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SPEKTRUM # 25 www.mh-stuttgart.de Magazin der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart ISSN 1868-1484 2007150201516 Groove Sommersemester 2015 S C H W U N G P U L S B E A T D R I V E

Spektrum 25 sose2015

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  • SPEKTRUM

    #25

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    Magazin derStaatlichen Hochschule fr Musik und

    Darstellende Kunst Stuttgart

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    SCHWUNG

    PULS

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    DRIVE

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  • Dr. Regula Rapp, Rektorin

    EDITORIAL SPEKTRUM # 2 5 _ 0 1

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    LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

    as Thema dieser 25. Spektrum-Ausgabe ist ein mu-sikalisches. Die fnf Begriffe auf dem Titelblatt sind einerseits Vortragsbezeichnungen, andererseits ge-

    ben sie Stimmungen wieder, in die sich Musikerinnen und Musiker und ihr Publikum begeben oder in denen sie sich wiederfinden. Der Schwung ist unter den fnfen der unmusi-kalischste Begriff: Mit Schwung angehen kann man eine mu-sikalische Interpretation oder nahezu jede andere Aufgabe.

    Drive, Groove und Beat kommen aus dem Jazz: Drive als Vortragsbezeichnung ist in etwa so unbestimmt, das heit so vom individuellen Musizieren bestimmt, wie der Schwung. Wenn Musiker gut zusammenspielen, stellt sich bei ihnen der gleiche Drive ein, egal ob die Musik von Johann Sebas-tian Bach stammt oder aktuelle Popmusik ist. Der Beat ist dagegen schon prziser als englische Bezeichnung fr den Grundschlag in der Musik beziehungsweise eine Zhlzeit im musikalischen Metrum zu fassen. Im Gegensatz zum eu-ropischen Takt mit seinen charakteristischen Betonungen luft der Beat in gleichmig akzentuierten Pulsen ab. Der Grundschlag sagt weder etwas ber eine leichte oder schwere Taktzeit noch ber einen Akzent oder ein Metrum aus. Der Beat wird oft nicht einmal explizit gespielt. Selbst wenn die Rhythmusgruppe planmig pausiert, luft der Beat unhr-bar weiter und wird durch krperliche Bewegungen (Fu-treten oder Mitschwingen) verdeutlicht und verinnerlicht.

    Der aus dem US-amerikanischen Raum ins Deutsche ber-nommene Begriff Groove wird mehrfach und mehrdimen-sional interpretiert: als musikalischer Fachterminus fr eine fr ein Musikstck typische Rhythmusfigur oder fr ein rhythmisch-metrisches Grundmodell (beispielsweise der durchgngige, ostinate Rhythmus des Cha-Cha-Cha oder des Bolero wren so ein Groove). Die Bedeutung des Groove liegt zugleich im Mitreien des Publikums zu einer Interaktion (Mitwippen im Rhythmus, Klatschen, Finger-schnippen, Tanzen).

    Diese wichtigen musikalischen Elemente gehen letztlich alle zurck auf den menschlichen Puls, der seit Jahrtausen-den im Bereich von Rhythmus und Tempo das Ma aller Dinge ist. Auf ihn folgte der Takt, der durch eine Bewegung der Hand angezeigt wurde, wie der Vater von Wolfgang Amadeus Mozart, der Geigenlehrer und Autor Leopold Mozart, um die Mitte des 18. Jahrhunderts beschreibt: Der Tact bestimmet die Zeit, in welcher verschiedene No-ten mssen abgespielet werden Der Tact wird durch das Aufheben und Niederschlagen der Hand angezeiget (Leopold Mozart, Versuch einer grndlichen Violinschule, Augspurg 1756)

    Musikalisch gesprochen ist ein Editorial ein Auftakt. Als Auftakt (frher auch Aufschlag oder Arsis; engl. upbeat) bezeichnet man den Beginn eines Liedes, Motivs, einer Phrase oder eines ganzen Werks auf einem unbetonten Taktteil vor der ersten Hauptbetonung. Ich hoffe, dieses Editorial hat Sie im Sinne eines Auftakts eingespielt auf die Hauptbetonung, die Sie auf den folgenden Seiten finden.

    Wir wnschen Ihnen auf jeden Fall den richtigen Schwung nicht nur fr die Lektre des Hochschulmagazins, und wir freuen uns natrlich ber den Besuch unserer zahl-reichen Veranstaltungen sowie ber Ihr Feedback und Ihre Kritik.

    ber das Magazin verteilt finden Sie auch in dieser Aus-gabe wichtige Informationen zu Produktionen, Themen und Projekten aus den verschiedenen Arbeitsbereichen der Hochschule sowie einige Berichte zu diversen Ereig-nissen und Projekten.

    Ich wnsche viel Gewinn und Freude beim Lesen!

  • INHALT

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    STUDIENGANG FIGURENTHEATERvon Prof. Stephanie Rinke

    8. DIE-WO-SPIELEN-FESTIVAL

    STUDIENGANG SCHAUSPIELvon Prof. Franziska Ktz

    ICH LIEBE DEN RHYTHMUS DER MUSIKProf. Georg Nigl im Gesprch mit Dr. Regula Rapp

    STARS MADE IN STUTTGART!ein Festival-Rckblick von Dr. Cordula Ptzold

    MEIN SCHNSTES RISING STARS-ERLEBNIS!

    ICH BIN EIN EINHORNvon Helena Folda

    DER GROOVE ALS TRFFNERvon Fola Dada

    HEY, GROOVY!von JProf. Dr. Friedrich Platz

    VOM MUSIKALISCHEN ZEHNKAMPF IM SCHUPRAvon Prof. Harald Lierhammer und Christoph Mller

    WENN MUSIK NICHT GROOVT...von Serena Hart

    THE BEAT GOES ON!von Wolfgang Schmid

    DER MANN AM KLAVIER: HUBERT NUSSvon Prof. Rainer Tempel

    LIFE IS RHYTHM...von Eckhard Stromer

    MR. THREADGILL SCHLGT EINvon Jonathan Delazer

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    SCHWUNG, DRIVE, GROOVE, BEAT, PULSvon Christof M Lser

    WIE KLINGT HISTORISCH INFORMIERT?von Prof. Jrg Halubek

    HNDEL: RODRIGO

    GEGENWARTvon Prof. Angelika Luz

    DER GROOVE DES WESTLICHEN BUNRAKU-SPIELSvon Prof. Stephanie Rinke

    ICH GREIFE GERNE EIN: PROF. MARTIN SCHTTLERim Gesprch mit Christof M Lser & Prof. Rainer Tempel

    MENSCH MASCHINEvon Flo Knig

    MAESTRI VON MORGENein Wettbewerbs-Rckblick von Simone Enge

    RENDEZ-VOUS PERCUSSIONS LYON-STUTTGARTvon Prof. Klaus Dreher

    TAKTWECHSELvon Anna Maria Wilke

    DIE DARSTELLENDEN KNSTE

    SPRECHKUNST & KOMMUNIKATIONSPDAGOGIKvon Prof. Annegret Mller

    DIE LUST AM LERNENDEN FORSCHENProf. Dr. Kerstin Kipp im Gesprch mit Prof. Annegret Mller

    TAG DES SPRECHENS

    DIE NATUR DER LIEBE: OPERNSCHULEvon Bernd Schmitt

  • SPEKTRUM #25_03

    IMPRESSUMDr. Regula Rapp

    Prof. Dr. Hendrikje Mautner-ObstProf. Franziska KtzChristof M LserJProf. Dr. Friedrich PlatzJrg R. Schmidt (Redaktionsleitung)

    Jrg R. [email protected] Prof. Peter Buck, Fola Dada, Jonathan Delazer, Prof. Klaus Dreher, Simone Enge, Prof. Jrgen Essl, Helena Folda, Prof. Jrg Halubek, Serena Hart,Felix Heller, Prof. Dr. Kerstin Kipp, Florian Knig, Prof. Franziska Ktz, Prof. Harald Lierhammer,Christof M Lser, Prof. Dr. Ludger Lohmann, Prof. Angelika Luz, Prof. Johannes Monno, Prof. Annegret Mller, Christoph Mller, Prof. Georg Nigl, Dr. Cordula Ptzold, Tim Pfrtner, JProf. Dr. Friedrich Platz, Ralf Ppcke, Dr. Regula Rapp, Christin Razman, Prof. Stephanie Rinke, Wolfgang Schmid,Jrg R. Schmidt, Bernd Schmitt, Eckhard Stromer, Prof. Rainer Tempel, Ruth Wrner

    Cornelia Bend, Andreas Frane, Hans-Martin Werner

    Gertrud [email protected]

    Staatliche Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Pressestelle

    Hannes Beer Kunstwerk Stuttgart

    Oliver Rckle www.oliverroeckle.de(Big Band der Musikhochschule Stuttgart)

    Christoph Kalscheuer (10, 30), Konstantin Kern (48), Maurice Korbel (24, 25), Rainer Mller (46), Rudi Rach (67), Adrian Riemann (17), Oliver Rckle (1, 2, 4, 13, 14, 15, 18, 21, 22, 36, 38, 40, 45, 51, 52, 53, 58, 64), Johannes Schaugg (43), Bernd Uhlig (34)

    Gmhle-Scheel Print-Medien GmbH, Waiblingen

    3.000 Ex., Spektrum erscheint halbjhrlich Hochschuleigene Beitrge bei Quellenangabe zum Nachdruck frei! Die Redaktion behlt sich vor, eingegangene Texte zu krzen und redaktionell zu bearbeiten.

    Nutzen Sie auch die Online-Ausgabe. Unter www.mh-stuttgart.de/hochschule/spektrum finden Sie alle Beitrge dieses Magazins.

    ISSN 1868-1484 Stuttgart, im Mrz 2015

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    AUFLAGE

    1. JAZZ & POP FESTIVALein Festival-Rckblick von Prof. Rainer Tempel

    DAS SCHWERE LOS DES GROSSEN Uvon Felix Heller

    AM PULS DES LEBENSvon Tim Pfrtner

    STUTTGART INTERNATIONAL CLASSIC GUITARvon Prof. Johannes Monno

    1 JAHR MUSIKGYMNASIUM BILDIMPRESSIONEN

    BUNG MACHT DEN MEISTER!von JProf. Dr. Friedrich Platz

    MH STUTTGART KNSTLERVERMITTLUNGvon Ralf Ppcke

    SYMPOSIUM ELEMENTARE MUSIKPDAGOGIKein Rckblick von Ruth Wrner

    SWR VOKALENSEMBLE-AKADEMIEvon Cornelia Bend

    KIRCHENMUSIK-STUDIUMvon Prof. Jrgen Essl

    TAG DER KIRCHENMUSIK & DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG STUTTGART

    STUTTGARTER ORGELAKADEMIEvon Prof. Dr. Ludger Lohmann

    MUSIKGERAGOGIKvon Christin Razman

    GEORG IST DANEBENvon Prof. Stephanie Rinke

    KOLJA LESSING AUSGEZEICHNET

    ALUMNIADE: STUTTGART MEETS KRAKAUvon Prof. Peter Buck

    LANDESKONGRESS DER MUSIKPDAGOGIKvon Hans-Martin Werner

    PREISE, AUSZEICHNUNGEN UND ENGAGEMENTS

    VERANSTALTUNGSBERSICHT

    PARTNER, SPONSOREN UND FRDERER

    JUNGE SNGER FR JUNGE LIEBENDEvon Andreas Frane

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    PHILIPP BRAUN BEIM JAZZ & POP FESTIVAL /// TROMPETENSECTION DER BIG BAND

  • Christof M Lser, Klavier-, Cello- und Orgelausbildung in Korntal-Mnchingen. Studium in Freiburg:

    Schulmusik, Musiktheorie, Klavier (Annekatrin Klein, James Avery), Germanistik, Musikwissen-

    schaft (Hans Heinrich Eggebrecht, Ulrich Konrad); Seminare bei Mathias Spahlinger. Dirigierstu-

    dium bei Wolf-Dieter Hauschild in Karlsruhe. Studien bei Peter Etvs und Zsolt Nagy. 1996-2001

    Lehrauftrag fr Musiktheorie an der Musikhochschule Freiburg. An der Musikhochschule Stuttgart

    2000-2008 Orchestermanager, Dirigent (KammerEnsemble, Stirling Ensemble) und Dozent fr

    Musiktheorie. Seit 2008 Dozent fr Ensembleleitung Neue Musik und Musiktheorie. Leitung echt-

    zeitEnsemble, Stirling Ensemble Stuttgart [SEnS]. Seit 2013 Leiter des Studios Neue Musik der

    Musikhochschule Stuttgart. Dirigate bei zahlreichen Ensembles und Orchestern in Europa, Sd-

    und Mittelamerika, u.a. Filarmnica de Montevideo, ensemble recherche, Ensemble Laboratorium,

    Stockhausen-Kurse Krten. 2008-12 Leiter des Ensembles Neue Musik der Musikhochschule FRANZ

