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1040 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. I. JAHRGANG. Nr. 21 20. MAI 192z SERODIAGNOSE UND BLUTCHEMISMUS. Von CARL LANGE. Aus dem Laboratorium von ProL CARL LANGE in Berlin. Die serologische Forschung entwickelte sich bisher sowoh] in ihren Arbeitsmethoden als auch in ihrem ganzen Vor- stellungskreise vollkommen getrennt yon der pathologisehen lPhysiologie. Zu welchen Konsequenzen diese unnatfirliche Abtrennung, die dem Wesen der Sache nach nur eine vorl~ufige Arbeitsteilung vorstellt, ffihren mul3te, l~Bt sich schon in der historischen Entwicklung der theoretischen Vorstellungen fiber das Wesen der Serodiagnose der Lues erkennen. Diese Theorie hat sich n~mlich im Laufe der Jahre immer weiter yon serologischen bzw. Immunit~tsvorstellungen ent- fernt, da eine ganze Reihe chemischer Befunde heute die anfangs selbstverst~ndlich erscheinende Auffassung yon der Antik6rpertheorie des ,,Luesreagins" Ms unhaltbar erwiesen haben. Wenn nun auch die praktische Brauchbarkeit der Sero- diagnose g~nzlich unabh~ngig von einer mehr oder minder richtigen theorefischen Auffassung des Wesens der Reaktion bestehen k6nnte, so 1ABt sich doch der Nachweis ffihren, dab auch bei der praktisch-diagnostischen Verwertung der Re- sultate die Ergebnisse der pathologisehen Physiologie nicht ohne Nachteil so g~nzlich unberficksichtigt bleiben diirfen, wie das bisher ganz allgemein geschah. Wir wollen hier nieht die Tatsache im einzelnen erSrtern, dab die Theorie niemals eine restlose Kl~rung finden kann, solange nicht die bereits gesicherten Ergebnisse der patho- logischen Physiologie vollst~ndig mit herangezogen werden. Die letzteren liefern meist vial eindeutigere Ergebnisse als biologische Arbeitsmethoden, yon denen wit es immer wieder erleben muBten, dab ihre Resultate zu verschiedenen Zeiten immer nut dazu dienten, eine meist schon vorher spekulativ erworbene Ansehauung beweisen zu sollen. Wir k6nnen nun aber in diesem Zusammenhange das Ver- hMtnis der pathologischen Physiologie zur Theorie der 1Re- aktion beiseite lassen und erst die Ergebnisse einernten, die eine ~bertragung physiologischer Arbeitsmethoden und Vor- stellungen auf die rein diagnostische Verwertung der Reaktion ffir die Praxis in reichem MaBe liefert. Wir haben bereits an anderer Stelle ~) den Nachweis erbracht, dab die irrige AuJ]assung yon der (ausnahmslos) lolcalen Bedeutung der positiven WaR. in, Liquor (Organ- diagnose) nur dadurch entstehen konnte, dab man die ein- schl~gigen Verh~ltnisse der pathologischen Physiologie nicht kannte, bzw. ihren EinfluB auf die versehiedenen M6glichkeiten des Zustandekommens einer positiven Reaktion im Liquor nicht erkannte. Das spezielle Problem der pathologischen Physiologie, das diese Verh~tltnisse bel~errscht, ist die sog. ,,Permeabilit/~t der NIeningen", d. h. das Problem, wie unter verschiedenen patho]ogischen (und auela unter normalen) VerhMtnissen verschiedene Substanzen zwischen Blut und Liquor ausgetauscht werden (Problem der ,,Stoffwanderung"). Wenn man das hierfiber Bekannte auf die Verh~tltnisse der WaR. im Liquor fibertragt, so ergibt sich mit absoluter Evidenz die Erkenntnis, dab es aul3er einer ,,endogenen" Entstehung aueh noch verschiedene M6glichl~eiten einer ,,exo- genen", d. h. h~matogenen Entstehungsweise geben muB, wo also die positive WaR. im Liquor keineswegs eine (lokale) Lues des Zentralnervensystems beweist. Verfolgt man diesen Gedankengang welter, so ergiebt sich ebenso klar, dab in der Methode der WAR., bzw. der Komplementbindung fiberhaupt, keine M6glichkeit gegeben ist, eine endogen entstandene yon .einer h~matogenen positiven WaR. im Liquor zu unter- scheiden, d. h. die WaR. ist ]i~r sich allein niemals imstande, eine. Organdiagnose im Liquor zu liefern. Wir mtissen immer erst"mit Hi]re anderer Methoden den Nachweis erbringen, dab die Ver~tnderungen im Liquor tats~chlich endogen und 1) Was leistet die reine Liquordiagnostik bei der Diagnose des Hirntumors? Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. Iger, Bd. ~3, S. 582--6xo. Die dort gegebenen Aus- fiihrungen geniigen ffir diesen Nachweis, wir warden !ms ~ber mit diesem Thema speziel ! noch an anderer Stelle ausfiihrlich~befassen, nicht hiimatogen entstanden sind. Dieser Nachweis ist durch eine Reihe chemisch-analytischer Methoden oder auch durch eine ]unktionelle Pri~]ung der .Meningen-Permeabilit~it zu er- bringen, im konkreten Falle gelingt er am einfachsten und sichersten mit Hilfe der Goldreaktion, die demnach nich* nur quanfitativ, sondern auch qualitativ (Organdiagnose) der WaR. im Liquor iiberlegen ist. Die Klarstellung dieser ftir die praktische Diagnostik h6chst wichtigen Fragen war mit Hilfe rein serologischer Vorstellungen und Arbeitsmethoden gar nicht denkbar, und nur weil man sieh bisher zur Heranziehung physiologischer Untersuchungen nicht entschlietlen konnte, blieb dieser Irr- rum solange unentdeckt. Wir sind auf diese Verh~ltnisse bier eingegangen, wail sich an dem angeffihrten Beispiel in besonders einleuchtender Weise zeigen l~iBt, wie alteingewurzelte und niemals iiberprfifte irrige Vorstellungen sich durch Heranziehung physiologischer Vorstellungen und Arbeitsmethoden ohne weiteres richtig- stellen lassen, irrige Vorstellungen, die nicht nur theoretische, sondern auch eminent praktisch-diagnostische Bedeutung haben. Bei unseren weiteren Mitteilungen wollen wir nun die Bedeutung eines zweiten t~apitels der pathologischen Physio- logie ffir die Serologie nachweisen : den Zusammenhang zwischen Serodiagnose und Blutchemismus. So selbstverst~indlich eigentlich die l~berlegung erscheinen mfiBte, dab stgrkere Ver~inderungen des Blutchemismus infolge yon Stoffwechselst6rungen den Ausfall der Sero- diagnose beeinflussen mfissenl), so bleibt es doch eine Tat- sache, dab man sich mit dieser Frage bisher ebensowenig bescNiftigt hat, wie mit der eben erw~hnten Bedeutung der Permeabilit~t der Meningen. Auch diese auff~llige Erschei- hung ist ein Beweis, wie in dieser Frage ausschlieglich Immu- nit~tsvorstellungdn das Denken beherrschten, nnd dab die durch die Zu]611igkeit der Arbeitsmethode geschaffene Trennung zusammengeh6riger Gebiete den Fortschritt der Erkenntnis wesentlich hemmte. In der Frage der Beein]lussung der Seroreaktion durch einen ~athologischen Blutchemismus ist uns nur eine einzige, ziem- lich allgemein akzeptierte Vorstellung bekannt: man nimmt meist an, dab der Ausfall der Seroreaktion bei Ilcterus unzu- verl/issig sei, und zwar in dem Sinne, dab eine (zu erwartende) positive Reaktion fiilschlicherweise ein negatives Resultat ergeben k6nne. Unseres Wissens ist dies die einzige bisher hergestellte (spekulafive) Verbindung zwischen der Serologie und der pathologischen Physiologie; im fibrigen ist diese Vorstellung, wie eine ganze Reihe anderer auf diesem Geloiet rein spekulafiv entstandener Ansctlauungen, irrig, denn gerade das Gegen- tail trifft tats~iehlich zu. Wir Wollen hier nicht s~imtliche Abweichungen des Blut- chemismus analysieren -- schon einfach aus dam Grunde, well unsere bisherigen Untersuehungen dazu nicht entfernt ausreichen -- sondern uns mit der Hervorhebung yon drei Punkten begnfigen, die nach unseren bisherigen Erfahrungen am meisten geeignet sind, die Bedeutung dieses neuen Arbeits- gebiaes -- denn um ein solches handelt es sich tats~ehlich -- hinreiehend deutlich vor Augen zu ffihren. Vorl~ufig erscheint uns am wichtigsten die Beeinflussung der Seroreaktion der Lues 2) durch: I. !kterus bzw. ,,Cholazid~mie". 2. Ur~imie (nebst geringeren dahin tendierenden Ver- ~nderungen). 3. Hydr~.mie. Speziell mit den Verdnderungen bei Ikterus mfissen wir uns etwas ausffihrlicher besch~ftigen, nicht nur, well derselbe aueh in seiner Beziehung zur Lues und Salvarsantherapie 1) Wenigstens sobald man iiberhaupt die Bedeutung rein ehemischer Verh~.ltnisse auf diesem Gebiet erfal3t hat, und sieh nieht bewugt der Tatsache versehliegt, dab man den Versueh, an der reinen AntikSrpertheorie festzuhalten, nut dann durehfiihren kann, wenn man yon der Existenz einer ganzen Reihe chemischer Befunde keine Notlz nimmt. ~) Es gen(igt wohl der Hinweis, dab die bier besprechenen Verh~iltnisse nicht nur ftir die Luesdiagnose, sondern eberiso fiir age anderen serodiagnostisehen Untersuchungen yon BecIeutun 6 sind,

