13
Theoretische Physik Streutheorie und Lippmann-Schwinger-Gleichung Grundlagen und Überblick Thomas Rink Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Pflichtseminar - Quantenmechanik bei Prof. Georg Wolschin 29.11.2013

StreutheorieundLippmann-Schwinger-Gleichungwolschin/qms13_6s.pdf · 1Einleitung DervorliegendeTextisteineschriftlicheZusammenfassungdesimPflichtseminar”Quantenmechanik”bei ProfessorGeorgWolschingehaltenenenVortrages

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Theoretische Physik

Streutheorie und Lippmann-Schwinger-Gleichung

Grundlagen und Überblick

Thomas Rink

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Pflichtseminar - Quantenmechanik bei Prof. Georg Wolschin

29.11.2013

1 EinleitungDer vorliegende Text ist eine schriftliche Zusammenfassung des im Pflichtseminar ”Quantenmechanik” beiProfessor Georg Wolschin gehaltenenen Vortrages.

1.1 Motivation: Warum ist Streutheorie wichtig?Stoß- und Streuvorgänge spielen in vielen Breichen der modernen Physik eine wichtige Rolle. Neben der Kern-und Teilchenphysik, wo man Streuprozesse zur Untersuchung fundamentaler Wechselwirkungen und verschie-dener Wechselwirkungspotenziale verwendet, findet die theoretische Beschreibung von Streuvorgängen u. A.Einfluss in der Astrophysik, der Festkörperphysik sowie der Medizinischen Physik.Im Bereich der Astrophysik wird mit Hilfe der Streutheorie versucht, die Entstehung von Sternen und Planetenmit numerischen und theoretischen Methoden1 aus der Kollision kleinster Gas bzw. Staubteilchen zu erklä-ren. Die Festkörperphysik nutzt dagegen Streuexperimente mit Neutronen oder α-Teilchen, um Strukturen vongebundender Materie zu analysieren.

Für die folgenden Überlegungen gilt es verschiedene Stoß- bzw Streuprozesse zu unterschieden:

A+B →

A+B elastisch

A+B∗A+B + C

inelastisch

C Absorption

Im weiteren Verlauf wird sich nur mit der Thematik der elastisches Streuung auseinandergesetzt, auf derkomplexere Prozesse wie inelastische Streuungen und Absorptionen aufbauen.

1.2 Historische EntwicklungZunächst soll die Entwicklung der Streutheorie an einigen Entdeckungen dargestellt werden

• 1871: Klassische Erklärung der elastischen Streuung von elektromagnetischen Wellen an kleinen Partikelndurch John W. Rayleigh

• 1894: Phillip Lenards Streuversuche mit e− an Aluminiumfolie

• 1911: Ernest Rutherford’s Streuversuche mit α-Teilchen an Goldfolie⇒ Entwicklung eines neuen Atom-/Kernkonzept.

• 1922: Entdeckung und Erklärung des Compton-Effekt (nach Arthur H. Compton) durch den elastischenStoß zwischen einem Photon und einem freien Elektron

• ab 1930: Fortschritte in der Beschleunigerkonstruktion (1932 Zyklotron durch Ernest O. Lawrence; 1940Betatron durch Donald W. Kerst)

• 1950: Variationsmethoden der zeitabhängigen Streutheorie durch Bernard A. Lippmann und JulianSchwinger. Aufgrund dessen wird die grundlegende Formel zur Beschreibung von Streuphänomenen nachihnen bennannt.

1.3 Wiederholung: klassische StreutheorieDie Charakteristika der klassischen Streutheorie sollen im Folgenden am Beispiel der Streuung von Teilchen aneinem fest installierten Target (z.B. einer harten unendlich schweren Kugel) veranschaulicht werden.Annahme:Die Wechselwirkung zwischen Teilchen und Target wird durch ein rotationssymmetrisches Potential V (r) mitWirkungsbereich d dargestellt, wobei V (r) für große Abstände r d hinreichend stark abfällt. Nur dann kanndas Teilchen lange vor und nach nach der Streuung als frei angesehen werden.Zur Vereinfachung wird die Einfallsrichtung des Teilchens auf die z-Achse und das Streuzentrum in den Koor-

dinatenursprung gelegt sowie eine Beschreibung in Polarkoordinaten gewählt. Das Teilchen selbst bewege sichmit konstantem (Anfang-)Impuls ~pA = m ~v0 und vertikalem Abstand b (Stoß- bzw Streuparamter) geradlinigauf das Streuzentrum zu, wechselwirke dort und fliege gradlinig mit (End-)Impuls ~pE weiter, bis es schließlichin großer Entfernung (r → ∞) von einem Detektor nachgewiesen wird.Der gesamte Streuvorgang ist also durch die Anfangsgeschwindigkeit ~v0, den Stoßparameter b und das Wech-selwirkungspotential V (r) determiniert.

