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Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig Forum für aktive Gewaltfreiheit Schwerpunktthema Atomwaffen Israel und Pal stina Demokratie Symbolische Abrüstung einer Atomrakete Bild: Thomas Roithner Nr. 2 Juni 2017, 3,-

Spinnrad4 05 Umschlag1 - versoehnungsbund.at · Vor 50 Jahren, am 4. April 1967,hieltDr.MartinLuther KingJr.einebemerkenswer-teRedeinderRiversideChurchin NewYorkCity:„BeyondVietnam.A

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Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes · Österreichischer Zweig

Forumfür aktiveGewaltfreiheit

� SchwerpunktthemaAtomwaffen

� Israel und Pal stina

� Demokratie

Symbolische Abrüstungeiner Atomrakete

Bild: Thomas Roithner

Nr. 2Juni 2017, € 3,-

Page 2: Spinnrad4 05 Umschlag1 - versoehnungsbund.at · Vor 50 Jahren, am 4. April 1967,hieltDr.MartinLuther KingJr.einebemerkenswer-teRedeinderRiversideChurchin NewYorkCity:„BeyondVietnam.A

EDITORIAL, IMPRESSUM 2

DAS SCHWEIGEN BRECHEN! 3Stellungnahme der europäischen Zweige des Inter-nationalen Versöhnungsbundes zum Atomwaffenverbot

2017 NPT PREPARATORY COMMITTEE 5von Fabian Hämmerle

WOMEN’S MARCH TO BAN THE BOMB 6von Caroline Smith

DER KRANICH FLIEGT WIEDER! 8DAS ATOMWAFENVERBOT KANN ZUM ELCHTEST FÜR DIE GLAUB-WÜRDIGKEIT DER EUROPÄISCHEN FRIEDENSPOLITIK WERDENvon Thomas Roithner

DER WEG ZU EINEM VERBOTSVERTRAG 10VON NUKLEARWAFFENvon Nadja Schmidt

50 JAHRE BESATZUNG - WO BLEIBT 12DER GERECHTE FRIEDE?von Pete Hämmerle

DELIBERATIVE DEMOKRATIE AM BEISPIEL DER 15BÜRGERRÄTE IN VORARLBERG - VERSUCH DER ETABLIERUNGEMPHATISCHER POLITIKvon Eva Hruby

WIDER DEN HASS! 18von Lieselotte Wohlgenannt

Gastkommentare müssen nicht mit der Meinung des Redaktions-teams übereinstimmen.

IMPRESSUM (alle anderen ungültig):

Verleger, Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund,österreichischer Zweig (IVB)Redaktion: Irmgard Ehrenberger, Pete Hämmerle,Lucia Hämmerle, Eva HrubyOffenlegung lt. §25 Mediengesetz auch unter:www.versoehnungsbund.at/spinnradAdresse: Lederergasse 23/3/27, A - 1080 Wien;Tel./Fax: 01/408 53 32; Email: [email protected]: Monika NaskauLayout: Lucia HämmerleHersteller: AV+Astoria Druckzentrum GmbH,Faradaygasse 6, 1030 Wien; Verlagspostamt: 1080 WienBankverbindung: PSK, BIC: BAWAATWW,IBAN: AT94 6000 0000 9202 2553Preis der Einzelnummer: € 3,-Abonnement: € 12,- (Inland), € 15,- (Ausland)Für Mitglieder des IVB kostenlos!

Der IVB ist ein Zweig der internationalen gewaltfreien BewegungInternational Fellowship of Reconciliation (IFOR). IFOR hat bera-tenden Status bei ECOSOC und UNESCO. IFOR umfasst einNetzwerk von 80 Zweigen und Gruppen auf allen Kontinenten.www.ifor.org

Als Teil der internationalenFriedensbewegung arbeitet der öster-reichische Versöhnungsbund aktiv gewaltfreifür einen gerechten und nachhaltigen Frieden.

I n h a l t Liebe Leserinnen und Leser!Ein Verbotsvertrag für Atomwaffen! Als ich mich selbst2007 zum Thema nukleare Abrüstung zu engagierenbegann, schien das noch eine unmögliche Utopie.

Aber seither ist viel passiert. Seither gab es drei inter-nationale Konferenzen zu den kathastrophalen humani-tären Konsequenzen eines Atomwaffeneinsatzes. Seit-her wurden es immer mehr Staaten, die nicht längerzuschauen wollen, wie die Atommächte ihrer Verpflich-tung zur Abrüstung nicht und nicht nachkommen unddie darum den von Österreich initiierten „HumanitarianPledge” unterstützten. Seither entstand auch in der Zivil-gesellschaft ein Momentum, weil die Menschen sowohlnicht mehr bereit sind jeden Tag mit der Bedrohung zuleben, als auch nicht länger zusehen wollen, wie Atom-sprengköpfe um viel Geld erneuert werden, das dann ananderer Stelle - oft wenn es um Soziales geht - fehlt. Umauch euch die Entwicklungen rund um die Thematik derAtomwaffen und ihrer Abrüstung näherzubringen,haben wir darauf diesmal einen Schwerpunkt imersten Teil des Spinnrads gelegt. Besonders freuen wiruns, gleich zum Einstieg (S.3) die Stellungnahme dereuropäischen Zweige des Versöhnungsbundes präsen-tieren zu können, die bei einem Treffen Ende April inWien verfasst wurde. Gerade bei diesen Themen ist esschön zu wissen, dass es in vielen Ländern Menschengibt, die dasselbe Ziel verfolgen, wie sich auch beimWomen’s March to Ban the Bomb (S.6) zeigte.

Im zweiten Teil des Spinnrads werden dann weiterewichtige Themen beleuchtet. So macht Pete Hämmerle(S.12) anlässlich einiger „runder Jahrestage” eineBestandsaufnahme der Situation in Israel und Palä-stina. Der Beitrag von Eva Hruby zur deliberativenDemokratie (S.15) kann als Ergänzung zum letztenSpinnrad gelesen werden und unternimmt den Versucheine (weitere) mögliche Perspektive für die zukünftigeGestaltung der Demokratie vorzustellen. Zu guter Letztfindet sich auf S. 18 noch “Wider den Hass!” - ein Plädoy-er gegen Einschüchterung und für Versöhnung.

Wir wünschen eine gute Lektüre!

Lucia Hämmerle

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3Spinnrad 2 / 2017

Vor 50 Jahren, am 4. April1967, hielt Dr. Martin LutherKing Jr. eine bemerkenswer-

te Rede in der Riverside Church inNew York City: „Beyond Vietnam. ATime to Break Silence” („Jenseitsvon Vietnam“). Darin wendet ersich an seine eigene Nation, dieVereinigten Staaten von Amerika,und seine eigene Bevölkerung undspricht über die Notwendigkeit,„den Verrat meines eigenenSchweigens“ über den Vietnam-krieg „zu durchbrechen“. Dannaber geht er weiter zu dem Aufrufzu einem „grundsätzlichen tiefenWandel (Q) in Leben und PolitikAmerikas (Q), einem Wandel voneiner ‚sachorientierten‘ Gesell-schaft zu einer ‚an der Personorientierten‘ Gesellschaft (Q)Wenn Maschinen und Computer,Profitbestrebungen und Eigen-tumsrechte für wichtiger gehaltenwerden als Menschen, dann wirddie schreckliche Dreier-Allianz von

Rassenwahn, extremem Materia-lismus und Militarismus nicht mehrbesiegt werden können.“ Und ermacht geltend, dass nur eine „radi-kale Revolution der Werte“ die Pro-bleme Ungleichheit, Armut undKrieg überwinden wird.

Wir, die europäischen Zweige desinternationalen Versöhnungsbun-des (IFOR), haben uns diesesWochenende in Wien getroffen.Kurz bevor der neue Zyklus derÜberprüfungskonferenz des Atom-waffensperrvertrages beginnt undwenige Wochen nach dem Beginnder Verhandlungen in den UN inNew York über ein Instrument zuVerbot und Verbannung aller Kern-waffen wird es jetzt für uns Zeit, dieStimme zu erheben. Wir wendenuns an unsere, die europäischenLänder, unsere Regierungen eben-so wie an unsere Bevölkerungen.Wir glauben, dass Waffen, beson-ders Massenvernichtungswaffen,

nicht auf legitime Weise bereitge-halten oder verteidigt werden kön-nen. Da wir an die aktive Gewalt-freiheit als die einzige Macht glau-ben, die in der Lage ist, den Teu-felskreis der Gewalt zu durchbre-chen und friedliche Lösungen fürbestehende Konflikte zu finden,weisen wir jede Möglichkeit desEinsatzes von Kernwaffen aus fol-genden Gründen zurück:

� Kernwaffen sind moralisch undethisch verwerflich, da sie dasLeben von Millionen Menschen,wenn nicht der gesamten Mensch-heit bedrohen.

� Die humanitären Folgen einesjeden Einsatzes von Kernwaffenwären katastrophal. Daran habenuns viele Untersuchungen undAppelle der drei „humanitären Kon-ferenzen“ (in Oslo, Nayarit undWien, 2013 und ‘14) aufs Neuegemahnt.

AATTOOMMWWAAFFFFEENN

Das Schweigen brechen!Stellungnahme der europäischen Zweige des Internationalen Versöhnungsbundes zumAtomwaffenverbot, beschlossen am 30. April 2017 in Wien

Teilnehmer_innen des europäischen Versöhnungsbund-Treffens bei der #3DNukeMissile Aktion in Wien

Page 4: Spinnrad4 05 Umschlag1 - versoehnungsbund.at · Vor 50 Jahren, am 4. April 1967,hieltDr.MartinLuther KingJr.einebemerkenswer-teRedeinderRiversideChurchin NewYorkCity:„BeyondVietnam.A

� Darüber hinaus wären die öko-logischen Folgen eines jeden Ein-satzes von Kernwaffen in seinerunmittelbaren und Langzeit-Wir-kung verheerend.

� Der Einsatz (die Drohung mitdem Einsatz) von Kernwaffen istnach internationalem humanitärenRecht illegal.

� Durch Kernwaffen wird derabsolute Wert eines jeden Lebensnegiert und ihr möglicher Einsatzist nicht an Personen („menschli-che Sicherheit“) orientiert.

Wir begrüßen die Entscheidungvon mehr als 130 Staaten, nachJahrzehnten des Stillstandes beider nuklearen Abrüstung dasSchweigen zu brechen und inVerhandlungen über einen Vertrageinzutreten, in dem Kernwaffen fürillegal erklärt werden. Wir möchtenalle Staaten, die bisher noch nichtan den Verhandlungen teilnehmen,dazu ermutigen, an der zweiten Sit-zung im Juni und Juli 2017 teilzu-nehmen. Wir möchten alle Staatenermutigen, sich gleichzeitig auchan allen entsprechenden Maßnah-men zu beteiligen, um im Rahmender vorhandenen Verträge die Ge-fahren, die mit Kernwaffen verbun-den sind, und die Abschreckungdurch Kernwaffen wenigstens zuverringern, am besten aber zubeseitigen.

Hinsichtlich des europäischenZusammenhanges erkennen wirdie verschiedenen Rollen der betei-ligten Akteur_innen und fordern sieauf, folgendermaßen vorzugehen:

� Wir sind dafür dankbar, dasseinige europäische Länder eineaktive Rolle im Verhandlungspro-zess über die Beseitigung allerAtomwaffen übernommen haben(Österreich, Irland, Schweden, dieSchweiz u.a.) und möchten siedazu ermutigen, ihre Bemühungenfortzusetzen.

� Wir begrüßen die Teilnahmeweiterer Länder an den Verhand-lungen in New York, besonders derNiederlande als dem einzigenNATO-Mitgliedsland, das daranteilnimmt.

� Wir appellieren an alle europä-ischen Länder, die zur Militärallianz(NATO) und/oder der EuropäischenUnion gehören, sich nicht auf eineMilitär-Doktrin einzulassen, die dieOption der Abschreckung durchKernwaffen oder ihren Einsatz ent-hält.