    LISZT Weimar. Seit 2014 Knstlerischer Leiter des neugegrndeten Landesjugendensembles Neue

    Musik Baden-Wrttemberg [LJE]. Zahlreiche Projekte zur Vermittlung Neuer Musik mit Schlern,

    Lehrern (z. B. Donaueschinger Musiktage), Managern (z. B. BOSCH), Bildenden Knstlern, Tnzern,

    Architekten. Knstlerische und konzeptionelle Mitarbeit im Netzwerk Neue Musik BW und Stuttgar-

    ter Kollektiv fr altuelle Musik (SWaM). Initiator, Leiter und Dirigent der Initiative fr Neue Musik

    SUONO MOBILE (www.suonomobile.de)

  • SPEKTRUM #25_05 BILDIMPRESSION AUS DEM ECHTZEIT-WERKSTATTFESTIVAL (2014)

    olche Noten mssen stark angegriffen, und durch eine sich nach und nach verlierende Stille ohne

    Nachdruck ausgehalten werden. Wie der Klang einer Glocke, wenn sie scharf angeschlagen wird, sich nach und nach verlieret. (Leopold Mozart, Versuch einer grndlichen Violin-schule, Augspurg 1756; Faksimile-Reprint, Kassel 1995, S. 44)

    Man fange den Herabstrich oder den Hin-aufstrich mit einer angenehmen Schwche an; man verstrke den Ton durch einen unver-merkten und gelinden Nachdruck; man bringe in der Mitte des Bogens die grte Strke an, und man mssige dieselbe durch Nachlassung des Bogens immer nach und nach, bis mit dem Ende des Bogens sich auch endlich der Ton gnzlich verlieret. (ebd. 102)

    (...) so muss nothwendig ieder Strich mit ei-ner gewissen Mssigung gelind angegriffen (...) werden (...) (ebd. 105)

    VON DER EINZELNEN NOTE...Nicht notierte, nicht notierbare, schwer be-nennbare Nuancen in der Artikulation einer einzigen Note, ihrer Ansprache, ihrem Ver-lauf und Ausklang verraten manches ber ihre Umstnde und Hintergrnde, ber ih-ren historischen, stilistischen, sthetischen, konzeptionellen, gattungsmigen, forma-len, strukturellen, dynamischen, metrischen, rhythmischen, melodischen, harmonischen, kontrapunktischen, kammermusikalischen, interpretatorischen, persnlichen, emotio-nalen, affektiven, bewegungsmigen, kr-perlichen, instrumentalen, materiellen, rum-lichen, akustischen, sozialen, konomischen Kontext und knstlerischen Anspruch.

    Der Tact macht die Melodie: folglich ist er die Seele der Musik. Es ist also an dem mu-sikalischen Zeitmaase alles gelegen. Und gleichwie die Mediciner die Bewegung der Pulsadern mit dem Name Systole und Dia-stole benennen: also heit man in der Musik das Niederschlagen Thesis das Aufheben der Hand aber Arsis. (ebd. 27)

    (...) so muss man die erste solcher vereinbar-ten Noten etwas strker angreifen, die brigen aber ganz gelind und immer etwas stiller da-ran schleifen. (ebd. 135)

    ...ZU TAKT, MUSIK...Fgen sich nun Noten zu Takten, zu Rhyth-men, und findet sich eine konkrete metrisch-rhythmisch notierte Konstellation in sehr verschiedener Musik, sagen wir, bei Vivaldi,

    Ravel, in einem Jazz-Standard oder bei Stockhausen, so las-sen bereits beim Lesen Aspekte wie Instrumentation, Tempo, Thematik, Harmonik und Dynamik (ist sie notiert?) auf einen bestimmten Stil oder Komponisten oder sogar ein bestimmtes Stck schlieen. Doch machen daraus erst charakteristische Nuancen, klangliche Abschattierungen, stiltypische Diffe-renzierungen der Spielweise und eigentmliche Mikroabwei-chungen in Rhythmus, Betonung, Artikulation und Phrasie-rung sowie nicht zuletzt Atem: Musik. Bestimmte Musik.

    ...ALS BEWEGUNG...Bei Leopold Mozart ist vom Tact als der Seele der Musik, vom musikalischen Zeitmaase, von Bewegung, vom Puls, vom Aufheben und Niederschlagen der Hand die Rede in allge-meinem Sinne Grundbedingungen von Musik: ge-gliederte, nach Qualitten geordnete, strukturierte Bewegung als krperliche und musikalische.

    ...UND FLUSSSolche Bewegung kann sich zum Stromrhyth-mus (Heinrich Besseler) der Renaissance-Po-lyphonie ausprgen. Oder im weiteren Sinne zu musikalischem Fluss oder Flieen eigentlich ein Widerspruch zur Folge abgestufter Tonhhen und rhythmisch markierter Zeitpunkte. Im Hin-tergrund lenken den Fluss fortlaufende, berge-ordnete Muster: Metrum, Periodik, Kontrapunkt, Harmonik, Texturen etc. was fliet, im Fluss sind die konkreten, fein nuancierten, hchstens andeutungsweise notierten, jedoch qualitativ dif-ferenziert ausgestalteten Mikrobergnge von Ton zu Ton und die spezifische Formung des einzel-nen Klangereignisses. Im Rap entsteht so Flow, im Jazz Swing und Groove, in Pop, Rock etc. Beat, in der Wiener Klassik (u.a.) ein Sprechen, Klangrede, bei Wagner berflieen von Kraft in Erscheinung in einer Symphonie energetischer

    Strmungen [1] (Ernst Kurth), in Luigi Nonos Sptwerk sein suono non statico oder suono mobile, bewegter, sich be-wegender Klang.

    NOCH EINMAL DIE EINZELNE NOTE: MIKROSKOPIERT...Neu an der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts ist neben an-derem die Entqualifizierung und Quantifizierung, die Ver-schiebung und berschreitung von Grenzen, die Sprengung von Kategorien und Grenordnungen. Die einzelne Note, gar nur ihr Beginn, ihre Artikulation, ihr Einschwingvorgang wird auskomponiert, differenziert, gedehnt, mikroskopiert, emanzipiert, in ganzen Stcken thematisiert. Darauf deuten Werktitel wie dal niente (Lachenmann), Artikulation (Ligeti) oder indirekt auch Partiels (Grisey).

    Ihre Eigenschaften, die frher durch stilistische Konven-tionen tradiert und umrissen waren, werden individuell punktuell und mehrdimensional festgelegt. Gestische, sprachanaloge, kontextuelle Qualitten traditioneller Arti-kulation wurden beispielsweise von Stockhausen im Laufe S

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  • 06_ SPEKTRUM #25

    des Kreuzspiel-Kompositionsprozesses in die scheinbar ob-jektiven Quantitten von Lautstrke und Dauer berfhrt. Die Kenntnis dieses Hintergrunds kann Interpreten durchaus in Zwickmhlen bringen.

    Auch der weitere Verlauf einer Note, ihre klangliche Binnen-struktur, ihre Produktionsweise werden zum Thema von Kompositionen: Pression (Lachenmann), III-Felder (Maier-hof). Frher konventionenabhngige oder subjektive Gestal-tungsmittel wie vibrato, Bogenposition, Pedalisierung oder Fingersatz werden en dtail notiert und differenziert und so selbst zum formprgenden kompositorischen Mittel.

    Interpreten stehen unter Umstnden vor der Herausforde-rung, stilistische Differenzierungen auf engstem Raum zu erkennen und hrbar zu machen, etwa wenn in Schnbergs Kammersymphonie op. 9 in der Einleitung hart an- und aufein-andergesetzte moderne Quarten, drngend-strebende spt-romantische (zugleich ganztnige) Alterationsharmonik und ein therisch-entschwebender neapolitanischer Dreiklang innerhalb von 4 Takten aufeinanderfolgen.

    ...UND IN BEWEGUNG: 1:1Der 11/4-Takt in Strawinskys Le Sacre du Printemps impliziert kein Metrum im Sinne einer qualitativen Ordnung verschie-dener Betonungen oder Werte. Die Streicher spielen nicht einmal die Leopold Mozartsche Thesis und Arsis, sondern lauter Abstriche, also eine Folge von Einsen, eine 1:1-Impuls-folge, einen widersprchlich ausgedrckt neutralen Puls. Einen Beat ? Objektiv, maschinell, quantitativ, eher rationales Zeit-Ma als traditionell musikalisches Metrum (oder Tempo), als Leopoldsche Seele. Doch von archaischer Durchschlags-kraft. Solche 1:1-Repetitionen treten auf auch bei Stockhausen (Klavierstck 9), Lachenmann (Salut fr Caudwell), Spahlin-ger (phmre, farben der frhe u.a.) und anderen, in je eige-nem Kontext als Kulmination oder Ausgangspunkt fr neue Prozesse, z.B. mit den kompositionstechnischen Mitteln der Nicolaus A. Huberschen Konzeptionellen Rhythmuskompo-sition, die mittels quantitativer Vernderungen ein Ausgangs-modell entwickelt, entfaltet, bis es in eine neue Gestalt mndet. Minimiert auf die Ebene kleinster, schneller Zeiteinheiten, bilden solche neutralen Impulsfolgen, selbst oft gar nicht hr-bar, den Hintergrund, die Maeinheit, ein Raster fr aufmo-dulierte klangliche Ereignisse und wirken fr diese wiederum unter der Oberflche als Motor (Beweger), Energiezustand, Artikulationsgenerator. Selbst isolierte lange Klnge, sogar wenn sie aus dem Nichts kommen, werden auf diese Weise auf-geladen mit Bewegungsenergie und Spannung, die sich in der Kommunikation zwischen Musikern und feinsten klanglichen Nuancen bemerkbar machen.

    In NA Hubers Werden Fische je das Wasser leid? sind lange Klnge in einen dirigierten schnellen Achtelpuls einge-hngt. Dieses unterschwellige agitato nervoso macht es den Interpreten schwer, natrlich zu atmen, und verleiht der Ar-tikulation der langen Tne einen sehr eigenen, bei aller Sensi-bilitt subversiv-impulsiven Charakter.

    Feldman lsst in Triadic memories ber notiertem 3/8-Takt (fast) ausschlielich quartolische 2er-, 4er- und 8er-Unter-teilungen rotieren, eine halbe Stunde lang, immer ppp und Pedal: der (fast) nie artikulierte Dreiertakt, solchermaen exponiert als Hintergrund fr stndig hrbare Vierer, die aber keine sind, erzeugt ein eigentmlich unfassbares Schweben, richtungsloses Flieen, pulsloses Schwingen.

    GRENZPHNOMENE UND EINLADUNGEs hngt von Komponierenden, Auffhrenden und Hrenden gleichermaen ab, ob in rationalisierter, strukturalistischer, Kategorien transzendierender, konzeptualisierter, technischer, komplexer, spekulativer oder realittsaffiner widerstndiger Umgebung musikalischer Fluss angelegt, zum Leben erweckt, wahrgenommen wird, und welche Gestalt er annimmt.

    Impulse: elektronisch, beschleunigt, verwandeln sich fr uns in Tonhhen. Tonhhen: sind Frequenzen, sind bereits Schwingungen, Pul-sationen.

    John Cage, 433: kann Stille grooven ?Edgar Varse, Dserts: beat the silence

    Achten Sie in unseren Konzerten und Produktionen auf Noten und Nuancen, Schattierungen, bergnge, das Dazwischen und wie Klang durch die Personen fliet, hindurchklingt (lat. persona = Maske; personare = hindurchtnen) und so Musik wird: z.B. in Projekten mit dem Studio Neue Musik: 24.4. Philippe Hurel, Quatre Variations fr Schlagzeug und Ensemble im Percussion Projekt Lyon-Stuttgart mit Emil Kuyumcuyan, Schlagzeug, und dem echtzeitEnsemble des Studios Neue Musik unter der Leitung von Christof M Lser | 20.5. Antrittskonzert Prof. Martin Schttler (Komposition) mit seiner Musik, dem belgischen Nadar Ensemble sowie So-listen und echtzeitEnsemble der Musikhochschule | 13./14.6. Honigland: Musiktheaterprojekt des Studios fr Stimmkunst und Neues Musiktheater unter der Leitung von Prof. Angelika Luz, inszeniert von Bernd Schmitt mit Sngern und echtzeitEnsemble unter der Leitung von Studierenden aus den Diri-gierklassen | 19./20.6. echtzeit | werk_statt_festival des Stu-dios Neue Musik mit Urauffhrungen aus den Kompositions-klassen von Prof. Marco Stroppa und Prof. Martin Schttler sowie Musik von Luciano Berio, Enno Poppe und Rolf Riehm. Solisten & echtzeitEnsemble, Leitung: Christof M Lser

    [1] Und hier hat auch die Theorie anzusetzen, statt der Erscheinungen deren Vor-

    quellen, das Wesen und den Ausdruckswillen der eigenartigen psychischen Krftebe-

    wegungen zu erfassen, aus welchen sich die Harmonik entwickelt und erbaut und die

    im Bilde der Klnge und im Strom der Klangfortschreitungen in Gestaltung schieen.