1Die Arbeitsgruppe von Prof. Cornelis Dullemond vom ITA der Universität Heidelberg beschäftigt sich mit diesemThema.

2

Abbildung 1: klassischer Streuvorgang

Mathematische Herleitung:Die Herleitung einer Bewegungsgleichung erfolgt unter Ausnutzung der drei klassischen Erhaltungsgrößen: En-ergie, Impuls, DrehimpulsMit den Randbedingungen θ0 = π, θ = θmin, r0 = ∞, r = rmin folgt für den Streuwinkel χ = 2θmin − π:

θmin = θ(b, v0) = π −∫ ∞

rmin

dr′

r′

∣∣∣∣∣1−(r′

b

)2 (1− 2V (r′)

mv02

)∣∣∣∣∣− 1

2

(1)

Für das Experiment, in dem meist ein ganzer Strahl auf das Streuzentrum trifft, muss man eine Varianz desStoßparameters db in Kauf genommen werden, was wiederum eine Streuung der darin befindlichen Teilchen inunterschiedliche Raumwinkel dΩ zur Folge hat.

Klassische Streugrößen:Um diesen Sachverhalt zu quantifizieren, werden Größen definiert, welche es erlauben auch in der späterenquantenmechanischen Betrachtung Streuungen zu beschreiben. Der sogenannte Wirkungsquerschnitt dσ ist wiefolgt definiert:

dσ =(Zahl der nach dΩ gestr. Teilchen)/s

(Zahl der einfallenden Teilchen)/s/m2⇒ dσ = b

∣∣∣∣ dbdχ∣∣∣∣ dϕdχ (2)

Durch Normierung des Wirkungsquerschni dσ auf die Einheitskugel dΩ erhält man den differentiellen Wirkungs-querschnitt:

dΩ=

b

sin(χ)

∣∣∣∣ dbdχ∣∣∣∣ (3)

Ein großer Vorteil des differentiellen Wirkungsquerschnittes ist seine Unabhängigkeit von der Detektorgeometrie!Integriert man diesen über den gesamten Raumwinkel dΩ, erhält man den totalen Wirkungsquerschnitt σtot:

σtot =

∫dΩ

dΩ=

(Zahl der gestreuten Teilchen)/s

(Zahl der einfallenden Teilchen)/s/m2(4)

Differentieller und totaler Wirkungsquerschnitt kann man sich als diejenige Fläche vorstellen, welche von denTeilchen senkrecht durchquert werden muss, um überhaupt abgelenkt zu werden. Obige Definitionen gelten auchfür nicht-rotationssymmetrische Potentiale.

2 Quantenmechanische Streutheorie

2.1 Grundlagen

Da in der Quantenphysik über die Begriffe Bahn (Trajektorie) und Stoßparameter keine klaren Aussagen mehrmöglich sind, ist ein Übergang zur Wellenmechanik sowie Wahrscheinlichkeitsaussagen erforderlich, um das Ver-halten eines Teilchen während eines Streuvorgangs hinreichend genau zu beschreiben. Das auf das Streupotentialeinfallende Teilchen wird durch ein einlaufendes Wellenpaket beschrieben, dessen Ausdehnung groß gegenüber

3

der Dimension des Streuers , aber klein gegenüber gewöhnlichen räumlichen Größen. Dies garantiert, dass dasWellenpaket während des Streuvorgangs nicht gleichzeitig mit Streuer und Detektor überlappt:

Ψ0(~x, t0) =

∫d3k

(2π)3exp(i~k~x)a~k (5)

Das Maximum der Formgebenden a~k liege dabei bei ~k0, sodass die Propagation des Wellenzugs mit fester Grup-pengeschwindigkeit ~v = ~

m~k0 in Richtung des Streupotentials geschieht.

Impulsunschärfe des Wellenpakets muss zudem so scharf gewählt werden, dass dessen Verbreiterung im Orts-raum während der Streuung vernachlässigt werden kann.2 Ziel der nachfolgenden Betrachtungen wird sein, dasVerhalten des Wellenpaket zu Zeiten nach der Wechselwirkung in einen endlichen Wirkungsbreich zu beschrei-ben.

