107
Dokumentation Schulmüdigkeit und Schulverweigerung Eine annotierte Bibliografie für die Praxis Zweite aktualisierte Auflage 2005 Sonja Fischer Forschungsschwerpunkt Übergänge in Arbeit

Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

  • Upload
    others

  • View
    4

  • Download
    1

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Dokumentation

Schulmüdigkeit und

Schulverweigerung Eine annotierte Bibliografie für die Praxis

Zweite aktualisierte Auflage 2005

Sonja Fischer

ForschungsschwerpunktÜbergänge in Arbeit

Page 2: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik
Page 3: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Sonja Fischer (Hrsg.)Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Eine annotierte Bibliografie für die PraxisZweite aktualisierte Auflage 2005

Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“am Deutschen Jugendinstitut e. V.München/Halle 2005

Page 4: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Der Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“ steht in einerForschungstradition des DJI, die, ausgehend von der Analyse der Über-gangsbiographien von Jugendlichen und Erwachsenen, auch die Struk-turen und Institutionen, Politiken und sozialen Folgen der Verände-rungen des Übergangssystems zum Gegenstand gemacht hat. DiesesForschungsengagement am DJI legitimiert sich nicht zuletzt aus dem imKJHG formulierten Auftrag an die Jugendhilfe, die berufliche undsoziale Integration von Jugendlichen zu fördern und dabei eine Mittler-funktion im Verhältnis zu anderen, vorrangig zuständigen und in ihrenRessourcen leistungsfähigen Akteuren wahrzunehmen.

Die annotierte Bibliografie ist im Rahmen des Projekts „NetzwerkPrävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung“ entstanden.Das Projekt Netzwerk Prävention wird gefördert durch das Bundesmi-nisterium für Bildung und Forschung: Programm „Kompetenzenfördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderemFörderbedarf“ unter Kofinanzierung durch den Europäischen Sozial-fonds.

2. aktualisierte Auflage 2005© 2005 Deutsches Jugendinstitut e. V.Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“Nockherstraße 2, 81541 MünchenTelefon: (089) 62 306 - 177Telefax: (089) 62 306 - 162

Außenstelle HalleFranckesche Stiftungen, Franckeplatz 1Haus 12/13, 06110 HalleTelefon: (0345) 68 178 - 0Fax: (0345) 68 178 - 47

Layout: Fa. datux, EbersbergDruck: Druckerei Gebrüder Geiselberger GmbH, Altötting

Page 5: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 10

(Irene Hofmann-Lun, Andrea Michel)

1 Theoretische und empirische Analysen zum ThemaSchulverweigerung

Innovative Schulen. 13Wohin geht der Trend, welche Schwerpunkte zeichnen sich ab?Annette Czerwanski

Schulversäumnisse und sozialer Ausschluss 14Christoph Ehmann, Hermann Rademacker

Störer und Gestörte. Konfliktgeschichten nicht beschulbarer Jugendlicher 17Thomas von Freyberg, Angelika Wolff

Schule – und dann? Erste Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung 19von Hauptschülerinnen und Hauptschülern in AbschlussklassenNora Gaupp et. al.

Integrative Traditionen in der Sekundarstufe? 22Porträts von vier Ostberliner SchulenChrista Händle, Bernhard T. Streitwieser

Problem Schulabsentismus. Wege zurück in die Schule 24Birgit Herz, Kirsten Puhr, Heinrich Ricking (Hrsg.)

Schule – und dann? Förderangebote zur Prävention von 29Schulabbruch und AusbildungslosigkeitIrene Hofmann-Lun et. al.

Schulmüdigkeit und Schulverweigerung. 31Die Hauptschule unter HauptverdachtIrene Hofmann-Lun, Andrea Michel

„Manchmal bin ich fix und fertig...“ 33Belastungen bei Bildungsprozessen in der GrundschuleAlfred Hössl, Andreas Vossler

Page 6: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Therapie 35chronischem SchulabsentismusBettina Lüders, Georg Romer

Schule, Stadtteil, Lebenswelt. Eine empirische Untersuchung 36Wolfgang Mack, Erich Raab, Hermann Rademacker

Schule und Jugendhilfe – Institutionen gehen aufeinander zu 38Franz Prüß

Lernangebote für schulverweigernde Kinder und Jugendliche. 39Pädagogische Probleme unter dem Anspruch von Schulpflicht und BildungsrechtKirsten Puhr

Schulabsentismus als Forschungsgegenstand 41Heinrich Ricking

Motive und Handlungswege im Umfeld von Schulabsentismus 44Heinrich Ricking

Abgeschrieben? 45Ergebnisse einer empirischen Untersuchung über SchulverweigererMaria Schreiber-Kittl, Haike Schröpfer

Unterrichtsmeidende Verhaltensmuster. 48Formen, Ursachen, InterventionenGisela Schulze

Schulaversives Verhalten – Vorstellung und erste Ergebnisse 50eines ForschungsprojektesGisela Schulze, Manfred Wittrock

Handlungsstrategien im Umgang mit Schulverweigerung – 51Versuch einer SystematisierungSteffen Uhlig

Schulverweigerung: Empirische Analysen 52zum abweichendem Verhalten von SchülernMichael Wagner, Imke Dunkake, Bernd Weiß

Schuleschwänzen und Schulverweigerung. 55Eine Herausforderung an das BildungssystemBrigit Warzecha

Page 7: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

2 Pädagogische Hilfestellungen, Leitlinien und Erfahrungsberichte

Entwicklungspotenziale Sozialer Arbeit an Schulen aus der Entwicklungs- 57perspektive der Jugendhilfeplanung in Magdeburg – Ein PraxisberichtIngo Gottschalk

Gedanken über die Entstehung einer pädagogischen Haltung 58in der Arbeit mit SchulverweigerernKatrin Hinne

Ganztagsschule als Herausforderung: 59Kooperation von Jugendarbeit und SchuleHeinz Günther Holtappels

Die Notwendigkeit von Synergieeffekten in der Kooperation 61zwischen Schule und JugendhilfeAngelika Jäckl

Schulsozialarbeit: Sozialarbeit am Ort Schule 62Katrin Kantak (Hrsg.)

Geschlechtsdifferenzierte Arbeit mit jugendlichen SchulverweigerInnen 64Andrea Mann

Zwischenwelten – Jugendliche zwischen Schule und Straße 65Arwed Marquardt

Was kann die Schule zur Vermeidung von Schulmüdigkeit tun? 67Handlungsstrategien zur Arbeit mit schulmüden und schulverweigernden JugendlichenAndrea Michel, Irene Hofmann-Lun

Schulangst. Ein Ratgeber für Eltern und Lehrer 69Wolfgang Oelsner, Gerd Lehmkuhl

Schule und Schulsozialarbeit. 71Aufgaben, Rollen, KooperationsmöglichkeitenThomas Olk, Karsten Speck

Verlauf und Prädiktoren des Schulschwänzens 73Martin Pinquart, Gowert J. Masche

Page 8: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung 75in der Kooperation von Schule und JugendhilfeFranz Prüß, Stephan Maykus

Schule kann gelingen. Wie unsere Kinder wirklich fürs Leben lernen. 77Die Helene-Lange-Schule WiesbadenEnja Riegel

Schulverweigerern Zugänge zu systematischem Lernen eröffnen 79– Das Handlungsfeld „Integration in Schule und Berufsschule“Maria Schreiber-Kittl, Haike Schröpfer

Ressourcenorientierte Ansätze in Hessens Kooperationslandschaft 80Heinz-Jürgen Stolz

Schulverdrossenheit und Schulverweigerung. 82Hintergründe und LösungsansätzeKarlheinz Thimm

Gedanken zur Schulverweigerung, zum Gewinnen und Verlieren 84und zur KonsequenzStefan Troitzsch

Denk- und Handlungsansätze für die pädagogische Arbeit 85mit schulaversiven KindernPeter Wachtel, Manfred Wittrock

3 Praxismodelle

Schulentwicklung durch Netzwerkarbeit. Erfahrungen aus den 86Lernnetzwerken im „Netzwerk innovativer Schulen und Deutschland“Annette Czerwanski (Hrsg.)

Lokale Kooperation bei der beruflichen und sozialen Integration 88benachteiligter JugendlicherHaike Förster, Ralf Kuhnke, Hartmut Mittag, Birgit Reißig (Hrsg.)

Praxisprojekte im Handlungsfeld von Schulmüdigkeit 90und SchulverweigerungIrene Hofmann-Lun, Andrea Michel, Elke Schreiber (Hrsg.)

Page 9: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Förderung schulmüder Jugendlicher. Neue Wege der Kooperation 91von Jugendsozialarbeit und Schulen in den Schulmüden-Projekten in Nordrhein-WestfalenIrene Hofmann-Lun, Nicole Kraheck

Den Schulausstieg verhindern. Gute Beispiele einer frühen Prävention 92Andrea Michel (Hrsg.)

Umgang mit Schulverweigerung. Grundlagen und Praxisberichte 94für Schule und SozialarbeitWolfgang Mutzeck, Kerstin Popp, Michael Franzke, Anja Oehme (Hrsg.)

Den Übergang bewältigen. Gute Beispiele der Förderung 96an der Ersten Schwelle von der Schule zur BerufsausbildungUlrike Richter (Hrsg.)

Innovative Schulmodelle für eine verbesserte Vorbereitung 98von Jugendlichen auf ErwerbsarbeitMareike Schmidt (Hrsg.)

Nicht beschulbar. 100Gute Beispiele für den Wiedereinstieg in systematisches LernenElke Schreiber (Hrsg.)

Praxismodelle zur sozialen und beruflichen Integration von Jugend- 102lichen: Die Preisträger des Wettbewerbs „Fit für Leben und Arbeit“Elke Schreiber, Kerstin Schreier (Hrsg.)

Lernangebote für Schulabbrecher und Schulverweigerer 103Maria Schreiber-Kittl (Hrsg.)

Berufs- und arbeitsweltbezogene Schulsozialarbeit: 105Ein Modell für die berufsübergreifenden Fortbildung von LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnenTilman Zschiesche

Page 10: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

10 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Vorwort

Für Jugendliche und junge Erwachsene mit schlechten Bildungsvoraus-setzungen sind Übergangsverläufe in Ausbildung und Erwerbsarbeit, diedurch viele Brüche und Diskontinuitäten gekennzeichnet sind, mittler-weile der Normalfall. Dabei ist für Schülerinnen und Schüler, derenschulische Karrieren aufgrund individueller Problemlagen oder gesell-schaftlich bedingter Benachteiligungen durch Misserfolgserfahrungen,Schulmüdigkeit und Schulversäumnisse geprägt sind, schon der qualifi-zierende Hauptschulabschluss – die Mindestvoraussetzung für denEinstieg in eine Berufsausbildung – häufig unerreichbar. Ihnen drohtbereits vor Beendigung der Vollzeitschulpflicht eine nachhaltigeAusgrenzung aus Bildung, Ausbildung, Erwerbsarbeit und gesellschaft-licher Teilhabe.

Der Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“ am DeutschenJugendinstitut untersucht die Lebenslagen und Lebensverläufe von„benachteiligten“ Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Schulen, imAusbildungssystem, in Betrieben, in Arbeitsmarktmaßnahmen und auchin der Arbeitslosigkeit. Im Rahmen dieses Forschungsfeldes wurde dievorliegende Publikation ausgearbeitet.

Die Beschäftigung mit der Problematik der Schulmüdigkeit und Schul-verweigerung hat sich in den letzten Jahren aufgrund alarmierenderErgebnisse aus einer Reihe von Studien intensiviert. Die Vielfalt unter-schiedlicher Begriffe und – damit verbunden – die Analyse der unter-schiedlichen Erscheinungsformen von Schulmüdigkeit und Verhaltens-muster von schulmüden und schulverweigernden Jugendlichen sowie dieFragen nach den unterschiedlichen Ursachen für dieses Verhalten prägendie Diskussion.

In einem weiteren Schwerpunkt der aktuellen Debatte wird derBildungsauftrag von Schule ins Blickfeld genommen. Aus verändertengesellschaftlichen Bedingungen ergeben sich neue Anforderungen anSchulen. Zur Frage, wie Innovationspotentiale von Schulen mobilisiertwerden können, hat insbesondere die Arbeit des Netzwerks innovativerSchulen der Bertelsmann Stiftung wichtige konzeptionelle und prakti-sche Beiträge geleistet.

Jugendsozialarbeit, deren Aufgabe die Bereitstellung von Hilfen zur sozi-alen und beruflichen Integration von Jugendlichen ist, hat sich vor rundzehn Jahren der intensiveren Förderung von schulmüden und schulver-weigernden Jugendlichen zugewandt. In einer ersten Phase erfolgte diese

Page 11: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Förderung vorrangig im Rahmen von außerschulischen Projekten, indenen die Jugendlichen „beschult“ wurden. Die Arbeitsteilung zwischenSchule und Jugendhilfe war dabei eher additiv als kooperativ.

In dem Maße, in dem die Förderung der Jugendlichen in die Schulenzurück verlagert wurde, wurden die Kooperationsbeziehungen zwischenJugendhilfe und Schule verstärkt. Diese Kooperation ist mit zahlreichenFragen und Problematiken auf verschiedenen Ebenen verbunden. Diesebetreffen sowohl die Kooperation beider Institutionen als auch diejeweiligen Rollen, die Lehrer und Sozialpädagogen darin einnehmen.Dementsprechend bilden die Kooperation Schule und Jugendhilfe, dieQualitätsentwicklung in der Kooperation, strukturelle schulbezogeneund jugendhilfebezogene Rahmenbedingungen für eine gelingendeKooperation auch den Fokus diverser Fachbeiträge.

In diesem Feld ist die Arbeit des Projektes „Netzwerk Prävention vonSchulmüdigkeit und Schulverweigerung“ angesiedelt (Weitere Informa-tionen zum Projekt sind auf der Homepage unter www.dji.de/schulmue-digkeit/ zu finden). Ziel des Projektes ist es, Praxisbeispiele im Hand-lungsfeld Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung syste-matisch zu erfassen und ein Netzwerk von Projekten aus zahlreichenBundesländern mit unterschiedlichen Arbeitsansätzen in Kooperationvon Jugendsozialarbeit und Schulen zu organisieren und zu moderieren.Im Rahmen dieses Netzwerkes werden bereits erprobte Handlungsan-sätze dokumentiert, verbreitet und weiterentwickelt. Auf diese Weisesollen die Erfahrungen und Erkenntnisse von Handlungsansätzen zurPrävention von Schulmüdigkeit und -verweigerung für ein wirksamesGegensteuern nutzbar gemacht werden. Zusätzlich wird die Wirkungs-weise präventiver Handlungsansätze auf die Bildungsverläufe vonKindern und Jugendlichen systematisch überprüft. Über Veranstaltungenund Veröffentlichungen werden die Ergebnisse dieser Entwicklungsar-beit Fachpolitik und -praxis zugänglich gemacht.

Mit der vorliegenden annotierten Bibliografie wird Praktikerinnen undPraktikern in diesem Handlungsfeld ein Überblick über aktuelle undrelevante Literatur gegeben. Im ersten Kapitel sind wissenschaftlicheBeiträge mit theoretischen und empirischen Analysen sowie Begriffsklä-rungen zum Thema Schulverweigerung zusammengestellt. Das zweiteKapitel bietet konkrete pädagogische Hilfestellungen und Leitlinien fürdie Praxis an, die mit Erfahrungsberichten aus der pädagogischen Arbeitillustriert werden. Das dritte Kapitel beinhaltet Informationen über Praxis-modelle, die mit schulmüden und schulverweigernden Jugendlichenarbeiten.

11 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 12: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

12 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Gliederung dieser Biblio-grafie nicht trennscharf sein kann. So enthalten zahlreiche Beiträgeneben den theoretischen und empirischen Analysen zur Illustration auchPraxisbeispiele. Ebenso sind die unter Kapitel II verzeichneten Abstractsmit Informationen über Praxismodelle angereichert. An dieser Stellemöchten wir den Autorinnen und Autoren des DJI danken, derenBroschüren über Praxismodelle als Vorlage für einige Abstracts inKapitel III dienten.

Die große Nachfrage nach der ersten annotierten Bibliografie und dasErscheinen neuerer Veröffentlichungen zur Thematik Schulver-weigerung, lies eine Aktualisierung und Überarbeitung ratsamerscheinen. In dieser zweiten Auflage der annotierten Bibliografie wirdeine breite Auswahl von Literatur zu unterschiedlichen Aspekten desThemenfeldes Schulverweigerung besprochen. Einundfünfzig Abstractsgeben einen Überblick über den derzeitigen Stand von Forschung undPraxis. Das Ziel besteht vorrangig darin, Praktikerinnen und Praktikerndie Betrachtung relevanter Fragestellungen und Themenschwerpunkteunter verschiedenen Blickwinkeln und Aspekten zu ermöglichen. Beson-deres Augenmerk wird hierbei auf die Literatur ab dem Erscheinungs-jahr 2000 gelegt.

Irene Hofmann-Lun, Andrea Michel

Page 13: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

1 Theoretische und empirische Analysen zum ThemaSchulverweigerung

Czerwanski, AnnetteInnovative Schulen. Wohin geht der Trend, welche Schwerpunkte zeichnen sich ab?In: Preiß, Christine; Wahler, Peter (Hrsg.):Schule zwischen Lehrplan und Lebenswelt. Zwischenbilanz zur aktuellen BildungsreformOpladen: Leske + Budrich, 2002, S. 83–102.Aus Serie: DJI-Reihe Jugend. 3ISBN: 3-8100-3107-0

Dieser Artikel untersucht vor dem Hintergrund aktueller Reforminitia-tiven die aktuellen „Bildungstrends“ der Schulen hinsichtlich der Frage,ob diese wirklich neu sind, oder ob diese eher althergebrachten Reform-wünschen entsprechen. Czerwanski sieht hier eine deutliche Zweiteilung.Einerseits gab es „tatsächliche“ Trendwenden, wie sie beispielsweise dieallgemeine Schulpflicht oder die Eingliederung von Mädchen in dasBildungssystem darstellen. Dagegen können Ansprüche wie beispielsweiseneue Unterrichtsformen und stärkere Mitbestimmung der Schüler undSchülerinnen als immer wieder verlautbarte Forderungen gelten, diejedoch innerhalb der letzten Jahrzehnte nur wenig Umsetzung gefundenhaben.

Die Autorin analysierte anhand des „Netzwerkes innovativer Schulen inDeutschland“ der Bertelsmann Stiftung Innovationsprozesse undThemen, die in der aktuellen Situation angegangen werden. VorrangigesZiel dieses Netzwerkes ist es, die Schulen als Impulsgeber der Schulreform zustärken und zu unterstützen. Außerdem soll die Kommunikation unterden Schulen gefördert werden, um auch gelungene Lösungswege, die sichin der Praxis bewährt haben, weiter zu verfolgen und den anderenSchulen bekannt zu machen. Dieses Netzwerk ist für jede Schule zugäng-lich, die ein entsprechendes Bewerbungsverfahren durchlaufen und denKriterien genügt hat. Wichtig ist vor allem, dass sich die Schule selbst alslernende Schule sieht, die die systemische Dimension von Unterrichts-,Personal- und Organisationsentwicklung anerkennt.

13 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 14: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

14 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Bei der Analyse der Innovationstrends zeigen sich vorrangig folgende fünfAspekte:- schülerorientierte Lern- und Erziehungskultur

(z. B. fächerübergreifendes Lernen, soziales Lernen)

- Öffnung der Schulen(z. B. außerschulische Projekte, Intensivierung der Elternarbeit,Zusammenarbeit mit kulturellen und internationalen Institutionen)

- Erneuerung der Kommunikations- und Organisationskultur (z. B. Teamarbeit und gemeinsame Reflexion der Arbeit von Kolle-ginnen und Kollegen bzw. Schulleiterinnen und Schulleitern)

- neue Lehrerrolle (z. B. Übertragung von mehr Selbstständigkeit bei Lernaufgaben aufdie Jugendlichen, Reflexion des schulischen Alltags)

- Unterstützung durch das Schulsystem(z. B. mehr Autonomie bei schulindividuellen Entscheidungen,Förderung der schulischen Qualitätsentwicklung sowie Nutzungpersoneller und finanzieller Ressourcen)

Czerwanski schließt mit der Feststellung, dass in den 90er Jahren nicht nurOrganisationsentwicklung, sondern auch Erziehung und Wissensvermitt-lung fokussiert wurden und fordert nunmehr eine adäquate Unterstützungdurch die Schulsysteme.

Ehmann, Christoph; Rademacker, HermannSchulversäumnisse und sozialer AusschlussBielefeld: Bertelsmann Verlag, 2003ISBN 3-7639-1844-2

Vor dem Hintergrund einer breiter werdenden öffentlichen Diskussionum das Thema „Schulverweigerung“ versuchen die Autoren diesesBuches, einen Überblick über verschiedene Perspektiven und Begrifflich-keiten sowie über alte und neue empirische Studien zu geben. Überdieswerden Vergleiche in Bezug auf die unterschiedlichen Umgangsweisen mitSchulpflichtverletzungen in den (Bundes-) Ländern bzw. Ländern inner-halb Europas gezogen. Insbesondere wird von den Autoren darauf hinge-wiesen, dass dem Problem der Schulversäumnisse in der Bildungspolitikimmer noch zu wenig Handlungsrelevanz zugesprochen wird, was letz-tendlich die Durchführung von effektiven Interventionsstrategien behin-dert. Dies liegt gemäß den Autoren vor allem am Mangel an Daten,anhand derer es möglich wäre, aussagekräftige Thesen zu formulieren.Damit ist es auch so gut wie unmöglich, das Phänomen der Schulver-

Page 15: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

weigerung mit passenden Begrifflichkeiten zu bekleiden, die zwar zurgenüge vorliegen, aber durch fehlende Belege (wie dies umfassendeStudien zu diesem Thema darstellen könnten) eher willkürlich wirken. Sovernachlässigt beispielsweise „Schuleschwänzen“ das gefährdende Potentialdes Fernbleibens von der Schule, wohingegen „Schulverweigerer“ alleindurch die begriffliche Nähe zu „Wehrdienstverweigerer“ eine Legitimität desFehlens vom Unterricht suggeriert. „Schulmüdigkeit“ legt den Fokus haupt-sächlich auf eine animierende Schule, in der Müdigkeit gar nicht erstaufkommt.

Gemäß den Autoren haben sich vor allem die Vertreterinnen undVertreter der Sonderpädagogik um ernsthafte begriffliche Erklärungsver-suche bemüht. Hier wird – ohne Schuldzuschreibungen – von einer„Nicht-Passung“ schulischer Angebote einerseits und den Bedürfnissen derSchülerinnen und Schüler andererseits ausgegangen. Zumeist wird der vonSchulze und Wittrock geprägte Begriff des „schulaversiven Verhaltens“verwendet, der allerdings neben dem Fernbleiben von Schule auchpassives Unterrichtsverhalten umfasst. Des Weiteren existieren nochBegriffe wie „Schulabsentismus/schuldistanziertes Verhalten“ oder „Schulver-säumnisse“ bzw. „Schulpflichtverletzungen“. Letztgenannte kommen vorallem dem bildungspolitischen Aspekt des Fernbleibens von der Schuleentgegen. Die Autoren heben hervor, dass diese unterschiedlichenBegrifflichkeiten bestimmte Bewertungs-, Deutungs- und Handlungs-muster der jeweiligen Institutionen und fachlichen Bereiche sowohl reflek-tieren als auch unterstützen.

Bei dem Vergleich von empirischen Studien gehen Ehmann und Radem-acker auf folgende ein: die im Schuljahr 2001/2002 durchgeführtenlandesweiten Erhebungen in Mecklenburg Vorpommern und Berlin, dieStudien des Deutschen Jugendinstitutes (Schreiber-Kittl, Reißig), dieUntersuchungen des Kriminologischen Forschungsinstitutes Nieder-sachsen (1998), eine unveröffentlichte Studien im Schulamtsbezirk Magde-burg, die PISA-Studie und die Untersuchung zu schulaversivem Verhaltenvon Schulze und Wittrock (1999). Bei einem Vergleich kommen dieAutoren u. a. zu dem Schluss, dass die Schätzungen hinsichtlich der Schul-versäumnisse divergierten, je nachdem ob diese von Lehrerinnen undLehrern oder anderen Beobachterinnen und Beobachtern dokumentiertbzw. geschätzt wurden. Des Weiteren scheinen sich Schulpflichtverlet-zungen bei Jungen negativer auszuwirken als bei Mädchen. Die Autorenschließen das daraus, dass laut den Ergebnissen der empirischen Studienungefähr gleich viele Mädchen und Jungen schwänzen. Die Schulversäum-nisse von Jungen werden jedoch weitaus öfter dokumentiert und Jungensind zudem auch häufiger in den Schulverweigererprojekten vertreten. Esexistieren außerdem hinsichtlich der Häufigkeit der Schulverweigerung

15 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 16: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

16 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern, wobei diese Unter-schiede nicht an den jeweiligen divergierenden Bildungspolitiken festge-macht werden können. In einem historischen Vergleich mit einer Studievon Klauer von 1959/1960, die also etwa 40 Jahre zurückliegt, konnte –anders als es die aktuelle Debatte und das Thema vermuten lässt – keineZunahme der Schulversäumnisse festgestellt werden.

Um eine Durchsetzung der Schulpflicht in Deutschland zu gewährleisten,werden Bußgeldverfahren eingeleitet oder auch zeitweilige Ausschlüssevom Unterricht verhängt. Der Einsatz und die Höhe der jeweiligenMaßnahmen divergieren zwischen den Bundesländern. Im pädagogischenBereich existieren Schulverweigererprojekte der Jugendhilfe, in denenJugendliche alternativ beschult werden und es Ihnen zugleich ermöglichtwird, Abschlüsse nachzuholen. Darüber hinaus arbeiten Jugendhilfe undSchulen zusammen und unternehmen den Versuch, schuldistanzierteJugendliche wieder in das Schulsystem zu reintegrieren. Ein weitererTypus von Projekten bemüht sich, präventiv zu agieren und damit Jugend-liche erst gar nicht aus dem Schul- und Klassenzusammenhang heraus-fallen zu lassen.

Innerhalb der europäischen Länder existieren unterschiedliche Umgangs-weisen mit Schulversäumnissen. Während in England den Schulen finan-zielle Zuschüsse gewährt werden, um Schulprogramme zu verwirklichen,die eine stärkere „Besucherquote“ versprechen, werden in Schweden dieSchulen angewiesen, individuelle Lösungsansätze für entsprechend gefähr-dete Schülerinnen und Schüler zu entwerfen. Österreich hingegen setztauf eine Zusammenarbeit mit Jugendamt und Schulpsychologinnen undSchulpsychologen.

Im letzten Kapitel bieten die Autoren zu der aufgeworfenen ProblemlageHandlungsempfehlungen an. Am Anfang steht hierbei als Basis das sofor-tige Erfassen der Schulversäumnisse (entschuldigtes und unentschuldigtesFehlen). Dies ist zentral, da dadurch sowohl Kontrolle als auch Evaluationstattfinden kann. Eine möglichst rasche Reaktion seitens der Schule aufdas Nichterscheinen der Jugendlichen im Unterricht ist pädagogischnotwendig, um verbindliche Normen, die im erwachsenen Leben selbst-verständlich sein sollten, einzuführen. Des Weiteren können damit auchzum Schutz der Jugendlichen gefährdende Situationen leichter kontrolliertwerden. Aus ordnungspolitischer Perspektive sollten auch ein oder zweiTage „Schwänzen“ nicht toleriert werden. Ein weiterer wichtiger Aspektbetrifft die Entwicklung von attraktiven Schulprogrammen und dem stär-

Page 17: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

keren Einbezug der Schule in den Sozialraum. Ehmann und Rademackerbetonen die Wichtigkeit der Durchsetzung der Schulpflicht vor allem imHinblick auf persönlicher Entfaltung und Emanzipation für Jugendlichegerade aus benachteiligten Schichten.

Dieser Beitrag von Ehmann und Rademacker liefert einen Überblick überin der wissenschaftlichen Literatur verwendeten Begrifflichkeiten sowieüber zahlreiche Studien. Hervorzuheben sind hierbei auch die von denAutoren unternommenen historischen und internationalen Vergleiche,auch wenn die einzelnen Studien – teilweise – sehr kurz abgehandeltwerden.

Freyberg, Thomas von; Wolff, AngelikaStörer und Gestörte.Konfliktgeschichten nicht beschulbarer JugendlicherFrankfurt am Main: Brandes & Apsel, 2005, Band 1ISBN: 3-86099-813-7

Das Frankfurter Institut für Sozialforschung und das Institut für analyti-sche Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Frankfurt, beforschenim Rahmen des gemeinsamen Projektes „Konflikte dissozialer Jugend-licher“ institutionelle und individuelle Konfliktfaktoren bei schulverwei-gernden Jugendlichen. Die Autoren beschreiben durch psychoanalyti-sches und soziologisches Fallverstehen, welche komplexen Interaktionenund individuellen Beziehungsmuster die Konfliktmuster zwischenJugendlichen und Institutionen fördern bzw. zum Eskalieren bringen.

Mit der Analyse von Einzelfällen ausgesuchter schwerer Formen schul-verweigernder Jugendlicher werden die Konflikte entlang psychoanalyti-scher und soziologischer Konzepte analysiert. Die zugrunde liegendeHauptthese lautet, dass die Jugendlichen hartnäckig versuchen, ihredestruktiven Beziehungsmuster, die oftmals durch frühere traumatischeErfahrungen erworben wurden, auch im Kontakt mit Schule bzw. mitSozialpädagoginnen und Sozialpädagogen durchzusetzen. Für Institu-tionen bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist es meist sehr schwierig,sich diesen von den Jugendlichen reinszenierten Beziehungsmustern zuentziehen, um dann damit brechen zu können. Somit „antworten“ dieErwachsenen innerhalb der von den Jugendlichen heraufbeschworenenBeziehungsmuster, und eine „Macht-Ohnmacht“-Spirale wird in Ganggesetzt.

17 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 18: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

18 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Was den Umgang mit solchen Jugendlichen für pädagogische Fachkräfteso schwierig gestaltet, ist die Tatsache, dass die Jugendlichen in ihnendurch Gegenübertragung die Angst- und Ohnmachtgefühle, die sieselbst haben, auslösen. Zudem treten sie ihren potentiellen Helferinnenund Helfern meist sehr autonom, selbstständig und nicht hilfebedürftiggegenüber. Ohne ein eingehendes Verstehen dieses Beziehungsmusterswerden diese Jugendlichen von Institutionen und Professionellen abge-wiesen, weitergereicht und schließlich aufgegeben.

Von Freyberg und Wolff betonen die Notwendigkeit der Beachtung vonmehreren Faktoren bei der Arbeit mit diesen schwierigen Fällen schul-verweigernder Jugendlicher: Erstens ist es wichtig, eine kontinuierlicheinstitutionelle Betreuung des Jugendlichen zu sichern. Wenn der Jugend-liche von Institution zu Institution, von Maßnahme zu Maßnahme (wiedas in der Praxis der Fall ist) gereicht wird, ist das Scheitern und Miss-verstehen seines Falles vorprogrammiert. Zudem ist eine Kooperationzwischen Schule, Jugendhilfe und Eltern unabdingbar. VerschiedenePerspektiven interdisziplinärer Zusammenarbeit ermöglichen ein umfas-senderes Verständnis des Jugendlichen und sind zudem bei der Reflexiondieser äußerst diffizilen Beziehungsstrukturen sowie der damit einherge-henden unterbewußt „aufgezwungenen“ Handlungsmuster notwendig.Mit einer interdisziplinären Kooperation kann auch dem Risiko einerstrukturellen Verantwortungslosigkeit entgegengetreten werden.

Nirgends scheint sich eine Kooperation mit den Eltern dermaßenproblematisch zu gestalten wie mit schwierigen Jugendlichen – nirgendsscheint sie jedoch so notwendig, um erfolgreich pädagogisch operierenzu können. Die seitens der Schule geforderte „Zuarbeit“ der Eltern liegtmeist außerhalb der in der Familie zur Verfügung stehenden Ressourcen.Hier kann und muss eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit sozialpä-dagogischen Kräften angestrebt werden. Der vierte Aspekt betrifft dasBemühen der Institutionen um ein adäquates Fallverstehen. Von Frey-berg und Wolff mussten im Rahmen ihrer Falluntersuchungen fest-stellen, dass erst das Zusammentreffen schwieriger Jugendlicher ausproblematischen Familien mit schlecht ausgerüsteten Institutionen(Kindergarten, Schule, Jugendamt, Erziehungshilfe etc.) ein „Eskalieren“der negativen Lern- und Schulkarrieren beschleunigte. Einseitige Schuld-zuweisungen an Familien sind somit nicht nur wenig sinnvoll, sondernauch schlichtweg falsch, und struktureller Verantwortungslosigkeit wirdzudem Vorschub geleistet.