    (...) Wer zur Erkenntnis dieser inneren Lebensgestaltung der Harmonik vordringt,

    dem wird die Musik aus einer Symphonie der Tne zu einer Symphonie energetischer

    Strmungen, die sich breit ausladend im Flusse der Klangentwicklungen auswirken,

    anschwellen und verfluten, die Wellenbilder wirr verzerrtester Formen aufschieen

    lassen und sich wieder zum klaren Ausgleich glattgerundeter Verschmelzung lsen.

    (Ernst Kurth, Romantische Harmonik und ihre Krise in Wagners Tristan, Hildesheim

    1998, Nachdruck der 3. Auflage, Berlin 1923, S. 2)

  • SPEKTRUM #25_07

    F Frage betrifft sowohl die vertikalen Akkorde als auch die ho-rizontalen Melodien und natrlich beides zusammen, was es zuerst mal kompliziert werden lsst. Zusammenspielen wre einfacher! Mchte man ein leichtes Crescendo erzeugen, eine musikalische Phrase zu ihrem wichtigsten Wort fhren, brauchen wir eine Art Accelerando zu diesem Punkt das Gegenteil fr eine Entspannung. Ein Crescendo mit einem Accelerando zu verbinden klingt ganz nach Sptromantik und wre sicher keine erwnschte Tugend der ersten Kla-vierstunden. Trk jedoch verbindet Tempomodifikationen direkt mit dem musikalischen Ausdruck: In Tonstcken, deren Charakter Heftigkeit, Zorn, Wuth, Raserey u. dgl. ist, kann man die strksten Stellen etwas beschleunigt (accele-rando) vortragen. Auch einzelne Gedanken, welche verstrkt (gemeiniglich hher) wiederholt werden. (Trk 1789)

    Der Cembalist ist dafr verantwortlich jede Note in einen rhythmischen Kontext zu bringen, um einen Flow zu erzeu-gen, Zielpunkte ber das Timing seines Spiels anzustreben, welches bei einem Snger allein ber die dynamische Vor-stellung entsteht. Es ist schwierig, darber klar zu schreiben, so auch schon in den Quellen der Barockzeit: Hier mu ein ieder in seinen Busen greiffen und fhlen, wie ihms ums Hertze sey: da denn nach Befindung desselben unser Setzen, Singen und Spielen auch gewisse Grade einer ausserordent-lichen oder ungemeinen Bewegung bekommen wird, die sonst weder der eigentliche Tact, an und fr sich selbst, noch auch die merckliche Auffhaltung oder Beschleunigung des-selben, vielweniger der Noten eigene Geltung ertheilen kn-nen; sondern die von einem unvermerckten Triebe entstehet. Die Wirckung merckt man wol, wei aber nicht, wie es zuge-het (Mattheson 1739). Mattheson beschreibt hier das nicht Notierbare, das Verhltnis von Takt und Bewegung, es geht ihm um das wahre Mouvement, der Dimension jenseits der Regeln, die eine Auffhrung in ihrem jeweiligen Kontext wahrhaftig macht.

    WIE UNTERRICHTET MAN EIGENTLICH HISTORISCH INFORMIERTE AUFFH-RUNGSPRAXIS? Bleiben wir bei dem letzten Gedankengang: Das Fundament ist die Beschftigung mit historischen Instrumenten und historischen Quellen. Ziel ist, sich ein Instrumentarium zu erwerben, das dem Interpreten erlaubt, hinter die Noten zu blicken und womglich in der Art eines guten Schlers der Barockzeit zu spielen. Wie weit wir wirklich davon entfernt sind, beweisen unzhlige Aufnahmen von Interpreten, die im 19. Jahrhundert geboren sind. Darunter sind durch die Klavierrollen von Welte-Mignon vor allem viele Pianisten,

    low, Gravitation, Akzente, Takt und Bewegung, wre eine Antwort auf Jrg Schmidts Frage, welche Begriffe aus der historischen Auffhrungspraxis in

    meinen Cembalostunden hufig fallen. Liest man Kritiken ber Barockauffhrungen, wird oft vom silbrigen, bieg-samen Klang gesprochen; von einer Dichte der Artikula-tion, von Leichtigkeit, von Unmittelbarkeit, von akzen-tuiertem und erzhlfreudigem Spiel oder vom schlanken, durchsichtigen und expressiven Klang. Meiner Ansicht nach haben viele dieser Bemerkungen mit einem bestimmten rhythmischen Gestus, dem Timing zu tun, mit dem sich ins-besondere die Cembalisten sehr genau beschftigen. Das Cembalo bietet durch seinen einfachen Mechanismus dem Spieler einen unmittelbaren, direkten Zugang zum Klang: Man fhlt exakt, wie und vor allem wann die Saite gezupft wird gleichzeitig hat man auf die Klangfarbe und Dynamik wenig Einfluss. Die sperrige Cembalobauweise der 50er Jahre und ein schwerflliges, gleichmigesSpiel fhrten schnell zum berhmten Eierschneider-Klang. Dabei beschrei-ben doch die frhesten Quellen aus der Entstehungszeit des Cembalos, dass dieses ein Instrument von wundervoller Se zum Musizieren sei, sein Klang hnelt dem des Clavi-chords, auer dass es lieblicher und kraftvoller sei (Pauliri-nus 1460). Noch weiter geht Jean Denis: Unsere Vorfahren haben erfahren, welch schne Melodien die menschliche Stimme hervorbringen kann, dann fanden sie Gefallen darin, ein Instrument fr die grte Annehmlichkeit zu gestalteten, welches die Stimme imitieren kann, oder ihr so nah als mg-lich kommt (Denis 1650). Erstaunlicherweise beschftigen sich diese Quellen explizit mit dem Klang des Instrumentes. Bedauerlicher Weise beschreiben sie nicht, wie damalige Interpreten dem direkten Cembaloklang die Illusion einer menschlichen Stimme verliehen haben.

    Hier sind wir an einem spannenden Punkt der historisch in-formierten Auffhrungspraxis: Gerne wird in der Alten Mu-sik-Szene ber Regeln, Fingerstze, Akzente, Verzierungen und ber die klar zu beschreibenden und gut erforschten As-pekte des Muszierens im 17. und 18. Jahrhundert diskutiert. Aber nach obigen beiden Zitaten wrde es ja ganz einfach bedeuteten: Klingt das Cembalospiel nicht wie eine mensch-liche Stimme, dann spielen wir nicht historisch informiert! Viele Instrumentalschulen der Barockzeit empfehlen, sich gute Snger anzuhren. Daher muss heute die Suche nach dem singenden Cembalospiel beginnen. Fr das Cembalo-spiel ist das wichtigste Gestaltungsmittel das Timing: Wie platzieren Cembalisten die Einzeltne an- und nacheinander, die in ihrer Dynamik grundstzlich sehr hnlich sind? Diese

    WIE KLINGT HISTORISCH INFORMIERT?VON PROF. JRG HALUBEK

  • Rsogar persnlich vertreten: Chopin-Schler, Ravel, Reger, Mahler und Debussy. Auf diesen Aufnahmen hren wir zum einen, wie lebendig die oben zitierten Gedanken von Matthe-son und Trk im spten 19. Jahrhundert sind, zum anderen, dass heutiges Musizieren ganz anderen Hr- und Spielge-wohnheiten unterliegt und dabei fhlen wir uns noch in der Nhe der Romantik. Aus meiner Perspektive beschreibt der Weg der historisch informierten Auffhrungspraxis, zu-nchst eine respektvolle Haltung gegenber Komponist und Werk einzunehmen. Darber hinaus definiert dieser Weg die Rolle und die Aufgaben des Interpreten, die wesentlich gr-er, individueller und persnlicher sind, als wir dies ohne die historisch informierte Auffhrungspraxis wissen wrden.

    Todays manner of performing classical music of the so-called romantic type, suppressing all emotional qualities and all unnotated changes of tempo and expression, derives from the style of playing primitive dance music. This style came to Europe by the way of America, where no old culture regulated expression. Thus almost everywhere in Europe music is played in a stiff, inflexible metre not in a tempo, i.e. according to a yardstick of freely measured quantities. Astonishingly enough, almost all European conductors and instrumentalists bowed to this dictate without resistance. All were suddenly afraid to be called romantic, ashamed of being called sentimental. No one recognized the origin of this ten-dency; all tried rapidly to satisfy the market which had be-come American. One cannot expect a dancer who is inspired by his body and narcotized by his partner to change tempo, to express musical feelings, to make a ritardando or Luftpause. (Schnberg 1948)

    Fr, 10. & Sa, 11.04.2015, je 19 Uhr, KonzertsaalKonzertante Auffhrung

    odrigo ist Hndels erste italienische Oper, die er ver-mutlich im Auftrag des Principe Ferdinando de Medici um 1707 in Rom komponierte. Der Original-

    titel des Librettos von Antonio Salvo lautet Vincer se stesso la maggior vittoria (Sich selbst zu besiegen, ist der grte Sieg). Erzhlt wird die Geschichte vom Ende des Westgotenreiches in Spanien. Im Mittelpunkt steht die kurze Amtszeit des Knigs Rodrigo. Von der schnen Florinda, der Tochter des frheren Knigs Vitizza, erwartet er ein Kind. Rodrigos Frau Esilena hlt trotzdem zu ihrem Gatten gemeinsam versuchen sie Politik und Leidenschaften zu kontrollieren und den von Florinda in-itiierten Widerstand niederzuschlagen.

    Die autographe Partitur ist unvollstndig berliefert. In den 1980er Jahren wurde der bis dahin fehlende dritte Akt in der Hndelkollektion des Earl of Shaftesbury wiedergefunden, wodurch die Oper nun fast vollstndig vorliegt. Hndel expe-rimentiert mit kompakten, affektreichen und vielfltigen Ari-enformen und bernimmt viele Stcke aus seinen italienischen Kantaten, sowie aus seiner ersten Hamburger Oper Almira. Die beraus poetischen Rezitative haben eine groe Nhe zu seinen italienischen Vorbildern Alessandro Scarlatti oder Francesco Gasparini. Wie auch in den Kantaten schreibt der junge Hndel hier nicht fr ein groes ffentliches Publikum, sondern fr den privaten und hochgebildeten Kreis seiner italienischen Mzene und Bewunderer. Fr die Studierenden des Studio Alte Mu-sik sowie des Instituts fr Gesang war diese Oper Gegenstand des Studienjahrs 2014/15. Ein Kurs mit der Sopranistin Emma Kirkby erffnete Erfahrungen mit barocken Gesangstech-niken, Rhetorik und Deklamation. Ein Symposium vertieft die Auffhrungspraxis italienischer Rezitative und die abschlie-enden Konzerte sollen vielen Studierenden die Mglichkeiten geben, sich praktisch mit der historisch informierten Auffh-rungspraxis auseinanderzusetzen.

    Miriam Klein, Rodrigo Johanna Pommranz, EsilenaViktoriia Vitrenko, FlorindaMari yrehagen, EvancoRoger Gehrig, GiulianoAlvaro Tinjaca, Fernando

    Dramaturgische Einstudierung: Bernd Schmitt Laute und Rezitativworkshop: Daniele CaminitiProjektleitung: Prof. Christine Busch, Prof. Jonathan Peek, Prof. Jrg Halubek

    Karten: 10/5, Tel. 0711-2124621

    08_ SPEKTRUM #25

    Jrg Halubek studierte Kirchenmusik, Cembalo, Dirigieren und Musikwissenschaft in

    Stuttgart, Freiburg, Basel und Tbingen bei Jon Laukvik, Robert Hill, Jesper Christen-

    sen und Andrea Marcon. 2004 gewann Halubek den ersten Preis des Internationalen

    Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerbs in Leipzig. Es folgten zahlreiche Einladungen

    zu Konzerten bei internationalen Festivals, beispielsweise die Bachfeste in Leipzig,

    Salzburg und Ansbach. Im Frhjahr 2007 spielte er smtliche Orgelwerke Bachs

    an vierzehn aufeinander folgenden Sonntagen in Stuttgart. Als Solist musizierte er

    mit dem Venice Baroque Orchestra, dem Philharmonischen Orchester St. Peters-

    burg und mit dem Staatsorchester Stuttgart. Bei einer Japan- und Korea-Tournee

    des Stuttgarter Kammerorchesters debtierte er im Juni 2007 mit Bachs Cembalo-

    konzert in d-Moll u.a. im ausverkauften groen Konzertsaal des Seoul Arts Center.