� Wir appellieren an alle europä-ischen Länder, auf deren BodenKernwaffen stationiert sind (Bel-gien, Deutschland, Italien, dieNiederlande und die Türkei), ange-messene Maßnahmen zu ergrei-fen, diese Waffen aus ihren Län-dern zu entfernen.

� Wir appellieren an die beidenoffiziellen Atom-Mächte in Europa,Frankreich und Großbritannien,ihre Verpflichtung zur nuklearenAbrüstung gemäß den bestehen-den Verträgen (vor allem Art. VI desAtomwaffensperrvertrages) zu er-füllen und in Verhandlungen übereinen Verbots-Vertrag einzutreten.

Uns ist bewusst, dass Appelleallein nicht ausreichen, um nuklea-re Abrüstung und die Abschaffungaller Atomwaffen zu erreichen. Wirgestehen außerdem ein, dass wirnicht genug getan haben, um beiden Menschen in unseren Länderndas Bewusstsein der ständigenBedrohtheit der Menschheit anzu-heben. Deshalb verpflichten wiruns dazu, miteinander und mitanderen Akteur_innen in unserenGesellschaften zusammenzuarbei-ten, um mit gewaltfreien Mitteln undStrategien für unsere Vision einzu-treten: eine Welt ohne Kernwaffen.Das wollen wir auf folgende Weisetun:

� Wir wollen weiterhin die laufen-

den politischen Entwicklungenunserer Regierungen daraufhinbeobachten, ob sie für oder gegeneinen Fortschritt in der nuklearenAbrüstung sind.

� durch das Eintreten gegenüberunseren Regierungen, die Verbots-Verhandlungen im Juni/ Juli in NewYork voranzubringen,

� durch die Aufklärung derÖffentlichkeit über die herrschen-den Risiken und Gefahren vonKernwaffen,

� durch die Fortsetzung gewalt-freier Aktionen wie Blockaden undBanner-Aktionen an Orten, woKernwaffen in Deutschland und Ita-lien stationiert sind, Aktionen wäh-rend des NATO-Gipfels im Mai inBrüssel und Aktionen am Hiroshi-ma-Tag in verschiedenen Ländern,

� dadurch, dass wir als IFOR-Mitglieder bei derartigen AktivitätenSolidarität miteinander und gegen-seitige Unterstützung beweisen,

� durch das Abhalten von Aktio-nen am 26. September, dem „Inter-nationalen Tag für die vollständigeBeseitigung der Kernwaffen“,

Martin Luther King schloss 1967seine Rede mit den folgenden Wor-ten: „Heute haben wir noch dieWahl: gewaltlose Koexistenz odergemeinsame Vernichtung durchGewalt. Wir müssen aus derUnentschlossenheit heraus- undzum Handeln kommen. (Q) Wennwir jetzt nicht handeln, wird manuns in jene dunklen und schreck -lichen Verliese der Zeit werfen, diefür jene bestimmt sind, die Größeohne Mitleid, Macht ohne morali-sche Verantwortung und Stärkeohne Weitsicht besitzen.“ Wenn wiruns dem Thema Kernwaffen stel-len, hallen diese Worte noch nach50 Jahren wider.

Übersetzung: Ingrid van Heiseler

Spinnrad 2 / 20174

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Von 2. bis zum 12. Mai fand inWien das erste PreparatoryCommittee für den 2020

Überprüfungszyklus des Atomwaf-fensperrvertrages statt. Für denVersöhnungsbund - österreichi-scher Zweig begann es aber schonam 30. April mit der Aktion „Non-violent action against Nukes: 3DNuke Missile“ am Wiener Graben.Dank der Möglichkeit Atomwaffenan die Ketten zu legen, gab es einerege Teilnahme. Die Aktion führtevielen Passant_innen die Dringlich-keit der nuklearen Abrüstung wie-der vor Augen, die sonst meist nurein Randthema in den Medien undder Gesellschaft ist.

Wie bei vielen politischen Heraus-forderungen ist aber gerade derDruck aus der Zivilgesellschft wich-tig, um in dieser AngelegenheitFortschritte zu machen. Deswegenwar die Teilnahme von NGOs amPreparatory Committee, darunterauch Delegierte vom Versöhnungs-bund, auch dieses Mal wieder vonbesonderer Bedeutung.

Eine Zusammenfassung von in derKonferenz angesprochenen Punk-ten findet sich im Abschlussreportdes Vorsitzenden, BotschafterHenk Cor van der Kwast (Nieder-lande), dessen Highlights im Fol-genden besprochen werden.

So riefen sich die Staaten gegen-seitig dazu auf die Beschlüsse derÜberprüfungskonferenzen 2000und 2010 umzusetzen. Zudemdrückten sie ihr Bedauern aus,dass es 2015 zu keiner Einigungkam.

Eines der bestimmenden Themenwar das Atomprogramm der DPRK(Democratic People‘s Republic ofKorea). Dieses wurde von denStaaten stark verurteilt, derWunsch nach einer diplomatischen

Lösung wurde geäußert und dieDPRK wurde aufgefordert demAtomwaffensperrvertrag wiederbeizutreten.

Überwiegend positiv wurde derJCPOA (Joint Comprehensive Planof Action; Iran Deal) aufgenommen.Es wurden mehrfach die diplomati-schen Bemühungen, Verpflichtun-gen und deren Einhaltung gelobtund eingemahnt. Es wurde deut-lich, dass die diplomatische Lösungdes Konflikts auch als Vorbild die-nen könnte.

Es gab aber auch Punkte, die mitgroßem Bedenken angesprochenwurden. Für sehr viele Nicht-Nukle-armächte sind die Bemühungender Atomwaffenstaaten bei dernuklearen Abrüstung, im Besonde-ren die Geschwindigkeit der Abrüs -tung, nicht ausreichend. Auch wasdie Militärdoktrinen der Atomwaf-fenstaaten und die Inklusion dernuklearen Option in ihnen betrifft,wurden große Bedenken geäußert.Angesprochen wurden die Moder-nisierungsüberlegungen der Atom-waffenarsenale und die Befürch-tung diese könnten zu einem neu-en atomaren Wettrüsten führen. Eswurde an die Atomwaffenstaatenappelliert hier für mehr Transpa-renz zu sorgen.

Ein Großteil der Staaten begrüßtedie Zusammenarbeit in der nuklea-ren Abrüstung mit internationalenOrganisationen, der Zivilgesell-schaft, Forschungsinstituten und

NGOs. Speziell die InternationaleAtomenergie-Organisation (IAEO)in ihrer Rolle als Sicherungsorganwurde hervorgehoben.

Ein weiteres Mal wurden jene Staa-ten (Indien, Israel, Pakistan), dieden Vertrag noch nicht unterschrie-ben haben, dazu aufgefordert dieszu tun. Der Südsudan, als jüngsterStaat, wurde eingeladen, den Ver-trag zu unterzeichnen.

Die Rolle von NuklearwaffenfreienZonen als Vorboten einer nuklear-waffenfreien Welt wurde positivbewertet. In diesem Sinne wurdeauch die Wichtigkeit der Errichtungeiner Nuklearwaffenfreien Zone imMittleren Osten unterstrichen. Starkbefürwortet wurde die Umsetzungeiner Konferenz um eben dieseZone zu schaffen, wie es schon1995 und 2010 im Abschlussbe-richt der Überprüfungskonferenzenvorgesehen war.

Von vielen Delegationen wurdenBedenken auf Grund der humanitä-

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2017 NPT Preparatory Committeevon Fabian Hämmerle

Atomwaffensperrvertrag (NPT)

Der Atomwaffensperrvertrag wur-de 1968 beschlossen und regelt,welches Land eine Atommacht istund welche Länder auf Atomwaf-fen verzichten. Wesentliche Punkte im Vertragsind die Verpflichtung ener Län-der, die keine Atomwaffen besit-zen, sich diese auch nicht anzu-schaffen; die Verpflichtung derAtommächte schrittweise abzurü-sten und die Verpflichtung zurZusammenarbeit bei der fried-lichen Nutzung von Atomkraft.Alle fünf Jahre findet eine Konfe-renz zur Überprüfung der Fort-schritte zur Erreichung der Zielestatt, die von drei Vorbereitungs-konferenzen (Preparatory Com-mittees) eingeleitet wird.

Verbotsvertrag (Ban Treaty)

Atomwaffen sind die einzigenMassenvernichtungswaffen, dienach internationalem Recht nochnicht vollständig verboten sind.Derzeit finden in New York jedochVerhandlungen über einen Ver-botsvertrag statt.

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ren Konsequenzen eines Atomwaf-fenschlags geäußert. In diesenBereich fällt auch die Spaltung zwi-schen unterstützenden Ländernund den Atomwaffenstaaten undihren Verbündeten aufgrund desAtomwaffenverbotsvertrags. Eswurde immer wieder versichert,dieser solle den Atomwaffensperr-vertrag stärken und zu einer siche-reren Weltsituation beitragen. DerVerbotsvertrag wird in New Yorkvom 15.6 bis zum 7.7 verhandelt.

Abgerundet wurde das PrepComdurch eine Fülle an Nebenveran-staltungen über ein breites Spek-trum von Themen. Die RepublikIrland veranstaltete ein Side Eventum nukleare Themen aus der Gen-der-Perspektive zu betrachten.Hierzu wurde auch ein Entwurfspa-pier eingereicht. Auch das VCDNP(Vienna Centre for Disarmamentand Non Proliferation) hielt einigeEvents mit hochkarätiger Beset-zung ab, so wurde Rose Gotte-moeller, die Vizesekretärin derNATO, eingeladen über deren Rol-le in den Abrüstungsbemühungenzu sprechen. Zu den prägendstenVorträgen zählten die Lebensbe-richte der Hibakusha, den Überle-benden der Atombombenabwürfeauf Hiroshima und Nagasaki, nichtnur weil es nur mehr sehr wenigevon ihnen gibt, sondern auch weilsie die katastrophalen humanitärenFolgen von Atomwaffen aus ersterHand schildern und uns so immerwieder nicht nur die humanitärenKonsequenzen eines Atombom-benabwurfs, sondern auch dieDringlichkeit der Eliminierung die-ser Waffen vor Augen halten.

Fabian Hämmerle studiert GlobaleGeschichte und Global Studies ander Universität Wien und war Teilder Versöhnungsbund-Delegationbei der NPT Vorbereitungskonfe-renz in Wien.

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Bild: facebook.comreaching critical will

Trotz des Regens kamen mehrere hundert Menschen zum Women’sMarch to Ban the Bomb. Bild: Caroline Smith

Die vielen internationalen Teilnehmer_innen zeigten, dass der Kampfgegen Atomwaffen global verbindend wirkt. Bild: Caroline Smith

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Am 17 Juni nahmen hunderteMenschen am „Women’sMarch to Ban the Bomb” in

New York teil. Meine Schwesterund ich waren auch darunter, undtrotz all der schlechten Nachrichtenin der Welt während der letzten Zeitund des Regens, der den ganzenMarsch begleitete, wurde unsereStimmung gehoben und wir warenhoffnungsvoll.

Der Marsch begann beim BryantPark, einem wunderschönen öf-fentlichen Park inmitten Manhat-tans. Angeführt und geschützt vonder Polizei marschierten wir danndurch die Straßen von New York,durch gut besuchte Plätze wie dieGrand Central Station, und erreich-ten unser Ziel ein paar Straßenvom Hauptquartier der VereintenNationen entfernt und um die Eckezum Trump World Tower. Der Platzfür das Ende des Marsches warzweifellos eine strategische Wahl,die sowohl als Unterstützung fürdie Verhandlungen zum Atomwaf-fenverbotsvertrag, die gerade inder UNO stattfanden, als auchals Herausforderung von DonaldTrump und seiner Einstellung zuAtomwaffen, zu verstehen ist.