Besonders interessant ist die Perspektive eines psychoanalytisch-soziolo-gischen Fallverstehens. Damit legen die Autorin und der Autor einenBeitrag vor, der es erlaubt, dem Scheitern beim scheinbar adäquaten

Page 19: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Umgang mit schulverweigernden Jugendlichen auf den Grund zu gehen,und die institutionellen Fehlstrukturen in Frage zu stellen. Geplant istein zweiter Band (Erscheinungsjahr: 2006), der aufbauend auf denErkenntnissen des vorliegenden Bandes Handlungsstrategien aufzeigensoll.

Gaupp, Nora; et. al.Schule – und dann? Erste Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung von Hauptschülerinnen und Hauptschülern in AbschlussklassenForschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“München/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2004

Diese Broschüre stellt erste Ergebnisse einer bundesweiten Längs-schnittuntersuchung von Hauptschülerinnen und Hauptschülern sowieGesamtschülern des Hauptschulzweigs ab ihrem ersten Schulbesuchsjahrvor. Die Untersuchung ist von 2004 bis 2006 angelegt und wird amDeutschen Jugendinstitut durchgeführt. Sie soll unter anderemAufschluss darüber geben, welche Übergänge von der Schule in denBeruf sich bei Jugendlichen mit schlechteren Startchancen finden lassen,wie sie auf diese Übergänge vorbereitet werden und welche Übergangs-hilfen sie positiv nutzen können.

Die hier veröffentlichten Ergebnisse der ersten Befragungswelle gebeneinen Einblick in die persönliche, schulische und berufsbezogene Situa-tion der Jugendlichen in ihrem letzten Schulbesuchsjahr. Es werdenEinstellung zu Schule, Unterstützung durch das Elternhaus, beruflichePläne und diesbezügliche Aktivitäten, Belastungen mit Problemen undgesundheitliche Beeinträchtigungen beschrieben. Die Ergebnisse werdendurch zahlreiche Grafiken illustriert.

Die befragten Schülerinnen und Schüler stammten vornehmlich ausSchulen, die mit innovativen Angeboten Unterstützung leisten. Insge-samt wurden 3.922 Jugendliche in den Abschlussklassen befragt, wovon57 % männlich und 43 % weiblich waren. Von den beteiligten Jugend-lichen waren 56 % 15 oder 16 Jahre alt. Mehr als die Hälfte derBefragten (53 %) wies einen Migrationshintergrund auf.

19 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 20: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

20 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Gut ein Drittel der Jugendlichen hat bereits einmal eine Klasse wieder-holt, 7 % sogar mehrmals. Jungen waren deutlich öfter als Mädchen mitdiesem Problem konfrontiert; der Migrationshintergrund schienhingegen keine Rolle zu spielen.

In den letzten zwei Wochen ganze Tage geschwänzt zu haben, gaben 11 %der Befragten an. Aussagen zum Klassenklima machen deutlich, dass sichder überwiegende Teil der Jugendlichen (91 %) gut mit ihren Klassenka-meraden versteht. Die Schülerinnen und Schüler fühlten sich von ihrenLehrkräften ernst genommen (81 %). Auch gab die Mehrzahl an, gernein die Schule zu gehen (61 %), sowie sich für die Fächer zu interessieren(66 %).

Auf regelmäßige familiäre Unterstützung bei Hausaufgaben konnten nurweniger als die Hälfte der Jugendlichen (43 %) zurückgreifen. Dies trafnoch seltener auf Jugendliche mit Migrationshintergrund zu.

Bei den Plänen der Jugendlichen für die Zeit nach der Schule tretendeutliche Geschlechtsunterschiede zutage. Knapp die Hälfte allerJugendlichen (47 %) gab an, nach der Schule eine Ausbildung absolvierenzu wollen, dies waren 52 % der männlichen und 41 % der weiblichenJugendlichen. Etwa ein Viertel aller Befragten plante, eine weiterfüh-rende Schule zu besuchen (24 %). Diese Alternative wurde von weib-lichen Jugendlichen und Jugendlichen mit Migrationshontergrund deut-lich stärker präferiert. Die mit 14 % drittgrößte Gruppe strebte denBesuch eines berufsvorbereitenden Angebotes an. Wenige Schülerinnenund Schüler (6 %) wussten noch nicht, was sie nach der Schule machenwollen.

Es zeigte sich, dass sich der Großteil der Befragten bereits um einenAusbildungs- bzw. Arbeitsplatz beworben hatte (Bewerbung: 62 %; davonmehrere Bewerbungen: 47 %). Jeweils etwa zwei Drittel der Schülerinnenund Schüler berichteten, dass sie die Erstellung der Bewerbungsunterlagensowie das Einüben von Bewerbungsgesprächen gemeinsam mit ihren Lehr-kräften durchführten. Eltern waren hierbei vergleichsweise wenig mitein-bezogen: beim Üben von Bewerbungsgesprächen erhielten knapp einFünftel Unterstützung durch die Eltern, bei der Erstellung von Bewer-bungsunterlagen weniger als ein Drittel.

Praktika sind ein wichtiges Feld, in dem die Schule unterstützend aktivwerden kann. Hier wird den Jugendlichen die Möglichkeit geboten, sichin verschiedenen beruflichen Feldern auszuprobieren und ihre Vorstel-lungen und berufsbezogenen Kompetenzen zu überprüfen. Von denBefragten haben fast alle (96 %) im Verlauf ihrer Schulzeit bereits ein

Page 21: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Praktikum absolviert. Für die Qualität der Praktika spricht die Tatsache,dass über die Hälfte dieser Jugendlichen angegeben hat, dass ihnen dasPraktikum für die Berufswahl sehr geholfen hat; 29 % gaben an, dass esihnen immerhin etwas geholfen hat. Verglichen mit anderen Aktivitäten,an denen die Jugendlichen in der Vorbereitung auf die Berufswahl teil-genommen haben, wie etwa Besuchen im BIZ oder beruflichenEignungstests, bekommen die Praktika die besten Bewertungen.

Die Schülerinnen und Schüler haben für die Zeit nach der Schule größ-tenteils Pläne entwickelt und erhalten bei ihrer Berufsorientierung auchUnterstützung durch die Schule. Ihrer beruflichen Zukunft jedochblickten sie relativ skeptisch entgegen. So gaben 41 % der Befragten an,dass sie unsicher seien, was ihre Zukunft nach Beendigung der Schulebetrifft.

Dass Hauptschülerinnen und Hauptschüler größeren Benachteiligungenunterworfen sind, belegt auch die Tatsache, dass die befragten Jugend-lichen mit zahlreichen Problemen und gesundheitlichen Belastungen zukämpfen haben, wie finanziellen Probelemen (21 %), Krankenhausauf-enthalten (28 %) oder dauerhaften Auseinandersetzungen mit Gleichal-trigen bzw. Eltern (29 % bzw. 32 %). Letzteres betrifft vor allemMädchen. Jungen gaben mehr Probleme mit Gericht/Polizei und Schlä-gereien (Gericht/Polizei: 23 %; Schlägereien: 21 %) an. Betrachtet manzusätzlich die gesundheitlichen Belastungen der Jugendlichen, wird deut-lich, dass die Befragten einer problembelasteten Gruppe angehören.Relativ viele Jugendliche leiden unter Einschlafstörungen (42 %), Kopf-schmerzen (36 %) oder Magenschmerzen (30 %). Von gesundheitlichenProblematiken sind Mädchen deutlich stärker betroffen als Jungen.

Ergebnisse aus den weiteren Untersuchungswellen, die in halbjährlichenAbständen stattfinden, werden Aufschluss darüber geben, welche Wegedie Jugendlichen durch das Ausbildungs- und Berufssystem gehenwerden.

21 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 22: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

22 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Händle, Christa; Streitwieser, Bernhard T.Integrative Traditionen in der Sekundarstufe?Porträts von vier Ostberliner SchulenHamburg: Verlag Dr. Kovac, 2002ISBN: 3-8300-0946-1

Das Buch von Händle und Streitwieser setzt sich mit den Unterschiedenbzw. den Vor- und Nachteilen des Schulsystems in der DDR und derBRD auseinander. Dazu untersuchen die Autorin und der Autor Schulenin einem Ostberliner Bezirk. Die Hauptuntersuchung fand in den Jahren1999/2000 statt; zu einem Zeitpunkt an dem die dort tätigen Lehrkräftezumeist bereits seit sieben Jahren im Bildungs- und Schulsystem, derBRD unterrichteten.

Die zentrale Problemstellung, die der Untersuchung von Händle undStreitwieser zugrunde liegt, ist Kontinuität und Wandel bei der Einstellungund Arbeitsweise der Lehrkräfte, die von dem integrativen Schulsystemder DDR in das selektive Schulsystem der BRD wechselten. Fragen, diesich daraus ergeben, betreffen das pädagogische, fachliche und sozialeVerständnis und Engagement der Lehrkräfte und wie sich dies in derUmsetzung im Unterricht zeigt.

Zudem interessieren sich die Autorin und der Autor dafür, wie das neueSchulsystem in den privaten Alltag der Lehrkräfte eingreift und welcheKonsequenzen im persönlichen Empfinden für die betroffenen Lehr-kräfte daraus entstehen. Die Autorin und der Autor bedienten sich zurBeantwortung dieser Fragen eines Methodenmixes von Befragungen derLehrkräfte (100 wurden interviewt, 20 porträtiert), Beobachtungen(Unterricht, Pausenhöfe, Cafeterien), Dokumentenanalysen (Bilder,Texte der Jugendlichen etc.) sowie Gesprächen mit Schülerinnen undSchülern.

Die Autoren halten fest, dass seitens der Lehrkräfte und Schulleitungenzwar die Kontrolle und politische Disziplinierung in der DDR bemän-gelt wird. Hinsichtlich der pädagogischen, integrativen und sozialenAspekte wird das Schulsystem der DDR jedoch dem der BRD gegen-über als überlegen angesehen. So wird kritisiert, dass der sozialenBetreuung der Schülerinnen und Schüler durch die größeren Klassen-stärken sowie durch die höhere Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräftebei Weitem nicht mehr so engagiert nachgekommen werden kann. Dadie Lehrkräfte nicht nur die Bildungsvermittlung, sondern auch dieErziehungsfunktionals zentrales Moment ihrer Arbeit sehen, beklagen

Page 23: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

sie die fehlende Zeit für Schüler-Lehrer-Gespräche sowie die individuelleBezugnahme zu den einzelnen Jugendlichen. Gerade die seit der Wendevermehrt auftretenden Probleme der Jugendlichen können pädagogischnur schwer aufgefangen werden. Zudem ist die Chancengleichheit derJugendlichen und Kinder durch das selektive Schulsystem stark beein-trächtigt. Hinzu kommt die Diskriminierung der Schülerinnen undSchüler im Ausbildungs- und Berufsmarkt, die ihre Abschlüsse an status-niedrigeren Schulen erworben haben.

Hinsichtlich der eigenen Leistung tritt ein starkes professionelles Selbst-bewusstsein zu Tage. Im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegenim Westen stellen die befragten Lehrkräfte bei sich vermehrt Disziplin,Pünktlichkeit und berufliches Engagement fest. Um so demütigenderwird die schlechtere Bezahlung im Osten empfunden. Bedauert wirdaußerdem, dass den höheren Anforderungen gerade im sozialen Bereichunter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr nachgekommenwerden kann. Insgesamt werden auch die Leistungsstandards und -ergebnisse – vor allem in den Naturwissenschaften – in der DDR höhereingeschätzt. Die Lehrkräfte monieren des Weiteren, dass die freierenLehrpläne arbeitsintensiver wären und zudem die Einheitlichkeit imWissensbestand der Schülerinnen und Schüler unterlaufen würden. DieSchulbücher werden als gestalterisch ausgereifter, dagegen jedoch alsunsystematisch und mangelhaft bezüglich gewohnter fachlicher Stan-dards beurteilt.

Beklagt wird auch die verstärkte Schüler- und Elternpartizipation amwestlichen Schulmodell. Die als „übertriebene Neigung zur Kritik“wahrgenommene Schülerbeteiligung wird von den Lehrkräften alsschwierig empfunden.Genauso bedeutet es für die Lehrerinnen undLehrer einen höheren Arbeitsaufwand, wenn sie ihre Arbeit aufgrundder Kritik von Eltern rechtfertigen müssen.

Für die Eltern bedeutet das Schulsystem der BRD weniger Unterstüt-zung. Dies macht sich nicht nur durch ein fehlendes Angebot anMittagsmahlzeiten, Schulärzten und Ferienbetreuung bemerkbar,sondern auch in der mangelnden Kontinuität von Lehrer-Schüler-Bezie-hungen.

23 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 24: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

24 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Herz, Birgit; Puhr, Kirsten; Ricking, Heinrich (Hrsg.)Problem Schulabsentismus. Wege zurück in die SchuleBad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt, 2004

Mit diesem Sammelband legen die Herausgeber ein Buch vor, das denaktuellen Stand der Forschung zum Thema Schulabsentismus umfassenddarstellt. Durch die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Diszi-plinen wird ein fachlich breites Spektrum gewährleistet. Dieser Sammel-band geht auf die Initiative des inzwischen seit fünf Jahren arbeitendeninterdisziplinärenArbeitskreis „Schulverweigerung – Schulabsentismus“zurück. Im Rahmen dieses Arbeitskreises setzen sich Fachkräfte aus denBereichen Sonderpädagogik, Sozialpädagogik, Psychologie und Sozio-logie unter der Koordination von Manfred Wittrock intensiv mit der Frageauseinander, weshalb Jugendliche dem Schulalltag entfliehen. ErklärtesZiel des Bandes ist es, durch einen interdisziplinären Dialog diekomplexen Zusammenhänge von Schulmüdigkeit und Schulver-weigerung aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren und die derzei-tige Heterogenität der Herangehensweisen, Interpretationsziele undHandlungsstrategien aufzuzeigen.

Da jeder Beitrag für sich bedeutend für den aktuellen Forschungsstandzur Schulverweigerung ist, wird im Folgenden ein kurzer Überblick überdie einzelnen Beiträge gegeben.

Herz beschreibt in „Kritische Anmerkungen zur Bildungssituation in Deutsch-land“, inwieweit eine „Chancengleichheit“ im Bildungssystem für Jugend-liche aus sozial und finanziell schlechter gestellten Familien immer nochUtopie zu sein scheint. Fehlender Chancengleichheitwird seitens derSchule nicht ausgleichend begegnet, sondern durch diese vielmehr –beispielsweise durch Schüler-Lehrer-Interaktionen oder das dreigliedrigeSchulsystem – zementiert.

Schulze und Wittrock stellen in „Unterrichtsabsentismus als Signal – Unter-richtsabsentismus als Signal zum (sonder-)pädagogischen Handeln?“ Ergebnissedes Forschungsprojektes „Schulaversive Verhaltensweisen bei Kindernund Jugendlichen“, das von 1998 bis 2002 durchgeführt wurde, vor. Eswerden in diesem Beitrag Begriffserklärungen hinsichtlich der verschie-denen Auftretensformen von „Unterrichtsabsentismus“ vorgelegt sowieInterventionsstrategien auf den unterschiedlichen Ebenen Familie,Schule, Klasse vorgestellt. Als übergreifenden Weg plädieren Autorinund Autor für ein interdisziplinäres Zusammenarbeiten in einem inte-grativ ausgerichteten Schulkonzept.

Page 25: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Thimm und Ricking erörtern in „Begriffe und Wirkungsräume“ die Vielzahlder in der Bundesrepublik verwendeten Begriffe, um das PhänomenSchulversäumnisse zu beschreiben und zu analysieren. Durch dieBegriffsvielfalt ist ein Vergleich von Forschungsstudien schwer möglich.Die theoretisch abgeleiteten und/oder praktisch erarbeiteten Konzep-tionen des interdisziplinären Forschungsfeldes widersprechen dabeioftmals einander.

Hegeler und Rademacker kritisieren in „Schulversäumnisse und die Wahrneh-mungsprobleme der Schulverwaltung oder: wie man lernte Schulversäumnisse zufürchten“ die in den verschiedenen Bundesländern unterschiedliche admi-nistrative Umgangspraxis mit Schulverweigerern. Dies betrifft bereits die(Nicht-)Erfassung von Schulversäumnissen und zieht sich hin bis zurgesetzlichen Regelung bzw. zum Ahnden von Schulverweigerung alsOrdnungswidrigkeit. Anhand des Schulprojektes in Bremen verweisendie Autoren auf ein positives Modell, das wirkungsvolle schulische undadministrative Maßnahmen im Umgang mit Schulverweigerern aufzeigt.

Gallschütz und Puhr informieren in ihrem Beitrag „Schulabsentismus als indi-viduelle Strategie zur Bewältigung von Problemlagen“ über ihre in Sachsen-Anhalt durchgeführte Einzelfallanalyse, die sie anhand von leitfadenge-stützen Interviews mit 21 Jugendlichen vornahmen, um Belastungsfak-toren und subjektive Befindlichkeiten der Jugendlichen zu untersuchen.Die zugrunde liegende These dieses Forschungsvorhabens postuliert,dass das Fernbleiben vom Unterricht als eine für die Jugendlichensubjektive Problemlösungsstrategie angesehen werden kann. Die Ergeb-nisse erlauben eine präzise Differenzierung ihrer Bewältigungs- undProblemlösungsstrategien.

Kiy und Schulze stellen „Empowerment-Konzepte als elternzentrierte Angebote beidrohendem Schulabsentismus“ in ihrem Beitrag in den Vordergrund. Ausge-hend von einer Pilotstudie der Universität Bremen entwickeln dieAutoren ein Konzept der Elternarbeit auf Basis des Empowerment-Konzeptes. Eltern schulverweigernder Jugendlicher sollen hierbei nichtnur in den Prozess der Wiedereingliederung einbezogen, sondern inihrer Sozial- und Alltagskompetenz unterstützt werden.

Puhr erläutert in „Pädagogisch motivierte Handlungsansätze auf der Grundlagevon Schulpflicht und Bildungsrecht“ verschiedene Handlungsansätze zurFrage, wie Schule mit schulverweigernden Schülerinnen und Schülernverfährt. Die Autorin hinterfragt kritisch die Thematik aus den Blickwin-keln der Schulpflicht sowie des Bildungsrechts und der Förderungs-pflicht. Ausgehend von dem pädagogischen Ansatz, dass Schulver-

25 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 26: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

26 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

weigerung für die Jugendlichen eine Strategie darstellt, individuelleProblemlagen zu lösen, diskutiert Puhr Möglichkeiten und Grenzen, dieSchulpflicht bei allen Schülerinnen und Schülern durchzusetzen.

„Schulschwänzen und sozialer Ausschluss“ von Ehmann und Rademacker bein-haltet Forschungsergebnisse ihrer 2003 publizierten Untersuchung zuSchulabsentismus. Die Handhabungen auf administrativen und bildungs-politischen Ebenen in den einzelnen Bundesländern sind nicht nuruneinheitlich, sondern zeugen zumeist von einer Hilflosigkeit bzw.einem mangelnden Problembewusstsein gegenüber dem Thema. DieAutoren leiten anhand ihrer Studie Vorschläge ab, wie Schulbehörden inder Bundesrepublik Deutschland Bildung und Schulpflicht fordern undfördern können.

Caspar-Jürgens verweist in ihrem Beitrag „Temenos-Lerngruppen – Herausfor-derung für Eltern“ anhand des Projektes „Temenos“ in Bayern auf Alter-nativen zu den traditionellen Lernsystemen in Grundschulen. Grund-pfeiler des Projektes „Temenos“ sind eine gleichberechtigte Zusammen-arbeit von Eltern und Lehrkräften sowie eine Ausrichtung des Unter-richts an die Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler. Konkretbedeutet dies, dass Lehrpläne an den Interessen und Bedürfnissen derKinder sowie deren Eltern ausgerichtet werden und Eltern bzw. derhäusliche Rahmen der Kinder als Lernort eingesetzt werden können.Die Autorin veranschaulicht im Rahmen von Praxisbeispielen dasZusammenwirken aller Beteiligten bei „Temenos“.

In „Handlungsebenen und Handlungsstrategien für die Arbeit mit Schuldistan-zierten“ zeigt Thimm Möglichkeiten und Zugänge auf, die sich in derschulischen und außerschulischen Arbeit mit schulverweigerndenJugendlichen bieten. Der Autor sieht als Voraussetzung für eineadäquate Betreuung der Jugendlichen die Notwendigkeit einer passge-nauen Zielgruppenanalyse der Betroffenen, um dann die Vielfalt der sichbietenden Optionen an Handlungsalternativen und Betreuungsmöglich-keiten auszunutzen. Thimm beschreibt in seinem Beitrag stichpunktartigdie Merkmale einer Zielgruppenbestimmung und stellt differenziert dieverschiedenen Handlungsbereiche und Handlungsebenen von der Schuleund Jugendhilfe bis hin zu Familie und Schulverwaltung dar.

Hofmann-Lun und Michel stellen in „Handlungsansätze im Praxisfeld Schulmü-digkeit und Schulverweigerung“ eine im Rahmen des am Deutschen Jugend-instituts (DJI) durchgeführten Forschungsprojektes „Netzwerk Präven-tion von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung“ entwickelte Typologieder Arbeit mit schulmüden und schulverweigernden Kindern undJugendlichen vor. Der Beitrag beinhaltet eine Beschreibung der Ansätze

Page 27: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

„Frühe Prävention“, „Förderung abschlussgefährdeter Jugendlicher“ sowie „Außer-schulische Förderung“, die mit bewährten Beispielen aus der Praxis illustriertwerden.

„Schulische Qualitätsstandards bei Schulabsentismus“ beinhaltet die vonRicking, Thimm und Kastirke aufbereitete Zusammenstellung von schuli-schen Qualitätsstandards, die im Rahmen der Arbeitsgruppe „Schulab-sentismus/Schulverweigerung“ erarbeitet wurden. Der Beitrag stelltdifferenziert und stichpunktartig die Faktoren der einzelnen organisato-rischen Ebenen dar, die es gilt bei präventiven bzw. interventivenEingriffen zur Vermeidung von Schulabsentismus zu beachten. Dieaufgezählten Qualitätsmerkmale betreffen u. a. methodische und didakti-sche Unterrichtsgeschehnisse, Klassenklima, Verhalten von Schulleitungsowie Lehrkräften, Kooperationsformen und -möglichkeiten mit Elternsowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern.

Lütgenau behandelt im Rahmen seines Beitrags die Peer-Sozialisation, diesich im angelsächsischen Raum bereits zunehmender Aufmerksamkeiterfreut. Er zeigt, wie diese eingesetzt werden kann, um schulverwei-gernde Jugendliche wieder in Unterricht und Schule zu integrieren. In„Peer-Involvement als präventive und interventive Strategie, um Unterrichtsabsen-tismus zu begegnen – mögliche Formen und theoretische Begründung“ werden theo-retische Annahmen erläutert, unterschiedliche Formen der Peer-Educa-tion aufgezeigt und auch kritische Aspekte beleuchtet.

Kooperation von Schule, Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen vonSchulverweigerer-Projekten ist Gegenstand des Beitrags von Müller undWegener. Es werden zwei gelungene Beispiele aus der Praxis vorgestellt,in denen Teams, die mit Fachkräften verschiedener Professionen besetztsind, zusammenarbeiten. Der Beitrag „Kooperative Zusammenarbeit in Schul-verweigererprojekten – Erfahrungen aus Projekten für schulabsente Kinder undJugendliche“ versäumt es nicht, auf die prekäre finanzielle Situation derKooperationspartner und die Notwendigkeit einer ausreichenden finan-ziellen und personellen Ausstattung hinzuweisen, um den Erfolg derProjekte zu gewährleisten.

Herz diskutiert in ihrem Beitrag „Von den Hilfen zur Erziehung zur Kinder-und Jugendpsychiatrie?“ die Frage, inwieweit davon ausgegangen werdenmuss, dass die Zunahme der Zahl der als schulphobisch bezeichnetenKinder und Jugendlichen, die in psychiatrischen Maßnahmen behandeltwerden, aus der Ressourcenverknappung der öffentlichen Erziehungnach dem KJHG resultiert. Ausgangspunkt bildet eine empirische Erhe-bung an allen Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der

27 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 28: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

28 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Bundesrepublik Deutschland. Die Autorin kann mit dieser Erhebungnachweisen, dass bundesweit vermehrt Schulphobiker in psychiatrischenEinrichtungen gemeldet bzw. betreut werden.

Ein internationales Beispiel für den Umgang mit Schulabsentismus erör-tern Renwick und Kastirke in „Pädagogische und pädagogisch-therapeutischePräventions- und Interventionskonzepte für ‘Children at Risk of Exclusion’ imKontext der englischen Inklusionsbewegung“. Die Autorinnen geben einenkurzen historisch-politischen Abriss der Bedingungen der schulischenFörderung von schulmüden bzw. schulverweigernden Jugendlichen inEngland. Im Anschluss daran werden präventive und interventive Strate-gien vorgestellt, die an englischen Schulen praktiziert werden. Dabeiwerden die pädagogischen und therapeutischen Konzepte mit Beispielenaus der Praxis belegt. Schließlich wird noch ein Einblick gegeben, wie imRahmen eines Forschungsprojektes der Oldenburger Universität dieseenglischen Konzeptionen aufgegriffen werden.

In dem Beitrag „Schulverweigerung aus der Sicht unterschiedlicher Professionen“wird untersucht, wie das Thema Schulverweigerung aus verschiedenenDisziplinen gesehen und bearbeitet wird. Dabei greift die Autorin Poppauf juristische, soziologische, psychiatrische, (klinisch-)psychologischesowie sonder- und sozialpädagogische Abhandlungen über Schulver-weigerung zurück und vergleicht diese hinsichtlich Begrifflichkeiten,Auftretensformen und Interventionsstrategien.

Dass nicht nur Kinder und Jugendliche unter Schule leiden und dannden Unterricht verweigern, sondern diese Problematik auch Lehrerinnenund Lehrer betreffen kann, erläutern Kastirke und Jenssen in „Schuldistan-zierte Lehrkräfte – Phänomene, Hintergründe und Strategien der Veränderung“.Die Autoren analysieren Parallelen zwischen schuldistanzierten Lehr-kräften und Jugendlichen und gehen der Frage nach, inwieweit sich diejeweiligen Verhaltensweisen bedingen bzw. provozieren. Es werdenzudem Erklärungsansätze vorgestellt sowie Hilfestellungen zu möglichenHandlungsalternativen für Lehrerinnen und Lehrer aufgezeigt.

„Qualitätsstandards für Schulverweigererprojekte in Kooperation von Schule undKinder- und Jugendhilfe“ tragen die Autorinnen und Autoren Müller, Gall-schütz, Puhr und Thimm zusammen. Die Autorinnen und Autoren legenin ihrem Beitrag zuerst die theoretischen Grundlagen der Qualitätssiche-rung dar. Dann werden konkrete Praxisbeispiele aus der Zusammenar-beit von Schule sowie Kinder- und Jugendhilfe vorgestellt. Schließlichzeigen die Autorinnen und Autoren stichpunktartig beschrieben undtabellarisch geordnet Mindeststandards für die Qualitätssicherung beimZusammenwirken der Kooperationspartner.

Page 29: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Im Beitrag „Episoden“ illustriert Rademacker anhand erlebter Situationen,die er im Rahmen seiner Untersuchungen sammeln konnte, witzig bissarkastisch in anekdotischer Manier die problematischen Strukturen imschulischen Alltag – nicht nur schulmüder bzw. schulverweigernderJugendlicher.

Hofmann-Lun, Irene; et. al.Schule – und dann? Förderangebote zur Prävention von Schulabbruch und AusbildungslosigkeitForschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“München/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2005

In dieser Broschüre werden erste Ergebnisse der zweiten Erhebungs-welle einer bundesweiten Längsschnittbefragung von Hauptschülerinnenund Hauptschülern, die am Deutschen Jugendinstitut durchgeführt wird,dargestellt. Im Mittelpunkt dieser Befragungswelle standen Fragen nachkonkreten Fördermaßnahmen bzw. Aktivitäten der Jugendlichen, die denProzess des Übergangs von der Schule in eine Berufsausbildung planenund bewältigen helfen. Diese Fördermaßnahmen sind Gegenstand derBroschüre. Der Bericht nimmt auf ausgewählte Daten aus der PISA-2000-Untersuchung „die Länder der Bundesrepublik Deutschland imVergleich“ Bezug. Wie im ersten Bericht werden die Ergebnisse anhandzahlreicher Grafiken illustriert.

An der zweiten Befragung, die als telefonische Befragung unmittelbarvor Ende des letzten Schulbesuchsjahres durchgeführt wurde, nahmeninsgesamt 2.424 Jugendliche teil. Hiervon waren 54 % männlichen und46 % weiblichen Geschlechts, 56 % wiesen einen Migrationshintergrundauf und der Großteil der Jugendlichen war zwischen 15 und 16 Jahre alt(73 %).

Von den befragten Jugendlichen nahmen 23 % an Förderunterricht inkleinen Lerngruppen, einer spezifischen Maßnahme zur Verbesserung derschulischen Leistungen, teil. Die Autorinnen und Autoren stelltenhierbei keine Differenz zwischen Jungen und Mädchen bzw. zu Jugend-lichen mit Migrationshintergrund fest. Bei den Fächern, die im Rahmendieses Förderunterrichts unterrichtet wurden, zeigten sich (geringfügige)Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen. Dies führen dieAutorinnen und Autoren auf unterschiedliche Neigungen und Erforder-nisse zurück. Von den Befragten, die an diesem Förderunterricht teil-nahmen, wählten 13 % Mathematik, 9 % Deutsch, 8 % Englisch,

29 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 30: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

30 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

6 % werkpraktischen Unterricht sowie 1 % Deutsch als Zweit-/Fremd-sprache . Für zwei Drittel der Jugendlichen führte dieser Förderunter-richt zur Verbesserung der schulischen Leistungen. Auch hier zeigen sichgeschlechtsspezifische Unterschiede (Mädchen: 65 %; Jungen 70 %).

Praktika im letzten Schuljahr können die wichtige Funktion einer kurz-fristigen Orientierung, Umorientierung oder Neuorientierung erfüllen.Sie könnten außerdem das Interesse von Betrieben an Jugendlichen alspotentiellen Auszubildenden wecken. Zwei Drittel der Schülerinnen undSchüler gaben an, in ihrem letzten Schulbesuchsjahr ein Praktikumabsolviert zu haben (66 %). Dies waren weniger Mädchen als Jungen(61 % zu 69 %) sowie weniger Jugendliche mit Migrationshintergrund alsJugendliche deutscher Herkunft (63 % zu 68 %).

Die Praktika von 43 % der Jugendlichen hatten eine Dauer von bis zu10 Tagen, bei 22 % der Befragten von über 26 Tagen. Unter Letzternfanden sich deutlich mehr Jungen als Mädchen. Dies waren über einViertel der Hauptschüler im Vergleich zu 17 % der Hauptschülerinnen.Der Großteil der Jugendlichen (74 %) betrachtete das Praktikum alsEntscheidungshilfe hinsichtlich ihrer beruflichen Laufbahn.

Regelmäßige Gespräche zur Planung des weiteren beruflichen Werde-gangs führten 70 % der Befragten. Von denjenigen, die diese Gesprächehäufig führten, nannten 87 % Familienmitglieder als Gesprächspartner,71 % nannten Freunde. Mit Lehrkräften führten 63 % der Befragtendiese Gespräche, mit Berufsberaterinnen und Berufsberatern 45 % sowiemit Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen 22 %. Neben der Familieerfolgte berufliches Coaching damit auch mit sachkompetentenPersonen aus der Schule. Während Mädchen und Jungen sich gleicher-maßen mit Familie und Lehrkräften berieten, wendeten sich Mädchenöfter als Jungen an Freundinnen bzw. Freunde; Jungen hingegennannten öfter als Mädchen Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen alsGesprächspartner. Jugendliche mit Migrationshintergrund führten imVergleich zu den übrigen Befragten häufiger Gespräche mit Lehrkräftenund Freundinnen bzw. Freunden und seltener mit Familienmitgliedern.