    Mit einer Neuinstrumentierung von Bachs Kunst der Fuge beim Europischen Mu-

    sikfest 2008 grndete er das Stuttgarter Barockorchester il Gusto Barocco. Nach

    Lehrauftrgen in Stuttgart, Karlsruhe und Trossingen wurde Jrg Halubek 2010 als

    Universittsprofessor fr Historische Tasteninstrumente und Auffhrungspraxis an

    die Anton Bruckner Privatuniversitt in Linz berufen. 2011 erfolgte zudem eine Be-

    rufung an die Staatliche Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

    HNDEL: RODRIGOStudio Alte Musik

    VON PROF. JRG HALUBEK

  • SPEKTRUM #25_09

    GEGENWARTStudio fr Stimmkunst und Neues Musiktheater

    VON PROF. ANGELIKA LUZ

    GEGENARGUMENT GEGENBEWEGUNG GEGENDARSTELLUNG GEGENFRAGE GEGENGIFT GEGENLIEBE

    m November 2014 fand die dritte Einheit einer Ko-operation mit den Musikhochschulen Luzern und Salzburg statt. Die Produktion Frauenliebe mit

    dem Studiengang Figurentheater der Stuttgarter Hochschule wurde am 10. November 2014 in Salzburg mit SngerInnen des Mozarteums unter der Regie von Prof. Angelika Luz und Prof. Stephanie Rinke einstudiert und aufgefhrt. Die Salzburger Presse schrieb: Der Liedzyklus hat eine prakti-kable Krze, um neue Kompositionen hinein zu schneiden, mit einem Querfeldein von An-, Gegen- und Nachklngen, die der biedersinnigen Anbetung des Mannes so zeitgeistig wie notwendig widersprechen Bemerkenswert auch der irgendwie selbstverstndlich wirkende Einsatz der Snger-innen und Snger fr die Neuen Tne Vielfltig anregende Fnfviertelstunden also

    Im Mrz 2015 ist das Studio fr Stimmkunst und Neues Mu-siktheater zu den Internationalen Wochen an der Kunstuni-versitt Graz eingeladen. Mit Werken von John Cage, Gyrgy Kurtg, Kaija Saariaho und Peter Maxwell Davies gestalten Gesangs- und Instrumentalstudierende drei Musiktheater- und Konzertauftritte in Graz.

    GEGENLICHTIn Planung befindet sich die Musiktheaterproduktion Honig-land mit Werken von Sylvano Bussotti, Hilda Paredes, Peter Maxwell Davies und einer Urauffhrung von Thomas Na-than Krger unter der Regie von Bernd Schmitt. Studierende der Studiengnge Gesang, Dirigieren und der Instrumental-fcher sind die Mitwirkenden der Produktion, die im Juni im Rahmen des Festivals Sommer in Stuttgart im Theaterhaus Stuttgart gezeigt werden soll.

    GEGENMITTEL GEGENOFFENSIVE GEGENPOL GEGENREFORMATION GEGENSPRECHANLAGE Bei den jhrlich stattfindenden Meisterkursen fr Stimm-kunst und Neues Musiktheater im Februar nahmen 27 ex-terne Profi-SngerInnen und Gesangs-Studierende am Kurs Stimme. Theater. Freiheit des Dozenten Stefan Schreiber (Staatsoper Stuttgart) teil. Zahlreiche SchulmusikerInnen nutzten auerdem die Chance, sich ein umfangreiches Spek-trum an Improvisationsmglichkeiten mit der Stimme bei der bekannten Stimmimprovisatorin Natascha Nikeprelevic zu erarbeiten, deren Einsatz im pdagogischen Bereich breite Anwendung finden kann.

    GEGENSATZ GEGENTEIL GEGENVORSCHLAG Standhalten der Zeit ist der Titel einer Musiktheatralischen Einlassung, die am 17. April um 19 Uhr in der Stuttgarter Stiftskirche und am 6. Juni um 21.30 Uhr whrend des Deut-schen Evangelischen Kirchentags im Konzertsaal zur Auffh-rung kommt. In der transdisziplinren Zusammenarbeit, die die Grenzen von Musik, Sprache und Bewegung aufzuheben sucht, erarbeiten Studierende der Studiengnge Elementare Musikpdagogik, Sprechen, Gesang, Schulmusik und der In-strumentalfcher Werke von Hildegard von Bingen, Harri-son Birtwistle, Younghi Pagh-Paan und Jos Mara Snchez Verd. Die musikalische Leitung bernimmt Prof. Johannes Knecht, die Choreographie Ann-Barbara Steinmeyer. Fr die Urauffhrung von Jan Kopps Werk Springen fr fnf Stim-men mit Tontpfen arbeitet das studentische Vokalensemble OnAir bereits whrend der Entstehungszeit mit dem Kom-ponisten zusammen.

    GEGENBERIn Kooperation mit der Stadtbibliothek Stuttgart fhren Vo-kalistInnen der Hochschule zur festlichen Erffnung von Stuttgart liest ein Buch am 11. Mai 2015 um 20 Uhr das Klangbuch der imaginren Wesen von Mario Verandi auf, der auch die Live-Elektronik bei diesem szenischen Konzertbei-trag bernimmt.

    GEGENWART (etymologisch: etwas anderem entgegen gewandt)

    Angelika Luz war nach ihrer Ausbildung an der Musikhochschule Stuttgart als

    Koloratursopranistin an verschiedenen Bhnen Europas engagiert. Als Solistin

    arbeitet sie mit Orchestern und Kammermusikensembles wie Ensemble Modern,

    ensemble recherche oder dem Klangforum Wien. Solo-Programme reichen von

    den Klassikern Berio, Cage und Nono bis zu den Urauffhrungen der jngsten

    KomponistInnen-Generation. Auftritte bei allen wichtigen Festivals der Neuen

    Musik, ber 150 Urauffhrungen, zahlreiche Rundfunk- und CD-Aufnahmen. Seit

    1998 unterrichtet sie an der Staatlichen Hochschule fr Musik und Darstellende

    Kunst in Stuttgart Neue Vokalmusik. Mit dem von ihr gegrndeten ensemble v.act

    entstehen unter ihrer Leitung Produktionen, die Musik, Stimme, Szene, Licht und

    Multimedia in Verbindung setzen. Zum Wintersemester 2007/08 hat sie an der

    Musikhochschule Stuttgart eine Professur fr Gesang mit dem Schwerpunkt Neue

    Vokalmusik angetreten. Seit 2012 ist sie Leiterin des Studios fr Stimmkunst und

    Neues Musiktheater.

    I

  • 10_ SPEKTRUM #25

    B

    EIN ADAPTIONSVERSUCH MUSIKALISCHER TERMINIFR DAS FIGURENTHEATER

    unraku ist eine traditionelle, japanische Form des Figurentheaters, die 1684 in saka ihren Ur-

    sprung findet, benannt nach dem Puppenspieler Uemura Bunrakuken. Dieses Autorentheater ist be-sonders durch seine Puppen und deren Spiel-weise gekennzeichnet, die wir auch im zeit-genssischen Figurentheater wiederfinden. Die Figuren sind ca. 1,5 m hoch und be-ntigen drei Spieler fr die Animation, wobei der angesehenste Spieler den Kopf und den rechten Arm, ein zwei-ter den linken Arm und der dritte die Beine fhrt. Die Puppenspieler sind whrend der Auffhrung zu sehen, allerdings in schwarzen Kimonos mit Kapuzen, um ihr Gesicht zu verhl-len. Nur der Meister setzt whrend der Vorstellung ab und zu seine Ka-puze ab.

    Im heutigen westlichen Figurenspiel ist diese Art der Puppenfhrung sehr beliebt und findet sich in abgewandelter Form in den verschiedensten Produktionen wie-der, wobei die tra-ditionelle Auftei-lung der Spieler stets beibehalten wird. Die Frage, ob die Spieler ihr Gesicht verste-cken oder zeigen sollen, ist dabei oft ein Streitfak-tor, und scheint zuweilen eine reine Geschmacksfrage zu sein. Ich mchte zu die-ser Frage meinen Stand-punkt erlutern. Grundstzlich bin ich der Auffassung, dass die Spieler unverhllt animieren sollten, da der Spieler mit seinen Blicken den Fokus auf die Figur lenkt, sich nicht selbst als Darsteller definiert, sondern durch seinen stummen Dialog mit der Fi-gur sich ganz in den Dienst der Rolle stellt. Dadurch, dass diese visuelle Wechselwirkung dem Zuschauer offen gezeigt wird,

    kann dieser sich ganz auf die Puppe einlassen, deren Rolle an Strahlkraft und Tiefe gewinnt. Anders verhlt es sich, wenn man den Spieler zwar sieht, jedoch sein Gesicht unsichtbar bleibt. Dadurch, dass der Rezipient nicht mehr sehen kann, wo-hin der Spieler schaut, kann es passieren, dass der Fokus nicht

    mehr eindeutig auf der Figur liegt, sondern dass das Interesse am

    Spieler viel mehr Bedeu-tung bekommt: Warum

    zeigt er sein Gesicht nicht? Hat er etwas

    zu verbergen? Was ist sein Geheim-nis? Es findet also eine Ver-schiebung der eigent l ichen Darstellungs-absicht statt, die der Rolle

    und dem Spiel nicht mehr dien-

    lich ist. Natrlich gibt es Ausnahmen.

    Manchmal erfordert es die Bhnensituation oder

    die Gre der Figur, dass der Spieler sein Gesicht unmittelbar ne-

    ben dem Kopf der Figur hat. In diesen Fllen kann es passieren, dass die Gesichter in eine Art Konkurrenz geraten, da selbst, wenn der Spieler in seiner Konzentration ganz bei der Figur ist, die Prsenz seines eige-nen Gesichts einfach zu gro ist. Aber, ob nun verhllt oder unverhllt, dieses Zu-sammenspiel lsst in seiner Perfektion, wenn die Spieler im groove sind, die

    Zuschauer an ein tatschlich eigenstn-diges Leben der Figur glauben. Je mehr es

    grooved, umso mehr glauben wir, dass diese Puppe eine selbstbestimmt denkende und han-

    delnde Rolle ist, die sich jederzeit von seinen Spie-lern lsen knnte, um z. B. die Bhne zu verlassen.

    Doch wie kommt es zu diesem Groove?

    Um dieses Phnomen zu begreifen, mchte ich zuerst einen Schritt zurckgehen. An den Anfang: die Figur. Verstehen wir die Figur als ein Instrument, so muss ihre Beschaffen-heit es uns ermglichen, darauf (damit) zu spielen. Das heit, der Puppenspieler muss mit ihr menschliches Verhal-ten darstellen knnen, wobei es nicht darum geht, dass ihr ueres Erscheinungsbild das Abbild eines Menschen sein muss. Oft wird vermutet, dass mit der Herstellung der Figur schon die eigentliche Arbeit getan ist, aber genau wie in der Musik, ist das Instrument allein, ohne Musiker, nur ein totes Objekt. Damit dieses Objekt belebt werden kann, braucht es die Animation durch den Interpreten. Wir sprechen im

    Anmerkung der Verfasserin: Dieser Artikel erhebt keinerlei Anspruch auf Richtig-

    keit im musik- oder theatertheoretischen Sinn, sondern ist als bloe Spielerei der

    Vokabeln zu verstehen. Denn, egal ob in der Musik oder im Figurentheater, wir alle

    spielen ein Terminus, der sich in beidem wiederfindet.

    DER

    GROOVEdes westlichen Bunraku-Spiels

    VON PROF. STEPHANIE RINKE

  • SPEKTRUM #25_11 FRANKENSTEIN: FIGURENTHEATER-PRODUKTION IM WILHELMA THEATER (2013)NACH MARY SHELLEY FOTO: CHRISTOPH KALSCHEUER

    Figurenspiel von Animation (von lat. animare: zum Leben erwecken; animus: Geist, Seele), da der erste Schritt vor der Bewegung beginnt, im Beatmen der Figur. Oder an-ders ausgedrckt: Der Spieler gibt der Figur ihren inneren Grundschlag, ihren Puls. Wie schnell oder langsam dieser Puls ist, steht in direkter Abhngigkeit zur Beschaffenheit der Figur bzw. Rolle. Im Falle einer Bunraku-Puppe, die von drei Spielern animiert wird, stellt schon dieser erste Schritt eine groe Herausforderung dar, da der gemeinsame Grundschlag oder Rhythmus einer Figur nicht wie in der Musik von auen, z. B. durch ein Metronom, bestimmt wer-den kann, sondern allein durch das gemeinsame Atmen der Spieler entsteht. Dies erfordert ein hohes Ma an Durchls-sigkeit des eigenen Krpers sowie eine sensible Wachheit fr die anderen beiden Spieler.

    Gibt die Szene, in der die Figur spielt allerdings eine Musik vor, so bieten sich zwei Mglichkeiten fr das Puppenspiel: entweder bedient die Figur den vorgegebenen Grund-schlag (Rhythmus der Figur = Puls der Musik) oder sie geht bewusst dagegen. Beides ist mglich, je nachdem, was er-zhlt werden soll. Wie kommt es zur ersten Bewegung, zum ersten Handeln? Verstehen wir Schwung nicht als eine musikalische Stilrichtung im Jazz (Swing), sondern nehmen es wrtlich als physikalische Gre (Impuls eines bewegten Massepunkts oder Krpers), so stellt sich nun die Frage des ersten Impulses der Figur. Eine grundstzliche Regel gibt es hierfr nicht, da der erste Impuls aus dem Fu kommen kann, ebenso wie aus dem Arm oder dem Rumpf. In den meisten Fllen ist es aber der Kopf (also der Kopfspieler, der ihn gibt), aus dem einfachen Grund, dass die Blicke der Figur dem Zuschauer die Idee vermitteln, sie wre eine selbstdenkende, selbstbestimmte Rolle, die ihre Umgebung wahrnimmt und mit anderen in Kontakt treten kann.