Serodiagnose und Blutchemismus

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1040 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 21 20. MAI 192z

SERODIAGNOSE UND BLUTCHEMISMUS. V o n

C A R L L A N G E . Aus dem Laborator ium von ProL CARL LANGE in Berlin.

Die serologische Forschung entwickelte sich bisher sowoh] in ihren Arbeitsmethoden als auch i n ihrem ganzen Vor- stellungskreise vollkommen getrennt yon der pathologisehen lPhysiologie. Zu welchen Konsequenzen diese unnatfirliche Abtrennung, die dem Wesen der Sache nach nur eine vorl~ufige Arbeitsteilung vorstellt, ffihren mul3te, l~Bt sich schon in der historischen Entwicklung der theoretischen Vorstellungen fiber das Wesen der Serodiagnose der Lues erkennen.

Diese Theorie hat sich n~mlich im Laufe der Jahre i m m e r weiter yon serologischen bzw. Immunit~tsvorstellungen ent- fernt, da eine ganze Reihe chemischer Befunde heute die anfangs selbstverst~ndlich erscheinende Auffassung yon der Antik6rpertheorie des ,,Luesreagins" Ms unhal tbar erwiesen haben.

Wenn nun auch die praktische Brauchbarkeit der Sero- diagnose g~nzlich unabh~ngig von einer mehr oder minder richtigen theorefischen Auffassung des Wesens der Reaktion bestehen k6nnte, so 1ABt sich doch der Nachweis ffihren, dab auch bei der praktisch-diagnostischen Verwertung der Re- sultate die Ergebnisse der pathologisehen Physiologie nicht ohne Nachteil so g~nzlich unberficksichtigt bleiben diirfen, wie das bisher ganz allgemein geschah.

Wir wollen hier nieht die Tatsache im einzelnen erSrtern, dab die Theorie niemals eine restlose Kl~rung finden kann, solange nicht die bereits gesicherten Ergebnisse der patho- logischen Physiologie vollst~ndig mit herangezogen werden. Die letzteren liefern meist vial eindeutigere Ergebnisse als biologische Arbeitsmethoden, yon denen wit es immer wieder erleben muBten, dab ihre Resultate zu verschiedenen Zeiten immer nu t dazu dienten, eine meist schon vorher spekulativ erworbene Ansehauung beweisen zu sollen.

Wir k6nnen nun aber in diesem Zusammenhange das Ver- hMtnis der pathologischen Physiologie zur Theorie der 1Re- aktion beiseite lassen und erst die Ergebnisse einernten, die eine ~ber t ragung physiologischer Arbeitsmethoden und Vor- stellungen auf die rein diagnostische Verwertung der Reaktion ffir die Praxis in reichem MaBe liefert.

Wir haben bereits an anderer Stelle ~) den Nachweis erbracht, dab die irrige AuJ]assung yon der (ausnahmslos) lolcalen Bedeutung der positiven WaR. in, Liquor (Organ- diagnose) nur dadurch entstehen konnte, dab man die ein- schl~gigen Verh~ltnisse der pathologischen Physiologie nicht kannte, bzw. ihren EinfluB auf die versehiedenen M6glichkeiten des Zustandekommens einer positiven Reaktion im Liquor nicht erkannte. Das spezielle Problem der pathologischen Physiologie, das diese Verh~tltnisse bel~errscht, ist die sog. ,,Permeabilit/~t der NIeningen", d. h. das Problem, wie unter verschiedenen patho]ogischen (und auela unter normalen) VerhMtnissen verschiedene Substanzen zwischen Blut und Liquor ausgetauscht werden (Problem der ,,Stoffwanderung").