Jobs während der Schulzeit bzw. in den Ferien können der beruflichenOrientierung von Jugendlichen dienen. Die Schülerinnen und Schülerwurden gefragt, ob sie in ihrem letzten Schuljahr einem bezahlten Jobnachgegangen sind. Ein knappes Drittel der Befragten bejahte dieseFrage (27 %). Für die Qualität des Einblicks in die Berufswelt dürfte –so die Autorinnen – der Umfang der geleisteten Arbeitsstundenbedeutsam sein. Hier zeigten sich deutliche geschlechtsspezifischeUnterschiede. So gaben Mädchen häufiger als Jungen an, bis zu zehn

Page 31: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Stunden in der Woche zu arbeiten (73 % zu 63 %). Dagegen übten mehrJungen als Mädchen Jobs aus, die 21 Stunden und mehr umfassten(23 % zu 11 %). Als wichtige Entscheidungshilfe zur Berufswahl sahen38 % der Jungen ihre Erfahrungen aus bezahlten Jobs an, im Vergleichwaren dies 27 % der Mädchen. Dieser Unterschied in der Bewertung derJobs als beruflicher Orientierungshilfe resultiert aus Sicht der Auto-rinnen und Autoren aus der Tatsache, dass Jungen häufiger als Mädchenund Jugendliche ohne Migrationshintergrund etwas häufiger als Jugend-liche mit Migrationshintergrund einer bezahlten Tätigkeit nachgehen, die21 Stunden und mehr umfasst und sie im Rahmen dieser Tätigkeitenvermutlich eher Arbeitssituationen, die der Berufsorientierung dienen,ausprobieren können.

Die Autorinnen und Autoren weisen am Schluss auf die folgende derinsgesamt sechs Befragungswellen hin, die ein halbes Jahr nach Schul-ende der Frage nachgehen wird, welche Wege sich für die Jugendlichenin Berufsausbildung abzeichnen.

Hofmann-Lun, Irene; Michel, Andrea Schulmüdigkeit und Schulverweigerung. Die Hauptschule unter HauptverdachtIn: Diskurs. Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und GesellschaftMünchen/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 1/2004, S. 28–35.

Die Autorinnen stellen in ihrem Beitrag Bedingungskonstellationen dar,die dazu führen können, dass Jugendliche problematische Schulkarrierendurchlaufen. Es werden Strategien beschrieben, die in Schulen undaußerschulischen Projekten angewandt werden, um Schulmüdigkeit undSchulverweigerung entgegenzuwirken. Des Weiteren werden konkreteLösungsansätze besprochen und es wird auf die Notwendigkeit einerKooperation zwischen Jugendhilfe und Schule eingegangen.

Einleitend verweisen die Autorinnen darauf, dass es derzeit in Deutsch-land keine repräsentativen Untersuchungen oder bundesweiten Daten zuSchulmüdigkeit bzw. Schulverweigerung gibt. Jedoch wurden zahlreicheUntersuchungen auf Länder- bzw. kommunaler Ebene durchgeführt, diezeigen, dass insbesondere bei Sonder- und Hauptschülern Unterrichts-versäumnisse weit verbreitet sind. Hauptschülerinnen und Hauptschülerbringt das häufige Fernbleiben von der Schule um weitere Bildungs- undZukunftschancen.

31 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 32: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

32 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Zahlreiche Studien belegen, dass sich in Hauptschulen Jugendliche mitschwierigen und belastenden Lebensumständen konzentrieren. Dadurchlassen sich – zumindest teilweise – die hohen Quoten von Schulpflicht-verletzungen in dieser Schulform erklären. Ursachen, die Schulmüdigkeitund Schulverweigerung bedingen bzw. begünstigen, sind gemäß denAutorinnen in sozialen Problemkonstellationen der Jugendlichen (z. B.Ausgrenzung, fehlende Anerkennung, Konflikte) mit Freundinnen undFreunden, Mitschülerinnen und Mitschülern und in schwierigen Famili-enverhältnissen zu finden. Aber auch inadäquate Unterrichtsmethodenund -inhalte können dazu beitragen, dass Jugendliche sich von derSchule entfernen.

Ein weiterer wichtiger Grund, weshalb sich Jugendliche von der Schuleabwenden, kann in der sogenannten Schulangst begründet liegen. Dieserkönnen Lehrkräfte im Rahmen des Unterrichts, wenn überhaupt, nuroberflächlich begegnen.

Schulverweigerung wird in der Literatur zum Teil in aktive und passiveSchulverweigerung unterschieden. Erstere beschreibt dabei auffälligesStören im Unterricht bis hin zum Fernbleiben vom Unterricht. Letztge-nannte äußert sich vor allem in Träumen, Nichtbeteiligung etc. Schulver-weigerung passiert nicht von heute auf morgen, sondern muss als einsich selbst verstärkender Prozess gesehen werden.

Bei der Erläuterung von Strategien gegen Schulmüdigkeit und Schulver-weigerung greifen Hofmann-Lun und Michel auf eine Forschungsarbeitdes Deutschen Jugendinstituts (DJI), die „Erhebung und Dokumenta-tion von Schulmüden-Projekten in NRW“ aus dem Jahr 2002, zurück.Im Rahmen des Projektes wurde eine enge Kooperation von Schule undSozialarbeit erprobt.

Als Problemlösebausteine wurden folgende Faktoren erkannt:(1) Stabile Beziehungen zwischen Fachkräften und Jugendlichen,

(2) Mix von Pädagogiken,

(3) Kombination von unterschiedlichen Lernorten(z. B. Betriebe, soziale Einrichtungen im Stadtteil),

(4) Themen der sozialen Arbeit(z. B. Schuldnerberatung, Suchtmittelberatung),

(5) neue Formen der Elternarbeit(Schulerfolg als gemeinsames Projekt von Schule und Elternbegreifbar machen),

(6) Förderung der kognitiven Kompetenzen der Jugendlichen.

Page 33: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Als grundlegend erwies sich die Kooperation von Schule und Sozialar-beit. Während Schule sich weiterhin vorrangig für den Unterricht enga-gierte, nahm sich die Jugendsozialarbeit sozialer Themengebiete (Eltern-arbeit, Verbesserung des Klassenklimas, Stärkung sozialer Kompetenzenetc.) an.

Die Autorinnen skizzieren am Ende ihres Beitrags ein Fallbeispiel eineserfolgreichen Schulmüden-Projektes, das an der Gesamtschule Hagen-Haspe durchgeführt wird.

Hössl, Alfred; Vossler, Andreas„Manchmal bin ich fix und fertig ...“Belastungen bei Bildungsprozessen in der GrundschuleIn: Diskurs. Studien zu Kindheit, Jugend, Familie und GesellschaftMünchen/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 1/2004, S. 18–27.

Dieser Beitrag von Hössl und Vossler setzt sich mit den Bildungsanforde-rungen auseinander, die bereits in der Grundschule an Kinder gestelltwerden und geht der Frage nach, ob und wie die verschiedenen Schüle-rinnen und Schüler mit den Leistungsanforderungen von Schule undElternhaus umgehen können. Unter Bezug auf die Ergebnisse der vomBMBF geförderten DJI-Studie „Bildungsverläufe, Misserfolge und Belas-tungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule“ wird den einzelnenBelastungssituationen und den damit einher gehenden Gefährdungenerfolgreicher Bildungsbiografien nachgegangen.

Gleichaltrige Kinder beziehungsweise die Kinder in einer Klassenge-meinschaft verfügen meist über äußerst variierende Kompetenzen, sodie Autoren. Dies betrifft unter Umständen Konzentrations- und Wahrneh-mungsvermögen, Anpassung an Ordnungsstrukturen sowie kognitive Kompetenzenbei der Aneignung von Kenntnissen in Deutsch oder Mathematik. Auch wenn dieSchule Förderanstrengungen und -versuche unternimmt, beispielsweiseLernkurse anbietet, so können die Lehrkräfte doch nur in einem engenRahmen agieren und damit den unterschiedlichen Lerntemperamentenund Lernbedürfnissen nicht adäquat gerecht werden. Erschwerendkommen nach Hössl und Vossler die unterschiedlichen Belohnungsver-fahren in Form von Sternchen, Punkten, Lachgesichtern, Noten aberauch Aufrufen bzw. Aufforderungen zu Beiträgen hinzu. Hier werdenLeistungsunterschiede „klassenöffentlich“ und somit transparent.

33 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 34: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

34 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Im Rahmen der qualitativen Längsschnittstudie wurden Eltern von24 Kindern zu drei Erhebungszeitpunkten am Ende eines Schuljahreszu der Schulsituation ihres Kindes befragt. Zudem wurden jeweiligeLeistungsnachweise (Zeugnisse) und vom Unterricht unabhängige Leis-tungstests ausgewertet. 24 Kinder und deren Eltern wurden von derersten bis vierten Klasse befragt. Die befragten Kinder wurden aus achtverschiedenen Klassen an vier bayrischen Grundschulen rekrutiert. DieAuswahl der Kinder richtete sich nach den unterschiedlichen Leistungs-niveaus der Kinder sowie nach den sozialstrukturellen Rahmen derSchule.

Die Studie der Autoren zeigte, dass zu Schulbeginn (1./2. Klasse) dieKinder noch selten über Leistungsstress klagten. Wenn Belastungenangesprochen wurden, betrafen diese in der Regel soziale Konflikte mitLehrkräften oder Mitschülerinnen und Mitschülern. Ab der drittenKlasse wurden dann zunehmend Leistungsthemen (vermeintlicheMisserfolge, fachliche Schwierigkeiten) von den Schülerinnen und Schü-lern als belastende Faktoren genannt. Vor allem ab der vierten Klasse,wenn die Frage im Raum stand, welche weiterführende Schule besuchtwerden kann, wurden psychische und physische Stresssymptome viru-lent.

Belastungen durch Leistungsanforderungen im Unterricht können, wie die Fall-studien zeigen, durch Über- oder Unterforderung entstehen. Währendletzteres sich bei leistungsstarken Kindern zumeist in Langeweilebemerkbar macht, wirkt Leistungsüberforderung bei schlechten Schüle-rinnen und Schülern demotivierend. Vergleiche mit besseren Mitschüle-rinnen und Mitschülern oder negatives Rückmeldung durch Lehrkräftemachen leistungsschwachen Kindern ihre Defizite oftmals schmerzlichbewusst. Diese Kinder erfahren sehr viel weniger Bestätigung und Lobvon Mitschülerinnen und Mitschülern und Lehrkräften, es kommtverstärkt zum unangenehmen Bloßstellen der Misserfolge.

Beziehungen in der Klasse sind für Kinder in der Grundschule einbesonders wichtiger Faktor für die Herausbildung von sozialen Erfah-rungswerten und von Lernmotivation. Gerade im Grundschulalter sindKinder auf Anerkennung und positive Aufmerksamkeit von Lehrkräftenangewiesen. Fehlt Anerkennung, so führt das zu Kränkungen und Belas-tungen. Die Interviews zeigen, wie wichtig es für die Schülerinnen undSchüler ist, eine gefestigte und gute Position im sozialen Verbund derSchulklasse einzunehmen. Als besonders schwierig muss es eingeordnetwerden, wenn Kinder Opfer von Ausgrenzungen, sogenannten„Bullying“ oder Hänseleien werden. Soziale Belastungen können abernicht nur in der Schulklasse, sondern auch in der Familie auftreten. Die

Page 35: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Autoren berichten, dass im Elternhaus Leistungsanforderungen teilweisemit Erziehungsstrategien vermischt werden. Enttäuschung überschlechte Noten und Leistungsdruck werden bei leistungsschwächerenKindern in der Eltern-Kind-Beziehung vermehrt transportiert. Dadurchwird Prüfungsängsten bzw. Überforderung Vorschub geleistet.

Im letzten Teil des Beitrags illustrieren Vossler und Hössl subjektiveBelastungen von Grundschülern anhand zweier Fallbeispiele. Dabeiwerden individuelle Stresssituationen von Eltern und Kindern für denLeser anschaulich herausgearbeitet.

Dieser Beitrag macht insgesamt deutlich, wie bereits im GrundschulalterKinder den vielfältigen Belastungen durch Leistungsdruck und sozialenErwartungen von Mitschülerinnen und Mitschülern, Lehrkräften undElternhaus ausgesetzt werden, wie erste Konkurrenzerfahrungen undVersagensängste evoziert und wie Weichen für Schulmüdigkeit undSchulverweigerung gestellt werden.

Lüders, Bettina; Romer, Georg Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und Therapiechronischem SchulabsentismusIn: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desintegrationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden.Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationMünster: Lit Verlag, 2000, S. 136–150.Aus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 9ISBN: 3-8258-4461-7

Schulverweigerung hat viele Facetten und kann prinzipiell auf viele Ursa-chen zurück zu führen sein. Innerhalb dieses Beitrages geht es jedochausschließlich um die Schulverweigerungsform der Schulphobie. Diese Artvon psychischer Störung beruht auf einer frühen Trennungsangst derKinder und Jugendlichen von ihren Bezugspersonen. Schulphobie äußertsich durch starke Ängste der Kinder, in die Schule zu gehen bzw. vor allden Dingen, die mit Schule zusammenhängen. Diese Ängste beruhen – sodie Autorinnen – auf Trennungsängsten vom Elternhaus. Der Unter-schied zwischen Schulphobie und Schulangst bzw. Schulfurcht besteht darin,dass die letztgenannten auf einer Leistungs- und Sozialangst beruhen undoftmals auf Mobbing-Erfahrungen oder Überforderungen im Leistungs-bereich zurückgehen.

35 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 36: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

36 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Merkmale, die für eine Schulphobie (und nicht einer Schulangst oder derSchulverweigerung) sprechen, sind folgende sechs Punkte: Die Elternwissen, dass ihr Kind der Schule fern bleibt; das Kind zeigt weder einantisoziales Verhalten noch größere Leistungsschwierigkeiten; das Kindleidet an depressiven Zuständen, übertriebener Ängstlichkeit oder psycho-somatischen Beschwerden; die Eltern versuchen erfolglos alles Erdenk-liche, um das Kind wieder in die Schule zu bekommen, doch schließlichenden die Schwierigkeiten des Kindes in einer länger andauernden Schul-verweigerung.

Eine psychiatrische Behandlung ist gemäß der Autoren unbedingt ange-zeigt, da nicht „nur“ der Bildungserfolg gefährdet ist, sondern auch einesehr hohe Gefahr besteht, dass bei schulphobischen Kindern im Erwach-senenalter andere Phobien oder psychiatrische Störungen zum tragenkommen. Jedoch sind Therapieerfolge zumeist nur bei sehr jungenKindern zu konstatieren. Ab dem Alter von 13 Jahren ist die Wahrschein-lichkeit der Reintegration in die Schule weitaus geringer und die der Mani-festierung der Schulphobie in eine psychiatrische Störung stark erhöht.

Mack, Wolfgang; Raab, Erich; Rademacker, HermannSchule, Stadtteil, Lebenswelt. Eine empirische UntersuchungOpladen: Leske + Budrich, 2003ISBN: 3-8100-3786-9

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der PISA-Studie, die einen klarenZusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg aufzeigenkonnte, ist es notwendig, nicht nur die schulische Wissensvermittlungeiner gründlichen Untersuchung zu unterziehen, sondern auch die außer-schulischen Faktoren stärker zu berücksichtigen. Gerade wenn es darumgeht, schwache oder benachteiligte Jugendliche zu unterstützen, muss dieSchule stärker die Lebenswelten dieser Schülerinnen und Schüler in denBlick nehmen und gegebenenfalls integrieren. Mack, Raab und Radem-acker präsentieren die Ergebnisse einer Untersuchung des DeutschenJugendinstitutes, die die Autoren von 1997 bis 2000 durchgeführt haben.Innerhalb des Projekts „Schulentwicklung und Lebenswelten“ wurde denFragen nachgegangen, wann, ob und in wieweit sich Schulen an denLebenswelten der Jugendlichen orientieren, welche Anforderungen an dieSchule seitens der Eltern und der Jugendlichen gestellt werden und wiebzw. ob die Schulen diesen gerecht werden können. Innerhalb diesesProjektes wurden quantitative Schüler- und Elternbefragungen durchge-führt, wobei die Schülerinnen und Schüler der Geburtskohorte von 1982

Page 37: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

bis 1985 angehörten. Überdies wurden Experteninterviews mit Schulleite-rinnen und Schulleitern, Elternvertreterinnen und Elternvertretern sowieFachkräften der Jugendhilfe, der Arbeitsverwaltung und der Polizei u. a.geführt sowie Dokumente analysiert.

Insgesamt ist zu konstatieren, dass ein Lebensweltbezug, wie er in derSozialpädagogik üblich ist, in den Schulen nicht anzutreffen und selbst einschwach ausgeprägter Lebensweltbezug nur selten zu finden ist. Natürlichmuss an dieser Stelle angemerkt werden, dass ein Lebensweltbezug imSinne der Sozialpädagogik auch nicht Aufgabe der Schule sein kann undsoll. Es sind Schulen auszumachen, die hinsichtlich ihres speziellen bzw.attraktiven Bildungsprogrammes lebensweltrelevant für ihr Jugendlichesind. Des Weiteren gibt es Schulen, die keinen expliziten Lebensweltbezugaufweisen und dennoch aufgrund ihres attraktiven Bildungsangebotes undguter Rahmenbedingungen eher selten auf problematische Situationen fürSchülerinnen und Schüler stoßen.

Schließlich gibt es noch eine weitere kleine Gruppe von Schulen, die denfehlenden Lebensweltbezug schwer kompensieren können, und in denensich somit ein problemhaftes Verhältnis zwischen den Schülerinnen undSchülern und der Schule entwickelt. Diese prekäre Situation tritt vor allemam unteren Ende der „Sekundarschulhierarchie“ auf und fördert bei denbetroffenen Jugendlichen eine Benachteiligung im Bildungssystem undsoziale Desintegrationsprozesse. Die Ergebnisse der Studie sprechendafür, dass diese Problemlage vor allem in sozial schlechter gestelltenStadtteilen verstärkt auftritt. Hier ist gemäß den Autoren besonders drin-gender Handlungsbedarf zu einer bewussten sozialräumlichen Entwicklunghinsichtlich einer Verbindung von Schule und Lebenswelt angezeigt.

Bei den Auswertungen zeigte sich überdies, dass neben dem traditionellenBildungsauftrag außerschulische Angebote und Dienstleistungen seitensder Schule nicht nur von Eltern und Jugendlichen, sondern auch vonExperten und der Öffentlichkeit erwartet werden. Dies darf jedoch nichtmit dem Begriff der „sozialpädagogischen Schule“ verglichen werden, dahierunter andere Aspekte und Forderungen verstanden werden. DieserBegriff ist allein schon deshalb nicht zutreffend, da damit eine Polaritätvon Förderung und Bildung impliziert wird, die anhand der Studie gemäßden Befragten so nicht auszumachen war. Die Autoren schlagen deshalbfolgende Begrifflichkeit vor: Bildungsschule mit größerer Sensibilität für dieLebenswelten von Kindern und Jugendlichen.

37 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 38: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

38 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Vor dem Hintergrund ihrer Studienergebnisse geben Mack, Raab undRademacker am Ende ihres Buches Anregungen für eine Schulentwick-lung. Grundlage sollte eine stärkere Implementierung lebensweltorien-tierter Aspekte im Schulsystem sein. Dafür müssen jedoch einige Voraus-setzungen gegeben sein: An dieser Stelle sollen nur einige von denAutoren genannte Aspekte erwähnt werden. Zum ersten ist es nötig, denzeitlichen Rahmen von Schule zu erweitern. Überdies müssen auch dieräumlichen Gegebenheiten so geschaffen und gestaltet werden, dassJugendliche sich gerne darin aufhalten und ihre persönliche Entfaltungunterstützt wird. Dies bedeutet, dass neben Klassenzimmern Räumlich-keiten für Werkstätten, Ausstellungen, Cafés etc. notwendig sind. DesWeiteren sollten neben Lehrkräften, die auch außerhalb ihrer Lehrstundenpräsent sein müssen, auch andere Fachkräfte (Psychologen, Berufsberater,etc.) sowie Eltern, pädagogische Laien, Künstler involviert werden. Einestärkere Partizipation seitens der Eltern und der Schülerinnen und Schülerist außerdem hilfreich, wenn es darum geht, eine stärkere Lebensweltan-bindung und eine Kooperation mit außerschulischen Institutionen zufördern.

Prüß, FranzSchule und Jugendhilfe – Institutionen gehen aufeinander zuIn: Andresen, Sabine; Bock, Karin; Brumlik, Micha; Otto, Hans-Uwe; Schmidt, Mathias; Sturzbecher, Dietmar (Hrsg.):Vereintes Deutschland – geteilte Jugend.Opladen: Leske + Budrich, 2003, S. 449–464.ISBN: 3-8100-3560-2

Prüß dokumentiert in seinem Artikel die unterschiedlichen historischenund aktuellen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland hinsicht-lich der Beziehung bzw. der Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe undSchule.

War in der alten BRD bis in die 60er Jahre hinein eine strikte Trennungzwischen Jugendhilfe und Schule zu konstatieren, so gaben in den 80erJahren verstärkt auftretende Jugendprobleme Anlass, die Schulsozialarbeitzu forcieren. In der DDR hingegen war bis zur „Wende“ die Schule nichtnur eine Institution zur Wissensvermittlung, sondern sie war wesentlichfür Sozialisation und politische wie ideologische Erziehung zuständig.Prüß stellt jedoch mittlerweile eine zunehmende Zusammenarbeitzwischen beiden Institutionen fest. Dies liegt zum einen an den verän-derten gesellschaftlichen Bedingungen, wie sie sich den Jugendlichen

Page 39: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

heute darstellen – vor allem in Ostdeutschland. Zum anderen ist dies auchein konsequenter Ausdruck der sich nach außen öffnenden Schulen.Jedoch kann zumeist weniger von einer „echten“ als von einer additivenZusammenarbeit gesprochen werden. Für eine tatsächliche Kooperationist es u. a. notwendig, dass zwar gemeinsame Ziele verfolgt werden, aberjeder Kooperationspartner auch eigene Ziele hat und diese im Blickbehält. Von einer additiven Kooperation wird dann gesprochen, wennProjekte der beiden Institutionen nebeneinander laufen, ohne dass diesevon gegenseitigem Interesse sind.

Prüß' Forderung nach einer Schule, die nicht nur lebensweltorientiert sondernauch lebensweltgestaltend agiert, bedeutet, dass am Ort Schule eine Integra-tion unterschiedlicher Bereiche wie Schule, Jugendhilfe und Eltern,Ehrenamt etc. ermöglicht wird, die arbeitsteilig das gemeinsame Zielverfolgen, Jugendlichen ein Forum zur Persönlichkeitsentfaltung undLebensgestaltung zu bieten.

Puhr, KirstenLernangebote für schulverweigernde Kinder und Jugendliche.Pädagogische Probleme unter dem Anspruch von Schulpflichtund BildungsrechtHamburg: Verlag Dr. Kovac, 2003Aus Serie: Erziehung – Unterricht – Bildung. 107ISBN: 3-8300-1115-6

Puhr verwendet den Oberbegriff „Schulabsentismus“ und vereint darinjegliche Form der Unterrichts- und Schulverweigerung – von der passivenUnterrichtsverweigerung über das teilweise Fernbleiben vom Unterrichtbis hin zum endgültigen Abbruch. Puhr's Hauptthese ist, dass sowohl diepädagogische Praxis als auch die Theorie konzipiert und verwendet wird,obwohl um deren „Nicht-Einlösbarkeit“ gewusst wird. Anliegen der Autorinist es herauszufinden, inwieweit eine „Reflexion von Ungewissheit“ innerhalbder pädagogischen Arbeit mit schulverweigernden Jugendlichen existiert.

Nach Puhr steht Schulabsentismus immer am Ende einer Kette vonproblematischen Lebenssituationen und stellt für Jugendliche eine subjek-tive Lösungsstrategie dar. Für Puhr ist dieses Problemlösungsverhaltengrundsätzlich an zwei schwierigen Lebenssituationen gebunden. Entwedersind schwierige schulische Bedingungen oder schwer zu bewältigende„Probleme der Lebensgestaltung“ Voraussetzung für schulabsentesVerhalten. In die Klassifikationsgruppe, die in einem Zusammenhang mit

39 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 40: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

40 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

schulischen Problemen stehen, fallen Begriffe wie Schulangst, latente Verwei-gerung, Schulunlust oder Schulmüdigkeit. Der zweiten Gruppe werden Phäno-mene wie Halt durch die Familie, Entscheidung für Gruppennorm, Ersatzbefriedi-gung und Schwänzen zugeordnet.

Um nun zu untersuchen, wie Pädagogen mit der Differenz zwischen denGrenzen einerseits und Erwartungen andererseits innerhalb der Beglei-tung von schulverweigernden Jugendlichen umgehen und diese Differenzreflektieren und gegebenenfalls legitimieren, führte Puhr Experteninter-views durch. Diese Interviews wurden qualitativ ausgewertet. Es zeigtsich, dass der Anspruch, für jeden Jugendlichen das Recht auf Bildungund Schule zu verwirklichen nicht eingelöst werden kann. Hier öffnet sicheine Kluft zwischen der Verantwortung der Pädagoginnen und Pädagogengegenüber benachteiligter Jugendlichen einerseits und dem Wissen um dieNichteinlösbarkeit dieser Aufgabe andererseits. Die Wahrnehmung diesertrotz pädagogischer Hilfestellungen niemals garantierten Erfolge imRahmen der Arbeit mit schulverweigernden Jugendlichen führt nichtselten zu Krisen bei den Pädagogen und Pädagoginnen. Puhr kommt zudem Schluss, dass es seitens der betroffenen Pädagoginnen und Päda-gogen unterschiedliche Formen des Umgangs mit Mißerfolgen gibt. Eskristallisieren sich drei Hauptgruppen von Pädagoginnen und Pädagogenmit differenten Umgehensweisen heraus, die hier nur sehr grob skizziertwerden können.

Die erste Gruppe sieht diese Unzulänglichkeit der pädagogischen Hilfe-leistungen eher als ein persönliches Wissensdefizit oder aber als einenZuständigkeitsbereich für andere Fachkräfte an. Es wird also bei diesenPädagoginnen und Pädagogen davon ausgegangen, dass prinzipiell jederschulverweigernde Jugendliche so unterstützbar sei, dass ein Schulab-schluss auf jeden Fall im Bereich des Möglichen wäre.

Die zweite Gruppe der Pädagoginnen und Pädagogen hatte bereits Routineim Umgang mit Krisen innerhalb der Arbeit mit schulverweigerndenJugendlichen gebildet. Jedoch wurden auch im Fall des Misslingens despädagogischen Auftrages Abbrüche zu Jugendlichen akzeptiert (z. B.Verweisen von Jugendlichen aus dem Projekt). Legitimiert wurde dieseWahrnehmung des Abbruches als eine „Konsequenz pädagogischer Verantwor-tung“. Die Haltung gegenüber Abbrüchen verweist nach Puhr auf einegewisse Ambivalenz zwischen Theorie/Ideal und Praxis, da den Jugend-lichen in diesem Falle kein uneingeschränktes Engagement entgegengebracht wird.

Page 41: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Die dritte Gruppe hatte keine Routine im Umgang mit Krisen entwickeltund sah es als professionelles Ideal an, sich in jeder Situation individuellwieder auf's Neue eine Lösungsmöglichkeit zu wählen. In dieser Gruppewird die uneingeschränkte pädagogische Hilfeleistung für schulverwei-gernde Jugendliche betont. Überdies werden alte Formen der Unterstüt-zung in Frage gestellt und immer wieder nach neuen Angebotsmöglich-keiten Ausschau gehalten. Dabei wird trotzdem akzeptiert, dass eineGewissheit im Umgang mit schulverweigernden Jugendlichen nichtmöglich ist.

Vorlage für Puhr's Buch ist ihre Dissertation „Schulpflicht und Bildungs-recht für alle Kinder und Jugendliche. Reflexionen über Anspruch undPraxis pädagogischer Auseinandersetzungen mit Kindern und Jugend-lichen, die nicht mehr in der Schule lernen“ (als Online-Publikation an derUniversität- und Landesbibliothek der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg abrufbar). Die Dissertation gibt eine Übersicht über den theo-retischen Stand der Forschung zu der pädagogischen Sicht hinsichtlich desSchulabsentismus. Des Weiteren werden die unterschiedlichen Begrifflich-keiten erläutert und verschiedene Dimensionen der Schulpflicht dargestellt(z. B. politisch-rechtliche). Dieses Buch ist eine hilfreiche Unterstützungfür Pädagoginnen und Pädagogen, die im Bereich der Schulverweigerungarbeiten und ihre eigene Arbeitsweise und vor allem den Umgang inKrisensituationen reflektieren möchten. Dies wird zusätzlich zu den theo-retischen Abhandlungen durch Interviewauszüge, in denen die Stand-punkte der befragten Pädagoginnen und Pädagogen veranschaulichtwerden, ermöglicht.

Ricking, HeinrichSchulabsentismus als ForschungsgegenstandOldenburg: Bibliotheks- und Informationssystem der UniversitätOldenburg, 2003ISBN: 3-8142-0863-3

Das Fernbleiben von Jugendlichen von der Schule wird in zunehmendemMaße in der Fachliteratur thematisiert und untersucht. Die unterschied-lichen empirischen Studien und theoretischen Abhandlungen zum Themades Schulabsentismus sind jedoch teilweise widersprüchlich oder schlichtnicht vergleichbar, da unterschiedliche methodische Vorgehensweisen bzw.Theorierahmen präferiert oder differierende Aspekte fokussiert wurden.Überdies läuft Forschung selbst zum selben Themengegenstand relativblind nebeneinander her, ohne dass allzu viel Notiz von anderen Erkennt-

41 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 42: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

42 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

nissen oder Erfahrungen genommen würde. Diese Ignoranz gegenüberneuen Ergebnissen stellt im internationalen Forschungskontext einschwerwiegendes Problem dar. Hier setzt nun die Metaanalyse vonRicking zum Thema Schulabsentismus an. Mit dem Begriff Metaanalysesind „im weiteren Sinne unterschiedliche Verfahren“ gemeint, mit denen esmöglich ist „Ergebnisse der Forschung zu einem Thema oder einer Forschungsfragezu integrieren, zu vergleichen und Schlüsse aus der Synthese zu ziehen“. Rickingrekurriert hierbei auf 242 Fachtexte, die in Fachzeitschriften, Fachbüchernoder Monografien in Deutschland, Großbritannien und den USA in demZeitraum von 1960 bis 2000 veröffentlicht wurden. Dabei analysiert erdrei Untersuchungsschwerpunkte.

Innerhalb des ersten Bereiches, der mit „Zielgruppenspezifische Kennzeichnung“überschrieben ist, erfolgen die Definitionen von Schulschwänzen, Schul-phobie, Schulverweigerung, Schulabsentismus und noch jeweils die Darle-gung theoretischer Ansätze, Verhaltensbilder oder Begleitfaktoren. Imzweiten Teil der Auswertungen finden sich die verschiedenen „Bedingungs-faktoren“. Diese erstrecken sich von schulischen Aspekten (Klassenklima,Lehrerverhalten etc.) über Peer-Groups bis hin zu familiären (Einstellungder Eltern, Lehrer-Eltern-Interaktionen etc.) und individuellen Gesichts-punkten (Intelligenz, Selbstkonzept etc.). Der dritte Teil widmet sich denverschiedenen Methoden und Ansätzen im Präventions- und Interven-tionsbereich. Hier werden gesetzliche Interventionsrahmen, Interventionund Prävention im schulischen und therapeutischem Feld sowie rehabilita-tive Möglichkeiten thematisiert.

Hinsichtlich der Begrifflichkeiten der verschiedenen Ausdifferenzierungenvon Schulabsentismus (Schulverweigerung, Schulphobie, Schulangst etc.)stellt Ricking ein reges Durcheinander in deren Verwendung und definito-rischer Festlegungen fest. Diese Inkohärenz in den verschiedenen empiri-schen Studien und Klassifikationsversuchen der Forscher führt nichtselten zu Verwirrungen und Missverständnissen und macht eine Erklä-rung der verwendeten Terminologie vorab notwendig. Überdies merktRicking an, dass hinsichtlich der Schulverweigerungsform des „Zurückhal-tens“ so gut wie keine explizit auf dieses Thema bezug nehmendeBeiträge aufzufinden waren.