    Und es gibt noch einen zweiten Grund: Dadurch, dass die Spieler offen auf der Bhne zu sehen sind, und das Publi-kum wei, dass die Puppe eigentlich ein totes Objekt ist, muss die Figur, wenn sie z.B. einen Arm bewegen will, erst durch den gesetzten Blick (Fokus) auf den Arm diesen als ihr zugehrig und lebendig thematisieren. Wrde sich der Arm ohne einen Kontakt zum Kopf der Figur selbststndig bewegen, wrde der Armspieler in den Fokus der Zu-schauer geratenh und die Illusion des eigenstndigen Le-bens der Figur wre dahin. (Natrlich kann die Figur mit dieser Tatsache auch spielen, aber dafr braucht es die Re-aktion des Kopfes auf den sich selbst bewegenden Arm.)

    Kann aus der Abfolge der einzelnen Bewegungsimpulse ein Drive entstehen? Verstehen wir Drive als ein subjek-tives Anwachsen des Tempos ohne objektive Beschleuni-gung, als Verdichtung der (musikalischen) Ereignisse bei strenger Wahrung des Zeitmaes, um damit die Spannung und Intensitt zu erhhen, so knnte man dies bertra-gen auf das Figurenspiel als Steigerung der Intensitt der Rolle, der Figur begreifen. Je mehr die einzelnen Puppen-spieler hinter die Figur treten, d.h. je unsichtbarer sie fr den Zuschauer werden, und die Figur als scheinbar allein

    existierender Protagonist auf der Bhne steht, desto grer die Energie und Spannung des Spiels. Wobei der Vorgang des hinter die Figur treten nicht als ein Kleinmachen des Spielers misszuverstehen ist, sondern im Gegenteil: Die Spieler geben ein Hchstma an Energie und Vorstel-lungskraft in die Figur. Dies ist ein uerst komplexer Vor-gang und nicht einfach zu beschreiben: Obwohl der Spieler auerhalb der Figur steht, in der scheinbaren Position des Beobachtenden, so gibt er im Spiel die eigene Persnlich-keit auf, um mit den ihm zur Verfgung stehenden Tools der Darstellung (Sprache, Fantasie, Energie, Spieltechnik) in die Rolle/Figur einzusteigen. Ist die Figur erst einmal als selbststndig handelnd etabliert, so kann ein wunder-bares Spiel zwischen Spieler und Figur entstehen; einfach durch das Ein- und Aussteigen aus der Rolle.

    Wie kommt es nun zum Groove? Letztendlich entsteht der Groove in dem perfekten Zusammenspiel der Interpreten mit der Puppe durch das unmittelbare Reagieren der einzel-nen Spieler auf die Impulse der anderen. Dies erfordert eine hohe Wachheit und Aufmerksamkeit sowie eine berein-stimmung in der Identitt der Figur/Rolle (und natrlich genaue Kenntnis des Instruments). Das Reagieren auf einen Impuls muss von den anderen Spielern unmittelbar erfolgen, damit die Figur als Einheit wahrgenommen wird, wobei keinesfalls nur der Kopfspieler (als Denkender) die Impulse setzt. Ist diese Sensibilitt freinander vorhan-den, so kann die Figur nicht nur einstudierte und vorher abgesprochene Handlungen vollziehen, sondern spontan improvisieren. Der besondere Reiz des Bunraku Spiels oder des Spielens einer Figur mit mehreren Beteiligten, besteht nicht nur in der technisch/handwerklich perfekten Imita-tion einer menschlichen Figur, sondern vor allem in dem Spannungsverhltnis der Spieler untereinander.

    Groove ist auch: Das Mitreien-Knnen oder Animieren des Publikums zu einer Interaktion (Mitwippen im Rhyth-mus, Klatschen, Fingerschnippen, Tanzen). Viel Vergn-gen.

    Stephanie Rinke, geboren 1970, Figurentheaterstudium bis 1997 an der Staatlichen

    Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart. Danach Grndung Figuren-

    theater PARADOX, welches, mehrfach ausgezeichnet auf zahlreichen Festivals im

    In- und Ausland gastiert. Gastengagements bei Theatern und Fernsehen, diverse

    Regiearbeiten; Lehrttigkeit seit 1999. Seit April 2011 Leitung im Studiengang

    Figurentheater.

  • 12_ SPEKTRUM #25

    W

    BLICK NACH DRAUSSEN

    ir sitzen hier im 11. Stock des Stuttgarter Musik-hochschulturms: Unser neuer Kollege und Pro-

    fessor fr Komposition Martin Schttler, Rainer Tempel, Professor u.a. fr Jazzkomposition sowie Leiter des Instituts Jazz & Pop, und Christof M Lser, Leiter des Stu-dios Neue Musik und des echtzeitEnsembles.

    CHRISTOF LSER: Lieber Martin, hier im 11. Stock bist du nun seit Oktober ttig. In einem anderen stock11 bist du schon seit Jahren. Euer Zusammenschluss von Komponisten, In-terpreten und Improvisatoren www.stock11.de ist s-thetisch der Realitt, dem Alltag, der klanglichen Umwelt zugewandt. Wir sitzen hier also nicht im kompositorischen Elfenbeinturm, sondern schauen erstmal nach drauen: Bist du in Stuttgart angekom-men? Wie kommst du mit der h-geligen Stuttgarter Topographie zurecht nach der doch eher fla-chen in Berlin?

    MARTIN SCHTTLER: Erst ein-mal freue ich mich, hier zu sein. Ich bin, soweit man das sagen kann, angekommen und habe mich einigermaen ein-gelebt. Die Topographie bereitet mir nicht wirklich Probleme. Ich komme ge-brtig aus Kassel. Da ist es zwar nicht ganz so steil wie in Stuttgart, aber doch in ge-wisser Weise vergleichbar. Der 11. Stock ja, ein schner Zufall! Wegen der Sprachkongruenz, aber auch weil die 11 eine tolle Zahl ist. Die 11 mit dem Elfenbeinturm zusammenzubringen, liegt mir aber fern. Fr mich ist das Hinschauen, das Beobachten viel interessanter als das Sich-Zurckziehen oder das Unerreichbar-Bleiben. Ich greife gerne ein.

    CML: Was an Stuttgart, welche Stuttgarter Ecken haben dich berrascht?

    MS: Am spannendsten finde ich bisher das Europaviertel, auch wenn es mich nicht wirklich berrascht. Ich finde es aber einen interessanten Ort, weil sich hier vieles symptomatisch zeigt. Es scheint mir eine ziemliche Nicht-Gegend, eine Ungegend. Das hat nichts zu tun mit einer grundstzlichen Ablehnung von Neubauentwrfen. Nur die Feigheit solcher Entwrfe ist doch immer wieder erstaunlich.

    KOMPOSITIONSUNTERRICHT

    CML: Wie waren deine ersten 100 Tage in der Hochschule und mit deiner Kompositionsklasse?

    MS: Die ersten Monate waren natrlich aufregend und ar-beitsreich. Ich bin aber von der Grundstimmung in der Hochschule sehr angetan. Das Klima empfinde ich als an-genehm, offen und hilfsbereit. Das ist schn. Und auch in Stuttgart insgesamt nehme ich die Menschen als sehr hilfs-bereit wahr. Vielleicht ist das der Effekt, wenn man aus Berlin herkommt. Die Leute nehmen sich hier ein bisschen mehr Zeit. Das Arbeiten mit den Studierenden macht mir ungeheuren Spa, das ist sehr bereichernd. Auerdem ist die Arbeit mit den Kolleginnen und Kollegen konstruktiv und inspirierend, alle sind sehr zugewandt. Ich kann mich also berhaupt nicht beklagen.

    CML: Was kann man in Komposition lehren bzw. lernen?

    MS: Jetzt knnte ich mit der klassischen Gegen-frage antworten: Was kann eine Instru-

    mentalistin lernen? Was kann man einer Dirigentin beibringen? Und

    man knnte von Handwerk spre-chen, von Rstzeug, von den

    Grundlagen. Das ist zweifel-los alles wichtig und doch sehe ich das kritisch. Oft wird dies nmlich als Zu-gangsvoraussetzung miss-verstanden. Insofern, dass man erst knnen muss, bevor man versuchen, sel-ber denken, selber entwer-fen darf. Das sehe ich nicht

    so. Ich bin berzeugt, dass jemand, der eigenstndige

    Ideen, eigene Vorstellungen, Lust an Kunst hat, die jeweils pas-

    senden Mittel zur Umsetzung fin-den wird. Um die muss man sich also

    keine Sorgen machen, da muss man nur ein bisschen helfen. Und bei denjenigen, in die

    man das Handwerk sozusagen hineinstopfen muss, bringt es sowieso nicht viel.

    CML: Lieber Rainer, ist das bei dir anders?

    RAINER TEMPEL: Ich glaube, das ist nicht wirklich anders. Viel-leicht haben wir etwas andere Voraussetzungen, insofern, dass ich ein Bewusstsein fr den Vorgang des Komponie-rens in unserer Zielgruppe noch eher herstellen muss. Das bedeutet nicht, dass man eine bestimmte sthetik weiter-entwickelt oder das Handwerk lernt und das dann im Sinne der Stilkopie ein bisschen personalisiert, sondern dass man tatschlich grundstndig erst einmal berlegt: Was ist ber-haupt das Material? Wir haben ja sehr viel mit ausfhren-den Musikern zu tun, die dann mit dem, was sie im Noten-text selber kennengelernt haben, eigentlich nur umgehen und sich deshalb oft die ganz grundstzliche Frage, wie wir berhaupt arbeiten knnen, noch gar nicht gestellt haben. Whrend ich das Gefhl habe, dass jemand, der Komposi-

    ICH GREIFE

    GERNE EINProf. Martin Schttler

    IM GESPRCH MIT CHRISTOF M LSER UND PROF. RAINER TEMPEL

  • SPEKTRUM #25_13

    tion Neue Musik studiert, sich schon mit ganz unterschied-lichen strukturellen Anstzen auseinandergesetzt hat.

    MS: Was wiederum andere Probleme nach sich ziehen kann, wie zum Beispiel zu wenig krperlichen Zugang oder feh-lende Lust zum Experiment. Das ist natrlich von Einzelfall zu Einzelfall verschieden.

    RT: Bei uns kommt dann auch noch hinzu, dass wir eine to-tale Auflsung der Trennung zwischen Interpret und Kom-ponist haben.

    MS: Das haben wir in der Neuen Musik tendenziell nicht. Wobei ich sagen muss, dass sich da in den letzten Jahren einiges gendert hat. Das Image der Neuen Musik als kopflastige und theoretische Musik, die nur am Schreib-tisch berechnet wird, geht zurck. Gestimmt hat das Bild ohnehin sel-ten. Ich habe aber den Eindruck, dass viele junge Kom-ponistinnen und K o m p o n i s t e n gerade durch die Live-Elektronik und die elektro-nische Improvisa-tion wieder strker praktisch arbeiten brigens auch durch vermehrte Ensemble-grndungen was ich in allen Belangen unterstt-zenswert finde.

    AKTUELL

    CML: Den Begriff aktuell fhren Jazz und Pop und Neue Musik im Munde wie steht ihr beide als Kompositionslehrer mit unterschiedlichem Hinter-grund dazu? Ist das fr euch der richtige Begriff?

    RT: Einen perfekten Begriff kann man kaum finden, da jeder Begriff oft schon eine Belastung oder bestimmte Assoziati-onen mit sich bringt. Unter aktuell verstehen wir zunchst das Zeitgenssische, was jedoch weit entfernt ist von dem Begriff populr. Hinzu kommen dann weitere sthetische Einflsse, die insofern eine wichtige Rolle spielen, als diese Einflsse aus dem Bereich Jazz/Pop bis hin zur Neuen Mu-sik gelangt sind. Insgesamt betrachte ich es aber als nicht so relevant, den einen Begriff zu finden. Vielmehr sollte die gemeinsame Arbeit im Vordergrund stehen.

    MS: Ich glaube, es gibt inzwischen ein strkeres Bewusst-sein fr die Problematik dieser Begriffe. Bei der traditio-

    nellen Komposition wre es der Begriff der Neuen Musik, mit groem N und der Emphase im Neu. Und mit den ganzen zum Klischee gewordenen Floskeln. Mit dem Be-griff aktuell bin ich daher nicht ganz unzufrieden, weil er immerhin bestimmte Klippen umschifft. Mir gefllt da-bei auch, dass dieser Begriff einen gesellschaftspolitischen, zeitkritischen Unterton hat. Nur weil etwas heute stattfin-det, muss es noch lange nicht aktuell sein. Ich benutze in diesem Zusammenhang gerne auch den Begriff der Bri-sanz. Ich kann im Jahr 2015 eine Fuge im Stil des 17. Jahr-hunderts komponieren, trotzdem hat das womglich nicht besonders viel Brisanz.

