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Viskosität und Formgebung von Glas

Stefan Kuhn

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Tel.: (9)48522

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1.1 Zielstellung

In diesem Praktikum soll der Flieÿpunkt der im Praktikumsversuch �Schmelzen von Glas� her-

gestellten AR®-Glasfäden bestimmt werden. Der Versuch unterteilt sich in zwei Abschnitte. Im

ersten Teil des Versuchs soll die Ober�ächenspannung und im zweiten Teil die Flieÿtemperatur

bestimmt werden.

1.2 Viskosität

Bei der De�nition der Viskosität geht man von folgender Modellvorstellung aus. Zwei

planparallele, von einer Flüssigkeitsschicht getrennte Platten der Fläche A werden gegeneinander

verschoben. Der Abstand der Platten betrage z. Um die Platten mit einer Geschwindigkeit v

gegeneinander zu verschieben benötigt man eine Kraft F, welche proportional zur Viskosität η ist.

F = η ·A · vz

Flüssigkeitsschichten werden hierbei gegeneinander bewegt (geschert). Die Bindungskräfte zwischen

den Schichten spiegeln sich in der Viskosität und somit in der benötigten Kraft wider.

Die SI-Einheit der Viskosität ist Pa·s. Es wird jedoch häu�g, aufgrund der Vergleichbarkeit zur

früher gebräuchlichen Einheit Poise, die Einheit dPas verwendet (1Poise = 1dPas).

Im Allgemeinen ist die Viskosität stark temperaturabhängig. Für die meisten Flüssigkeiten gilt

folgende Beziehung:

η = η∞ · eEAR·T

Dieser Boltzmann-Ansatz gilt für Flüssikeiten mit kugelförmigen Teilchen und nichtgerichteten

Bindungen und ist streng genommen nicht auf die hier betrachteten Gläser anwendbar. Die für

Gläser geltende Beziehung wird in Abschnitt 1.3.3 vorgestellt.

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1.3 Zusammenhang zwischen Viskosität und Glasstruktur am

Beispiel silicatischer Gläser

1.3.1 Unterschied zwischen Kristall und Glas

In kristallinen Materialien �ndet man sowohl Nahordnung als auch Fernordnung. Letztere kann mit

Hilfe der Röntgendi�raktometrie (XRD) nachgewiesen werden. Des weiteren �ndet man konstante

Bindungslängen und -winkel sowie einen scharfen Schmelzpunkt. Beim Aufschmelzen des Kristalls

bricht das Gitter zusammen und es ändern sich schlagartig nahezu alle physikalischen Eigenschaften.

(a) SiO2-Kristall (b) SiO2-Glas

Abbildung 1.1: Bindungsverhältnisse in kristallinem und amorphem SiO2

(drei Bindung in der Zeichenebene, die vierte ragt senkrecht entweder nach obenoder unten aus der Zeichenebene heraus)

Im Glas ist lediglich eine Nahordnung zu �nden, eine Fernordnung kann jedoch nicht nachgewiesen

werden. Es liegen variable Bindunglängen und -winkel vor, woraus ein zufälliges Netzwerk gebildet

wird. Im Gegensatz zum Kristall liegt im Falle des Glases ein Schmelzbereich vor. Hier ändern sich

die physikalischen Eigenschaften kontinuierlich.

1.3.2 Netzwerkbildner und Netzwerkwandler - Ein�uss auf die Viskosität

Netzwerkbildner (z.B. SiO2, B2O3, P2O5 oder GeO2) bauen das Glasnetzwerk auf. Im Falle des

SiO2 bildet sich ein dreidimensionales Netzwerk mit hohem Vernetzungsgrad. Aufgrund der starken

Bindungen in reinem SiO2 ist eine Verarbeitung erst ab Temperaturen von bis zu 2200°C möglich,

was groÿtechnisch mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Lösung des Problems besteht darin Netz-

werkwandler in das Glasnetzwerk einzubauen und die starken Si-O-Si-Bindungen (Brückensauer-

sto�) zu ö�nen. Gemäÿ folgender Reaktionsgleichung führt der Einbau von Na2O zur Bildung von

sogenannten Trennstellungsauersto�onen.