Wenn man das hierfiber Bekannte auf die Verh~tltnisse der WaR. im Liquor fibertragt, so ergibt sich mit absoluter Evidenz die Erkenntnis, dab es aul3er einer ,,endogenen" Ents tehung aueh noch verschiedene M6glichl~eiten einer ,,exo- genen", d. h. h~matogenen Entstehungsweise geben muB, wo also die positive WaR. im Liquor keineswegs eine (lokale) Lues des Zentralnervensystems beweist. Verfolgt man diesen Gedankengang welter, so ergiebt sich ebenso klar, dab in der Methode der WAR., bzw. der Komplementbindung fiberhaupt, keine M6glichkeit gegeben ist, eine endogen entstandene yon .einer h~matogenen positiven WaR. im Liquor zu unter- scheiden, d. h. die WaR. ist ]i~r sich allein niemals imstande, eine. Organdiagnose im Liquor zu liefern. Wir mtissen immer ers t"mit Hi]re anderer Methoden den Nachweis erbringen, dab die Ver~tnderungen im Liquor tats~chlich endogen und

1) Was leistet die reine Liquordiagnostik bei der Diagnose des Hirntumors? Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. Iger , Bd. ~3, S. 582--6xo. Die dort gegebenen Aus- fiihrungen geniigen ffir diesen Nachweis, wir warden !ms ~ber mi t diesem Thema speziel ! noch an anderer Stelle ausfiihrlich~befassen,

nicht hiimatogen entstanden sind. Dieser Nachweis ist durch eine Reihe chemisch-analytischer Methoden oder auch durch eine ]unktionelle Pri~]ung der .Meningen-Permeabilit~it zu er- bringen, im konkreten Falle gelingt er am einfachsten und sichersten mit Hilfe der Goldreaktion, die demnach nich* nur quanfitativ, sondern auch quali tat iv (Organdiagnose) der WaR. im Liquor iiberlegen ist.

Die Klarstellung dieser ftir die praktische Diagnostik h6chst wichtigen Fragen war mit Hilfe rein serologischer Vorstellungen und Arbeitsmethoden gar nicht denkbar, und nur weil man sieh bisher zur Heranziehung physiologischer Untersuchungen nicht entschlietlen konnte, blieb dieser Irr- rum solange unentdeckt.

Wir sind auf diese Verh~ltnisse bier eingegangen, wail sich an dem angeffihrten Beispiel in besonders einleuchtender Weise zeigen l~iBt, wie alteingewurzelte und niemals iiberprfifte irrige Vorstellungen sich durch Heranziehung physiologischer Vorstellungen und Arbeitsmethoden ohne weiteres richtig- stellen lassen, irrige Vorstellungen, die nicht nur theoretische, sondern auch eminent praktisch-diagnostische Bedeutung haben.

Bei unseren weiteren Mitteilungen wollen wir nun die Bedeutung eines zweiten t~apitels der pathologischen Physio- logie ffir die Serologie nachweisen : den Zusammenhang zwischen Serodiagnose und Blutchemismus.

So selbstverst~indlich eigentlich die l~berlegung erscheinen mfiBte, dab stgrkere Ver~inderungen des Blutchemismus infolge yon Stoffwechselst6rungen den Ausfall der Sero- diagnose beeinflussen mfissenl), so bleibt es doch eine Tat- sache, dab man sich mit dieser Frage bisher ebensowenig bescNiftigt hat, wie mit der eben erw~hnten Bedeutung der Permeabilit~t der Meningen. Auch diese auff~llige Erschei- hung ist ein Beweis, wie in dieser Frage ausschlieglich Immu- nit~tsvorstellungdn das Denken beherrschten, nnd dab die durch die Zu]611igkeit der Arbeitsmethode geschaffene Trennung zusammengeh6riger Gebiete den Fortschrit t der Erkenntnis wesentlich hemmte.

In der Frage der Beein]lussung der Seroreaktion durch einen ~athologischen Blutchemismus ist uns nur eine einzige, ziem- lich allgemein akzeptierte Vorstellung bekannt : man n immt meist an, dab der Ausfall der Seroreaktion bei Ilcterus unzu- verl/issig sei, und zwar in dem Sinne, dab eine (zu erwartende) positive Reaktion fiilschlicherweise ein negatives Resultat ergeben k6nne.

Unseres Wissens ist dies die einzige bisher hergestellte (spekulafive) Verbindung zwischen der Serologie und der pathologischen Physiologie; im fibrigen ist diese Vorstellung, wie eine ganze Reihe anderer auf diesem Geloiet rein spekulafiv entstandener Ansctlauungen, irrig, denn gerade das Gegen- tail trifft tats~iehlich zu.

Wir Wollen hier nicht s~imtliche Abweichungen des Blut- chemismus analysieren -- schon einfach aus dam Grunde, well unsere bisherigen Untersuehungen dazu nicht entfernt ausreichen -- sondern uns mit der Hervorhebung yon drei Punkten begnfigen, die nach unseren bisherigen Erfahrungen am meisten geeignet sind, die Bedeutung dieses neuen Arbeits- gebiaes -- denn um ein solches handelt es sich tats~ehlich -- hinreiehend deutlich vor Augen zu ffihren.

Vorl~ufig erscheint uns am wichtigsten die Beeinflussung der Seroreaktion der Lues 2) durch:

I. !kterus bzw. ,,Cholazid~mie". 2. Ur~imie (nebst geringeren dahin tendierenden Ver-

~nderungen). 3. Hydr~.mie. Speziell mit den Verdnderungen bei Ikterus mfissen wir

uns etwas ausffihrlicher besch~ftigen, nicht nur, well derselbe aueh in seiner Beziehung zur Lues und Salvarsantherapie

1) Wenigstens sobald man iiberhaupt die Bedeutung rein ehemischer Verh~.ltnisse auf diesem Gebiet erfal3t hat, und sieh nieht bewugt der Tatsache versehliegt, dab man den Versueh, an der reinen AntikSrpertheorie festzuhalten, nut dann durehfiihren kann, wenn man yon der Existenz einer ganzen Reihe chemischer Befunde keine Notlz nimmt. ~) Es gen(igt wohl der Hinweis, dab die bier besprechenen Verh~iltnisse nicht nur ftir die Luesdiagnose, sondern eberiso fiir age anderen serodiagnostisehen Untersuchungen yon BecIeutun 6 sind,

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in den letzten Jahren ein besonderes IIIteresse beanspruchte, sondern auch weil die Verh/iltnisse hier so kompliziert liegen, dab man ohne recht umfassende Untersuchungen leicht zu talschen Deutungen der Befunde verleitet werdeii kaiin.

