3
mth Universität Würzburg Lehrstuhl für Moraltheologie Vorlesung SS 2013/2014: Theologische Fundamentalethik 17 7. Kapitel Bestreitung der Freiheit Der Einwand des Determinismus - Freiheit gehört einerseits in unserer Gesellschaft zu den obersten Werten. Freiheit als Autonomie und Selbstbestimmung bildet das Zentrum ihrer Ideale. So wird die Freiheit aller Menschen auch in Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechte von 1948 festgehalten. - Andererseits ist mit der Absicherung der äußeren Handlungsfreiheit noch nicht garantiert, dass dem auch die innere Willensfreiheit entspricht. 1. Einwände gegen die menschliche Willensfreiheit - Behaviorismus: Ausgehend von der Erklärung allen Handelns, auch des menschlichen Handelns, durch komplexe Zusammenhänge von Reiz und Reaktion behauptet der Behaviorismus insbe- sondere Skinner nicht nur, dass sich so die gesamte Ethik erklären lässt, sondern bestreitet zu- gleich, dass es Freiheit und freies Handeln des Menschen gibt. - Soziobiologie: Alles Verhalten von Lebewesen lässt sich dadurch erklären, dass es der optimalen Verbreitung der Gene dient, die dieses Verhalten hervorbringen („Egoismus“ der Gene). Die Or- ganismen haben allein die Bedeutung, den Genen als „Überlebensmaschinen“ zu dienen. Dann aber bleibt für die Freiheit des Menschen und seines Handelns kein Raum. Freiheit scheinen wir nur deshalb und in dem Sinne zu besitzen, dass wir die eigentlichen Ursachen unseres Handelns nicht durchschauen. - Hirnforschung: Ausgehend von den „Libet-Experimenten“ bestreiten manche Hirnforscher zu- nehmend, dass es einen wirklich freien Willen gibt. Entscheidungen werden vielmehr von Gehirn bereits getroffen, bevor sie uns als unsere Willensentscheidung bewusst werden. Was in der Erste- Person-Perspektive als Freiheit erscheint, lässt sich in der Dritte-Person-Perspektive vollständig auf neuronale Tätigkeit reduzieren und daraus ableiten. Denken, Woll en, Fühlen sind „emergente Eigenschaften neuronaler Vorgänge“. Wir unterscheiden zwar Handlungen nach dem Grad ihrer Bewusstheit und rechnen die bewussten unserer Freiheit zu. In Wirklichkeit laufen Entscheidungsprozesse bereits vorher unbewusst ab. Gründe können nachträglich erfunden werden. Im Gehirn werden verschiedene äußere Anreize einem kompetitiven Prozess ausgesetzt, in dem sich das Erregungsmuster durchsetzt, das den ver- schiedenen „Attraktoren“ am besten entspricht. Es kommt wieder zu einem stabil en Zustand, der als Entscheidung des Handelnden erscheint. 2. Freiheit trotz Determinismus? 2.1 Willensfreiheit Unabhängigkeit von äußeren Gründen? - Erster Einwand gegen die Freiheit: Es lassen sich immer Gründe angeben, aus denen wir handeln und die unsere Entscheidung vollständig erklären. - Dagegen: Dass unsere Entscheidungen von Gründen bestimmt werden und geleitet sind, muss nicht die Möglichkeit von Willensfreiheit ausschließen, sondern ist die Bedingung für Freiheit. - Etwas ohne jeden Grund wählen, ist nicht Freiheit, sondern Willkür oder Zufall. Ein solches Verständnis von Freiheit liegt aber den „Libet-Experimenten“ zu Grunde. - Dass wir von etwas angezogen werden, dass wir Gründe haben, etwas zu wollen, ist noch kein Einwand gegen die Willensfreiheit. Wir können uns nur dann frei entscheiden, wenn wir Gründe haben. Freiheit besteht darin, nach Gründen zu entscheiden.

Skript 8. Kap. Bestreitung Der Freiheit 01

Embed Size (px)

DESCRIPTION

SDGLK SDFGKLN BNKL FGBKLN SFGKL SFKL SFJKL SFBKLN SADFBKL

Citation preview

  • mth

    Universitt Wrzburg Lehrstuhl fr Moraltheologie

    Vorlesung SS 2013/2014: Theologische Fundamentalethik

    17

    7. Kapitel

    Bestreitung der Freiheit Der Einwand des Determinismus

    - Freiheit gehrt einerseits in unserer Gesellschaft zu den obersten Werten. Freiheit als Autonomie

    und Selbstbestimmung bildet das Zentrum ihrer Ideale. So wird die Freiheit aller Menschen auch

    in Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechte von 1948 festgehalten.

