch trockenem Heu, Kuhdung feuchter Erde und Rauch von den Feuerherden der Torstheimer.

Die Sterne am Himmel fingen schwach zu funkeln an. So war Pander eben, auch in schweren Stunden, oder vielleicht deshalb sah er mit stets mit offenen Augen. Hatte ihm doch sein längst verstorbener Vater gesagt, dass die Armen und genügsamen Mensch ein Blick für die Werke des Herrn hätten. Was hätte wohl sein Vater in seiner Situation gemacht? Er wusste nicht warum aber auf einmal wurde ihm der Tod sei-nes Vaters wieder so richtig bewusst. Er fiel als er dreizehn war in einer Schlacht unter fremder Fahne um Brot für die Familie zu verdienen. Er hat ihn nie mehr gesehen aber er spürte noch die Umarmung als er wegging und sah noch das Augenzwingern mit dem er ihn des Öfteren geneckt hatte.

Ein Rascheln hinter ihm holte ihn gnadenlos wieder zurück. Er drehte sich um und schaute auf die massi-

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ven, hohen Klostermauern. Irgendein Kleintier wohl, so dachte er.

Nun gut er war draussen. Wie aber weiter. Die klei-nen Mauern die um die Rebberge führten waren ein-fach zu überwinden. Sie dienten ja auch nur für den Hochwasserschutz. Also erst mal weg hier und dann die Lage überdenken.

Pander lief zwischen den Rebstöcken die steile Bö-schung hinunter. Vom Abendtau feuchtnass. Öfters fiel er hin und rutschte mehr als er ging. Unten ange-langt kletterte er über die Mauer und setzte sich unter einen Baum, welcher ein wenig mit Gebüsch umgeben war, hin.

Also Pander, so sagte er leise zu sich, was jetzt? Stratschapetta und die Mönche des Abtes werden si-cher im Städtchen sein und nach ihm suchen. Zur Mühle konnte er bestimmt nicht. Dort werden sie als erstes nach ihm suchen. Gut in der Kutte war er gut getarnt. Aber falls er Mönchen begegnen sollte dann würde es schwieriger, denn diese würden ihn mit Be-stimmtheit ansprechen und, was dann?

Sein Gesicht kannten ja nur eine Handvoll der Mön-che. Das war ein Vorteil. Auf jeden Fall aber würde er noch hier warten bis es ganz dunkel wurde und dann erst ins Städtchen hinein wagen.

Er dachte noch eine Weile so vor sich hin und zählte die Glockenschläge von der Klosterkirche. Toong, Toong, ... .

Er wartete bis es ein Uhr schlug, und machte sich dann auf den Weg.

Obwohl Sommer, waren seine Glieder steif und klamm von der feuchtkalten Nacht. Vielleicht war es aber auch nur die Anspannung in der er so verharrte.

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Er lief einen wenig benutzten Feldpfad neben den Gärten hinab nach Torstheim.

Es war ruhig geworden. Manchmal da hörte er einen Hund in die Nacht hinaus heulen, und eine Nachtigall sang ihr Lied, sonst aber war es still.

Als er in die ersten dunklen und unbeleuchteten Gas-sen lief, stieg seine Anspannung. Er hatte sich ent-schlossen die Mönchskutte anzubehalten. Es gab viele Mönche in dem Kloster, sicher kannten sie sich nicht alle untereinander.

Er wollte zu Pompeia. Er musste mit ihm sprechen. Er als Doktor und Freiherr wusste vielleicht was mit den Menschen passiert ist. Rizzi hat er auch unter-sucht. Hoffentlich wusste dieser mehr. Und kann so alles aufklären.

Aber erst mal musste er es bis zu ihm hin schaffen. Er ging weiter nahe an den Hausmauern entlang, um

falls nötig, sofort in eine dunkle Nische huschen zu können. Die Glocke vom Kloster schlug erneut, und auch die Türme der Stadt hörte er jetzt deutlich schla-gen, aber er mochte gar nicht recht acht geben, wie viel Uhr es gerade schlug.

Er ging zielstrebig weiter, sein Gesicht weit in die Kapuze hinein zurückgezogen, die Arme in den wei-ten braunen Ärmel verschränkt, ja so mochte wohl ein jeder Mönch aussehen, der des nächtens durch die Strasse schritt.

So versuchte er sich weiter Mut zu zusprechen. Seine Beine wollten ein immer rascher, werdenden Gang einschlagen, und bald dachte er würde er laufen. Er zwang sich weiter, scheinbar ruhigen Schrittes vor-wärts zu gehen. Alles war wirklich still. So wie etwa im Winter wenn alles dick verschneit war und er allei-

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ne durch den Wald stapfte. Ja, ganz ähnlich wirkte diese Stille auf ihn.

Nun langsam näherte er sich der Gasse in der Pom-peia wohnte.

Doch plötzlich konnte er vor sich eine Laterne aus-machen. Der sie trug musste aus der Seitengasse etwa dreissig Meter vor ihm gekommen sein. Er wusste nicht ob er auch gesehen worden war. Wahrscheinlich nicht, denn aus der Helle sieht man nur schlecht ins Dunkle, und vor allem wenn einer so wie er dunkel gekleidet war. Nur ruhig Blut. Das Licht kam langsam auf ihn zu. Ruhig schritt Pander weiter. Eine Stimme grüsste ihn mit den Worten;

”So auch noch so spät unterwegs, Bruder?”, und in dem der Mann das sagte hob er seine Laterne in Höhe des Gesichtes von Pander.

Dieser trotz versunkenem Gesicht in die Kapuze, kniff vom hellen Schein der Laterne geblendet, seine Augen zusammen. Pander konnte deshalb erst gar nicht erkennen wer denn da ihm gegenüber stand.

”Gottes Gruss mein Sohn”, erwiderte Pander schlag-fertig, und war selbst überrascht von seiner Antwort, und fügte sogleich an, ”Was führt dich zu so später Stunde her, mein Sohn.”

Mein Sohn ja das tönt gut so nach Mönch und Kir-che so offiziell, dachte sich Pander und musste dabei aufpassen, dass er nicht übermütig wurde.

”Ich gehöre zur Feuerwacht und schau nach dem Rechten. Obwohl es heute ein wenig ungewöhnlicher ist als in anderen Nächten. Wegen der seltsamen To-desfällen. ihr wisst schon Bruder. Was meint ihr da-zu?”

Pander schnaufte tief unter seiner Kapuze hervor: ”Schlimme Sache, wirklich traurig und schlimm, aber

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ich habe keine Zeit muss leider schon weiter. Gott behüte”, und ehe der Feuerschauer noch Antwort ge-ben konnte, verschwand Pander im Dunkeln.

Nun war es Gottlob nicht mehr weit zu Pompeias Haus. Und wirklich da stand er auch schon vor der massiven Haustüre. Er hob den schweren Eisenring an der Haustüre an, und schlug in zweimal kurz und kräf-tig an die Türe an. Die dumpfen Laute verhallten im massiven, massig steinigen gebauten Hause Pompeias.

Pander wartete und wollte gerade noch ein zweites Mal anklopfen, da hörte er Geräusche im Haus.

Ein Stockwerk über ihm wurde ein kleines Fenster geöffnet und Trude Reich streckte ihren Kopf heraus, und fragte mit nachtverschlafener Stimme:

”Wer ist da?, mitten in der Nacht” Pander blickte zu ihr hoch und gab so leise wie mög-

lich Antwort: ” Ich bin’s , Pander” ” Pander”? fiel Trude Reich fast ein wenig ängstlich

und ungläubig diesem ins Wort. Pander merkte erst jetzt, dass er noch immer in der

Kleidung eines Mönches war, und zog rasch seine Kapuze aus dem Gesicht.

” Ich bin’s, wirklich” so Pander und streckte seinen Kopf nun noch weiter Richtung Trude Reich.

Trude Reich nun ein wenig ruhiger zu ihm: ”Was machst du hier, um Gottes Willen?, und wie

siehst du überhaupt aus? Die suchen dich schon über-all!”

”Darf ich schnell reinkommen, ich muss dringend mit dem Freiherren Pompeia sprechen. Es ist wirklich sehr dringend, bitte lass mich schnell rein”, gab Pan-der eindringlich zur Antwort.

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Trude Reich zögerte einen Moment und meinte dann:

”Warte ich komme gleich” Sie schloss das Fenster und Pander wartete ungedul-

dig, dass sich endlich die Türe vor ihm öffnete. Tatsächlich nach kurzer Zeit, die ihm wie eine kleine

Ewigkeit erschien, ging die Türe auf und Trude stand mit einer Laterne vor ihm.

”Schnell aber jetzt, rein da” und während Trude das sagte zog sie Pander an der Kutte zu sich herein.

Schnell, aber leise schloss sie die Türe hinter sich zu. ” Warte hier, ich hole Pompeia, der wird eine Freude

haben” und Trude zeigte auf eine Holzbank, welche in einer Ecke der kleinen Eingangshalle stand.

Sie verschwand samt Laterne im Stiegenhaus. Pan-der setzte sich, er war es sich am heutigen Tage ja bereits gewohnt zu warten.

Als er so in der dunklen Stille sass, dachte er darüber nach, wo sich Rizzi nun befand. Vielleicht sogar noch im kleinen Totenraum gleich nebenan. Wohl kaum, eher im Kloster. Wer weiss, was sie da alles mit dem guten Rizzi angestellt haben mögen.

Ja, dieser Rizzi, was hatten sie doch alles zusammen erlebt. Durch Dick und Dünn sind sie gegangen. Pan-der schmunzelte und seine Gesichtszüge entspannten sich und ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

Er musste daran denken wie Rizzi und er, in den Flussauen schwimmen gingen. Pander schnitt ihm damals ein grosses, herzförmiges Loch in die linke Gesässtasche seiner Hose. Beim anziehen gelang es Pander, Rizzi so abzulenken, dass dieser das Loch übersah. Da die Hosen im Gesäss ziemlich weit ge-schnitten waren, bemerkte Rizzi auch beim Gehen nichts weiter. So gingen sie Richtung Torstheim. Pan-

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der musste sich unterwegs zurückhalten, dass er sich nicht selbst verriet, denn es sah mehr als nur lustig aus. Rizzis weisse Arschbacke blitzte zwischendurch aus der dunklen Hose hervor. Richtig lüften kann ja nicht schaden, dachte sich damals Pander und biss sich in die Lippe, denn sonst hätte gebrüllt vor Lachen.

So zogen sie durch Torstheim, und es ging nicht lan-ge bis eine Kinderschar ihnen hinterher lief und stän-dig hinterher kicherten.

Rizzi bemerkte es, und fragte ahnungslos Pander was die wohl hätten. Pander zuckte scheinheilig mit den Schultern und meinte, dass es halt Kinder wären.

So gingen sie weiter. Rizzi drehte zwischendurch den Kopf nach hinten und sah nur wie die Kinder und auch etliche Erwachsende ihnen hinterher blickten und dabei grinsten.

Als sie im Weinkeller ankamen, und Rizzi auf dem kalten Stuhl Platz nahm, da klingelte es bei ihm.

Er schaute Pander an, der ein Stück Stoff in der Hand hielt und es durch die Luft wedelte, und sich kaum halten konnte vor Lachen.

Bevor Rizzi ihn packen konnte, sprang dieser aber auf und lachend die Treppe hinauf auf die Strasse. Rizzi hinterher. Bestimmt eine halbe Stunde verfolgte Rizzi Pander quer durchs Städtchen. Unbeachtet seiner Hosen. Irgendwann erwischte er Pander und.... sie lachten gemeinsam was ihr Zwerchfell hielt.

Pander spürte wie er leise lächelte, aber er merkte

nun auch wo er war, bei Pompeia, am warten. Langsam holte ihn die Gegenwart wieder ein und ein

dumpfes Gefühl von Abstumpfung nahm ihn wieder ein.

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”Pander” tönte es von der Treppe herab, und Pander sah den Freiherren Pompeia oben stehen.

”Komm rauf ihn mein Arbeitszimmer” forderte ihn Pompeia weiter auf.

Pander folgte ihm in den ersten Stock in dessen Ar-beitszimmer hinein.

Es war ein nicht sonderlich grosser Raum. Dafür aber richtig schön. Die Decke war leicht in den Giebel abgeschrägt und die Wände ganz aus feinem Holz getäfert. In der einen Ecke gab stand ein kleiner Ka-min, der den Raum im Winter wohlig warm hielt. Beim Fenster stand, ein aus dunklem Holz gefertigter, Schreibtisch. Alles war fein säuberlich angeordnet. Das Tintenfass und die Feder, ein paar eingerollte Schriftstücke und verschiedene Bücher. Seine Tasche stand griffbereit seitlich neben dem Schreibtisch am Boden. Eine kleine Öllampe beleuchtete den kleinen Raum. Es war gut zu sehen, dass Pompeia ein Mensch war, der Ordnung liebte.

”Nimm Platz”, und Pompeia zeigte dabei auf einen Stuhl neben sich.

Pander setzte sich. Pompeia seinerseits nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

”Ich kann mir vorstellen” begann Pompeia, ”dass du einen sehr triftigen Grund hast mich mitten in der Nacht zu stören, dazu noch in der Kluft eines Mön-ches. Trude hat es mir schon mitgeteilt. Ich kann mir schon denken, was in etwa geschehen ist, aber erzähl du mal.“

Pander erzählte ihm das bisher Geschehene und Pompeia hörte aufmerksam zu. Zwischendurch schüt-telte er fast unmerklich den Kopf, ansonsten aber ver-zog er keine Miene. Er unterbrach Pander auch nicht ein einziges Mal. Pander erwähnte lediglich den Na-

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men von Jonathan nicht, und Pompeia fragte auch nicht weiter nach.

”Allerhand, Allerhand” brummelte Pompeia vor sich hin und seine grossen froschartigen Augen starrten Pander an.

”Ja, es ist wirklich seltsam,” Pompeia feststellend weiter, ”keiner der Toten hatte die gleichen Sympto-me. Alle sie starben einen qualvollen Tod. Dennoch verschiedener Ursachen, zumindest die Art wie der Tod eintrat war verschieden. Und alle, bis auf eine waren vorher nicht ernstlich krank.”

”Wer waren die andern” fragte Pander Pompeia. ”Mathilde Oches, die Frau des Goldschmiedes.” Sie

war die zweite nach Rizzi. ”Sie hat die halbe Gold-schmiede auseinander genommen, in ihrem Zustand, bevor auch sie starb. Ihre Symptome waren ähnlich, wie die von Rizzi. Ausser, dass sie aus allen Körper-öffnungen blutete.”

Pander hörte fassungslos zu. Pompeia weiter. ”Georg Kapraun, er hatte Krämpfe überall, mehrere

Stunden lang, ich war dabei konnte nichts tun. Am Ende konnte er nichts, aber wirklich nichts mehr be-wegen. Es ist nicht zu glauben aber auch nach seinem Tod konnten wir seine Gliedmassen nicht strecken. Das wird auch schwierig werden, für die Beisetzung, einen passenden Sarg zu finden. Und Sojus Blatter, der Oberkorber, wohl schlimmste Fall in meinen Au-gen. In seinem Wahn brachte er Weib und Kind um, bevor er sich aus dem Fenster stürzte. Er lebte noch als ich zu ihm kam. Seltsamerweise war er wieder völlig klar im Kopf, trotz des Sturzes. Auch wusste er was er getan hatte. Er bat er, mich sofort um sein Weib und Kind zu kümmern. Doch zu spät. Beide lagen mit durchschnittener Kehle im Haus. Die Frau

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kam gerade noch zur Türe, aber nicht weiter. Sojus starb mit tiefem Schuldbewusstsein seiner Tat, als gebrochener Mann.”

Pompeia stockte, Pander sah ihm an, wie schwer er sich tat. Für Pompeia waren das scheinbar nicht nur Fälle, sonder Menschen, und einer davon war Rizzi.

”Etwas kann hier nicht mehr stimmen” so Pompeia weiter, ”die Toten wurden allesamt ins Kloster ge-karrt. Der Vizdum Stratschapetta und Aldus, du weisst ja nun wer Aldus ist, sind mit seinen Mönchanhang und ein paar Stadtwächter durchs ganze Städtchen gezogen, und hat die Leute befragt und einzelne auch mitgenommen. Weisung des Abtes, hiess es. Im Klos-ter vermuteten sie, dass der Teufel sein Unwesen treibt. Irgendjemand, müsse ihn in sich haben und so immer weiter Tod und Elend verbreiten.”

Pander viel ihm ins Wort. ” Und haben sie derjenige schon gefunden?” ”Soviel ich weiss nicht,” gab ihm Pompeia zur Ant-

wort. ”Und für dich ist es besser, wenn du aus Torstheim verschwindest. Mit deiner Flucht, hast dich nur noch mehr verdächtig gemacht. Stratschapettas Gefolge, mit Aldus an der Spitze waren auch hier, auf der Suche nach dir.”

”Wohin soll ich gehen, ich kenne nur Torstheimer und Staufer, und dort kann ich mich mit Sicherheit nicht blicken lassen” meinte Pander zu Pompeia.

”Ich habe da eine Idee,” und Pompeia rückte sich seinen Stuhl zurecht und fuhr dann weiter;

”Kennst du das alte kleine Gehöft, eigentlich mehr eine kleines Haus, im Tobelboden draussen?”

”Ja, in etwa, bin schon lange nicht mehr dort gewe-sen, aber ich finde es bestimmt wieder” Pander zu Pompeia.

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” Gut, dort lebt Mara Klaris, eine etwas wunderli-ches Weib, hat nur Pflanzen und Kräuter im Kopf, aber sie wird dich sicher aufnehmen. Sie ist eine Un-freie von mir. Der Boden und der Hof ist ebenfalls mein. Sie bewirtschaftet diesen und von ihr erhalte ich alle wichtigen Kräuter und Salben. Sie weiss sehr viel von der Natur. Sag ihr, dass ich dich geschickt habe, und gib ihr dass.”

Pompeia nahm einen Beutel aus dem Schreibtisch und reichte ihn Pander.

Pompeia weiter zu Pander; ”Bleib dort bis du wieder von mir hörst, denn auch

ich suche nach den Gründen für die furchtbaren To-desfälle hier. Schau zu, dass du heil aus Torstheim kommst, und vergiss nicht ihr den Beutel zu geben. Und vor allem wundere dich nicht über sie. Trude wird dir noch einen Wegvorrat mitgeben, und dann musst du gehen. Das ist alles was ich im Moment für dich tun kann. Auch als Freiherr muss ich in diesem Fall, wenn es um Glauben und Kirche geht sehr vor-sichtig sein. Stratschapetta und ich sind keine Freunde. Ach und vergiss nicht, wenn sie die dort finden, dann werde ich dir nicht helfen können. Ich befürchte dann schlimmes für dich und werde dich und unsere heutige Begegnung verleugnen müssen.“

”Das ist trotzdem viel mehr, als ich von euch erwar-ten konnte, danke” bedankte sich Pander bei Pompeia.

Trude hatte bereits einen Brotsack bereitgestellt, und begleitete Pander nach unten.

Sie öffnete die Türe, ging kurz nach draussen und schaute, dass niemand gerade in der Nähe war.

Als sie sah, dass alles in Ordnung schien, winkte sie Pander mit einigen kurzen, schnellen Handbewegun-gen nach draussen.

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Sie wünschte Pander noch alles Gute und munterte ihn kurz auf, dann verschwand er im Dunkeln.

Trude stand noch einen Moment mit dem Rücken zur der nun geschlossenen massigen Holztür. Ein lei-ses Seufzen kam über ihre Lippen. Sie löschte nun alle Lampen im Haus und ging zu Bett. Sie konnte lange nicht einschlafen. Sie hatte das Gefühl, dass diese eine Sache war die alle Torstheimer treffen würde und auch sie.

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V.

Der Weg / Und Staufers Schlinge Pander, immer noch in der Kleidung eines Mönches,

ging nun in Richtung Kloster zurück. Er hatte einen ganz bestimmten Grund, warum er nochmals hoch zum Kloster wollte.

Ein wenig abseits dieses befanden sich die Pferde-stallungen des Abtes. Und er wusste genau, dass der Abt die besten Pferde weit und breit besass, und er brauchte dringend eines. Ihm war klar, wenn er den weiten Weg zu Mara Klaris schaffen wollte ohne, dass er zu vielen Leuten begegnen würde, dann, so war er überzeugt, brauchte er ein Pferd.

Also, ging er den Weg zurück den er vor kurzem erst gegangen war. Allerdings nicht die Reben hinauf son-dern ging rechts unterhalb des Kloster vorbei und dann an der sehr steilen Bergkammseite empor und dann seitlich fast am Waldrand wieder zurück.

Noch ganz ausser Atem, näherte er sich vorsichtig den Ställen, welche sich neben dem Kloster, und so ausserhalb dessen Mauern befand. Die Ställe wurden erst viel später als das eigentliche Kloster gebaut, und in dem steilen Gelände war dies der einzige Platz. Ausserdem war es fast unmöglich zu Pferde die Steile Bergkammseite herab zu steigen. Und falls das auch gelingen sollte, was keiner der Stallmönche für ein-fach hielt, dann befand sich der Dieb immer noch in-nerhalb der Stadtmauern.

Pander aber kannte sich aus, denn er hatte schon mehrmals mit Staufer einen Blick auf die prachtvollen

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Vierbeiner werfen können, und so wusste er es gab ein Pferd, er wusste zwar nicht warum, dem er diesen Ab-stieg zumuten konnte.

Alles schien ruhig. Pander roch nun den Duft der Pferde. Es roch nach Stroh und dem Dung der Tiere, das viele Ledergeschirr, und gärenden Äpfel. Ja er mochte, diese Tiere. Er hatte es auf einen kleinen, aber besonders kräftigen Braunen abgesehen. Er musste auch nicht lange suchen, schon sah er den Stall in dem er ihn vermutete.

Er huschte, immer nah den Stallwänden entlang, hin zur Stalltüre.

Die Pferde schnaubten ein wenig unruhig, und er konnte hören wie sie mit ihren Hufen scharrten. Nun schob er den Riegel zur Seite und trat in den, von Pferdekörpern, erwärmten Stall ein.

Er wusste jetzt musste es schnell gehen. Freudig konnte er sofort ”seinen” Braunen ausma-

chen. Er ging zu ihm hin, und gab ihm ein wenig Brot aus seiner Tasche. Sanft streichelte er über seine wei-chen, warmen Nüstern und redete ruhig und liebevoll auf ihn ein.

Dann nahm er einen Sattel von der Wand und legte ihn vorsichtig dem Braunen über. Fortwährend redete er ihm gut zu.

”Ja, schöön ruuhig mein Guter. Ich tue dir nichts. Brav, sei ein gutes Pferd. Na komm”.

Dann nahm er ihn am Halfter und führte ihn so leise wie möglich aus dem Stall.

Pander war erstaunt wie gut sich der Braune führen liess. Er wusste aber auch, dass der schwierige Teil noch vor ihnen lag. Er musste mit dem Braunen den steilen Abhang hinunter, den er gekommen war. Er war sich seiner Sache plötzlich nicht mehr so sicher

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wie vorher. Denn es war schon schwer genug für ihn alleine, aber mit einem Pferd, konnte es wirklich schwer werden. Aber er hatte auch Vertrauen zu dem Braunen, denn dieser war wirklich ein aussergewöhn-liches Pferd.

Ganz behutsam, Tritt für Tritt führte er den Braunen, schnalzte immer kurz vor schwierigen Passagen, und so ging es langsam aber sicher weiter. Er traversierte hin und her bis sie in flacheres Gelände kamen.