Auf welche Weise vermutlich die Auffassung eiitstanden ist, dab die Blutver/tnderung bei Ikterus die Serodiagnose nach der negativen Seite bin verschiebe, werden wir sparer er6rtern. Es ist jedenialls auff~llig und Iiir die Bildung voii Vorstelluiigen auf diesem Gebiete bezeiehnend, dab sich diese irrige Auffassung bilden und so lange halten konnte, trotzdem ganz einfache Versuche genfigen, um zu beweisen, dab man dutch Zufiigen voii Galle zu Serum die Reaktion nach der positiven Seite verschiebt. Eiiien Hauptfaktor spielen hierbei zweifellos die Gallens(iuren, daneben auch Seifen und Choleste- rin, alles K6rper, yon denen wir wisseii, dal3 sie als ,,Antigen" bei der Serodiagnose ]ungieren kdnnen, oder doch zum min- desteii bei Zusatz zu einem Extrakt desseii Wirkung ver- st(irlcen.

Bei ausgesprochener Cholazid/~mie habeii wir also ganz die gleichen Verh~ltnisse vor uns, als weiin wit eine Sero- diagnose ,,mit zu hohen Extradosen" ansetzen. Wit k6nneii also uiiter Umst~ndeii f~lschlicherweise ein positives Resultat erzielen, das durch die iibliche, ]i~r diese Fiille unzureichende Kontrolltechnik nicht aufgedeckt wird.

Bevor wit die hierffir n6tigen Kontrollen er6rtern~), wollen wir erst einige praktische Konsequenzeii der eben ge- machten Feststelluiig geben. Die Notwendigkeit, mittelst einer genaueren Analyse zu einer ausreichenden Kontroll- technik zu gelangen, wird dann ohne weiteres eiiileuchten.

Beziiglich der akuten gelben Leberatrophie nimmt man an, dab sie relativ h~ufig durch Lues verursacht sei, well die WaR. h~ufig einen stark positiveii Ausfall ergibt. Ohne uiis auf die Frage einzulassen, wie h~ufig hier die Lues ~tiologisch in Frage kommen mug, kanii man jedenfalls behaupten, dab uiiter diesen Verh~ltnissen eine positive WaR. nach O. T. keineswegs geeignet ist, eine Lues zu beweisen.

Bei der akuten gelben Leberatrophie finder sich ngmlich uiiter Umst~ndeii (s. weiter uiiten) eine so starke Anhgufung von Gallens~uren im Blur (Cholazid~tmie), dab dadurch eine unspeziJ~sche positive Reaktion vollkommen erkl~rlich er- scheint. Dieser ttinweis erscheint uiis praktisch deshalb besonders wichtig, well es unseres Erachtens n i c h t gleich- gfiltig seiu kanii, einen lebensgef~hrlich erkrankten Organis- mus auf Grund einer (selbst wenn technisch naeh O. T. ein- wandsfrei ausgeffihrten, trotzdem aber) falschen Serodiagnose durch die Einleitung einer zum mindesten zwecklosen Therapie (Salvarsan) IIoch welter zu gef~hrden.

Um derartige Fehldiagnosen, die uiiter Umst~nden verh~ng- IIisvoll werden k6iinen, sicher zu vermeiden, kSiinte man bei dem heutigen Entwicklungszustande der Serodiagnose nur die Konsequenz ziehen, den positiven Aus]all der WaR. bei ,,Ikterus" als nicht verwertbar ]i~r eine Luesdiagnose z~t be- zeichnen.

Diese Formulierung erscheint aber nur so lunge annehm- bar, als man den ]3egriff , ,Ikterus" nicht n~her analysiert und darunter nu t die sichtbare Gelbf~rbung yon Haut uiid Schleimh~uten versteht, also ein immerhin nicht allzu h/~ufiges Vorkommnis.

Ganz anders stellt sich aber die Frage, sobald man not- weiidigerweise auch den ,,Blutikterus", d. h. also die Bili- rubin~mie mit einbezieht; besoiiders da dies im Gegensatz zum Hautikterus eine guBerst h~ufige Erscheinung vorstellt,

Wit kommen nun such darauf zuriick, warum wirvonvorn- herein nicht voii einer Beziehm~g der Serodiagnose zum Ik- terus, sondern zur Cholazid~tmie ~) gesprochen haben, well es n~mlich weseiitlich nur auf die Anwesenheit yon GallensSuren

~) Bezfiglich der gerade auch ffir derartige F~lle nicht ausreichenden Kontrolle auf ,,Eigenhemmuug" der Originaltechnik verweisen wit auf unsere Ausffihru~gen in Zeit- schr. f. Immunit~tsforsch. u. exp. Therap. Bd. 26, H. 4, S. 396--45o. z9I?: Die Lebeus- dauer der ffir die WASSERMANNsche Reaktion benStigten Reagentien. a) Wit haben bier den etwas schwer~illigen Ausdruck ,Cholazid~imie" einffihren mfisseu, well tier n~iher liegende Ausdruck Cholgmie schon in mMerem Sinne gebraucht wird, und zwar klinisch etwa sis Ausdruek des Leberkoma. Bei uuserem Begriff der Cholazi- dgmie handelt es sich abet ohne Rficksicht auf die kIinische Schwere des Krankheitsbildes lediglieh um den chemischen Begriff der Anwesenheit yon GaUens~uren im Serum.

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im Blur anzukommen scheint und nicht auf den Ikterus: die Bilirubin~mie. Es fiiides sich n~mlich Bilirubin~tmie mit und ohne Uholaziddimie, die letztere beim sog. h~molytischen Ikterusl), dessert leichtere Grade nach uiiseren Erfahrungen gerade bei Lues nicht gaiiz selteii zu sein scheinen.

Bei der reinen Bilirubindimie des hiimolytischen Ikterus ohne CholazidSmie braucht man also nicht mit einer falscheii Serodiagiiose zu rechiien, denn die hier vorkommende Chole- sterinvermehrung scheint keiiieii EinfluB zu haben.

Ffir die Praxi s der Serodiagiiose sind wir nach dieser Unter- scheidung zu der Folgerung gekommen, dab die Resultate der Serodiagnose bei vorhandenem Blutikterus niir danii verd~chtig sind, weiiii es sich um eine Cholazid~mie handelt und nicht nm eine isolierte Bilirubindimie.