    - Andererseits ist mit der Absicherung der ueren Handlungsfreiheit noch nicht garantiert, dass

    dem auch die innere Willensfreiheit entspricht.

    1. Einwnde gegen die menschliche Willensfreiheit

    - Behaviorismus: Ausgehend von der Erklrung allen Handelns, auch des menschlichen Handelns,

    durch komplexe Zusammenhnge von Reiz und Reaktion behauptet der Behaviorismus insbe-sondere Skinner nicht nur, dass sich so die gesamte Ethik erklren lsst, sondern bestreitet zu-gleich, dass es Freiheit und freies Handeln des Menschen gibt.

    - Soziobiologie: Alles Verhalten von Lebewesen lsst sich dadurch erklren, dass es der optimalen

    Verbreitung der Gene dient, die dieses Verhalten hervorbringen (Egoismus der Gene). Die Or-ganismen haben allein die Bedeutung, den Genen als berlebensmaschinen zu dienen. Dann aber bleibt fr die Freiheit des Menschen und seines Handelns kein Raum. Freiheit scheinen wir

    nur deshalb und in dem Sinne zu besitzen, dass wir die eigentlichen Ursachen unseres Handelns

    nicht durchschauen.

    - Hirnforschung: Ausgehend von den Libet-Experimenten bestreiten manche Hirnforscher zu-nehmend, dass es einen wirklich freien Willen gibt. Entscheidungen werden vielmehr von Gehirn

    bereits getroffen, bevor sie uns als unsere Willensentscheidung bewusst werden. Was in der Erste-

    Person-Perspektive als Freiheit erscheint, lsst sich in der Dritte-Person-Perspektive vollstndig

    auf neuronale Ttigkeit reduzieren und daraus ableiten. Denken, Wollen, Fhlen sind emergente Eigenschaften neuronaler Vorgnge.

    Wir unterscheiden zwar Handlungen nach dem Grad ihrer Bewusstheit und rechnen die bewussten

    unserer Freiheit zu. In Wirklichkeit laufen Entscheidungsprozesse bereits vorher unbewusst ab.

    Grnde knnen nachtrglich erfunden werden. Im Gehirn werden verschiedene uere Anreize

    einem kompetitiven Prozess ausgesetzt, in dem sich das Erregungsmuster durchsetzt, das den ver-

    schiedenen Attraktoren am besten entspricht. Es kommt wieder zu einem stabilen Zustand, der als Entscheidung des Handelnden erscheint.

    2. Freiheit trotz Determinismus?

    2.1 Willensfreiheit Unabhngigkeit von ueren Grnden?

    - Erster Einwand gegen die Freiheit: Es lassen sich immer Grnde angeben, aus denen wir handeln

    und die unsere Entscheidung vollstndig erklren.

    - Dagegen: Dass unsere Entscheidungen von Grnden bestimmt werden und geleitet sind, muss

    nicht die Mglichkeit von Willensfreiheit ausschlieen, sondern ist die Bedingung fr Freiheit.

    - Etwas ohne jeden Grund whlen, ist nicht Freiheit, sondern Willkr oder Zufall.

    Ein solches Verstndnis von Freiheit liegt aber den Libet-Experimenten zu Grunde.

    - Dass wir von etwas angezogen werden, dass wir Grnde haben, etwas zu wollen, ist noch kein

    Einwand gegen die Willensfreiheit. Wir knnen uns nur dann frei entscheiden, wenn wir Grnde

    haben. Freiheit besteht darin, nach Grnden zu entscheiden.

  • mth

    Universitt Wrzburg Lehrstuhl fr Moraltheologie

    Vorlesung SS 2013/2014: Theologische Fundamentalethik

    18

    2.2 Willensfreiheit Wahlmglichkeit zwischen Alternativen?

    - Aber: Die Abwgung der Grnde geschieht nach internen Gesetzen und Regeln des Gehirns.