Die Menschen, die am Marsch teil-nahmen, waren Vertreter_innenverschiedenster Organisationen(und es freut mich zu sagen, dassmir viele von ihnen schon währendmeiner Zeit in Wien untergekom-men waren). Es kamen Vertreter-_innen von ICAN (InternationalCampaign to Abolish Nuclear Wea-pons),WILPF (Women’s Internatio-nal League for Peace and Free-dom), Global Zero, Physicians forSocial Responsibility, United forPeace and Justice, Gensuikin(Japanese Congress Against A-and H-Bombs; Bild links) und

bestimmt noch viele andere, die ichnicht gesehen habe. Es kamenauch viele Zivilist_innen, die zuvornoch nie zum Thema Atomwaffengearbeitet haben, die aber ein Be-wusstsein für die massiven huma-nitären Gefahren haben und Verän-derung bewirken wollen.

Ich sprach mit einem Mann, derneben mir ging, und es stellte sichheraus, dass er für die Verhandlun-gen und den Marsch aus Nairobiangereist war. Außerdem sah icheine Gruppe aus Schweden, diegekommen war um Unterstützungzu zeigen. Das sind nur zwei vonvielen Beispielen, wie sehr die The-matik Menschen auf der ganzenWelt berührt und dass die Opposi-tion gegen Atomwaffen viele vonuns verbindet.

Eines der Dinge, die ich an NewYork besonders mag, ist die kultu-relle Diversität der Menschen, diehier leben, und das wurde auchbeim Marsch deutlich. Es gabSchilder in vielen verschiedenenSprachen – Englisch, Spanisch, Ja-panisch, Schwedisch und Deutsch,um nur ein paar zu nennen – waswieder den Umstand unterstrich,dass die Thematik der Atomwaffenalle Menschen auf der Welt betrifftund sich viele zusammenschlie-ßen, um ein Ende der Krise einzu-leiten. Die Diversität der Gemein-schaft und speziell derer, die zumMarsch kamen, machte diesen zueiner besoders starken Demonstra-tion. Atomwaffen sind trennend undverwurzelt in Gewalt und Hass,aber dieser Marsch zeigte dasGegenteil: Einigkeit, Friede undLiebe.

Das Thema der Atomwaffen kommtin den USA nicht sehr häufig imtäglichen Umgang zur Sprache,auch wenn die USA eine Atom-macht und Mitglied der NATO ist.

Unser neuer Präsident, DonaldTrump, betonte zu verschiedenenGelegenheiten, dass die USA,solange andere Staaten im Besitzvon Atomwaffen sind, ihr Arsenalstärken müssen, und so wird dernukleare Rüstungswettlauf fortge-führt. Während viele Amerikaner-_innen anderer Ansicht sind, kön-nen diese Aussagen des Präsiden-ten das Thema der Atomwaffen –im Speziellen die Abschaffung derAtomwaffen – manchmal etwashoffnungslos erscheinen lassen.

Dieser Marsch jedoch war alles -nur nicht hoffnungslos. Fremdegrüßten einander mit einem freund-lichen Lächeln, fotografierten ge-genseitig ihre Schilder, skandiertengemeinsam, umarmten einanderund teilten sogar Schirme. Im Ver-lauf des Marsches war die Grund-stimmung überwältigend positiv.Umgeben von solch leidenschaft-lichen, engagierten und starkenMenschen fühlte es sich tatsächlichso an als wäre ein Ende der Atom-waffen greifbar.

Caroline Smith absolvierte imFrühjahr 2017 im Rahmen ihresStudiums ein Praktikum beim öster-reichischen Zweig des Versöh-nungsbundes und war zu dieserZeit auch Teil der Delegation zurNPT Vorbereitungskonferenz.

7 Spinnrad 2 / 2017

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Women’s March to Ban the Bombvon Caroline Smith

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Gute Gründe für Beunruhi-gung gibt es allemal. „Greatagain“ will er die USA

machen, u.a. durch die Verbesse-rung nuklearer Fähigkeiten. Unddie russischen Atomwaffen sollenhelfen, dass er wieder „Großmacht“sein darf. Wenngleich unterschied-lich motiviert – die Modernisierungihrer Nuklearpotenziale steht aufder Agenda. Auch in der EU wur-den vereinzelt Stimmen laut,die sich Atomwaffen im europäi-schen Werkzeugkasten erträumen.Außenminister Sebastian Kurz –die ÖVP trommelte in den 1990erJahren noch für die NATO – stelltÖsterreich an die Spitze jener Staa-ten, die sich heute für ein rechtlichbindendes Atomwaffenverbot ein-setzen. Und die Chancen sind gut.Eine EU-Armee samt Atomwaffenwünscht sich die rot-weiß-rot-ParteiFPÖ, die gleichzeitig die Neutralitätund Global Zero begrüßt. Nichtganz aus der Luft gegriffen scheintdie Bemerkung des Schauspielersund Kabarettisten Helmut Qualtin-ger: „Österreich ist ein Labyrinth, indem sich jeder auskennt.“

Lehrbücher kennen unterschiedli-che Möglichkeiten, mit Atomwaffenumzugehen. Je mehr Staaten siehaben – so die Theorie –, destomehr Respekt gibt es vor derenEinsatz und den Reaktionen deranderen Nuklearmächte. Die Mehr-heit der Staaten widerspricht demheute allerdings energisch. Völlig

unkontrollierbar sind die humanitä-ren Folgen eines Einsatzes. DieEntwicklung neuer Generationenvon Atomwaffen – nämlich imGefechtsfeld einsetzbare – erhö-hen zudem das Eskalationspoten-zial. Dazu kommen noch nicht-staatliche Akteur_innen wie Terro-rorganisationen, die das Feld nichtüberschaubarer machen.

Weitgehend wirkungslos ist derAnsatz, die Welt auf dem Weg zuGlobal Zero in Atomwaffenstaatenund nukleare Habenichtse einzutei-len. Die einen propagieren Abrü-stung und schieben diese gleich-zeitig auf die lange Bank. Zahlrei-chen Staaten, die in Richtungvollständige Abrüstung gemäßdem Nichtweiterverbreitungsver-trag (NPT) arbeiten, reißt langsamder Geduldsfaden. Abrüstung ja,aber wahrscheinlich nicht mehr zumeinen Lebzeiten und wir behaltenunsere „guten“ Atomwaffen bis alleanderen ihre „bösen“ abgerüstethaben, so Barack Obama in Prag2009 sinngemäß. Und DonaldTrump: „very sad“ wäre auf Twitterzu lesen.

NATO und EU

Am Heiligen Abend in unserer Zeit-zone wurde in New York beider UN-Generalversammlung be-schlossen, Verhandlungen über einAtomwaffenverbot aufzunehmen.Frohe Weihnachten! Alle an derUN-Generalversammlung teilneh-

menden NATO-Staaten – dieniederländische Enthaltung ist eineAusnahme – haben dies abgelehnt.21 NATO-Staaten sind gleichzeitigauch EU-Staaten.

Das EU-Parlament ist mehrheitlichder Auffassung, die Mitgliedstaatensollten die Vertragsverhandlungen„willkommen heißen“ und „kon-struktiv teilnehmen“. Nicht zumersten Mal haben diese Staateneine NATO-Meinung und eine par-lamentarische EU-Meinung, diesich tadellos widersprechen. Fürmanche Staaten existiert nebeneiner NATO-Realität ebenso eineparlamentarische EU-Realität. Mili-tärische Bündnisloyalität stichtWertegemeinschaft.

Es ist kein Zufall, dass die neutra-len und paktfreien EU-StaatenÖsterreich, Malta, Irland, Schwe-den und Zypern zugestimmt haben.Finnland enthielt sich der Stimme.Ein Blick in die Geschichte der neu-tralen Staaten in Europa des letztengut halben Jahrhunderts zeigt,dass Fragen der Abrüstung undRüstungskontrolle stets eine vor-rangige Rolle eingenommenhaben.

Hochinteressant scheinen dieBegründungen für die Ablehnungder Resolution. Das NATO- undEU-Mitglied Deutschland – US-Atomwaffen sind über die nukleareTeilhabe der NATO in Deutschlandstationiert – argumentiert beispiels-

8 Spinnrad 2 / 2017

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Der Kranich fliegt wiederDas Atomwaffenverbot kann zum Elchtest für dieGlaubwürdigkeit europäischer Friedenspolitik werdenvon Thomas Roithner

Der Kranich ist nicht nur ein Symbol für Frieden und Atomwaffenabrüstung. In China steht der Kranich auch für dieWeisheit. Weitsichtig reagierte die Friedensbewegung auf den NATO-Beitritt von Ungarn 1999. Wie sollten im Fallder Fälle über die nukleare Teilhabe der NATO Atomwaffen in das neue Mitgliedsland gelangen? Damals mangelsgemeinsamer Grenze mit anderen NATO-Staaten etwa über Österreich? Auf die diesbezügliche Petition der Frie-densbewegung legten die Parlamentsparteien noch eins drauf und beschlossen als Allparteienantrag im Verfas-sungsrang ein politisch kluges, jedoch absurd klingendes „atomfreies Österreich“, Atomwaffen und Atomkraftwer-ke. Wie sieht es heute mit einer solchen Weitsicht global aus?

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weise damit, dass Verhandlungenohne die Nuklearwaffenstaatenineffektiv seien. Keine Atomwaffewürde abgerüstet werden, wenndie Atomwaffenstaaten nicht amTisch sitzen. Deutschland bevor-zugt ein schrittweises Abrüstungs-vorgehen statt einem Verbot vonAtomwaffen. Eine Initiative wie derVerbotsvertrag könne die Staaten-gemeinschaft sogar vom Ziel eineratomwaffenfreien Welt weiter weg-führen, so das Argument Deutsch-lands. Warum?

Ein Verbot könnte – so die Kritik amVerbotsvertrag – darüber hinausden Nichtweiterverbreitungsvertrag(NPT) schwächen. Viele Staatenerklärten anlässlich der NPT-Kon-ferenz Anfang Mai 2017 in der Wie-ner UNO-City, dass sich diesebeiden Anliegen ergänzen undnicht konterkarieren. Wichtig sindDeutschland auch die Verifikations-möglichkeiten. Stimmig ist dasdeutsche Argument, weshalb Be-fürworter_innen eines Verbotsver-trages – so enthalten im Vertrags-entwurf vom 22.5.2017 – eine„strikte und effektive internationaleKontrolle“ für zentral erachten.

NATO-Nukleardoktrin

Mehr oder weniger deutlich werdenFragen der Bündnisloyalität ange-sprochen. Washington hat unterseinen NATO-Verbündeten über-deutlich für ein „Nein“ geworben.Ein Nuklearwaffenverbot – so dieUSA an ihre NATO-Verbündeten –würde den US-gestützten Ansatzunterminieren, Atomwaffen Stückfür Stück abzurüsten.

Der Entwurf des Verbotsvertragesvom 22. Mai 2017 sieht nicht nurein Verbot von Verwendung, son-dern auch von Entwicklung, Her-stellung, Beschaffung, Besitz oderLagerung von Atomwaffen vor.Auch der Transfer, die Stationie-rung und die Weitergabe von Kon-trolle über Atomwaffen sind unter-sagt. Die nukleare Teilhabe derNATO ist mit diesem vorliegenden

Vertragsentwurf unmissverständ-lich unvereinbar.

Dicke Bretter

Was kann am Ende der Verhand-lungen stehen? Ein Verbotsvertrag,der von der Mehrheit der Staaten-gemeinschaft unterstützt wird. DerHaken wird sein, dass wesentlichePlayer – jene, die bisher der Abrü-stungsaufforderung des Nicht-weiterverbreitungsvertrages (NPT)auch nicht nachgekommen sind –draußen stehen und auf den erstenBlick nichts gewonnen sein wird.Nicht gerade erleichternd ist, dassdie offiziellen Nuklearwaffenstaatenallesamt einen ständigen Sitz imSicherheitsrat der UNO haben.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass diehumanitäre Initiative und ein Ver-botsvertrag nur Teile des Erfolgessind. Donald Trump, WladimirPutin, Emmanuel Macron oderTheresa May sollen ihre nuklearenEinsatzszenarien ihren internatio-nalen Partner_innen, ihrer Bevölke-rung und der Zivilgesellschaft imKontext eines allgemeinen Verbots-vertrages erklären müssen.