    RT: Das mit der Brisanz stt bei mir auf Gegenliebe. Wir bilden ja auch Leute

    aus, die eine Top-40 Band machen knnen. Diese schauen sich

    die aktuelle Hitliste an und spielen dann die Top-40

    Hits, um auf den Partys, auf denen sie auftre-

    ten, den Geschmack des Publikums zu treffen. Auch das gehrt zum ak-tuell in der po-pulren Musik.

    MS: Diese mo-dische Aktualitt kann meiner Mei-

    nung nach knstle-rische Brisanz erlan-

    gen, z.B. dann, wenn man die aktuellen Top-

    40 Hits nicht rein musik-wissenschaftlich, musikthe-

    oretisch oder kompositorisch betrachtet, sondern soziologisch

    oder gesellschaftspolitisch. Das wre die Frage, was dazu fhrt, dass eine bestimmte

    sthetik in den Top-40-Hits prsent ist. Was macht das mit den Menschen? Was macht es mit dem Hren? Wenn man dafr eine Form der knstlerischen bersetzung findet, abseits von vertrauten Strategien, empfinde ich das als einen sehr inte-ressanten aktuellen Umgang mit unserer akustischen Realitt.

    IMPROVISATION

    CML: Welche Rolle knnte dabei die Improvisation spielen?

    RT: Bei mir ist das natrlich ein Dauerbestandteil, denn letzt-lich arbeiten wir immer mit der Verbindung von Komposi-tion und Improvisation. Wie es jetzt als Kooperation oder fakulttsbergreifend eingesetzt werden kann, ist dann noch einmal ein neues Gebiet, denn es gibt schlielich ganz verschiedene Anstze zu improvisieren. Fr uns ist es ein so zentrales Element im Herangehen an Musik, dass auch

  • 14_ SPEKTRUM #25

    beim Komponieren der Aspekt natrlich immer enthalten ist. Man bekommt ein Tonsystem zur Verfgung gestellt und fngt sofort an damit zu spielen, anstatt damit zu rech-nen. Das ist, wie ich finde, eine wichtige Eigenschaft, die Jazzmusiker einbringen knnen. Auch wenn es manchmal etwas oberflchlich oder natrlich in gewisser Weise auch limitiert ist, sorgt diese Eigenschaft fr Lebendigkeit in der Musik. Und obwohl man bei verschiedenen Improvisatoren manchmal das Gefhl hat, dass sie hnlich klingen, gibt es in der Improvisation immer so einen Moment des genau jetzt, weil es eben nicht fixiert ist. Ich bin der Meinung, dass das eine sehr wichtige musikalische Komponente ist, die sich in jeder Musik irgendwie abbilden kann.

    CML: Kann die Neue Musik davon etwas lernen?

    MS: Mit Sicherheit! In den besten Fllen tut sie das auch. Ich glaube auch gar nicht, dass sie davon getrennt ist, es gibt nur einfach eine groe Bandbreite von Mglichkeiten. Natr-lich ist das, was normalerweise Komposition in der Neuen Musik bedeutet, meistens eine aufgeschriebene Musik, sie benutzt verschiedene Formen des Fixierens. Daraus ergibt sich der Vorteil einer Distanzbildung zum Eigenen. Man tritt aus dem, was man als Unmittelbares erlebt, zurck. Ich habe immer gern den Begriff des erkalteten Materials. Nichtsdestotrotz kann der Ausgangspunkt dafr komplett im Improvisieren liegen. Oder Improvisation in der Kom-position eine groe Rolle spielen. Ich finde, dass noch ber-

    haupt nichts gewonnen ist, wenn ein Komponist lediglich seine erlernten Strategien anwendet. Es braucht das innere Hren der Musik. Egal, ob ich eine Partitur schreibe, sie mir vorstelle oder sie an verschiedenen Instrumenten, mit der Stimme, dem Krper, mit elektronischen Gerten simuliere: all das setzt, wie ich finde, eine starke improvisatorische F-higkeit voraus.

    BERUF

    CML: Wofr, fr welchen Beruf, welche Ttigkeit, welchen spteren Alltag bildet ihr Komponisten aus?

    MS: Bei den Aufnahmeprfungen gehe ich erst einmal davon aus, dass alle, die sich bewerben, Komponistin beziehungs-weise Komponist werden wollen. Aber ich schrnke das s-thetisch nicht ein. Es wre sinnlos zu sagen: Da darf auf kei-nen Fall eine Filmkomponistin draus werden, das wre eine verlorene Mitstreiterin fr die Neue Musik. Bldsinn! Mir ist nur wichtig, dass die Studierenden hinterher mglichst breit aufgestellt sind, einen mglichst breiten Horizont ha-ben, nicht nur musikalisch, sondern insgesamt knstlerisch und gesellschaftlich, wissenschaftlich und darber hinaus. Ein mglichst breiter sthetischer Spielraum, nicht zur Be-liebigkeit hin, sondern zur geschrften Wahrnehmung im Pluralen, in der Diversitt. Wir brauchen eine mglichst groe Diversitt, eine grtmgliche Vielzahl von przisen Anstzen. Nur so werden wir eine Zukunft haben.

  • SPEKTRUM #25_15

    CML: Wie beeinflussen sich eigenes Komponieren und Lehren?

    MS: Ich versuche das gar nicht so sehr zu analysieren. Der grte Einfluss ist mit Sicherheit der zeitliche, aber daran gewhnt man sich. Was ich inhaltlich wirklich interessant finde, ist das Gefhl von einem im Idealfall sehr frucht-baren, permanenten Widerspruch. Widerspruch mir selbst gegenber, Widerspruch, der von den Studierenden kommt, Widerspruch, der darin liegt, dass ich etwas erklren muss, was aber eigentlich knstlerisch ist und gar nicht erklrt werden kann. Ich wei, es ist eine alte Geschichte zu sagen, dass man von seinen Schlern am meisten lernt. Aber es ist eben einfach auch wahr.

    BEZUGSPUNKTE

    CML: Welche traditionell fr eine Komponistin, einen Kom-ponisten wichtigen Punkte oder Leitbilder gelten fr dich heute immer noch, sodass du sie auch deinen Studierenden vermitteln mchtest?

    MS: Ein Punkt, der mir fr das kompositorische Arbeiten unglaublich wichtig und allgemein gltig scheint, ist Ti-ming. Egal welche Form von Musik man hrt, egal woraus sie besteht: das Timing, der Rhythmus, rhythmische Pro-portion, die Aufteilung von Zeit, Beziehungen in der Zeit, das sind Faktoren, die in allen Musiken zu allen Zeiten in allen Kulturen eine Gemeinsamkeit darstellen. Das kann

    selbst eine nicht klingende Musik sein. Ein bewusster Um-gang mit dieser Ebene des Zeitlichen ist fr mich komposi-torisch essentiell. Bei allem, was dann weiter folgt, wird es schon weniger eindeutig.

    RT: Das ist natrlich ein wichtiges Thema. Fr mich spielt auch die Authentizitt und die Selbstverantwortung in der Ttigkeit eine groe Rolle, ebenso die Vertiefung, die dann einhergeht mit der Persnlichkeitsbildung. Das sind alles Prozesse im Rahmen dieses Studiums, dieser Ausbildung. Ich ignoriere nicht, dass es Bedrfnisse da drauen gibt, die man erfllen muss. So wird das Studium dann durch andere Ttigkeiten, sei es Ensembleleitung, das Musizieren an sich oder auch die Unterrichtsttigkeit abgerundet. Sich aber auch einmal nicht zu fragen, fr wen und wann und warum ich etwas tue, stellt fr mich in gewisser Weise ein Heilig-tum dar.

    MS: Alles, was man gemeinhin als musikalisches oder kom-positorisches Handwerk bezeichnet zum Beispiel die F-higkeit, gut zu instrumentieren das alles kann wichtig sein. Fr manche Komponisten ist es aber auch vllig unwichtig, fr John Cage zum Beispiel. Ich wei nicht, ob Cage ein guter Instrumentator war. Es spielt auch berhaupt keine Rolle bei ihm. Aber das Timing, das Denken ber Zeit im Allgemeinen, das Umgehen mit der Zeit das ist bei Cage grandios.

    RAINER TEMPEL, CHRISTOF M LSER UND MARTIN SCHTTLER

  • 16_ SPEKTRUM #25

    MARTIN SCHTTLER studierte Komposition bei Nicolaus A. Huber und Ludger Brm-

    mer an der Folkwang Hochschule in Essen. Zwischen 2000 und 2004 war er Gast-

    knstler am ZKM in Karlsruhe. Seit 2001 unterrichtete er Theorie und Komposition an

    der Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Frankfurt, seit 2004 auch an der

    Phillipps-Universitt Marburg. Eine Gastveranstaltung ber Musik im intermedialen

    Kontext fhrte ihn 2004 an die Kunsthochschule Berlin-Weiensee. 2005 war er

    Mitinitiator der Plattform fr aktuelle Musik stock11.de. Zusammen mit Mark Lorenz

    Kysela grndete Schttler 2006 die Laptop-Formation taste, mit der er seither

    regelmig als Performer in Erscheinung tritt. Begleitend zur Documenta 12 orga-

    nisierte er 2007 die Veranstaltungsreihe stands n strikes fr akustische Kunst in

    Kassel. 2009 ist die CD Pelze und Restposten mit Musik von Martin Schttler bei der

    Reihe Edition Zeitgenssische Musik des Deutschen Musikrats erschienen. Schtt-

    lers Musik wurde von namhaften Interpreten und Ensembles realisiert, u.a. vom Trio

    Accanto, dem Ensemble Modern, der MusikFabrik und dem RSO Frankfurt. Darber

    hinaus besteht eine stndige Kooperation mit herausragenden Interpreten seiner

    Generation. Seine Arbeit umfasst Stcke fr solistische und kammermusikalische

    Besetzungen, fr Chor, Orchester und Live-Elektronik sowie die Produktion von Ton-

    bandmusik, Klanginstallationen, Medienkunst, Theater-, Film- und Tanzmusiken. Fr

    seine Arbeiten wurde Schttler mehrfach mit international renommierten Preisen

    ausgezeichnet, darunter mit dem Kranichsteiner Kompositionspreis der Darm-

    stdter Ferienkurse 2002. Auftrge erhielt er fr das Takefu Festival (Japan), die

    Darmstdter Ferienkurse, die Donaueschinger Tage fr Neue Musik, das Tanztheater

    International Hannover, vom Hessischen Rundfunk und vom Deutschen Musikrat.

    Theater- bzw. Tanzproduktionen realisierte er am Kaai-Theater Brssel, am Staats-

    theater Stuttgart und am Theatre Mohammed V Rabbat/Marokko. Musik von Martin

    Schttler sowie ausfhrliche Interviews wurden beim HR, SWR, WDR, dem Radio

    Suisse Romande und im Deutschlandfunk ausgestrahlt.

    Andern. Auerdem venus_5 fr Klavier und Live-Elektro-nik. Dazu kommt aus der fr mich sehr wichtigen schner leben-Reihe ein ganz neues Stck, schner leben 9, das ge-rade in Zusammenarbeit mit Christof Lser entsteht, der es auch performen wird. Auerdem wird das echtzeitEnsem-ble des Studios Neue Musik Gier spielen, ein Quartett mit Elektronik. Und schlielich gibt es noch Dieter Sanchez fr Gitarre und Cello mit Feedbacksystemen. Das alles findet an verschiedenen Orten im Haus statt.

    CML: Du hast in Essen u.a. bei Nicolaus A. Huber Komposi-tion studiert. Das war fr deine Haltung und Musik sicher prgend inwiefern ?

    MS: Das war natrlich sehr prgend. Wenn man Nicolaus A. Huber kennt, wei man, dass er eine faszinierende Per-snlichkeit ist, ein unglaublich umfassender Geist, in alle Richtungen permanent abbiegend, ohne dabei den Fokus zu verlieren. Die bei ihm sehr ausgeprgte Fhigkeit zur Verbindung verschiedenster Wissens- und Realittsgebiete, politisches Denken an abstrakte Dinge zu knpfen und umgekehrt, all das spielt bei ihm eine groe Rolle, in seiner Musik und in seiner Person. Vor allem diese Durchlssig-keit fr alles war fr mich anregend. Das ist etwas, was mich nachhaltig beeinflusst hat.

    CML: Was bernimmst du gerne von deinen Lehrern, was willst du anders machen, bzw. was machst du anders, du un-terrichtest ja schon seit vielen Jahren, u.a. in Frankfurt?