Aber auch in Bezug auf Intervention und Prävention ist noch vielForschungs- und Praxisarbeit zu leisten, dies jedoch hauptsächlich auf derschulischen Ebene. Um Schulabsentismus zu begegnen, orientieren sichSchulen immer noch zu stark an (schulgesetzlichen) Vorgaben anstellevon pädagogischen Schritten. Nach Ricking sollten u. a. die Effekte vonschulökologischen und institutionellen Bedingungen oder das Problembe-wusstsein von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulleiterinnen und

Page 43: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Schulleitern stärker berücksichtigt und beforscht werden. Des Weiteren istes notwendig, dass sich Schulen vermehrt ihrer pädagogischen Möglich-keiten gewahr werden und diese auch nutzen. Im Präventionsbereichschlägt Ricking vor, Schule als einen Lebens- und Lernort zu gestalten, indem sich die Schülerinnen und Schüler wohl fühlen und dafür dienotwendigen pädagogischen und räumlichen Voraussetzungen zuschaffen. Hinsichtlich des Interventionsbereichs ist nach Ricking die Fragehandlungsleitend, wie schwer bzw. leicht es die Schülerinnen und Schülerhaben, dem Unterricht fern zu bleiben. Nach Ricking ist das schnelleReagieren seitens der Schule besonders wichtig, um die jeweiligen Schülernoch erreichen zu können und um die „Absentismusmoral“ von nichtgefährdeten Schülerinnen und Schülerinnen und Schülern zu stärken.Aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten, die die einzelnen Schulenmitbringen, sind starre Präventions- und Interventionsmuster nicht imple-mentierbar. Ricking stellt deshalb „Eckpfeiler effektiver Absentismusprävention“vor, die dann von jeder einzelnen Schule in ihre jeweilige Situation über-tragen werden können. Zu diesen Eckpfeilern gehören die Motivation derLehrkräfte, das Dokumentieren und (sanfte) Sanktionieren von Schulver-säumnissen bei gleichzeitigem Schaffen von Anreizen für den Schulbe-such sowie eine angenehme Rückkehrsituation für ehemalige Schulverwei-gerer. Auch das Registrieren der ersten Warnhinweise (z. B. Schulversagen,Lernverweigerung), die Intensivierung der Schüler-Lehrer-Beziehung bzw.der Eltern-Lehrer-Beziehung sowie ein sinnvoll didaktisch gestalteterUnterricht sind notwendige Aspekte, um dem Phänomen der Schulver-weigerung adäquat entgegentreten zu können.

Dieses Buch wendet sich ausdrücklich nicht nur an Fachkräfte, sondernauch an Studierende und an interessierte Eltern. Durch die wohl bis jetzteinmalige Aufbereitung von den bis zu dem Jahr 2000 veröffentlichtenBeiträgen zu dem Thema Schulabsentismus, werden in strukturierterWeise die unterschiedlichen Aspekte zu diesem Thema grundlegend undumfassend vermittelt. Zusätzlich zu den drei bereits beschriebenenAuswertungsbereichen der Metaanalyse findet sich ein eigenes Kapitel, indem ein historischer Abriss zu dem Thema Schulpflicht, die schulrecht-lichen Möglichkeiten bei Schulpflichtverletzungen sowie die soziale Trag-weite der Schulpflicht dargestellt werden.

43 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 44: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

44 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Ricking, Heinrich Motive und Handlungswege im Umfeld von SchulabsentismusIn: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desintegrationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden.Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationAus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 9Münster: Lit Verlag, 2000, S. 301–310.ISBN: 3-8258-4461-7

In den verschiedenen fachlichen Disziplinen werden Einordnungsver-suche der Auftrittsformen von Schulabsentismus unternommen. Domi-nierte über eine lange Zeit eine jugendpsychiatrische Sichtweise, sowerden gerade aus sonder- bzw. sozialpädagogischer Sicht zunehmendMängel dieser theoretischen Modelle bei der praktischen Arbeit konsta-tiert: Der Pathologisierung der Schulverweigerer würde Vorschub geleistetund defizitäre Schulstrukturen würden vernachlässigt. Einen Ausweg – soRicking –verspricht hier die verhaltenstheoretisch fundierte Einschät-zungsskala der Schulverweigerung (ursprünglich von Kearny undSilverman). Diese Skala beschreibt die vier Mechanismen der Schulver-weigerung (Schulverweigerung ist der Oberbegriff dieser Skala; fürRicking ist Schulabsentismus der passende Oberbegriff für das Phänomen):Vermeidung negativer Effekte, Vermeiden aversiver sozialer Situationen/Prüfungssitu-ationen, Aufmerksamkeit suchendes Verhalten und durch das Verhalten bewirktespürbare positive Verstärkung. Hierbei wird jedoch bewusst auf exakte Typi-sierungen verzichtet, da dies dem vielschichtigen und komplexenPhänomen der Schulverweigerung nicht gerecht werden könne. Diese vierMechanismen können auf zwei Perspektiven reduziert werden: DasVermeiden von negativen Zuständen (Leistungsängste, soziale Ängste etc.)und das Aufsuchens von angenehmen Situationen (Peer-Group, etc.).Diese polare Sicht der positiven/negativen Situationen lässt sich gemäßRicking auch auf den Schulabsentismus übertragen, wenn der Entste-hungsprozess mit familiären Problemlagen und daraus folgenden schuli-schen Schwierigkeiten berücksichtigt wird.

Hinsichtlich pädagogischer Maßnahmen haben sich zunehmend alterna-tive Schulmodelle bewährt. Jedoch laufen hierbei die Schulen Gefahr, ihreeigenen problematischen Strukturen zu ignorieren und schwierige Schüle-rinnen und Schüler einfach „abzuschieben“. Dabei konnte vielfach inStudien nachgewiesen werden, dass Schulen ein sehr großer Beitrag beider Senkung des Schulabsentismus zukommt.

Page 45: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Notwendig sind dabei individuell auf jede einzelne Schule zugeschnitteneInterventions- und Präventionsmaßnahmen, die es ermöglichen, den Jugend-lichen eine Schule mit zureichenden Lebens- und Lernmöglichkeiten zubieten. Stichworte sind hier: schnelles Reagieren der Schule auf das Fort-bleiben der Schülerinnen und Schüler, spezielle Unterrichtsangebote fürJugendliche mit besonderem Förderbedarf, Kooperation mit Familie undJugendamt etc.

Schreiber-Kittl, Maria; Schröpfer, Haike Abgeschrieben? Ergebnisse einer empirischen Untersuchungüber SchulverweigererMünchen: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2002Aus Serie: Übergänge in Arbeit. 2ISBN: 3-87966-405-6

Nach Meinung von Expertinnen und Experten nimmt die Anzahl derJugendlichen, die Schule verweigern oder gar die Schule ohne jeglichesBildungszertifikat verlassen, zu. Die Folgen sind für die betroffenenJugendlichen fatal, da Bildungsabschlüsse zwar keine hinreichenden abernotwendige Voraussetzungen darstellen, um berufliche und gesellschaft-liche Positionen erreichen zu können. Um Jugendlichen, die der Schuleschon über einen längeren Zeitraum ferngeblieben sind, wieder eineEingliederung in das Schulsystem zu ermöglichen, wurde das Modellpro-jekt „Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit 1998–2001“ ins Lebengerufen. Dieses Projekt wurde vom Deutschen Jugendinstitut wissen-schaftlich begleitet und vom Bundesministerium für Familie, Senioren undFrauen vier Jahre lang finanziell unterstützt.

Schreiber-Kittl und Schröpfer tragen nun in diesem Buch nicht nur dieErgebnisse der wissenschaftlichen Begleitung dieses Projektes zusammen,sondern geben auch einen umfassenden Überblick über Ursachen, Auftre-tensformen und Begrifflichkeiten hinsichtlich des Phänomens der Schul-verweigerung.

In Bezug auf die wissenschaftliche Begleitung wurden jedoch nicht nurbei den acht Projekten des Modellprojektes „Arbeitsweltbezogene Jugend-sozialarbeit 1998–2001“ qualitative und quantitative Untersuchungenvorgenommen. Zusätzlich wurden weitere 28 Projekte aus dem Wettbe-werb „Fit für Leben und Arbeit“ untersucht. Schreiber-Kittl undSchröpfer befragten Expertinnen und Experten (u. a. Lehrkräfte inBerufsschulen, Vertreterinnen und Vertreter von schulpsychologischen

45 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 46: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

46 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Diensten sowie von Schulämtern und Jugendämtern) und Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter des Modellprojektes sowie schulverweigerndeJugendliche. Insgesamt konnten 346 Jugendliche bundesweit erfasstwerden.

Die meisten jugendlichen Schulverweigerer begannen im Alter zwischen12 und 14 Jahren mit dem Schwänzen. Geschlechtsspezifische Unter-schiede sind außerdem zu nennen: So neigen beispielsweise Mädchen imUnterricht eher zu passiven Verhaltensweisen (Träumen etc.), wohingegenmännliche Schüler eher aktiv den Unterricht stören. Mädchen verbringendie Zeit meist alleine oder daheim, während männliche Schulverweigerersich häufiger Peers anschließen. Wie kommt es nun zu schulverwei-gerndem Verhalten? Nicht jedes schulaversive Verhalten, so die Auto-rinnen, ist ein Anzeichen von Schulverweigerung. Bis zu einem gewissenGrad sind auffällige Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülerdurchaus normal für die Adoleszenzphase. Bei den so genannten „harten“Fällen können keine monokausalen Erklärungszusammenhänge greifen.Es müssen mehrere Faktoren zusammentreffen, die dann zu einem schul-verweigernden Verhalten führen. Expertinnen und Experten verweisen indiesem Zusammenhang auf familiäre Schwierigkeiten und schulische bzw.gesellschaftliche Problemfelder. Trotz der Relevanz aller drei Aspektescheinen insbesondere schulische Gegebenheiten besonders gravierend zuwirken. So waren für 59 % der befragten Jugendlichen Probleme mit denLehrkräften ausschlaggebend für die ersten Fehlzeiten. Weitere schulischeProblemfaktoren waren Ärger mit Mitschülern (29 %) oder schlechteLeistungen (31 %). Es wurden jedoch auch außerschulische Faktoren vonden Jugendlichen genannt. So gaben beispielsweise 37 % der befragtenJugendlichen an, sich lieber mit einem Freund/Freundin getroffen zuhaben. Dies muss jedoch nach Schreiber-Kittl und Schröpfer vor demHintergrund der einsetzenden Pubertät der Schüler und Schülerinneninterpretiert werden – einer Phase, in der gerade emotionale Aufgabenden Jugendlichen weitaus wichtiger erscheinen als Schule.

Die Autorinnen konstatieren, dass häufiges Schwänzen mit einem hohenAnstrengungsgrad hinsichtlich der Geheimhaltung vor den Elternverbunden ist. Die freie Zeit, die durch das Schwänzen gewonnen wird,gestaltet sich entgegen landläufiger Meinung oft recht unangenehm, da esgilt, sich zu verstecken und den Eltern das normale Schülerleben vorzu-täuschen. Gerade bei einem fortgeschrittenen Stadium der Schulver-weigerung wird dies immer anstrengender und die Gefahr der sozialenIsolation größer. Bei den Reaktionen seitens der Schule zeigte sich, dasssich die Lehrkräfte bei ca. 59 % der Befragten um Gespräche mit Jugend-lichen und Eltern (53 %) bemühten. 14 % der Befragten gaben an, ganzaus der Schule verwiesen worden zu sein, bei 10 % wurde das Schulamt

Page 47: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

eingeschalten und bei 22 % bekamen die Eltern einen Bußgeldbescheid;bei 21 % erfolgte keine Reaktion. Schreiber-Kittl und Schöpfer weisendarauf hin, dass es für diese Jugendlichen von ganz erheblicher Bedeu-tung war, ob und auf welche Art mit der Schulverweigerung umgegangenwurde. Für eine Rückkehr in die normale Schullaufbahn ist die positiveZuwendung von Lehrerinnen und Lehrern, von Mitschülerinnen undMitschülern, von Eltern und von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozi-alarbeitern – so die Untersuchungsergebnisse – ganz wesentlich. Überdieserscheint das Eingreifen in den Anfangsphasen der Schulverweigerungvor allem bei benachteiligten Jugendlichen besonders wichtig.

Es haben sich mittlerweile eine ganze Reihe von Projekten und Lernange-boten mit unterschiedlichen Konzeptionen für Schulverweigerer bewährt(außerschulische, sozialpädagogische, am Lernort Schule, Kooperationenzwischen Schule und Jugendhilfe). Auch wenn gerade bei älteren Schul-verweigerern eine (Re-)Integration in die Regelschule zumeist nichtmöglich ist, werden diese Schulalternativen nach anfänglichem Misstrauengut von den Jugendlichen angenommen. Problematisch erscheint denAutorinnen u. a., dass durch diese Etablierung der Projekte auffälligeSchüler und Schülerinnen von der Schule abgeschoben werden können,ohne dass Schulstrukturen in Frage gestellt werden. Schreiber-Kittl undSchröpfer bemängeln weiterhin, dass zu wenig Kapazitäten für die Nach-sorge vorhanden sind. Eine Vernetzung zwischen Schule und schulverwei-gernden Projekten ist zu fördern, um einen Synergieeffekt für beide Insti-tutionen zu erreichen.

Die Autorinnen schließen mit der Forderung, dass es in Zukunft darumgehen muss, Schule als Lebenswelt für ihre Schülerinnen und Schüler zukonzipieren. Schule soll nicht nur ein Ort des Lernens sondern auch einOrt sein, der den Jugendlichen bei der Bewältigung und Lösung von(Alltags-) Problemen hilft.

47 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 48: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

48 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Schulze, GiselaUnterrichtsmeidende Verhaltensmuster. Formen, Ursachen, InterventionenHamburg: Dr. Kovac, 2003ISBN: 3-8300-0924-0

Dieses Buch von Gisela Schulze dokumentiert Ergebnisse der Studie„Schulaversive Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen“ des Insti-tutes für Sonder- und Heilpädagogik der Universität Rostock. Die Studiewurde von 1998–2000 durchgeführt und in dieser Zeit vom Ministeriumfür Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpom-mern unterstützt. In dieser Veröffentlichung werden aus diesemForschungsprojekt Interventionsmöglichkeiten und Maßnahmen aus demtheoretischen Modells von Kurt Lewin abgeleitet. Hierbei werden auchKonzepte und Handlungsmodule für präventive, interventive und rehabili-tative Maßnahmen dargestellt. Des Weiteren werden Klassifikationssche-mata vorgestellt als auch empirische Projektergebnisse dargelegt.

Schulze und Wittrock teilen in ihrem in diesem Band besprochenenBeitrag „Schulaversives Verhalten – Vorstellung und erste Ergebnisseeines Forschungsprojektes“ den übergeordneten Begriff der Unterrichtsmei-dung in drei Subkategorien ein: Schulabsentismus, Unterrichtsabsentismus undUnterrichtsverweigerung. Schulabsentismus bedeutet hier, dass die Schülerin bzw.der Schüler der Schule fernbleibt. Der Begriff umfasst Schulschwänzen,angstinduziertes Fernbleiben (z. B. schul- und elterninduzierte Ängste), Zurück-halten (z. B. aus religiösen Gründen) und Zurückgehalten werden (um Miss-handlungen zu verbergen). Mit dem Begriff des Unterrichtsabsentismus wirdder Aufenthalt der Jugendlichen in der Schule, aber außerhalb des Unter-richts beschrieben. Unterrichtsabsentismus wird nochmals unterteilt in partielleAnwesenheit im Unterricht (schülerintendiert, lehrerintendiert), innerenRückzug, Zu-spät-kommen und sich aufhalten an einem anderen Ort in der Schule.Die dritte Kategorie Unterrichtsverweigerung hingegen beschreibt eine grund-sätzliche Anwesenheit der Jugendlichen im Unterricht; jedoch wird derUnterricht durch Unterrichtsabwehr aktiv gestört bzw. durch bewusste Nichtbe-teiligung passiv verwehrt.

Die empirische quantitative Studie des Forschungsprojektes unterteiltesich in zwei Erhebungen, die beide im Herbst 1999 durchgeführt wurden.Innerhalb der ersten Studie wurden 2.169 Jugendliche (1,9 % der Gesamt-schülerschaft in Mecklenburg Vorpommern) und in der zweiten Studie2.066 Jugendliche befragt. Es zeigte sich in der I. Teilstudie, dass 4 % derJugendlichen (II. Teilstudie: 4,7 %) im Untersuchungszeitraum unent-

Page 49: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

schuldigt fehlten, 6,6 % (II. Teilstudie: 6,3 %) haben sich mindestenseinmal verspätet, 34,1 % (II. Teilstudie: 34,1 %) verweigerten mindestenseinmal offen und 25,7 % (II. Teilstudie: 17,6 %) verdeckt den Unterricht.Insgesamt konnte bei 49,1 % (II. Teilstudie: 38,6 %) der Schüler undSchülerinnen schulaversives Verhalten beobachtet werden.

Insgesamt wurde konstatiert, dass Jungen in all diesen Bereichen desschulaversiven/ unterrichtsvermeidenden Verhaltens im Vergleich zuMädchen überrepräsentiert sind. Des Weiteren wurde offene/verdeckteUnterrichtsvermeidung öfter auf dem Land als auf der Stadt ausgemacht.Außerdem wurde schulaversives/schulvermeidendes Verhalten am häufig-sten in der 8. Jahrgangsstufe und an Hauptschulen festgestellt.

Um geeignete Interventionsstrategien und Maßnahmen bei unterrichtsver-meidenden Jugendlichen zu entwickeln, greift Schulze auf die Feldtheorievon Kurt Lewin zurück. Diese postuliert einen dynamischen Zusammen-hang von Wirkfaktoren. Diese unterteilen sich in vier Wirkungsräume undweitere drei Dimensionen. Zu den Wirkungsräumen zählen:(1) Familie

(2) Peer-Group

(3) Schule

(4) alternativer Wirkungsraum(Bereiche, die nicht in den anderen Wirkungsräumen enthalten sind,z. B. Warenhäuser, Bahnhöfe)

Zu den weiteren Dimensionen, die noch zu den Wirkfaktoren dazugehören, zählen:(1) physische/psychische Ressourcen der Jugendlichen

(2) Gesellschaft

(3) situative Bedingungen(z. B. materiell, räumliche, zeitliche Bedingungen, Klima,individuell psychische Faktoren)

Zwischen all diesen Bereichen bestehen Wechselwirkungen, durch die sichdas schulvermeidende Verhalten abschwächt oder verstärkt. Grundle-gende Schlussfolgerung aus diesem theoretischen Ansatz hinsichtlichpotentieller Interventionsmöglichkeiten und präventiver Maßnahmen istdie Erkenntnis, dass es weder eine feste Zielgruppe von Jugendlichen, diesich schulvermeidend verhält, noch feste Rahmenbedingungen, innerhalbderer Schulvermeidung unweigerlich auftritt, gibt. Das bedeutet, dass sichauch die präventiven, interventiven und die rehabilitativen Maßnahmenflexibel und adaptiv gestalten müssen. Wichtig sind hier eine Bereitstel-

49 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 50: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

50 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

lung bzw. eine Entwicklung von Konzepten, die Leitlinien vorgeben. Esist hierbei darauf zu achten, dass bei schulvermeidenden Schülern undSchülerinnen nicht nur auf einem Feld (z. B. lediglich auf dem schuli-schen), sondern auf vielen Feldern angesetzt wird.

Nicht zuletzt ist eine Kooperation zwischen Pädagogik, Sonderpädagogikund Sozialpädagogik angezeigt. Eine kollegiale Kooperation in der Team-arbeit und eine Ausarbeitung von sozialen Netzwerken sind ebenfallsnotwendig.

Schulze, Gisela; Wittrock, ManfredSchulaversives Verhalten – Vorstellung und erste Ergebnisse eines ForschungsprojektesIn: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desintegrationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden.Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationAus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 9Münster: Lit Verlag, 2000, S. 310–326.ISBN: 3-8258-4461-7

Schulze und Wittrock legen in diesem Beitrag Begriffserklärungen sowieerste Zwischenergebnisse der quantitativen und qualitativen Untersu-chungen der Sekundarstufe I zum Thema „Schulaversives Verhalten –Multifaktorielle Ansätze zur Erfassung und Bearbeitung des Phänomensim Rahmen einer systemisch orientierten Sonderpädagogik“ in Mecklen-burg-Vorpommern vor. Diese Studie wurde von 1998 bis 2000 vomInstitut für Sonder- und Heilpädagogik der Universität Rostock durchge-führt und vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultus unter-stützt. Im Rahmen dieser Studie sollen präventive, interventive und reha-bilitative Maßnahmen für schulaversive Jugendliche entwickelt werden.

Hinsichtlich der Begrifflichkeit wurde der Terminus „schulaversivesVerhalten“ verwendet, da klar zum Ausdruck gebracht werden soll, dasses vielfache Vorformen gibt, die erst am Ende eines Prozesses in dauer-haften Schulabsentismus münden können. Als Oberbegriff einer begriff-lichen Systematisierung wurde „Unterrichtsmeidende Verhaltensmuster“(mit und ohne Schulaversion) gewählt. Diese Oberkategorie wurde inUnterrichtsverweigerung, Unterrichtsabsentismus und Schulabsentismus unterteilt,

Page 51: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

wobei jede dieser drei Subkategorien wiederum in partiell und total unter-schieden wird. Durch diese Differenzierung ist es gemäß der Autorenmöglich, die Breite der Ausprägungen von aktiver und passiver Aufgaben-verweigerung bis (unentschuldigtem) Fehlen vom Unterricht abzubilden.

Im Rahmen der empirischen Studie wurden die Schulklassen fünf mitzehn aller Schulformen untersucht. Innerhalb der 1. Teilstudie wurden2.169 Schülerinnen und Schüler erfasst, was ca. 1,9 % der Gesamtschüler-schaft der ausgewählten Jahrgänge in Mecklenburg Vorpommernentspricht. Von den Befragten waren 1.085 weiblich und 1.084 männlich.Des Weiteren besuchten ein Drittel im Stadtbereich und zwei Drittel imLandbereich die Schule. 87 Schülerinnen und Schüler (4,0 %) fehltenunentschuldigt, davon 27 häufig (7 und mehr Schulstunden), wobeiJungen öfter „häufiger“ als Mädchen fehlten.

Uhlig, SteffenHandlungsstrategien im Umgang mit Schulverweigerung – Versuch einer SystematisierungIn: Simon, Titus; Uhlig, Steffen (Hrsg.):Schulverweigerung. Muster, Hypothesen, HandlungsfelderOpladen: Leske + Budrich, 2002, S. 43–71.ISBN: 3-8100-3584-X

Steffen Uhlig nähert sich der Problematik der Schulverweigerung mitHilfe eines theoretischen Modells, das er aus systemtheoretischen undkonstruktivistischen Annahmen herleitet. Anhand dieses Modells zeigtUhlig die Probleme auf, mit denen Schulverweigerer konfrontiert sind undleitet neue Handlungsstrategien ab. Im Zentrum seiner Erörterung stehenproblematische Beziehungsstrukturen. Diese lassen sich in den verschie-denen Interaktionen zwischen Schülerinnen und Schülern, Lehrkräftenund Eltern finden. Zumeist werden jedoch Beziehungsstrukturenvernachlässigt zugunsten der Betonung individueller Defizite. Uhlig zeigtin seinem Beitrag nicht nur die theoretischen Eckpunkte, sondernverdeutlicht die These der „Beziehungsstrukturen“ anschaulich anBeispielen aus seiner Praxiserfahrung im Zentrum für alternatives Lernenin Schönebeck.

Dass zumeist eine Defizitperspektive des Jugendlichen bei dem ThemaSchulverweigerung im Vordergrund steht, zeigt sich bereits bei denverschiedenen Definitionen und Begrifflichkeiten. So verweist beispiels-weise der Begriff „Schulverweigerung“ klar auf die Person des Schülers,

51 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 52: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

52 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

wohingegen „Schülerweigerung“ eher auf eine problematische Perspektiveder Lehrkräfte bzw. der Schule abhebt. Nach Uhlig ist auf jeden Fallnotwendig, dass beides, sowohl die Schule als auch die sozialen Kontext-faktoren, bei der Ursachenforschung adäquat Berücksichtigung finden.Lösungsmöglichkeiten sind u. a. im Einsatz von Störungsverantwortlichenan Schulen zu sehen. Das sind Fachkräfte, die bereits in der Wirtschafteingesetzt werden. Deren vornehmliche Aufgabe ist es nicht, Störungenzu verhindern, sondern jeder einzelnen Störung auf den Grund gehen.Auch Case-Management und alternative Beschulungen könnten poten-tielle Interventionen als Alternative zur Schule darstellen.

Wagner, Michael; Dunkake, Imke; Weiß, BerndSchulverweigerung: Empirische Analysen zum abweichendemVerhalten von SchülernIn: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56, 3,2004

Dem Phänomen des Schulschwänzens und der Schulverweigerung wird inder Öffentlichkeit und in der Wissenschaft zunehmend Aufmerksamkeitgewidmet. Trotz des steigenden Interesses an dieser Thematik gibt es nursehr wenige empirische Untersuchungen, die es erlauben, das Ausmaßoder die Ursachen der unerlaubten Schulabwesenheit genauer zubestimmen. Um leichte und schwere Fälle des Schulschwänzens vonein-ander zu unterscheiden, wird der Begriff der Schulverweigerung herange-zogen, der das häufige Schulschwänzen bezeichnet. Aus soziologischerPerspektive kann Schulverweigerung als eine Form abweichenden Verhal-tens definiert werden, da die unerlaubte Abwesenheit vom Unterrichtgegen die vorherrschenden Werte und Normen einer bildungsorientiertenGesellschaft verstößt. Des Weiteren ist Schulverweigerung eine Ordnungs-widrigkeit, da sie die Schulpflicht verletzt und Sanktionen, z. B. in Formvon Bußgeldbescheiden, zur Folge haben kann. Die Bedeutsamkeit derSchulverweigerung lässt sich aus den sozialen Konsequenzen für dieJugendlichen ableiten. Hier sind u. a. zu nennen: niedriger bzw. keinenSchulabschluss, Nähe zu delinquenten Verhaltensweisen, Ausdruck starkerpsychischer Belastungen.

Ziel der Studie ist es, das Ausmaß der Schulverweigerung in Köln zubestimmen und zu erklären. Die empirische Basis ist eine Befragung vonKölner Schülern der achten bis zehnten Klassen aus dem Jahr 1999, diedas Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht inFreiburg zur Verfügung gestellt hat (n=1.824). In die Studie wurden

Page 53: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Schüler aus Sonder-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien einbe-zogen. Als Schulverweigerer wurden Schüler definiert, die mindestenssechsmal im vergangenen Jahr unentschuldigt der Schule ferngebliebensind (vgl. auch Oberwittler et al., 2001). Die Ergebnisse zeigen, dass 7,9 %aller Schülerinnen und Schüler den Schulverweigerern zuzurechnen sind,dass Jungen häufiger als Mädchen unentschuldigt der Schule fernbleibenund dass ältere Schüler im Gegensatz zu jüngeren verstärkt die Schuleverweigern. Wichtiger als das Geschlecht und die Jahrgangsstufe istjedoch die Schulform. Hauptschüler verweigern mit 14,5 % am häufigstendie Schule, gefolgt von Sonderschülern (12,8 %), Realschülern (6,1 %) undGymnasiasten (4,7 %). Schulverweigerung ist damit ein Phänomen derniedrigen Schulformen.

Zur Erklärung von Schulverweigerung wurde im Rahmen der Studie aufdrei Theorien des abweichenden Verhaltens zurückgegriffen: die Anomie-theorie, die Kontrolltheorie und die Theorie der städtischen Subkulturen.Nach der Anomietheorie ist Schulverweigerung das Ergebnis einer sozi-alen Deprivation. Schüler, deren Eltern einen niedrigen sozioökonomi-schen Status aufweisen, haben oft nicht die Mittel – z. B. kulturellesKapital – um die gesellschaftlich vorgegebenen Ziele wie Anerkennungoder ökonomischen Erfolg über einen erfolgreichen Schulbesuch zu errei-chen. Daher werden diese Ziele außerhalb der Institution Schule gesucht.Das Ziel Anerkennung wird z. B. durch Zeitvertreib mit Peers kompen-siert, und ökonomischer Wohlstand wird durch das Ausüben einerNebentätigkeit angestrebt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anomietheoriepartiell bestätigt werden kann. Eindeutig ist, dass Schüler um so eher dieSchule verweigern, je schlechter ihre Schulleistungen sind. Schulleistungenwurden über die Schulform, versetzungsgefährdende Noten und dassitzen bleiben erhoben. Ebenfalls besteht ein positiver Zusammenhangzwischen dem sozioökonomischen Staus der Eltern und den Schulleis-tungen. Je niedriger der sozioökonomische Status, desto schlechter dieSchulleistungen. Auch die These, dass Schüler mit schwachen Schulleis-tungen verstärkt nach Alternativen der Anerkennungsgewinnung suchen,konnte bestätigt werden. Schulverweigerer treffen überproportional häufigfast täglich ihre Freunde an einem Treffpunkt außerhalb der Wohnung. ImHinblick auf das Einkommen konnten keine signifikanten Unterschiedezwischen Schulverweigerern und Nicht-Schulverweigerern identifiziertwerden.

Die Kontrolltheorie betont die Bedeutsamkeit der Bindung an wichtigeSozialisationsagenten. Insbesondere der Familie wird eine wichtige Rollebei der Vermittlung konventioneller Werte und Normen im Sozialisations-prozess zugeschrieben. Wichtige Voraussetzungen der Internalisierungkonventioneller Werte und Normen sind eine enge emotionale Bindung

53 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 54: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

54 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

an die Eltern, Kontrolle durch die Eltern und ein konsistenter Erzie-hungs- und Disziplinierungsstil. Auch wenn die bivariaten Befunde einennegativen Zusammenhang zwischen allen Dimensionen und der Schulver-weigerung aufweisen, zeigt sich im multivariaten Modell ein hoch signifi-kanter Einfluss der mangelnden Kontrolle und des defizitären Erzie-hungsstils.

Nach der städtischen Subkulturtheorie sind Jugendliche, die in einemdesorganisierten Wohnviertel (hohe Arbeitslosigkeit, hohe Kriminalitäts-raten etc.) leben, erhöht der Gefahr ausgesetzt, in Kontakt mit deviantenPeers zu treten, die das Schulschwänzen positiv bewerten. Die Analysenbestätigen diese These: Je desorganisierter das Wohnviertel wahrge-nommen wird, desto ausgeprägter ist die Schulverweigerung. Zudemerwies sich die Anzahl der schwänzenden Freunde als einer der stärkstenPrädiktoren in unserer Untersuchung.

Nach den Ergebnissen der Studie sind die Erklärungsfaktoren der Schul-verweigerung in den drei Sozialisationskontexten Familie, Schule undPeers verankert. Ihnen kommt ein weitgehend voneinander unabhängiger,direkter Einfluss auf die Schulverweigerung zu. Es gibt nicht einen domi-nanten Risikofaktor, sondern viele, die an verschiedenen gesellschaftlichenOrten lokalisiert sind.

Im Hinblick auf die präventiven Maßnahmen ist daher vor allem dasLehrer-Eltern-Netzwerk, insbesondere „bildungsfernerer“ Elternhäuser,zu stabilisieren. Im Unterricht sind die sozialen Kompetenzen der Schülerzu stärken und es sollte weiter darüber nachgedacht werden, ob dasUnterrichtsangebot insbesondere der Hauptschulen so erweitert werdenkann, dass es auch Schülern gerecht wird, die in herkömmlichen Fächernnur schwache Leistungen zeigen. Schlechte Schulnoten und das Sitzenbleiben tragen eher dazu bei, dass sich das Schulschwänzen verstärkt.

(Abstract von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbstverfasst)

Page 55: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Warzecha, BirgitSchuleschwänzen und Schulverweigerung. Eine Herausforderung an das BildungssystemMünster: Lit Verlag, 2001Aus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 8ISBN: 83-8258-3815-3

Warzecha gibt eingangs einen umfassenden Überblick über potentielleUrsachen, die zu institutionellen und sozialen Desintegrationsprozessenbei Schülerinnen und Schülern führen. Im Anschluss daran werdenErgebnisse aus verschiedenen empirischen Untersuchungen dokumentiert.Die ersten vorgestellten Ergebnisse stammen aus der Studie „Schule-schwänzen – unerlaubtes Fernbleiben vom Unterricht – schulische Abwe-senheit“, bei der Schulen für Erziehungshilfen aus neun Bundesländernteilnahmen. Bei der quantitativen Befragung handelte es sich um telefoni-sche Interviews von Schulleiterinnen und Schulleitern und um schriftlicheBefragungen von Lehrkräften dieser Schulen. Insgesamt konnte damiteine recht große Population von über 4000 Jugendlichen erfasst werden(ohne dass hier jedoch die Jugendlichen selbst interviewt wurden). EinigeErgebnisse machten deutlich, dass Mädchen weitaus weniger an diesenSchulen vertreten sind als Jungen (16 % vs. 84 %). Außerdem wissenimmerhin ca. 50 % der Eltern um die Schwänzaktivitäten ihrer Kinder.Weitere Ergebnisse gehen auf eine quantitative Befragung aus dem Jahre1998 zurück, in der 101 Jugendliche aus sechs Hamburger Häusern derJugend befragt wurden. Laut dieser Studie blieben ca. drei Viertel derJugendlichen regelmäßig dem Schulunterricht fern, wobei Jungen undMädchen gleich oft fehlten. Auf diese Schulversäumnisse reagierten ledig-lich etwas mehr als die Hälfte der Lehrkräfte. Die dritte Studie ist eineDokumentenanalyse und stützt sich auf Praktikumsberichte von Studie-renden der Verhaltenspädagogik und Lernbehindertenpädagogik 1997 bis1999. Hier wurden in Form von teilnehmender Beobachtung u. a. Interak-tionen zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler sowie unterden Jugendlichen untersucht. Es zeigt sich, dass störende bzw. abwei-chende Verhaltensweisen im Schulalltag allgegenwärtig sind, es jedoch nurselten den Lehrkräften möglich ist, adäquat zu reagieren. Somit werdenbereits im Schulalltag Desintegrationsprozesse gefördert, anstatt bereitsdie ersten abweichenden Anzeichen der Jugendlichen ernst zu nehmenund pädagogisch aufzufangen. Es ist somit notwendig – so die Autorin –diese auffälligen Verhaltensweisen als das zu verstehen, was sie sind: einHilferuf der Jugendlichen.