Daraus erwachsen zweierlei Aufga-benfelder. Erstens, der anhaltendeDruck auf jene Staaten, die lieberaußerhalb eines künftigen Verbots-vertrages stehen. Ein Verbot ist einwesentlicher Schritt, um eine wirk-lich globale Ächtung zu erreichen.Wie bei Biowaffen, Chemiewaffenoder Anti-Personen-Minen gibt esStaaten, die sich ins Abseits stellen.Staatliche und nichtstaatliche An-sätze können sich – die Ottawa-Konvention zum Verbot von Anti-Personen-Minen dient als Vorbild –auf dem Weg zu einem umfassen-den Global Zero ausgezeichnetunterstützen.

Die zweite nicht minder komplexeAufgabe ist jene, die vorherrschen-de Definitionsmacht von einerSicherheitslogik in Richtung einerFriedenslogik zu lenken. DasGewaltverbot der Vereinten Natio-

nen ist dabei ein höchst brauchba-res Vehikel. Der aktuell in Europazu beobachtenden Versicherheitli-chung unterschiedlicher Politikbe-reiche sind jene global arbeitendenInstitutionen gegenüberzustellen,die nicht nur die Sicherung derWirtschaftsinteressen der ohnehinökonomisch reichen Staaten aufdem Radar haben. Auch die imRahmen der OSZE gewonnenenExpertisen zum zivilen Krisenma-nagement und zur zivilen Krisen-prävention scheinen heute zu we-nig Berücksichtigung zu finden.

Zudem zeigt das Beispiel der Ver-handlungen um ein Atomwaffenver-bot, dass die neutralen und pakt-freien Staaten innerhalb der EU(Österreich, Schweden, Finnland,Irland, Malta und Zypern) ihr Poten-zial nicht ausschöpfen, um zivileKapazitäten und konfliktursachen-orientierte Ansätze im Rahmen derEU zu forcieren. Der Blick durch dienukleare Abrüstungsbrille auf dieEU-Staaten zeigt aber auch die bit-tere Erkenntnis, dass Fortschritte inder internationalen Politik mituntergerade jenseits des Tellerrandesder EU erzielt werden können. Mitden globalen Verhandlungen umein Atomwaffenverbot ist eine wich-tige Etappe erreicht: Der Kranichfliegt wieder.

Thomas Roithner ist Friedensfor-scher und Privatdozent für Politik-wissenschaft an der UniversitätWien. Sein jüngstes Buch „Märkte,Macht und Muskeln. Die Außen-,Sicherheits- und FriedenspolitikÖsterreichs und der EuropäischenUnion“ erschien im Frühjahr 2017.

www.thomasroithner.at

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Page 10: Spinnrad4 05 Umschlag1 - versoehnungsbund.at · Vor 50 Jahren, am 4. April 1967,hieltDr.MartinLuther KingJr.einebemerkenswer-teRedeinderRiversideChurchin NewYorkCity:„BeyondVietnam.A

Von 15. Juni bis 7. Juli finden in denVereinten Nationen in New YorkVerhandlungen über ein internatio-nales Verbot von Nuklearwaffenstatt. Es ist dies bereits die zweiteVerhandlungsrunde, nachdem sichim März 2017 über 130 Staatengetroffen haben um über die völker-rechtliche Ächtung dieser letztennoch nicht verbotenen Massenver-nichtungswaffen zu diskutieren.

Ein Meilenstein der Sicherheits-politik?

Die Verhandlungen und die voraus-sichtliche Verabschiedung einesVertrages stellen eine historischeWende in der internationalenSicherheitspolitik dar: Einerseitssind die Nuklearwaffenstaatenihren Verpflichtungen abzurüstennicht nachgekommen, ganz imGegenteil laufen derzeit in nahezuallen Besitzerstaaten große Moder-nisierungsprogramme. Anderer-seits haben nun die nuklearen„Habenichtse“ – also jene großeMehrheit an Staaten, die keineNuklearwaffen besitzen – die Initia-tive in die Hand genommen, unddrücken mit den Verhandlungenihre Unzufriedenheit über den jahr-zehntelangen Stillstand in der multi-lateralen nuklearen Abrüstung aus.Konkret bedeutet dies, dass an denVerhandlungen zwar über 130Staaten teilnehmen, nicht jedochdie Nuklearwaffenstaaten bzw.auch nicht die NATO-Staaten.(1)

Der Abschluss eines Vertrages unddamit die Ächtung von Nuklearwaf-fen wäre dennoch ein erster Schrittzu ihrer Beseitigung. Mit diesemVertrag würde die völkerrechtlicheLücke geschlossen und Nuklear-waffen – wie Chemiewaffen undbiologische Waffen – würden ge -ächtet und verboten.

Die „humanitäre Initiative“ alsAusgangspunkt

Unter der sogenannten „humanitä-ren Initiative“ ist eine breite Koali-tion von Staaten, internationalenOrganisationen und der Zivilgesell-schaft zu verstehen, die seit 2010daran arbeitet, den Diskurs rundum Nuklearwaffen zu ändern,indem deren humanitäre Konse-quenzen und Risiken ins Zentrumder Diskussionen gestellt werden.

Dominierten im Fall von Nuklear-waffen seit jeher militärischeSicherheitsüberlegungen den inter-nationalen Diskurs, rückten nun dieKonsequenzen auf Mensch,Umwelt, Wirtschaft etc. in denFokus der internationalen Aufmerk-samkeit. Aus den Diskussionen umdie humanitären Auswirkungenmuss der Schluss gezogen werden,dass die Folgen dieser Massenver-nichtungswaffen unter humanitä-rem Völkerrecht vollkommen inak-zeptabel sind und Nuklearwaffendaher wie alle anderen Massenver-nichtungswaffen geächtet – alsoverboten – werden müssen. Diesfolgt den Erfahrungen mit anderenWaffengattungen, wo humanitäreÜberlegungen meist die grundle-genden Faktoren für deren Regulie-rung waren.

Erstmals fanden im Jahr 2010 diehumanitären Konsequenzen vonNuklearwaffen in einem Abschluss-dokument der Überprüfungskonfe-renz des Nichtverbreitungsvertra-ges (NPT) explizit Erwähnung. Inden Folgejahren ergab sich darauseine Reihe von überregionalenErklärungen, der sich eine immergrößere Zahl an Staaten anschloss:Unterstützten 2012 noch 16 Staa-ten diese Erklärung, so waren esbei der vierten Auflage im Jahr2013 bereits 125 Staaten.

Zusätzlich zu den überregionalenErklärungen veranstalteten dreiKernstaaten der „Humanitäre Initia-tive“ eine Konferenzreihe, in denendie humanitären Auswirkungen vonNuklearwaffen mit Vertreter*innenaus Diplomatie, Wissenschaft undZivilgesellschaft diskutiert wurden.Diese fanden zwischen 2013 und2014 in Oslo/Norwegen,Nayarit/Mexiko und Wien statt.

An der von der österreichischenRegierung organisierten WienerKonferenz nahmen als Höhepunktdieser Konferenzreihe bereits 158Staaten teil. Hervorzuheben dabeiist, dass auch zwei Nuklearwaffen-staaten – die USA und das Verein-igte Königreich – daran teilgenom-men haben.

Österreich als Vorreiter

Österreich hat den humanitärenDiskurswechsel maßgeblich initiiertund vorangetrieben und damit einezentrale Rolle in der Entwicklungder humanitären Initiative bis hin zuden Verhandlungen gespielt.

Nicht nur die Ausrichtung der drit-ten Auflage der internationalenKonferenz zu den humanitärenAuswirkungen ist in dieser Hinsichtzu erwähnen, sondern auch die fol-genden, weiterführenden Initiati-ven:

Der „Humanitarian Pledge“ wurdeam Ende der Wiener Konferenzvon der österreichischen Regierungveröffentlicht, in der sie sich ver-pflichtet, Nuklearwaffen im Hinblickauf deren katastrophale humanitäreKonsequenzen zu ächten, zu ver-bieten und abzuschaffen. DieserErklärung konnten sich in weitererFolge auch andere Staaten an -schließen – insgesamt 127 Regie-rungen sind dieser Aufforderungnachgekommen.

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Der Weg zu einem Verbotsvertrag von Nuklearwaffenvon Nadja Schmidt

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Die große Unterstützung dieses„Pledges“ führte zu einer Resolu-tion, welche die Einrichtung einerOffenen Arbeitsgruppe der Verein-ten Nationen forderte, in der Mög-lichkeiten zur Verwirklichung einernuklearwaffenfreien Welt diskutiertwerden sollten.

Wiederum basierend auf den Arbei-ten der Offenen Arbeitsgruppe,brachte Österreich gemeinsam mitfünf weiteren Ländern bei derGeneralversammlung der Verein-ten Nationen im Oktober 2016 eineResolution ein, welche die Konse-quenzen aus den Empfehlungender Offenen Arbeitsgruppe zog.Diese Resolution hatte das erklärteZiel der Eliminierung aller Nuklear-waffen. Insgesamt 123 Staatenstimmten im Ersten Ausschuss derVereinten Nationen im Oktober2016 für ihre Annahme. Das Man-dat für die Verhandlungskonferenzim Jahre 2017 wurde somit erteilt.

Wie laufen die Verhandlungen ab?

Seit März 2017 finden nun die Ver-handlungen unter dem Vorsitz dercostaricanischen BotschafterinElayne Whyte statt. Nachdem aufBasis der Diskussionen vom Märzvon ihr ein erster Vertragsentwurferstellt wurde, sollen bis 7. Juli dieeinzelnen Vertragspunkte diskutiertund zu einem Abschluss gebrachtwerden. Danach könnte der Ver-trag bzw. die Konvention(2) zurUnterzeichnung und Ratifizierungvorliegen.

Doch zunächst müssen die teilneh-menden Staaten in den Verhand-lungen eine Übereinkunft über dieeinzelnen Abschnitte des Vertragesfinden. Im Folgenden sollen dieseAbschnitte kurz skizziert werden:

Die Präambel

Hier werden die katastrophalenhumanitären Konsequenzen jeg-lichen Einsatzes von Nuklearwaf-fen sowie die Bedeutung deshumanitären Völkerrechts hervor-

gehoben. Die einleitenden Para-graphen würdigen darüber hinausdie Opfer von Nuklearwaffendeto-nationen, insbesondere Hibakusha,aber auch die von Nuklearwaffen-tests Betroffenen – und untermau-ern damit die Beweggründe derStaatengemeinschaft, diese Initiati-ve zu ergreifen. Erstmals werdenauch die genderspezifischen Aus-wirkungen von Nuklearwaffen the-matisiert und somit eine überfälligeWende hin zu einer geschlechter-sensiblen Betrachtung der nuklea-ren Bedrohung vollzogen.

Allgemeine Verpflichtungen

Derzeit beinhaltet der Entwurf Ver-botsbestimmungen über den Ein-satz, die Entwicklung, die Produk-tion, die Herstellung, die Aneig-nung, den Besitz, die Lagerung,den Transfer und das Testen vonNuklearwaffen, sowie die Bestim-mung andere Staaten in jeglicherdieser Aktivitäten zu unterstützen,zu ermutigen oder sie dazu zu ver-anlassen.

Vernichtung von Nuklearwaffen -arsenalen

Die Artikel 2, 4 und 5 widmen sichder Frage der Verantwortung vonStaaten, welche Nuklearwaffen inder Vergangenheit besaßen unddiese vernichtet haben, und vonStaaten, die Nuklearwaffen immernoch besitzen.