    - Weiterfhrend: Die Form der Wahlfreiheit zwischen zwei Alternativen ist nicht die ursprngliche

    Form der Freiheit.

    - Im Blick auf die Wahlfreiheit zwischen zwei Alternativen ergibt sich nmlich folgendes Dilem-

    ma: Entweder gibt es fr die Entscheidung ein rationales Kriterium, dann folgt die Wahl mit Not-

    wendigkeit. Oder wir legen kein Kriterium zu Grunde, sondern whlen willkrlich, dann kann

    man aber auch nicht von freier Wahl sprechen, sondern nur von Willkr oder Zufall.

    Im ersten Fall ist die Wahl rational, aber auch zwingend; im zweiten Fall ist sie nicht zwingend,

    aber auch nicht rational.

    - Angesichts dieses Dilemmas: Konzept der Grundfreiheit. Dazu bereits Thomas von Aquin:

    Der Wille wird auf zweifache Weise bewegt: auf die eine Weise hinsichtlich der Ausbung des Aktes, auf die andere Weise hinsichtlich der Spezifikation des Aktes, die vom Objekt her besteht.

    Auf die erste Weise wird der Wille von keinem Objekt mit Notwendigkeit bewegt. Jemand kann

    nmlich an irgendein Objekt nicht denken und es folglich auch nicht durch einen Akt wollen.

    Aber hinsichtlich der zweiten Weise der Bewegung wird der Wille von einigen Objekten mit

    Notwendigkeit bewegt, von einigen aber nicht. ... Wenn dem Willen irgendein Objekt vorgelegt

    wird, das schlechthin und unter jeder Hinsicht gut ist, strebt der Wille mit Notwendigkeit zu die-

    sem hin, wenn er etwas will; er kann nmlich das Gegenteil nicht wollen. Wenn ihm aber ein Ob-

    jekt vorgelegt wird, das nicht in jeder beliebigen Hinsicht gut ist, wird der Wille nicht mit Not-

    wendigkeit zu jenem hingefhrt. Und weil der Mangel eines beliebigen Gutes die Bedeutung des Nicht-Guten hat, deshalb ist allein jenes Gute, das vollkommen ist und dem nichts fehlt, ein

    solches Gut, das der Wille nicht nicht wollen kann: das ist das Glck. Die anderen beliebigen ein-

    zelnen Gter knnen, sofern ihnen irgendetwas Gutes fehlt, als Nicht-Gutes aufgefasst werden:

    und gem dieser Betrachtung knnen sie vom Willen verworfen oder gebilligt werden, der sich

    auf dasselbe gem verschiedenen Betrachtungsweisen beziehen kann. (STh I-II, q. 10, a. 2)

    - Sowohl das Gut zu whlen, als auch es nicht zu whlen, hat einen rationalen Grund. Dennoch ist

    der Grund nie so, dass er den Willen zwingen kann, das Gut tatschlich zu whlen.

    - Mit dem Hinweis auf diese Grundfreiheit ist nicht gesagt, dass wir in den allermeisten Fllen von

    ueren bewussten oder unbewussten Motiven gesteuert werden. Dies ist in das Bild vom Men-

    schen zu integrieren. Es ist auch gut so, dass wir nicht alles jeweils frei entscheiden mssen.

    Andererseits ist mit der Grundfreiheit gegeben, dass wir von dem, was uns erstrebenswert er-

    scheint, grundstzlich nicht gezwungen werden knnen, es auch zu wollen. Unterschied zur Sucht.

    2.3 Willensfreiheit Fhigkeit, neue Ursachen in Gang zu setzen?

    - Weiterer Einwand: Unsere bewussten Entscheidungen, in denen wir uns von Grnden leiten las-

    sen, die wir mit unserem Geist intentional erfassen, sind aber bloe Illusion. Es sind Epiphno-

    mene der Hirnttigkeit, die aber keine reale Rckwirkung auf die Ttigkeit des Gehirns und damit

    auch nicht auf unser Handeln haben.

    - Gegeneinwnde:

    - Widerspricht unserer Selbsterfahrung, nach der wir aus intentional erfassten Grnden handeln.

    (Beispiel: Sokrates bleibt im Gefngnis aus Einsicht in Grnde und nicht, weil seine Knochen und

    Sehnen sich nicht bewegen.)