55 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 56: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

56 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Sind die Jugendlichen erst einmal aus dem Schulsystem gefallen, kümmertsich zumeist die Jugendhilfe um diese Fälle. Jedoch bedeutet dasAuffangen dieser Jugendlichen seitens staatlicher Erziehungseinrichtungennicht unbedingt eine Auflösung der Probleme dieser Biografien. ImGegenteil, Warzecha kritisiert das System der Kinder- und Jugendhilfe, daihrer Meinung nach durch die Institutionen – wenn auch ungewollt –Zuschreibungsprozesse initiiert werden und damit eine Reintegration inGesellschaft erschwert bzw. vollkommen verhindert wird. Notwendigwären frühzeitige Hilfsangebote, die präventiv bei gefährdeten Jugend-lichen ansetzen. Warzecha betont, dass die Implementierung von Quali-tätsentwicklung für pädagogische Arbeitsfelder im schulischen als auch imaußerschulischen Bereich unabdingbar ist. Weitere von der Autorin gefor-derte fachliche Anforderungen betreffen institutionelle Angebotsstruk-turen, die es den Pädagoginnen und Pädagogen ermöglichen, kompetentzu agieren. Dazu gehören insbesondere Rahmenbedingungen, die jungen-spezifische Hilfeleistungen, Kooperationen zwischen Schule und Jugend-hilfe, leistungsfähige Netzwerke und professionelle Frühdiagnostikerlauben. Gerade das Problem der „Maßnahmenkarriere“ bei schwierigenJugendlichen, die aus dem Schulsystem in die Jugendhilfe fallen bzw.abgeschoben werden, kann mit Kooperationsprojekten der verschiedenenDisziplinen aufgefangen werden.

Birgit Warzecha gibt jedoch am Schluss zu bedenken, dass sämtliche obengenannten Bemühungen, Jugendliche aus dem Kreislauf von Schulver-weigerung, sozialen und institutionellen Desintegrationsprozessen herauszuholen,nur dann Sinn ergeben, wenn den Jugendlichen eine wirkliche Chance aufIntegration in der Arbeitswelt geboten werden kann.

Page 57: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

2 Pädagogische Hilfestellungen, Leitlinien und Erfahrungsberichte

Gottschalk, Ingo Entwicklungspotenziale Sozialer Arbeit an Schulen aus derEntwicklungsperspektive der Jugendhilfeplanung in Magdeburg– Ein PraxisberichtIn: Simon, Titus; Uhlig, Steffen (Hrsg.):Schulverweigerung. Muster, Hypothesen, HandlungsfelderOpladen: Leske + Budrich, 2002, S. 141–156.ISBN: 3-8100-3584-X

Ingo Gottschalk skizziert die Entwicklung der Schulsozialarbeit in derLandeshauptstadt Magdeburg. Schulsozialarbeit zeichnet sich dadurch aus,dass sie das Verbindungsglied zwischen Schule und Jugendhilfe anSchulen darstellt. Es wird somit ermöglicht, Schülerinnen und Schüler imLebensraum Schule Angebote zu machen, die unterschiedliche Benachtei-ligungen zumindest ansatzweise kompensieren können. Seit September1999 werden Leitlinien hinsichtlich der Schulsozialarbeit reflektiert. Gott-schalk stellt die verschiedenen Phasen und Schwierigkeiten diesesProzesses der Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe vor. Diesebeziehen sich sowohl auf die Prinzipien und Leitlinien von Schulsozialar-beit als auch auf familiäre und schulische Belastungspotentiale bis hin zuden rechtlichen Rahmenbedingungen und geeigneten Auswahlkriterien füreine adäquate Trägerschaft.

Gottschalk betont zwei Schwerpunkte hinsichtlich des Entwicklungspro-zesses der Jugendhilfe: Der erste Schwerpunkt liegt innerhalb des Schul-systems, das mit Hilfe der Jugendhilfe nicht nur Lern- sondern auchLebensraum sein soll. Der zweite Schwerpunkt ist, dass Jugendhilfe als(Anlauf-) Instanz für sozial Benachteiligte und als Partnerin der Sozialisa-tionsinstanz Schule fungieren soll. Damit sieht Gottschalk für die Jugend-hilfe hinsichtlich der Schulsozialarbeit ein zweigeteiltes Feld. Jugendhilfeist demnach einerseits eine Instanz, die ihre eigenen Bereiche behält undandererseits ein Kooperationspartner der Schule.

57 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 58: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

58 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Gottschalk schreibt meist stichpunktartig und mit einer sehr hohen Infor-mationsdichte; komplexe Sachverhalten werden dabei allerdings oft nichtausführlich besprochen. Der Beitrag versteht sich als eine Darstellung desModellprojektes der Schulsozialarbeit in Magdeburg und ist damit wenigereine Anleitung als vielmehr eine Inspirationsquelle für Pädagogen inähnlichen Projekten.

Hinne, Katrin Gedanken über die Entstehung einer pädagogischen Haltung inder Arbeit mit SchulverweigerernIn: Simon, Titus; Uhlig, Steffen (Hrsg.): Schulverweigerung. Muster, Hypothesen, HandlungsfelderOpladen: Leske + Budrich, 2002, S. 71–89.ISBN: 3-8100-3584-X

Katrin Hinne geht in ihrem Beitrag der Fragestellung nach, welche pädago-gischen Einstellungen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Zentrumfür alternatives Lernen in Schönebeck bei der Arbeit mit jugendlichenSchulverweigerern zum Erfolg verhelfen. Dabei kommt Hinne zu demSchluss, dass Pluralität und Toleranz die vorherrschenden Merkmale desgemeinsamen Umgangs sind. Konkret schlägt sich dies in der Arbeit alsein Wertschätzen und Akzeptieren gegenseitiger Sichtweisen undMethoden von Kollegen, Jugendlichen und Eltern nieder. Das Z.A.L.wird begriffen als ein Ort des Lernens, nicht nur seitens der Jugendlichen,sondern auch seitens der Pädagoginnen und Pädagogen.

Wichtiger Bestandteil dieser Lern- und Austauschkultur sind Supervi-sionen und regelmäßige (Meta-) Gespräche. Überdies sind Strukturennotwendig, die zwar einerseits als Halt gebende Grenzen fungieren, diesich jedoch andererseits an den Jugendlichen bzw. an allen am ProzessBeteiligten orientieren. Ausschlaggebend für die Mitarbeiterinnen undMitarbeiter ist die Berücksichtigung der verschiedenen Beziehungsebenenund -muster. Vorurteile und Vorannahmen über Jugendliche werdenimmer wieder in Frage gestellt. Dies erleichtert es, Festschreibungen undHypothesen immer wieder kritisch zu hinterfragen. Wichtig ist hierbei,dass Schülerinnen und Schüler als Partner wahrgenommen und mit ihrereigenen Verantwortung für ihr Handeln konfrontiert werden.

Page 59: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Es wird der Fall eines Jugendlichen angeführt, bei dem Hyperaktivitätdiagnostiziert wurde. Wenn sich der Junge auffällig verhielt, wurde diesdann immer mit dieser Diagnose „entschuldigt“. Hinne zeigt, wie aufliebevolle Weise versucht wird, dem Jungen sein Handeln bewusst zumachen. Dies hilft nicht nur dem Jungen, sich seine Verantwortung vorAugen zu führen, sondern er wird damit langsam aus einer Art Entmün-digung herausgeführt.

Hinne beschreibt die pädagogischen Haltungen in ihrem Artikel undverdeutlicht sie an Beispielen. Damit ist für Fachkräfte in der Praxis einBeitrag zur Reflexion der eigenen Haltungen gegeben.

Holtappels, Heinz GüntherGanztagsschule als Herausforderung: Kooperation von Jugendarbeit und SchuleIn: Schirp, Jochem; Schlichte, Cordula; Stolz, Heinz-Jürgen (Hrsg.): Annäherungen. Beiträge zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und SchuleGriedel: Afra, 2004, S. 153–178.ISBN: 3-932079-87-6

Günter Holtappels zeigt in diesem Beitrag Möglichkeiten einesZusammenwirkens von Jugendhilfe und Schule auf. Die Besonderheitstellt hier das Schulkonzept einer Gesamtschule dar. Zuerst wird erläutert,weshalb eine Schulform wie die Gesamtschule innerhalb unserer gesell-schaftlichen Gegebenheiten wichtig bzw. notwendig ist und welche grund-legenden Ziele sich daraus ableiten lassen. Danach stellt HoltappelsKooperationsoptionen und -chancen von Jugendhilfe und Gesamtschuledar – nicht ohne dabei auf Schwierigkeiten und Möglichkeiten der unter-schiedlichen Organisationsmuster der Gesamtschulen einzugehen.

Durch neue Familienmodelle, angestiegene Qualifikationsanforderungenund sowohl pädagogische als auch organisatorische und strukturelleMängel an Vormittagsschulen sind die Anforderungen an Kinder, Jugend-liche und an deren Familien im schulischen Alltag stark angestiegen. Esgeht heute nicht nur darum, vermehrt Unterstützung im qualifikatori-schen Bereich einzufordern, sondern auch im sozialen, sozialstrukturellenund emotionalen Feld zu agieren. Dies ist bzw. sollte auch das Ziel einerGesamtschule sein, um dem steigenden gesellschaftlichen Problemdruckgerecht zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine erfolgreicheZusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule notwendig.

59 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 60: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

60 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Holtappels benennt zahlreiche Arbeitsfelder, in denen beide Institutionenzusammenwirken können und sollen. Hier können nur einige von Holtap-pels genannte Punkte grob wiedergegeben werden: Beispielsweise ist einezusätzliche Unterstützung – sowohl was die sozialen, emotionalen als auchdie kognitiven und fachlichen Gebiete betrifft – in einer gemeinsamenZusammenarbeit zu fokussieren. Auch sollten im Schulunterricht neueWege der Lernstoffvermittlung gemeinsam gesucht werden. Des Weiternsind soziale/interkulturelle Gemeinschaftserlebnisse (z. B. Feste, Konzert-oder Theateraufführungen, Cafés) und eine stärkere Mitbestimmungdurch Schüler und Schülerinnen im Schulalltag zu implementieren. Auchdie Einzelfallberatung ist ein Feld, in dem die Kooperation von Schuleund Jugendhilfe dringend angezeigt ist. Fallen beispielsweise Einzelfall-hilfe oder beratende Gespräche zur Lebensgestaltung eher in das Ressortder Sozialpädagogen, so ist der Einbezug der Lehrkräfte (z. B. durchCoaching, Interaktionstraining oder Supervision) notwendig.

Um eine erfolgreiche Zusammenarbeit beider Institutionen verwirklichenzu können, ist jedoch nach Meinung des Autors ein integriertes Organisa-tionsmodell (vs. additives Modells) von Schule und Jugendhilfe nötig.Gerade eine eng verzahnte Arbeit von Schule und Jugendhilfe mit densich daraus ergebenden Synergieeffekten ist erforderlich, um diekomplexen Schwierigkeiten in der Jugenderziehung zu bewältigen (Stich-worte: enge Teamarbeit, fachlicher Austausch über schwierige Jugendliche,kontinuierliche Gruppenbezüge für Jugendliche).

Holtappels hebt besonders die Bedeutung einer inhaltlichen (Ausweitungdes Lernstoffes), methodischen (verschiedene Arten der Vermittlung, z. B.Ausstellungen, Experimente, Projekte) und räumlichen Öffnung vonGesamtschulen hervor. Mit einer „Öffnung“ der Schule ist gemeint, dass„nachbarschaftliche“ öffentliche oder private Einrichtungen oderPersonen, Betriebe etc. als Kooperationspartner für schulische Projektegefunden werden sollen.

Dieser Artikel von Holtappels wendet sich insbesondere an Leser undLeserinnen, die sich für die Kooperationsmöglichkeiten von Jugendhilfeund Schule im Bereich der Gesamtschulen interessieren sowie an Fach-leute aus der Praxis, die sich über die Form der Zusammenarbeit infor-mieren möchten.

Page 61: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Jäckl, AngelikaDie Notwendigkeit von Synergieeffekten in der Kooperation zwischen Schule und JugendhilfeIn: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desinte-grationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden.Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationMünster: Lit Verlag, 2000, S. 181–190.Aus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 9ISBN: 3-8258-4461-7

Dieser Beitrag von Angelika Jäckl versucht die zumeist recht problemati-sche aber wichtige Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule zu unter-stützen. Die Autorin macht hierzu Vorschläge, die die gelingende Umset-zung dieses Zusammenwirkens fördern sollen.

Auftretende Schwierigkeiten während der Jugendphase sind keinemoderne Erscheinung. Historisch gesehen waren diese schon immerkennzeichnend für die Zeitabschnitte der Pubertät und der Adoleszenz.Zum heutigen Zeitpunkt wird jedoch der Übergang von der Jugend- indie Erwachsenenwelt durch nachhaltige Veränderungen der gesellschaft-lichen Wertvorstellungen, der Institution Familie, der Peer-Groups, derSchule und des Arbeitsmarktes deutlich erschwert. Drohende Arbeitslo-sigkeit, die Möglichkeit von unterschiedlichsten Familien- und Freund-schaftsbeziehungen sowie die scheinbare Wahlfreiheit der eigenenBiografie komplizieren Identitäts- und Rollenfindungsprozesse beiJugendlichen. Dies schlägt sich nicht zuletzt auch im jugendlichenVerhalten innerhalb des schulischen Kontextes nieder. Schulverweigerungist damit als ein Symptom der zunehmend schwierigen Situation vonJugendlichen zu verstehen. Für die Lehrkräfte bedeutet der zunehmendeProblemdruck ihrer Schülerinnen und Schüler eine Überstrapazierung derberuflichen Kompetenzen und Kapazitäten. Es ist deshalb notwendig,eine Zusammenarbeit im Schulalltag zwischen pädagogischen und psycho-logischen Fachkräften und Lehrkräfte zu forcieren. Wichtige Bereiche, indenen sozialpädagogischer Handlungsbedarf besteht, sind Themenfelderwie Geschlecht, Freundschaft oder Nationalität.

Des Weiteren sind der Unterricht, die Beziehungen zu Mitschülerinnenund Mitschülern und Lehrkräften sowie Freizeitangebote Tätigkeitsfeldervon Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern. Die professionellesozialpädagogische Bearbeitung dieser Gebiete ist wesentlich, um Schulenicht nur als Lernort, sondern auch als Lebensort zu gestalten.

61 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 62: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

62 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Notwendige Voraussetzungen für eine gelingende Kooperation zwischenJugendhilfe und Schule sind, dass Kooperationsprojekte vertraglich, finan-ziell und fachlich festgelegt werden, dass eine Teilnahme aller Beteiligtenan Stadtteilkonferenzen sichergestellt wird sowie dass eine Profilbildungder einzelnen Tätigkeits- und Berufsfelder erfolgt. Eine wichtige Bedin-gung, um eine Kooperation mit Synergieeffekten zu erhalten, ist in einerengagierten Arbeit auf beiden Seiten zu sehen. Darüber hinaus muss eineForm der Kommunikation gefördert werden, die es ermöglicht, dass sichdie verschiedenen Parteien wertschätzend gegenüberstehen und diezugleich Raum für Kreativität lässt. Ein falsches Harmonieverständnis istdagegen zu vermeiden, denn Konflikte können durchaus konstruktivesPotential und Synergieeffekte freisetzen. Eine „gelingende Kooperation“ist ein schwer zu erreichendes Ziel. Jedoch weist die Autorin darauf hin,dass unter Umständen Jugendlichen gerade das Bild von Erwachsenen,die trotz Problemen und Schwierigkeiten kooperieren, ein wichtigerWegweiser in ihrer Entwicklung sein könnte.

Kantak, Katrin (Hrsg.)Schulsozialarbeit: Sozialarbeit am Ort Schule.Landeskooperationsstelle Schule – Jugendhilfe Berlin: Wissenschaft und Technik Verlag, 2002ISBN: 3-8968-5906-4

Diese Broschüre beinhaltet eine Zusammenstellung von Artikelnmehrerer Autorinnen und Autoren zu Aspekten des Themas Schulsozial-arbeit – zumeist auf das Bundesland Brandenburg bezogen. Unter denBeiträgen sind sowohl Fachartikel, Praxisbeispiele, Erfahrungsberichte alsauch konkrete Hilfestellungen und Anleitungen (z. B. Selbstbefragungs-bogen) zu dem Thema Schulsozialarbeit vertreten. Inhaltlich werden dabei– grob umrissen – die Gebiete des Qualitätsmanagements und derZusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule bearbeitet. Überdies wirdthematisiert, wie Schulsozialarbeit soziale Ausgrenzung (gerade imZusammenhang mit Schulverweigerung) vorbeugen kann, und es wird derStand der Schulsozialarbeit in Brandenburg dargelegt. Diese Broschürewendet sich hauptsächlich an Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialar-beiter und zeichnet sich vor allem durch die zahlreichen und sehrkonkreten Hilfestellungen für die Praxis aus.

Page 63: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Bei der in dieser Broschüre dokumentierten Studie, die 1999 im Auftragdes Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport landesweit durchgeführtwurde, handelt es sich um eine quantitative Befragung von 127 Schulsozi-alarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern (aus 125 Projekten), 113 Schullei-terinnen und Schulleitern und 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausJugendämtern.

Die Studie ergab u. a., dass die überwiegende Mehrheit der Schulsozialar-beiterinnen und Schulsozialarbeiter (89,6 %) ausschließlich an einer Schulearbeiten. Sie sind meistens an Gesamtschulen tätig (74 %). In Bezug aufdie Kooperationsmöglichkeiten zeigte sich, dass nur in wenigen Fällen(8 % der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter und 4 % derSchulleiterinnen und Schulleiter) die Kooperation als echte Zusammenar-beit von Schule und Schulsozialarbeit verstanden wird – diese wird imGegenteil als ein „Nebeneinander“ mit wenig Überschneidungspunktenwahrgenommen. Trotzdem erachten Schulsozialarbeiterinnen und Schul-sozialarbeiter ein besseres Zusammenwirken mit Lehrkräften alswünschenswert, und ca. ein Drittel erhofft sich eine verstärkteZusammenarbeit mit dem Jugendamt. Lehrkräfte erwarten von Schulsozi-alarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter gemäß der befragten Schulleite-rinnen und Schulleiter an erster Stelle das Betreuen von schwierigen Schü-lerinnen und Schüler, gefolgt von Einzelfallhilfen und an dritter Stellesozialpädagogischen Unterstützungsleistungen.

In Bezug auf das Qualitätsmanagement in der Schulsozialarbeit wirdeingangs der Begriff der Qualität, die Messbarkeit von Qualität und Qualitäts-beschreibung dargestellt. Im Anschluss daran wird die Vorgehensweisevorgestellt, wie man Qualitätsstandards entwickeln kann. Die einzelnenSchritte beziehen sich hierbei u. a. auf die Bezeichnung der Hauptarbeits-felder oder die theoretische Einteilung der Qualitätskriterien Konzeptqua-lität, Strukturqualität und Prozessqualität. Schließlich sollen diese Kriterienauf den Alltag angewendet und evaluiert werden.

Überdies wird ein Selbstfragebogen für Schulsozialarbeiterinnen undSchulsozialarbeiter präsentiert, der helfen soll, die räumliche Arbeit an derSchule, die Kooperationsstrukturen innerhalb und außerhalb der Schule,Leistungsbeschreibungen und die Wirksamkeit der eigenen Arbeit besserzu reflektieren. Des Weiteren werden zwei Checklisten bereitgestellt, dieals eine Evaluation der eigenen Arbeit zu verstehen sind und eine prakti-sche Hilfestellung für eine Auswertungsberatung zur Schulsozialarbeit, beider alle Beteiligten eingebunden werden. Am Ende des Kapitels zumQualitätsmanagement werden noch Kriterien einer qualitativ hochwer-tigen Sozialarbeit an Schulen vorgestellt. Zu den geforderten Punktengehören u. a. feste Vereinbarungen über die Zusammenarbeit von Schule

63 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 64: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

64 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

und Schulsozialarbeit. Außerdem sollten die Schülerinnen und Schülerndie Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter kennen – genauso wiedie Lehrkräfte um die (inhaltlichen) Tätigkeiten der Schulsozialarbeitwissen sollten.

Hinsichtlich der Kooperation von Schule und Schulsozialarbeit wurdenBedingungen für eine gelingende Kooperation vorgestellt. Diese Bedin-gungen beziehen sich auf Selbstklärung („fachlich kompetentes Selbstver-ständnis“), Kooperationsstrukturen (Informationsaustausch), Kooperationskultur(„Arbeitsatmosphäre“) und gemeinsame Projekte. Des Weiteren werdenErfahrungen des 1999 gegründeten regionalen Arbeitskreises zur Schulso-zialarbeit im Havelland geschildert. Im Anschluss daran wird eine Arbeits-hilfe für die Implementierung und Entwicklung solcher Arbeitskreiseangeboten.

Mann, Andrea Geschlechtsdifferenzierte Arbeit mit jugendlichen SchulverweigerInnen.In: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desinte-grationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden. Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationMünster: Lit Verlag, 2000, S. 254–268.Aus Serie: Konflikt – Krise – Sozialisation. 9ISBN: 3-8258-4461-7

In diesem Beitrag stellt Andrea Mann die geschlechtsspezifische Arbeit inMädchengruppen im Rahmen des KidZ-Projekts dar. Wie gestaltet sichnun diese Arbeit und wo liegen hier die Vorteile zu geschlechtshetero-genen Gruppen?

Innerhalb des Mädchenprojektes von KidZ geht es vor allem darum, dienegativen Selbstkonzepte der Mädchen aufzufangen und mit ihnen neue,positivere Selbstbilder zu erarbeiten. Die Mädchen sollen wieder fürBildung geöffnet werden und außerdem lernen, Biografiekonzepte zuentwerfen und umzusetzen. Einen wesentlichen Eckpfeiler dieser Arbeitstellt die Beziehungsarbeit dar. Diese geschieht innerhalb einesgeschützten Rahmens, in dem eine ernsthafte und wertschätzende Atmo-sphäre für die Arbeit an typischen Themen von Mädchen gegeben ist.Hauptthemen sind Aussehen, Körper und Männer bzw. Jungen. Dasbesondere an dieser geschlechtsspezifischen Situation ist, dass Themen

Page 65: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

nicht sexualisiert und bewertet werden. Die Mädchen können sich somitöffnen und ihre Persönlichkeit zeigen, ohne Angst haben zu müssen,abgewertet oder verletzt zu werden. Des Weiteren werden die anderenMädchen weitaus weniger als im koedukativen Rahmen als Konkurren-tinnen wahrgenommen, und damit ist es den Mädchen leichter möglich,offen aufeinander zuzugehen. Innerhalb einer Mädchengruppe ist somiteine Gruppendynamik präsent, die sich weniger an hierarchischen Dimen-sionen orientiert, als das in einer gemischten Gruppe der Fall wäre.

Um den Mädchen ein positiveres Selbstbild zu vermitteln, arbeiten dieMitarbeiterinnen dieses Projektes mit einem „3-Stufen-Plan“: Bedürfnis-orientierung, Problemorientierung und Erfolgsorientierung. Während es in derBedürfnisorientierung beispielsweise darum geht, weibliche Themen nichtabzuwerten und damit das Selbstbewusstsein der Mädchen zu stärken,zielt die Stufe der Problemorientierung darauf ab, den Mädchen zuhelfen, ihre ursächlichen Problemfelder zu erkennen. Mit Erfolgsorientie-rung wird hingegen der Prozess der individuellen Lösungsfindungbeschrieben.

Zum Schluss betont die Autorin die Wichtigkeit von Selbstbewusstseinund der Gewissheit, das Leben selbst in die Hand nehmen zu können.Mit dem Erreichen dieser beiden Projektziele wird den Mädchen einepositive Lebensgestaltung ermöglicht.

Marquardt, Arwed Zwischenwelten – Jugendliche zwischen Schule und Straße.In: Warzecha, Birgit (Hrsg.): Institutionelle und soziale Desintegrationsprozesse bei schulpflichtigen Heranwachsenden.Eine Herausforderung an Netzwerke der KooperationMünster: Lit Verlag, 2000, S. 327–344. Aus Serie: Kooperation Konflikt – Krise – Sozialisation. 9ISBN: 3-8258-4461-7

Marquardt geht dem Phänomen der Schulverweigerung bei Straßenkin-dern und -jugendlichen nach und betrachtet insbesondere Jugendliche, diesich in der Bahnhofsszene in Großstädten aufhalten.

Jugendliche aus diesem Milieu sind oftmals schon von klein auf mitschwierigen Familienverhältnissen, Beziehungsbrüchen, Drogen undProstitution konfrontiert. Sie leben in sogenannten „Zwischenwelten“.Damit ist ein Ort voller Widersprüche gemeint. Der größte Widerspruch

65 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 66: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

66 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

dürfte wohl zwischen einerseits den täglichen Erwartungen der Eltern undSchule und andererseits den objektiven Möglichkeiten, ihnen gerecht zuwerden liegen. Sozial benachteiligte Jugendliche erfahren besondersschmerzlich, was es heißt, in einer individualisierten Welt, in der scheinbaralle möglichen Biografieentwürfe umsetzbar sind, aus den Grenzen derSozialhilfe nicht heraustreten zu können. Diese Exklusion aus der Gesell-schaft greift nicht zuletzt auch im Bildungssegment. Obwohl dieseJugendlichen ein gesetzliches Recht auf Bildung haben, ist die ordnungs-gemäße Durchsetzung der Schulpflicht bei dieser Klientel nicht möglich.Gesetzliche Maßnahmen wie Bußgeldbescheide oder Zwangszuführungensind bei diesen Jugendlichen nicht durchführbar. Dies gilt schondeswegen, da die Jugendlichen meist nicht auffindbar sind und Bußgeld-bescheide gegen die Eltern wegen des meist niedrigen Einkommens (bzw.Sozialhilfe) ins Leere laufen müssen. Somit ist oftmals zu konstatieren,dass diese Regelungen nicht erfolgen und die Jugendlichen als „unbe-schulbar“ aufgegeben werden.

Marquardt fordert ein Schulsystem, in dem zum einen in ausreichendemMaße Beziehungsangebote verwirklicht werden und zum anderen eineOffenheit in der Gestaltung der Lebens- und Lernangebote dargebotenwird. Wird dies nicht sichergestellt, gerät Haupt- und Sonderschule zueiner „sonderpädagogischen Sonderwelt“, die für die Außenseiter unsererGesellschaft zuständig ist.

Page 67: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Michel, Andrea; Hofmann-Lun, IreneWas kann die Schule zur Vermeidung von Schulmüdigkeit tun?Handlungsstrategien zur Arbeit mit schulmüden und schulverweigernden JugendlichenIn: Sicher durch den Schulalltag Berlin: Raabe, November 2004, A I 10.3, S. 1–18.ISBN: 3-8183-0404-1

In diesem Beitrag zeigen die Autorinnen auf, wie Schulmüdigkeit undSchulverweigerung aus Sicht der Schule erkannt und verhindert werdenkönnen. Es werden dabei drei verschiedene Praxisbeispiele vorgestellt, dieunterschiedliche Zeitpunkte im Prozess der Schulverweigerung illus-trieren.

Ausführlich werden die verschiedenen Konzepte mit folgenden Schwer-punkten dargestellt:(1) frühe Prävention von Schulmüdigkeit,

(2) zeitweise Unterrichtung von schulmüden Jugendlichen in Förder-klassen mit einer anschließenden Reintegration in die Stammklasse

(3) Unterrichtung von Schulverweigerern in Förderklassen mit der Ziel-setzung des erfolgreichen Abschlusses der Hauptschule

Zuerst klären die Autorinnen, was unter den Begriffen „Schulmüdigkeit“und „Schulverweigerung“ in der wissenschaftlichen Literatur verstandenwird. Es geht hierbei nicht nur um Absentismus, also das Fernbleibenvom Unterricht und/oder der Schule, sondern auch um aktive (Stören,Fernbleiben) und passive (Träumen, geistig abwesend sein) Schulver-weigerung. Die Beispiele Guter Praxis sind den Beschreibungen des „DJI-Netzwerks Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung“entnommen.

„KOMM-Beratung in Schule und Stadtteil“ in Darmstadt und Frankfurthat es sich zum Ziel gesetzt, Schulmüdigkeit bereits in ihren ersten Anzei-chen zu bekämpfen und somit hartnäckige Manifestationen der Schulver-weigerung gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei legt „KOMM“ denSchwerpunkt auf Jugendliche und Kinder der vierten bis siebten Klassen.Das Team von „KOMM“ arbeitet in der Beratungsstelle, als mobilerDienst sowie an Schulen. Besonderes Augenmerk legt „KOMM“ auf eineSensibilisierung für die Identifizierung erster Anzeichen von Schulver-weigerung. Im Rahmen der Arbeit von „KOMM“ wurden Orientierungs-fragen zur Systematisierung speziell für Lehrkräfte erarbeitet, die dieAutorinnen in ihrem Beitrag vorstellen. Die Fragen zielen auf die Erken-

67 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 68: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

68 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

nung gefährdeter Schülerinnen und Schüler (z. B.: wann/wo hat derJugendliche gefehlt, Sozialverhalten, familiäre Situation) sowie die Einlei-tung erster Schritte (z. B.: erfolgreiche bzw. erfolglose Kontaktaufnahmemit den Eltern).

An Jugendliche, die bereits eine ausgeprägte Schulverweigerungshaltungzeigen, wendet sich „Coole Schule I“ in der Jean-Piaget-Oberschule,Berlin. Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahren. DasKonzept wird im Beitrag vorgestellt. „Coole Schule I“ fördert Jugend-liche, die zum einen ein schwächeres Leistungsniveau aufweisen und zumanderen den Übergang von Grundschule zur Oberschule nur schwerpassieren konnten. Teilweise blieben sie auch aus Angst vor Mitschüle-rinnen und Mitschülern oder/und vor Schule und Unterricht (Leistungs-anforderungen, Konflikte, große Klassen) dem Unterricht fern. AuchJugendliche, die aus psychosozial belasteten Familien stammen und in derSchule überfordert sind, gehören in die Zielgruppe. Im Rahmen desProjektes sollen mit den Jugendlichen Lernrückstände aufgeholt werden.Darüber hinaus gilt es auch, die Stabilisierung des Selbstwertgefühls, dasEinüben von Tagesstrukturen oder das Reflektieren des Vermeidungsver-haltens zu vermitteln, um schließlich eine Reintegration in die alte Klassezu ermöglichen. Begleitend werden Gespräche mit Eltern geführt undUnterstützungsarbeit mit Lehrkräften geleistet.

Zielgruppe des dritten Praxisbeispiels sind stark abschlussgefährdeteSchüler/innen, die die (vor)letzte Klasse der Ganztagshauptschule Georg-schule in Euskirchen besuchen. Im Rahmen von „Förderklassen“ werdenschulische Wissenslücken der Jugendlichen geschlossen, Sozialkompetenzentwickelt, Lebens- und Problembewältigung geschult und die Persönlich-keit gestärkt. Zusätzlich wird das Thema Berufswahl vor allem in derAbschlussklasse in Form von Betriebspraktika, Laufbahnplanung, Bera-tungsgesprächen etc. fokussiert. Die Zielgruppe besteht aus Jugendlichen,die aufgrund von mehrmaligen Klassenwiederholungen und/odermassiven Schulpflichtverletzungen voraussichtlich nicht in der Lage sind,in ihren herkömmlichen Klassen einen Schulabschluss zu erreichen undauf dem Ausbildungsmarkt zu bestehen.