Bestimmungen über Opferhilfe,Umweltschutzmaßnahmen undinternationale Zusammenarbeitund Unterstützung

Die Präambel und Artikel 6 enthal-ten Elemente, welche eine starkeBasis für Bestimmungen bezüglichOpferhilfe bieten. Der Text erkenntdie humanitären Auswirkungen vonNuklearwaffen und das den Opfernzugefügte Leid an, verweist auf dieRolle der Opfer und enthält eineBestimmung zur angemessenenHilfeleistung für die Betroffenenvon Versuchen und Einsätzen vonNuklearwaffen.

Weitere Bestimmungen

Im Vertrag werden darüber hinausTreffen der Vertragsstaaten, dieUniversalität des Vertrages, dieVertragsdauer und das Verhältniszu anderen völkerrechtlichen Über-einkommen geregelt sein.

Die Rolle der Zivilgesellschaft

Der Prozess der „Humanitären Initi-ative“ ist durch eine starke Rolleder Zivilgesellschaft gekennzeich-net, die im gesamten Verlauf zen-tral eingebunden war. Die Interna-tionale Kampagne zur Abschaffungvon Nuklearwaffen (ICAN) koordi-niert seit ihrer Gründung im Jahre2007 die weltweite Zivilgesell-schaft. Vertreter*innen von ICANnehmen darum auch an der Ver-handlungskonferenz in New Yorkteil, um sich für einen möglichststarken und effektiven Vertrag starkzu machen.

Laufende Berichte über die Ver-handlungen sind auf www.icanau-stria.at zu finden.

(1) Mit einziger Ausnahme der Nie -derlande, die durch ein Parla -ments votum dazu verpflichtet wur-de.

(2) Die genaue Bezeichnung istderzeit auch Gegenstand der Ver-handlungen.

Nadja Schmidt ist Direktorin vonICAN Austria und nahm an denVerhandlungen in New York wäh-rend der ersten Verhandlungswo-che im Juni teil.

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Ein gutes halbes Jahr ist seitder vom Versöhnungsbundund Pax Christi organisierten

Solidaritätsreise nach Palästinaund Israel vergangen (s. Spinnrad4/2016). Im Jahr 2017 stehen nunmehrere markante Jahrestage vonEreignissen an, die für den israe-lisch-palästinensischen Konflikt bisheute von großer Bedeutung sind:

Der 100. Jahrestag der „Balfour-Erklärung“ (in der dem jüdischenVolk vom damaligen britischenAußenminister eine „nationaleHeimstätte“ in Palästina zugesagtwurde), der 70. Jahrestag desUNO-Teilungsplans für die Region(Resolution 181 vom 29. November1947, die die Grundlage für eineZweistaatenlösung schuf), der 50.Jahrestag des Beginns der israe-lischen Besatzung des Westjor-danlandes, des Gazastreifens, Ost-jerusalems und der syrischen Gol-anhöhen nach dem „Sechstage-krieg“ im Juni 1967 und der 30.Jahrestag der „1. Intifada“, desgroßteils mit gewaltlosen Mittelndurchgeführten Widerstands derpalästinensischen Bevölkerung ge-gen die israelische Besatzung.

Dieser Beitrag stellt den (notwendi-ger Weise bruchstückhaften) Ver-such einer Analyse der jüngstenEreignisse in diesem Konflikt auseiner dezidiert gewaltfreien Per-spektive dar und geht speziell aufdie Dimension des „Kampfes umdie Köpfe und Herzen“ der direktund mittelbar Betroffenen des Kon-flikts um die Interpretation der Fak-ten und die Schlussfolgerungendaraus nach.

Maßnahmen der israelischenPolitik (Regierung und Knesset)

In Zusammenhang mit der völker-rechtlich illegalen SiedlungspolitikIsraels im Westjordanland und inOstjerusalem kann festgestellt wer-

den, dass auf der einen Seite imFebruar 2017 der illegale Sied-lungs-Außenposten Amona nörd-lich von Ramallah unter massivenProtesten und teils gewaltsamenWiderstandsaktionen der Bewoh-ner_innen und ihrer Sympathi-sant_innen von der Polizei geräumtwurde, andererseits aber von derRegierung der Bau tausender neu-er Wohneinheiten in bestehendenSiedlungen sowie der Bau der neu-en Siedlung Emek Shilo (erstmalsseit den Oslo-Abkommen) geneh-migt wurde. Außerdem beschlossdas israelische Parlament imFebruar das „Regulierungsgesetz“,das die nachträgliche Legalisierungvon Siedlungen auf palästinensi-schem Privatland – ohne Einver-ständnis der rechtmäßigen Eigen-tümer_innen – ermöglicht. All diessteht in offensichtlichem Wider-spruch zur UN-Sicherheitsratsreso-lution 2334 vom 23. Dezember2016, in der ein weiteres MalIsraels Siedlungsbau in den be-setzten palästinensischen Gebie-ten seit 1967 verurteilt und einStopp aller Siedlungsaktivitätensowie eine Rückgängigmachungnegativer Trends, die eine Zwei-Staaten-Lösung gefährden, gefor-dert wird.

Einen weiteren Themenkomplexstellen die Einreisebestimmungennach Israel dar: Am 26. März ver-abschiedete das Parlament mit46:28 Stimmen die 28. Ergänzungzum Einreisegesetz 1952, in derfestgehalten wird: Es wird keinVisum und keine Aufenthaltsgeneh-migung jeglicher Art für eine Per-son gewährt, welche nicht Bürger-_innen sind oder eine dauerhafteAufenthaltsgenehmigung im StaatIsrael haben, wenn diese, bzw. dieOrganisation oder die Institution,für die sie arbeitet, wissentlich undöffentlich zum Boykott des StaatesIsraels aufruft, wie im Gesetz zur

Vorbeugung der Verletzung desStaates Israel durch Boykott (2011)definiert, oder sie an einem solchenBoykott teilgenommen hat. Im sog.Anti-Boykott-Gesetz wird spezifi-ziert, dass „Boykottaufrufe gegenMenschen, Organisationen oderProdukte des israelischen Staates,eine seiner Institutionen oder einesvon ihm kontrollierten Gebiets“unter Strafe stehen. Diese Maß-nahme richtet sich somit gegen dieEinreise ausländischer Unterstüt-zer_innen der BDS-Kampagne(Boykott, Desinvestition und Sank-tionen), und zwar sowohl jene, dieeinen vollkommenen Boykott desStaates Israel befürworten, wiejene, die wirtschaftliche Maßnah-men gegen die israelische Sied-lungspolitik unterstützen (und sichdamit indirekt auf Sicherheitsratsre-solution 2334 beziehen können, woes heißt: (Q) fordert alle Staatenauf, in ihren relevanten Beziehun-gen zwischen dem Hoheitsgebietdes Staates Israel und den seit1967 besetzten Gebieten zu unter-scheiden).

Ein weiteres, im April 2017 ange-kündigtes Vorhaben, über dasJudy Maltz in der Zeitung Ha’aretzam 3. Mai berichtete, sorgte eben-falls für Aufregung: Das Innenmini-sterium wandte sich mit einemSchreiben an israelische Reisever-anstalter_innen, dass es ihnen abMitte Mai nicht mehr gestattet seinwürde, mit Tourismusgruppen imWestjordanland zu übernachten.Diese Maßnahme würde in ersterLinie die Stadt Bethlehem und dortnächtigende christliche Pilger-_innengruppen betreffen, aberauch Tourist_innen, die billigereQuartiere in Bethlehem den oft teu-reren in Jerusalem vorziehen. DieMaßnahme wurde aufgrund vonBedenken der Tourismusindustrievorläufig ausgesetzt, könnte jedochauf Grundlage bestehender Geset-

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50 Jahre Besatzung - wo bleibt der gerechte Friede?von Pete Hämmerle

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ze jederzeit umgesetzt werden.Weiters ist festzustellen, dass injüngerer Zeit vermehrt Mitarbeiter-_innen von Organisationen, diesich für Frieden, Gerechtigkeit undMenschenrechte und gegen dieBesatzung aussprechen, die Ein-reise nach Israel verwehrt wurdeoder sie kürzere Visa als üblicherhielten. Betroffen davon warenu.a. der Weltkirchenrat und dasÖkumenische Begleitprogramm inPalästina und Israel.

Und was passiert tagtäglich?

Hin und wieder hören oder lesenwir in österreichischen Medien übereinzelne Vorfälle, über Gewalttatenpalästinensischer Extremist_innen,über Vergeltungsmaßnahmen derisraelischen Armee usw. Kaumberichtet wird über Hintergründe zudiesen Ereignissen oder über politi-sche Entwicklungen wie z.B. denfast sechswöchigen Hungerstreikvon über 1000 palästinensischenHäftlingen in israelischen Gefäng-nissen, mit dem sie sowohl für bes-sere Haftbedingungen eintratenwie auf die Lage politischer Gefan-gener in Israel hinweisen wollten.Attentate und bewaffnete Angriffeauf israelische Sicherheitskräfteund Zivilist_innen haben im Zugeder „Messer-Intifada“ im letztenJahr zugenommen. All dies kann ineinen Gesamtkontext eingeordnetwerden, wenn man sich aktuel-le Zahlen über gewaltsameZwischenfälle, z.B. von UN OCHAoPT (Office for the Coordination ofHumanitarian Affairs in the occu-pied Palestinian Territories, einschl.Ostjerusalem), anschaut: Sokamen bis 12. Juni 23 Palästinen-ser_innen durch israelische Kräfteums Leben (2016: 105), es gab bis-her 1077 Verletzte (3393). Im sel-ben Zeitraum starben 6 (13) israeli-sche Zivilist_innen und 85 wurdenverletzt. Weiters ist dort angeführt,dass von Seiten der israelischenSicherheitskräfte bisher 250 Zer-störungen von „Strukturen“ (groß-teils in „Area C“) und 100 Militär-

operationen (in Gaza und derWestbank) sowie 64 Vorfälle von„Siedlergewalt“ zu verzeichnenwaren.

Zu all diesen aktuellen Zahlen darfauch nicht auf die Langzeitsituationvergessen werden, die beispiels-weise in einem Bericht von Amne-sty International vom 7. Juni (nach-zulesen auf www.amnesty.de bzw.auf Englisch, inkl. Petition, unterwww.amnesty.org) so zusammengefasst wird: „Amnesty Internatio-nal und andere Menschenrechtsor-ganisationen haben immer wiedervielfache schwere Menschen-rechtsverletzungen dokumentiert,die im Rahmen der israelischenBesatzung dort stattfinden. (Q)zehntausende palästinensischeWohnungen und Einrichtungensind von Israel zerstört worden undHunderttausende Palästinenserin-nen und Palästinenser wurden ver-trieben. Viele Familien wurden ausihren Wohnungen bzw. von ihremLand vertrieben, um Grundstückefür den israelischen Siedlungsbauzu nutzen. (Q) Mittlerweile befin-den sich etwa 600.000 Siedlerin-nen und Siedler im Westjordanlandund Ost-Jerusalem. (Q) Im gesam-ten Westjordanland hat die Sied-lungsinfrastruktur, darunter Stra-ßen, die nur Siedlerinnen und Sied-lern vorbehalten sind, palästinensi-sche Städte und Dörfer geteilt unddie Bewegungsfreiheit der palästi-nensischen Bevölkerung extremeingeschränkt. (Q) Der Zugang derpalästinensischen Zivilbevölkerungzu Wasser, Land und anderenRessourcen wird willkürlich einge-schränkt. Dies hat verheerendeAuswirkungen auf den Lebensstan-dard, auf Arbeit, Wohnraum undGesundheit der palästinensischenBevölkerung. (Q)“.

Aktionen zum 50. Jahrestag der Besatzung

Neben Amnesty International,Human Rights Watch oder PaxChristi International haben auch

viele andere Nichtregierungs-Orga-nisationen zum 50. Jahrestag derBesatzung Aufrufe und Petitionenveröffentlicht bzw. Aktionen durch-geführt, um auf dieses Unrecht auf-merksam zu machen und friedlicheLösungen des Konflikts zu unter-stützen, darunter auch mehrere,mit denen der Versöhnungsbundzusammenarbeitet bzw. Kontakteunterhält. In Israel und Palästinaselbst haben u.a. Breaking theSilence (eine Organisation ehem.Soldat_innen der IsraelischenArmee), Machsom Watch (jüdischeFrauen, die die Situation an Check -points beobachten) und B’tselem(die israelische und palästinensi-sche Menschenrechtsverletzungendokumentiert) Berichte publiziertund Aktionen durchgeführt.