Habeii wir also gelegeiitlich eiiier Blutuntersuchung einen Blutikterus festgestellt, wozu bei einiger l~bung das bloBe Auge genfigt, so entsteht die viel wichtigere Frage, ob es sich um eine Cholazid~mie handelt, d. h. wir mfissen die Galleii- s/~uren im Blute nachweisen. Hier liegt nun die Hauptschwie-" rigkeit der ganzen Frage, denn eine unter diesen Verh~ltnissen brauchbare Methode, die GallensAuren im Serum nachzuweisen, ist nicht bekaiint. Auf die indirekten Methoden (Stalagmo- meter, Erythrocytenresistenz usw.) wollen wir hier nicht eingehen, da sie ffir diese Zwecke n i c h t ausreicheii. Man k6nnte nun aber daran denken, sieh mit dem Nachweis der Galtensd'uren im Urin zu begnfigen, der zwar etwas umst~nd- lich abet doch technisch leicht durchfiihrbar ist. Auch dieser Ausweg ist nicht gangbar, und zwar deshalb, well kein /est- stehendes Verhdltnls zwischen der AnMiu]ung im Blute und der im Urin ausgeschiedenen Menffe zu bestehen braucht.

Es ist n6tig, bier dieses Verh~tltiiis zu erkl~ren, well es gerade bei den t6dlieh verlaufenden F/~llen von akuter gelber Leberatrophie yon ausschlaggebender Bedeutung ist. Hier t r i t t II~mlich sub finem vit5 eiii Ci,rculus vitiosus auf, wobei infolge einer ,,cholgimische~z Nephrose" die Ausscheidung yon Gallenbestandteilen aus dem Blut durch die Niereii aufh6rt, worauf sich dieselben im Blute anhgufen, was zu wichtigen Folgeerscheinungen fiihrt.

Es besteht aber zweifellos IIicht nur diese Differenz im Gehalt an Gallenbestandteilen iiberhaupt zwischen Blur und Urin, sondern es gibt auBerdem noch eiiien ,,dlsso~ierten Ikterus", bei dem die St~irke der Bilirubin~mie, die wir ja leicht quaiit i tafiv abschiitzen k6nnen, der Cholazid~imie durchaus nicht parallel l~iuft.

Es wiirde uns bier viel zu weir fiihren, auf diese kompli- zierten Verhgltnisse noch Niher einzugehen, wir muBten sie nur soweit klarstellen, als dies fiir die Schaffung einer aus- reichenden I4ontrolltechnik notwendig erscheint.

Wir sind bis jetzt in unseren Feststellungen soweit ge- kommen, dab

I. yon den F~illen voii Bilirubinfimie nur die positiven Reaktionen verd~ichtig erscheinen, und auch diese nur bei vorhandener Cholazidiimie;

2. wir keineii direkten Nachweis der Gallens/iureii keiinen, wodureh man j a sonst diese beiden verschiedenen Gruppen trennen k6nnte;

3. die Stgrke der Bilirubin/~mie keineii Anhal tspunkt ffir den mutmaBlichen Grad der Cholazid~mie ergibt (Disso- ziatioii).

]3is jetzt sind wir also IIur zu negativeii Feststellungen gekommen, und wenii sich kein 5{ittel zu einer weitereii Klgrung finder, so sehen wir uns in der unangenehmen Lage, alle die zahlreichen F~ille voii Blutikterus, a u c h leichteren Grades, mit positiver WaR. als verd~ichtig anseheii zu miissen..

1) Unseres Erachtens kann fibrigens nut ein Migversffindnis bezfiglich des Begriffs ,,h~molytischer Ik terus" in irfiherer Zelt zu der oben erw~ihnteu irrtiimlicheu Auffassung betreffs des Einflusses yon Ikterus auf den Ausfall der Serodiagnose geffihrt haben. Man wuBte, dab GaIIens~uren h~imolytiseh wirkeu, und nahm an, dab bei Ikterus durch diese im Serum (mSgl]eherweise) vorhaudeuen Gallens~ureu das bei der WaR. zugesetzt. HammeIblut h~imolysiert, und so das Zustandekommen einer Hemmung unm6glich ge- macht werde. Nun erreicht abet in vivo die Chola~id~imie niemals die Grade, die zur Hiimolyse n f t i g wiiren, der Ikterus Mimolyticus ist ein Ikterus : verufsaehtdureh tIfimo- lyse und nicht H~molyse verursctehend. Wit halten es ftir sicher, dab der erw~hnte I r r tum auf dem Wege des eben dargestellteu MiBverst~ndnisses rein spekulatlv entstanden sein muB, experir~enNlle Untersuchtmgen f0hrea ge~ade zu dem entgegengesetzten Ergebuis,

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Dies w~re u m so peinlicher, als sich derar t ige F~lle gerade auch bei Lues besollders hitufig finden.

Als w i t uns vor einer Reihe yon Jahre l l zuerst e ingehend mi t diesen Un te r suchungen besch~ft igten, g l a u b t e n wir ta t~ s~chlich eine Zeit lang, dab es keinen Ausweg aus diesem Di l emma g~be, bis uns die zufMlig sich b ie tende Gelegenheit , das Blur einer Reihe yon akuten , gelben Lebera t roph ien un te r suchen zu k6nnen, eilleI1 ebenso e infachen wie sicheren Ausweg er6ffnete. Es erwies sich n~mlich, dai3 das ]31ut derar t iger F~lle kurz vor dem Tode 1) kelne Spur yon Komple- merit mehr enthdlt.

Diese Fes t s te l lung war l lach zwei Sei ten h in yon ausschlag- gebender B e d e u t u n g :

I. konn te m a n hier - - ohne jede Spekula t ion - - un- mi t t e lba r den Mechanismus erkennell , wie die Anh~ufung yon Galle im Blu te auf den Ausfal l der Serodiagnose e inwirk t : n~mlieh mi t te l s eines Faktors , der - - wie wi t uns vorl/~ufig ganz a11gemein ausdr i icken wollen - - , ,am K o m p l e m e n t d i rek t e insetz t ;"

2. b raueh te m a n j e t z t n ieh t mehr naeh einer Methode des Gal lens~urennachweises im Blu te zu suchen, da ffir der- ar t ige F~lle die Titrierung des Komplementes im ]rischen Serum eine vie1 e infachere und aul3erdem das Wesen der F rage tref- fenden Kont ro l l e ergab. E ine andere Kont ro l l technik , die ganz a l lgemein fiir diese F~tlle ausreicht , werden wir am SchluB dieser Arbe i t kurz andeuten .