Hervorzuheben sind bei diesem Artikel neben der anschaulichen Illustra-tion der Projekte zu den Formen der Schulverweigerung auch die zahlrei-chen Orientierungshilfen, die von den verschiedenen Projekten entworfenwurden.

Page 69: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Oelsner, Wolfgang; Lehmkuhl, GerdSchulangst. Ein Ratgeber für Eltern und LehrerDüsseldorf: Walter, 2002ISBN: 3-530-40120-X

Diese Publikation von Wolfgang Oelsner und Gerd Lehmkuhl ist ein sehrpraxisorientierter Ratgeber für Eltern und Lehrer. Gut nachvollziehbarwerden anhand von ausführlichen Fallbeispielen die zu unterscheidendenFormen Schulangst, Schulphobie und Schuleschwänzen erläutert. ImAnschluss daran werden Checklisten angeboten, die es Lehrkräften undEltern ermöglichen, betroffene Kinder und Jugendliche zu identifizieren.Des Weiteren werden zahlreiche unterschiedliche Interventionsmöglich-keiten (Einzeltherapie, Familientherapie, Einbezug der Schulklasse etc.)besprochen.

Bleiben Kinder und Jugendliche häufig der Schule fern, ist es zuerstwichtig, die Ursachen zu analysieren. Die Autoren unterscheiden dreiKategorien: Schulangst, Schulphobie und Schuleschwänzen. Wie werden diesedrei Begriffe nun voneinander abgegrenzt? Kriterien der Schulangst sindstarke Ängste vor Leistungsnachweisen, subtiler oder offensiver Ableh-nung durch Mitschülerinnen und Mitschüler bzw. Lehrkräfte. Oftmalsgeht dies mit psychosomatischen Problemen einher, wobei im Allge-meinen dissoziale Verhaltensweisen nicht vorhanden sind. Schulphobieentsteht hingegen, wenn in dem Kind/Jugendlichen durch den Schulalltagstarke Trennungsängste von Familie bzw. einzelnen Familienmitgliedernmobilisiert werden. Ähnlich wie bei der Schulangst wissen die Eltern überdas Fernbleiben ihrer Kinder Bescheid. Auch hier können psychosomati-sche Beschwerden auftreten, während dissoziale Handlungsmuster fehlen.Der entscheidende Unterschied liegt in der starken Bindung von Kindernund Familie, die es dem Kind nicht mehr „erlaubt“, die Trennung von derFamilie durch die Schule auf sich zu nehmen. Diese Form der Störung istmeist sehr schwer zu erkennen und wird oft durch andere „scheinbare“Probleme kaschiert. In der Regel haben diese Kinder keine Leistungspro-bleme. Liegt Schuleschwänzen vor, wissen die Eltern nichts von den Schul-versäumnissen ihrer Kinder. Überdies weisen diese Kinder und Jugend-lichen aggressive und regel- und normbrechende Verhaltensweisen auf.Auch Drogen- und Alkoholmissbrauch ist innerhalb dieser Kategorie vonJugendlichen üblich.

Wurde nun eine dieser drei Formen der Schulverweigerung diagnostiziert,müssen im nächsten Schritt die notwendigen und vor allem richtigenInterventionsmöglichkeiten gefunden und durchgeführt werden. So ist esbei einer diagnostizierten Schulangst beispielsweise angezeigt zu über-

69 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 70: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

70 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

legen, ob die Schulform (Gymnasium, Realschule) angemessen ist. DesWeiteren sollten Klassengespräche angestrebt und/oder Klassenkonfe-renzen anberaumt werden, in denen der Beziehungs- und Vertrauenskon-text des Schülers bzw. der Schülerin in der Schule/Klasse besprochenwird. Schulphobische Jugendliche hingegen sollten nicht zu nachgiebighinsichtlich des Fernbleibens von Schule behandelt werden; hier solltenauch Atteste von nicht anerkannten Psychologen oder sehr lange Atteste(z. B. über sechs Monate) von ambulanten Psychotherapiepraxen nichtangenommen werden. Psychotherapien jedoch (auch stationäre Aufent-halte in Jugendpsychiatrien) sind bei diesen Jugendlichen anzuraten, daSchulphobie ihre Wurzeln in einer (frühen) starken psychischen Störunghat. Bei Schulschwänzern schlagen die Autoren vor, dass eine eher„harte“ Linie gegenüber Norm- und Regelbrüchen verfolgt werden sollte.Notwendige Unterstützungshilfen sollten hier von Jugendamt, dem schul-psychologischen Dienst und außerschulischen Schulverweigererprojekteneingeholt werden.

Oelsner und Lehmkuhl weisen am Ende ihres Buches noch darauf hin,dass es grundsätzlich nicht darum gehen soll und kann, aus der InstitutionSchule einen „Vergnügungspark“ machen zu wollen. Auch wird Schuleniemals eine komplett angstfreie Zone sein können. Und gemäß derAutoren ist das auch nicht erstrebenswert, da Schule vielmehr denUmgang mit Angst lehren und Leistungsbereitschaft vermitteln soll, stattdie Vermeidung dieser Perspektiven. Angst und Leistungsbereitschaft sindnotwendige Aspekte im Leben, ohne die Leben und Entwicklung in einerGesellschaft nicht denkbar wären. Es ist deshalb sinnvoll, die Kinder undJugendlichen pädagogisch auf diese Herausforderungen – natürlich inwohldosierten Maßen – vorzubereiten.

Page 71: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Olk, Thomas; Speck, Karsten Schule und Schulsozialarbeit. Aufgaben, Rollen, KooperationsmöglichkeitenInstitut für Bildung und Weiterbildung (Hrsg.)Göttingen: Institut für Bildung und Weiterbildung, 2000

Jugendliche werden heutzutage – und dies verstärkt in Ostdeutschland –durch tief greifende gesellschaftliche Umbrüche mit einer schwierigenAusgangslage konfrontiert. Einerseits stehen Jugendlichen eine Vielzahlvon persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und beruflichen Optionenoffen, andererseits sind damit jedoch auch zahlreiche Risiken und Forde-rungen nach spezifischen Handlungskompetenzen verbunden.

Diese prekäre Situation fördert Schulverdrossenheit, Schulverweigerung,Probleme bei der beruflichen Orientierung und fehlende Kompetenzen inder Konfliktverarbeitung. Es müssen daher neue Wege im bildungspoliti-schen Bereich beschritten werden, um den Bedürfnissen der Jugendlichenund Kinder und den Anforderungen der modernen Gesellschaft gerechtzu werden. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe wird nichtzuletzt angesichts dieser Problemlagen seit den 90er Jahren verstärktdiskutiert. Olk und Speck erläutern innerhalb ihres Lehrbriefes eine Formder Zusammenarbeit beider Institutionen: die Schulsozialarbeit. Jedochwerden innerhalb ihrer Abhandlung nicht nur grundlegende theoretischeAspekte vermittelt. Es ist das vordergründige Anliegen dieser Broschüre,praktische Anleitungen und hilfreiche Übungs- und Beispielaufgaben fürdie Umsetzung im beruflichen Alltag bereitzuhalten. Diese Umsetzungs-hilfen finden sich innerhalb jedes Kapitels.

Innerhalb der theoretischen Abhandlungen werden zuerst die Begriffevon Jugendhilfe, Schule und Schulsozialarbeit geklärt und die verschie-denen Aspekte der Schulsozialarbeit grundlegend dargelegt. Hinsichtlichder Schulsozialarbeit sind unterschiedliche Aspekte zu beachten: von politi-schen Gegebenheiten (u. a. Ausländerfeindlichkeit, zunehmende Gewalt) überschulpädagogische und sozialpädagogische Perspektiven (Lebensweltorientierungder Schule) bis hin zu soziologischen Sichtweisen (Wertewandel, zunehmendeMedienpräsenz). Die rechtliche Basis der Schulsozialarbeit liegt im SGBVIII (= das KJHG) in den §§ 1, 11, 13 und 81 begründet. Zum einenfinden sich hier gesetzliche Regelungen für eine partnerschaftliche undgleichwertige Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule. Zumanderen ist nach dem Gesetz für die Schulsozialarbeit ein Ansatz vorge-sehen, der sowohl präventive, offene Unterstützungsleistungen als auch einzel-fallbezogene und intervenierende Maßnahmen umfasst. Gemäß den Autoren ist

71 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 72: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

72 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

jedoch diese gesetzliche Grundlage noch nicht ausreichend. Dies liegtdaran, dass zum einen für eine Kooperation zwischen Jugendhilfe undSchule zwei inhaltlich verschiedene Paragraphen des SGB VIII verwendetwerden müssen und dass man zum anderen in den Schulgesetzen derLänder oft vergeblich nach adäquaten gesetzlichen Regelungen sucht.

Das Zusammenwirken von Schule und Jugendhilfe kann viele Formenannehmen. Olk und Speck betrachten und erläutern die Kooperationzwischen beiden Institutionen hinsichtlich der Aspekte des Arbeitsansatzes,der Trägerschaft und der Arbeitsinhalte. Hinsichtlich der Arbeitsansätzelassen sich freizeitpädagogische Projekte, problembezogene fürsorgerische Projekteund integrierte sozialpädagogische Projekte ausmachen. Die Autoren ziehen hierdas Fazit, dass lediglich die letztgenannte Form eine partnerschaftlicheund gleichwertige Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe hervor-bringt, die anderen Projektansätze folgen eher additiven und hierarchischenMustern. Als potentielle Träger kommen prinzipiell örtliche Schulträger, dasörtliche Jugendamt und die freien Träger der Jugendhilfe in Betracht. Hier istjedoch grundsätzlich anzumerken, dass keiner der Träger besser oderschlechter geeignet ist, sondern dass jeweils individuell entschiedenwerden muss, welche Träger passend sind.

Untersucht man die verschiedenen Gebiete, in denen Schulsozialarbeit zufinden ist, stößt man im Wesentlichen auf drei Bereiche. Im Rahmen desUnterrichts können bspw. gemeinsam mit den Lehrkräften Unterrichtspro-jekte zu sozialpädagogischen Fragestellungen angeboten werden, wohin-gegen im außerunterrichtlichen Bereich u. a. Kultur- und Freizeitunterneh-mungen stattfinden können. Der dritte Bereich, der außerschulische,hingegen zeichnet sich durch eine Öffnung der Schule zum sozialen undzum sozialräumlichen Umfeld aus. Die unterschiedlichen Arbeitsfelder derSchulsozialarbeit lassen sich gemäß KJHG auch wieder in drei Gebieteeinteilen. Nach § 11 KJHG existiert das Feld der Kinder- und Jugendarbeit amOrt und im Umfeld der Schule (z. B. Jugendberatung, Stadtteilarbeit etc.). Alsnächstes ist nach § 13 KJHG das Feld der schulbezogenen Jugendarbeit (z. B.Beratung bei individuellen Problemen) zu nennen. Schließlich ist nochnach § 13 KJHG die Jugendberufshilfe und Berufsvorbereitung auszumachen.

Schulsozialarbeit, also das Zusammenwirken von Jugendhilfe und Schule,erfordert auf der personellen Ebene demnach eine Kooperation zwischenLehrkräften und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen. DieseZusammenarbeit ist jedoch gemäß Olk und Speck nicht durch Chancen,sondern vor allem (zumindest im Anfangsstadium) durch Schwierigkeiten,Vorurteilen und auch Grenzen gekennzeichnet. Möchte man diese

Page 73: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Problemstellungen beseitigen ist es notwendig, diese zu erkennen.Mögliche Gefahrenpotentiale stellen z. B. unterschiedliche Methoden,gegenseitige Vorurteile und die Uninformiertheit der Lehrkräfte hinsicht-lich der Schulsozialarbeit dar.

Um eine gelingende Kooperation Wirklichkeit werden zu lassen, sindbestimmte Rahmenbedingungen notwendig. Mithilfe der Maßnahmen undInstrumente des Qualitätsmanagements (z. B. den Kriterien der Struktur-,Prozess- und Ergebnisqualität) lassen sich in der Schulsozialarbeitnotwendige Leistungsprofile und -anforderungen bestimmen. Notwendigist überdies, dass jenseits der Kooperation sich beide Institutionen ihrereigenen und der gemeinsamen Aufgaben und Ziele bewusst sind. Olk undSpeck schließen ihren Lehrbrief damit, zukünftige Aufgabenstellungenjeweils getrennt für Schule und Jugendhilfe sowie für gemeinsameAufgaben vorzustellen.

Pinquart, Martin; Masche, Gowert J. Verlauf und Prädiktoren des Schulschwänzens.In: Silbereisen, Rainer K.; Zinnecker, Jürgen (Hrsg.): Entwicklung im sozialen Wandel.Weinheim: Psychologie Verlags Union, 1999, S. 221–238.ISBN: 3-62127-433-2

In diesem Beitrag stellen die Autoren Ergebnisse einer quantitativenStudie zum Thema Schulverweigerung mit einem Vergleich zwischen Ost-und Westdeutschland dar. Schuleschwänzen wird den Autoren gemäß„allgemein definiert als unerlaubte Abwesenheit von der Schule ohneWissen und Erlaubnis der Eltern“. Hierbei differenzieren Pinquart undMasche folgende Auftretensformen nach Whitney: Schuleschwänzen alsAngst- und Stressvermeiden, konformistisches Schwänzen, negativistisches Schwänzen(Rebellion gegen Leistungswerte von Schule und Elternhaus), opportunisti-sches Schwänzen (attraktivere Alternativen), Schwänzen, um in der Zeit zuarbeiten, habituelles Schwänzen und Schwänzen als Rückzug von der Schule.

Die Ergebnisse dieser Studie entstammen einer Längsschnittstudie von1993 bis 1995, im Rahmen derer 10 bis 13jährige Jugendliche und derenEltern sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern befragtwurden. Insgesamt wurden drei Messzeitpunkte bestimmt. Die Auswer-tungen brachten folgende Befunde: Westdeutsche Schülerinnen und Schü-lern fehlten häufiger unentschuldigt als ihre ostdeutschen Altersgenossen.Überdies baute sich Schwänzverhalten im Längsschnitt bei den westdeut-

73 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 74: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

74 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

schen Schülerinnen und Schülern deutlich stärker aus. Bezüglich derFaktoren, die das Schwänzen beeinflussen, zeigte sich, dass vor allem daselterliche Monitoring (d. h. elterliche Kontrolle und Fürsorge) und ein schul-zentriertes Elternverhalten erhebliche Einflussgrößen sind. Daneben konnteauch noch eine Wirkung der Variable „geringe Akzeptanz des Schule-schwänzens durch Cliquenmitglieder“ und eine „positive Schuleinstellung“nachgewiesen werden. Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass dieOst-West-Differenz zum einen mit der Variable des Eltern-Monitoringund zum anderen mit der (Nicht-) Akzeptanz der Peers von Schule-schwänzen teilweise erklärbar ist. Diese beiden Faktoren (verstärkteElternkontrolle und verringerte Peers-Akzeptanz) scheinen in Ostdeutsch-land stärker ausgeprägt zu sein. Die Autoren gehen in ihrem Beitragdavon aus, dass das unterschiedliche Lehrerverhalten in Ost- und West-deutschland einen wesentlichen Einfluss auf das Schwänzen der Schüle-rinnen und Schüler ausübt, auch wenn das anhand der vorliegendenDaten empirisch nicht überprüfbar ist. Von den Autoren wird ange-nommen, dass in Ostdeutschland das ehemalige Bildungssystem trotzWende weiterhin nachwirkt und somit Schuleschwänzen einschränkt.Dieses Bildungssystem der DDR war durch Kontrolle auf der politischen,sozialen und der Bildungsebene gekennzeichnet. Durch diese Kontrolleund die im Allgemeinen kleineren Klassenstärken (die den Lehrern einindividuelleres Arbeiten ermöglichte) sowie einer regen Zusammenarbeitvon Schule und Elternhaus konnte Schuleschwänzen eingedämmt werden.Die Autoren vertreten die These, dass diese Rahmenbedingungen heutenoch nachwirken.

Die Autoren sprechen sich für Interventionsmaßnahmen aus, die nichtnur schwierige Familiensituationen und schulische Lernsituationen verbes-sern helfen, sondern die auch zu mehr Kontrolle und raschen Sanktionenführen.

Page 75: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Prüß, Franz; Maykus, Stephan Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung in der Kooperation von Schule und Jugendhilfe.Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung (Hrsg.)Göttingen: Institut für berufliche Bildung und Weiterbildung,2002

Prüß und Maykus betrachten in ihrem Praxishandbuch die Kooperationvon Jugendhilfe und Schule sowie die Qualitätsentwicklung und -siche-rung hinsichtlich der Zusammenarbeit beider Institutionen. In ihremBeitrag werden diese Aspekte jedoch nicht nur theoretisch erläutert. Viel-mehr werden auch praktische Übungsaufgaben für den beruflichen Alltagbereitgestellt. Hierbei wird ausdrücklich auf die Perspektive der Schulsozi-alarbeit bzw. der schulbezogenen Jugendhilfe eingegangen.

Eingangs geben Prüß und Maykus eine grundlegende Übersicht, wasunter Kooperation zu verstehen ist und wie die notwendigen Bedin-gungen dafür aussehen sollten. Ganz allgemein gesprochen ist Koopera-tion ein Zusammenschluss von Institutionen bzw. Unternehmen mit demZiel, bessere Ergebnisse zu erreichen. Grundsätzlich werden vielfältigeStrukturen und Ebenen des Zusammenwirkens zwischen Jugendhilfe undSchule praktiziert. Von einer Kooperation kann jedoch lediglich danngesprochen werden, wenn beide Bereiche auf der institutionellen Ebene alsgleichberechtigte und gleichwertige Partner zusammenarbeiten. Um eine gelin-gende Kooperation zu ermöglichen, sind jedoch eine Reihe von Rahmen-bedingungen unabdingbar. Die Autoren fokussieren im Rahmen ihresBeitrages strukturelle, schulbezogene und jugendhilfebezogene Rahmenbedingungen.

Im Anschluss an die Thematik der Kooperation werden von den Autorendie Begrifflichkeiten und die verschiedenen Kriterien der Qualitätsent-wicklung und -sicherung vorgestellt. Qualität ist gemäß Prüß und Maykuseine relative Größe, die sich nach den Erwartungen beteiligter Gruppenrichtet. Die Autoren betonen hierbei die Tatsache, dass gemeinsame Zielezwischen den Beteiligten ausgehandelt werden müssen. Zu unterscheidensind dabei drei Aspekte: Zum einen die so genannte Strukturqualität, diesich auf die Rahmenbedingungen der vollbrachten Leistung bezieht. DieProzessqualität setzt sich mit der Art, wie diese Leistung erbracht wird,auseinander, während schließlich die Ergebnisqualität hilft, die erbrachteLeistung anhand des Vergleiches von erwünschtem und erreichtem Zielzu bemessen.

75 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 76: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

76 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Die Merkmale für Qualität werden innerhalb der sogenannten Qualitätsent-wicklung ausgehandelt, wohingegen im Prozess der Qualitätssicherung abge-klärt werden soll, welche Maßnahmen zur Umsetzung dieser Qualitätskri-terien notwendig sind. Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherungwerden gemeinsam unter den Begriff des Qualitätsmanagements gefasst.Diese unterschiedlichen Aspekte der Qualität wenden Prüß und Maykusgetrennt auf Schule und Jugendhilfe an, beziehen sie aber auch auf dieKooperation beider Institutionen. Da Qualitätsentwicklung und -siche-rung immer in einem Aushandlungsprozess geleistet werden und damitimmer auch von den unterschiedlichen Kooperationsformen abhängigsind, sind allgemeingültige Kriterien nur schwer zu benennen. Trotzdemkönnen gemäß den Autoren Basis-Qualitätskriterien ausgemacht werden.

Im Fall der Kooperation von Jugendhilfe und Schule benennen dieAutoren drei grundsätzliche Bereiche der Qualität: die Qualität der sozialpä-dagogischen Handlungsabläufe, die Qualität der Selbstevaluation/Entwicklungsfähig-keit und die Qualität der Kooperation und Vernetzung. Es sollen hier nur Quali-tätsformen für den letztgenannten Bereich auszugsweise genannt werden:Im Bereich der Kooperation und Vernetzung sind wichtige Aspekte derStrukturqualität ausreichende Finanzmittel, das Wissen um regionaleUnterstützungsleistungen sowie Fähigkeiten im Moderieren von Arbeits-kreisen. Die Prozessqualität zeichnet sich durch eine ziel- und ergebnis-orientierte Zusammenarbeit sowie durch die Entfaltung von Außenkon-takten aus. Fragen nach den Intensitätsgraden und der Beurteilung derKooperationstätigkeiten werden wieder innerhalb der Ergebnisqualitätgestellt. Dieses Durcharbeiten der Qualitätskriterien stellt bereits einenwichtigen Teil und eine notwendige Bedingung von Qualitätssicherungdar. Um Qualität jedoch kontrollieren und Qualitätskriterien überprüfenzu können, existieren zahlreiche Verfahren und Instrumente. Die Autorenverweisen diesbezüglich auf Supervisionen, Dokumentationen und Quali-tätszirkel.

Zum Schluss heben die Autoren hervor, dass eine fachlich versierte undkompetente Praxis eine notwendige Voraussetzung für Qualitätsmanage-ment darstellt und professionelles Qualitätsmanagement das Fehlen einersolchen guten Praxis nicht kompensieren kann. Dies erfordert jedochzugleich eine eingehende Profilbildung der eigenen Tätigkeits- undArbeitsfelder.

Prüß und Maykus versehen jedes theoretische Kapitel in ihrem Buch mitÜbungsaufgaben und Reflexionsaufgaben für Sozialpädagoginnen undSozialpädagogen, denen es hiermit ermöglicht werden soll, in derZusammenarbeit mit Schulen die eigenen Tätigkeiten zu hinterfragen undzudem adäquate Handlungsstrategien zu entwerfen und zu verwirklichen.

Page 77: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Überdies werden in einem eigenen Kapitel am Ende des Buches einQualitätsmanagementkonzept unter Kooperationspartnern sowie wichtigeBestandteile von Schulprogrammen vorgestellt. Des Weiteren geben dieAutoren konkrete Beispiele zu einer Kooperationsvereinbarung und derEntwicklung von Qualitätsstandards.

Riegel, Enja Schule kann gelingen. Wie unsere Kinder wirklich fürs Lebenlernen. Die Helene-Lange-Schule WiesbadenFrankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 2004ISBN: 3-10-062940-X

Diese Monografie von Riegel berichtet über die Unterrichtsmethoden und-inhalte der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, einer integriertenGesamtschule. Dabei verpflichtet sich diese Schule nicht nur denherkömmlichen Leistungsstandards, sondern es sind vor allem die ganz-heitlichen und humanistischen Ziele, denen sich die Bildungseinrichtungim Gegensatz zu den „normalen“ Schulen verschrieben hat. Riegel ist dieehemalige Schulleiterin dieser Schule und hat das Konzept maßgeblichinitiiert sowie auf- und ausgebaut.

In 15 Kapiteln beschreibt Riegel das Leben der Schule während undaußerhalb des Unterrichts. Es werden verschiedene Aspekte der Inten-tionen des Unterrichts und des allgemeinen Schullebens in den einzelnenKapiteln reflektiert. Die Aspekte erstrecken sich von konkreten Darstel-lungen, wie beispielsweise den Schülerinnen und Schülern das Lesenbeigebracht werden kann, über das Konzept des Leistungsnachweises bishin zur politischen und sozialen Erziehung außerhalb des Schulraumes.Das letzte Kapitel, geschrieben von Kahl, ist eine Würdigung der ehema-ligen Schulleiterin Riegel und zugleich ein Abriss der konzeptionellenEntwicklung der Helene-Lange-Schule. Im Rahmen dieses Abstracts wirdim Folgenden nur auf einige wesentliche Kapitel bzw. Aspekte einge-gangen.

Die Helene-Lange-Schule hat sich zum Ziel gesetzt, den Lehrstoff kreativund vor allem lebensnah zu vermitteln und dabei gleichermaßen auch diesozialen Fähigkeiten, die Persönlichkeitsentwicklung, die Kreativität unddas politische Engagement bei den Jugendlichen zu fördern und zufordern. Es geht damit nicht nur darum, den Schülerinnen und Schülerndie Inhalte des Lehrplans zu vermitteln, sondern es sollen soziale undkognitive Kompetenzen gefördert werden, die die Jugendlichen zum

77 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 78: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

78 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

selbstständigen Lernen und Leben in einer Gemeinschaft erziehen. Dadies ohne den üblichen Leistungsdruck und die damit einhergehendeAbwertung schlechterer Schülerinnen und Schüler geschehen soll, wirdsehr großer Wert auf individuelle Betreuung gelegt und eine Förderung –auch jenseits der Kernfächer – von persönlichen Fähigkeiten und Inter-essen.

Dass diese humanistische Erziehungsmethode „trotz“ dieser betontkonkurrenz- und leistungsdruckvermindernden Pädagogik hervorragendeErgebnisse bei internationalen Leistungstests erzielte, konnte nicht nurmit der PISA-Studie bewiesen werden. Nationale Studien des Max-Planck-Instituts bestätigten überdies, dass Schülerinnen und Schüler der Helene-Lange-Schule aus der 9. Klasse im Durchschnitt einen Wissensvorsprungvon über einem Jahr zu Jugendlichen anderer gleichqualifizierten Schulen.Die Helene-Lange-Schule führte auch eigene Studien durch, bei denen sieSchülerinnen und Schüler begleitet, die ab der 11. Klasse auf ein Gymna-sium wechselten. In der aktuellsten Studie stellte sich heraus, dass sich dieJugendlichen in allen Fächern verbessern konnten. Die Schulleiterin desGymnasiums, zu dem die meisten Schülerinnen und Schüler der Helene-Lange-Schule wechselten, attestierte diesen besonders gute Fähigkeiten beiPräsentationen, selbständigem Arbeiten, bei der Beschaffung von Exper-tenwissen und in ihrem sozialem Engagement.

Um solche Kompetenzen bei ihren Schülerinnen und Schülern zuschaffen, greifen die Lehrkräfte in den Unterrichtsstunden auf unter-schiedliche Methoden und Inhalte zurück. Beispielsweise werden „Lese-nächte“ organisiert, in denen die Jugendlichen sich gegenseitig ausBüchern vorlesen, oder es werden von den Jugendlichen geschriebeneGeschichten in Büchern veröffentlicht. Ein anderes Beispiel für lebens-nahen Unterricht bietet auch der Religionsunterricht. Hier geht es vorallem darum, den Schülerinnen und Schülern im täglichen Leben moderneEthik zu vermitteln. Beispielsweise wurde der Begriff der Nächstenliebe„gelehrt“, indem die Jugendlichen sich einige Wochen jemanden in ihremsozialem Umfeld annehmen und diesen tatkräftig unterstützen sollten.Soziales Engagement sowie Respekt vor den Mitschülerinnen undMitschülern, ungeachtet deren Leistungen, wird auch durch die Unter-richtsform gefördert. Unterricht wird zumeist in Klassen gehalten, indenen verschiedene Leistungsniveaus (Haupt- und Realschule, Gymna-sium) vertreten sind. Hier wird ein Raum geschaffen, in dem individuellauf die einzelnen Leistungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schülereingegangen wird, in dem Hilfsbereitschaft und Respekt vor Unter-schieden gefordert werden und in dem sich die Jugendlichen noch nichtVerstandenes gegenseitig erklären.

Page 79: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Außerhalb der Kernfächer gibt es zahlreiche Unterrichtsangebote – vomTheaterspielen bis zu unterschiedlichsten Projekten (Jugend, Umwelt etc.).Bei letzteren sollen die Schülerinnen und Schüler eigenständig an selbstgewählten Fragen arbeiten, sich Expertenwissen organisieren undabschließend eine eigene Präsentation vorbereiten. Die zum Teil unkon-ventionellen Lehrmethoden der betrachteten Bildungseinrichtung sowiedie Fokussierung auf die Persönlichkeit der einzelnen Jugendlichen trägtzu einem Unterricht bei, der humanistische Ziele verfolgt und dabeibemüht ist, aus jedem Einzelnen das Beste – nicht nur hinsichtlich stan-dardisierter Leistungsziele – herauszuholen.

„Schule kann gelingen“ von Riegel gibt Eltern und Jugendlichen, enga-gierten Lehrkräften und Schulleitungen hilfreiches und anschaulichesMaterial für Unterrichtsgestaltung zur Hand und zeigt Wege auf, um eineanspruchsvolle, lebensnahe und schülerorientierte Schule zu gestalten.Darüber hinaus haben die Leserin und der Leser nicht nur eine sehrlohnende, sondern zudem auch höchst unterhaltsame Lektüre vor sich.

Schreiber-Kittl, Maria; Schröpfer, Haike Schulverweigerern Zugänge zu systematischem Lernen eröffnen– Das Handlungsfeld „Integration in Schule und Berufsschule“In: Fördern & Fordern. Jugendliche in Modellprojekten der JugendsozialarbeitMünchen/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut, 2001, S. 36–56.

In diesem Beitrag stellen Schreiber-Kittl und Schröpfer das auf Bundes-ebene geförderte Modellprojekt „Arbeitsweltbezogene Jugendarbeit“ vor.Dieses Programm fördert im Handlungsfeld „Integration in Schule undBerufsschule“ Modellprojekte, die Lernangebote für Schulverweigerersystematisch erproben und weiterentwickeln. Dabei verfolgen die Modell-projekte drei verschiedene Ansätze: präventive Arbeit in der Schule, alternativeBeschulung im Projekt und das Konzept einer Fernschule. Die wissenschaftlicheBegleitung der Modellprojekte wurde durch das Deutsche Jugendinstitutgewährleistet. Es wurde ein interaktiver und offener Forschungsprozessangestoßen, der durch einen qualitativen und quantitativen Methodenmixgekennzeichnet war. Es wurden Kurzerhebungen bei dem Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter der Schulverweigererprojekte sowie Expertenbefra-gungen durchgeführt. Außerdem wurden 346 Schulverweigerer quantitativund 37 Schulverweigerer qualitativ befragt.

79 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 80: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

80 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Die Erfahrungen der Modellprojekte zeigten, dass durch die verschie-denen Ansätze und Methoden, die innerhalb der Projektarbeiten prakti-ziert werden, sehr hohe Anforderungen an die Projektmitarbeiterinnenund Projektmitarbeiter gestellt werden, die zumeist eine Doppelqualifizie-rung aufweisen. Überdies stellt die zumeist zeitlich befristete finanzielleFörderung der Projekte ein Problem dar, da Fachkräfte mit reichlichBerufserfahrung (und auch andere in dem Projekt beschäftigte) dadurchabgeschreckt werden. Außerdem besteht bei den meisten Projekten keineräumliche und/oder organisatorische Anbindung an die Schule, was einer-seits die relative sozialpädagogische Unabhängigkeit fördert, anderseitsjedoch auch Probleme der „Abschottung“ mit sich bringt.

Die Autorinnen verweisen nicht nur auf wesentliche Aspekte dieserModellprojekte (Zielgruppen, Ansätze, Kooperation von Schule undProjekte), sondern geben auch eine kurze Übersicht über Definitionenund Erscheinungsformen (Schulverweigerer, Schulschwänzer, aktiv, passiv)sowie über Ursachen (individuelle Ursachen, Schulsystem, Schulangst,Bewältigungsstrategien, veränderte Familienstrukturen, gesellschaftlicheUmbrüche) des Phänomens Schulverweigerung.

Stolz, Heinz-JürgenRessourcenorientierte Ansätze in Hessens KooperationslandschaftIn: Schirp, Jochem; Schlichte, Cordula; Stolz, Heinz-Jürgen (Hrsg.): Annäherungen. Beiträge zur Zusammenarbeit von Jugendhilfe und SchuleGriedel: Afra, 2004 ISBN: 3-932079-87-6

Der Text gibt einen Vortrag wieder, der auf dem Fachtag „Kinder undJugendliche im Mittelpunkt der Kooperation von Jugendhilfe und Schule“am 25.5.2003 in Marburg gehalten wurde. Der Autor war zu diesem Zeit-punkt als Projektleiter der hessischen „Landesservicestelle Jugendhilfe –Schule“ (LSSt) mit der Beratung und Begleitung regionaler Kooperations-projekte im Schnittfeld von Jugendhilfe und Schule befasst und stellte inseinem Beitrag „good practice“ im Bereich der einzelfallorientierten Koope-rationsformen vor.