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Abbildung 1.2: Einbau von Na2O ins SiO2-Netzwerk

Hieraus wird deutlich, dass der Vernetzungsgrad abnimmt und pro Volumeneinheit weniger Brücken-

sauersto�bindungen vorliegen. Neben Na2O eignen sich sowohl andere Alkalioxide (Li, K, ...) als

auch Erdalkalioxide ((Be), Mg, Ca, ...).

Neben den Netzwerkbildnern und Netzwerkwandlern existiert noch eine weitere Gruppe, die Zwischen-

oxide. Diese nehmen, je nach chemischer Umgebung, die Rolle von Netzwerkbildnern oder Netzwerk-

wandlern ein. Alleine sind sie jedoch keine Glasbildner.

Das Kalk-Natron-Silicat-Glas ist das wohl am häu�gsten hergestellte Glas. Hierbei werden neben

SiO2, Na2O und CaO auch MgO und Al2O3 zugesetzt. Die Struktur eines solchen Glases ist nach-

folgend dargestellt.

Abbildung 1.3: Struktur eines Kalk-Natron-Silikat-Glases (SiO2, Na2O, CaO, Al2O3)

Aluminium nimmt hier die Rolle eines Netzwerkbildners ein und ist mit vier weiteren Sauersto�ionen

verbunden.

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1.3.3 Temperaturabhängigkeit der Viskosität der Gläser

Die Viskosität des oben erwähnten Kalk-Natron-Silicat-Glases durchläuft während des Verarbeitungs-

prozesses (Raumtemperatur bis 1500°C) einen Bereich von 10¹9 - 10² dPas (17 Gröÿenordnungen).

In jedem Viskositätsbereich �nden unterschiedliche Prozessschritte statt (Abb.1.4)

Abbildung 1.4: Verarbeitung bei unterschiedlichen Viskositäten

Aufgrund der Tatsache, dass für bestimmte Prozessschritte bestimmte Viskositäten nötig sind ist

es von groÿer Bedeutung die genaue Temperaturabhängigkeit der Viskosität zu kennen. Wie oben

bereits erwähnt ist dies nicht mit einem einfachen Boltzmann-Ansatz möglich. Die beste Anpassung

an experimentelle Ergebnisse liefert die Vogel-Fulcher-Tammann-Gleichung.

lg (η) = A+B

T − T0

Hierbei sind A, B und T0 experimentell bestimmbare Konstanten. Abb.1.5 zeigt exemplarisch den

Kurvenverlauf eines Glases.

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Abbildung 1.5: Temperaturabhängigkeit der Viskosität eines Kalk-Natron-Silicat-Glases

Die Steigung dieser Kurve gibt die Länge des Glases an. Ein langes Glas besitzt einen �achen

Kurvenverlauf, ein kurzes Glas einen steilen Kurvenverlauf.

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1.4 Messung der Viskosität

Ein Einblick in die Möglichkeiten der Messung der Viskosität bei erhöhten Temperaturen soll hier

anhand dreier Messmethoden gegeben werden. Die drei Methoden werden zur Messung unterschied-

licher Viskositäts- und Temperaturbereiche eingesetzt.

1.4.1 Balkenbiegeviskosimetrie

Mit Hilfe der Balkenbiegeviskosimetrie kann ein Temperaturbereich von 200-1000°C und ein Viskositäts-

bereich von 108 - 10¹5dPas abgedeckt werden. Der Messaufbau ist eine beheizte Dreipunktbiege-

vorrichtung (Balken: 50mm lang, 5mm hoch, 5mm breit) . Die Messgröÿe ist die Durchbiege-

geschwindigkeit bei der jeweiligen Temperatur.

Abbildung 1.6: Schema Balkenbiegeviskosimetrie

1.4.2 Fadenziehviskosimetrie

Die Fadenziehviskosimetrie liefert Viskositätswerte zwischen 107 und 10¹²dPas in einem Temperatur-

bereich von 200-1000°C. Ein Glasfaden (50mm lang; 0,6-1mm dick) wird einer Art beheiztem Zug-

versuch unterzogen. Messgröÿe ist die Streckgeschwindigkeit des Fadens bei der jeweiligen Temperatur.