    MS: Anders als Huber wrde ich fr mich nicht mehr ex-plizit von politischer Musik sprechen. Da sind die Zeiten vielleicht vorbei. Aber das, was Nicolaus A. Huber als Kri-tisches Komponieren bezeichnet hat, ist fr mich nach wie vor interessant. Ein Komponieren, welches sich seiner Mittel und seiner gesellschaftlichen Anbindung bewusst ist. Das gibt es auch bei Lachenmann in hnlicher Form. Ein solches Komponieren kann dazu dienen, dass sich durch sthetisches Erleben andere Verhltnisse einstellen per-snliche, sthetische oder auch gesellschaftliche. Das ist ein grundstzlicherer Ansatz als bei einer Kunst, die sich als er-baulich, regenerativ oder unterhaltend begreift. Ohne unbe-dingt moralisch sein zu mssen, interessiert mich so etwas wie ein produktiver Schock. Nicht, weil ich denke, dass ich der Einzige bin, der etwas zu sagen hat, ganz im Gegenteil. Ich denke, dass es von dieser Art von Kunst nicht genug gibt, gar nicht genug geben kann. Von der anderen Sorte Kunst gibt es immer genug, die, die der Unterhaltung und der Zer-streuung dient. Darber mache ich mir keine Sorgen. Die wird es immer geben und die ist auch wichtig. Ich kann mir aber sehr wohl eine Gesellschaft vorstellen, in der eine wi-derstndige, schwierige, unbequeme Kunst nicht mehr exi-stiert oder nicht mehr zugnglich ist. Eine Gesellschaft, in der man keine Chance mehr hat, auf so etwas zu stoen.

    SELBSTVERSUCH

    CML: Noch ein Wort zu deinem Antrittskonzert am 20. Mai: Was erwartet uns?

    MS: Eingeladen ist das Ensemble Nadar aus Belgien, gegen-wrtig eines der interessantesten, avanciertesten und be-sten Ensembles fr zeitgenssische Musik, wie ich finde. Was und wie sie spielen, geht weit ber das hinaus, was man typischerweise unter Neuer Musik versteht. Das Ensemble bezeichnet sich selber passenderweise auch als Band. Na-dar wird drei Stcke von mir spielen, ein lteres Ensemble-stck linked trips und mein jngstes: Selbstversuch, die

    RAINER TEMPEL studierte Jazzklavier bei Prof. Martin Schrack in Nrnberg. Seit

    1994 initiiert Tempel musikalische Projekte in verschiedenen Besetzungen und ge-

    winnt dafr stets renommierte Kollegen wie Nils Wogram, Frank Mbus, Wolfgang

    Haffner, Henning Sieverts, Paul Heller, Jim Black, Claus Sttter oder Ed Partyka. Ein

    Hauptanliegen seiner Arbeit ist es, Jazzkomposition nicht auf die Merkmale des Idi-

    oms zu beschrnken, sondern mit Kompositionsverfahren anderer Musikformen zu

    bereichern. Im Auftrag arbeitete Tempel als Komponist, Arrangeur oder Dirigent fr

    die NDR Bigband, die RIAS Bigband, die SWR Bigband, die hr Bigband und zahlreiche

    freie Jazzorchester, aber auch fr klassische Klangkrper wie die Wrttember-

    gische Philharmonie Reutlingen. Bhnenmusik schrieb er fr das Theater Lindenhof

    und den NDR, arbeitete fr das Landestheater Tbingen ebenso wie fr zahlreiche

    Musicals. Seit 1998 hat Tempel ununterbrochen Bigbands in allen Spielstrken

    geleitet, an Jugendmusikschulen wie an Hochschulen und in der freien Szene. Von

    2001 bis 2009 war Tempel Professor fr Jazzkomposition an der Musikhochschule

    Luzern (CH), seit 2007 ist er dies in Stuttgart. Tempel erhielt den Jazzpreis Baden-

    Wrttemberg im Jahre 2002 und war 2006 Stipendiat der Kunststiftung BW. Seit 2006

    ist er musikalischer Leiter des Zurich Jazz Orchestra und seit 2013 leitet er das

    Jugendjazzorchester Baden-Wrttemberg. Seit Sommersemester 2014 ist er Leiter

    des Instituts fr Jazz/Pop an der Stuttgarter Hochschule.

  • SPEKTRUM #25_17

    F

    MENSCH MASCHINEVON FLORIAN KNIG

    lorian Knig studiert seit dem Wintersemester 2010 Pop-Schlagzeug an der Staatlichen Hoch-

    schule fr Musik und Darstellende Kunst in Stutt-gart. Im Verlauf seines Studiums bei Eckhard Stromer und Manfred Kniel beschftigte er sich intensiv mit der sthetik programmierter Grooves und deren Umsetzung am pr-parierten Schlagzeug. Fr seinen Bachelor-Ab-schluss setzt er sich mit der Frage nach dem Stellenwert handgemachter Musik im Zeitalter ihrer technischen Repro-duzierbarkeit auseinander, welche einen ausgebildeten Musiker mit dem Selbstverstndnis sei-ner eigenen Originalitt kon-frontiert.

    Mittel- und Reibungspunkt seines Stcks Perpetuum Mobile ist daher das urei-gene rhythmische Element des menschlichen Krpers unser Herz. Die Kom-position spielt mit den Ab-hngigkeiten und Wechsel-wirkungen zwischen Mensch und Maschine. Anders als ein Metronom schlgt das mensch-liche Herz in Abhngigkeit von in-dividueller Kondition oder Anstren-gung in verschiedenen Frequenzen. Der menschliche Puls widerspricht daher in seiner Variabilitt und organischen Adapti-onsfhigkeit den Hrgewohnheiten populrer Musik, lsst jedoch eine Neuinterpretation von Groove zu, sobald diese Wechselhaftigkeit als Leitelement der Komposition verstanden wird und fragt im Gegenzug nach der Daseins-berechtigung der technischen Reproduktion.

    Ein Mensch befindet sich auf der Bhne auf einem Lauf-band. Sein Herzschlag, abgenommen durch einen Pulsmes-ser, wird Taktgeber der Musiker. Zwei Schlagzeuger folgen seinem Tempo. Weiter sind die optische und auditive Ver-bindung und der Einbezug des Publikums ein Schwerpunkt der Komposition, sodass ein Kreislauf ein vermeintliches musikalisches Perpetuum Mobile entsteht.

    Eine kreisfrmige, die Musiker umschlieende Lichtinstal-lation folgt in pulsierenden Patterns dem Takt, um dem Pu-blikum einen berblick darber zu verschaffen, wie schnell des Herz des Lufers zum jeweiligen Zeitpunkt schlgt. Die Lichtimpulse drehen sich spiralfrmig nach oben und scheinen dem Rezipienten in ihrer Aufwrtsbewegung end-

    los. Entgegengesetzt bewegt sich eine sanfte Sinus-welle, die ebenfalls im Verhltnis zur Herz-

    frequenz steht, spiralfrmig nach unten.

    Des Weiteren ist die Herzfrequenz an einen Audioprozessor gekoppelt.

    Ein langsamer Puls generiert fr die Trommelklnge einen

    groen Hallraum. Ein schnel-ler Puls hingegen errechnet aus den Trommelschlgen digitale Clitchsounds und Feedbackschleifen, die ber einen Lautsprecher wieder-gegeben werden. Die Rolle der Schlagzeuger als Musi-ker wird durch die Architek-tur des Stcks ad absurdum

    gefhrt. Sie werden selbst zu Maschinen, die in einer the-

    oretischen Endlosschleife die immer gleichen Rhythmusbau-

    steine und maschinenhafte Bewe-gungsablufe wiederholen. Variation

    entsteht lediglich durch die unterschied-liche Lnge der beiden sich wiederholenden

    Patterns und durch den modulierenden Parameter des von auen vorgegebenen Tempos. Die Interaktivitt ist ein weiterer Schwerpunkt des Stcks. Deshalb kann das Pu-blikum, um den Kreis aus Mensch und Maschine zu schlie-en, ber die Laufgeschwindigkeit des Laufbands entschei-den. Die Konzertbesucher werden als Teil der Komposition verstanden. Es ist daher erlaubt und erwnscht, das Tempo an den Geschwindigkeitsreglern des Laufbandes selbst zu verndern.

    ILLUSTRATION: ADRIAN RIEMANN

  • 18_ SPEKTRUM #25

    MAESTRI VON MORGEN 6. Deutscher Hochschulwettbewerb Orchesterdirigieren

    EIN RCKBLICK VON SIMONE ENGE

    ach Weimar, Lbeck, Dresden, Berlin und Leipzig richtete die Staatliche Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart vom 17. bis 24. Januar

    2015 den 6. Deutschen Hochschulwettbewerb Orchesterdi-rigieren aus. Der bedeutendste Wettbewerb fr Dirigierstu-dierende in Deutschland findet alle drei bis vier Jahre an ei-ner Musikhochschule statt, die in der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen vertreten ist. Jede dieser Musikhochschulen darf zwei Dirigierstudierende entsen-den. Den Wettbewerbsteilnehmern stand das HochschulSin-fonieOrchester Stuttgart, ab der zweiten Runde das Stuttgar-ter Kammerorchester sowie zum Finale und zum Abschluss-konzert das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR als Instrument zur Verfgung. Ziel des Wettbewerbes war es, ein mglichst breites Spektrum des Aufgabengebietes eines Dirigenten abzubilden. So standen unter anderem ein Solo-konzert, ein Opernausschnitt sowie ein Werk der Moderne auf dem Programm. Der Wettbewerb ermglichte den Stu-dierenden nicht nur innerhalb eine Woche intensiv mit den verschiedenen Klangkrpern zu arbeiten, sondern sich auch

    aneinander zu messen und gegenseitig von ihren Erfah-rungen, ihrem Wissen und ihren Ideen zu profitieren.

    Tag 1 des 6. Deutschen Hochschulwettbewerbes Orchester-dirigieren: Morgens um 9 Uhr haben sich im Foyer bereits 27 Dirigierstudierende aus ganz Deutschland versammelt und warten gespannt, um von der Jury nheres ber den Ablauf des Wettbewerbes zu erfahren. Wie ist die Reihenfolge der Kan-didaten? Welches Stck soll ich dirigieren oder auch proben? Auf dem Programm der ersten Runde stehen als Pflichtstck die Egmont-Ouvertre von Ludwig van Beethoven, zwei der Ungarischen Tnze von Johannes Brahms und drei Slawische Tnze von Antonn Dvok. Jeder Kandidat erfhrt erst eine Stunde vor seinem Auftritt, welcher der Tnze in Kombination mit dem Pflichtstck dirigiert werden soll. Das HochschulSin-fonieOrchester Stuttgart (HSO) hatte nun die Aufgabe, 27 Mal die Egmont-Ouvertre zu spielen. Die Kandidaten des Wettbe-werbes zeigten sich begeistert von dem Engagement und der Fairness des HSO, das bis zum letzten Kandidaten hchst kon-zentriert gespielt und individuell reagiert hat.

    N

  • SPEKTRUM #25_19

    Die Jury unter dem Vorsitz von Prof. Per Borin entschied, dass 12 Kandidaten in die zweite Runde kamen. Aufga-benstellung war es nun, den ersten oder zweiten Satz aus Sibelius Violinkonzert zu dirigieren. Die vier Solisten, Studierende der Musikhochschule Stuttgart, wurden zuvor in einem Auswahlvorspiel bestimmt. Sie mussten sich auf drei verschiedene Dirigenten einstellen. So sagt Sren Bin-demann, einer der Solisten: Dieser Wettbewerb war eine besondere Erfahrung, weil die Teilnehmer alle sehr unter-schiedlich waren und jeder eine ganz eigene Sicht auf das Werk hatte. Besonders spannend wa-ren fr mich die Verstndigungspro-ben, die jeweils 15 Minuten vor den Wertungen stattfanden. Hier hatten die Dirigenten und wir Solisten die Mglichkeit, ein wenig ber verschie-dene Stellen und Zusammenhnge zu diskutieren und zu berlegen, wie wir den Satz gemeinsam gestalten wollen. Fr mich war dabei die gegenseitige Offenheit gegenber neuen Ideen besonders angenehm und ich denke, dass wir in jeder Fassung zu einem ei-genen, persnlichen Ergebnis gekom-men sind, welches wir mit der groar-tigen Untersttzung des Hochschul-orchesters umsetzen konnten.

    Fr den zweiten Teil der zweiten Wer-tungsrunde sowie der dritten Runde stand den Nachwuchsdirigenten das Stuttgarter Kammerorchester zur Ver-fgung. Auf dem Programm standen zwei Werke fr Kammerorchester: Das Adagio von Samuel Barber und La oracin del torero von Joaqun Tu-rina. Die Jury entschied, die Anzahl der Kandidaten fr die 3. Runde noch einmal zu halbieren und bertrug am nchsten Tag den sechs verbliebenen Kandidaten die Aufgabenstellung von Mozart die Sinfonie KV 183 g-Moll und einen Ausschnitt aus Benjamin Brittens Ein Sommernachtstraum zusammen mit Studierenden der Musikhochschule zu proben.