    - Ausgehend von dieser Erfahrung besteht ein erster Einwand darin, dass fr uns die Beschreibung

    aus der Erste-Person-Perspektive (Teilnehmerperspektive) unhintergehbar ist.

    In der alltglichen Kommunikation setzen wir uns immer schon als freie Subjekte voraus. Wir ap-

    pellieren an die freie Einsicht des anderen. Auch der Neurobiologe, der andere von seiner Theorie

    berzeugen will, appelliert an die freie Einsicht und setzt damit Freiheit voraus.

  • mth

    Universitt Wrzburg Lehrstuhl fr Moraltheologie

    Vorlesung SS 2013/2014: Theologische Fundamentalethik

    19

    - Ein weiterer Gegeneinwand: Die These, dass geistig erfasste Grnde keine Auswirkungen auf

    unser Gehirn und unser Handeln haben knnen, geht von einem dualistischen Menschenbild und

    einem Leib-Seele-Dualismus aus.

    Geht man von einer ganzheitlichen, hylemorphistischen Sicht des Verhltnisses von Krper und

    Geist aus, ist es mglich, den Menschen als ein Lebewesen zu verstehen, das aufgrund seiner evo-

    lutionr entwickelten Komplexitt des Gehirns wahrnehmen, denken, fhlen, wollen und mit an-

    deren in eine symbolische Kommunikation treten kann, in der man am objektiven Geist und damit auch an Wahrheit teilhaben kann.

    Damit ist aber auch die Mglichkeit geffnet, dass Grnde in die Hirnttigkeit und die Verarbei-

    tungsprozesse des Gehirns einflieen.

    - So lsst sich sagen, dass Abwgen nach Grnden zwar durch neuronale Ttigkeit realisiert wird,

    dass sich solche Entscheidungen aber nicht auf neuronale Ttigkeit reduzieren lassen.

    - Die neuronalen Prozesse sind zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung fr geistige

    Prozesse und Abwgungsvorgnge (etwa Entscheiden nach Grnden).

    3. Menschliche Willensfreiheit als bedingte und konkrete Freiheit

    - Zwischen Zufall und Zwang lsst sich Willensfreiheit also als Selbstbestimmung bzw. als Selbst-

    determination nach Grnden verstehen.

    - Menschliche Willensfreiheit ist damit immer bedingte Freiheit. Alle Vorgegebenheiten unserer

    Existenz begrenzen zwar immer unsere Freiheit, weil wir dadurch viele Mglichkeiten nicht ver-

    wirklichen knnen. Andererseits aber ermglichen diese Vorgegebenheiten und Bedingungen

    berhaupt erst eine freie Entscheidung.

    - Freiheit ist keine absolute und unbedingte Freiheit, sondern besteht darin, die Vorgegebenheiten

    zu nutzen und das Beste daraus zu machen. Keine abstrakte, sondern konkrete Freiheit.

    - In jeder Entscheidung schliet man andere Mglichkeiten aus. Man legt sich damit im Leben im-

    mer mehr auf einen Weg fest, die Festlegung bestimmt die weiteren Entscheidungen.

    - Indem man frei whlt, whlt man immer auch bestimmte Zwnge mit.

    - Festlegung muss nicht Unfreiheit bedeuten, sondern kann auch aus freier Selbstbindung hervor-

    gehen. Lebenswege knnen sich auch fr neue Mglichkeiten ffnen.

    - Man kann sich fr einen Weg entscheiden, von dem man sich zwar grere Freiheit verspricht,

    der aber in Wirklichkeit zugleich unfrei macht. Durch einzelne freie Entscheidungen kann man

    seine Freiheit bewahren oder verspielen. Und umgekehrt kann man durch vorbergehende Ein-

    schrnkungen der Freiheit grere Freiheit gewinnen.

    Meine Freiheit besteht also darin, mich in jenem engen Rahmen zu bewegen, den ich mir selbst fr jedes meiner Vorhaben gezogen habe. Ich gehe noch weiter: meine Freiheit wird umso grer

    und umfassender sein, je enger ich mein Aktionsfeld abstecke und je mehr Hindernisse ich rings-

    um aufrichte. Wer mich eines Widerstandes beraubt, beraubt mich einer Kraft. Je mehr Zwang

    man sich auferlegt, um so mehr befreit man sich von den Ketten, die den Geist fesseln.

    Igor Strawinsky