Ein heiserer Hahnenschrei kündigte die hereinbre-chende Morgendämmerung an.

Aber es war kein Grund zur Eile, denn nun waren die beiden sicher unten im Städtchen angelangt.

Pander schwang sich nun aufs Pferd und im Schritt ging es durch Torstheim Richtung Plazertor.

Pander hörte wie das Schlagen der Hufen in den Gassen widerhallen.

So ritt er durchs Städtchen, bis zum Plazertor. Die Torwacht stand wie immer, bei Nachtzeit, mit ge-kreuzten Hellebarden vor dem Innentor. Seltsam, Pan-der verspürte fast keine Unruhe, als er an sie heranritt.

”Wer da?” tönte die Stimme des einen Torwächters wirsch.

”Antonius” gab Pander in selbstsicherem Ton zur Antwort, und weiter ”ich gehöre zum Gefolge von Aldus, wir sind auf der Suche nach diesem Pander. Er soll auf dem Weg zur Mühle sein. Also macht schnell, denn er ist nur zu Fuss und ich kann ihn noch einho-len, die anderen kommen gleich nach.”

Die beiden Torwächter wussten wohl nicht so recht was sie davon halten sollten, denn sie blickten sich ein wenig ratlos an.

”Wenn er mir entwischt, erklärt das Aldus und dem Stratschapetta, also macht schon oder ...”

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Pander musste nicht weiter drohen, denn die beiden öffneten ihm das Tor und er ritt durch.

Er galoppierte noch ein paar Minuten und der Wind riss im die Kapuze in den Nacken. Der frische Som-mermorgenwind trieb im die Tränen ins Gesicht und nur durch den Tränenschleier konnte er den Weg er-kenn. und liess dann den Braunen in den Trab fallen. Immer weiter Richtung Tobelboden.

Jetzt erst wich langsam die Spannung aus seinen Gliedern und so konnte er ein wenig freier durchat-men. Er fühlte sich frei und wohl, so hoch zu Pferd. Ja fast wie ein kleiner Gott der da durch die Landschaft flog. Er atmete tief, die frische noch etwas kühle, Morgenluft ein und genoss die schöne Morgendämme-rung. Er ritt Richtung Osten dem Sonnenaufgang ent-gegen. Der Himmel färbte sich bei den Berggipfeln langsam hellblau, und das dunkelschwarzblau der letz-ten Nachschatten wich immer mehr, den hellen Farben des Tages. Der Himmel wurde türkisblau und weit im Horizont begann er in ein feines orange überzugehen. Er konnte sehen wie der Tag die Nacht vertrieb, und so sah es auch im Moment in ihm selber aus.

Es war herrlich die kräftigen Bewegungen des Brau-nen zu spüren. Die Wärme die dieser abstrahlte. Im gleichmässigen Schritt ging es immer weiter, und als die ersten Sonnenstrahlen die gegenüberliegenden Berge beleuchteten, pfiff Pander ein Liedchen vor sich hin.

Als sie einen Bach durchquerten, stieg Pander ab, liess den Braunen kurz trinken, und führte ihn auf eine kleine Waldwiese gleich daneben. Die Sonne schien nun bis ins Tal und auch in die kleine Lichtung, und zauberte aus dem nächtlichen Tau Nebelschwaden,

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und liess diese wie kalter Rauch über der Lichtung schweben.

Pander band den Braunen vorsichtshalber am Half-ter, an einen dünnen Baum, fest und hockte sich sei-nerseits auf einen Stein hin, der fast zur Gänze mit Moos zugewachsen war. Er packte seinen Brotsack aus und ass gemütlich, Brot, Käse und geräucherten Speck und summte immer wieder die Melodie die er vorhin pfiff.

Der Braune stand da und schaute ihn an, so kam es ihm jedenfalls vor. Pander fing mit ihm zu reden an und erzählte alles, was ihm gerade so in den Sinn kam. Wenn ihn jemanden so sprechen hörte, dachte er, mussten ihn die Leute wirklich für verrückt halten. Einem Pferd Geschichten und Sorgen zu erzählen. Er schmunzelte über sich selber. Aber er hatte das Ge-fühl, dass der Braune ihn verstand, zumindest die Ge-fühlslage in welcher sich Pander befand. So redete er noch eine Weile und ass dabei.

Als er fertig war, verspürte er eine wohlige, warme Müdigkeit. Das Essen, die warme Morgensonne und das hohe, duftende Gras. Kein Wunder, er war auch nicht gerade ausgeschlafen. Also machte er es sich gemütlich und legte sich ins noch in das etwas feuchte aber warme Gras hinein, und schlief alsbald ein.

Ein paar Stunden vorher, in der Mühle Staufers Staufers schliefen, nach den Ereignissen der letzten

Stunden, mehr oder weniger tief, in ihren Betten. Stau-fer hatte Mühe sich selber einzugestehen, dass er sich um Pander sorgte.

Pander war schon seit, so kam es ihm vor, Ewigkei-ten bei ihm. Hatte er ihn doch schon als dreizehnjähri-

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gen Jüngling bei ihm aufgenommen, als seine Mutter ihn nicht mehr ernähren konnte und ihn Kostarbeit weggeben musste. Und nun plötzlich war er fort, und es war irgendwie leer. Irgendwie fehlte er ihm ganz einfach. Auch wenn, Pander nur ein Geselle war. Spä-testens jetzt, spürte Staufer, dass Pander zu ihnen ge-hörte.

Vielleicht ahnte Staufer aber auch nur, dass es in Zukunft nicht mehr so sein würde, wie bisher. Und auch das stimmte ihn traurig.

Plötzlich hämmerte es an seine Haustüre und eine Stimme rief zugleich;

”Macht auf, sofort aufmachen”, und es hämmerte weiter an die Türe. Staufer fuhr in seinem Bett hoch, und brauchte einen

Moment bis er merkte, dass es unten klopfte. ” Aufmachen, Bürger Staufer, macht sofort auf”,

jetzt wurde das Hämmern so laut, dass Staufer dachte dass, bis er zur Türe kam, diese bestimmt schon einge-schlagen wäre.

”Ich komme ja schon” und Staufer beeilte sich zur Türe hin. Er war sich sicher, dass konnte nur im Zu-sammenhang mit Pander stehen. Er öffnete.

Eine ganze Horde Mönche und ein paar Stadtwächter standen draussen, mit Laternen. Die Stadtwacht bis an die Zähne bewaffnet, mit Hellebarden und Schwer-tern.

”Durchsucht nun auch das Haus und die Mühle” be-fahl Aldus den Mönchen.

Diese schoben Staufer, der vor der Unverfrorenheit Aldus sprachlos war, energisch zur Seite und fingen an das Haus gründlichst zu durchsuchen.

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Sie rückten Möbel zur Seite, schauten in alle Schränke rein und gingen sogar hinauf in Staufers Schlafgemach.

”Nun reichts” und Staufer griff energisch Aldus rechter Arm.

”Pander ist nicht hier, und überhaupt was wollt ihr von ihm, lasst ihn doch in Ruhe, macht besser das ihr verschwindet”

Aldus riss sich mit einer kurzen Armbewegung aus dem Griff Staufers los.

”Sucht weiter, schaut überall nach, ich bin sicher, dass wir hier fündig werden.” und nachdem Aldus das seinen, von der Suche ausserhalb der Mühle zurück-kehrenden Mönche befahl, drehte er sich zu Staufer hin und meinte in einem leisen, unterschwellig, schlangengleichem Zischen;

”Es steht schlecht um Pander, und auch um euch” ”Was bildet ihr euch ein Aldus, weiss der Stratscha-

petta von eurem Tun Bescheid?” ”Wäre sonst die Stadtwacht des Stratschapetta hier”

erwiderte Aldus höhnisch. ”Glaubt nur nicht, das ich mir das Gefallen lasse, ich

habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Und ich werde morgen den Freiherren Pompeia aufsuchen und ihm von eurem unverschämten Verhalten berichten, Aldus”

Ehe Aldus antworten konnte, kam ein Mönch, vom oberen Stock zu Aldus geeilt.

”Kommt schnell hoch, ich glaube das könnte euch interessieren.”

Aldus schaute viel sagend zu Staufer, und begab sich rasch in den oberen Stock.

Staufer wollte hinterher aber die Stadtwacht stellte sich in den Weg. Staufer fügte sich einen Moment und

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wartete ab was weiter geschehen würde, und als er gerade vor Ungeduld aufbrausen wollte, kam Aldus mit einem viel sagenden, breiten Grinsen auf dem Ge-sicht wieder herunter.

Er ging zum rangobersten Stadtwächter, dem Primo, und hielt seinen Kopf an dessen Ohr und flüsterte die-sem etwas zu. Beide verliessen darauf das Haus von Staufer.

Nach ein- zwei Minuten warten, kamen beide wieder herein und der Primo gab kurz und bündig den Befehl den Stadtwächtern:

”Abführen, den Staufer und seine Frau” Staufer traute seinen Ohren nicht. Was er da gehört

hatte konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. ”Spinnt ihr, Primo, wisst ihr was ihr da sagt” fuhr

Staufer den Primo, der neben Aldus stand, an. Aldus trat an den Küchentisch und breitete ein paar

Gegenstände darauf aus. ”Und was ist das” Aldus zeigte dabei auf die Gegen-

stände auf dem Tisch. Staufer trat heran, und schaute auf die Dinge, die

ihm Flackerlicht einer Laterne ausgebreitet dalagen, und da diese ihm fremd waren, und zuckte mit den Schultern:

”Und was habe ich damit zu tun?” ”Die Utensilien gehören euch” so Aldus ”Ganz bestimmt nicht, ich sehe das Zeug zum ersten

Mal, und überhaupt was ist das” Staufer fragend zu Aldus.

”Das wisst ihr besser als ich, aber ich kann euch ja auf die Sprünge helfen. Das hier”, und Aldus hielt ein silbernes Kreuz hoch,” dass ist ein Unkreuz, schaut euch die Kreuzenden an, sie sind eingeschnitten und auf der Rückseite ist das Zeichen der Schlange.”

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Und Aldus fuhr ohne Unterbrechung weiter. ”Und die Asche in diesem Becher, bestimmt von ei-

nem Euren Ritualen, und dieser Dolch... ”Seit ihr nicht bei Sinnen Aldus, was ihr da sagt ist

nie und nimmer wahr. Ihr wollt mir doch etwas an-hängen. Ich bin ein anständiger, gläubiger Bürger und habe mit solchen Dingen nichts am Hut, und ihr wisst das.”

”Die Dinge sprechen für sich und gegen euch” Aldus ganz trocken zu Staufer und mit einer kurzen Bewe-gung zu dem Primo.

”Also, los abführen, die Folter wird ihm die Zunge lösen”

Die Stadtwacht griff Staufer und schnürte mit Leder-reimen seine Arme fest. Ein weiterer Stadtwächter hielt Frau Staufer am Arm. Sie hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und ihre Schultern zuckten vor lau-ter Weinen. Sie schluchzte nur. Sie hatte dem Ge-spräch von oben herab zugehört.

Sie wurden getrennt abgeführt. Ohne, dass sie auch nur ein Wort zueinander sagen konnten. Sie verluden die beiden auf getrennte Wagen auf dem jeweils ein massiver Holzkasten geladen war mit mächtigen Ei-senbeschlägen. Wie Tiere eingepfercht und nur eine kleine Öffnung in welchem die eingesperrte arme See-le ein wenig hinaussehen konnte. Der Gestank in der massiven Holzkiste war schier unerträglich. Es roch nach Urin, Blut und Erbrochenem. Die Gefangenen konnten sich nirgends drinnen festhalten und so wur-den sie bei holpriger Fahrt hin- und hergeworfen.

Die Stadtwacht brachte sie für weitere Verhöre und die üblichen Folter, nach Torstheim in den Schelmen-turm.

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Pander konnte von alledem nichts wissen, er lag ru-hig im Gras und schlief.

Etwas feuchtwarmes, schnaufendes, stupfte ihn im-mer wieder im Gesicht herum, er schlug die Augen auf und erschrak fürchterlich.

Ein riesiger Pferdekopf direkt vor, oder fast auf sei-nem Gesicht, schnaubte ihn an.

”Brauner”, erleichtert und nun ganz wach kam es ihm wieder in den Sinn.

”Du Lauskerl, hast dich losgemacht, so so. Aber we-nigstens bist du mir nicht auf und davongelaufen” und Pander tätschelte seinen Hals.

Am Sonnenstand zu Urteilen hatte er bis in den frü-hen Nachmittag geschlafen. Und die Sonne hatte sein Gesicht total verbrannt. Sein Gesicht fühlte sich ganz heiss und trocken an. Er ging zum Bach hin und wusch mit kaltem Wasser die letzten Müdigkeitsge-fühle aus seinen Glieder. Er nahm etwas Lehm, zwi-schen den Steinen, mischte ihn mit Wasser und rieb damit sein Gesicht ein wenig ein. Das kühlte wunder-bar.

So nun aber weiter. Er nahm sein Brotsack, rief dem Braunen, der etwas abseits graste, und tatsächlich der kam auch, schwang sich auf und weiter ging es.

Von nun an wurde der Weg immer schmaler und nach einer Weile war es nicht mehr als ein schmaler Pferdepfad.

Pander schlug es die Zweige der Bäume so ins Ge-sicht, dass er absteigen musste um den Braunen zu führen. Es war wirklich schwierig die Orientierung beizubehalten. Pompeia hatte ihm zwar ausführlich den Weg beschrieben und Pander selbst war diesen Weg auch schon früher gegangen, das war aber an

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einem Spätherbsttag, und nun mit dem üppigen Pflan-zenwuchs sah alles anders aus.

Er wusste, dass er sich verlaufen hatte. Nun gut die Richtung stimmte und zwischen durch konnte er die kleine Ebene schräg oberhalb hinter den steilen To-belwänden sehen. Also hielt er immer die Richtung und ging weiter. Er musste einfach den Einstiegspfad durch die Tobelwand finden.

Er musste schon lange den Braunen am Halfter füh-ren, denn immer wieder hingen Äste herunter und das Gestrüpp wurde auch immer dichter. Pander blieb stehen, um vielleicht das Rauschen des Tobelbaches zu hören, denn dann konnte er einfach diesem folgen und nach dem Einstiegspfad Ausschau halten.

Er stand einen kurzen Moment lang still, konnte aber ausser dem Blätterrauschen der Bäume, und dem Schnauben von dem Braunem, nichts hören. Also ging er weiter und blieb alle fünf bis zehn Minuten stehen und lauschte aufs Neue. Es war ihm als hörte er ein gleichmässiges aber leises Rauschen links von ihm. Nun durchbrach er wo es ging, den Blätterwald und hielt sich immer links. Das Rauschen wurde stetig lauter und nun wusste er, dass kurz vor ihm der To-belbach sich seinen Weg ins Tal suchte.

Es war nur ein kleiner Bach, der sich bei heissem Sommerwetter in den Auen weiter unten verlief, und im Moor endete.

Endlich, da floss er vor ihm. Er führte in diesem heissen Sommer nicht all zuviel Wasser, aber es war der Tobelbach. Nun konnten sie am Rande seines Flussbettes weiter gehen, das war, trotz den Steinen viel einfacher.

Pander wusste irgendwo auf der linken Uferseite musste sich der Weg, und somit auch der Einstieg zum

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Tobelboden befinden. Er ging nun am Bachrand wei-ter immer Richtung Tobel und spähte zwischendurch gespannt über die Uferböschung auf die Bergkamm-seite hin.

Nach einer Weile war es ihm als ob er auf der linken Bergseite oberhalb vor ihm, eine feine Schneise oder eben einen Pfad sah. Ja wirklich, dass musste er sein. Er verliess den Bach mit dem Braunen und schlug sich quer durch das Grüne, Richtung Bergseite, und end-lich, endlich fand er den schmalen Pfad.

Pander kam dieser nun vor wie der gepflasterte Weg der Goldgasse in Torstheim. Freudig, schritt er nun wieder voran, immer den Braunen im Schlepptau.

Jetzt wusste er, dass es nicht mehr weit sein konnte, zu Mara Klaris. Er war auch froh darüber, denn der strenge Fussmarsch, spürte er in seinen Gliedern. Er war nun auch ein wenig gespannt auf Mara. Pompeia hatte ihn ja gewarnt, sie solle ein seltsames wunderli-ches Kräuterweib sein und so konnte Pander sich wohl schon ein recht gutes Bild der Mara Klaris machen. Er sah in seinem inneren Auge eine etwas alte Frau mit braungebranntem Gesicht und knorrigen, lederhautar-digen Händen, welche stur ihr eigenes Leben führte. Wie sie ihn wohl aufnehmen würde? Wenn er einfach in ihr Einsiedlerdasein reinplatze?

Der Pfad führte steil hoch und schnell gewann er an Höhe. Die Tobelschlucht lag nun genau vor und unter ihnen. Ein kühler Wind blies hindurch, und obwohl Pander schwindelfrei war, sah er nur ungern ins Tobel hinunter. Auch der Braune schien ein wenig unruhig. Jetzt ein Fehltritt hätte schlimme Folgen.

In etwa der Hälfte des Tobels versperrte ein umge-knickter kleiner Baum den Weg. Pander zerrte den Stamm über den Pfadrand hinaus, und stiess ihn weit

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hinab in das Dunkle des Tobels. Mit einem Klatsch schlug er unten auf. Pander späte hinab und konnte sehen, wie der Tobelbach, in der enge der Schlucht den Stamm mitriss. Hinweg über die vielen kleinen weisslichen Strudel, mal schmetterte er ihn links, dann rechts an die messerscharfen Felskanten, und spülte in hinaus zum Tobel. Wie eine Schlange die da unten fauchte und kroch und sich immer mehr ins Fels und Stein frass

Den restlichen Weg zum Tobel hinaus, schafften die beiden ohne Hindernisse, und als die Wiese des To-belbodens, beleuchtet von den letzten Sonnenstrahlen, vor ihnen lag, kam es Pander so vor als ob er in einen andere Welt geschlüpft wäre.

Er stieg auf den Braunen und sie trabten gemächlich durch das Grün auf das kleine Haus am Rande der Wiese zu. Dort wo Mara Klaris wohnte.

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VI.

Mara Klaris

Pander war gespannt wer diese Mara wohl war. Hat-

te er doch schon so einiges über sie gehört. Zwischen-durch, aber sehr selten kam sie auch nach Torstheim an den Markt, aber er hatte sie noch nie gesehen. Pompeia hatte es ja noch spannender gemacht mit dem Beutel, und dem Leitspruch, wundere dich nicht.

Bestimmt ein eigenwilliges, menschenscheues altes Weiblein, die verklärt in den Tag hinein schaut.

Pander klopfte an die kleine hölzerne, von der Sonne fast schwarz gegerbte Türe, des robust gebauten Holz-haus an.

Er wartete und als er nichts hörte, klopfte er ein wei-teres Mal an. Sie war wohl nicht daheim.

Pander liess den Braunen los, so dass dieser auf der Wiese grasen konnte. Er selber wollte sich soeben auf den Holzstapel neben dem Eingang setzten, als eine klare, weibliche Stimme in aufschreckte;

”So, wer bist den du?” Pander drehte sich zur Seite um und sah zu seinem

Erstaunen eine junge, gutaussehende Frau mit einer wunderschönen Haarpracht, an der Hausecke stehen, um diese sie wohl gerade gekommen sein musste.

”Aehm, aehm” stammelte er, und wirkte hilflos wie ein kleines Kind dabei.

”Reden kannst du aber schon, oder?” und ein freund-liches frohes Lachen zog sich über ihr ganzes Gesicht.

”Also, ich bin die Mara, und ich wohne hier, und nun sagst du wer du bist”

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”Ich heisse Pander, und der Freiherr Pompeia schickt mich, ja und, dass hier” und Pander reichte dabei sei-nen Beutel den der Freiherr ihm gab, ”dass hier soll ich dir geben.”

”So, aber deswegen allein bist du wohl nicht zu mir gekommen, liegt ja nicht gerade am Weg?”

”Kann ich dir schon sagen, aber es dauert einen Moment” Pander zu ihr, der die Frage bereits erwartet hatte.

”Du hast sicher Hunger, und mit vollem Magen er-zählt es sich besser. Ach, übrigens ein wunderschönes Pferd hast du. Ist es deines und wie heisst es?”

”Er, ein Hengst. Brauner, einfach Brauner, und gehö-ren, ja sagen wir es so, wir gehören zueinander, aber ich erzähl dir später noch genauer”

Die beiden gingen ins Haus rein. Der ganze untere Stock war nur ein grosser Raum,

voll gestopft mit irgendwelchem Zeug in vielen Ge-stellen. Beim Fenster zu stand ein massiger Holztisch mit zwei Stühlen.

”Setz dich” und Mara zeigte auf den einen Stuhl. ”Ich mach gleich das Feuer an”

Mara hantierte am Herd, und immer wieder drehte

sie sich um und schaute Pander an und ein Lachen huschte über ihr Gesicht, und ihre Augen leuchteten fröhlich. Pander spürte, dass Mara eine frohe Natur sein musste Sie war sicher viel so gut gelaunt. Sie hat-te den offenen Blick. Das dachte er über Menschen, bei denen das spezielle Lebensleuchten aus den Augen strahlte. Und solche Menschen traf man nur sehr sel-ten. Rizzi war einer dieser Menschen gewesen.

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Mara hantierte gekonnt an dem Herd und es dauerte auch gar nicht lange, bis etwas feines Duftendes auf dem Tisch stand.

”Iss tüchtig, und dann erzähle mal, bin wirklich ge-spannt” und schon wieder strahlte sie, als sie den Ap-petit von Pander sah, und vor allem, dass es diesem sichtlich schmeckte.

Pander ass, bis er sich kaum mehr bewegen konnte. Zuerst verdrückte er den Käse mit dem frischen Brot, dazu ein paar schöne Scheiben Speck. Mara hatte ihm als was ganz Besonderes, warme Apfelküchlein ge-macht und etwas Zimt und Zucker gestreut. So warm uns herrlich süss.

Als er fertig war lehnte er sich an die Stuhllehne zu-rück und fing zu erzählen an.

Es dauerte gar nicht lange, da verschwanden in Ma-ras Gesicht das Lachen und ihre Unbeschwertheit.

Pander konnte richtig sehen wie sie mitfühlte. Sie musste ein sehr feinfühliger Mensch sein. Sie hörte sehr aufmerksam zu und er spürte wie sie tief mitfühl-te als er über Rizzi erzählte und da spürte er wieder den dicken Klos im Hals.

Er machte eine kurze Pause. Beide schwiegen wäh-renddessen. Dann erzählte Pander zu Ende.

”Das ist alles so traurig, und es tut mir so leid um deinen Freund und um dich. Natürlich könnt ihr vor-erst bei mir bleiben. Der Platz reicht wohl aus für uns zwei. Aber ich bin mir nicht so sicher, dass damit dei-ne Probleme gelöst sind, aber sicher ist es vorerst bes-ser wenn du hier bleibst, so wie es der Freiherr dir geraten hat. Er wird schon wissen warum. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch hierher kommen um dich zu suchen!“

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”Danke, selbstverständlich werde ich mich auch nützlich machen, und dir zur Hand gehen. Ich brauche nur ein, zwei Tage um mir zu überlegen wo und wie ich in die Fremde gehe. In Torstheim und hier in der Umgebung kann ich nicht bleiben. Sonst bringe ich mich und andere in Gefahr! Ich hab schon mal ein Pferd und das ist viel wert auf meiner Reise in die Fremde. Wer weiss, vielleicht denken die Leute um Aldus und Stratschapetta, dass ich mit dem Pferd schon über alle Berge bin.”