Am 27. Mai demonstrierten aufeinen Aufruf von „Peace Now“ hinin Tel Aviv zwischen 15 und 30.000Israelis für ein Ende der Besatzungund eine Zweistaatenlösung. Ineiner gemeinsamen Aktion israeli-scher und palästinensischer ge-waltfreier Friedensgruppen, darun-ter das Centre for Jewish Nonvio-lence, das eine Delegation von 130Juden und Jüdinnen aus der Dia-spora organisierte, und die PopularCommittees of the South HebronHills, wurde in Sarura südlich vonHebron das „Sumud-Freiheits-camp“ errichtet um dadurch für dieRückkehr der in den 1990er Jahrenvertriebenen Dorfbewohner_inneneinzutreten. Aus Palästina melde-ten sich neben mehreren Men-schenrechtsorganisationen auchdas SABEEL-Zentrum für Befrei-ungstheologie, die Nationale Koali-tion Christlicher Organisationen inPalästina (NCCOP) mit einem Offe-nen Brief an den Weltkirchenratund die ökumenische Bewegungsowie das Palästinensische Zen-trum für Menschenrechte zu Wort,das erneut auf die desaströse Situ-ation in Gaza mit bevorstehendenweiteren Einschränkungen derElektrizitätsversorgung verwies.

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Der österreichische Versöhnungs-bund schickte am 13. Juni perEmail Briefe mit einem Appell anösterreichische Politikerinnen undPolitiker, sich für eine friedliche undgerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einzu-setzen. Darin werden nach einerkurzen Analyse des Konflikts dieMitglieder der Bundesregierung,die Abgeordneten im Außenpoliti-schen Ausschuss des Nationalrats,die Mitglieder der beiden parlamen-tarischen Gruppen zu Israel bzw.Palästina und die österreichischenAbgeordneten im Europaparlamentgebeten, sich in diesem histori-schen Jahr mit einem konkretenEngagement einzubringen unddadurch Menschen in ihrem Ein-satz für ein Ende der Besatzungund einen gerechten Frieden zurSeite zu stehen. Abschließend wer-den einige Möglichkeiten aufge-zählt, worin ein solcher Beitrag zueinem gerechten Frieden beispiel-haft bestehen könnte. Wir werdendie einlangenden Antworten vorerstsammeln und hoffen, dass sich dar-aus auch einige persönliche Ge-spräche ergeben werden, um dannggf. im Herbst mit dieser Briefak-tion auch an die Öffentlichkeit zutreten.

Österreich: ein Nebenschauplatzim Nahostkonflikt?

Mit dieser oben beschriebenen Ak -tion sind wir schlussendlich bei derFrage angelangt, wie und warumwir hier in Österreich uns über-haupt mit dem Konflikt beschäfti-gen sollen. Die Diskussion um Anti-semitismus in Europa hat in jüng-ster Zeit an Aktualität gewonnen,u.a. durch die Ausstrahlung desFilms “Auserwählt und ausgegrenzt- Der Hass auf Juden in Europa”des WDR und die Auseinanderset-zungen darum. In unserem Grund-lagenpapier „Aktive Gewaltfreiheitals Perspektive im Nahostkonflikt“von 2016 (www.versoehnungs-bund.at/ agf-in-nahos/) heißt es:Die „Wahrnehmung des Leids aller

und die Verurteilung aller Formenvon Gewalt ohne gegenseitige Auf-rechnung“ ist der Ausgangspunktunseres Engagements, und„Gewalt ist keine und führt zu kei-ner Lösung!“ Insofern geht eszuerst und zumeist um die direktBetroffenen des Konflikts, die Opfervielfältiger Formen von Gewaltsind, und nicht um uns hier. Ande-rerseits ist der Konflikt internatio-nal(isiert), und der „Kampf um dieKöpfe und Herzen“– welche Seitebzw. welche Positionen werdenvon wem mit welchen Argumentenunterstützt oder abgelehnt – findetdaher weltweit, in Europa und auchin Österreich seinen Niederschlag.

Das findet seinen Ausdruck aufpolitischer Ebene, indem z.B. Mit-glieder der Regierung nach Israelund Palästina reisen, sich dort zuverschiedenen Themen und Gele-genheiten zu Wort melden, Koope-rationsverträge abschließen etc. Essetzt sich fort, wenn der Ministerratam 21. April eine „Arbeitsdefinitionvon Antisemitismus“ der Internatio-nal Holocaust Remembrance Alli-ance (IHRA) übernimmt, die lautMinisterratsvortrag von BM Kurz„als allgemeingültige Definition vonAntisemitismus dessen Identifizie-rung und Bekämpfung erleichternsoll. Die Arbeitsdefinition bestehtaus der eigentlichen Definition vonAntisemitismus und einer Reihevon erläuternden Beispielen, dar-unter auch die Abgrenzung vonAntisemitismus und unterschied-lichen Formen der Kritik an Israel.“Die Definition lautet: „Antisemi-tismus ist eine bestimmte Wahr-nehmung von Juden, die sich alsHass gegenüber Juden ausdrück-en kann. Der Antisemitismus richtetsich in Wort oder Tat gegen jüdi-sche oder nicht-jüdische Einzelper-sonen und/oder deren Eigentum,sowie gegen jüdische Gemeindein-stitutionen oder religiöse Einrich-tungen.“

Dass diese Definition und der Vor-wurf des Antisemitismus nicht nur

in der „Schul- und Erwachsenenbil-dung sowie bei der Ausbildung inden Bereichen Justiz und Exekuti-ve“ verwendet werden kann, son-dern auch dafür, politischen Druckauf Gruppen wie die „Frauen inSchwarz“ und andere, die sich kri-tisch gegenüber der israelischenPolitik äußern, auszuüben, habenerzwungene Absagen von Veran-staltungen in den letzten Monatengezeigt, indem z.B. die Nutzungs-erlaubnis für angemietete Räum-lichkeiten kurzfristig zurückgezo-gen wurde. Doch es gibt auchBeschlüsse der EU, der Schweiz,Irlands, Schwedens und der Nie-derlande, in denen das Recht vonBürger_innen, sich für BDS einzu-setzen, als Bestandteil des funda-mentalen Menschenrechts auf freieMeinungsäußerung festgehaltenwird.

Der Versöhnungsbund vertritt indiesem “Propaganda-Wettlauf” diePosition: „Kein Platz für Feindbilderund Stereotype, für antisemitische,antiislamische, rassistische undandere Formen menschenverach-tender Ideologien“, andererseitswollen wir „aus der Verbundenheitund Solidarität mit allen, die füreinen gerechten Frieden im Nahenund Mittleren Osten mit gewalt-freien Methoden eintreten“ han-deln. Ein gegenseitiges Aufrechnenbzw. ein Verzicht auf ein bestimm-tes Handeln aus Furcht vor mög-lichen Konsequenzen in dem einen(dem Einsatz für einen gerechtenFrieden im israelisch-palästinensi-schen Konflikt) oder dem anderenBereich (der Auseinandersetzungmit bestehenden und wirksamenantisemitischen Haltungen undTaten) ist dafür nicht hilfreich.

Wenn die aktive Gewaltfreiheit ein„dritter Weg“ zwischen Passivitätund Gegengewalt ist, so ist es auchmöglich, diesen Weg im Nahost-konflikt mutig zu fördern und zuunterstützen – selbst wenn es dafürUnverständnis oder Anfeindungengibt.

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Wir leben schon in merkwür-digen Zeiten: auf dereinen Seite wird der Ruf

der Bevölkerung nach echter,demokratischer Teilhabe immerlauter. Die Teilnahme an Wahlensowie an diversen Volksentschei-den, die durch bloße Ja/Nein-Betei-ligung gekennzeichnet ist, wirdzunehmend als unbefriedigendempfunden. Zurecht wollen immermehr Menschen an politschen Ent-scheidungen über Themen beteiligtwerden, die über das Abstim-mungsverhalten durch Wahlennicht erreicht werden.

Sei es bei der Beteiligung auf kom-munaler Ebene, wo es etwa um dieGestaltung der örtlichen Infrastruk-tur geht, oder bei der Energiewen-de, die komplexere Vernetzungs-strukturen voraussetzt, weil sichdiese nicht auf die lokale Ebenebeschränkt, oder gar bei Themenvon nationalem bzw. globalem Aus-maß wie etwa beim Klimaschutzoder der Ungleicheit zwischen Armund Reich. All dies hat auch mit denEinflussfaktoren von mächtigen,nicht-politischen und meist ökono-misch motivierten Einzelinteressenin den Medien und öffentlichenForen zu tun, was vielfach zu Rechtals Zumutung empfunden wird.

Auf der anderen Seite ist einebesorgniserregende Entpolitisie-rung in Teilen der Bevölkerungbeobachtbar. Durch die abstrakten,und durch die Digitalisierung derMedien zunehmend anonymisier-ten öffentlichen Kommunikations-strukturen leidet nicht nur dasgesprochene Wort an teilweisemassivem Qualitätsverlust, son-dern auch die Transparenz desZustandekommens demokratischerEinigungsprozesse.

Es geht also um die gesellschaftli-che Re-Politisierung. Eine wichtigeFrage dabei ist: Kann die Politisie-rung der Gesellschaft zu einemEntscheidungsverhalten führen,das nicht nur eigene Interessenund Befindlichkeiten widerspiegelt,sondern vor allem perspektiven-übergreifende Inhalte transportiertund damit auch empathisch auf dieBedürfnisse und Interessen ande-rer Bezug nimmt?

Deliberative Demokratie

In ihrem jüngsten Buch „Die Kon-sultative. Mehr Demokratie durchBürgerbeteiligung“(1) stellen Patri-zia Nanz und Claus Leggewie mitdem Konzept der deliberativenDemokratie eine Möglichkeit vor,politische Beteiligungsformen ne-ben dem repräsentativen Systemso zu etablieren, dass die eigensdafür vorgesehenen Foren und dieEntscheidungen, die darin getrof-fen werden, in institutionalisierterForm an das parlamentarischeSystem angeschlossen werden. Mitder „Konsultative“ wird neben denklassischen Formen der Gewalten-teilung – der Legislative, der Exe-kutive und der Judikative - einevierte Gewalt in Form von Bürger-bzw. Zukunftsräten vorgeschlagen.Damit soll eine breite und tiefge-hende Konsultation der Bevölke-rung dem Gesetzgebungs- undEntscheidungsverfahren sowohlvorangestellt als auch nachgeord-net werden. Im Gegensatz zudirektdemokratischen Verfahrenbleibt die Letztentscheidung je-doch immer den politischen Institu-tionen vorbehalten. Es sei jedochdarauf hingewiesen, dass die Man-datsträger_innen Rechenschaftdafür ablegen müssen, wenn siedie Ergebnisse dialogorientierterVerfahren – wie sie hier von Nanz

und Leggewie vorgestellt werden -ignorieren. Nicht zuletzt müssensich alle Beteiligten auf Vertraueneinstellen, das im Dialog als Grund-voraussetzung gilt.

Der Vorzugder Etablierung derarti-ger Beteiligungsformen wie der„Konsultative“ als vierte Gewaltdürfte in der Tatsache liegen, dasssich derartige Formate in den natio-nalstaatlich-repräsentativen Appa-rat relativ einfach und sogar bis zursupranationalen Ebene der EU ver-bindlich einbauen lassen.