Auf die genauere Technik derar t iger Un te r suchungen b rauchen wir bier l l icht einzugehen, wir w011en nur anffihren

L dab der K o m p l e m e n t g e h a l t des menschl ichen Se rum unter normale l l Verh~l tnissen vollkommen konstant ist ;

2. dab er bei Lebe re rk rankungen q u a n t i t a t i v p ropor t iona l dem Gehal t an Gallens/~uren (wohlvers tanden: l l icht pro- por t ional de r , , Insu] ] i z ienz" der Leber, die als 2'olgeerscheinung auf t re ten kann) ab l l immt , wovon m a n sich du tch kfinst l iche Zugabe f ibe rzeugen kann.

Die le tz te re Er sche inung is t j a auch schon aus der Prax i s bakteriolofischer Blutuntersuchungen bekannt , wo der Galle- zusatz zu B l u t k u l t u r e n bekann te rmaBen haupts/~chlich den Zweck hat , das durch ev th Bakter io lyse s t6rende , ,Komple- meri t zu ver l l ichte l l . "

Wi r k o m m e n also nach diesen Fes ts te l lu l lgen zu folgender Auffassung derar t iger F/~lle:

i . FMIe yon Blu t ik te rus sind wegen der mhgl@hen An- wesenhei t yon Gallel ls~uren (Komplementzers t6 rung) hill- s icht l ich des Ausfalls der Serodiagnose als verd~cht ig zu bezeichnen.

2. E ine b r auchba re Methode des di rekte l l Naehweises yon Gallens/~.uren im Blu te is t n ich t bekanl l t .

3. Ausl lahmsweise k6nnen selbst schw~chere Grade yon Bil i rubi l l~mie m i t s t~rkerer Komplemen tze r s t 6 rung eillher- gehen (Dissoziation).

4. E ine sichere ]3ewertung des Reakt ionsausfa l les bei derar t igen F~]len ist gegeben durch eine T i t r i e rung des K o m - p lementes im ganz r Serum.

Mit HiKe dieser Kon t ro l l t echn ik ergib~ sich dann, dab Ikterusf~l le mi t no rma len K o m p l e m e n t g e h a l t bezfiglich des Allsfalles der Serodiagnose als e inwandfre i angesehen werden k6nnen, l lnd alldererseits l~Bt sieh wohl ohlle wei teres die Behaup tu l lg ver t re te l l , daft ein stark positiver Aus]alt der WaR. bei einer akuten gelben LeberatropMe mlt totalem Komplementschwund nicht als beweisend liar Dues angesehen werden kann2).

Welter wollen wit ant die Beziehungen des Ikterus zur WaR. nicht eingehen; das Angefflhrte genfigt wohl reichlich, um die Notwendigkeit physiologischer Untersuchungen innerhalb des Rahmens der anscheinend ,,reinen Serologie" zu demonstrieren. Das angeffihrte Verhdltnis der Cholaziddm$e zum Komplement-

x) In dem oben erwghnten Zeitpunkt, wo infolge kompletter Sistierung der Gallenaus- fuhr durch den Ufin sieh eine eaorme Anh~ufung yon GallensXuren im Blute entwiekelte. Um Mil3verst~indnissen vorzubeugen, betonen wir, dab wit diese Art yon Niereninsuffi- zienz keineswegs mit der Ur~mie identlfizieren, wie dies manehmal geschehen ist. ~) Beziiglieh der fiir diese Verh~iltnisse interessierenden Frage, ob es sich bei diesem Komplementmangel um eine Zerst~rung des bereits gebildeten Komplements handelt odex eine StSrung der Bildung s. w. u.

R I F T . I. J A H R G A N G . Nr . 2I 2o. MAlxg,2

sehwund beansprucht aber auch sonst ein groBes biologisches In- t e r e s s e .

In der hier gegebenen Fassung liegt schon die Erkl~rung des Ph~inomens, die wir anfangs in einer ganz anderen Richtung such- ten. Bewegt man sich n~mlich in rein serologischen Vorstellungen, so wird man aus der Feststellung des Komplementschwundes bei akuter gelber Leberatrophie leicht zu der Auffassung gelangen, dab normalerweise die Leber das Komplement produziert und dab hier ein Versagen der Komplementproduktion durch die Leber vorliegt. Eine Beziehung zwischen Lebererkrankungen nnd Kom- plement wurde, wie wir sp~ter ianden, schon yon EHRLICI~ nach- gewiesen und in der angegebenen Richtung gedeutet.

Eine ~hnliche Erklarung geben z. ]3. auch ROSENTHAL und KROGER (Berl. klin. Wochenschr. 1921, Nr. i6; R. und Nossen Nr. 37) ftir die yon ihnen festgestellte Beziehung zwischen gest6rter Leberfunktion und einem Schwund der trypanociden Substanz im Serum, der, wie wir zeigen wollen, im engsten Zusammenhang mit dem beschriebenen Komplementschwnnd steht.

Um dies n~mlich gleich hier zu erledigen, so ist die trypanocide Snbstanz ein komplexer Khrper, d.h. sie bedarf, um wirksam in Erscheinung zu treten, des Vorhandenseins von Komplement (in wirksamer Form). Will man die trypanocide Substanz quanti tat iv bestimmen, so geschieht dies auf dem Wege, dab man die Schutz- wirkung eines derartigen Serums bei trypanosomeninfizierten M/iusen feststellt.

Nun weiB man aber aus Anaphylaxieversuchen, dab Mduseblut nicht imstande ist, einen menschlichen Amboceptor zu komplettieren. Spritzt man nun einer trypanosomeninfizierten Maus ein Serum mit absolutem Kompleluentschwund ein, so ist scheinbar die trypanocide Substanz g~nzlich verschwnnden nnd damit ebenso scheinbar der Funktionsausfall der Leber erwiesen, die diese Snbstanz produ- zieren soil In diesem Beispiel haben wir einen besonders einleuch- tenden Beweis, wie fiberlegen die physiologisch-chemische Analyse sich gerade hier dem biologischen Experiment mit seiner Viel- deutigkeit erweist. Analysieren wir die Beziehnng der ,,Leber- funktion" znr trypanociden Substanz, so kommen wir zu der Er- kl/irung, dab wir bier gar nicht die t. S. bestimmen, sondern ver- mutlich auf einem sehr komplizierten and fiberflfissigen Umv~ege nur den Komplementschwund. Geht man nun weiter der Ursache dieses Komplementschwundes nach, so erkennt man, dab auch dieser nicht das Anzeichen einer Unterfunktion der Leher darstellt oder wenigstens keineswegs darzustellen braucht, sondern einfach ein quantitafiver Ausdruck der Anwesenheit yon GaHens~nren im Blute ist. K6nnten wir diese bequem bestimmen, so brauchten wit alle diese biologischen Untersuchungesmethoden nicht mit ihrer Verlockung zu phantastischen Deutungen nnd wfirden nns an die Methode der chemischen Analyse halten, bei der derartige MiBverst~.ndnisse ausgeschlossen sind.