”Kann sein, komm Pander, wenn du nicht zu Müde bist setzten wir uns noch ein bisschen nach draussen hin, und verdauen ein wenig das Geschehene.”

So gingen sie nach draussen und setzten sich am Rande der Wiese auf einen grossen Findling, und sa-hen zu wie die Sonnenstrahlen langsam die Berge hoch kletterte und alsbald nur noch die höchsten Gip-fel beschienen.

Der Braune graste gemächlich in der Wiese, mal da mal dort. Er hob zwischendurch den Kopf, so als ob auch er die friedliche Abendstimmung geniessen woll-te.

Sie sprachen nichts. Pander fühlte sich wohl. Er hatte das Gefühl endlich mal richtig durchatmen zu können. Es kam ihm vor, als wäre er weit weit weg von Torstheim und alles Geschehene kam im so fremd und weit weg vor, so als ob es mit ihm nichts zu tun hätte.

Als es langsam eindunkelte und abkühlte, rief Pander den Braunen und die drei gingen zurück zu Haus.

Mara gab Pander eine Decke für den Braunen, und Pander warf sie ihm rüber, und flüsterte diesem ins Ohr;

”Danke, bist ein gutes Pferd”

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Und als Pander ins Haus ging hatte Mara bereits ein Nachtlager im Küchenecken eingerichtet. Und es sah richtig gemütlich aus. Sie hatte mehrere Decken, und Schaffelle auf dem hölzernen Fussboden ausgebreitet.

”Nur für diese Nacht. Morgen richten wir dir einen richtigen Schlafplatz ein. Ich hoffe, dass du gut schläfst. Gute Nacht.”

Und Mara ging die schmale, sehr steile Treppe in den oberen Stock hinauf.

”Dir auch einen Gute Nacht. Und danke nochmals” wünschte Pander Mara hinterher, verriegelte die Türe und kroch in die weichen, Felle und Decken hinein.

Er hörte noch einmal den Braunen, wie dieser schnaubte und die Luft durch seine Nüstern blies, und schlief dann mit dem Klängen des Waldes ein.

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VII.

Staufers Strick Zur gleichen Zeit ..... Staufers wurden auf einem alten Holzwagen, gezo-

gen von zwei Pferden und in Begleitung der Stadt-wacht, nach Torstheim gekarrt. Er konnte kaum was erkennen als er versuchte durch die kleine Öffnung aus der massiven Holzkiste zu sehen.

Sie wurden von allen Seiten begafft und hie und da rief einer eine Beschimpfung in ihre Richtung. Staufer scherte sich nicht drum. Vielmehr tat ihm sein Weib leid. Sie sass im anderen Wagen wahrscheinlich in sich gekauert und ihr Gesicht tief in die Hände begra-ben. Sie wurden quer durch Torstheim gekarrt, und fuhren durch das Tor in die Mitte des Schelmenturmes ein.

Nun grauste es den Staufer. Er hatte angenommen dass er zuerst das Kloster gefahren würde, und rechne-te sich aus, dass er dort seine und seiner Frau Un-schuld darlegen könnte. Der Schelmenturm bedeutete aber Folter!

Sie wurden vom Wagen gezerrt und in den Turm ge-schleift. Staufer verlor seine Frau aus den Augen. Er wurde tief hinunter in die Turmverliesse verbracht. Es brannten nur ein paar Fackeln und das fahle, flackern-de Licht warf tanzende Schatten an die Gewölbemau-ern, und alles sah noch unheimlicher aus.

Die Turmwacht übernahm ihn und führte ihn so-gleich in einen kleinen Kerker hinein. Er wurde an einen, eisernen Hacken an die Wand gefesselt und musste im Stehen so verharren. Seiner Frau erging das

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gleiche Schicksal. Und so verharrten sie beide in der Dunkelheit.

Es könnten Stunden vergangen sein oder auch nur Minuten bis die Turmwache erneut erschien und ihn abholte.

Er wurde fort in einen grossen und hohen, fensterlo-sen Raum hinein geführt.

In etwa vier Meter Höhe führte an der einen Mauer-seite eine Stiege zu einer länglichen Empore aus Holz massiv, dunklen grob behauenem Holz. Eine kleine, mit rostigen Beschlägen bestückte, Holztüre war in die Mauer in der Empore eingebracht worden.

Es standen viele massive, vorwiegend aus Holz ge-fertigte, Vorrichtungen im Raum, die sicherlich nur einen Zweck hatten, die Zungen der noch nicht Ge-ständigen zu lösen und die Wahrheit aus den Opfern herauszuquälen.

Der Folterknecht, auch Beuger genannt, stand mit einer weitem, schwarzen, oben in einen Spitz verlau-fenden, Kapuze, welches ihm das Gesicht verhüllte und bis zu den Schultern reichte, mit verschränkten Armen und abgespreizten Beinen mitten im Raum.

Obwohl ins Tuch des Beugers zwei augengrosse Lö-cher ausgespart wurden, konnte Staufer dessen Augen nicht sehen. Ausser hin und wieder das weisse in den Augen.

Niemand in Torstheim durfte wissen wer der Beuger war. Dieses Geheimnis war vom Stratschapetta und dem Abt strengstens gehütet worden. Der Beuger wäre seines Lebens nicht mehr sicher gewesen.

Als der Beuger bemerkte, dass Staufer den Augen-kontakt zu ihm suchte, was übrigens die meisten ver-suchten; sprach dieser mit wirscher, ungehaltener sehr hohen Stimmlage, damit ihn auch niemand an der

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Stimme erkennen konnte, wie ein krächzendes altes Weib zu Staufer;

”Kniet nieder!” und die Turmwacht drückte ihn obwohl er sofort ge-

horchte auf die Knie nieder. Nun als Staufer kniete kam ihm der Beuger noch

mächtiger vor als dieser so schon war. Staufer versuchte, da sich seine Augen langsam an

das schummrige Licht gewöhnt hatten, vorsichtig sich ein wenig genauer im Raum umzusehen.

Vorsichtig bewegte er dabei nur seine Augen. Rechts vorne im einen Eck stand ein schweres, fast mannsho-hes Eichenfass. Etwa sieben, acht Meter links davon, in der anderen Raumecke, brannte ein leicht loderndes Feuer in einem in der Mauer eingebrachten Kamin und hüllte die nähere Umgebung in schwach rötliches Licht..

Verschiedene Gegenstände waren an Wandhaltern aufgehängt und ein paar Stangen waren einfach nur an den Kaminrand gestellt worden.

Direkt unterhalb der Empore war gar nichts ange-bracht worden. Vermutlich weil man von dem Vorbau aus keinen Einblick nehmen konnte.

Neben dem Beuger, das war eindeutig, stand die ge-fürchtete Streckbank. Die Lederriemen lagen warnend aufgeschnallt da. Von Decke, die man trotz Fackel-licht und Feuer nicht sehen konnte hingen zwei dicke Stricke herab. Als Staufer den Kopf ein wenig nach links hinten bewegen wollte um noch mehr zu sehen, trat der eine Turmwächter in die Seite. Staufer ver-schlug es den Atem und für einen kurzen Moment sank er seitlich nach vorne herab.

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Niemand sprach. Alles war ruhig. Bis auf das knis-tern und flackern des kleinen Feuers in der Ecke des Raumes.

Es schien Staufer als ob sie auf jemanden warten würden. Er hatte jetzt schon eine Höllenangst und er wusste zu gut was in diesem Raume schon alles so geschehen war. Es wurde schon mehr als genug in Torstheim darüber gemunkelt. Aber dass er, Staufer, hier einmal hergezerrt würde, daran hätte ausser ihm wohl auch kein anderer je geglaubt.

Die Stille drückte Staufer. Starr kniete er weiter vor sich hin. Links und recht neben ihm die Turmwächter und vor ihm der regungslose Beuger.

Das Schlüsselrasseln, beim Aufschliessen der klei-nen Tür in der Empore, schreckte ihn auf. Die kleine Tür knarrte und ging auf.

Drei Personen traten oben auf die Empore und schauten zu ihnen herunter.

”So so, der Staufer,” tönte es verächtlich von oben herab und Staufer wusste das war Aldus.

”Schaut hoch wenn ich mit dir spreche”, befehlend Aldus weiter.

Staufer schaute seitlich links nach vorne und sah die-sen und dessen fahles gelbliches Gesicht aus seiner Kapuze hervor schauendes Gesicht.

Neben ihm stand in der Mitte der Stratschapetta und der dritte Mann war einer von der Turmwacht. Es war der Primo.

”Staufer, erhebt euch,” so der Stratschapetta. ”Ihr seit doch ein gescheiter Mann, glaubt mir, jetzt ist die Zeit der Wahrheit gekommen. Ich rate euch, und wenn ihr gescheit seid so hört ihr auf mich und leugnet nicht. Es spricht alle gegen euch. Das Böse wird euch

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auch nicht helfen, rettet wenigsten eure Seele und schwört ab.”

”Was soll ich abschwören?” ”Habt ihr mir soeben zugehört? Aldus hat euch in

eurem Heim gewarnt die Asche, das Kreuz, die Ritua-le und die Sache mit Pander spricht auch gegen euch. Und vor allem die mysteriösen Todesfälle in der letz-ten Zeit, ihr habt sicher auch damit zu tun. Vielleicht seit ihr nur mitschuldig, also spricht jetzt!”

”Hört her Stratschapetta, ich weiss wirklich nicht wie und wo die Utensilien herkommen, und schon gar nichts über die Todesfälle. Ich weiss nur wie Rizzi gestorben ist. Pander war dabei, und das wisst ihr ja, als es geschah. Mit solchen Sachen habe ich wirklich nichts, aber auch rein gar nichts zu tun. Und was Pan-der betrifft kann ich nur sagen, dass ich weiss das ihr nach ihm suchen lässt. Ich war ja auf dem Klosterhof als eure Leute nach ihm suchten. Was ihr ihm vor-werft weiss ich nicht. Ich kann nur gutes von ihm be-richten.”

Nun ergriff Aldus mit seiner krächzenden Stimme das Wort, als hätte er wie ein Geier nur darauf gewar-tet.

”Lügt nicht, ihr und Pander steckt beide unter der gleichen Decke. Ich bin mir sicher, dass ihr auch wisst wo sich Pander aufhält. Also, lügt nicht weiter. Was habt ihr alles getan, und wo ist Pander.?”

”Aber hört doch, was soll ich denn sagen”, Staufer mit ängstlicher Stimme, ”ich weiss es wirklich nicht. Stratschapetta hört doch. Ihr habt gar kein Recht mit hier festzuhalten. Es hat keine glaubwürdigen Zeugen die mich der Hexerei oder Zauberei denunziert hätten. Und dies wird verlangt. Das weiss ja jeder in Torstheim. Vergisst nicht, auch ich stehe unter dem

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Schutze des Freiherren Pompeia und der Bürger von Torstheim. Wir werden ein ordentliches Gericht anru-fen, denn das was hier geschieht hat keine Rechts-grundlage.!“

„Es sind auch nicht gewöhnliche Zeiten. Bürger Stauffer und es ist auch eine Bürgerfrau umgekom-men, in Torstheim haben die Menschen Angst und wir haben unsere Augen schon lange offen. Auch in ande-ren Städten und Orten wird nun endlich gegen diese Mächte vorgegangen. Wir haben lange zugewartet. Jetzt müssen wir handeln. Und im Übrigen haben wir euch nie vorgeworfen, dass ihr schuldig seid. Die In-dizien die wir in eurem Haus gefunden haben reichen aus für ein Verhör und da wir aus anderen Prozessen wissen kommt die Wahrheit leider erst zu Tag wenn die Folter angedroht oder ausgeführt wurde. Dies zei-gen viele Geständnisse aus anderen Hexenprozessen. Wenn das Böse in euch ist, wird es mit lügen versu-chen uns zu täuschen. Bürger Stauffer eure Seele ist noch zu retten. Also, wehrt euch gegen das Böse und erzählt uns was ihr wisst!“

Stille. „Stratschapetta! Ich habe gesagt was ich weiss und

was ich nicht weiss. Jedermann weiss doch, dass unter der Folter auch falsche Geständnisse abgelegt werden und viele werden danach widerrufen….

„Ihr glaubt nicht an Hexen?!“ krächzte Aldus. „Doch ich glaube an die Hexen, aber ich glaube auch

dass nicht alle Hexen sind, welche angeklagt werden und dem Feuer übergeben werden!“

„Das ist schon Ketzerei, ihr glaubt die Kirche ver-brennt unschuldige Menschen? Ist das so? Glaubt ihr das?! Würde unser Herrgott das zulassen. Jeder weiss

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doch, dass es klare Anzeichen für Hexerei und Behex-te gibt.“ Aldus hackte sofort ein.

”Ihr wollt es wohl wirklich nicht anders Bürger Stau-

fer, Beuger verrichte dein Werk;” befahl der Stratschapetta drehte sich um und ging wortlos aus der Türe.

”Lasst uns wissen, wenn ihr reden wollt;” rief Aldus runter und folgte diesem.

Die Turmwärter packten Staufer und schnallten in auf einem Stuhl in der Nähe der Eingangstüre fest. Lederriemen umfassten seine Hände, Arme, Beine und den Hals.

Staufer versuchte sich gar nicht erst zu wehren. Der Beuger ging zum Feuer hin und zog etwas läng-

lich, dünnes heraus. Ohne zu zögern ging er auf Stau-fer zu und riss diesem mit einer glühenden Zange ei-nen Teil seines Zeigefingernagels heraus. Staufer schrie laut auf. In diesem Moment band ein Turm-wächter im von hinten einen weichen Lederriemen um den Mund und das laute Schreien Staufers wurde zum leisen, schnaubenden Stöhnen

Nun brach ihm der Beuger mit einem Brechwerk-zeug alle Finger an der linken Hand. Das Brechen und Knacken jedes einzelnen Fingers war gut zu hören. Der Beuger verrichtete sein Werk, als ob er irgendeine Arbeit gut voranbringen wollte.

Nun streute er noch Salz auf die offenen Brüche und den zerschlissenen Fingernagel. Das Brennen war kaum zu ertragen. Staufer glaubte, dass das Salz sich mitten durch seine Hände frass. Er wurde kurz ohn-mächtig.

Als der Beuger das sah, zog er an einem Strick wel-cher an der einen Mauerseite hoch ging und danach

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durch ein kleines Loch in der Mauer verschwand, und zog an diesem ein paar Mal mit schnellen kurzen Be-wegungen. Man konnte hören wie in einem Raum hinter der Empore eine kleine Glocke bimmelte.

Kurz darauf erschien der Stratschapetta und Aldus oben wieder.

Der Stratschapetta machte eine kurze schwungvolle Handbewegung und darauf hin band im ein Turm-wächter den Lederriemen vom Mund los.

”So, Staufer erinnert ihr euch wieder?” Zischelte Aldus herunter. Stratschapetta warf ihm einen Blick zu als wolle er den zu gierigen Aldus ein wenig zur Einhalt gebieten.

Staufer war noch benommen und schaute seine jetzt schon dick aufgeschwollene Hand an. Er wusste das würde so noch weitergehen bis er gestand was sie hö-ren wollten. Aber da er wirklich unschuldig war, wusste er auch nicht so recht was sie hören wollten. Er war sich sicher dass zumindest Aldus wusste, dass er unschuldig war. Aldus und sein Gefolge hatten ihm das ganze eingebrockt und die Utensilien wahrschein-lich untergeschoben. Ob der Stratschapetta das auch wusste, da war er selber nicht sicher. Eines war ge-wiss, wenn er der Folter entrinnen wollte, dann musste er auch Pander verraten obwohl er fest überzeugt war, dass auch Pander wie er unschuldig war. Und das war das Schlimme daran.

”Also, es hat keinen Sinn ich gestehe. Bindet mich aber los, dann gestehe ich alles,” und Staufers Blick richtete sich zu Stratschapetta.

”Bindet ihn los,” ordnete Stratschapetta den Turm-wächter an.

Sie banden ihn los. Und langsam stand Staufer auf.

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Kaum hatte er sich erhoben, sprang er unverhofft hinüber zu dem Feuer packte das glühende Spitzeisen, hielt das Stumpfe Ende mit seiner unversehrten Hand an die Mauer und stiess seine Brust tief in das Eisen hinein. Man konnte sehen wie er versuchte mit ruckar-tigen Bewegungen das Eisen so tief wie möglich sich in die Brust zu treiben. Ein tiefes Wehstöhen ertönte bei jedem Stoss. Dann fiel er zu Boden, immer noch mit der unversehrten Hand das Eisen umklammert.

Alle Beteiligten schienen wie gebannt auf Staufer zu schauen. Keiner reagierte.

Staufer lehnte sich stöhnend rücklings an die Mauer und stöhnte mit letzter Kraft heraus;

”Stratschapetta, ich war und bin unschuldig. Aldus hat mir das ganze untergeschoben. Bei meinem See-lenfrieden.”

Nach ein paar letzten schweren Atemzügen sackte Staufer in sich zusammen. Sein Oberkörper schräg nach vornüber gebeugt mit seiner Hand weiter das Eisen umklammert, so als wollte sicher sein dass sein Tod unumgänglich war.

Stratschapetta schaute einen, wenn auch nur kleinen Moment irritiert Aldus an, und mit einer in Richtung Türe nickenden Kopfbewegung gab er diesem zu ver-stehen dass dieser gehen sollte. Aldus verschwand wortlos durch die Türe hinaus.

”Stellt dem Sündenfresser ein grosses Mal bereit und bringt es zu seiner Hütte raus” ordnete der Stratschap-peta der Turmwacht an.

Dann stand er in Gedanken versunken noch da und befahl dann seinen Leuten, dass sie Staufer hinauf zur Kloster karren sollten. Es ärgerte ihn, dass sie nicht weitergekommen waren. Gut vielleicht war seine Selbsttötung auch ein Schuldgeständnis. Nun mussten

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sie sofort diesen Pander finden. Er wollte unbedingt die immer mehr verworrene Geschichte um die selt-samen Todesfälle klären. Es drohte eine Hysterie im Städtchen

Er ging durch die Türe hinaus, den kleinen Tunnel zur anderen Turmseite auf dessen Empore, wo Frau Staufer in der Folter lag.

”Bindet sie vom Streckbrett los;” befahl er dem zweiten Beuger. Hat die Staufferin gestanden?

Der Beuger verneinte mit einem Kopfschütteln und fügt sofort bei:

”Noch nicht, wir sind aber auch erst am Anfang.” ”Hört auf! Bringt Sie ins Verliess.” Dann wandte er

sich Frau Staufer zu und meinte kurz; ”Staufferin, euer Mann ist durch Selbsttötung seiner

gerechten Strafe entgangen, wir werden uns morgen mit euch unterhalten”, drehte sich ohne ihre Reaktion abzuwarten um und ging.

Die Turmwärter führten Sie mehrmals stützend, da die Nachricht und die Folter ihre Wirkung zeigte, in die Verliesse, und liessen sie im dunklen muffigen Kerkerraum alleine zurück. Kurze Zeit später erschie-nen zwei Turmwächter und begannen die Staufferin zu scheren, so wie es üblich war bei Hexenanklagen. Sie musste sich nackt ausziehen und es wurden ihr alle Haare abgeschoren auch im Schambereich, wobei sie mehrmals unsittlich begrabscht wurde und schliesslich missbrauchten die Turmwächter sie gegenseitig. Und liessen sie wie ein Stück faulendes Fleisch liegen. Sie spürte wie ihr Körper vor Schmerzen brannte und die Scham schmerzte ebenso.

Der Stratschapetta ging in seine Amtstube und liess den Abt informieren. Gleichzeitig ordnete er die Be-schlagnahmung der Mühle an und liess sie nun von

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eigenen Leuten ab sofort betreiben mit der Begrün-dung, dass Torstheim, was ja auch stimmte, von dem Gemahlenen abhängig war.

Dann schickte er seine Spitzel aus. Er musste in Er-fahrung bringen wo sich Pander aufhielt. Er, so dachte Stratschapetta, ist ein Schlüssel zur Wahrheit. Viel-leicht würde die Staufferin morgen zur Aufklärung reden. Er wusste zu gut, jetzt würden auch die Denun-zianten aussagen, da die Gefangennahme der Staufers bekannt war.

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VIII.

Der dunklen Dinge Lauf Pander konnte von alledem nichts wissen. Am nächsten Morgen wurde er vom Duft warmer

Geissenmilch und dem blechernen Klirren des Ge-schirrs aufgeweckt.

Es duftete herrlich nach frischem warmem Brot. Er rieb sich seine Augen und setzte sich halb auf. So im ersten Moment wusste er gar nicht wo er war.

Mara stand am Herd und auf dem Küchentisch stand das Morgenbrot bereit. Als Mara sah das Pander wach war, rieb sie ihre Hände an der Schütze ab und drehte sich zu ihm um;

”Guten Morgen, oder besser bald guten Mittag. Hast wohl gut geschlafen, was?! Komm ich habe frisches Brot gebacken. Waschen kannst du dich am Bach hin-ter dem Haus. Den Braunen habe ich versorgt. Es ist ein herrlicher Tag. Der Himmel ist blau und die Sonne lacht übers ganze Gesicht.”

Pander streckte sich, kratzte sich im dichten Haar, und rieb sich den letzten Schlaf aus den Augen, stand auf und ging vors Haus.

Ja wirklich, ein wunderschöner Tag und die Sonne schien schon warm vom Himmel. Er fühlte sich wirk-lich ausgeschlafen und gut. Der Braune trabte in der Wiese und es duftete nach Blumen, Harz und von der Sonne erwärmten Holz.

Als er sich am Bächlein, das etwa 50 Meter hinter dem Haus vorüber floss, gewaschen hatte meldete sich der Hunger bei ihm.

Mara hatte ihm ein zünftiges Morgenbrot zurecht-gemacht. Sie stellten den Tisch nach draussen in die

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Wiese und assen im mittäglichen Sonnenschein ge-meinsam Frühstück.

Als sie gegessen und alles verräumt hatten, ging Pander Mara zur Hand.

Er besserte die Dachschindeln aus, welche der letzte, zwar nicht heftige, Föhnsturm gelockert hatte, aus und mistete den Geissenstall, der direkt ans Haus gebaut wurde, aus.

Sie sprachen nicht viel. Mara ging zwischendurch immer wieder auf Kräuter und Wurzelsuche.

Im Haus hatte sie jeden Winkel voll gestopft mit ir-gendwelchen Gefässen voll davon. Jetzt in der war-men Sonne trocknete sie die Kräuter, Pilze Beeren Gräser und vieles andere, auf einem aus dünnen Holz gefertigten Holzgestell.

Pander fragte sie manchmal, für was dies und das gut wäre und Mara erzählte gerne darüber.

Er begleitete sie auch bei ihrer Suche im Wald und auf den Alpwiesen weit oben, oberhalb der Waldgren-ze. So vergingen die nächsten Tage.

Er spürte, sie war mit Herz und Verstand der Kräute-rei angetan. Sie hatte ein riesiges Wissen über Natur und Mensch sich angeeignet. Und Pompeia unterstütz-te sie. Er bot ihr einen grossen Teil ihres Lebensunter-halts und sie lieferte ihm Kräuter, Salben und alles was er als Doktor so brauchte. Für Mara war es eben schwierig, Salben und Kräuter auf dem Markt zu ver-kaufen oder auch mal an Arme Leute weiterzugeben sie würde sonst sehr schnell als Wurzelweib oder gar Hexe an den Pranger gestellt. Also, so half Pompeia auch für sie den Armen, da er auch nichts für seine Dienste diesen verlangte. Und wegen seinem guten Ruf und seines Einflusses als Freiherr und Bürger wä-

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re es sehr schwierig ihm Hexerei anzulasten. So konn-te allen gedient werden. Für sie war das sehr wichtig.