Deliberation ist dabei ein „Fachaus-druck für Kommunikation mit argu-mentativen (im Unterschied zu reindeklarativen und konfrontativen)Zügen. Überzeugung erwächstdemnach aus der Abwägung vonArgumenten, die auf ihren Wahr-heitsgehalt überprüft werden“(2).Für die Autor_innen steht dabei dasvon Hannah Arendt entwickelteKonzept der Fähigkeit zur Urteils-bildung im Vordergrund. Die reflek-tierende Urteilskraft, die den eige-nen Standpunkt mit den Perspekti-ven Anderer verbindet, die Fähig-keit also, „an Stelle eines anderenzu denken und seine Sicht im Lichtabweichender Standpunkte poin-tiert darzulegen“,(3) steht im Vorder-grund der Deliberation.

In dieser Hinsicht ist der Aspekt dessozialen Lernens ausschlagge-bend: Beteiligungsprozesse kön-nen einen wichtigen gemeinsamenBezugspunkt bilden, Menschenaus der Bevölkerung, der Verwal-tung und Politik sowie Expert-_innen zusammenzubringen undihre jeweiligen, unterschiedlichenPerspektiven über lokale Problem-zusammenhänge auch auf die glo-bale Dimenson auszuweiten.

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Deliberative Demokratie am Beispiel der Bürgerräte inVorarlberg - Versuch der Etablierung emphatischer Politikvon Eva Hruby

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Der Sinn aller Politik ist Freiheit

In der Tat hat Hannah Arendt einepolitische Perspektive entwickelt,die über den üblichen Entweder-Oder-Modus weit hinausgeht. Siebezieht ihre politische Theorie ausdem Faktum der menschlichen Plu-ralität. „Handeln“ und „Sprechen“sind zentrale Begriffe, mit denenMenschen sowohl ihre Gleichheitals Menschen – wo sie einanderauf Augenhöhe begegnen, als auchihre Verschiedenheit und Einzigar-tigkeit als Individuen ausdrücken.Nur im (politischen) Handeln, imBeraten und Erörtern der uns allengemeinsamen Angelegenheitendieser Welt, offenbart sich unserejeweils besondere Individualität.Dies ist so, weil wir im Handeln

nicht etwas mitteilen – wie etwaHunger, Durst, Zuneigung, Abnei-gung – sondern vor allem jeman-dem uns selbst mitteilen, und damitunsere Persönlichkeit enthüllen.Und das ist auch – sehr grob ver-einfacht – der Punkt, an dem sichFreiheit verwirklicht. Dieser Begriffvon politischer Freiheit findet sei-nen Bezugspunkt in dem Bewusst-sein, dass wir Menschen voneinan-der abhängig sind.

Durch die Verbindung von Politikund Freiheit mit der menschlichenPluralität betont Hannah Arendt daseigene subjetive „So-Sein“, das imMiteinander, im „Wer-jemand-ist“,(4)

aufgeht. Damit macht sie auf dieTatsache aufmerksam, dass sichdie menschliche Einzigartigkeit nur

in der Gemeinschaft, nur im Mitein-ander entfaltet und betont damit dieIdentitätsstiftung in menschlichenBeziehungssystemen.

Was ist ein Bürgerrat bzw. ein Zukunftsrat?

Diesem Verständnis vom Politi-schen folgen auch Nanz und Leg-gewie bei der Erörterung der Bür-gerräte bzw. der von ihnen vorge-schlagenen Zukunftsräte. Trotzaller Kritik und Einwände, die hiernicht erörtert werden können, hatsich seit den 1960-er Jahrenzumindest in Ansätzen aus einerZuschauer_innen- eine Beteili-gungsdemokratie entwickelt.(5)

Wie der Name schon impliziert, sol-len Zukunftsräte zum einen genera-tionenübergreifend Probleme undKonflikte lösen und so der kurzfri-stigen Gegenwartsfixierung derBerufspolitik entgegenwirken. Na-heliegend sind hier Themen, dieauf ihre Sozial- und Umweltverträg-lichkeit überprüft werden. Zumanderen sind sie durch die Institu-tionalisierung der Bürgerbeteili-gung in Form der „Konsultative“ alsvierte Gewalt, gekennzeichnet. Siehaben den Vorzug, dass sie The-men aufgreifen können, die vonden politischen Institutionen igno-riert werden.

Nanz und Leggewie beschreibenden Zukunftsrat folgendermaßen:Er ist eine dauerhafte Einrichtungeiner Gemeinde oder eines Stadt-teils, der wichtige Zukunftsfragenidentifiziert und Lösungsvorschlägeausarbeitet. Einem Zukunftsratgehören 15 bis 20 zufällig ausge-wähte Personen an, welche dielokale Bevölkerung annäherndabbilden. Die Teilnehmer_innenwerden per Los gezogen. Die Mit-wirkenden treffen sich regelmäßigund erhalten eine maßvolle Auf-wandsentschädigung. Die Amtspe-riode des Zukunftsrates beträgtzwei Jahre, er wird von einemTeam von hauptamlich Tätigen inder kommunalen Selbstverwaltung

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AKTIV SEIN IM VERSÖHNUNGSBUND!

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� Bist du noch kein Mitglied?Unter http://www.versoehnungsbund.at/mitglied-werden/ kannst du dasändern!� Du bist bereits Mitglied? Vielleicht kennst du ja Menschen, die eben-falls an Gewaltfreiheit interessiert sind und beim VB Mitglied werden oderdas „Spinnrad" abonnieren wollen!

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• Möglichkeiten zur freiwilligen MITARBEIT! - Wir freuen uns immer überMenschen, die sich mit ihren Interessen und Fähigkeiten bei uns einbrin-gen wollen. Wir freuen uns über helfende Hände – auch wenn die Mitarbeitnur gelegentlich stattfindet. Nähere Auskünfte dazu geben wir gerne aufAnfrage!

E-mail: [email protected] Tel.: 01 - 408 5332

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mit Moderations- und Mediationser-fahrung begleitet, die weniger anden Inhalten als vielmehr an derForm der Beratung und der Kon-fliktlösung interessiert sind. DieZusammensetzung der Mediations-und Moderationsgruppen aus denverschiedenen gesellschaftlichenSpektren verhindert, dass sich eindominierendes, partikulares Inter-esse durchsetzt.

Da sich viele Probleme nicht aufder lokalen Ebene lösen lassen, isteine Vernetzung der Zukunftsrätedarüber hinaus auf allen politischenEbenen – der Städte, der Regio-nen, der Nationen und der Europä-ischen Union sinnvoll, was auchder demokratiedefizitären „Mehr-Ebenen-Problematik“ entgegenwir-ken würde. Aufgrund ihrerZukunftsausrichtung sind Zukunfts-räte geeignet, sich mit dauerhaftenund langfristigen Problemen undProjekten zu befassen.

Wie funktioniert ein Bürgerrat –das Beispiel Vorarlberg

Seit 2006 werden in Vorarlbergregelmäßig Bürgerräte aufGemeinde-, Regionen- und Lan-desebene einberufen. Dazu wurdedas „Büro für Zukunftsfragen“ ein-gerichtet. 2013 wurde die delibera-tive Demokratie in die Landesver-fassung aufgenommen und Richtli-nien zur Abwicklung der Bürgerräteverabschiedet. Nach dem Zufalls-prinzip werden zwölf bis fünfzehnTeilnehmer_innen eines Ortes odereiner Region ausgewählt, die ein-einhalb Tage miteinander arbeiten.

Im Juni 2015 wurde im Auftrag derVorarlberger Landesregierung einBürgerrat zum Asyl- und Flücht-lingswesen einberufen. Vor demHintergrund der völkerrechtlichenVerpflichtung, dass VorarlbergFlüchtlinge aufnehmen muss, wur-de vor allem die Frage gestellt, waseinerseits seitens der Bevölkerungbenötigt wird, um mit der Aufnahmevon Flüchtlingen gut umzugehen,und andererseits, was von den

Flüchtlingen erwartet werden kann.Die Frage wurde also sowohl andie „aufnehmende“ als auch an die„ankommende“ Seite gerichtet.Rund 20 % der Teilnehmer_innenmussten durch Personen mitMigrations- bzw. Flüchtlingshinter-grund repräsentiert sein.

Dazu wurde eine Steuerungsgrup-pe mit besonderer Moderationser-fahrung, bestehend aus gemein-nützigen Vereinen und Zuständigender Landesregierung, eingesetzt.

Ziel des Bürgerrates war es, einenProzess der Bewusstseinsbildungund der Empathiefähigkeit für Men-schen mit Fluchthintergrund beiden Teilnehmenden in Gang zu set-zen und Ideen und konkrete Vor-schläge aus deren Sicht in denDiskussionsprozess aufzunehmen.

Der Bürgerrat gliedert sich dabei invier Stufen: dem Bürgerrat selbst,in dem gemeinsame Ergebnisseerarbeitet werden und der nicht-öffentlich ist, dem Bürger-Cafe, indem diese öffentlich präsentiertund vertiefend diskutiert werden,der Resonanzgruppe, in der institu-tionelle Akteur_innen die Ergeb-nisse auf Verwertungszusammen-hänge überprüfen, und der Doku-mentation, die die Ergebnisse derbisherigen drei Stufen umfasst undals Grundlage für die Befassungdes Landtages und der Landesre-gierung dient, die auch an dieGemeinden weitergeleitet wird.Auch die Ergebnisse des Bürger-rats zum Umgang mit Asylwerben-den wurden zur Diskussionsgrund-lage für das gesamte Bundesland.

Die Moderationsfunktion des Bür-gerrates zielt auf bestimmte Wir-kungen bei den Teilnehmenden ab:er soll Selbstwirksamkeit, Verbun-denheit, Transparenz und Mobili-sierung wecken. Es geht darum„sich informiert zu fühlen, die Mög-lichkeit der Mitsprache zu haben,ein Vertrauen, dass das eigeneHandeln Wirkung zeigt sowie Teileiner Gruppe von Menschen zu

sein, die sich des Themasannimmt.“(6)

In diesem Sinne sind Bürgerrätevielleicht tatsächlich dazu angetan,Prozesse antagonistischer Wahr-nehmungsmuster zu verändern,und dass wir uns für das merkwür-dig anmutende Bewusstsein – imSinne Arendts – öffnen können,dass wir politisch und demokratischnur frei sind im Wissen um unsereAbhängigkeit voneinander. Daskann auch zu weiterführendenDiskussionen etwa zur allgemeinenDaseinsvorsorge führen, und darü-ber, welche gemeinsamen, öffent-lichen Güter wir verwalten wollenund wie das im besten Sinne einerGemeinschaft zu bewerkstelligenist.

Eva Hruby hat Politikwissenschaftan der Universität Wien studiert,und absolviert gerade das Jahres-training in Gewaltfreier Kommuni-kation.

(1) Nanz, Patrizia/Leggewie, Claus „DieKonsultative. Mehr Demokratie durchBürgerbeteiligung.“ Verlag KlausWagenbach, 2016

(2) ebd., S. 24

(3) ebd., S. 25

(4) Arendt, Hannah „Vita Activa odervom tätigen Leben“ Piper Verlag 2013(S. 219)

(5) Es gibt hier verschiedene Beispiele,etwa der Bürgerhaushalt im brasiliani-schen Porto Alegre, wo immerhin dasKorruptionsniveau gesunken ist undauch ärmere und bildungsfernereSchichten in den Bürgerhaushalt einge-bunden sind. Bürgerräte zur Verwal-tungsreform wurden etwa auch im neu-seeländischen Christchurch sowie imindischen Kerala eingesetzt oder zuden Verfassungskonventen in Irlandund Island.

(6) Zu den konkreten Ergebnissen die-ses Bürgerrates sowie zu weiterenInfos dazu siehe dokubr_asyl1.pdf aufhttps://www.vorarlberg.at/vorarlberg/umwelt_zukunft/zukunft/buerofuerzu-kunftsfragen/neuigkeiten_ohnebild_/buergerbeteiligung/einfuehrung/partizipa-tionalsneuerarbe.htm

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Mittwoch, 22. März 2017. EinTerroranschlag im Regie-rungsviertel von London

fordert vier Menschenleben. Genauein Jahr zuvor gab es in Brüsselzwei Anschläge, einen davon in derU-Bahnstation Maelbeek. Dazwi-schen Anschläge in Nizza und Ber-lin. Müssen wir in Zukunft mit derGefahr leben, dass irgendwoirgendein Attentäter zuschlägt, miteinfachsten Waffen wie einem Autoin Nizza oder einem Messer, wie inLondon? Ob der Täter dabei imAuftrag des IS, des IslamischenStaates, handelt und von einemNetzwerk unterstützt wurde, spieltkeine Rolle. Der IS wird sich derBluttat rühmen, um Unsicherheitund Angst zu schüren. Und damitauch den Hass, der sich in densozialen Medien ausbreitet.