Mit biologischer Yersuchsanordnung khnnte man bei gleicher Logik ebensognt eine , ,Uberfunktion" der Leber nachweisen. Die Sernm,,lipase" is• n~.mlich nnter solchen Verh~ltnissen eventuell vermehrt, also: die Leber prodnziert normal die Lipase, und bier hat man eine Uberfunktion festgestellt? Tats~chlich ist abet auch dies nut ein abgeleitetesSymptom, das ebenfalls ant die Anwesen- heit yon Gallens~uren im Blute zurfickzuffihren ist. Die Gallen- s/iuren sind eben hie direkt zu fassen, treten aber indirekt in Form mannigfaltiger biologischer Ver~nderungen in Erscheinung (da sie infolge ihrer teils lyotropen, tells fS.11enden Eigenschaften einen starken EinfluB auf alle Kolloidprozesse ausiiben), deren isolierte Betrachtung stets zu falschen SchluBiolgerungen fflhren muB.

Wi r glaubell, dab gerade die zule tz t angef i ihr ten Beispiele den schlagel lden ]Beweis liefern, wie eng serologische ulld

�9 physiologisch-chemische P rob leme verkl l t ipf t sind, ulld welchen I r r t f imern m a n auf Schr i t t und T r i t t ausgesetz t ist, wenn m a n bei serologischen Frages te l lu l lgen ledigl ich mi t serologischen Methoden ulld Vorste l lul lgen ausz l lkommen versucht .

13ei e inem so kompliz ier te l l T h e m a wie dem der Ver- ~nderul lgen des B lu tchemismus bei Lebererkra l lkul lgen sind die auf t re te l ldel l P rob leme auch besollders ve rwicke l t l ) . Wi r muBten aus diesem Grunde bei der Besprechung der Be- ziehungell zwischen Serodiagnose a n d B lu t chemismus dem Ik te rus die ausgedehntere Ausff ihrung einrS~umen ulld wollen auf einige andere Beispiele, ohne aueh nur im ger ings ten auf Vol ls tSndigkei t Ansprueh zu erheben, m e h r deshalb eingehen, u m zu zeigen, dab der Ik te rus keil leswegs eine vere inzel te Ausnahme darstel l t , sondern dab sich die Bei- spiele be inahe bel iebig vermehre l l lieBen.

x) Auf die hier ebenso wie beim Diabetes auftretende Acidose des Blutes sind wit noch nicht einmal eingegangen, trotzdem auch hier eine Verschiebung der Seroreaktion nach der positiven Seite hJn stat tf indet .

Page 4: Serodiagnose und Blutchemismus

2o. MAI x922 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . I. J A H R G A N G . Nr. 21 lO43

Urdimie. Die Ur~mie hat einen entgegengesetzten Einflu13 aut den

AusfaU der Seroreaktion wie die Cholacid~mie; w~hrend beim Ikterus alle Ver~nderungen des Blutchemismus (GMlens~Luren, Cholesterin, Seifen, Acidose) die Tendenz haben, die Reaktion nach der positiven Seite zu verschieben, setzt bei der Ur~inie und den dahin tendierenden Zust~nden eine h6chst eigenartige Ver~nderung der Serumeiweil3k6rper ein, die nach der ent- gegengesetzten Seite bin wirkt. Die pathologischen Serum- beimengungen, die sich bei Ur~mie finden bzw. dieselbe direkt hervorrufen, k6nnen wir nicht isoliert einem llormalen Serum zufiigen, wie wir das bei den Versuchen mit Galle beschrieben haben. Setzt man aber ein Ur~mieserum zu einem anderen, positiv reagierenden Serum zu, so wird diese positive Reaktion zum Verschwinden gebracht oder doch nach Mal3gabe der Ver~nderungen abgeschw~cht. Es l~ge nahe, diese Ver~nderung des Ur~mieserum in seinem Gehalt an Harnsto]] zu suchen. Der Harnstoff ist n~mlich eine der am st~rksten wirksamen positiy lyotropen Substanzenl), die wir kennen und bewirkt als solche eine Abschw~chung der Komplementbindung oder Flockung, w~hrend negativ lyotrope Substanzen, z. B. Sulfate, die Flockung bzw. Kom- plementbindullg verst~rken.

Bei Anstellung quanti tat iver Versuche erkennt man aber, dab der ttarnstoff nicht der einzige K6rper sein kann; der diese lyotrope Ver~nderung bewirkt, da die in vivo be- obachteten Mengen bei kfinstlicher Zugabe keinen so stark abschw~chenden Einflul3 auf die positive Reaktion eines anderen Serum ausfiben wie etwa ein Ur~mieserum. In dem Reststickstoffanteil des Ur~mieserum, fiber dessen genauere Zusammensetzung wir noch recht wenig orientiert sind, mfissen demnach noch andere K6rper yon hervorragend lyotroper Wirkung vorhanden sein, neben dem Harnstoff.

In dieser ganzen lyotropen Verschiebung ist zweifellos eine Kompensationseinr~chtung des Organismus zu sehen: derselbe sucht auf alle Weise eine genfigende Durchblutung de*r Niere aufreehtzuerhalten und erreieht dies entgegen den vorgelegten Widerst~nden

I. dureh Erh6hung des hydrostatisehen Druckes (Herz- hypertrophie) ;

2. dutch eine ,,Verflfissigung" des Plasma. Zu dieser ,,Verfifissigung" (lyotroper Effekt) tr~gt einer-

seits die Wasseraufnahme bei (Hydr~mie~) und andererseits e ine ganz eigenarti~e Vers der Serumeiweil~k6rper, Es finder sich n~mlieh bei Ur~mie eine hochgradige Ab- weichung des ,,Eiweil3quotienten" yon der Norm: die ,,Glo- buline", oder sagen wir besser: hochkolloidalen Eiweii]k6rper, nehmen (scheinbar?) ab, die , ,Albumine" entsprechend zu. Es handelt sieh also um eine Ver~nderung, v o n d e r wir nach unseren sonstigen Kenntnissen fiber den Chemismus der Sero~ reakfion ohne weiteres annehmen mfissen, dal3 sie dem Zu- standekommen einer positiven Reaktion entgegenwirkt (siehe auch welter unten Eiweil3quotient im luetischen Liquor).