Sie war ein bereits gebranntes Kind und als sie Pan-der all dies erzählte begann sie auch erstmals von ihrer Vergangenheit zu erzählen an.

Am Dialekt an, den Mara sprach, kam sie nicht von hier und auch nicht aus der nächsten Umgebung.

Mara wuchs in einem kleinen Weiler etwa zwei Ta-gesreisen von hier bei ihrer Mutter auf. Den Vater hat sie nie gesehen. Er starb früh an einem Fieber. Ihrer Mutter ging damals heimlich, leider erst viel zu spät zu einer alten Kräuterfrau, aber eben zu spät, er starb. Es wurde gemunkelt, dass Maras Mutter ihren Mann sterben liess, weil das Ungeborene in ihrem Leib nicht sein Kind wäre.

Sie wurde der Verhexung beschuldigt und hingerich-tet. Mara war da gerade 1 Jahr alt. Ihre Mutter musste wohl geahnt haben was geschehen würde und so ver-steckte sie Mara bei der alten Kräuterfrau. Sie verriet ihre kleine Mara auch in der Folter nicht und man nahm an, dass auch Mara durch die Hand ihrer Mutter starb.

Hermine, die alte Kräuterfrau die sehr einsam und zurückgezogen schon immer leben musste, sorgte für Mara und zog diese auf. Mara konnte dennoch unbe-schwert aufwachsen. Sie hatte die Natur und viel Frei-raum. Hermine lehrte sie vieles. Nicht nur die Pflan-zen- und Menschenkunde. Aber natürlich vor allem das.

Die Jahre zogen ins Land und Mara wurde eine jun-ge, erwachsene Frau.

Eines Tages als sie auf einem weit entfernten Markt, den hier in Torstheim, die wenigen Kräuter und Sal-ben feilbot, die man durfte, machte sie Bekanntschaft

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mit dem Freiherr Pompeia, der sich sehr für ihre Kräu-ter interessierte. Nachdem sie zwei, drei mal in kurzen Abständen den Markt besuchte, lud er sie in sein Her-renhaus in Torstheim ein und erklärte ihr sein Interes-se an der Kräuterkunde. Bald hatten sie das gegensei-tige Vertrauen gewonnen und so kam sie hierher.

Das müssten jetzt etwa vier Jahre her sein. Pander hatte mit grossem Interesse ihrer Geschichte

gelauscht und einiges wurde ihm jetzt klarer. Sie sas-sen jeden Abend nach der Tagesarbeit draussen und in den warmen Nächten, konnte man wunderbar zusam-men reden.

Sie konnten wirklich stundenlange Gespräche füh-ren, und Mara hatte immer Fragen bereit und der sonst nicht so redselige Pander staunte über sich selber wie gesprächig er sein konnte. Eines verband sehr zusam-men, sie konnten beide die herrliche Natur geniessen und lebten in ihrer wunderbaren Bergwelt.

Die Tage bei Mara zerronnen wie warme Butter in der heissen Julisonne. Es war wirklich eine kleine Welt für sich.

So gingen die Tage dahin. Es war ein aussergewöhn-lich heisser und trockener Sommer. Die letzten ergie-bigen Regenfälle lagen schon ein zwei Wochen zu-rück. Und sogar in der Höhe des Tobelbodens brannte die Sonne heiss. Wie musste die Hitze in Torstheim erst sein?

Sehnsüchtig warteten die Menschen, auch in Torstheim auf ein abkühlendes, erfrischendes Gewit-ter. Es war langsam Zeit, denn sonst würde die Ernten Schaden nehmen.

Auch das kleine Bächlein hinter dem Haus von Ma-ra, floss immer spärlicher. Aus dem satten saftigen grün der Matten war nunmehr ein mattes kraftloses

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Grün geworden. Die Hitze war feucht uns schwül, die Kleider klebten am Leibe und die Menschen schliefen unruhig in ihren Betten. Sie drehten sich mal links und rechts, strampelten ihr Bettzeug hinunter, aber die Hitze blieb. Einzig allein die Abkühlung im Fluss brachte ,auch wenn nur für kurze Zeit, die erhoffte Erfrischung.

Beide konnten keine Ahnung haben wie in diesen Tagen Torstheim von den Ereignissen heimgesucht wurde.

Torstheim ein paar Tage zuvor…. Nackt wie die Staufferin war, wurde sie am nächsten Tag in den gleichen Folterraum wir ihr Mann tags zuvor gebracht.¨

Sie hatte die letzten Stunden in einer Art inneren Verharrung durch gestanden. Sie konnte das alles was Geschehen war nicht verarbeiten und war zwischen Traum und Wirklichkeit. Sie hörte die Türe aufgehen und die Turmwächter stützten sie notgedrungen zur Folter. Nackt und missbraucht wie sie war. Die Spuren der letzten Nacht klebten noch an ihrer Innenseite der Schenkel.

Ihr wurden Fragen gestellt von denen sie nur Bruch-fetzen verstand und sie war ausserstande eine klare Antwort zu geben.

Stratschapetta liess sie zurückbringen und so wurde sie die nächsten drei Tage aufgepäppelt mit Brei und genügend Wasser bis sie wieder stark genug für ein Verhör war.

Die Staufferin hockte eines Nachts mit dem Rücken zur Verliessmauer gelehnt still da und dachte über ihr Leben und ihre Zukunft nach. Wenn man überhaupt

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von einer Zukunft reden konnte. War ihr Mann wirk-lich tot, oder war dies nur eine geistige Folter um ihr ein scheinbares Geständnis rauszulocken, da sie eh nichts mehr zu verlieren hatte? War er wirklich tot und wie sehr hatte der Ärmste gelitten. Er war immer gut zu ihr und nie wurde sie geschlagen oder hart ange-gangen. Auch dass sie keine Kinder bekommen konn-te, hatte er nie zum Vorwurf gemacht. Obwohl sie wusste wie wichtig für ihn ein Stammhalter für die Mühle war.

Als sie in den ersten Morgenstunden in die Folter-kammer verbracht wurde und sie diesen Gang zu Fuss selber gehen konnte, wusste sie dass sie der Anklage nicht entrinnen konnte. Wie vor ihr keine und nach ihr keine.

Stratschapetta und Aldus verhörten sie und stellten die üblichen Fragen. Sie wollten wissen ob sie Un-zucht mit dem Gehörten getrieben hätte ob sie Scha-denzauber über andere gesprochen hätte und stellten die Fragen über Rizzi und Pander.

„Staufferin, ihr habt nie Kinder gehabt, ist das rich-tig?“ Aldus in seiner gewohnt krächzenden, weibli-chen Stimme.

„Es war uns vom Herrgott leider nicht vergönnt.“ „Oder habt Ihr die Kinder totgeboren oder dem

Leibhaftigen versprochen? Eine glaubhafte Zeugin hat uns unter Eid ausgesagt, sie hätte des öfteren Kinder-geschrei vernommen. Dies vor drei Jahren zur Zeit des Hexensabbat, danach nicht mehr! Wie könnt ihr dies Erklären? Des Weiteren hat ein Geselle der Mühle zur Anzeige gebracht, dass ihr versucht hattet Unzucht mit ihm zu treiben und er seither von teuflischen Träumen heimgesucht wurde!“

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„Das sind falsche Anschuldigungen, ich habe weder dem Leibhaftigen Kinder versprochen noch war ich je meinem Manne eine untreue Gattin. Ich bin eine got-tesfürchtige, ehrbare Frau.“

„Zwei Turmwächter die euch scheren solltet, haben uns unter Eid versichert, dass sie während der Schur von Unzuchtgelüsten überfallen worden sind und ihr Unzucht getrieben habt mit den beiden?“

„Ich wurde von ihnen meiner Ehrbarkeit beraubt, ich wäre ausserstande gewesen solche Unlust überhaupt zu empfinden! Ich weiss nicht was ihr von mir wollt, ich habe ein reines Gewissen und Gott der Vater im Himmel ist mein Zeuge“

„Ketzerin“ Aldus erzürnt. Stratschapetta liess die Folter beginnen und immer

wenn die Staufferin ihr Bewusstsein verlor, wurde innegehalten und sie mit Wasser übergossen um so-gleich fortzufahren.

Es wurden ihr alle Finger gebrochen, nachdem die Daumenpressen keine befriedigenden Antworten er-bracht hatten.

Nun wurde ihr ein Trichter die in den Mund gesteckt und Wasser eingeflösst. Literweise. Sie bekam keine Luft mehr und sie konnte schon lange nicht mehr schlucken, ihr sonst schlanker Bauch war aufgedunsen wie ein praller fellener Trinksack und sie verlor ein weiteres Mal das Bewusstsein.

Sie erwachte an den Beinen aufgehängt und erbrach weiter schwallweise das eingeflösste Wasser. Mann liess sie kopfüber stundenweise hängen und ihr Kopf schien zu platzen. Herr erbarme dich, betete sie inner-lich, lass mich sterben Herr. Die weiteren Qualen durchlitt sie in Trance und ihr Körper war aufs Schwerste geschunden worden.

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Sie schwieg und sie wurde halbtot in ihr Verliess geworfen und sie wusste die Verbrennung würde sie erlösen. Es war ihr gleichgültig. Im Schmerzwahn hörte sie das Klappern der Mühle und redete mit ihrem Mann. Sie sah die grünen Bäume um die Mühle und hielt ein kleines Kindchen in ihren Armen. Es war ein Mädchen und es war die ihrige. Das kleine Schmoll-mündlein und sie spürte wie das Kleine an ihrer Brust trank und es erfüllte sie mit tiefer Mutterliebe. Sie war dankbar uns so stolz.

Es lag eine körperlich, schwerst geschundene Frau auf dem kalten Steinboden im Schelmenturm, welche ganz leicht ihr Mund immer wieder zu einem Lächeln bewegte, obwohl alle Zähne rausgeschlagen oder ge-zogen wurden. Sie lächelte und stillte weiter ihre klei-ne Anne Marie.

Die Staufferin wurde am nächsten Tag im gleichen Zustand auf einen Karren gehievt und durch Torstheim, hinauf zum Kloster verbracht. An diesem Tage sollte der erste der Hexenfeuer brennen.

Sie wurde auf den Holzstoss gebunden und all die zusammengelaufenen Einwohner standen im Kreis herum. Und wer es nicht wusste, würde nicht glauben, dass dies die Staufferin war. Kahlgeschoren und ge-peinigt.

Die Säcke mit den Katzen lagen inmitten des Holz-stosses und man konnte an den Bewegungen der Sä-cke das Aufbäumen der Katzen sehen.

Es wurde um ihre Seele eine Fürbitte gehalten und der Stoss wurde entzündet. Die Flammen schlugen in dem trockenen Holz sofort aus und heller Rauch stieg empor. Das klagende Miauen der Katzen war neben dem Knistern des trockenen Holzes das einzige was zu hören war.

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Die Staufferin lag mit einem feinen Lächeln da und spielte mit Anne-Marie. Sie hatte ein selbst geschnei-dertes Kleidchen an und zwei schöne Zöpfe. Es war Sommer und heiss.

Auf dem Tobelboden….

Eines Nachts, Pander schlief wie gewohnt im unte-ren Teil des Hauses in seinem Lager, wurde er und Mara vom lauten Wiehern des Braunen aufgeschreckt. Pander stand auf und schaute aus dem kleinen Fenster auf die im weichen, blassblaukalten Mondlicht dalie-gende Wiese hinaus.

Am seitlichen Waldrand konnte er ein paar dunkle Gestalten in geduckter Haltung vorwärts huschen se-hen. Ihm pochte das Herz bis zum Hals. Das waren wohl Stratschapettas Leute.

Mara und er wollten es nicht wahrhaben, dass er schon längst in die Fremde gehen sollte. Sie verstan-den einander so gut und so schoben sie seine Abreise mit schlechten Begründungen immer wieder hinaus. Sie wollten die Gefahr nicht sehen, so abgeschieden wie sie waren, war einfach zu glauben nicht in diese Zeit zu gehören. Die Tage waren alle heiss und der Himmel blau so wurden aus den Tage ein langer heis-ser Sommertag und aus den lauen warmen Nächten eine Nacht. Die Zeit schien stillzustehen.

Er wollte soeben die kleine, steile Leiter zu Maras Schlafgemach hinauf, als diese oben erschien.

”Mara, schnell wir müssen weg. Die Stadtwacht ist bereits vorne auf der Wiese. Schnell komm!”

”Geh du nur. Ohne mich bist du schneller. Mich su-chen sie ja nicht. Und wenn sie dich hier nicht finden, können sie mir auch nichts anhaben. Ich stehe unter

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dem Schutz des Freiherren. Vergiss das nicht. Also sei gescheit und flieh ohne mich.”

Pander zog hastig die Schuhe an und blieb dann ei-nen Moment bei der Türe stehen.

Mara sah sein Zögern. ”Geh wirklich, mir geschieht bestimmt nichts wenn

sie dich nicht bei mir finden”, und gab Pander einen kleinen Schubs.

Pander ging nur sehr ungern allein. Aber er hatte das Gefühl das Mara vielleicht doch Recht hatte.

Ganz sachte zog er die kleine Holztüre nur soweit auf, so dass er gerade durch den Spalt schlüpfen konn-te, und schlich ganz leise hinters Haus in den dunkeln Wald hinein ohne dabei auf dürres Geäst zu treten.

Mara schloss dir Türe vorsichtig und legte sich scheinbar ahnungslos in ihr Bett.

Nur schweren Herzen kletterte Pander die steile Waldseite hinter dem Haus hoch.

Nun kam ihm zugute, dass er viel mit Mara in der Umgebung auf Kräutersuche unterwegs gewesen war. Er kannte das Gelände mittlerweile bestens. Er stieg bis zu dem kleinen Aussichtspunkt hoch, an welchen Mara und er, schon so manchmal schon gerastet hatten auf und setzte sich. Von dort aus konnte man auf den nicht weit darunter liegenden Tobelboden und auf das kleine Haus am Rande sehen. Dennoch glaubte er sich sicher. Er musste einfach sehen was dort geschah.

Das kleine Haus wurde von dem dahinter wachsen-den grossen Baum und dessen dichten Zweigen zum Teil verdeckt. Pander sah so nur die vordere Seite die zur Wiese hinaus zeigte. Er konnte gar nichts entde-cken. Er hatte höchstens 15 bis 20 Minuten hierauf gebraucht. War am Ende der ganze Spuk schon vor-bei, Und Mara wieder sicher im Haus?

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Es ärgerte ihn, diese Unsicherheit. Er mochte Mara. Er war zwar nicht verliebt in sie, und sie wohl auch nicht in ihn, dennoch fühlten sie sich eng verbunden.

Er starrte weiter in die vom Mond schwach beschie-nene Szenerie unter ihm. Er schaute so gebannt, dass er kaum atmete. Er kniff die Augen zu einem schma-len Schlitz zusammen um noch besser sehen zu kön-nen. Aber es rührte sich nichts. Was sollte er jetzt bloss machen? Er war sich seiner Sache sehr un-schlüssig. Wahrscheinlich suchten sie ihn jetzt noch eine Weile im Wald und um das Haus. Weggehen konnte er nicht. Wohin auch? Es kam alles so unver-hofft.

Sollte er wieder hinunter zum Haus? Konnte eine Falle sein. Vielleicht auch nicht. Mara würde ihm si-cher ein Zeichen geben, wenn sie sicher wäre, dass er kommen könnte. Vielleicht würde sie die Lampe an das Fenster stellen.

Er wartete weiter. Was auch immer da unten gesche-hen war, es musste heftig und schnell gegangen sein. Dieser Gedanke liess ihm keine Ruh, und als der Mor-gen dämmerte und die Farben der Nacht dem Blauvio-lett der Morgendämmerung zu weichen begann, streckte er seine Glieder und schlich leise hinunter zum Haus. Immer wieder blieb er stehen und lauschte. Aber ausser dem Zwitschern, der nun langsam erwa-chenden Vögel, konnte er nichts vernehmen. Sollte er es wirklich wagen? Er ging vorsichtig weiter. Immer auf den Weg vor ihm achtend, dass er in der morgend-lichen Stille nicht etwa auf einen morschen Ast trat. Das Knacken wäre trotz Vogelgezwitscher gut zu hö-ren.

Langsam nähere er sich von hinten dem Haus. Die Rückseite hatte kein Fenster. Also schlich er sich bis

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ganz an diese heran. Er drückte sein Ohr an die Holz-wand. Vielleicht konnte er etwas erlauschen. Ruhig war’s, zu ruhig. Vielleicht aber hatten sie Mara weg-gebracht. Und allesamt waren mitgegangen.

Sicher würden sie denken, dass er es nicht wagen würde nach so kurzer Zeit hierher zurückzukehren. Aber vielleicht dachten sie auch, dass er das dachte und passten ihn hier ab. Egal, was er auch dachte er konnte sich nicht sicher sein.

Wenn er es wissen wollte dann musste er zumindest ins Haus hinein.

Vorsichtig, den Rücken an die Hauswand gedrückt und die Hände mit den abgespreizten Armen an das Holz gepresst, ertastete er sich langsam ums Hauseck herum bis vor an die nur angelehnte Haustüre. Er wollte zum kleinen Fenster der Küche hin, musste aber bei der Türe vorbei. Die knarrte immer beim Öff-nen also musste er aufpassen, dass er sie nicht aus versehen berührte. Das schaffte er auch und stand nun wieder eng an die Wand gepresst neben dem Fenster. Langsam beugte er seinen Kopf hervor um in das klei-ne Fenster spähen zu können. Alles war dunkel und in dem verschmutzen Fensterglas widerspiegelte sich nur der helle Morgenhimmel. Also musste er zur Türe rein.

Ganz langsam, ruckartige Bewegungen vermeidend zog er mit verkniffenem Gesicht, langsam die Türe auf.

Sie knarrte leise, aber er hatte sie soweit auf, dass er gerade soeben reinschlüpfen konnte.

Zuerst steckte er seinen Kopf durch den Spalt und schloff dann ganz durch.

Er sah ein Riesendurcheinander. Alles lag wild ver-streut im Raum.

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Seine Anspannung erreichte den Höhepunkt als er leise und mit fast zitternden Stimme rief:

” Mara,..... bist du da?” Niemand antwortete. Er rief sie erneut, diesmal be-

herzter als vorhin. Wieder erhielt er keine Antwort. Er stieg die kleine Leiter zu Maras Schlafgemach

hoch. Und wiederholte beim hochsteigen zwei-dreimal ihren Namen.

Auch oben war alles durchwühlt und von Mara keine Spur.

Seine letzte Anspannung wich jetzt Wut und der Sorge um Mara. Er machte sich nun Vorwürfe. Er hätte sie mitnehmen sollen. Einfach nicht auf sie hören und sie einfach mitschleppen sollen. Aber das nützte jetzt auch nichts mehr.

Sie hatten sie also mit, und als er sah, dass unten vie-le ihrer Kräuter und Salbenvorräte weg waren be-schlich ihn eine dumpfe, tiefe Angst.

Er zog einen Hocker aus dem durcheinander und setzte sich hin. Seine Beine abgespreizt, seine Ellbo-gen auf seine Oberschenkel gestützt und sein Gesicht in seinen Händen vergraben.

Was war bloss los? Er wusste, jetzt musste er irgendwie zurück ins

Städtchen zurück und herausfinden wo Mara hinge-bracht worden war. Er könnte ja bei Staufer vorbei. Vielleicht könnte dieser ihm helfen und für ihn her-ausfinden was mit Mara los war oder er könnte mit dem Freiherren reden.

Staufer als Bürger wusste über vieles Bescheid, und könnte auch seinen Einfluss geltend machen. Und Jonathan war ja auch noch da. Aber vorerst wollte er Staufer aufsuchen. Pander hatte auch schon eine Idee wie er zu Staufer kommen konnte...

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IX.

Die Hexenhatz beginnt

Als Pander bei Mara zur Haustüre raus verschwun-

den war, schloff Mara schnell wieder in ihr Bett hin-ein, und tat so als ob sie schlafen würde.

Sie lag kaum eine Minute im Bett und kam so lang-sam wieder ins ruhigere Atmen hinein als unten die Türe aufgedrückt wurde.

Der Stratschapetta und Aldus mit ihren Leuten dran-gen auf gröblichste Art und Weise in ihr Haus ein.

Sie zündeten ihre Lampen an. Das flackernde Licht, warf seien Schein von der Küche zu ihr in ihr Schlaf-gemach hoch.

Sie schloff schnell wieder in ihre Kleider hinein und ging die Leiter in den unteren Stock hinunter.

Sie sah den Stratschapetta und ein paar seiner Män-ner.

”Mara Klaris” und der Stratschapetta hob die Later-ne, machte einen Schritt auf sie zu und umklammerte ihr Handgelenk;

„Wo ist der Pander? Leugne nicht er muss hier sein, denn heute Morgen wurde er von einem Schafhirten am Berg gesehen und wir wurden umgehen benach-richtigt. Mara Klaris, es steht sehr schlecht um dich bestellt. Es ist uns nicht entgangen was du hier oben mit deiner Kräutersuche alles anstellst. Wir haben lange zugesehen und viel Geduld gehabt. Irgendwann muss dies ja ein Ende haben. Also wo ist Pander?“

„Ich kenne keinen Pander, und vielleicht hat der Schafhirte den Wandersmann gesehen der heute in der

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Früh auf dem Talboden vorbeikam?“ so schlagfertig wie sie war, gab sie zur Antwort.

„Der Schafhirte ist Pander gut bekannt und hätte Pander auch ihn gesehen…“ Stratschapetta stocke einen Moment; ”Übrigens, wessen Schlafplatz ist denn dieser da? Sag bloss der Wanderer hat übernachtet?“ mit einem Ton in der Stimme als wollte der Stratscha-petta damit sagen, dass auch er schlagfertig ist und fügte trocken an „Du musst mit uns kommen!“

Pander hatte wohl tatsächlich den Hirten erkannt und war im Laufe des Tages geflohen und da er über die Berge musste hatte er den Braunen hier gelassen. Das erschien Stratschapetta einleuchtend. Die Schlafstätte räumte jeden Zweifel über die Aussage des Hirten aus.

Auf Stratschapettas Winken hin, kam ein Stadtwäch-ter und band Mara die Hände mit Lederriemen vor dem Körper zusammen.

Nun packten die Männer alles was sich in ihren Ge-stellen so an Heilmittel und Grundstoffen so ange-sammelt hatte in Säcke ein. Sie durchwühlten den ganzen unteren und anschliessend den oberen Raum.

Mara wurde hinaus geführt. Draussen setzte man sie auf den grossen Braunen von Pander. Ein Wächter hielt diesen im Zaum.

Der Stratschapetta winkte zum Abzug und alle bega-ben sich zum anderen Ende der Lichtung. Die Stadt-wacht zündeten ihre Lampen wieder an. Mara musste vom Pferd absteigen und von dort an ging es zu Fuss in Richtung Torstheim.

Mara spürte erst jetzt, dass sie in der Eile ihre Schu-he nicht angezogen hatte. Die scharfen, kalten Stein-kanten in der Tobelschlucht schlugen ihre Füsse wund. Sie wurde zwischen zwei Wächtern geführt. Der vordere hielt den langen Lederriemen von ihren

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gefesselten Händen. Er zog immer wieder, wenn er das Gefühl hatte, dass Mara zu langsam ging. Die Riemen waren zu eng gebunden und Maras Frauen-hände wurden kalt und steif.