    Nach drei erfolgreich absolvierten Wertungsrunden stan-den die Finalisten fest: Dominik Beykirch, Helmuth Reichel Silva und David Niemann. Jeder der Finalisten hatte nun die Mglichkeit alle Werke der Finalrunde mit dem hervor-ragenden Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR zu proben. Ebenfalls auf dem Programm stand ein Werk von Marco Stroppa, Komponist und Professor fr Komposition an der Musikhochschule Stuttgart, der den Finalisten fr Gesprche und als Untersttzung fr die Probenarbeit zu Verfgung stand. Nach der Probe entschied die Jury, dass David Niemann das Werk von Marco Stroppa leiten sollte. Die weiteren Werke wurden per Losverfahren auf die ande-ren Finalisten aufgeteilt.

    Im Finalkonzert im Hegelsaal der Liederhalle berzeugte Dominik Beykirch mit Ravels Suite Daphnis et Chlo. Hel-muth Reichel Silva dirigierte Respighis Fontane di Roma. David Niemann interpretierte Kodlys Tnze aus Galnta und die zeitgenssische Komposition Metabolai von Marco Stroppa. Eine Besonderheit des Wettbewerbes war, dass die Jury unter dem Ehrenvorsitz von Prof. Jorma Panula das Finalkonzert noch mit in die Wertung aufnahm. So wurde direkt nach dem letzten Werk hinter der Bhne beraten. Zum Schluss zeichnete die Jury den 24-jhrigen Domi-

    nik Beykirch von der Hochschule fr Musik Franz Liszt Weimar fr seine berzeugende Leistung mit dem er-sten Platz aus. Der zweite Platz ging an Helmuth Reichel Silva von der Hoch-schule fr Musik Trossingen, den drit-ten Platz errang David Niemann von der Hochschule fr Musik und Theater Hamburg. Die ersten drei Preise waren mit 4.000 Euro, 2.000 Euro und 1.000 Euro dotiert und wurden von Herrn Martin Hettich, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank Baden-Wrttemberg berreicht.

    Ein solcher deutschlandweiter Wettbe-werb bedarf der Untersttzung vieler Kollegen. Ich mchte die Gelegenheit nutzen und mich bei Jrg Schmidt, Lei-ter des Knstlerischen Betriebsbros und der Presse- und ffentlichkeits-arbeit, und den Kollegen der Orches-termanagements des Stuttgarter Kam-merorchesters, des Radio-Sinfonieor-chester Stuttgart des SWR sowie allen Musikern und Sngern, die in dieser Woche gespielt und gesungen haben, bedanken! Ein besonderer Dank gilt dem Sponsor des Wettbewerbes, der Stiftung Kunst und Kultur der Sparda-

    Bank Baden-Wrttemberg fr die grozgige finanzielle Untersttzung.

    Der Hochschulwettbewerb hat als be-

    deutendster nationaler Dirigierwettbe-

    werb einen programmatisch sehr hohen

    Anspruch an seine Teilnehmer gerichtet.

    Das stetige Abrufen der einzelnen Run-

    denliteratur auf bestmglichstem Niveau

    und die am Bhnenrand spontan erfolgten

    Arbeitsaufgaben verlangten uns viel

    Konzentration und kurzfristige Plann-

    derungen ab. Aber genau dies zeichnet

    fr mich das Ziel eines Wettbewerbs aus:

    Die mglichst intensive Aneignung groer

    Literatur und deren punktgenaue Proben-

    platzierung vor den unterschiedlichen

    Orchestern des Wettbewerbs. Allein diese

    Vorbereitung macht einen Wettbewerb

    schon zu einer enorm weiterbringenden

    Erfahrung.

    Domnick Beykirch1. Preistrger

    6. Deutscher Hochschulwettbewerb Orchesterdirigieren

    Simone Enge, in Frankfurt geboren, Studium von 1998-2005 an der Hochschule

    fr Musik Hanns Eisler Berlin (Hauptfach: Gesang, Musikalische Frherziehung

    und Gesangspdagogik). Diplom-Abschluss. Whrend und nach dem Studium zahl-

    reiche Auftritte als Solo- und Chorsngerin u.a. Staatsoper Berlin, Hamburgische

    Staatsoper, Musiktheater Gelsenkirchen. Von 2006-2008 Magisterstudium in

    Kulturmanagement und Kulturwissenschaft am Institut fr Kulturmanagement der

    Pdagogischen Hochschule Ludwigsburg (Magisterarbeit: Karrierevorbereitung an

    Musikhochschulen). Whrend des Studiums diverse Praktika u.a. beim Deutschen

    Musikrat, RSO des SWR und bei der Robert Bosch-Stiftung. Nach dem Studium

    Leitung des Orchesterbros an der Musikhochschule Stuttgart. Seit 2010 Grndung

    und Leitung des Career Service an der Musikhochschule Stuttgart.

    DIE WETTBEWERBSPREISTRGER UND DIE JURY BEIM FINALKONZERT IM HEGELSAAL AM 24.01.2015

  • DRENDEZ-VOUS PERCUSSIONSLyon-Stuttgart & Internationale Schlagzeugwoche 2015

    VON PROF. KLAUS DREHER

    ie deutsch-franzsische Partnerschaft ist unter vielen internationalen Verbindungen in Baden-Wrttemberg eine besondere. Seit der Rede des

    damaligen Prsidenten Charles de Gaulle la jeunesse alle-mande im Ludwigsburger Schloss im Jahre 1962 sind auf der Grundlage von zahlreichen Schul- und Stdtepartner-schaften unzhlige persnliche Kontakte entstanden, aber auch im kulturellen Bereich viele gemeinsame Jugendpro-jekte durchgefhrt worden, oft mit Untersttzung des 1963 gegrndeten Deutsch-Franzsischen Jugendwerks.

    Auch an der Stuttgarter Hochschule fr Musik und Darstel-lende Kunst hat diese Liaison Tradition: Neben frheren Pro-fessoren wie Jean-Claude Grard (Flte) und Jean-Guihen Queyras (Cello), den heutigen Kollegen Christian Schmitt (Oboe) und Denis Rouger (Chordirigieren) sowie zahl-reichen AbsolventInnen und Studierenden aus dem Nach-barland hat auch der Grnder der Schlagzeugabteilung Klaus Treelt dazu beigetragen. Bereits in den 1990er Jahren pflegte er lebendige Kontakte mit Kollegen in Paris, was zu mehreren Austauschkonzerten der Schlagzeugklassen fhrte. Auch das Percussion Ensemble Stuttgart war mehrfach Gast bei den Journes de la Percussion, dem bedeutendsten franz-sischen Schlagzeugfestival.

    Seit etwa zehn Jahren bestehen enge Verbindungen der Stutt-garter Schlagzeugabteilung zu Jean Geoffroy, dem Leiter der Schlagzeugklasse am CNSMD in Lyon. Mit der Internationalen Schlagzeugwoche 2011, zu der neben zehn SchlagzeugerInnen und Tnzerinnen aus Lyon auch die Schlagzeugklasse der Na-tional University of Arts Seoul, Sdkorea zu Gast in Stuttgart war, einem Gegenbesuch von acht Stuttgarter Schlagzeugern 2012 in Frankreich, der Unterrichts- und Prfungsttigkeit der Stuttgarter Lehrer Marta Klimasara, Klaus Dreher und Jrgen Spitschka in Lyon sowie weiteren Gastaufenthalten einzelner Studierenden sind diese Beziehungen zu einer festen Partner-schaft der beiden Abteilungen geworden, die sich in diesem Jahr in gleich drei Einzelveranstaltungen niederschlgt.

    Rendez-vous Percussions Lyon-Stuttgart bringt an beiden Mu-sikhochschulen zwei Auftragskompositionen als Gemein-schaftsprojekt der Schlagzeug- und Kompositionsklassen in Kooperation mit dem Studio Neue Musik und dem Labora-toire Scne/Recherche zur Auffhrung: Schlagzeugsextette von Marco Bidin, (Stuttgart, Klasse Stroppa) und Bertrand Pl (Lyon, Klasse Hurel) wurden von drei Studierenden aus Lyon (Trio Lyon: Baptiste Ruhlmann, Lou Renaud Bailly, Florent Duverger) und von Jessica Porter, Se-Mi Hwang und Emil Kuyumcuyan einstudiert. Die Urauffhrungen fanden

    nach einer gemeinsamen Arbeitsphase im Februar in Fran-kreich statt. Beim Gegenbesuch in Stuttgart ist am 24. April im Konzertsaal neben der deutschen Erstauffhrung dieser beiden Werke auch eine Komposition Philippe Hurels mit Emil Kuyumcuyan als Schlagzeugsolist unter der Leitung von Christof Lser zu hren; auerdem interpretiert die Solistenklassenabsolventin Se-Mi Hwang das Solostck fr sprechenden Trommler Le Corps corps des Pariser Kompo-nisten Georges Aperghis.

    Die dritte Begegnung Lyon-Stuttgart findet im Rahmen der Internationale Schlagzeugwoche 2015 vom 29. September bis zum 4. Oktober in Stuttgart statt. Die Lehrer Jean Geoffroy und Henri-Charles Caget sind eingeladen, neben Kollegen aus Seoul, Stockholm, Warschau, Genf und Zagreb sowie den Gastgebern in geschlossenen und ffentlichen Meisterklas-sen zu unterrichten sowie mit ihren Studierenden im Kon-zert am 03.10. und der abschlieenden Marimba-Matine am 04.10. zu konzertieren. Diese Partnerschaft zweier Schlagzeugabteilungen, die groen organisatorischen und logistischen Aufwand erfor-dert, ist heute nur mglich dank der Untersttzung vor allem der Stuttgarter Hochschulleitung und ihrer Verwaltung. Wel-chen Gewinn ber die Begegnungen und Konzerte hinaus sie den einzelnen Beteiligten, den Schlagzeugklassen und den beiden Husern, gar der jeunesse allemande et franaise (um mit de Gaulle zu sprechen) beschert, ist heute noch nicht abzuschtzen. Allemal ist sie ein weiterer, reicher Beitrag im Konzert der franzsisch-deutschen Beziehungen.

    SPEKTRUM #25_21 DAIDALOS PERCUSSION QUARTETT & SAHAR TRIO

    Klaus Sebastian Dreher, geboren 1967 in Stuttgart, studierte in der Schlagzeug-

    klasse von Klaus Treelt sowie Schulmusik und Germanistik (bei Klaus-H. Hilzinger)

    in Stuttgart, auerdem Schlagzeug (Karl Kels) und Komposition (Manfred Trojahn)

    in Dsseldorf. Kammermusikalische Kompositionen, Bhnen- und Filmmusik.

    Als Schlagzeuger solistischer Schwerpunkt im interdisziplinren und improvi-

    satorischen Bereich. Regelmige Zusammenarbeit mit Schauspielern, Tnzern

    und Bildenden Knstlern, als Solist und Ensemblemusiker ttig im weiten Gebiet

    der zeitgenssischen Musik; zahlreiche Urauffhrungen, z. T. eigens fr ihn

    komponierter Werke. Konzertreisen durch ganz Europa, Sdafrika, Sdamerika,

    China und Japan, mit dem Percussion Ensemble Stuttgart Gast auf internationalen

    Festivals in Paris, Warschau, Stockholm, Jerusalem und Montevideo. In der Schlag-

    zeug- und Konzertpdagogik ttig als Autor, Juror, Moderator und Lehrer. Seit 1999

    Schlagzeuglehrer an der Musikschule Ostfildern, seit 2000 Hochschullehrer, seit

    2005 Professor fr Schlagzeug, Methodik und Percussionensemble an der Staatli-

    chen Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

  • A22_ SPEKTRUM #25

    m 28. November fand die Fachtagung fr

    Musikvermittlung Takt-wechsel. Innovation im Musikbetrieb statt. Eingeladen hatten die Staatliche Hochschule fr Musik und Darstellende Kunst Stuttgart, Prof. Dr. Hendrikje Maut-ner-Obst (Professorin fr Musikvermittlung) und das netzwerk junge ohren e.V., Lydia Grn (Ge-schftsfhrerin), in Kooperation mit der KulturRegion Stutt-gart e.V. und der Stuttgarter Musikschule.

    Als Auftakt zur Tagung wurde am Vorabend im Kammermu-siksaal der Hochschule der junge ohren preis verliehen. Drei herausragende und wegweisende junge Musikproduktionen aus Deutschland und der Schweiz wurden ausgezeichnet.

    Der folgende Tag begann mit der Key Note von Prof. Dr. Mar-tin Trndle (Zeppelin Universitt, Friedrichshafen) und Es-ther Bishop (Zeppelin Universitt, Friedrichshafen), die ihre aktuelle Forschungsarbeit vorstellte. Darin beschftigt sie

    sich mit der Frage, ob die Ausbildung von Musikstu-

    dierenden im Hinblick auf den spteren Beruf des Orche-

    stermusikers noch zeitgem ist. Mit dem Ergebnis: Nein, das Musik-

    studium legt den Schwerpunkt zu sehr auf das Hauptinstrument und befhigt die

    Studierenden nicht zu