Wir k6nnen ulls leicht vorstellen, dab die beschriebenen Serumver~nderungen kompensatorische 13edeutung haben, wir k6nnen auch annehmen, daI3 sie dureh I~6rper des l~est-N, analog dem Harnstoff, bedingt sind, im Detail kann der Me- chanismus des Zustandekommens dieser Ver~nderung, die nach dem oben angegebenen Experiment eine positive WaR. aufhebt, noch nicht restlos erkl~irt werden. Soviel kann man aber jedenfalls mit Sicherheit behaupten, dab diese ]3eein- flussung der Komplementbindungsreaktion ebensowenig all der H~imolyse einsetzt wie die Chol~imie, sondern den Mgent- lichen FloekungsprozeB zwischen Serumreagin und den negativ elektriseh geladenen Extraktteilehen hemmt. Bei der Goldreaktion, bei der lediglich dieser FlockungsprozeB in Frage kommt, lassen sich kfinstlich ganz gleiche Beein-

~) wit k6nnen bier nicht n~iher auf die Bedeutung derartig ,,exzessiv lyotroper" Sub- star~en, wie ale ~. B. Harnstoff vorstellt, eingehen. ~ber die theo~etische und pml~tische Bedeutung (AuflSsung s~mflicher Bakterien inkl. Tbc.-bacillen ohne Zerst6rung des Antigencharak~ers usw.) werden wlr an anderer Stelle berichten. ~) Den Effekt h2drdmischer Ver~uderungen bei Nephrifiden k6nnen wir hler uuberiick- sichtigt lassen und verweisen wegen dieser speziellen Verh~ltnisse auf den n~chsten Ab- schnitt.

flussungen hervorrufen, ebenso wie alle iibrigen Ausflockungen kolloidaler KSrper durch Harnstoff und die AngehSrigen dieser Gruppe gehemmt werden k6nnen.

Wir brauchen unsere Untersuchungsergebnisse auf diesem interessanten Gebiet nicht welter ausffihren, das Angefiihrte genfigt wohl, um die Bedeutung ur~mischer SerumverAnde- rungen ffir eine Verschiebung der Seroreaktion klarzustellen und eine Nachprfifung zu erm6glichen. Wir werden an an- derer Stelle noch ausfiihrlich auf das bier llur Angedeutete zurfickkommen, besonders auch auf die Umstellung des Eiweil3quotienten Globulin: Albumin. Um so mehr, da die- selbe ein hSchst bedeutsames Gegenstiick in der Liquor- pathologie aufzuweisen hat. Hier l~13t sich die Diagnose einer Lues des Zentralnervensystems ev• auf rein chemisch- analytischem Wege stellen, n~mlich durch Besfimmung des Eiweil3quotienten, der bei Lues um I : I herum liegt, bei allen anderen Liquorerkrankungen viel niedriger, his auf I : IO herunter (zuerst unseres Wissens yon Mestrezat be- schrieben). Dies ist das einzige uns bekannte Beispiel, wo eine ,,Immunit~tsreaktion" durch eine chemische Analyse ersetzt werden kann, und dfirfte wohl aus diesem Grunde sehr geeigllet sein, das Augenmerk bei Immunit~tsproblemen in dieser Richtung zu lenken. Es geniigt ein Hinweis darauf, welche ]3edeutung diese Tatsache des besonderen Verhaltens des Eiweil3quotienten ffir die Theorie der WaR. haben toni3, um so mehr als auch der verschiedene Ausfall der Goldreaktion bei Lues und Nichtlues nur einen Ausdruck der Verschiedeu- heiten dieses Quotienten darstellt.

W~hrend die Serumver~nderungen bei den eigentlichen Nephritiden, die zu Urgmie fiihren k6nnen, mehr in lyotropen Umstellungen gesucht werden mfissen, kolnmen die Serum- ver~nderungen bei Nephrosen (wichtig z. ]3. in diesem Zu- sammenhang die Lipoidnephrose bei Lues!), soweit sie die Seroreaktion beeinflussen, mehr durch HydrSmie (Neigung zu Odemen) zur Geltung. Wir brauchen bier also nicht n~her darauf einzugehen, und wollen ulls gleich zum dritten Abschnitt wenden, der Beeinfiussung der Seroreaktion durch Hydrdmie.

(SchluB folgt.)

UNTERSUCHUNGEN OBER SPEZIFISCHE (v. PIRQUET) UND UNSPEZIFISCHE HAUT- REAKTIONEN NACH VON GROER-HECHT.

Von

Dr. AUGUST MOLLIE. Aus der Medizinischen Klinik zu' Rostock. (Direktor: Prof. HANS CURSCHMANN.)

Die yon GROER-HEcHTsche pharmakodynamische Cutan- impfung, eine modifizierte Pil~QUXT-Reaktion, gibt ein Bild: I. yon der Bereitschaft der HautgefgBe zur Konstriktion auf Adrenalin, 2. zur Dilatation bzw. Hyper~mie auf Morphill und 3. auf dasselbe.Mi-ttel zur Exsudation oder Lymphagopie.

Die yon GI~OEI~-HECHTSehe Arbeit und unsere eigenen Erfahrungen zeigen an zahlreichen Gesundell und Kranken, dab ein positiver Ausfall der Tuberknlin-Pirquet-Impfung weder ein sicherer Gradmesser ffir die tnberkul6se Durch- seuchung des K6rpers, noch ffir die Beschaffellheit seiner Abwehrkr~fte ist. Denn bei der diagnostischen und progno- sfischen Beurteilung der Tuberkulin-Cutanreaktion ist es unbedingt notwendig, auch den unspeziJischen Faktor der Hautbescha]]enheit und -emp]~inglichkeit in Rechnung zu steUen. Es ergab sich daraus die Auigabe, die Gr613e dieses unspezifischen Faktors der Hautbeschaffenhcit beim gesunden und kranken Menschen festzustellen.

Auf Veranlassung roll Herrn Profess6r HANS CURSCHMANN haben Dr. G~SSEL ulld ich an der Rostoeker Med. Universit~ts- Polildinik bei lO 5 Fallen yon Gesunden, Tuberkul6sen, Yon trophischen und vasomotorischen Neurosen besollders der Haut sowie endokrinen Er~rankungen Untersuchungen fiber deren unspezifischen Hautfaktor mittels der yon GROER- HECHTSchen Proben angestellt, insbesondere auch die spezi- fische Tuberkulinimpfung mit der unspezifischen pharma- kodynamischen Hautreakt inn vergliehen.