Page 81: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

In einer Hinführung zum Thema wird zunächst das Spannungsfeld von insti-tutioneller Hilfe und Kontrolle bei professionell-pädagogischen Interven-tionen thematisiert. Die Kategorisierung eines Verhaltensmusters als „Teil-leistungsstörung“, „Lernbehinderung“, „Verhaltensauffälligkeit“ etc. gehtimmer auch mit einer (stigmatisierenden) defizitorientierten Bewertungder Person durch die Institution einher: Das Kind oder der/die Jugendlicheselbst wird für die Institutionen zum „Fall“.

Ein Charakteristikum von „good practice“ muss daher zunächst – wie derAutor darlegt – an der „Dekonstruktion des Einzelfalldenkens und -handelns sowie der Einübung des ‘systemischen Blicks’ ansetzen“. Nurso kommen die „konkreten lebensweltlichen Bedingungen des Aufwach-sens“ als wesentliche Mitverursacher individueller Merkmalsausprägungenin den Blick – die Individuen werden als „SymptomträgerInnen von ‚teil-leistungsgestörten' familiären, schulischen und sozialräumlichen Lern- undLebenswelten“ begriffen. Interventionen setzen dann systembezogen undsystemisch an: Systembezug bedeutet hierbei inter-institutionelle Ressour-cenbündelung und Nutzung von Synergieeffekten. Systemische Orientie-rung beinhaltet u. a. die Aktivierung lebensweltlicher Potentiale (z. B.durch intensive und aufeinander abgestimmte Elternarbeit), sowie einressourcenorientiertes Ansetzen an personellen Stärken anstatt an institu-tionell zugeschriebenen Defiziten.

Im Hauptteil des Vortrags werden zwei Beispiele einer gelungenen, institu-tionell stabilisierten regionalen Kooperation von Jugendhilfe und Schulein Hessen vorgestellt. Am Beispiel Wiesbaden wird vor allem der Aspektdes konsequenten Systembezugs im institutionellen Umgang mit Schulver-säumnissen verdeutlicht; am Beispiel Lahn-Dill-Kreis wird die systemischeOrientierung im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen hervorge-hoben.

Das Resümee betont die Notwendigkeiten des radikalen institutionellenUmbaus von Schule und der konsequent bildungsbezogenen Neuorientie-rung von Jugendhilfe als Voraussetzung eines entstigmatisierenden undressourcenorientierten Umgangs im Bereich dessen, was bislang als„Einzelfallhilfe“ bezeichnet wird. Als Subjekte dieses Umbaus müssen diejeweiligen Fachkräfte – also Lehrerkräfte und Sozialpädagoginnen undSozialpädagogen – figurieren. Voraussetzung hierfür ist, dass die (auchexterne) Kritik an der eigenen Institution nicht mit einer Infragestellungder Professionalität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichgesetztwird. Das beispielsweise in der PISA-Studie deutlich gewordene Institutio-nenversagen von Schule (und im Übrigen auch von Jugendhilfe) in der„Benachteiligtenförderung“ zeigt nur die schlechten Rahmenbedingungen,

81 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 82: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

82 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

unter denen die pädagogischen Fachkräfte hierzulande arbeiten müssen.Sie selbst sollten daher diejenigen sein, die am nachdrücklichsten radikaleVeränderungen fordern, anstatt „ihre“ Institution quasi reflexhaft undzwanghaft-identifikatorisch zu verteidigen.

Thimm, Karlheinz Schulverdrossenheit und Schulverweigerung. Hintergründe und LösungsansätzeInstitut für Bildung und Weiterbildung (Hrsg.)Göttingen: Institut für Bildung und Weiterbildung, 2000

Schulverdrossenheit und Schulverweigerung sind nicht nur für Schüle-rinnen und Schüler, sondern auch für betroffene Lehrer und Lehrerinnenschwierige Situationen. Dies kann dazu führen, dass Lehrkräfte es alsEntlastung erleben, wenn auffällige Jugendliche, die an Unterrichtsstö-rungen beteiligt sind, nicht mehr im Schulunterricht erscheinen.

Was kann aus dieser problematischen Ausgangslage helfen? Thimmwendet sich mit diesem Theorie-Praxis-„Lehrbrief“ an Lehrerinnen undLehrer sowie an Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter. DerAutor stellt theoretische Grundlagen hinsichtlich der Formen von schula-versiven Verhalten, Bedingungen, Ursachen und möglichen Interven-tionen vor. Unterstützt wird diese theoretische Basis durch praktischeÜbungsaufgaben für Lehrer und Lehrerinnen sowie Sozialpädagogen undSozialpädagoginnen. Diese sind in jedes Kapitel integriert und sollen zusystematischer Reflexion und zu konkretem Eingreifen anregen.

Als erstes erläutert Thimm die Lebenswelt von Jugendlichen, angefangenbei veränderten Peer- und Familiensituationen bis hin zu sich verändertenLebensstilen. Es sind zunehmende Wertevielfalt, weniger autoritäre Erzie-hungsstile und scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten des individuellenBiografieentwurfes zu konstatieren. Diesen Chancen stehen zahlreicheUnwägbarkeiten und Gefahren gegenüber: Die nur scheinbar freie Wahlder gesellschaftlichen und beruflichen Position wird gerade für Jugend-liche aus benachteiligten sozialen Schichten zum Verhängnis. Auch kanndas die modernen Biografien auszeichnende Motto „nichts muss – alleskann“ Jugendliche in schwierige Prozesse der Identitätsfindungen führen;Arbeitslosigkeit verstärkt den ohnehin starken Leistungsdruck zusätzlichund fördert somit Konkurrenz unter den Jugendlichen.

Page 83: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Thimm unterscheidet vier Formen schulaversiven Verhaltens. Unter Schul-verdrossenheit versteht Thimm einen inneren Rückzug (Träumen, passiveUnterrichtsverweigerung wie zu spät kommen, kleine Störungen desUnterrichts). Eine zweite Form ist die aktionistische Schulverweigerung, die dasdurchschnittliche Maß der Unterrichtsstörung ganz erheblich übersteigtund sich in aggressiv-offensiver Form sowohl gegen Lehrkräfte, Mitschü-lerinnen und Mitschüler als auch gegen formale Arbeitsanforderungenwenden kann. Vermeidende Schulverweigerung bezeichnet das intensiveund/oder häufige Schuleschwänzen, bei dem jedoch noch nicht – wiebeim Totalausstieg – absolut mit der Schule gebrochen wird. Thimm gehtdavon aus, dass einbis zwei Prozent der Jugendlichen zu den unumkehr-baren Schulverweigerern gerechnet werden müssen.

Wie ist nun aus der Sicht der Jugendlichen schulaversives Verhalten bishin zum Schulabbruch zu erklären? Thimm sieht diese Problematik inner-halb eines komplexen Kontextes von Schule, Familie, Peer, Gesellschaftund individuellen Ressourcen der Jugendlichen als eine Mischung ausFaktoren an, die sich gegenseitig beeinflussen und begünstigen können.So führen beispielsweise schwierige Familienkonstellationen (Konflikt,Trennung, Sucht) nicht notwendigerweise zu schulaversiven Verhaltens-weisen. Es ist vielmehr von einem Zusammenwirken und Wechselwir-kungen der verschiedenen Faktoren auszugehen. Bedeutungsvoll erscheinthier das „schulische Risikofünfeck“, in dem sich schulaversives Verhaltenerst entfalten kann. Diese fünf Aspekte beschreiben die notwendigenEckpunkte des Schulerlebens: Erfolg, Zugehörigkeit, Sinnhaftigkeit, Sicht-Ange-nommen-Fühlen, personale Identität, Respekt/Wertschätzung.

Um Schulverweigerung effektiv begegnen zu können, ist es laut Thimmnotwendig, erste Anzeichen schulaversiven Verhaltens ernst zu nehmenund Rahmenbedingungen von Unterricht und Schule so zu gestalten, dasspräventives Handeln ermöglicht wird. Hier schlägt Thimm Strategien wiedas Klassenleiterprinzip, eine aktivierende Lernkultur oder eine Gestaltung desSchullebens vor.

Thimm gibt praxisnahe Hilfestellungen, wie mit dem Phänomen derSchulverweigerung und mit Unterrichtsstörungen umgegangen werdenkann. Hier wird der Ablauf vom Fallverstehen über eingreifendesHandeln bis hin zur Klärung von Zuständigkeiten erläutert. Überdieswerden Tipps und Instrumente zur Diagnose und Gesprächsleitfäden andie Hand gegeben.

83 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 84: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

84 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Troitzsch, Stefan Gedanken zur Schulverweigerung, zum Gewinnen und Verlierenund zur KonsequenzIn: Uhlig, Steffen (Hrsg.): Da geh' ich nicht mehr hin. Zum Umgang mit Schulabsentismus und Möglichkeiten alternativer Betreuungs- und BeschulungsprojekteMagdeburg: Verlag der Erich-Weinert Buchhandlung, 2000, S. 23–30.Aus Serie: Magdeburger Reihe. 5ISBN: 3-9339-9904-9

In diesem Beitrag zur Schulverweigerung legt Troitzsch den Schwerpunktauf eine verstehende Darstellung des jugendlichen Schulverweigerns. DerAutor verweist zuerst auf die allgemeine Bedeutung von verweigerndenVerhaltensweisen. Verweigerung ist demnach als ein oftmals notwendigesVerhalten anzusehen. Verweigerung tritt in verschiedenen Kontexten auf,ob wir nun unser politisches Bewusstsein verletzt sehen oder uns gegenkörperliche und/oder verbale Grenzüberschreitungen von Mitmenschenzur Wehr setzen. Damit stellt der Autor nun jeglichem verweigerndemVerhalten von Jugendlichen keinen Freibrief aus. Er möchte jedoch denBlick dafür schärfen, dass jede Art der Verweigerung ihren ureigenstenSinn hat. Selbst dann, wenn dadurch die Folgen der Verweigerungobjektiv weitaus schlimmer zu beurteilen sind. Es sei an dieser Stelle nurauf einige von Troitzsch genannten Ursachen verwiesen: z. B. körperlicheMängel, die es gilt zu verbergen (z. B. Brille), traumatische Erlebnisse, dieBeziehungsverweigerung oder Beziehungsabbrüche provozieren.

Troitzsch betont die Wichtigkeit von Konsequenz im Zusammenhang mitdem Arbeiten mit Jugendlichen. Der Autor verwendet diesen Begriffjedoch nicht im Sinne von Durchgreifen, wie er oftmals im landläufigenSinne gebraucht wird, sondern er leitet diesen Begriff von seinerursprünglichen Bedeutung ab. Konsequenz kommt aus dem Lateinischen(consequi) und heißt nicht nur Einen Weg verfolgen, sondern auch (durchMühe/ Anstrengung) 4 gewinnen. Troitzsch verbindet diese Aspekte und hebthervor, dass es bei Schulverweigerung wesentlich ist, rigide Verlierer-Gewinner-Muster zu umgehen und darüber hinaus eine gemeinsameLösung zu erarbeiten, in denen somit beide Parteien (Jugendliche undPädagogen) gewinnen. Demnach kann es als wenig Gewinn bringendangesehen werden, die schulverweigernden Jugendlichen mit rigidenSchulgesetzen zum Bleiben bzw. zum Gehen zu zwingen. Vielmehr sind

Page 85: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

für die Jugendlichen beschreitbare Wege zu suchen. Grundlage dafür ist –wie der Autor herausstellt – eine Kooperation zwischen den verschie-denen pädagogischen Bereichen, und dies möglichst schon im frühenEntwicklungsstadium der Kinder.

Wachtel, Peter; Wittrock, Manfred Denk- und Handlungsansätze für die pädagogische Arbeit mitschulaversiven KindernIn: Wittrock, Manfred (Hrsg.): Sonderpädagogischer Förderbe-darf und sonderpädagogische Förderung in der ZukunftNeuwied: Luchterhand Verlag, 1998, S. 130–138.ISBN: 3-4075-6121-0

Wachtel und Wittrock widmen sich in ihrem Beitrag Handlungsansätzendie es erlauben, individuell flexibel und kreativ mit schulaversiven Jugend-lichen zu arbeiten. Besonders fokussiert werden hierbei die Bedingungen,die solche Maßnahmen bei gefährdeten Schüler und Schülerinnenanzeigen. Zielgruppe sind Jugendliche, die deutliche schulaversive Anzei-chen aufweisen und noch ein bis zwei Schulpflichtjahre vor sich haben.

Zu den wesentlichen Bedingungen zählen die Notwendigkeit einer besonderenMaßnahme sowie ein geeignetes, auf die individuelle Situation bezogenes Arrange-ment. Des Weiteren gehört zu den Voraussetzungen, dass die Maßnahmebestimmten Kriterien genügen muss (z. B. Ängste verringern, motivieren), dassalle Beteiligten diesen Maßnahmen zustimmen müssen und zudem vertragliche Rege-lungen hinsichtlich der Maßnahme mit dem Schüler oder der Schülerin getroffenwerden. Überdies darf die Maßnahme keinen Selbstzweck darstellen undmuss vorbereitet und fortlaufend kontrolliert werden. Schließlich ist dieZusammenarbeit mit anderen Einrichtungen für einen erfolgreichen Einsatzeiner Maßnahme notwendig.

Um sich der Eignung einer Maßnahme versichern zu können, schlagenWachtel und Wittrock einen Fragekatalog vor, der sich an folgendenEckpunkten orientiert: Sinnhaftigkeit, Rechtlichkeit, Ausgewogenheit(welche betroffenen Personen und welche Interessen müssen integriertwerden), Umfeld (welches Umfeld ist für den Jugendlichen am geeigne-testen) und Identität.

Dieser Beitrag ist praxisorientiert und dicht geschrieben. Es werden demLeser nicht nur pragmatische Orientierungshilfen an die Hand gegeben,sondern auch Fallbeispiele zur Veranschaulichung geboten.

85 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 86: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

86 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

3 Praxismodelle

Czerwanski, Annette (Hrsg.)Schulentwicklung durch Netzwerkarbeit. Erfahrungen aus den Lernnetzwerken im „Netzwerk innovativer Schulen und Deutschland“Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2002ISBN: 3-89204-528-3

Dieses Buch dokumentiert die Erfahrungen, den Nutzen und dieGrenzen von schulischen Netzwerken. Konkret werden die Entstehungs-geschichte, der Aufbau und die Funktionsweise der Lernnetzwerke des„Netzwerks innovative Schulen in Deutschland“ der Bertelsmann-Stiftungbeschrieben und wichtige Erfahrungen aus der Netzwerkarbeitzusammengefasst. Mit diesem Buch wird aufgezeigt, wie Netzwerkarbeitzwischen Schulen konkret funktioniert, wie sie für die innerschulischeEntwicklungsarbeit fruchtbar gemacht werden kann und wo die Chancenund Schwierigkeiten dieses Prozesses liegen. In den ersten beiden Kapi-teln wird der konzeptionelle Hintergrund der Netzwerkarbeit beleuchtet.Anschließend wird die praktische Netzwerkarbeit der Schulen anhand derPorträts von 13 Lernnetzwerken dargestellt. Die Ergebnisse einer erstenEvaluation der Netzwerkarbeit und die Ergebnisse einer Befragung vonSchulleitern und Lehrkräften zur Wirksamkeit von schulischen Lernnetz-werken für die Schulentwicklung werden abschließend vorgestellt.

Einleitend charakterisiert Czerwanski die Merkmale und Funktionsweisenvon Netzwerken. Dabei zieht sie die Definition von Netzwerken vonKönigswieser heran, der ein Netzwerk als etwas Bewegliches, FließendesFlexibles, Prozesshaftes charakterisiert. Diese Definition sowie die vonWetzels zusammengestellten 12 Besonderheiten von Netzwerken bildendie Grundlage für eine Arbeitsdefinition, die auf schulische Netzwerkeanwendbar ist: Netzwerke werden in diesem Sinn als Unterstützungssys-teme auf Gegenseitigkeit gesehen. Die Beteiligten des Netzwerkstauschen sich aus, kooperieren im Rahmen gemeinsamer Angelegenheiten,Ziele, Schwerpunkte oder Projekte. Sie lernen voneinander und mitein-ander. Nach diesem Verständnis lassen sich Netzwerke durch spezifischeMerkmale und Prinzipien näher bestimmen, die in diesem Kapitel nähererläutert werden.

Page 87: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Das Netzwerk innovativer Schulen in Deutschland steht in der Traditioneiner Reihe von Netzwerken, die die Bertelsmann-Stiftung bereits inanderen Feldern ins Leben gerufen hat. Diese Netzwerke sind daraufausgerichtet, Erfahrungs- und Wissenstransfer zwischen lernbereitenPraktikern zu ermöglichen, tragfähige Problemlösungen zu sammeln undzu verbreiten und die einbezogenen Institutionen dadurch zu verändern.In diesem Sinne ist es die Aufgabe schulischer Netzwerke, Schulentwick-lung zu befördern, beispielhafte Lösungen zu bündeln und diese derPraxis zugänglich zu machen.Die in das Netzwerk innovativer Schulen eingebundenen Schulen arbeitensystematisch an der Verbesserung von Unterricht und Schulleben, habenein pädagogisches Konzept, evaluieren ihre Arbeit und kooperieren mitaußerschulischen Partnern.Seit 1999 sammeln bundesweit insgesamt 62 Schulen aus dem Netzwerkinnovativer Schulen Erfahrungen in Lernnetzwerken von vier bis sechsSchulen. Sie begreifen sich als Austausch- und Entwicklungsnetzwerke,Initiator und Unterstützer ist dabei die Bertelsmann-Stiftung. Diese über-nimmt für die Netzwerkbildung und Netzwerkarbeit wichtige Funktionen,die in diesem Buch näher erläutert wird.

Diese Lernnetzwerke arbeiten an 6 zentralen Themen der Schulentwick-lung:- Förderung von Lernkompetenz und lebenslangem Lernen

- Förderung schulmüder Jugendlicher

- Förderung besonders begabter Schüler

- Erziehung zu Gemeinschaftsfähigkeit im Schulalltag

- Organisations- und Kommunikationslernen in der Schule

- als Wegbereiter innovativer Gesamtentwicklung

Die Varianten von Netzwerken sowie die Phasen der Netzwerkarbeitwerden ausführlich beschrieben. Konkret werden im dritten Kapitel 13unterschiedliche Lernnetzwerke in ihrer Zusammensetzung, Zielsetzungund Arbeitsweise charakterisiert. Die Darstellung der Arbeitsweise derLernnetzwerke erfolgt durch Praktikerinnen und Praktiker aus den jewei-ligen Netzwerken. Einleitend werden jeweils die in das Netzwerk einge-bundenen Schulen vorgestellt. Anschließend wird die Organisation desjeweiligen Netzwerks näher erläutert und die Konkretisierung der Arbeits-schwerpunkte dargestellt. In einem Resümee werden die jeweiligenErfolge und Schwierigkeiten des einzelnen Lernnetzwerks benannt.

87 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 88: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

88 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Die Effekte der Netzwerkarbeit hinsichtlich der Entwicklung von Schulenwerden durch erste Evaluationsergebnisse der Netzwerkarbeit sowiedurch die Auswertung einer Befragung von Schulleitungen und Lehr-kräften, die von der Bertelsmann-Stiftung durchgeführt wurden, erfasstund dargestellt.

Wie kann Netzwerkarbeit innerschulisch greifen? Silke Geithner stellt imRahmen des Sammelbandes abschließend acht Thesen für die Praxis vor.Anhand der Ergebnisse aus Praxis und Forschung zieht sie das Fazit, dassder erfolgreiche Transfer von allen Beteiligten Aufmerksamkeit, Unter-stützung und Motivation erfordert. Das Kollegium einer Schule muss sichbewusst für das Netzwerk entscheiden, damit der Schulentwicklungspro-zess durch die Netzwerkarbeit unterstützt und vorangetrieben werdenkann.

Förster, Heike; Kuhnke, Ralf; Mittag, Hartmut; Reißig, Birgit (Hrsg.)Lokale Kooperation bei der beruflichen und sozialen Integration benachteiligter JugendlicherMünchen, Leipzig: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2002Aus Serie: Praxismodelle. 13

Die vorliegende Broschüre umfasst einerseits Kurzdarstellungen vonausgewählten Projekten, die sich am Wettbewerb „Fit für Leben undArbeit – neue Praxismodelle zur beruflichen und sozialen Integration vonJugendlichen“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen undJugend beteiligten und vom Deutschen Jugendinstitut begutachtetwurden.

Die Auswahl der Projekte erfolgte nach folgenden Kriterien: Die Projektesollten sich durch besonders gelungene Kooperationsbeziehungen undNetzwerkstrukturen auszeichnen und einen spezifischen Ansatz in Bezugauf die Qualifizierung und Beschäftigung sowie die soziale Integrationbenachteiligter Jugendlicher verfolgen. Auf der anderen Seite werdenausgewählte Projekte des Modellprogramms „Freiwilliges Soziales Trai-ningsjahr“ vorgestellt in denen ebenfalls eine gute Zusammenarbeit mitden lokalen Akteuren der Kommune bzw. der freien Träger der Jugend-hilfe gepflegt wird, und die dadurch Synergien für die Arbeit mit denJugendlichen in besonders benachteiligten Stadtquartieren freisetzenkönnen.

Page 89: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Die verschiedenen Projekte wurden – auch wegen ihrer verschiedenenZielgruppen – in einzelne Bereiche unterteilt: Schule, Netzwerk zur Unter-stützung von Qualifizierung, Beschäftigung und Integration sowie Projekte aus demModellprogramm Freiwilliges Soziales Trainingsjahr.

Im Bereich „Schule“ finden sich vor allem solche Projekte, die Schulenicht nur als Lernort sondern zugleich als Ort der Berufs- und allge-meinen Lebensorientierung verstehen. Dabei werden außerschulischeInstitutionen einbezogen, die sich vorrangig im Stadtteil befinden und dieBerufsorientierungsprozesse unterstützen können. Eine besondere Ziel-richtung von auf Schule bezogenen Projekten ist die Arbeit mit schul-müden und schulverweigernden Jugendlichen.

Der Bereich „Netzwerke zur Unterstützung von Qualifizierung, Beschäfti-gung und Integration“ beinhaltet Projekte mit dem Schwerpunkt „Beruf-liche Orientierung“. Sie sind Beispiele dafür, dass Jugendliche, die häufigals nicht mehr beschulbar bzw. als ausbildungsunfähig abgeschriebenwaren, erfolgreich gefördert und somit beruflich und sozial integriertwerden konnten. Projekte, die von benachteiligten Jugendlichen besondersnachgefragt wurden, zeichneten sich beispielsweise durch eine hoheAttraktivität der Qualifizierung, freiwillige Teilnahme und anspruchsvolleTätigkeiten aus.

Der dritte Bereich der hier vorgestellten Projekte gehörte zum Modellpro-jekt „Freiwilliges Soziales Trainingsjahr“. Die Projekte zeichnen sichdurch gelungene Kooperationsstrukturen vorwiegend in ihren Stadtteilenaus. Diese beinhalten sowohl Kooperationen mit unterschiedlichenkommunalen Institutionen als auch mit Trägern in den Bereichen Bildungund Arbeit. Darüber hinaus besteht ein enger Bezug zwischen dem „Frei-willigen Sozialen Trainingsjahr“ und dem Programm „Stadtteile mitbesonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“, da die in diesesProgramm einbezogenen Stadtteile die Grundlage für die Auswahl derStandorte für das „Freiwillige Soziale Trainingsjahr“ bilden. Ziel dieseModellprogramms ist es, neue Förderangebote zu entwickeln, in denenbesonders benachteiligten Jugendlichen auf der Basis der Freiwilligkeitsoziale und berufliche Schlüsselqualifikationen vermittelt werden sollen.Hierbei sollen praktische Arbeitserfahrungen mit attraktiven Qualifizie-rungsbausteinen verbunden werden, die möglichst auf die individuellenBedürfnisse der Jugendlichen zugeschnitten sind. Denn je besser esgelingt, mit den Jugendlichen gemeinsam Qualifizierungsstrategien zuentwickeln, die ihren Vorstellungen entsprechen, desto höher ist ihreMotivation, dieses Trainingsjahr erfolgreich zu beenden.

89 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 90: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

90 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Hofmann-Lun, Irene; Michel, Andrea; Schreiber, Elke (Hrsg.)Praxisprojekte im Handlungsfeld von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung.München, Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2004

Das Deutsche Jugendinstitut organisiert und moderiert ein Netzwerk vonProjekten, die in Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schulengemeinsame Anstrengungen zur Prävention von Schulmüdigkeit undSchulverweigerung unternehmen. Gefördert wird dieses Vorhaben vomBundesbildungsministerium (BMBF) im Rahmen des Programms„Kompetenzen fördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mitbesonderem Förderbedarf“ unter Kofinanzierung aus Mitteln des Europä-ischen Sozialfonds.

Die vorliegende Broschüre umfasst Informationen über 39 Projekte, diein Kooperationen von Jugendsozialarbeit und Schulen neue Wege bei derPrävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung gehen. Ihr Fokusrichtet sich einmal darauf, Schulmüdigkeit und Schulverweigerung bereitsvor ihrer Verfestigung zu begegnen. Eine zweite Strategie zielt insbeson-dere darauf ab, Jugendliche bei der Bewältigung der „ersten Schwelle“ zuunterstützen. Eine dritte Variante hat den Erwerb von Schulabschlüssenund die Erfüllung der Schulpflichtzeit für die Jugendlichen zum Gegen-stand, die sich von der Schule weitgehend „verabschiedet“ haben.

Die Projekte wurden von den Projektmitarbeiterinnen von Januar bisSeptember 2003 mit Leitfaden gestützten Interviews an über 50 Projekt-standorten durchgeführt. Die Expertinnen und Experten der Projektestanden nicht nur für ein Interview bereit, sondern gaben vor OrtEinblick in ihre Arbeit, ermöglichten die Besichtigung des Standortes undstellten ihre Projektmaterialien zur Verfügung. Auf dieser Grundlagewurden die Projektbeschreibungen erstellt, die nicht Selbstdarstellungender Projekte sind, sondern auf einer externen Beschreibung basieren.

Für die vorgelegte Projektzusammenstellung wurden die erhobenenProjektdaten so aufbereitet, dass sich Interessenten schnell und möglichstumfassend informieren können. Die Projekte werden in Form von„Steckbriefen“ mit wichtigen Rahmendaten präsentiert und mit einer„Kurzbeschreibung“ versehen, in der Zielstellungen und Umsetzung desProjektes skizziert sind.

Page 91: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Diese Broschüre wendet sich vor allem an Fachmänner und Fachfrauenaus Politik und Praxis, die diese durch die Dokumentation und Aufberei-tung der Handlungsansätze für die Weiterentwicklung von pädagogischenKonzepten und organisatorischen Lösungen für eine effektivere undvernetzte Arbeit im Handlungsfeld von Schulmüdigkeit und Schulver-weigerung verwenden können. Diese ausführlichen Projektdarstellungenwerden ab 2004 über die Homepage des Projektes (www.dji.de/schulmue-digkeit) im Internet zugänglich sein.

Hofmann-Lun, Irene; Kraheck, NicoleFörderung schulmüder Jugendlicher.Neue Wege der Kooperation von Jugendsozialarbeit und Schulenin den Schulmüden-Projekten in Nordrhein-WestfalenMünchen, Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2004

Vor dem Hintergrund sich verstärkender Arbeitslosigkeit, sich ständigändernden beruflichen Anforderungen und dem Ausbildungsplatzmangelin bestimmten Regionen gestaltet sich für Jugendliche der Übergang in dieArbeits- und Ausbildungswelt immer schwieriger. Gerade Jugendliche,deren schulische Karrieren aufgrund individueller Problemlagen odergesellschaftlich bedingter Benachteiligung ohne einen qualifiziertenAbschluss endet, sind besonders von problematischen Übergangsver-läufen betroffen.

Im Jahre 2002 betraute die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen dasDeutsche Jugendinstitut mit der wissenschaftlichen Dokumentation von34 Schulmüden-Projekten. Das DJI hatte dabei die Aufgabe, die Vielfaltder Arbeitsansätze und Problemlösungen zu dokumentieren und die ange-wandten Umsetzungsstrategien – einschließlich der aufgetretenen Hinder-nisse und Schwierigkeiten – nachzuzeichnen.

Die Studie „Erhebung und Dokumentation der Schulmüden – Projekte inNRW“ war für die Dauer von zwölf Monaten angelegt. Zentrale Erhe-bungsmethode war das ausführliche qualitative leitfadengestützte Inter-view mit Projektverantwortlichen bzw. Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern. Es zeigte sich, dass drei verschiedene Arten von Interven-tionstypen praktiziert werden: das Ableisten der Schulpflicht an außer-schulischen Lernorten, die Kooperation von Jugendsozialarbeit an derersten Schwelle und integrierte, „frühpräventive“ Interventionsansätze.Innerhalb der letzten Kategorie weist das Programm eine Reihe vonAnsätzen auf, die bereits im 7. Schuljahr beginnen und auf eine frühzei-

91 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 92: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

92 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

tige Identifikation von Risikokindern beruhen. Dabei wird davon ausge-gangen, dass Prozesse der Schulmüdigkeit weniger mit Lernbeeinträchti-gungen seitens der Jugendlichen als mit krisenhaften schulischenund/oder familiären Problemlagen zu tun haben. Obwohl im Vorfeld dieZusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule als problematisch erachtetwurde, zeigte sich, dass eine Kooperation durchaus möglich ist und dannauch zum Vorteil für die Jugendlichen werden kann. Notwendig (wennauch nicht hinreichend) ist, dass sich beide Bereiche öffnen und sich aufneue – verbindliche – Regeln einlassen, um Leistungen und Angebotebesser zu verzahnen, ohne dass dabei Zuständigkeiten und spezifischeKompetenzen verwischt werden.

Positiv kann auch noch zu den Projekten angemerkt werden, dassgeschlechtsspezifische Arbeit in Form von speziell auf Mädchen zuge-schnittenen Projekten realisiert wurde und auch Jugendliche mit Migra-tionshintergrund adäquater gefördert werden konnten, ohne dabei zu stig-matisieren.

Dieser Bericht dokumentiert nicht nur das Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen, sondern gibt eingangs eine umfassende Übersicht über Begriff-lichkeiten, wie sie von verschiedenen namhaften Autoren in der wissen-schaftlichen Literatur Einsatz gefunden haben. Des Weiteren wird einÜberblick über Umfang (hier werden diverse Studien angeführt), Ursa-chen und der Ablaufprozess der Schulverweigerung gegeben.

Michel, Andrea (Hrsg.)Den Schulausstieg verhindern. Gute Beispiele einer frühen PräventionMünchen/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2005

Das Thema dieser Broschüre ist eine präventive Herangehensweise anSchulmüdigkeit und Schulverweigerung. Es werden im Rahmen diesesBeitrages theoretische Abhandlungen zum Präventionsbegriff vorge-nommen, Indikatoren zur Erkennung von Schulmüdigkeit und Schulver-weigerung beschrieben sowie angezeigte Handlungsstrategien vorgestellt.Im Anschluss daran werden Schulen sowie Projekte der Jugendhilfe mitinnovativen Konzepten vorgestellt, die sich in der Arbeit mit Schulmüdenbewähren konnten, auf die jedoch im Rahmen dieses Abstracts nichteingegangen wird. Die Autorin fasst Erkenntnisse von Expertinnen undExperten aus der Praxis zusammen und systematisiert die vielfältigenErfahrungen zum Themengebiet.

Page 93: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Zur theoretischen Klärung des Begriffes der Prävention greift Michel aufdie Definition von Caplan zurück, der zwischen drei verschiedenen Artenvon Prävention unterscheidet. Die Autorin verwendet den Begriff dersekundären Prävention, da dieser Begriff gemäß der Definition nachCaplan auf ein frühzeitiges Erkennen von ersten Anzeichen und frühzei-tiges Reagieren verweist, um eine Verfestigung der Schulmüdigkeit zuverhindern. Des Weiteren bedient sich Michel des Ausdruckes der Schul-müdigkeit, da auch dieser Begriff das frühe Stadium im Abkehrprozessvon Schule betont.

Hinsichtlich der möglichen Handlungsstrategien – zusammengestellt ausErfahrungen guter Praxis – wird als zentraler Punkt die Identifizierunggefährdeter Jugendlicher benannt.

Indikatoren für Schulmüdigkeit und Schulverweigerung können sein:- Leistungsveränderungen

(z. B. Abfall um eine Schulnote im Halbjahr)

- Fehlzeiten (entschuldigt/unentschuldigt, Verspätungen etc.)

- auffällige Verhaltensweisen(z. B. Nicht-Beteiligung)

- Änderungen im Sozial- oder Arbeitsverhalten

- mangelnde Integration(von z. B. Quereinsteigern, Wiederholern)

Sind schulmüde Schüler/innen identifiziert, so können diese in Form vonEinzelfallhilfen gefördert werden. Hier sollen Jugendliche wieder moti-viert werden, in den geregelten Unterrichtskreislauf einzusteigen, und siewerden bei der Bewältigung persönlicher Probleme unterstützt. In denProjekten der Jugendhilfe werden dazu oftmals Förderpläne eingesetzt.Das sind Vereinbarungen zwischen dem Jugendlichen und den Fach-kräften, in denen die gesetzten Ziele und deren mögliche Umsetzung fest-gehalten werden.