Sie rief den Stratschapetta. Der Wächter vor ihr be-fahl ihr den Mund zu halten. Mara rief weiter. Darauf hin riss dieser auf einmal so stark an dem Lederrie-men, dass Mara vorn zu Boden fiel. Sie richtete sich aber sogleich wieder auf und rief so laut sie konnte Stratschapettas Name. Plötzlich kam dieser mit einem anderen Wächter von vorne an sie heran getreten.

Er musste ziemlich weit vorangegangen sein, sonst hätte er sie wohl früher gehört. Mara zeigte ihre Füsse und Hände. Der Stratschapetta hielt die Lampe hoch und sah die blutenden, geschundenen Füsse von Mara.

”Schneide einen Leinensack in die Hälften und binde diese um ihre Füsse, dann sind wir schneller” befahl er einem seiner Gefolgsleute um ja nicht den Eindruck zu erwecken es ginge um die Schmerzen von der Kla-ris. Dann schaute er kurz Mara an und meinte fast ent-schuldigend ”Unten im Tal geht’s es dann zu Pferde weiter, dass ist auch für uns besser.” und wollte sich gleich wieder abwenden, als Mara ihm ihre gefesselte Hände zur Erinnerung hochhielt. Der Stratschapetta wandte sich aber erneut ab und ging.

Trotzdem machte sie sich nicht weiter grosse Sor-gengedanken darum. Sie war ja Unfreie des Freiherren Pompeia. Dieser würde ihr bestimmt helfen. Trotzdem ein wenig Angst hatte sie schon.

Hinter dem Tobelboden standen wie der Stratscha-petta gesagt hatte die Pferde für alle bereit.

Im frühen Morgen ritten sie zu Pferde dann in Torstheim an.

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Sie ritten quer durchs morgendliche, verschlafene Städtchen hinauf zum Kloster. Als sie im Klosterhof einritten eilten ein paar Mönche herbei und brachten die Pferde in die Stallungen.

Mara wurde in das Kloster gebracht. Sie konnte nicht wissen, dass sie sich im gleichen Raum befand wie damals Pander.

Ein Wächter band sie an dem einen massiven, trohn-ähnlichen Stuhl fest. Der Stratschapetta und Aldus verliessen den Raum und Aldus kam nach ein paar Minuten alleine wieder hinein.

Er und zwei Mönche breiteten alles, was sich in den Säcken aus Maras Haus befand, auf den altarähnlichen Tisch aus. Dabei wurde alles sorgfältig im Weihrauch geschwenkt oder mit Weihwasser bespritzt.

Als sie damit fertig waren, es dauerte fast eine Stun-de, gingen Aldus und zwei seiner Mönche die paar Stufen hinter den Altar hoch.

” Mara wir wissen jetzt, du bist eine Hexe” donnerte Aldus sie an.

Mara stockte der Atem. ”Ob du es zugibst oder nicht ist unwichtig, dies hier

alles ist Beweis genug.” Und Aldus deutete auf den vollen Tisch hin.

”Wir sind sicher, du allein bist an den Verhexungen und dem ganzen Unheil schuld. Auch den Staufer hast du verhext. Er war ein rechtschaffener Bürger.” so Aldus weiter.

Mara war fassungslos. Sie wusste nicht ob sie sagen konnte, dass das meiste ja für den Freiherren gedacht war.

Als ob Aldus ihre Gedanken gelesen hatte; ”Der Freiherr hat uns auf dich aufmerksam gemacht.

Ihm war nicht geheuer was du in seinem Haus alles

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getrieben hast und er wollte nichts damit zu tun haben. Seine Beobachtungen haben sich bewahrheitet. Wir sind ihm daher dankbar, dass er deine Unfreiheit dem Abt übertragen hat.”

Eine tiefe innere Erschütterung durchfuhr Mara. Heisskalt durchfuhr es sie. Sie konnte fast nicht glau-ben, was sie da hörte.

”Ich glaub euch nicht. Denn das was ihr hier alles seht, davon habe ich ja das meiste, im Auftrag DES Freiherrn gesammelt und hergestellt. All die Mischun-gen sind ja für den Freiherren. Also, wie könnte er so etwas sagen. Ich gebe ja zu, dass ich mit Hilfe der Natur Gottes den Menschen helfen kann, aber deswe-gen bin ich noch lange keine Hexe.”

” Du glaubst mir nicht? Hier ist die Unfreiurkunde des Freiherren, mit dessen Siegel, wenn du lesen kannst lies”, und Aldus zog die Urkunde hervor und streckte sie vor Maras Gesicht.” Und nach einer klei-nen Pause fuhr er fort.

”Wir haben dich und Pander beobachten lassen”, so Aldus ”du sammelst auch Kräuter bei Vollmond, gif-tige Pilze und Beeren die sogar Kinder meiden wür-den. Mit Gift kann man aber nicht heilen. Pander den du auch verhext hast hat dir dabei geholfen. ”

” Ihr versteht das nicht. Ich nehme ja nur ganz wenig von dem Gift, dann hilft es eben mit anderen Kräutern zusammen. Und bei Vollmond haben Kräuter eine bessere Wirkung wenn man sie dann pflückt. Ihr habt ja auch einen Kräutergarten in der Kloster” und Mara fing sich langsam wieder.

”Wie du richtig sagst einen Kräutergarten aber kein Giftgarten. Was du hier gesammelt hast, davon wächst kaum etwas in unserem Garten. Damit könnte man zehn kerngesunde Männer umbringen. Du brauchst

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diese Kräuter, Pilze und Wurzeln und der Vollmond um die Menschen zu verhexen. Es ist jetzt genug ge-schehen, wir müssen schnell handeln und den Fluch über Torstheim brechen, damit die Flüche die du noch ausgesprochen hast erlöschen. Du hast zugegeben, dass du dies alles gesammelt und gemischt hast. In der nächsten Vollmondnacht, also in vier Tagen, werden wir dich im Klosterhof verbrennen. Auch wenn Du jetzt noch dein Hexenglaube leugnest, wir wissen wel-che Kraft von dem Leibhaftigen ausgeht um seine Anhänger nicht zu verraten.”

Wenn sie Mara nicht an den Stuhl gebunden hätten, sie wäre jetzt herunter gefallen.

Es fuhr sie durch Mark und Bein. Ihr Atem stockte und ihr wurde ganz schwindelig. Ihr zog es den gan-zen Körper zusammen, und sie hörte wie durch einen Schleier wie Aldus befahl sie in das Verliess im Schelmenturm bringen zu lassen.

Sie spürte wie sie losgebunden und in Richtung Türe gestossen wurde.

Im Klosterhof wurde sie auf einen Karren gehoben, und in das Turmverlies gekarrt.

Während der Fahrt baumelten ihre Beine hinten aus dem Karren raus. Ihre Füsse steckten immer noch in den Leinensäcken. Ihr Kopf nach vorn herab gebeugt, Ihr langes Haar völlig zerzaust. Ihre immer noch mit den Riemen gefesselte Hände dick angeschwollen. Links und rechts neben ihr je ein Wächter.

Sie schleppten sie in den Turm hinab in das dunkle, muffigkalte Verliess. Wenigsten schnitten sie ihre noch die Handfesseln durch bevor sie Mara alleine zurückliessen.

Sie kauerte sich in einen Winkel und fing an zu sin-gen. Sie sang so laut sie konnte. Alle fröhlichen Lieder

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die sie kannte. Und als sie keines mehr wusste fing sie von neuem an. Sie sang sich die nackte, kalte Angst aus dem Leib. Allmählich wurde ihr Singen leiser und leiser und verstummte bald ganz.

Sie viel in einen sehr unruhigen, traumreichen Schlaf. Als sie erwachte dauerte es einen Moment bis sie wusste wo sie war. Es war stockdunkel. Man konn-te nicht die eigene Hand vor Augen sehen. Sie tastete sich die Mauerwand entlang bis zur Türe hin. Die schwere, eisenbeschlagene Verliesstüre war fest ver-schlossen, und das kleine Türchen, welches zur Es-sendurchreiche diente ebenso.

Mara fühlte sich völlig ausgeliefert und hilflos. Sie wusste, hier gäbe es kein Entrinnen mehr. Aus eigener Kraft kam sie hier nicht mehr heraus. Das wusste sie. Abwarten und ausharren, dass war das einzige was sie selber machen konnte.

Sie starrte weiter in die Dunkelheit. Dann schloss sie die Augen und sah ihre grüne Wiese, das kleine Haus und Rauch aus dem Kamin steigen. Sie hörte das Rau-schen der mächtigen Tanne im Frühlingswind hinter ihrem Haus. Das Plätschern des Bächleins, und das muntere Zwitschern der Vögel. So träumte sie vor sich hin.

In Torstheim verbreitete sich in Windeseile, dass

wieder eine Hexenverbrennung nahe war und bald wieder Ruhe im Städtchen einkehren würde, da die Hexe mit der treibenden Kraft gefangen genommen wurde. Schnell wurden die schlimmsten Gerüchte ver-breitet. Dass die Klaris Schuld an den seltsamen To-desfällen hatte, glaubten schnell mal alle Torstheimer gerne. Die Klaris war schon immer eine Aussenseite-rin, da sie niemand so wirklich kannte. Als ob dies

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aber nicht genügen würde, wurde bald gemunkelt, dass sie Tote wieder ausgegraben hätte um deren Au-gen zu stehlen, damit sie sehen konnte was dieser Mensch alles erlebt hatte. Blut soll sie getrunken ha-ben und sich in Katzengestalt in Häuser geschlichen haben. Sie hätte ehrbare Frauen und Männer zum Ehebruch getrieben und wer nicht willig war zu Tode gehext. Der Schadenszauber war schon vor Jahren über die Felder gekommen und die Hitzewelle in die-sem Sommer wollte nicht enden und die Alten im Städtchen konnten sich nicht erinnern jemals solch lange Zeit ohne Regen erlebt zu haben. Die Bäche waren ein Schatten früherer Jahre und die Gerberei konnte nur noch ein Teil gerben, da Wasser knapp wurde.

Eine Hebamme sagte aus, zwei Fehlgeburten in den letzen Wochen hätten kurz vor Vollmond stattgefun-den. Ein Zeichen dass Hexerei im Spiel war. Jeder wusste um Vollmond herum, waren die Hexenkräfte besonders stark.

Bald war Vollmond und alle wollten die Hexe und die neun Katzen brennen sehen. Es mussten neun Kat-zen sein, denn nur so konnten die Menschen sicher sein, dass falls der Geist der Hexe während der Ver-brennung in die erste Katze fahren würde, und das machte jeder Hexengeist, davon waren die Leute überzeugt, wäre sie dann eine Katze und hätte neun Leben. Also könnte sie höchstens noch in neun weite-re Katzen fahren und dann währen sicher alle ihre Le-ben dahin.

Da Hexen aber nur in Katzen fahren konnten die in unmittelbarer Nähe waren, war diese Art der Verbren-nung sehr sicher. Bis jetzt wurde nach solcher Ver-

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brennung keine der Hexen ein zweites Mal mehr ge-sehen.

Den Katzen wurden dicke nasse Stricke um ihre Pfo-ten gebunden, welche erst so spät durchbrannten als die Katzen bereits tot oder bewusstlos waren.

Zudem standen eng aneinander im Kreis ums Feuer, so genannte Totschläger mit dicken Stöcken bereit, für den Fall, dass das Unmögliche geschehen konnte und doch eine Katze oder gar die Hexe zu fliehen versuch-te.

Aldus liess gleich am nächsten Morgen die Vorberei-tungen für die Hexenverbrennung beginnen.

Als erstes wurde in der Mitte des Klosterplatzes, ein aus grob behauenen Steinen ein etwa zweimal zwei Meter langes und etwa ein Meter hohes Podest errich-tet. In der Mitte dieses wurde ein etwa halb Meter breites, und bis zum Boden hinab reichendes Loch ausgespart. Dort wurde dann ein fast eben so dicker Eichenstamm von etwa drei Meter Höhe eingelassen und mit einer Lehmmischung zugepflastert.

Dann wurde trockenes und gut brennbares Unterholz aus dem Wald gesammelt und auf und rund um das Podest dick aufgeschichtet.

Das Sammeln des Holzes war schnell Geschehen, denn immer noch viel seit langem kein Regen und die Hitze der letzten Tage war fast nicht mehr auszuhal-ten.

Der Eichenstamm an dem die Hexe gebunden wer-den sollte, war mit drei dicken Eisenringe versehen worden. Daran wurde die Hexe dann mit Eisenketten angebunden. Zwischen das trockene Holz wurden ge-segnete Weihrauchzweige gelegt.

Es dauerte keinen Tag, da hatten die Mönche die Hinrichtungsstätte bereitgestellt. Vom Städtchen

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strömten die Menschen hinauf in den Klosterhof und begafften mit den unterschiedlichsten Gefühlen das Stumme Mahnmal in Mitten des Platzes.

Als ob ein undurchsichtiger Zaun im Abstand von etwa zehn Meter rund um die Verbrennungsstätte ge-zogen worden wäre, hielten die Menschen Abstand davon. Alle wollten sehen wie es aussah.

Eine Mutter mit Kind an der Hand stand da, und hielt sich die andere Hand stumm und nachdenklich vor den Mund. Ein älterer Mann mit Pfeife im Mund wandte sich einem etwa gleichaltrigem neben ihm zu und nickte nur vielsagend diesen an und schaute da-nach wieder auf den Scheiterhaufen. Man konnte ihnen allen ansehen wie angezogen und gleichermas-sen abgestossen auf sie die seltsame Stimmung wirkte.

Auch Jonathan der Mönch stand nachdenklich dabei.

Sein gutmütiges Gesicht trug tiefe Sorgenfalten und in seinen Augen war stummes Unbegreifen zu lesen. Er hatte im Kloster erfahren was Geschehen sollte, und wer diese Klaris war wusste er mittlerweile auch. Und vor allem, dass Pander bei ihr gewesen war. Er war sich sicher, dass Pander sich auf die eine oder andere Art bei ihm bemerkbar machen würde. Und er Jo-nathan musste sich bereithalten und ihm die Gelegen-heit dazu auch geben. So kurz wie er Pander kannte, würde dieser sicher herauszufinden zu versuchen was mit der Klaris geschehen würde, und wenn er dann zu Wissen bekäme, dass diese verbrannt werden sollte, er ihr sicher helfen versuchen würde.

Das wussten auch der Stratschapetta und Aldus und liessen sich deshalb nicht auf eine nächtliche Verfol-gungsjagd ein. Und da sie Pander als nur verhext an-schauten war keine Gefährdung zu befürchten. Ir-

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gendwann erwischten sie ihn sowieso und konnten dann eine Abschwörung des Hexengeistes vornehmen. Dies würde ihnen sowieso besser gelingen wenn die Hexe tot ist.

Jonathan wusste, dass er im Moment im Kloster noch wichtige Informationen erlauschen konnte und da er als beschränkt galt, liessen die anderen auch we-nig Vorsicht bei wichtigen Gesprächen walten sogar auch wenn er sich in ihrer Nähe aufhielt. Vielleicht, so dachte Jonathan konnte er so Pander und der Klaris noch irgendwie helfen.

Er fragte sich nur wie die Klaris die Folter überste-hen sollte, so wie die Staufferin ausgesehen hatte oder was noch danach von ihr übrig blieb.

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X.

Pander macht sich auf

Pander blieb noch drei Tage, nach der besagten

Nacht in der Nähe rund um Maras Haus. Er nahm an, dass falls der Freiherr eingegriffen hatte, Mara in die-ser Zeit wieder zurückgekommen wäre.

In diesen Nächten in denen er draussen im Wald schlief war er erstmals richtig froh über die Hitze die auch in der Nacht nicht richtig weichen wollte. So fror er nicht. Zwischendurch schaute er immer wieder mal vorsichtig, bei Maras Haus nach ob sie zurückgekehrt wäre.

Am dritten Tag nach Maras Gefangennahme, holten ein paar Gefolgsleute des Stratschapetta die Ziegen ab. Pander beobachtet dies aus dem sicheren Wald heraus.

Als dieses geschah und Mara nach dieser Zeit immer noch nicht erschien machte er sich auf um Staufer aufzusuchen.

Er suchte im Haus von Mara ein paar alte zerschlis-sene Kleider und als er nicht die richtigen fand machte er kurzerhand ein paar Löcher und Schnitte in die sei-nigen. Er rieb sie noch ein wenig mit Dreck vom Geis-senstall ein, so, dass sie ihm fast zu stark stanken und er zog sie nur naserümpfend an.

Dann suchte er sich einen dicken Stock hinter dem Haus und übte ein wenig das Humpeln. Er beschmutze dann noch ein wenig sein Gesicht und dann war er zufrieden. Er zog einen alten Hut über die Stirn und war nun zufrieden. So sah er wie einer, von dem sich rumtreibenden Bettlergesindel aus.

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So nahm der den Weg zur Mühle Staufers unter die Füsse, da leider sein Brauner wohl mitgenommen wurde. Es war ein langer, beschwerlicher Fussmarsch. Wohl auch weil er sich um Maras Wohl mehr als nur Sorgen machte. Wo konnte sie wohl sein? Wieso nahmen sie Mara mit und suchten nicht nach ihm? Er versuchte sich immer wieder zu beruhigen, dass wenn der Freiherr erfahren würde, dass sie Mara mitge-nommen haben dieser sofort Klarheit schaffen würde. Es war ja schon dreist genug Mara ohne die Einwilli-gung des Pompeias zu holen.

Die Hitze während des Marschierens war gegen Mit-tagszeit fast unerträglich. Die Luft surrte und war staubtrocken.

Der Bach der aus der Tobelbodenschlucht, sonst mit weiss aufschäumendem Spritzen rausschoss, war ein noch kümmerliches Rinnsal geworden, als das wel-ches er beim Herkommen sah. Gemächlich, träge plät-scherte das Bächlein jetzt dahin.

Auch Pander wünschte sich seit Wochen ein erfri-schendes Gewitter oder einfach nur Regen, aber auch heute war ein stahlblauer, und nur gegen den Horizont leicht dunstiger Sommerhimmel. Weit und breit auch nicht die kleinste Wolke.

Allmählich war das Ausmass des fehlenden Regens in der Natur ersichtlich. Im noch heisseren, kesselför-migen Tal von Torstheim, welches jetzt zu einem rich-tigen Glutofen wurde, war das Gras der Felder noch kürzer und matter als die Tobelbodenwiese. Die sonst so üppige Blumenvielfalt war kraftlos geworden. Nicht einmal ein Windhauch rührte sich in den Zwei-gen der Bäume und liess auf Abkühlung hoffen. Der schmale Weg der zu Staufer führte war staubig und heiss. Bei jedem Schritt wirbelten kleine Staubwolken

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auf und bildeten auf den Schuhkappen eine dünne, lehmfarbene Schicht.

Pander war über die Trockenheit erschrocken, denn er wusste wie das Leben der Menschen, und so auch seines, hauptsächlich von den Erträgen der Wiesen und Äcker abhing.

Er war schon lange unterwegs, und hatte sich schon mehrmals aus dem Brotsack den er noch bei Mara gefüllt hatte sich verköstigt, als er kurz vor der Mühle ankam.

Ein flaues Gefühl in der Magengrube erfasste ihn und er spürte wie er schneller und schneller ging. Er musste sich selber ermahnen, ein Bettler mit verkrüp-peltem Fuss und Stock an der Hand, der so schnell gehen konnte, viel sicherlich schnell auf.

Also verlangsamte er seinem Schritt zu einem schlurfenden Gang.

Nun tauchte die Mühle vor ihm auf. Er hielt einen kurzen Moment an und schaute auf den Mühlenvor-platz wo meist der Mühlewagen zum be- oder entla-den stand.

Plötzlich viel ihm auf, dass das Mühlrad nicht klap-perte. Er war sich so gewohnt, dass immer das Mühl-rad mit stetigem Drehen und holzigem, gleichmässi-gem Rattern seine Runden drehte, dass das Fehlen dieser Geräusche wie ein Loch in der Landschaft auf in einschlug. Es fehlte einfach.

Das Wasser, schoss es ihm durch den Kopf. Zuwenig Wasser. Das gab es noch nie aber sicherlich war das der Grund für das Schweigen des Mühlrades. Mein Gott der arme Staufer, dachte er, denn wenn das stimmte konnte dieser sicherlich seit Tagen oder gar Wochen nicht mehr mahlen. Der einzige Trost, wenn es überhaupt einer war, wenn Staufer schon nicht ma-

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len konnte, musste er auch nicht noch für Pander ge-schuftet haben und hatte sich auch keinen anderen Gesellen zugetan.

Er schlurfte über den Vorplatz zur Haustüre hin und schlug mit seinem Stock an diese und wartete. Es rührte sich nichts. Er klopfte kräftiger an und wartete erneut. Auch diesmal öffnete niemand.

Frau Staufer war sonst immer hier, wenn der Staufer nach Torstheim ging. Ah, vielleicht war sie hinter dem Haus im eigenen Garten. Pander ging rund um dieses und sah den sonst mit viel Liebe gepflegten Garten völlig verödet. Die Gemüsereste lagen völlig erschlafft und bräunlich gefärbt jämmerlich da. Der Garten war ausgedörrt, und die Erde in den Beten hatten dicke Risse und das konnte nicht nur vom fehlenden Regen sein, denn Frau Staufer schleppte immer aus dem Mühlbach Wasser heran um zu giessen. Pander hatte nachgeschaut. Es kam immer noch mehr als genug Wasser um zehn solche Gärten zu bewässern.

Jetzt beschlich in ein furchtbarer Gedanke. Auch Staufers waren weg. Aber wohin?

Er vergass sein Humpeln und lief zur Mühlenscheu-ne hin, in der allerlei so eingestellt war. Alte Säcke, Holz, ein grosser ausgedienter Mühlstein, Werkzeuge und vieles mehr lag in der staubigen Scheune herum.

In diesem Moment öffnete sich das halb offene Scheunentor und ein Mönch trat heraus.

Pander erschrak und wollte geistesgegenwärtig in seinen schlurfenden Bettlergang zurückfallen, aber der Mönch hatte dies bereits bemerkt.

”Halt!” rief dieser Pander zu, als ob er gleich erwar-tet hätte, dass dieser sogleich Fersengeld gegeben hät-te. Pander blieb stehen und der Mönch kam auf ihn zu.

”Was willst du hier” fragte dieser Pander wirsch.

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”Ich habe Hunger und suche ein Schlafgemach und vielleicht kann doch jemand auch ein leicht verkrüp-pelter Hilfsgesellen brauchen;” so die Antwort von Pander.

”Du schaut aber nicht gerade verkrüppelt und hun-gernd aus, da habe ich andere gesehen. Ich bin mir sicher mit dir stimmt was nicht. Du hast bestimmt einen guten Grund warum du hier bist” entgegnete der etwas rundliche fast kahlköpfige Mönch mit seinen schwulstigen feuchten Lippen, überheblich zu Pander.

”Ihr habt recht, ich bin wirklich aus gutem Grunde hier. Ich habe in Torstheim gehört, das der Müller hier im Moment kein Geselle hat, da der andere im einfach davongelaufen sei, und da habe ich mir gedacht, dass dieser vielleicht mich wirklich, wenn auch nur vo-rübergehen gebrauchen könnte.”

”Von wem hast du das gehört”? ”Vor dem Städtchen redeten ein paar miteinander

und ich sass in Hörweite und bettelte gerade. Da hörte ich es.”

”Bruder Klaus, komm mal schnell her” rief der Mönch in die Scheune rein.