Anschläge wie diese sind schwerzu verhindern, weil es keine auf-wendigen oder auffälligen Vorbe-reitungen gibt, die rechtzeitig auf-gedeckt werden könnten. Darankönnen auch verschärfte Sicher-heitsmaßnahmen oder Beobach-tung Verdächtiger durch die Sicher-heitspolizei wenig ändern.

Nicht einschüchtern lassen

Was sich ändern kann ist die Ein-stellung der Politik, der Bürgerin-nen und Bürger, jeder einzelnenPerson. Am Tag nach dem Attentatin London sagte PremierministerinMay in einer Parlamentssitzung:„Wir lassen unsere Demokratienicht zum Schweigen bringen“, undLondons Bürgermeister bekräftigte:„London wird sich nicht vom Terroreinschüchtern lassen.“ Die Londo-ner_innen ließen sich nicht ein-schüchtern und antworteten miteiner Reihe von Solidaritätskund-gebungen.

So wichtig dieser Widerstand derPolitik und weiter Kreise der Ge-

sellschaft ist, nicht alle werden sichüberzeugen lassen. Dort, wo ohne-dies Ängste herrschen, wo Men-schen mit Problemen konfrontiertsind, wo Unzufriedenheit mit deraktuellen Situation wächst, werdenSündenböcke gesucht. Es wächstdas Misstrauen gegenüber einerPolitik, die der Untätigkeit bezich-tigt wird. Angeklagt werden nichtnur sie, sondern vor allem auchFlüchtlinge und Migrant_innen, dieals Verursacher_innen einer Situa-tion der Unsicherheit gesehen wer-den. Muslimische Flüchtlinge wer-den beschuldigt, mit dem Terro-rismus zu sympathisieren oder garVerbündete der Terrorist_innen zusein. So entstehen aus Unsicher-heit Angst und Zorn, und jenerHass, der in den Medien verbreitetwird und das soziale Klima vergif-tet.

Aufbruch zum Widerstand

Terrorangriffe fördern die Angst, siebewirken auch den Widerstand. Esbündeln sich Kräfte, die sich einset-zen für ein gutes Zusammenlebenaller, für die Demokratie, gegenden Fremdenhass und für Men-schenrechte. Dazu gehören jeneMenschen, die spontan zum Ortdes Anschlags pilgern und dort mitBlumen der Opfer gedenken; dazugehören Sozialverbände und auchdie Kirchen, die sich zu Wort mel-den.

In London haben die höchsten Kir-chenvertreter_innen spontane Ge-denken und Gebetstreffen für dieOpfer des Terroranschlags abge-halten. So verkündete das „Faith-Forum“: „Wir, als Vertreter_innenvieler Londoner Glaubensgemein-schaften, bedauern den schrek-klichen Angriff, der heute im Parla-ment und auf der Westminster-Brücke stattgefunden hat. Alleunsere Religionen halten die Hei-

ligkeit des menschlichen Lebenshoch. Es gibt keine Rechtfertigungfür einen solchen barbarischenAngriff auf unschuldige Menschen.Terrorismus hat keinen Platz aufunseren Straßen. Wir beten für dieOpfer dieses Angriffs und forderndie Londoner_innen und unsereNation auf, in diesen Zeiten zusam-menzustehen. Wir werden unsereBemühungen verdoppeln, für Frie-den, Barmherzigkeit, Verständnisund Hoffnung zu arbeiten.“

Auch muslimische Frauen habennach dem Anschlag in London einZeichen gesetzt. Die Aktion wurdevom „Women’s March“ Londonorganisiert. Die Frauen trugen dieFarbe Blau als Zeichen für Hoff-nung. Sie standen auf der Brücke,dort, wo das Auto des Attentäters indie Menge gerast war. „Es ist einAnschlag auf uns alle. Der Islamverurteilt Gewalt jeglicher Art. Dasist für uns verabscheuungswürdig“,so eine der beteiligten Frauen.

In Brüssel, wo des ein Jahr zuvorerfolgten Anschlags gedacht wur-de, rief Erzbischof Jozef De Keseldazu auf, sich für das friedlicheZusammenleben verschiedenerReligionen einzusetzen und derAngst vor dem Fremden zu wider-stehen. „Seien Sie standhaftgegenüber dem Terror der Angst“,sagte der Erzbischof. Der Terrorbedrohe die Gesellschaft, dasZusammenleben, die Freiheit unddie Werte, die die Menschen ver-einten. Die Angst vor dem „ande-ren“ dürfe sich nicht in den Herzeneinrichten.

Solidarität

Um dauerhaft wirksam zu werden,positiv in die Gesellschaft hinein zuwirken, braucht es mehr als kurzfri-stige Ermutigung. Angesichts zu-nehmender gesellschaftlicher Pola-risierung hat sich bereits im Herbst

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WWIIDDEERR DDEENN HHAASSSS!!

Wider den Hass!von Lieselotte Wohlgenannt

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2016 eine Initiative unter dem Mot-to „Christlich geht anders! Solidari-sche Antworten auf die Soziale Fra-ge“, zusammengefunden. Vertre-ter_innen aller christlichen Kirchenin Österreich und zahlreicher kirch-licher Organisationen, aber auchengagierte Einzelpersonen, habendazu eine Resolution unterschrie-ben. Es geht ihnen um den gesell-schaftlichen Zusammenhalt, um diegleiche Würde aller Menschen, umWiderstand gegen populistischeAngst- und Hassparolen.

Zu Pfingsten 2017 wird es denStartschuss für eine Unterschriften-aktion geben, und eine eigeneWebsite der Initiative. [Anm. der Red.: Inzwischen Onlineunter www.christlichgehtanders.at/]

Einen ganz wesentlichen Beitragfür den gesellschaftlichen Zusam-menhalt liefern Bewegungen undsolidarische Einrichtungen, die sichauf die eine oder andere Weise fürdas Wohl ihrer Mitbürger_inneneinsetzen. Institutionen wie dasRote Kreuz, die Diakonie oder dieCaritas tragen durch ihre Diensteund durch ihre Information dazubei, Verständnis für die wenigerBegünstigten in unserer Gesell-schaft – und darüber hinaus in derWelt – zu fördern.

Frieden braucht Versöhnung

Zusammenhalt und Frieden zustärken in einer Gesellschaft, dieweithin von Ablehnung der anderenund sogar von Hass geprägt ist,braucht neben Einsicht und gutemWillen auch Wissen und Können.So bietet der Internationale Versöh-nungsbund Seminare an, in denengewaltfreies Lösen von Konfliktengelehrt wird und geübt werdenkann.

Der Internationale Versöhnungs-bund (IFOR – International Fel-lowship of Reconciliation) wurdevor über hundert Jahren in denNiederlanden gegründet und istund war in vielen Ländern der Welt

aktiv. Er tritt ein für eine Kultur desMiteinanders, der Solidarität, derAchtung der Würde jedes Men-schen und der Menschenrechte. ImDialog mit Andersdenkenden wirdnach ge-meinsamen Lösungengesucht, um eine Kultur des Ver-trauens aufzubauen.

Seminare zur Konfliktlösung wer-den in Österreich nicht nur vomVersöhnungsbund, sondern auchvon einigen anderen Institutionenangeboten. Wesentliches Ziel sol-cher und ähnlicher Angebote ist es,die eigenen Grenzen zu erkennenund Verständnis und Offenheitgegenüber anderen Einstellungenund Lebensweisen zu erwerben,die die Grundlage für gegenseiti-gen Respekt und gemeinsameLösungen bilden .

Die Betroffenen

Freund_innen und Verwandte derGetöteten, Partner_innen, Elternoder Kinder, stehen am nächstenTag allein mit ihrer Trauer undihrem Schmerz, und die Wundewird noch lange nicht heilen. Wutund Hass werden bei manchen dieersten Reaktionen sein. Für anderemö-gen die Solidaritätskundgebun-gen und das Mitgefühl vieler Trostsein, weil sie sich nicht alleingelas-sen fühlen. Manche werden Jahrebrauchen, um sich zu versöhnenund Frieden zu finden.

Manche gehen noch weiter, wie dieEltern einer jungen Frau, die beidem Anschlag in Brüssel ihr Lebenverloren hat. In einem offenen Briefwenden sie sich an den Mörder:

„Da stehen wir nun, ein Jahrdanach. Wir, die direkten Opfer,Verwandte und Mitbetroffene Ihresschändlichen Tuns. Wir leben, wirbauen unser Leben wieder auf, wirsind solidarisch, und wenn wirimmer noch manchmal weinen,dann tun wir das gemeinsam mitvielen Frauen und Männern vonüberall her. Nicht ein einziges Malin diesem Jahr hat uns ein Gefühl

von Hass gestreift. Niemals habenwir soviel Liebe erfahren wie in die-sem Jahr.

Sie sind kein Held, bloß ein Mörder!Sie und all die anderen Terroristen,Sie und die gemeinsten und nieder-trächtigsten aller Feiglinge, dieIhnen eingeredet haben, dasSchlimmste zu vollziehen: Lebenzu zerstören. Wie Ihr Bruder und alldie andern von gestern und all dieandern, die morgen den Auslöserdes Schreckens drücken werden.

Wenn uns auch nach jedem Atten-tat Emotionen und Zweifel kom-men, so ist es doch das Leben, dasgewinnt, immer! Das Leben in derAchtung der anderen und derUnterschiede, das Leben, dasbereichert wird durch diese Ver-schiedenheit, ganz einfach undwesentlich, das Leben.“

Welche Ermutigung!

Lieselotte Wohlgenannt ist freieMitarbeiterin der ksoe im BereichGesellschaftspolitik.

Dieser Text erschien ursprünglicham 13. April 2017 auf dem Blogder Katholischen Sozialakade-mie Österreichs und kann unterhttp://blog.ksoe.at/wider-den-hassgefunden werden!

Seither haben bei Terroranschlä-gen weltweit, in Syrien, Ägypten,Griechenland, Frankreich, Afghani-stan, Italien, dem Vereinten König-reich, den Vereinigten Staaten,Australien, dem Iran, dem Irak,Kolumbien und Belgien über 600Menschen ihr Leben verloren.(Quelle:http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Terroranschlägen).

Wir teilen die Trauer der Angehöri-gen und haben Hochachtung vorjenen Betroffenen, die sich bewusstgegen Hass entscheiden und sichfür ein friedliches Miteinander ein-setzen.

WWIIDDEERR DDEENN HHAASSSS!!

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Durch das Völkerrecht sind alle Staaten verpflichtet,Verhandlungen für eine nukleare Abrüstung in redlicher Absicht zuführen und auch abzuschließen.

Nichtsdestotrotz haben es die Staaten, die Nuklearwaffen besit-zen, bisher verabsäumt, einen konkreten Fahrplan mit dem Zieleiner nuklearwaffenfreien Welt zu erarbeiten. Stattdessen investie-ren sie in die Modernisierung ihrer Nuklearwaffen mit der offen-kundigen Absicht, an ihnen auch zukünftig festzuhalten. Aber die-ses Verhalten darf nicht länger geduldet werden.

So lange Nuklearwaffen existieren, so lange besteht auch dieGefahr, dass sie eingesetzt werden. Ein Verbot ist dringend not-wendig..

Quelle: Gründe für ein Verbotauf www.icanaustria.at

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P.b.b.Internationaler VersöhnungsbundLederergasse 23/Hof2/St.3/Tür 27A-1080 Wien