Es müssen aber jenseits der Einzelarbeit mit dem Jugendlichen auchRahmenbedingungen für eine motivierende Lernatmosphäre geschaffenwerden. Unterricht sollte nach Michel so gestaltet werden, dass u. a. Raumfür projektorientierten Unterricht und Werkpraxis gegeben wird. Wichtigist eine ressourcenorientierte (versus einer defizitorientierten) Lehrer-Schüler-Haltung. Darüber hinaus ist vor allem in der von Übergangs-schwierigkeiten gekennzeichneten 5. Klasse in der weiterführenden Schulewichtig, vermehrt Blockunterricht sowie ausreichend Sportunterrichtanzubieten. Klassenleitungsstunden und feste Gesprächskreise im Kolle-

93 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 94: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

94 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

gium sind außerdem als überaus sinnvoll zu erachten, da hier beispiels-weise Konzeptfragen geklärt oder Konflikte aufgedeckt und angegangenwerden können. Auch Lehrerfortbildungen sollten als fester Bestandteilimplementiert werden.

Michel betont die Notwendigkeit eines intakten Sozialklimas innerhalbeiner Klasse. Fehlt dieses bzw. sind die Jugendlichen nicht oder nurschlecht in die Klassengemeinschaft integriert, ist dies ein ausreichenderGrund für gefährdete Jugendliche, dem Unterricht fernzubleiben. Einekonkrete Möglichkeit der Kooperation von Jugendhilfe und Schule istbeispielsweise eine zusätzliche Stunde, in der Sozialkompetenzen oderProblembewältigungsstrategien vermittelt werden können.

Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft eine Intensivierung der Elternar-beit. Problematische Familienverhältnisse oder Erziehungsschwierigkeitenkönnen Schulmüdigkeit begünstigen. Deshalb ist es besonders wichtig, dieZusammenarbeit zwischen Sozialpädagogen, Lehrkräften und Eltern aktivzu gestalten. Die Umsetzung einer gelingenden Elternarbeit wird meistvon allen Beteiligten als mühsam und konfliktreich wahrgenommen.Wichtig ist es deshalb, eine gleichberechtigte Atmosphäre zu schaffen, wasdurch aufsuchende Elternarbeit von sozialpädagogischen Fachkräftenleichter erreicht werden kann.

Mutzeck, Wolfgang; Popp, Kerstin; Franzke, Michael; Oehme Anja (Hrsg.)Umgang mit Schulverweigerung.Grundlagen und Praxisberichte für Schule und SozialarbeitWeinheim und Basel: Beltz Verlag, 2004ISBN: 3-407-32053-1

Dieser Beitrag dokumentiert die Ergebnisse der wissenschaftlichen Beglei-tung, des Schulverweigerer-Projektes „TAKE OFF – Jugendwerkstatt fürSchulverweigerer“. Dabei wird ausführlich der Projektverlauf dokumen-tiert und die Ergebnisse anhand einer ausführlichen Auseinandersetzungmit den Begrifflichkeiten und den Ursachen von Schulverweigerungreflektiert.

Initiiert wurde das Projekt „TAKE OFF“ durch den Zukunftswerkstatte. V., einen anerkannten freien Träger, der seit 1992 im Rahmen vonJugendhilfeprogrammen mit delinquenten Jugendlichen arbeitet. „TAKEOFF“ konnte durch eine Ausschreibung des Sächsischen Landesjugend-

Page 95: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

amtes Chemnitz mit dem Thema „Jugendwerkstatt für Schulverweigerer“realisiert werden. Die wissenschaftliche Begleitung übernahm der Fachbe-reich Verhaltensgestörtenpädagogik des Institutes für Förderpädagogikder Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Mutzeck.

In den Jahren 1998 bis 2001 wurden insgesamt 52 Jugendliche, darunter16 Mädchen und 36 Jungen, in das Projekt aufgenommen. Im Durch-schnitt befanden sich die schulverweigernden Jugendlichen im 8. Pflicht-schuljahr und waren zwischen 13 und 16 Jahre alt. Die Kriterien zurAufnahme des Projektes waren sechsmonatige Schulabstinenz, fehlendeEmpfänglichkeit für Schulsozialarbeit, persönliche und soziale Problemeoder Indikationen gemäß §§ 27–32 und § 35 SGB VIII. Die übergeord-nete Zielsetzung des Projektes ist eine Reintegration der Jugendlichen indie Regelschule oder in berufsvorbereitende Maßnahmen oder das Berufs-vorbereitungsjahr. Es werden zudem betriebliche Praktika und Werkstatt-unterricht angeboten, um den Jugendlichen den Weg in die beruflicheZukunft zu erleichtern. Um eine individuelle psychologische Förderungsowie ein soziales Lernen zu optimieren, werden sozialpädagogischeUnterstützungsleistungen und erlebnispädagogische Elemente in dieProjektarbeit integriert.

Ein Teil der Jugendlichen konnte nach der Zeit in „TAKE OFF“ wiederin die Schule bzw. in berufsvorbereitende Maßnahmen integriert werden.Es zeigte sich jedoch, dass ehemals schulaversive Jugendliche bedingtdurch die Verfestigung ihrer Problemlagen auch nach dem Projektaufent-halt keine „Musterschüler“ wurden und weiterhin große schulischeProbleme aufwiesen. Die Reflexion und der Umgang mit Schule undschulischen Anforderungen hatte sich jedoch bei Einigen geändert.Abbrüche waren vor allem bei den Jugendlichen zu verzeichnen, dieDrogen nahmen oder sich im Strafvollzug befanden.

Dieses Buch bedient Fachkräfte, die sich detailliert damit auseinander-setzen möchten, welche theoretischen und praktischen Aspekte aufverschiedenen Ebenen bei der Konzipierung und Durchführung einesSchulverweigerungsprojektes beachtet werden müssen.

95 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 96: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

96 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Ulrike Richter (Hrsg.)Den Übergang bewältigen.Gute Beispiele der Förderung an der Ersten Schwelle von derSchule zur BerufsausbildungMünchen/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2005

Die Dokumentation von Richter beschreibt Ansätze und Projekte, die esabschlussgefährdeten Jugendlichen ermöglichen, den Übergang von derSchule in den Ausbildungsmarkt (erste Schwelle) zu meistern. Die Heraus-geberin informiert anfangs über mögliche Konsequenzen der Schulver-weigerung, wie sie sich für das Gemeinwesen bzw. den Einzelnendarstellen. Eingangs werden die verschiedenen methodischen Ansätze derProjekte vorgestellt und Kooperationsformen mit Betrieben, Eltern undzwischen Jugendsozialarbeit und Schule beschrieben. Anschließendwerden gelungene Beispiele aus der Praxis dargestellt.

Die Zielgruppe von Förderung an der Ersten Schwelle sind abschlussge-fährdete Jugendliche, die eine der letzten beiden Schulklassen der Sekun-darstufe I besuchen. Vorraussetzung für eine bestmögliche Förderungdieser Schülerinnen und Schüler sind Methoden und Strategien, die denjeweiligen Problemsituationen der Jugendlichen möglichst gerecht werden.Die Ansätze der Projekte sind: Schulische Förderung in Kleingruppen,arbeitspädagogische Ansätze in Jugendwerkstätten und Betrieben undintegrierte sozialpädagogische Betreuung.

Im Rahmen der schulischen Förderung werden abschlussgefährdeteJugendliche in kleinen Gruppen individuell gefördert. Die Schülerinnenund Schüler werden nicht nur fachlich unterwiesen, sondern auch pädago-gisch außerhalb des Unterrichts betreut. Dies kann beispielsweise eingemeinsames Frühstücken und Mittagsessen sowie Sport und Freizeitan-gebote umfassen. Flankiert wird der Fachunterricht von handlungsorien-tiertem Unterricht, Praktika und Arbeitsmöglichkeiten in Werkstätten. Eswird darauf geachtet, dass sowohl der Unterricht als auch die Zeitstrukturflexibel an den Bedürfnissen der Jugendlichen ausgerichtet wird.

Innerhalb der Projekte, die sich um einen arbeitspädagogischen Ansatzbemühen, wird nach der Devise „so wenig Schule wie möglich“ werkprak-tischer Unterricht (z. B. Bearbeiten von Holz und Metall) angeboten.Diese Projektform ist für Jugendliche geeignet, die bereits ein fortge-schrittenes Stadium der Schulaversion aufweisen oder denen werkprakti-sches Arbeiten leichter von der Hand geht als die Bearbeitung abstrakterAufgabenstellungen.

Page 97: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Eine sozialpädagogische Betreuung in einem Betrieb ist vor allem aufJugendliche ausgerichtet, die sozial und beruflich (wieder) in die Gesell-schaft integriert werden sollen. Im Vordergrund steht dabei Einzel- undGruppenarbeit, bei denen zu den Jugendlichen eine tragfähige Vertrauens-basis aufgebaut werden soll, um dann Verhaltensänderungen initiieren zukönnen. Ressourcen der Jugendlichen sollen bewusst gemacht werden, umdarauf aufbauen zu können. Individuelle Unterstützung finden dieJugendlichen in Form von Krisenintervention, Hilfe bei der Lebens- undBerufsplanung, Kommunikationstraining, Gewaltprävention etc. Zusätz-lich werden Betriebspraktika absolviert, um berufliche Perspektiven zuöffnen und zu verfolgen.

Um den Übergang an der Ersten Schwelle zu optimieren, ist dieZusammenarbeit auf drei Ebenen notwendig: Kooperation mit Betrieben,Kooperation mit Eltern sowie Kooperation von Jugendsozialarbeit undSchule. Eine Zusammenarbeit mit Betrieben ist wichtig, um Jugendlicheerfolgreich in Betriebe vermitteln und mit sozialpädagogischer Unterstüt-zung integrieren zu können. Dafür ist es notwendig, die Bedenken derBetriebe gegenüber den Jugendlichen (geringe Motivation, drohenderAusbildungsabbruch, schlechte Leistungen, erhöhter finanziellerAufwand) zu berücksichtigen und diesen entgegenzutreten. Vorwiegendkleine Betriebe, die fest in ihrer Region verwachsen sind, sowie Betriebe,die in Branchen tätig sind, die niedrige Abbruchs- und hohe Übernahme-quoten versprechen, sind die Zielgruppe von Kooperationsbemühungen.Es hat sich ebenfalls bewährt, Betriebe mit Inhabern nicht-deutscherHerkunft mit einzubeziehen, da hier Jugendliche mit Migrationshinter-grund durch ihre Zweisprachigkeit erhöhte Chancen haben, untergebrachtzu werden.

Weiterer Kooperationspartner sind die Eltern. Einerseits gibt es partiellZusammenhänge zwischen Schulproblemen und Problemkonstellationenin den Herkunftsfamilien, andererseits sind die Eltern bei den meistenJugendlichen auch in dieser Ablösungsphase immer noch Ansprech-partner hinsichtlich beruflicher Zukunft. Darum ist es unabdingbar,Eltern in diesen Prozess zu involvieren.

Schließlich ist darauf zu achten, dass bei einer Zusammenarbeit derverschiedenen beruflichen Disziplinen (Lehrkräfte, Sozialarbeiter, Arbeits-anleiter) gegenseitiger Respekt der Professionen, intensive Zusammenar-beit und personelle Kontinuität vorausgesetzt werden.

97 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 98: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

98 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Von den 15 in dieser Dokumentation vorgestellten Projekten verfolgenneun ein explizit berufsorientiertes Konzept, was Werkstattarbeit, Praktikaund Ausbildungsplatzakquise beinhaltet. Die anderen sechs Projektefokussieren im Rahmen einer schulischen Förderung die Erreichung einesSchulabschlusses bzw. die (Re-)Integration in Schule.

Interessant ist diese Dokumentation sowohl Schulen, die sich über dieunterschiedlichen Möglichkeiten der Unterstützung bei dem Übergangvon Schule in den Arbeitsmarkt informieren möchten, und für Fachkräfteder Jugendsozialarbeit, die sich Anregungen durch die verschiedenenProjektbeispiele verschaffen können.

Schmidt, Mareike (Hrsg.)Innovative Schulmodelle für eine verbesserte Vorbereitung vonJugendlichen auf ErwerbsarbeitMünchen/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2002Aus Serie: Praxismodelle. 12

Dieses Materialienband wurde im Anschluss an das vom Bundesministe-rium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt„Anforderungen an Schule in einer veränderten Erwerbsgesellschaft“ imDeutschen Jugendinstitut erarbeitet. Dies stellt ein Forschungsprojekt dar,das die Untersuchung von Schulen zum Gegenstand hatte, die bei derVorbereitung ihrer Schülerinnen und Schülern auf die Anforderung derArbeitswelt neue Wege gehen. Darüber hinaus wurde ein Teil der hierdokumentierten Praxismodelle im Rahmen verschiedener vom Bundesmi-nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderterForschungsprojekte vom Deutschen Jugendinstitut erfasst und vor Ortbegutachtet.

In diesem Materialienband wird eine Auswahl innovativer Praxismodellefür eine verbesserte Vorbereitung von Schülerinnen und Schülern auf ihrspäteres Leben mit Blickrichtung Berufswahl und Erwerbsarbeit vorge-stellt. Unterschiedliche regionale und wirtschaftliche Rahmenbedingungenhaben vielfältige Handlungsansätze hervorgebracht. So steht bei einigenProjekten auf Grund eines regionalen Lehrstellenmangels bzw. wegen derBenachteiligung verschiedener Zielgruppen (Hauptschülerinnen undHauptschüler; Mädchen allgemein, Jugendliche mit Migrationshinter-grund) bei der Lehrstellensuche die Vermittlung in Ausbildung über Prak-tika, vertragliche Kooperation mit Betrieben und die Zertifizierung von

Page 99: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Schlüsselqualifikationen im Vordergrund. Andere Schulen wiederumnähern sich der Problematik durch den Einsatz neuer Lern- und Lehrme-thoden, wie Jahrgangsteam, Epochenunterricht oder interdisziplinäremLernen.

Gemeinsam ist allen Praxismodellen, dass durch das Engagement derFachkräfte das starre System Schule aufgebrochen wurde, um in Koopera-tion mit außerschulischen Einrichtungen den gesellschaftlichen Auftragder Erziehung der Kinder und Jugendlichen zu selbstständigen Persön-lichkeiten und ihrer optimalen Vorbereitung auf die Anforderungen nachder Schule – im persönlichen und im Erwerbsleben – einzulösen.

Es handelt sich bei 18 Projekten um Schulen, die den für Jugendliche oftproblematischen Übergang Schule – Ausbildung/Beruf als obligatenBestandteil ihrer schulischen Bildungs- und Erziehungsarbeit akzentuierenund dabei neue Wege beschreiten. Dies geschieht mittels neuer Konzeptebei der Lebens- und Berufsvorbereitung der Schülerinnen und Schüler,durch Kooperation mit außerschulischen Akteuren und /oder paralleleiner Öffnung der Schule. Weitere elf Projekte sind außerschulischgetragen und kooperieren bei gleicher Zielrichtung „Unterstützung bei derÜberwindung der Ersten Schwelle“ mit Schulen, um den Schülerinnenund Schüler ihre Hilfen und Angebote zu offerieren.

Die Projekte wurden in drei Hauptbereiche eingeteilt. Die in diesem Bandunter dem Titel „Praktikum: Der Betrieb als Lernort“ vorgestelltenSchulen versuchen über das obligatorische Schülerbetriebspraktikumhinaus durch Erweiterung des Praktikumsanteil den Jugendlichen einenvielseitigeren Einblick in die Arbeitswelt und den Berufsalltag zu ermög-lichen. Darüber hinaus sollen damit den benachteiligten Jugendlichengezielt Zugänge zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt eröffnet werden.

Ein weiterer Handlungsansatz liegt in der Förderung von „Schlüsselquali-fikationen und Lebenskompetenzen“. Ziel ist die Aneignung von fach-übergreifenden Kompetenzen im Zusammenwirken von interdiszipli-närem, projektbezogenem und handlungsorientiertem Lernen. Die Schü-lerinnen und Schüler sollen damit befähigt werden, in fachübergreifendenZusammenhängen zu denken. Außerdem sollen sie sich Fähigkeiten wieDurchsetzungs- und Kommunikationsvermögen, Konflikt- und Problem-lösung, Teamarbeit aneignen.

99 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 100: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

100 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Die Integration neuer curricularer Bausteine zur Berufswahlvorbereitung und Lebens-planung in den regulären Lehrplan stellt eine dritte Möglichkeit der Vorbe-reitung von Schülerinnen und Schüler auf das spätere (Erwerbs-) Lebendar. Dabei decken die vorgestellten Projekte den breiten Handlungsspiel-raum der Schulen auf: von Lerneinheiten im Wahlpflichtbereich überfachübergreifendes Training bis hin zum baukastenartigen Lehrprogramm(Klasse 5 bis 10).

Der vorliegende Materialienband soll zum einen Fachleuten die Band-breite der innovativen Ansätze verdeutlichen und zum anderen Motiva-tions- und Handlungshilfe für noch unentschlossene Schulen bieten, umselbst aktiv zu werden.

Schreiber, Elke (Hrsg.)Nicht beschulbar?Gute Beispiele für den Wiedereinstieg in systematisches LernenMünchen/Halle: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2005

Die Dokumentation von Schreiber beschreibt außerschulische Projekteder Beschulung von Schulverweigerern. Im ersten Teil beschäftigt sich dieAutorin kurz mit der Diskussion um die vielfältigen Begriffsdefinitionenvon Schulverweigerung sowie den Ursachen und einer Charakterisierungder Zielgruppe. Anschließend folgt die Beschreibung der Zielsetzungenund Konzeptionen der außerschulischen Projekte sowie die Darstellungan 16 gelungen Praxisbeispielen.

In der wissenschaftlichen Literatur herrscht eine unklare Begriffsverwen-dung hinsichtlich des Terminus „Schulverweigerung“. Schreiber bestimmtSchulverweigerung anhand des quantitativen Ausmaßes (Häufigkeit undDauer des Fehlens) als auch an qualitativen Maßstäben (Verhaltensmuster,Erscheinungsformen).

Meist sind bei den betroffenen Jugendlichen mehrere prekäre Faktorenvorhanden: Einerseits können Schwierigkeiten in der Persönlichkeits-struktur, andererseits auch familiäre Konfliktsituationen (z. B. Arbeitslo-sigkeit der Eltern, Suchtproblematiken, Heimunterbringung) oder dasBildungs- bzw. Schulsystem zu Schulabsentismus führen. ZahlreicheStudien belegen nach Schreiber, dass die meisten schulverweigerndenJugendlichen zwischen 13 und 16 Jahre alt sind, wobei sich die Tendenz in

Page 101: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

jüngster Zeit dahin gehend entwickelt, dass Kinder und Jugendlicheimmer früher Schule und Unterricht abweisen. Schulverweigerung ist querdurch alle Bildungsstufen anzutreffen, allerdings sind Hauptschulenbesonders betroffen.

Gemäß Schreiber soll die außerschulische Förderung schulverweigerndenJugendlichen, die monatelang dem Schulunterricht fern blieben, dieMöglichkeit eröffnen, den versäumten Lernstoff aufzuholen, sich wiederan den Schulalltag zu gewöhnen und somit Chance zu erhalten, denSchulabschluss zu erwerben. Darüber hinaus sollen sozialpädagogischeund psychologische Hilfestellungen zur Bearbeitung und Bewältigungindividueller Lebenskrisen gegeben werden.

Wesentliche Unterschiede zur regulären Schule finden sich bei den räum-lichen, pädagogischen und den konzeptionellen Faktoren. So stützen sichaußerschulische Projekte für schulverweigernde Jugendliche auf dieKombination von sozialpädagogischer Begleitung, schulischem Lernenund werkpraktischem Arbeiten. Es werden beispielsweise im Rahmenwerkpraktischer Arbeiten Jugendliche an Tätigkeiten herangeführt, dieihre persönlichen Neigungen aufdecken sollen und somit das beruflichePerspektivenspektrum erweitern. Zudem werden damit auch Erfolgserleb-nisse vermittelt. Die schulischen Defizite werden durch gezielte und indi-viduell angepasste Unterrichtseinheiten aufgeholt. Angestrebt wird einSchulabschluss (insbesondere Hauptschulabschluss), der auch externerworben werden kann. Die Verweildauer im Projekt richtet sich nach derNotwendigkeit der Jugendlichen, Schulstoff nachzuholen bzw. sozialeKompetenzen zu erlangen, und variiert zwischen mehreren Monaten undeinem Jahr, kann aber auch verlängert werden. Schreiber merkt kritischan, dass es meistens mangels finanzieller und personeller Ressourcen denProjekten nicht möglich ist, die Jugendlichen nach dem Projektendeweiter zu begleiten.

Eine aktive Elternarbeit wird in den Projekten angestrebt (z. B. mittelsElternabend, Einzelgesprächen, Hausbesuche), auch wenn sich in vielenFällen ein hilfreicher Austausch mit den Eltern schwierig gestaltet, da sichdie Eltern ihrerseits zumeist in finanziellen bzw. sozialen Problemlagenbefinden oder schlicht der Wille zur Zusammenarbeit fehlt. Die Koopera-tion mit Eltern mit Migrationshintergrund stößt z. T. auf Sprachproblemeoder kulturelle Barrieren.

Bedeutsam für die Projekte ist die Kooperation mit Betrieben, Schulensowie Behörden und Ämtern. Hier können die Fachkräfte Unterstüt-zungsleistungen für ihre Jugendlichen in Anspruch nehmen.

101 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 102: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

102 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Im zweiten Teil der Dokumentation beschreibt Schreiber sechzehn außer-schulisch arbeitende Projekte, anhand derer gelungene Interventionsstra-tegien gegen Schulverweigerung aufgezeigt werden. Dabei unterteilen sichdie vorgestellten Projekte in solche, die eine komplette außerschulischeBetreuung der Jugendlichen übernehmen und andere, bei denen dieaußerschulischen Förderungen zusätzliche Angebote für die Jugendlichendarstellen. Darüber hinaus werden Projekte dargestellt, die zielgruppen-spezifisch arbeiten (Migrantinnen und Migranten, geschlechtsspezifischeArbeit mit Jungen und Mädchen).

Die Dokumentation von Schreiber ist interessant für Leserinnen undLeser, die sich mit Interventionsmöglichkeiten in der außerschulischenFörderung schulaversiver Jugendlicher auseinandersetzen möchten.Anhand von ausführlichen Projektbeschreibungen unterschiedlicherProjekte ist ein plastischer Einblick in diese Form der Arbeit mit schulver-weigernden Jungen und Mädchen möglich.

Schreiber, Elke; Schreier, Kerstin (Hrsg.)Praxismodelle zur sozialen und beruflichen Integration vonJugendlichen:Die Preisträger des Wettbewerbs „Fit für Leben und Arbeit“München/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2000

Die in diesem Materialienband dokumentierten Praxismodelle wurden imWettbewerb „Fit für Leben und Arbeit – neue Praxismodelle zu sozialenund beruflichen Integration von Jugendlichen“ des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und der kommunalenSpitzenverbände, ausgezeichnet. Dieser Wettbewerb wurde vom Deut-schen Jugendinstitut wissenschaftlich begleitet.

Die Preisträger dieses Wettbewerbs werden in Form von sogenannten„Steckbriefen“, die durch Stichpunkte zu den Projektrahmen und denZielgruppen sowie durch knappe Beschreibungen Einblick in die Arbeitder Projekte vermitteln sollen, präsentiert.

Im Steckbrief sind zum einen der Träger des Projektes, sein Standort, derFörderzeitraum, der Gegenstand und damit der inhaltliche Schwerpunktder Projektarbeit, die Handlungsfelder und Angaben zu möglichen (Teil-)Abschlüssen enthalten. Dem Steckbrief können ferner Informationen

Page 103: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

über die Zielgruppe (Geschlecht, Alter, Nationalität, besondere schulische,berufliche und soziale Merkmale) und über die Kapazität des Projektesentnommen werden. In Kurzbeschreibungen werden skizzenhaft Zielstel-lungen und die Umsetzung der Praxismodelle dargestellt.

Schreiber-Kittl, Maria (Hrsg.)Lernangebote für Schulabbrecher und Schulverweigerer.München/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut e. V., 2001Aus Serie: Praxismodelle. 7

Die in diesem Materialienband vorgestellten Praxismodelle wurden imRahmen verschiedener vom Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderter Forschungsprojekte des Deut-schen Jugendinstitutes ermittelt und vor Ort begutachtet. Diese Modell-programme waren: „Arbeitsweltbezogene Jugendsozialarbeit“, „Freiwil-liges soziales Trainingsjahr“, der Wettbewerbs „Fit für Leben und Arbeit“und die Datenbank „Praximo – Praxismodelle Jugend in Arbeit“.

Die Praxismodelle wurden in diesem Band den drei Projekttypen zuge-ordnet: Projekte mit Angeboten am Lernort Schule, mit außerschulischenLehrangeboten und schließlich Projekte für besondere Zielgruppen. DieHerausgeberin verfasste überdies eine informative Einleitung, in der siegrundlegende Ziele, Methoden und Ergebnisse der Projekte darstellt. ImFolgenden sollen kurz die wichtigsten Ergebnisse der Projekte angedeutetwerden.

Gemäß der Autorin zeigte sich, dass die große Mehrheit der Jugendlichenin den Projekten für Schulverweigerer und Schulabbrecher nach erstenAnlaufschwierigkeiten gut mitarbeitet und sich selbst – mit Hilfe derErzieher – schulische und/oder berufliche Ziele (individueller Förder-plan/ Bildungshilfeplan) setzt, auch wenn deutlich ist, dass nicht alleAbgängerinnen und Abgänger den Übergang in die Arbeitswelt erfolg-reich schaffen werden. Die Pädagoginnen und Pädagogen, so Schreiber-Kittl weiter, berichten von Erfolgserlebnissen – zum Teil in Bereichen, indenen die Jugendlichen früher ausschließlich negative Erfahrungen hatten– und von einer „gesteigerten Konfliktfähigkeit“ der Jugendlichen. Insge-samt scheinen die Jugendlichen ihre Probleme und Schwierigkeiten besserangehen zu können. Nur wenige Jugendliche haben von sich aus ihreSchulzeit im Projekt oder in der Maßnahme abgebrochen.

103 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 104: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

104 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Das Ziel, Schulverweigerer wieder in die Herkunftsschule zu integrieren,kann jedoch nicht generell verfolgt werden. Wenn überhaupt, kann dieReintegration nur bei jüngeren Schüler und Schülerinnen gelingen, dienoch einige Jahre Schulpflicht vor sich haben und deren schulische Fehl-zeiten die Rückkehr in die Regelschule nicht völlig aussichtslos erscheinenlassen. Ein weiteres Ergebnis ist, dass durch die Präsenz und die bisherigeArbeit der Projekte die Regelschulen nach anfänglichem Misstrauen dieaußerschulischen Hilfsangebote der Projekte gerne in Anspruch nehmen.Hier besteht jedoch die Gefahr, dass schwierige Schüler vorschnell inEinrichtungen der Jugendhilfe „abgeschoben“ werden, ohne dass eigeneschulische Strukturen hinterfragt werden. Außerdem besteht das Risiko,dass durch den Anspruch der Projekte, in den schulischen und fachprakti-schen Unterricht die soziale Lebenswelt der Jugendlichen einzubeziehen,die notwendige (emotionale) Abgrenzung für die Projektmitarbeiterinnenund Projektmitarbeiter nicht oder nur ungenügend erfolgt. Dies kann eineÜberforderung der Pädagoginnen und Pädagogen zu Folge haben unddamit die Projekte auf lange Sicht möglicherweise gefährden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist in vielen Projekten die mangelnde bzw.nicht vorhandene „Nachsorge“ der Teilnehmer. Nach einem meist einjäh-rigen Projekt, in dem der Schüler eine Rundumbetreuung erfuhr, steht ernach Beendigung der Projektzeit meist „ungeschützt“ und allein vor derHerausforderungen der sozialen und der Arbeitswelt.

Nach Schreiber-Kittl zeigen die in diesem Band dokumentierten Projekteeine Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten überwiegend auf der Seite derJugendhilfe auf. Die Strukturen auf der Seite der Schule sind sicherlichweniger flexibel. Dennoch ist eine Zusammenarbeit zwischen den beidenInstitutionen machbar und wird – wie dieses Band zeigt – auch vielerortsbereits praktiziert, ohne dabei Unterschiede von Schule und Jugendhilfezu negieren. Und im Gegenteil: Gerade beide zusammen, die Schulpäda-gogik und die sozialpädagogischen Ansätzen und Methoden – soSchreiber-Kittl – würden sich zu einem unschlagbarem Team in derArbeit mit Schulverweigerern ergänzen.

Page 105: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

Zschiesche, Tilman Berufs- und arbeitsweltbezogene Schulsozialarbeit: Ein Modell für die berufsübergreifenden Fortbildung von LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnenIn: „Alle mit ins Boot nehmen“. Berufliche Qualifizierung fürJugendliche mit besonderem FörderbedarfBonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2003, S. 73–77.

Um Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf den Übergang von derSchule in die Ausbildung bzw. in die Berufswelt zu erleichtern, ist esnotwendig, eine Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe zuforcieren. Diese Kooperation gestaltet sich jedoch in der Praxis bedingtdurch Vorurteile oder Fehlinformationen oft recht schwierig. Im Rahmendes BQF-Programmes bietet das Institut für berufliche Bildung undWeiterbildung e. V. in Form des Modellprojektes „Berufs- und arbeitswelt-bezogene Jugendarbeit“ eine für Sozialarbeiter und Lehrkräfte gemein-same Fortbildung an. Hier soll durch eine gemeinsame Qualifizierung vonLehrkräften und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen in neunmona-tigen Kursen eine gelingenden Zusammenarbeit vorbereitet werden. ImRahmen dieser Kurse wird mit Schulen gemeinsam ein Projekt durchge-führt und ausgewertet. Mögliche thematische Schwerpunkte sindbeispielsweise soziales Lernen und Gruppenentwicklung oder Integrationvon Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die Projekt-präsentationen werden im Internetauftritt des Modellprojektes vorgestellt.Diese Fortbildungen des Modellprojektes wurden sehr positiv von denTeilnehmerinnen und Teilnehmer beurteilt.

105 Schulmüdigkeit und Schulverweigerung

Page 106: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik
Page 107: Sonja Fischer Schulmüdigkeit und Schulverweigerung · Belastungen bei Bildungsprozessen in der Grundschule Alfred Hössl,Andreas Vossler. Kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik

REIHE „ÜBERGÄNGE IN ARBEIT“ IM DJI VERLAGDEUTSCHES JUGENDINSTITUT

Bezug mit beigefügter Bestellkarte über den Buchhandel, es gelten die Bezugsbedingungen

von VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden (vormals Leske + Budrich, Opladen)

Thomas Gericke, Tilly Lex, Günther Schaub,Maria Schreiber-Kittl, Haike Schröpfer (Hrsg.)

Jugendliche fördern und fordern

Strategien und Methoden einer aktivierenden Jugendsozialarbeit

Übergänge in Arbeit, Band 1

München: DJI Verlag 2002

356 S., EUR 14,50 (D)

ISBN: 3-87966-404-8

Maria Schreiber-KittlHaike Schröpfer

Abgeschrieben?

Ergebnisse einer empirischen Untersuchungüber Schulverweigerer

Übergänge in Arbeit, Band 2

München: DJI Verlag 2002

232 S., EUR 9,80 (D)

ISBN: 3-87966-405-6

Ulrike Richter (Hrsg.)

Jugendsozialarbeit imGender Mainstream

Gute Beispiele aus der Praxis

Übergänge in Arbeit, Band 4

München: DJI Verlag 2004

340 S., EUR 9,90 (D)

ISBN: 3-87966-408-0

Tilly Lex, Günther Schaub

Arbeiten und Lernen im Jugendhilfebetrieb

Zwischen Arbeitsförderung und Marktorientierung

Übergänge in Arbeit, Band 5

München: DJI Verlag 2004

276 S., EUR 9,90 (D)

ISBN: 3-87966-409-9

Thomas Gericke

Duale Ausbildung fürBenachteiligte

Eine Untersuchung zurKooperation von Jugend-sozialarbeit und Betrieben

Übergänge in Arbeit, Band 3

München: DJI Verlag 2003

144 S., EUR 8,90 (D)

ISBN: 3-87966-407-2