Ein kräftiger, grosser Mönch mit schwarzem Bart trat ins Sonnenlicht hervor und klopfte sich den Staub aus der Kutte.

Der erste Mönch forderte Pander auf nochmals zu erzählen wieso er hier war.

”Du lügst” kurz und bündig Mönch Klaus zu Pander. ”Das hat dir bestimmt niemand so erzählt, den ganz

Torstheim weiss, das der Staufer durch Verhexung zu Tode gekommen wurde und seine Frau auf dem Klos-terhof verbrannt worden war. Und die Hexe Klaris nun endlich gefangen genommen wurde! Also WER bist du?“

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Pander wusste zwar noch einiges nicht aber er wuss-te jetzt zwei Dinge mehr die ihn wie ein Faustschlag ins Gesicht trafen. Staufers waren, wieso und wie auch immer durch Verhexung umgekommen.

Die beiden Mönche sahen sein erschrecktes Gesicht und Bruder Klaus umklammerte sogleich den Ober-arm von Pander.

”Zeig uns doch mal dein schlimmes Bein?!” und Klaus schaute auf Panders Füsse und fügte sofort an, ”Weder Bettler noch Hungerleider tragen solch robus-tes Schuhwerk” und meinte dann mit eindeutigem Blick, ”Vielleicht eher Müllergesellen, wie?!”, und verstärkte zugleich seinen Griff.

Der andere Mönch griff sich Panders anderer Arm. ”Wir bringen dich zu Aldus und dem Stratschapetta

und dann werden wir ja sehen ob du nicht Pander bist”, zischelte höhnisch der namenlose Mönch in Panders Ohr. Sie zogen Pander zur Scheune hin um ihn mit einem Strick zu fesseln.

Pander war immer noch geschockt von der Nachricht vom Tode Staufers .

Er hatte vor Jahren einmal bei einer Verbrennung zugesehen. Es war grauenvoll. Er spürte gar nicht so recht was im Moment mit ihm geschah. Widerstands-los liess er sich mitziehen.

Schon hatten sie ihn in die Scheune gezogen und kreuzten bereits seine Hände hinter seinem Rücken zur die Fesselung.

Wenn sie ihn jetzt Einsperrten dann war es sowieso um Mara geschehen. Wenn er ihr überhaupt noch hel-fen konnte dann sicherlich in Freiheit.

Er riss die Hände nach vorne und stiess den einen Mönch in einen Stapel leerer Leinensäcke. Da packte ihn bereits Mönch Klaus von hinten um die Brust.

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Pander stiess sich mit aller Kraft mit beiden Beinen an einem Holzpfeiler, der bis in das Schrägdach hoch ging, ab und wuchte so sein ganzes Gewicht nach hin-ten. Klaus schlug schwer mit dem Kopf an die Stein-mauer dahinter auf und sackte zusammen.

Nun packte Pander den ängstlich flüchtenden Mönch, verdrehte diesem die Arme und schleifte in zum Mühlbach hinter die Scheune. Er war blind vor Wut. Nun streckte er dessen Kopf in das noch wenig fliessende Wasser bis in den Schlamm hinein, so dass nur noch der Hinterkopf aus dem Wasser ragte, und drückte diesen solange hinunter bis die zappelnden Bewegungen aufhörten und der Körper erschlaffte. Er liess ihn so liegen.

Danach ging er geradewegs zur Scheune zurück als ihm der blutüberströmte Klaus entgegen wankte. Die-ser hielt eine Heugabel in beiden Händen, und ver-suchte auf Pander einzustechen.

In Pander war die Wut und er Hass bereits entbrannt. Er wich Klaus aus und rannte an diesem vorbei zurück in die Scheune hinein. Er holte sich rasch eines der schweren Stemmeisen, mit welchen sie der Mühlstein jeweils anheben musste, um dessen Unterseite zu rei-nigen, und trat zurück auf den Vorplatz hinaus. Pander schwang nun immer schneller in kreisenden Bewe-gungen das Eisen über seinem Kopf und bewegte sich allmählich auf Klaus zu, dieser versuchte mit der Heugabel Pander zu treffen.

Pander kannte keine Angst oder Vorsicht mehr. Als die beiden in gegenseitiger Reichweite waren verfehl-te Klaus Pander nur ganz knapp mit einem Gabelstoss.

Das schwere Eisen Panders sauste einen kleinen Moment später dann mit voller Wucht an den Kopf von Klaus. Ein dumpfer Schlag ertönte und mit einem

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riesigen Loch im Haupt viel Klaus in Schlagrichtung blitzschnell zusammen.

Pander hielt das Eisen immer noch fest umklammert, und stand ein wenig schräg noch vorn über Klaus ge-beugt, so als ob er sich auf den nächsten Angriff ge-fasst machen würde.

Das Blut rann aus dem Kopf von Klaus in den stau-bigen Sand hinein. Es schob kleine Staubkörnchen und feinen Sand vor sich her, und wenn die kleine Anhäufung den weiteren Weg des Blutflusses ver-sperrte, verzweigte sich dieser, vermischte sich mit neuem Sand, und bildete bald eine stehende dunkle Blutlache.

Pander stand unverändert da und rührte sich nicht. Er sah, wie das Blut sich seinen Weg bahnte und ein kleines Blatt mitzog.

Es erinnerte ihn an Rizzi, den feinen Kerl und nun spürte seinen Kloss im Hals. Er warf das Eisen vor sich auf den Platz und lief gebeugt in seine alte Kam-mer, im Schopf neben den Haus, hinauf.

Seine karge Kammer sah so aus als ob er sie soeben verlassen hätte. Ausser den Bett und dem kleinen Schrank stand auch nichts anderes darin. Einzig das Schrankinnere war durchwühlt, wahrscheinlich von Aldus Mönche oder der Stadtwacht.

Er schaute wie immer durch das kleine Fenster auf den Vorplatz hinaus.

Sein Blick blieb für einen kurzen Moment bei dem seitlich mit einem ausgestreckten Arm daliegenden Mönch hängen. Dieser hob sich mit seiner schwarzen Kutte deutlich vom lehmfarbenem Vorplatz ab. Pander sah auch die dunkle Lache neben dessen Kopf. Er fühlte sich nicht als Mörder, denn hätte er dies nicht

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getan, wäre es nicht nur um Mara sondern auch um ihn geschehen gewesen.

Nun liess er seinen Blick auf die nahe Baumgruppe schweifen welche in einer Reihe am Mühlbachufer wuchsen. Meist konnte er das Blätter- und Zweigen-spiel des Windes in den Wipfeln sehen. Doch heute lag die ganze Landschaft still, wartend in der brüten-den Mittagssonne da. Nichts rührte sich. Pander schien es als ob jemand die Zeit angehalten hätte. Minute um Minute verstrich.

So sehr er sich auch bemühte, etwas Lebendiges sich Bewegendes zu erspähen, es blieb ohne Erfolg ge-krönt. Es kam ihm vor als ob er alleine auf dieser Welt war.

Er sass nun auf sein Bett. Da wurde er vom aufsurren einer Fliege richtiggehend erschreckt. Es musste eine dicke Schmeissfliege sein. Er konnte sie nur hören aber noch nicht orten. Er stand wieder auf, lauschte einen Moment aus welcher Richtung das Surren ertön-te und drehte dann seinen Kopf in diese. Er sah sie aber nicht. Schnell schloss er seine halboffene Kam-mertüre, denn womöglich konnte der dicke Brummer ihm sonst entwischen, bevor er diese gesehen hatte. Er blieb bei der geschlossenen Türe stehen und fuchtelte mit seinen Armen herum. So bewegte er sich langsam durch die Kammer, bis die Fliege vergeblich versuchte durchs Fensterglas ins Freie zu entschwirren.

Als Pander sah wie diese mit kleinen schnellen Schrittchen, scheinbar ziellos im Zickzack auf der Scheibe sich fortbewegte und zwischendurch wieder aufsurrte, da war er beruhigt. Er fühlte sich nicht mehr so alleine.

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Früher hätte er ohne zu Überlegen den Brummer er-schlagen. Jetzt fing er diesen und liess ihn ihm kühle-ren Schopf fliegen.

Pander war sich bewusst er musste jetzt so schnell wie möglich weg von hier. Wenn die beiden Mönche gefunden wurden dann viel der Verdacht sicher auf ihn. Er konnte aber nicht einfach ins Land hinaus, Ma-ra konnte er nicht einfach so ihrem scheinbar unab-wendbaren Schicksal alleine überlassen. Aber wie er ihr helfen konnte, das wusste er nicht. Es kam noch darauf an wo sie Mara eingesperrt hatten. Wenn es im Kloster war, dann wäre es möglich durch Hilfe von Jonathan sie vielleicht zu befreien. Er musste jetzt erstmals nach Torstheim hinein gelangen und das war schwierig. Waren jetzt doch alle misstrauisch. So ein Missgeschick wie vorhin mit dem Humpeln konnte er sich nicht noch einmal leisten.

Er machte sich auf dem ihm so vertrauten Weg nach Torstheim. Es war stickig heiss und die erhoffte Ab-kühlung in der Talenge war kaum spürbar. Er erfrisch-te, sein von der Hitze gerötetes Gesicht, mit einem in den Bach getunktem Tuch und rieb sich damit den Nacken ein.

Bald konnte er wie immer die Klosterkirche von weitem sehen und er wurde langsamer. Er wusste noch nicht wie er ins Städtchen hineinkommen könnte.

Als er kurz vor der Stadtmauer ankam war es Spät-nachmittag. Er humpelte am Stadttor vorbei entlang der Stadtmauer und dem Stadtgraben. Es war wenig Volk unterwegs nur hie und da ein Karrengefährt oder ein paar Mägde die von der Feldarbeit zurückkamen. Die Stadtmauer war mächtig und stattlich und wirkte erstmals bedrohend auf Pander. Seltsam so hatte er diese noch nie betrachtet.

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Er kam auch beim Schelmenturm vorbei, dessen Aussenmauern einen Teil der Stadtmauern bildete. Ob wohl Mara hinter diesen Mauern sass? So nah und doch so fern.

Da kam Pander der Zufall zu Hilfe. Ein Karren mit einer Ladung Streu ratterte an ihm

vorbei. Der Mönch darauf grüsste. Pander erwiderte dessen Gruss und wollte soeben weiterhumpeln, als ihm der Einfall kam.

Er schaute sich um und als er niemanden sah huschte er behände dem Wagen hinterher und schwang sich vorsichtig hinten auf und kroch ins Streu hinein.

Er lag ganz still und spürte die holprige Strasse unter ihm.

Der Wagen machte eine kleine aber enge Kurve und hielt dann an. Nur gedämpft konnte Pander Stimmen vernehmen, aber er verstand sie nur Bruchstückhaft. Er nahm an, dass sie jetzt am Stadttor angelangt wa-ren. Auf einmal sauste ganz knapp neben ihm eine Eisenstange durchs Streu und am Geräusch nach noch eine gleich danach ob ihm.

Es ging so schnell, dass er nicht einmal richtig Zeit hatte zu erschrecken, und da fuhren sie bereits wieder.

Pander kannte die Gassen in Torstheim gut und er versuchte aus der Fahrtrichtungen der jeweilige Ort herauszufinden. Er musste nämlich rechtzeitig wieder vom Wagen und das an einem sicheren Ort. Nach kur-zer Zeit hatte er aber seine Orientierung verloren. So schaute er halt vorsichtig durch eine dünne Schicht Streu hinten aus dem Wagen.

Sie fuhren gerade durch die Schindlergasse, nur un-weit der der Freiherrengasse wo wie ja Pompeia wohnte. Pander hatte sich entschlossen, diesen aufzu-suchen und ihn um Hilfe und Rat zu bitten.

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Als gerade niemand in der Nähe war kletterte Pander behände aus dem Wagen und schlich schnell in eine Ecke der Schindlerei. Dort klopfte er sich das stupfen-de Streu aus den Kleidern und ging rasch zu Pompeias Haus.

Pompeia selber öffnete auf das Klopfen Panders hin die Türe erschrak und zog Pander sofort am Ärmel hinein.

”Was suchst du hier. Spinnst du?” fauchte er Pander an. ”Du bringst mich in grösste Schwierigkeiten. Was willst du denn noch hier.?”

”Wisst ihr denn nicht dass Mara verbrannt werden soll?,” wollte Pander sogleich wissen.

”Natürlich weiss ich davon, ist sie doch meine Un-freie gewesen. Aber was soll ich machen, wenn ich mich nicht von ihr klar abgewandt hätte, wäre es für mich sehr gefährlich geworden. Die Stimmung im Volk ist gegen alles aufgewiegelt was irgendwie mit den seltsamen Todesfällen oder der Dürre zusammen-hängen könnte. Sie sind hörig, wenn es nur Besserung verspricht. Es kann niemand ihnen ausreden das Mara unschuldig ist. Das Netz das Aldus und der Stratscha-petta ausgeworfen hat ist engmaschig. Ich hatte schon alle Mühe, dem Kloster klar zu machen, dass Mara mir nur die üblichen Kräuter lieferte und den Rest aus eigenem Bestreben hin zusammensuchte?”

”Das stimmt aber nicht” Pander mit energischem Ton.

”Stimmt, aber willst du mich auch brennen sehen.? Es ist viel passiert in den Wochen in denen du bei Ma-ra warst. Es starben etwa noch acht Leute. Auch Tru-de. Und als ob dies nicht genug wäre, hält uns die Dürre eisern im Griff. Es wird grossen Hunger geben. Todesfälle und Dürre auf einmal dass kann nur vom

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Bösen geschickt worden sein. Die Menschen haben grosse Angst. Auch ich. Es musste etwas Geschehen, da war dem Kloster jeder recht und Mara war ihnen schon lange ein Dorn im Auge, und sie wussten nur zugut, dass ich mich zwar gegen das Kloster aber nicht gegen das Volk richten kann. Ach, Pander wenn es wenigsten regnen würde bevor Mara verbrannt wird. Dann wäre klar, dass sie mindestens nichts mit der Trockenheit zu Schaffen hat. Verstehst du jetzt wieso ich nicht anders kann?”

Pander sagte nichts dazu und wollte nur noch wissen wo denn Mara war. Als er von Pompeia erfuhr, dass sie im Schelmenturm sass, verlor er jede Hoffnung.

Pompeia ging kurz aus seinem Arbeitszimmer und brachte Pander etwas zu trinken mit, da er sah wie durstig dieser sein musste. Er reichte im noch Speck und Brot.. Pander trank und wusste er musste jetzt gehen.

Das war so als ob er gleich selber in den Schelmen-turm gehen konnte. Aber Pompeia hatte Angst und Pander fragte gar nicht erst ob er bleiben konnte. Wa-rum auch? Mara konnte er mit verstecken auch nicht helfen. Also blieb noch Jonathan übrig. Er musste es versuchen zu ihm zu gelangen aber wie sollte er die-sen im Kloster finden?

Pander ging aus dem Hause Pompeias. Er ging ohne besondere Vorsicht durch die Gassen immer Richtung Kloster.

Er kam bereits bei der Treppe, welche hinauf zum Kloster führte an, als in zwei Stadtwächter brutal von hinten packten und nur meinten,

”So haben wir dich, mach bloss keine Dummheiten, sonst brechen wir dir den Arm,” und fügte nach einer

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kleinen Pause mit allwissendem Grinsen an; ”PANDER”

Der Griff um seine Arme sass. Pander konnte sich nicht mehr rühren.

Sie schleppten ihn hoch zum Kloster, und nahmen einen kleinen Seiteneingang. Der Rest kam Pander bereits sehr bekannt vor.

Sie brachten ihn aber diesmal in einen anderen Raum. Es war ein grosser heller Raum mit vier Fens-tern. In der Mitte stand ein mächtige schwerer, reich verzierter roter Arbeitstisch mit vielen Schnörkeleien. Ein grosser Ofen stand in der einen Ecke und vor dem Tisch lag ein pompöser Teppich. Ein grosses Gemäl-de, mit dem Abbild eines Geistlichen, hing an der Wand. Sonst war der Raum leer.

Hinter dem Tisch stand Aldus und sitzend der Stratschapetta.

”Ja, das ist er” und Stratschapetta strich sich seinen grossen Schnauz zurecht.

”So, hast wohl geglaubt du kommst ungeschoren da-von, wie” höhnte Aldus. ”Durch deine eigene Dumm-heit hast du alles noch viel schlimmer gemacht,” fügte er in belehrendem Ton bei.

”Schafft ihn fort, wir kümmern uns später um ihn. Bringt ihn in den Schelmenturm” befahl der Stratschapetta.

Aldus grinste Pander ins Gesicht. ”Dein Haupt wird nach dem dritten Tage der Hexen-

verbrennung abgeschlagen, dann wirst du erleben wie schlau du warst.”

Man konnte Aldus ansehen wie es ihn freute, dass Pander sich in ihrer Gewalt befand. Pander hatte mit dergleichen gerechnet und verzog gegenüber Aldus nicht die kleinste Miene.

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Pander wurde hinunter in den Schelmenturm ver-bracht und im zweiten Stock in einen Kerker einge-sperrt. Das hatte wenigsten einen Vorteil für ihn, er konnte durch die schmalen Wurf- und Pfeilschiess-scharten in zwei Richtungen hinaus sehen und es war daher nicht so dunkel in dem kleinen Gefängnis. Lei-der aber war es nicht möglich zum Kloster zu sehen.

Die Scharten waren eingebracht worden, für den Fall, dass die Stadt angegriffen wurde und so konnte der wehrhafte Schelmenturm auch als Zufluchtsort und zur Verteidigung genutzt werden.

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XI.

Feuernacht Mara wusste nicht wie lange sie schon in diesem

Verliess sass. Sie bekam nur zu Trinken und konnte sich deshalb auch nicht anhand der Mahlzeiten an ei-nem Tagesablauf orientieren. Sie wusste lange konnte es bis zur Hinrichtung nicht mehr gehen, denn ver-hungern würden die sie bestimmt nicht lassen.

Es sprach auch niemand mit ihr und so bekam sie auf ihre Fragen auch keine Antwort.

Wenn sie von der Angst erfasst wurde sang sie wie zu Anfang. Laut und lauter.

Irgendwann dann ging die schwere Türe mit Knat-tern und fast einem Seufzen auf und ein Lichtschein flackerte in ihr Verliess hinein.

Das wenige Licht schmerzte in ihren Augen aber sie sog es gierig in sich hinein. Eine dunkle Gestalt stand im Widerschein des Lichts und sagte;

”Steh auf!“ und Arme packten sie und sie hatte Mü-he mit ihren schwach gewordenen Beine Schritt zu halten und so wurde sie zwischendurch mehr ge-schleift, als dass sie selber Schritt halten konnte.

Als sie im Folterkeller ankamen musste sie sich auf einen Stuhl setzen und warten und als ihre Augen sich an das wenige Licht angepasst hatten wusste sie wo sie war und sie bekam Angst vor den Schmerzen.

Sie dachte an den Hexentod ihrer Mutter und das Grauen dass diese durchlebt haben musste. Und nun sass sie hier, in der gleichen beklemmenden Situation mit einem Unterschied. Sie war allein und hatte keine

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Tochter um die sie sich zu sorgen brauchte. Sie würde sowieso brennen und mit ihr noch andere unschuldige Menschen. Warum sollte sie diese Qualen erleiden, es gab keinen Ausweg. Sollten doch die ihr falsches Ge-ständnis erhalten.

Vor Stunden als man sie geschoren hatte und sie sprichwörtlich nackt wurde, als die Turmwacht ihr die Jungfräulichkeit nahm und ihr mit Schmerzen das nahm, was sie einmal gerne Pander geschenkt hätte, verlor sie den Glauben an Gott und die Gerechtigkeit.

Als die beiden sich über sie hermachten, kratze sie die beiden am unteren Rücken so dass ihre Nägel blu-tig waren. Dafür wurde sie umso schändlicher behan-delt und die beiden liessen erst ab als ihr der ganze Unterleib brannte und blutig offen war. Sie machten sich noch lustig über sie und meinten die Staufferin hätte dies doch genossen und sie solle dankbar sein noch so was erleben zu dürfen.

Sie fühlte sich dabei schon fast als Ketzerin aber sie fluchte innerlich auf diesen Gott, der zuliess wie ihre Mutter brannte und sie nun dazu. Sie hatte sich sonst nichts vorzuwerfen als ihre Bitterkeit, die ihr trotz jungem Leid bis anhin fremd war.

Auch an Pander musste sie kurz denken. Wie es ihm wohl erging oder ergangen ist? Ihr war egal dass sie bald sterben würde. Es war zuviel geschehen mit sie nicht leben wollte und so gestand sie was man sie fragte. Sie gab zu mit dem Leibhaftigen sich vereint zu haben und am Sabbat getanzt und gehext zu haben, allerdings nur mit Hexen welche ausserhalb von Torstheim herkamen und dessen Namen sie zwar wusste aber nicht welche Orte dazu. Der Leibhaftige habe dies ihnen so geraten, damit sie der Verfolgung entgingen.

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Gerne wurde dies mit einem heissungsvollen Nicken in der Verhörrunde aufgenommen und gebannt wur-den weitere Fragen gestellt. Ja, Pander sei von ihr mit einem Zauber hörig gemacht worden, der bald von ihm abfallen würde und da er sich innerlich gegen sie gewehrt hatte so habe deshalb seinen Freund Rizzi zum Wahnsinn gehext damit Pander ihr hörig werde. Mit den Kräutern habe sie Salben und Arzneien ge-mischt und ihm Feuer verbrannt und mit der toten Staufferin habe sie das Kind dem Leibhaftigen über-geben. Sie bereue und die Herren mögen ihrer Seele gnädig sein. Der Leibhaftige habe aber auch sie in dem Verliess aufgesucht und ihr mitgeteilt dass die beiden Turmwächter im hörig seien und deshalb sich mit ihr vereinigen mögen, damit sie den Hexenzauber hinaus aus dem Schelmenturm tragen mögen. Sie habe den beiden ein Zeichen auf den Rücken kratzen müs-sen um sie vor Verfolgung zu schützen. Denn wo bes-ser wären wohl Verbündete als im Schelmenturm.

Stratschapetta liess die beiden holen und Mara warf sich ihnen zu Füssen und flehte um Verzeihung, sie verraten zu haben.

Die Beiden beteuerten ängstlich ihre Unschuld und spürten sogleich in welches Fahrwasser sie Mara Kla-ris zu ziehen versuchte und machten einen grossen Fehler als sie den Beischlaf leugneten. Nie würden sie auch nur in Gedanken Unzucht treiben wollen mit so einer.

„Zeigt eure Rücken um die Mahle der Hexe zu se-hen!" befahl der Stratschapetta und die beide zogen sich widerwillig oben aus.

Da waren die deutlichen Kratzspuren der Nägel von Mara zu sehen.

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Doch, sie hätten mit ihr Beischlaf gesucht und dabei, hätte Mara sie gekratzt, da sie sich wehrte aber dies sei nicht das Werk des Leibhaftigen, versuchten sie noch zu retten was nicht mehr zu retten war.

Beide wurden in Lederriemen gelegt und Mara warf ihnen einen verächtlichen Blick zu als sie die Angst in deren Augen sah und sie wusste es würden zwei Scheiterhaufen mehr brennen.

Sie wurde zurück in ihr dunkles Verlies gebracht wo

sie sich an die Wand lehnte, dann zur Seite sich nie-derlegte, soweit es die Ketten erlaubten, und in einen dämmerartigen Schlafwachzustand viel. Mal hörte sie Geräusche und Stimmen, mal sog sie den Duft der Frühlingswiese vom Tobelboden ein und hörte ihre Geissen.