Abbildung 1.7: Schema Fadenziehviskosimetrie

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1.4.3 Rotationsviskosimetrie

Für geringere Viskositäten (10²-107dPas) und höhere Temperaturen (200-1500°C) eignet sich die

Rotationsviskosimetrie. Ein Pt-Rotor wird in eine Glasschmelze, welche sich in einem beheizten

Pt-Tiegel be�ndet, getaucht und eine bestimmte Drehzahl eingestellt. Über das hierfür benötigte

Drehmoment kann die Viskosität bei der jeweiligen Temperatur bestimmt werden.

Abbildung 1.8: Schema Rotationsviskosimetrie

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1.5 Bestimmung des Flieÿpunkts nach Lillie

Die Flieÿpunktbestimmung nach Lillie liefert die Temperatur bei einer Viskosität von 104,85dPas.

1.5.1 Bestimmung der Ober�ächenspannung

(Referenzwert AR®-Glas: σ=300mNm )

Anforderungen an die Proben

Durchmesser der Glasfäden: 0,0500cm bis 0,0900cm (Toleranz ± 0,0005cm)

Fadenlänge: 85mm

Anzahl: 10 - 15

Vorgehensweise

1. Bestimmung des Durchmessers der zu untersuchenden Glasfäden (mindestens drei Messwerte

pro Faden � Fehler)

2. Anschmelzen einer Kugel

3. Länge der Fäden etwa 85mm

4. Einhängen des Fadens in die Halterung

5. Einstellungen am Gerät

Schalter

1

Schalter

2

Schalter

3

Schalter 4

(Stop

Schalter)

Schalter 5

(Start

Schalter)

Drehschalter

�ZAP�

(AN)

�Kanthal� nicht

�CAS�

oben �Start�

unten �Stop�

keine

Auswirkung

Spannungs-

steuerung

(180V)

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6. Start des Heizvorgangs (nachregeln der Spannung!)

7. nach Abriss des Tropfens � dünnen Faden abbrechen (etwa bis zur Dicke des ursprünglichen

Fadens) � Kugel wiegen

8. Einsetzen in die Formel (Fehlerfortp�anzung)

σ =2 ·m · gd · π

σ −Oberflachenspannung[mNm

]m−Masse des Tropfens [g]

g − Erdbeschleunigung[cms2

]d− ursprunglicher Durchmesser desFadens [cm]

1.5.2 Bestimmung des Flieÿpunkts

(Referenzwert: AR®-Glas: η(1040°C)=104dPas)

Anforderung an die Proben

Durchmesser der Glasfäden: 0,500mm bis 0,800mm (Toleranz ± 0,005mm)

Fadenlänge: 81mm unterhalb der oberen Kugel

Anzahl: 20

Vorgehensweise

1. Bestimmung des Durchmessers der zu untersuchenden Glasfäden (mindestens drei Messwerte

pro Faden � Fehler)

2. Anschmelzen der oberen Kugel

3. Abmessen von etwa 81mm unterhalb oberer Kugel � Brechen � genaue Länge L unterhalb

oberer Kugel notieren � untere Kugel anschmelzen

4. Berechnung der ziehenden Länge Lz

Lz =2 · σg · ρ · d

σ −Oberflachenspannung = 300mNm

g − Erdbeschleunigung[ms2

]ρ−Dichte = 2, 5 g

cm3

d−Durchmesser desFadens [mm]

5. Einstellen der ziehenden Länge am Gerät L′z = L− Lz

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6. Faden einhängen

7. Röntgen�lm an Faden anhängen und Versuchsraum abdecken

8. Einstellungen am Gerät

Schalter

1

Schalter

2

Schalter

3

Schalter 4

(Stop

Schalter)

Schalter 5

(Start

Schalter)

Drehschalter

�ZAP�

(AN)

�Mereni�

(Pt)

�CAS� keine

Auswirkung

Start der

Messung

Spannungs-

steuerung

(125V)

9. Stopuhr nullen

10. �Start� (Spannung nachregeln!)

11. Zeit notieren

12. Auftragung:

x-Achse Fadendurchmesser [mm]

y-Achse Flieÿzeit [s]

13. Linearer Fit und Bestimmung der Flieÿzeit τ bei 0,65mm Fadendurchmesser

14. Flieÿzeit bei 0,65mm Fadendurchmesser in Lillie-Gleichung einsetzen� Flieÿpunkt berechnen

T = T∞ −A

τ+B

τ 2

T∞ = 1354 °C

A = 4663 s

B = 2370 s2

15. Fehlerbetrachtung

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