Dann wurde ihr wieder Wasser und Brühe gebracht. Sie trank gierig und schlürfte die Brühe.

Ihre Wunden stanken nach Eiter und Fäulnis. Ihre Weiblichkeit brannte fürchterlich als in ihrem Kot und Urin ihrer Notdurft nachgehen musste. Aber bald würde es ein Ende haben. Endlich ein Ende. Sie wuss-te, auch wenn jetzt ein Engel des Gerechten die Wän-de einreissen würde, sie in goldene Kleider hüllen würde, sie auf seinen mächtigen Schwingen hinauf in die Frühlingswiese des Tobelbodens hinauftragen würde, es wäre niemals mehr das was sie hatte. Sie war nicht nur ihrer körperlichen Jungfräulichkeit be-raubt worden. Ihr Glauben an das Leben war gebro-chen. Bald war es vorbei und nur die Erinnerungen waren rein. Dorthin flüchtete sie mit einem Lächeln und wartete in der Dunkelheit des Verliesse auf den Scheiterhaufen der sie mitnahm weg aus dieser düs-tern Welt voller Qualen und Dämonen.

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Dann kam der Tag an dem ihr Feuer auf sie wartete. Mara bekam nicht einmal Angst, als man sie holte.

Irgendwie war sie froh jetzt zu wissen woran sie war. Sie hatte nur Angst vor den Schmerzen und den Bli-cken der Leute, welche sie begafften und sich an ihren Qualen ergötzen würden. Sie hatte auch Scham wie sie nach der Verbrennung so verkohlt dort hängen würde.

Emsig wurden derweil die Vorbereitungen auf die

Hexenverbrennung zu Ende geführt. Es war wie schon die ganzen letzten Wochen ein strahlendschöner aber heisser Sommertag. Die Hitze spürten die Leute heute weniger wie in der letzten Zeit. Zu sehr hielt sie das bevorstehende Ereignis in Atem.

Der Schauplatz war angerichtet und zog die Men-schen an wie die Fliegen den Dreck und Kot. Gier hat Geduld und so standen die Menschen um den Haufen Holz mit dem Pfahl in der Mitte der gen Himmel rag-te. So als ob er die verlorene Seele aus der Hitze in die richtige Richtung führen wollte.

Gegen Abend zog ein Prozessionszug von der Klos-terkirche aus durchs ganze Städtchen hindurch.

An der Zugspitze wurde von zwei Mönchen das Kreuz hoch getragen. Dahinter schritt der Abt im roten Kleid und rotem Spitzhut. Ein grosser weisser Kragen hatte er sich um den Hals gebunden. Seine Wangen waren tief eingefallen und sein weisses Haar schaute ein wenig unter dem Hut hervor. Seine Augen schau-ten weder links noch rechts. Sein Blick war starr auf das vor ihm getragene Kreuz fixiert. In der linken Hand liess er ein metallenes, goldschimmerndes Weihrauchgefäss hin und her pendeln. Unter dem rechten Arm hatte er die Heilige Schrift eingeklemmt.

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Sein roter Rock war so lang, dass er die beiden Fuss-spitzen verdeckte.

Hinter ihm schritt Aldus und der Stratschapetta ne-beneinander her. Hinter ihnen folgte ein langer Zug aus Mönchen. Diese sangen ohne Unterbruch ein mo-notonischer Gesang vor sich her.

Die Menschen zur Seite knieten hin und bekreuzig-ten sich. Danach schlossen sie sich am Zugsende an und folgten diesem.

Als die Prozession die Stufen hinauf in die Kloster-kirche führte war der Zug lang und Torstheim fast Menschenleer. Der Platz in der Klosterkirche reichte nicht aus und so mussten viele dem Gottesdienst durch die weit geöffneten Kirchentüre von draussen beiwoh-nen. Die Orgel spielte beim Prozessionseinzug in die Kirche eine traurig, schwermütige Melodie.

Der Abt ging hoch zur Kanzel und redete zu den Menschen hinunter.

”Liebe Brüder und Schwestern, uns ist in den letzten Wochen Schlimmes widerfahren. Jeder weiss wovon ich spreche. Unser aller Wohl ist in arger Not. Die Felder sind trocken wie seit Menschengedenken nie und unsere Saat ist verdorrt. Das Wasser reicht bald nur noch knapp zum Überleben aus. Menschen sind auf seltsame Art und Weise zu Tode gekommen. Wir alle haben Angst. Dennoch ist unser Gottvertrauen unerschütterlich,” man hörte aus seiner Stimme her-aus, dass es fast mehr als eine Frage gemeint war, das mit dem Gottvertrauen, ”Wir alle werden schwer ge-prüft. Unsere Saat ist fast zur Gänze verdorrt, aber die Saat des Bösen ist in dieser Zeit aufgegangen.”

Er machte eine kleine Pause und rieb sich mit einem kleinen weissen Tuch den Mund ab und fuhr dann fort.

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”Gott half uns das Böse zu finden. Es ist eine Hexe die unser Leben auf hinterhältigste infame Gottesläs-ternde Art und Weise zu zerstören versuchte. Ihre Macht ist gross und es ist daher Zeit ihrer Herrschaft ein Ende zu setzten. Sie wird heute Abend wenn der Vollmond über Torstheim steht den Flammentod er-leiden. Ihr Gefolgsmann, in der Gestalt des Mühlen-gessellen Pander, ist ihr hörig. Dieser hat gestern ei-nen unserer Brüder getötet und den anderen versucht zu ertränken. Durch Gottesgnade überlebte dieser. Pander wird in wenigen Tagen hingerichtet. Sein Haupt wird ihm am dritten Morgen nach Verbrennung abgeschlagen. Ich bin tief erschüttert über all das Ge-schehene. Gott möge uns bei der Verbrennung beiste-hen. Lasst uns dafür beten.”

Es wurden verschiedene Bittgebete gemurmelt und ein paar Lieder gesungen.

Danach versammelten sich alle im Klosterhof rund um den Scheiterhaufen.

Der Platz war bis zum Bersten voll gefüllt. Alle wollten eine gute Sicht auf das zu erwartende Schau-spiel werfen.

Langsam wurde es dunkler. Rund um den Klosterhof zündeten die Mönche Fa-

ckeln an und bildeten so den äussersten Kreis. Die Totschläger standen im Abstand von etwa fünf bis zehn Meter rund um den Scheiterhaufen. Sie hatten schwarze Kapuzen übers Gesicht gezogen. Alles war bereit. Der Vollmond stieg langsam hinter den Berg-gipfel empor und war sein fahles Licht auf das Städt-chen.

Da begannen die Glocken der Klosterkirche zu läu-ten.

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Mara wurde inmitten einer Handvoll Turmwächter zur Hinrichtungsstätte gebracht die sich rund um den Holzwagen postierten auf welchem Mara angebunden war.

Sie lag seitlich und zog die warme Sommerluft in die Nase und schaute zum Mond hinauf, sie wollte nach Tagen der Dunkelheit wenigstens vor ihrem Tode noch etwas Schönes sehen.

Im Klosterhof angelangt bildeten die Wächter eine Gasse bis zum Scheiterhaufen hin. Die Menschen streckten ihre Hälse in die Länge und alle versuchten einen Blick von der Hexe zu erhaschen.

Mara wurde von der Menge lautstark beschumpfen, bespuckt und verhöhnt. Man zerrte sie ab dem Wagen. Arme, Hände griffen grob nach ihr. Sie wurde übers Holzpodest hochgebracht und an den Eichenpfahl ge-kettet. Sie wehrte sich nicht und sprach auch nicht. Sie schaute einfach schräg zum Himmel hoch. Es war eine wunderbare warme und klare Nacht. Die Sterne zum Greifen nah.

Als die Wärter ihre Ketten überprüft hatten und diese dem ruckartigen Ziehen standhielten bildeten diese einen zweiten Kreis hinter den Totschläger. Mit dem Unterschied das die Wächter, hell auflodernde Fackeln hochhielten, die rötlich gelbes Licht auf Mara warfen.

Nun kamen fünf Mönche mit zusammen neun fest verschnürten dicken Leinensäcken. Aus den einen war ein jammerndes Miauen zu hören. Durch andere wie-derum konnte man das Strampeln der sich ängstlich zur Wehr setzenden Katzen sehen. Die Mönche über-gaben die Säcke den Totschläger und zogen sich in die Menge zurück.

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Das Glockenspiel der Kirche wechselte zu einem monotonisch, leisem zweier Geläute mit kurzem Un-terbruch nach jedem Doppelschlag.

Dong, Dong...... Dong, Dong...... Alles war still ausser eben dem grausig unaufhaltsam

scheinenden Geläute, das das schlimme Ereignis im-mer näher trieb.

Es war immer noch schwülheiss. Mara stand immer noch regungslos am Pfahl ange-

kettet, aber jetzt schaute sie auf die Menge hinunter und begann ein wunderschönes Frühlingslied welches sie von ihrer Mutter gelernt hatte, zu singen.

Ihre Stimme klang hell und klar. Den Menschen fuhr ein kalter Schauer über den Rücken, aber wie gebannt hörte die Menge einen Moment lang zu.

Da öffnete sich ein grosses mannshohes Türfenster auf einer grosse Empore hinaus, in der Gebäudeseite in die Mara blicken konnte. Auf der Seiten der Empo-re standen je drei Lichterträger und erhellten diese ganz.

Dann trat der Abt hinaus. Rechts von ihm der Stratschapetta, zu seiner linken Aldus.

Der Abt hielt ein grosses, im Scheine der Lichter goldschimmerndes Kreuz mit beiden Armen in die Höhe.

Das war das Zeichen. Die Wächter Stratschapettas hatten auf dieses Zei-

chen gewartet und traten an den Scheiterhaufen heran. Sie hielten ihre Fackeln immer noch mit durchgesteck-ten Armen hoch.

Sie hielten sie noch etwa zehn Sekunden in dieser Stellung, knieten dann alle zur gleichen Zeit zu Boden und legten die brennenden Fackeln an den äussersten Rand des aufgeschichteten Holzes.

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Sie blieben noch einen kurzen Moment so kniend da und zogen sich dann gemeinsam rückwärtsgehend zurück.

Mara sang immer noch. Das Feuer begann ringförmig aufzulodern und schon

bald war das Knistern und bersten kleiner Zweige zu hören. Das Holz war so trocken das kaum Rauch auf-stieg und die Menschen Mara gut sehen konnten.

Mara spürte schnell, die immer stärker werdende Hitze und die vom Feuer erhitzte Luft liess Maras hel-les Gewand leicht wehen.

Zwischendurch begann auch schon ein leichter Fun-kenflug sich zu entwickeln. Der Duft der Weihrauch-zweige zog über den ganzen Platz.

Das Holz brannte schnell lichterloh. Jetzt spürte Mara wie ihr Kleid an den Beinen und an

ihrem Unterleib heiss wurde. Das Feuer kam schnell näher. Sie sang jetzt aus voller Kehle, nicht mehr hell und klar wie zu beginn, und sie begann an ihren Ket-ten zu ziehen. Zwecklos das wusste sie aber sie zog trotzdem noch ein paar Mal daran.

Jetzt wurde es an ihren Beinen sehr heiss. Die Flammen hatten sie schon fast erreicht. Das Holz unter ihren, immer noch geschundenen, eitrigen Füssen, fing ein wenig zu rauchen an. Dann schlugen kleine Flam-men durch und plötzlich war das Feuer kniehoch um sie herum.

Ihr Kleid, welches sie, da sie ihre Untaten gestanden hatte, bekommen hatte fing am Saum unten Feuer und schon brannte es bis zur Hüfte hin.

Mara schrie ein paar Mal hintereinander kurz aber laut auf. Die Schmerzen waren schlimmer als in ihren schrecklichsten Vorstellungen.

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Die Hände hatten sie ihr hinter dem Pfahl zusam-mengeschnürt. Sie zog wie wild daran.

Dann geschah etwas Seltsames. Kurz bevor sie dach-te, dass sie vor lauter Schmerzen in erlösende Be-wusstlosigkeit fallen würde, spürte sie keinen einzigen Schmerz mehr. Sie sah wie Rauch zwischen ihren Brüsten aus dem dort noch unversehrten Kleid hoch-stieg. Ihre Beine und mit ihnen der ganze Unterleib konnte sie vor lauter Flammen nicht mehr sehen. Das Kleid war zwar nicht dick doch der Stoff rauchte stark. Sie wusste nicht einmal ob sie selber noch stand oder sie in den Ketten hing. Ihr Geist war völlig klar, aber ihr Körper nahm sie wie eine Zuschauerin war.

Alles ging so langsam. Mara hatte das Gefühl, dass sie noch alle Zeit der Welt hätte. Sie schaute in die dunkle Menschenmenge hinein.

Ihre Augenbrauen fingen Feuer. Da wurden in kleinen Abständen die Säcke mit den

Katzen ins Feuer geworfen. Ein Funkenregen schoss, mit der heissen, schnell emporsteigenden Luft, hoch. Die Tiere schrieen auf und ihr Miauen, und Wehkla-gen war Herzzerreissend. Mara sah nur noch das etwas hineingeworfen wurde wollte nochmals ihren Kopf heben um in die Mondnacht zu schauen, es ging aber nicht mehr.

Das Knistern des Feuers das Geläute der Glocken rückte in weite Ferne. Langsam wurde es dunkel in ihren Augen und ganz, ganz tief in ihr wurde es woh-lig warm.

Es waren keine fünf Minuten seit dem Entzünden des Feuers verstrichen.

Dass Feuer brannte schnell nun gut zwei Meter hoch und als Mara in dem Feuer kaum noch zu sehen war begannen die Glocken ohrenbetäubend im Sturm zu

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läuten. Alle erschraken den eigentlich sollten die Glo-cken jetzt in ein Dreiklang Geläut einstimmen.

Eine Unruhe ging durch die Menschen, und auf dem Balkon waren nur noch die Lichtträger zu sehen. Nach etwa einer Minute verstummte dann das schauerliche Sturmgeläut bereits wieder und an dessen Stelle ertön-te das Dreiklang Geläute.

Allmählich beruhigte sie die Menschenschar wieder. Langsam verbreitete sich der Gestank von verbrann-tem Fleisch und Fell und Haar. Wie eine unsichtbare Hand griff er durch die Menschenschar.

Es stank grauselig und die Menschen hielten sich Tücher vor ihr Gesicht.

Das Feuer loderte noch eine Zeitlang weiter und dann gingen die Flammen allmählich zurück.

Jetzt war die verkohlte nach vorne herabhängende Leiche Maras zu sehen.

Brandschwarz war sie und zu einem Bruchteil ihrer selbst zusammengeschrumpft. Ihr Kopf war klein und von ihrem einst schönen Gesichtszügen war nichts mehr zu sehen. Ihre Beine waren krumm und wirkten wie zwei Stück dünne verkohlte Scheite. Ihr alles ver-kohlter Leichnam rauchte noch.

Als das Feuer in eine Schicht Glut übergegangen war, wurde mit einem Hackeneisen die verkohlten Katzenüberreste aus dem Feuer gefischt.

Aldus selbst schritt herbei um deren Leiber zu zäh-len. Es waren nur ACHT. Sie suchten und suchten rissen alsbald die ganze Glut auseinander. Der Schre-cken sass tief. Der Abt kam herbeigeeilt. Nach einer Weile und beim wiederholten Mal nachzählen blieben sie nur noch ratlos stehen. Es waren acht Katzen und einen loser Stein, der aber vom Podest her stammen konnte.

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Vertuschen hatte keinen Sinn mehr. Machte das Un-glaubliche bereits die Runde. Die Menschen bekreu-zigten sich und gingen schnell nach Hause.

Eine Hexe die dem Feuertod entronnen ist, nein un-denkbar. Ihre Rache würde furchtbar sein. Noch nie ist so etwas je geschehen. Auch gehört hat man aus der Ferne noch nie so etwas.

Wie hatte der Abt doch in der Messe vorher verkün-det. Es sei eine besonders mächtige Hexe die ver-brannt werden sollte.

Schnell war der Platz leer. Die Menschen zogen sich wie die Murmeltiere, wenn der Adler seine Runden am Himmel zog, in ihre Behausungen zurück.

Zwei Wächter blieben bei der dunkelroten Glut zu-rück, und der Rest verschwand in die Nacht.

Aldus rief alle Mönche, welche an der Verbrennung irgendeine Aufgabe zu erfüllen hatten, in der Kloster-kirche zusammen. Er wollte von ihnen den genauen Ablauf ihrer Aufgaben wissen. Insbesondere von den Mönchen, welche für die richtige Verbrennung der Katzen verantwortlich waren. Die mehrmalige Befra-gung brachte auch kein Licht ins Geschehene und es gab keine menschenverständliche Antwort ausser eben, dass die Hexe Mara Klaris im Jahre des Herrn 1437 mit ihrem neunten Leben entkommen war. Es war unvorstellbar. Aldus ging nochmals selber zur Verbrennungsstätte hin und begann selber mit dem Eisenhacken die mittlerweile dunklen, mit einer helle-ren feinen Ascheschicht überzogenen Feuerüberreste zu durchstöbern. Es blieb bei den acht Katzenleichen und der immer grösser werdenden Verunsicherung der Menschen.

Mara blieb, so schwarz und verkohlt sie auch war, am Pfahl gelassen.

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Pander hatte in dieser Nacht, wohl mitbekommen,

dass Mara den Feuertod erlitten hat. Der Prozessions-zug hörte er schwach unweit von ihm vorbeiziehen, dann wenig später vernahm er deutlich das zweier Geläut von der Klosterkirche. Er sah auch, durch die eine Schiessscharte, den Vollmond am Himmel ste-hen. Er glaubte auch das Singen, welches von dem erhöhten Klosterhof herunter drang, leise vernommen zu haben. Er stutze aber, denn Mara würde wohl in dieser Lage nicht zum Singen zu Mute sein. Trotzdem könnte sie es gewesen sein, denn als das Singen ver-stummte vernahm er kurze aber grelle Schreie.

Als er diese hörte kauerte er zu Boden und hielt mit beiden Händen seine Ohren zu, so fest zu wie er nur konnte. Er hatte ihr nicht helfen können, ja nicht ein-mal sich selbst.

Es stiegen in ihm tiefe Hassgefühle gegen Aldus und den Stratschapetta auf. Sie hatten es tatsächlich getan, einen lebensfrohen, feinfühligen noch jungen Men-schen brutal verbrannt. Bei lebendigem Leibe. Wo der Leibhaftige zu suchen war, das wusste er. Aber sicher nicht bei Mara.

Er schwor auf Rache. Wenn, ja falls er auf irgendei-ne Weise der Enthauptung entkommen könnte, ja dann würde er die Würde von Mara rächen und so wieder-herstellen.

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XII.

Naturgewalt Pander glaubte, dass er nur noch einen Tag von der

Hinrichtung stand. Er hatte die beiden letzten Tage in tiefem Kummer in Dämmerzustand durchlebt. Immer wieder sah er im geistigen Auge wie Mara verzweifelt schrie und machtlos den Flammen ausgeliefert war. Er sah ihre Augen, wie diese in der Feuershitze erlo-schen. Pander hatte keine Angst vor der Vollstre-ckung. Er hatte eingesehen, dass ein Entrinnen völlig aussichtslos war.

Wer weiss, vielleicht traf er dann Mara wieder, in ei-ner friedlicheren und gerechteren Welt.

Er stellte sich vor wie er nach seiner Enthauptung langsam über der Hinrichtungsstätte empor stieg und die Leute und die Häuser immer kleiner wurden. Dann würde er in den grenzenlosen Himmel eintauchen und Mara käme ihm als Lichtgestalt entgegen geschwebt und würde ihm ihre Hand reichen. Ihre Haut sähe aus, wie das feinste Pergamentpapier, die Augen strahlten schöner als der reinste Bergkristall den er je gesehen hätte und ihr Haar wehte leicht. Gemeinsam würden sie hinein in die Engelswelt fliegen.

Pander hielt sich an dieser Vorstellung aufrecht. Ja, es wäre ja möglich, und wenn das so wäre dann könn-te er sich eigentlich fast freuen auf den morgigen Tag.

Die Hitze stieg in den beiden Tagen, nach der Ver-

brennung Maras, deutlich an. Die schwüle feuchte Luft war kaum noch zu ertragen. Kein Hund würde man bei diesem Wetter nach draussen schicken.

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Im Unterschied zu den vergangen Wochen war die Luft viel feuchter und nicht mehr so trocken. Das ver-stärkte den Eindruck der Hitze noch viel mehr. Die Menschen suchten jeden Tag mit klammen Blick den Himmel ab. Das Blau wich langsam einem Schlieren-grau. Eine dünne, feinweisslich graue Schicht überzog den Himmel.

Am Tage nach der Hinrichtung von Mara, es war früher Abend, da hörten die Menschen weit in der Ferne ein Geräusch die sie aufhorchen liess und sie auf die Gassen hinaus trieb.

Ein tiefes entferntes Donnergrollen drang bis zu ihnen hin. Gebannt schauten sie in südliche Richtung aus der das Grollen zu vernehmen war.

Tatsächlich, bei den hintersten Berggipfeln waren ein paar dunkle Wolken auszumachen.

Die Menschen liessen alles liegen und stehen und rannten auf die Felder hinaus. Sie wollten alles sehen. So standen sie nebeneinander mit frohem Gesicht und übermütigem Lachen. Kleine Kinder wurden auf die Schultern ihrer Väter genommen. Kinder klatschten von der Freude der Grossen angesteckt in ihre kleinen Hände und tollten ungestüm herum. Richtig übermütig wurde die Stimmung.

Plötzlich kam ein leichter, ganz warmer Wind auf und liess die Röcke der Mägde und Frauen wehen. Das Rauschen der nahen Bäume war auch wieder zu hören.

Die Wolken in der Ferne quollen zusehends auf und wurden dunkler und dunkler. Die Wolkenwand hüllte die obere Hälfte der Bergen rings um das etwa fünf bis zehn kilometerbreite Tal ein.

Lichtblitze begannen in den Wolken zu zucken. Das Grollen wurde lauter. Nun erstreckte sich die nahe

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Gewitterfront bis zum Boden herab und zog wie eine dicke schwarzgraue Wolkenwand heran. Der stärker werdende Wind blies den Duft von nasser Erde und Pflanzen den Menschen ins Gesicht. Es roch herrlich. Die Wolken schossen wie riesige Pilze in die Höhe und der Wind riss jetzt an den Kleidern. Aus dem Donnern wurde ein lautes knallartiges Krachen. Der Wind peitschte die ersten Regentropfen den Menschen ins Gesicht. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag liess die Erde erzittern.

Die Menschen flüchteten zurück ins nahe Städtchen. In ihre trocken und sicheren Behausungen.

Die dicken Wolken hüllten jetzt den ganzen Himmel ein. Ein Donnerschlag folgte dem anderen. Es war stockdunkel geworden. Die vielen Blitze erhellten für kurze Augenblicke die Umgebung. Kein Zweifel, das war nicht nur der so erhoffte Regen, dass war ein Un-wetter gewaltigem Ausmasses.

Der Wind wuchs zu Orkanstärke an und rüttelte an den Schindeldächer der Häuser. Das Holz in den Stu-ben der Menschen knarrte und das Gebälk stöhnte bei jedem neuen Windstoss auf.

Leise war das Unwettergeläut der Klosterkirche zu hören.

Der Regen prasselte in dicken Tropfen hinunter. Schindeln wirbelten durch das Städtchen. Durch die schmalen Gassen liefen kleine Bäche durch.

Holzstücke und Blätter wurden durch die Luft ge-schleudert. Sintflutartiger Regen liessen die Bäche rund um Torstheim dick anschwellen. Blaugelbe Lichtblitze erhellte für kurze Momente das Gesche-hen. Bäume bogen sich gequält im Wind. Äste bra-chen mit lautem Bersten und ganze Bäume wurden entwurzelt. Die ersten Häuser in Torstheim wurden

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vom Blitz getroffen. Die alles überflutenden Regenfäl-len verhinderten eine Ausbreitung der Brände.

Nach etwa zwei Stunden, liessen die lauten Donner-schläge und Blitze nach und gingen über in ein wieder weitentferntes Grollen und Zucken.

Der Regenschwall hielt allerdings noch an. Es regne-te die ganze Nacht in Strömen herunter.

Die Gassen von Torstheim waren tief überflutet und aus den Gassen waren, viele kleine reissende Bäche geworden.

Die Menschen schlossen nicht ein Auge in dieser Nacht, in ängstlichem Gebet verharrten sie stunden-lang kniend in ihren Stuben. Das musste die Rache der Hexe sein.

Am frühen Morgen, es war immer noch ziemlich Dunkel und der Regen liess noch nicht nach, da ertön-te an der Bergseite oberhalb des Klosters und des Städtchens ein mächtiges Rumoren. Man hörte kurz wie dicke Felsbrocken zerschlagen wurden und das Knacken und Krachen von einer Vielzahl von Bäumen war zu vernehmen.

Eine dicke, alles zerstörende Steins- und Gerölllawi-ne schoss auf den Ort zu. Sie riss Bäume wie Streich-hölzer zur Seite und zog diese mit sich. Riesige Fels-brocken wurden wie Spielbälle mitgerissen.

Wie eine riesige Zunge leckte sie ihren Weg frei. Als erstes riss sie den linken Gebäudeflügel des

Klosters mit sich schoss über den Klosterhof hinaus, die steilen Reben hinunter ins Städtchen hinein. Die Häuser wurden eingedrückt und die Gassen mehrere Meter hoch zugeschüttet. Steine rissen ganze Haustei-le auseinander und diese vielen in sich zusammen. Der Schutt und Schlamm drang in Häuser ein und legte sich wie ein Panzer über die erschreckten Menschen.

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Die Moräne frass sich links am erhöht gebauten Kloster vorbei und zerstörte fast die eine Hälfte von Torstheim zur Gänze.

Die Stadtmauer wurde durchbrochen als sei sie aus dünnem Schindelholz erbaut worden. Die Menschen, deren Häuser nicht erfasst wurden flohen Hals über Kopf in die dunkle Morgendämmerung hinaus.

Sie rannten weit in die überfluteten Felder hinein. Die Felder linkerhand von Torstheim wurden von ei-ner dicken Schlamm und Geröllschicht überzogen und grössere Felsbrocken lagen wie Findlinge in der Land-schaft da. Holzstücke ragten wie abgebrochene Baum-stämme aus dem Lawinenkegel. Die anderen Felder standen nur knietief unter Wasser.

Die Menschen trauten sich erst am frühen Nachmit-tag, als die Regenfälle nachliessen, und die dicke Wolkenschicht am Himmel aufriss, in das stark zer-störte Städtchen hinein.

Als auch die letzten Nebelschwaden, an der Bergsei-te des Klosters, von der durchbrechenden Sonne auf-gelöst wurden, konnte der Gerölldurchbruch ein paar hundert Meter oberhalb des Ortes ausgemacht werden. Eine 50 Meter breite Schneise riss sich in den Bann-wald hinein. Kein einziger Baum liess die Naturgewalt darin stehen. Ein paar ragten, weil sie nur noch zu einen Hälfte verwurzelt waren, am unmittelbaren Schneisenrand schräg nach vorne in diesen hinein.

Das Städtchen bot ein Bild der Verwüstung. Die Häuser die der Gesteinslawine entgangen waren,

wurden vom Sturm fast ausnahmslos abgedeckt. Wie Gerippe ragten ihre Dachstöcke in den, nur noch mit ein paar schneeweissen Wolken durchzogenen blauen, Himmel hinauf.

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Das Wasser in den Gassen war immer noch knöchel-tief und floss nur langsam aus dem Stadttor in die be-reits überfluteten Felder hinaus. An vielen Gassen-ecken hatte sich das Treibholz aufgestaut und so auf-getürmt. Es war eine Mischung aus Ästen, Steinen, Blätter, Sand und Schindeln der vom Sturm abgedeck-ten Dächer.

Die Menschen standen fassungslos, vor der verwüs-teten Stadt. Frauen hielten sich mit beiden Händen die Wangen und schüttelten ungläubig ihren Kopf. Ein paar Jungen kletterten auf den einen mehreren hohen Schuttkegel hinauf. Die Männer traten zusammen und organisierten Werkzeuge.

Aus den verschonten Häuser und den Weiler um Torstheim wurden Schaufeln Spitzhacken und Stemmeisen herbeigeholt.

Die tief verschüttete und völlig zerstörte, linke Stadthälfte liess die Hoffnung auf Überlebende ver-schwindend klein werden. Diese Gassen des Städt-chens waren mehrere Meter dick mit schwerstem Ge-röll zugeschüttet. Die Häusermauer waren eingedrückt und das Hausinnere war durch das Einschiessen des Gesteins völlig zerstört und aufgefüllt worden. Die Menschen darin wurden von den Massen zermalmt. Von den meisten Gebäuden war nichts mehr zu sehen. Von anderen ragte nur noch eine einzelne Hausmauer, wie ein Mahnmal aus den Schuttmassen empor.

Von einer Häuserreihe in der Schindlergasse waren nur die zwei unteren Stockwerke von dem Geröll zu-geschüttet, aber nicht zerstört worden. Die oberen Stockwerke waren zwar stark beschädigt aber die Menschen darin wohlauf.

Die Stadtmauer auf der Bergseite hin wurde frontal erwischt und es klaffte ein riesiges Loch. Diese hätte

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noch grösser ausgesehen, wenn die Gesteinsmassen dieses nicht bis zur Hälfte hin selbst mit Schutt aufge-füllt hatte.

Von den Reben unterhalb des Klosters, welche bis Torstheim hinunter wuchsen, war rein gar nichts mehr zu sehen. Auch der Schaden am Kloster selbst war gross. Der Gebäudering, welcher Bergseitig um den Klosterhof führte wurde von der Wucht der Massen durchbrochen. Mann konnte in das noch bestehende Gebäudeinnern blicken. Es sah aus als ob eine etwas unscharfe Axt das Gebäude zerteilt hätte und unschar-fe Schnittkanten zurückgelassen hätte.

Die Massen schossen über den Klosterhof, rissen und begruben die Hinrichtungsstätte unter sich und begruben die Reste der Mara Klaris unter sich. Sie durchbrachen dann die gegenüberliegende Gebäu-deseite und schossen dann die Reben hinunter in Torstheim ein.

Der Klosterhof wurde dick von den langsamer nach-rutschendem Material zugeschüttet.

Auch der Schelmenturm wurde von einem dicken Gesteinsbrocken stark in Mitleidenschaft gezogen. Es klaffte ein Lock in der Mitte des Turmes und es sah aus als ob dieser jeden Moment gleich einstürzen würde.

Männer, Frauen, Kinder und Mönche begannen in den Überresten nach den Verschütteten zu suchen, riefen Namen, welche durch den Sturmwind und den Regen geschluckt wurden. Verzweifelte Gesichter, welche mit ängstlichem Unglauben die Szenerie beo-bachteten und unfähig einer Handlung im prasselnden Regen dastanden. Das triefende Haar im Gesicht und Augen als ob der Leibhaftige das Weizenfeld in einem Zuge mähen würde. Hatten sie sich schuldig gemacht?

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Vor dem Herrn. Die Hexe Klaris war noch nicht kalt geworden nach dem Feuer und nahm nun ihre Rache. Es gab im Moment nicht genügend Kirchen und Ro-senkranzgebete welche gesprochen werden konnten um die Angst von den Menschen zu nehmen. Wie das Joch der Ochsen am Abend nach der schweren Feld-arbeit.

Torstheim schien verloren im Bann der Hexe Klaris dahingerafft. Wann hatten sie sich so versündigt, dass der Allmächtige das zuliess? Ein Sodom und Gomorra aus Torstheim machte und sie ihrer Lebensgrundlage beraubte.

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XIII. Der Schnitter

Pander hatte das Toben der Natur trotz dicken

Turmmauern miterlebt. Da Grollen des Donner und das Erzittern der schweren Turmmauern als die Muhre ihren Weg durch Torstheim bahnte. Und als die Wand eingeschlagen wurde und die Mure wie ein gieriges wildes Tier sich ins Innere des Turmes einfrass und ihn mit Schlamm und Geröll fast zerdrückte, sah er ungläubig das Loch in der Mauer.

Die Mure hatte die 10 Meter vor dem Turm mit Ge-röll und Schlamm zugeschüttet und so konnte er nach anfänglichem Unglauben durch das Loch geduckt rauskriechen und am Rande des Schuttkegels, genug weit weg vom ziehenden Wasser, im Trubel der Na-turgewalt entkommen.

Er kletterte über die Schutthaufen weiter zur Stadt hinaus. Sah die Menschen in ihrer Verlorenheit da-standen.

Er schaffte es durch die zerrissene Stadt hinaus vor die Tore und als er einige Hundert Meter draussen in den überfluteten Wiesen ankam, drehte er sich um und sah durch den Dauerregen die geschundene Stadt. Tei-le der Stadtmauer waren durchbrochen und trotz Re-gen rauchte es an einer Stelle mächtig und es würde wohl dennoch Feuer ausbrechen. Wenn auch die Re-genfluten schlimmeres verhindern vermochten.

Wie Ameisen verliessen immer mehr Menschen die Stadt und kamen aus ihren Löchern hervor. Weg von der Versündigung. Es bildeten sich immer mehr Grüppchen die da standen und redeten oder einfach nur gebannt in Richtung Torstheim blickten.

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Jemand löste sich aus der Gruppe und kam langsam,

die doch noch zu grosse Distanz als das man einen einzelnen Menschen erkennen konnte, auf ihn zu.

Pander überlegte zu fliehen aber er war zu ge-schwächt von den Tagen im Kerker. Er würde einge-holt werden. Wenn er aber nur dastehen bleiben wür-de, wer weiss ob man ihn erkennen würde?

Die Person kam immer näher und alsbald konnte er zu seinem Erstaunen die mächtige Gestalt von Jo-nathan erkennen und er spürte trotz allem eine Freude in sich und ging auf ihn zu.

Die beiden begrüssten sich in einer männlichen kur-zen Umarmung.

„Pander! Hätte nicht gedacht dich nochmals in Frei-heit zu sehen. Befürchtete schon, dich nur noch bei deiner Hinrichtung in ein paar Tagen zu sehen. Ver-rückt was alles geschehen ist seit wir uns das letzte Mal gesehen haben! Es ist wohl überflüssig dich zu fragen wies dir geht, oder? Was ist denn bloss pas-siert?“

Pander erzählte kurz was ihm und Mara widerfahren war und während der Regen langsam nachliess kam er zum Ende schwieg. Jonathan legte seinen Arm um die Schultern von Pander und sagte als ob er Pander über-zeugen müsste:

„Mara, war keine Hexe wie die Menschen glauben. Ich selber habe eine Katze freigelassen und einen Stein hineingetan. Du siehst was die Menschen damit in Verbindung bringen. Ich war wohl der einzige Torstheimer der wegen dem fehlenden Katzenskelett keine Angst hatte… schlimm, sehr schlimm das mit Mara jetzt wo ich vom Tobelboden und eurer Zeit weiss“

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Jonathan erzählte von seiner Sicht der Dinge und liess Pander erschaudern und es war nicht Nieselregen der nun auch seine Haut durch die Kleider netzte.

„Wo willst du nun hin, Pander. Wenn man dich fin-det wirst du mit Bestimmtheit sofort hingerichtet!“

„Steht das Haus vom Freiherren Pompeia noch?“ „Ja, Pander, ging vorhin daran vorbei. Es hat wohl

Schlamm und Schutt in der Strasse vom Wasser aber es steht gut. Warum?“

„Bin zu schwach um jetzt in die Fremde zu gehen. Man wird mich jagen und finden, sobald sie gesehen haben, dass ich aus dem Turm entkommen bin. Sie werden alles daran setzen. Glaub mir, wenn ich beim Pompeia für einige Tagen unterkriechen kann und zu Kräften kommen kann dann werde ich in die Fremde gehen. Weit, weit weg von Torstheim. Dorthin wo es Auen hat und ein lieblicher Duft über die Sommerwie-sen zieht. Dort wo ein Mensch mehr wert ist als ein Scheiterhaufen. Jonathan komm doch mit, wir beide könnten ein neues Leben anfangen. Du hast doch das Kloster auch satt!? Ich gehe wirklich am besten zum Freiherren Pompeia dort bin ich vorläufig sicher“, als er den kritischen Blick von Jonathan so fügte er so-gleich an,

„Und im übrigen wer erwartet mich schon in Torstheim wenn die Stadtmauer durchbrochen ist, wie das Eis am Frühling beim Teich unten bei den Gär-ten?“

Jonathan schwieg einen Moment, meinte dann im-mer noch unschlüssig Pander in seinem Entscheid unterstützen zu können.

„Dass du zu schwach bist sehe ich auch. Aber nach Torstheim?“

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Auf die andere Frage wollte anscheinend Jonathan nicht eingehen und so hackte Pander nicht nach.

Als Jonathan merkte dass es keine bessere Möglich-keit gab so wollte er helfen Pander sicher zum Freiher-ren Pompeia zu bringen.

Sie beschlossen sogleich sich auf den Weg zu ma-chen und die Unruhe und somit die Gunst der Stunde für sich zu nutzen.

Tatsächlich schafften sie es ohne Probleme bis vors Haus des Pompeias, und nach eindringlichem Klopfen machte ein junge Frau auf, die anstelle der toten Trude beim Pompeia ihr Brot verdiente.

Magdalena bat sie herein und liess die beiden in der Eingangshalle warten. Als sie sah wie nass die beiden waren holte sie ihnen zwei Decken und Pander nahm diese dankend, schlottern an.

Jonathan wartete ein, zwei Stunden gemeinsam mit Pander dann verabschiedete er sich und versprach am nächsten Tage vorbei zu schauen. Er musste sich im Kloster zeigen.

Magdalena brachte ihm eine heisse Milch und lä-chelte etwas unsicher Pander an.

Sie war blond und ihre Gesichtzüge waren sauber und klar wie geschnitzt. Sie hatte ein freundlich in sich gekehrte Art. Sie war wirklich noch sehr jung und nehmen Trude konnte sie nie und nimmer das Haus ausfüllen. Sie war zu jung um nur auf das Haus zu schauen, dachte Pander.

Mittlerweile war es ganz dunkel geworden und der Freiherr kam heim.

Als er in der Eingangshalle Pander erkannte, konnte er sein Erschrecken nicht verbergen und unwirsch liess er von Magdalena den Mantel abnehmen und schickte sie in ihre Kammer.

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„Pander, um Himmelswillen was willst du ausge-rechnet bei mir. Willst du mich in Schwierigkeiten bringen. Gut dass die die Magdalena dich nicht kennt. Hast du aber nicht etwa deinen Namen genannt?“

Seine dumme Frage wohl bemerkt, wartete er die Antwort nicht ab sondern setzte sich erstmal hin.

Er schien zu überlegen. Nach einer kurzen Weile meinte er zu Pander, dass

er einverstanden sei, dass er für die nächsten beiden Nächte bleiben könne, mit der Bedingung dass dieser auch nur einen Mucks von sich zu geben dürfte. Er werde mit Magdalene reden und ihr schon was erzäh-len, was diese auch glauben würde.

Magdalena machte ihm ein Nachtlager in einer der Kammer im oberen Stock bereit und tischte eine kräf-tige Brühe mit Kartoffeln auf.

Pander ass langsam ohne sichtbaren Genuss. Be-dankte sich und lobte die Köchin und zog sich zurück in die Kammer.

Er konnte nicht schlafen und als der Pompeia spät noch mit einem Kerzenlicht bei ihm in der Kammer erschien, erschrak er nicht.

„Hier noch einen gute Nachttrunk, es ist warmer Rotwein mit Annis und Honig. Trink sonst wirst du dir nach dem Regen und der letzten Tage den Tod holen. Schlaf gut, morgen sehen wir weiter“

Pander trank das warme süsslich nach Rotwein schmeckende Getränk aus und fühlte sich wohlig warm. Rutschte unter die dicke Schafswolldecke und schlief alsbald ein…..

Er hatte wohl ein paar Stunden geschlafen als er mit

üblen Bauchschmerzen erwachte. Es war ihm schwin-delig und er sah, dass er bereits ins Kopfkissen erbro-

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chen hatte. Es schmerzte ihm der ganze Leib und im-mer wieder erbrach er sich ins Bett.

Da stand plötzlich Magdalena an der Tür mit trauri-gen Augen.

„Geh einfach und komm nicht wieder. Bitte! frag nicht bitte geh, schnell“ sagte es und verschwand aus der Kammer.

Pander verstand nicht…… da kam ihm der Trunk in den Sinn und er erschrak. Was hatte der Freiherr ihm da reingemischt. Steckte er vielleicht mit Aldus unter einer Decke…. Hatte Pompeia sich unter dem Druck der Ereignisse sich mit dem Kloster verbunden? Die Schmerzen liessen es nicht zu weiteren klare Gedan-ken zu fassen…

Sein Mund war trocken und sein Schädel brummte, als würde er jeden Moment zerbersten. Vor seinen Augen begannen schwarze Punkte zu tanzen und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn von den Füssen bis ins Haupt. Sein Magen krampfte und Blut schoss aus seinem Munde. Stolpernd stürzte er sich aus dem Zimmer, die enge, dunkle Diele hinunter, zitternd su-chend seine Hand nach Halt. Hastig stiess er die schwere, dicke massivhölzerne Haustüre auf und schleppte sich , durch die Geröll und Schlammreste, welche immer noch in den Strassen lagen, über den Platz zum Brunnen, welcher sich in der Mitte dessel-ben befand. Seine Hände und Arme tauchten zitternd in das schlammig kalte Nass. Die Atemzüge flach und schwer. Sein Blick schweifte unruhig umher.

Es war sehr früh am Morgen, eigentlich am Scheide-punkt der Nacht zum Morgen. Keine Menschenseele weit und breit. Seine Hände krallten sich an dem stei-nigen Brunnenrand fest. Nun steckte er seinen Kopf bis zu den Schultern in das kalte Wasser hinein, und

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zog ihn heraus, in dem er sich, da seine Kräfte und sein Atem zur Neige gingen, einfach nach hinten zu Boden sinken liess.

So kauerte er da am Brunnenrand, tief nach vorn in sich gebrochen. Sein Haupt nach vorne herab gesenkt und mit dem Rücken an den Brunnen gelehnt. Das Wasser triefte von seinen zerzausten, nach vorne her-abhängenden schwarzen Haaren, auf seine Beine hin-unter. Jeder Tropfen hörte er wie das Dröhnen des Donners der letzten Tage an.

Dieses Schmerzen. Die Brust wurde ihm immer en-ger und enger. Hatte er ihn doch erwischt. Lange, so dachte er, würde er nicht mehr durchhalten. Nicht nach all den Tagen die hinter ihm lagen und einer Düsterer war als der andere. Er versank in die Dun-kelheit.

Er vernahm aus der Ferne ein Stimmengewirr und als er wieder etwas zu sich kam sah er, dass ein paar Handvoll Menschen sich um ihn versammelt hatten und er immer noch am Brunnenrand zusammengekau-ert lag. Erst konnte er gar nicht die Stimmen richtig hören, sondern nur ein durcheinander ohne Worte.

Nach und nach merkte er wie aufgeregt die Men-schen redeten sich bekreuzigten und auf ihn zeigten. Eine Frau zog schnell ihr neugieriges Kind hinter ihre Arbeitsschos zurück, als dieses zwischen den Erwach-senen einen Blick auf ihn zu werfen versuchte.

Das Stimmengewirr wurde immer lauter und er hörte Worte wie der Hexer, erschlagt ihn, Vorsicht, schaut ihm nicht in die Augen…..

Er war wieder einigermassen klar im Kopf, aber im-mer noch war ihm mehr als nur übel. Er setzte sich aufrecht hin und schaute die Menschen um ihn an, die aber seinem direkten Blick ausweichten.

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Da sah er dass einige bereits mit Stöcken bewaffnet hatten und wiederum andere schwangen drohend Werkzeuge wie Hammer und Stemmeisen.

Der Mob war in Bewegung gekommen. Pander stand langsam auf seine wackligen Beine und erhob sich langsam wobei ihm kurz ein dunkler Schleier vor den Augen erschien.

„Schscht“ zischte er aus seinen Lippen und fuchtelte mit den Händen Richtung Mob der im ersten Augen-blick ein wenig zurückwich.

Da spürte er den ersten Schlag auf den Rücken und sackte in die Knie. Nun flogen Steine und die ersten Hiebe konnte er noch auseinanderfühlen, danach pras-selten die Schläge unaufhörlich auf ihn ein. Er hörte wie sie ihn noch beschimpften bespukten und fühlte noch einen harten Schlag auf den Kopf dann kam die gnädige Dunkelheit zurück und die Stimmen und die Schläge entschwanden im Nebel der Dunkelheit.

Er sah wie Mara im auf dem Tobelboden im weissen wehenden Gewand, barfuss über die Sommerweide entgegen rannte, mit weit geöffneten Armen. Ihr Haar wehte im Wind und die Augen leuchteten. An einem reich gedeckten Tisch bei der Hütte sassen Staufers und lächelten ihn an….

Er rannte auf Mara zu und in einer innigen Umar-mung entschwanden sie im Licht des sonnengefluteten Tobelbodens..

Pander hörte nicht mehr den wütenden Jonathan wie

er mit als seiner Körperwucht den Mob von seiner Leiche zurückdrängte und als diese endlich von ihm abliessen sah er eine fast nicht erkennbare männliche Leiche, die mal sein Freund Pander war.

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Er wehrte sich nicht mehr gegen den Mob als dieser Holz herbeischaffte und den Leichnam dem Feuer übergaben. Der Gestank von verbranntem Fleisch zog über das verwüstete Torstheim, und stieg auch denen in die Nase, die bereits mit dem Aufbau des Städt-chens beschäftigt waren.

Es war Spätsommer im Jahre des Herrn 1438 gewor-

den. Es sollten noch so viele Feuer brennen und das in

vielen Teilen Europas, bis das dämonische Feuer der Kirche genug unschuldige Menschen verschlungen hatte.

Und manch einer der Mara und Pander brennen sah, brannte in den Monaten und Jahren danach selber.

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Für Rückseite des Buches Frühling im Jahre des Herrn 1438 irgendwo mitten in Europa in einer Stadt welche dem Wandel dieser un-ruhigen Zeiten genauso unterworfen war wie den Jah-reszeiten und der Tag- Nachtgleiche. In jener Zeit als die Menschen noch glaubten, dass in Bäumen Seelen wohnen, und als das Leid, Elend und alles Sonderbare den dunkeln Mächten zugeschrieben wurde, als weise Frauen den Feuertod erlitten, in jener düsteren und mystischen Zeit lebte Pander ein Müller-geselle. Er gerät mitten hinein in die Wirren dieser Zeit und muss miterleben wie der Schnitter unaufhalt-sam seine Bahnen zieht…