2.2 Formale Lösung der Schrödinger-Gleichung

Es gilt zunächst den Einfluss des Streupotentials zu untersuchen. Für den Wechselwirkungsbereich mit demStreupotential V (~x) wird dazu die stationäre Schrödinger-Gleichung gelöst. Dazu seien Ψ~k(~x) die Eigenzuständedes dazugehörigen Hamiltonians. Für sie gilt:[

−~2∇2

2m+ V (~x)

]Ψ~k(~x) = E~k Ψ~k(~x) mit E~k =

~2k2

2m≥ 0 (6)

Es ist nun möglich das einfallende Wellenpaket in diesen Eigenfunktionen zu entwickeln:

Ψ0(~x, t0) =

∫d3k

(2π)3Ψ~kA~k (7)

A~k seien noch zu bestimmende Entwicklungskoeffizienten. Eventuell auftretende Bindungszustände fallen ex-ponentiell ab und haben speziell für Betrachtungen weit weg vom Streupotential keinen Einfluss. Das zeitlicheVerhalten dieser Entwicklung erhält man durch Multiplikation mit dem Zeitentwicklungsoperator.Lösungen der stationären Schrödinger-Gleichung:Durch Umformungen erhält man für obige Schrödinger-Gleichung:

(∇2 + k2) Ψ~k(~x) =2m

~2Ψ~k(~x) (8)

Die Form obiger Differential-Gleichung entspricht der aus der Elektrodynamik bekannten Helmholtz-Gleichung.Sie ist eine inhomogene Differentialgleichung, deren Inhomogenität abhängig von der gesuchten Funktion ist.Analog zur Elektrodynamik zieht man auch hier zu Lösung die Methode der Green’schen Funktion heran. Fürdiese muss gelten:

(∇2 + k2) G±(~x) = δ3(~x) (9)

Die vollständige Lösung der Schrödinger-Gleichung ist somit:

Ψ~k(~x) = exp(i~k~x) + 2m

~2

∫d3x′ G±(~x− ~x′) V (~x′) Ψ~k(

~x′) (10)

wobei der erste Term der allgemeinen Lösung und der zweite Term der partikulären Lösung entspricht. ÜberFourier-Transformation und deren Umkehr findet man als Ausdruck für G±(~x):

G±(~x) =

∫d3q

(2π)3exp(i~q~x)k2 − q2

=1

4π2ir

∫ +∞

−∞dq

q exp(iqr)q2 − k2

Die Pole des Integrals liegen in der komplexen Ebene, so dass man zu dessen Lösung den Resiudensatz heran-ziehen muss. Je nachdem, welchen Integrationsweg man in der komplexen Eben) (genauer: welchen Pol mandurch diesen Weg einschließt) wählt, ergeben sich unterschiedliche Lösungen G(±). Die physikalisch sinnvolle

2Für ein Gauß’sches Wellenpaket ist dies gerade der Fall, wenn gilt:

t(∆p)2

m~ 1

4

Abbildung 2: Integrationsweg der retardierten Green’schen Funktion G(+)

(die das Kausalitätsprinzip erhaltende) Lösung wird retardierte Green’sche Funktion G+(~x) genannt und manerhält eine (auslaufende) Kugelwelle: G+(~x) = − 1

4πexp(ikr)

rAls Lösung der stationären Schrödinger-Gleichung erhält man also:

Ψ~k(~x) = exp(i~k~x) + m

2π~2

∫d3x′ exp(ik|~x− ~x′|)

|~x− ~x′|V (~x′) Ψ~k(

~x′) (11)

Diese wird auch als Lippmann-Schwinger-Gleichung in Ortsdarstellung bezeichnet und ist die zentraleGleichung zur Beschreibung von Streuprozessen.

Fall: Detektor weit entfernt vom StreuerAnalog zur klassischen Theorie wird das Teilchen weit weg vom Potential detektiert, d.h. |~x| |~x′|. Es istalso zu rechtfertigen, den im Exponenten der Lippmann-Schwinger-Gleichung auftretenden Faktor k |~x − ~x′|mittels Taylor-Entwicklung zu nähern: k|~x− ~x′| ≈ kr−k ~x

r~x′ = kr− ~k′~x′ Für die Ortsdarstellung der Lippmann-

Schwinger-Gleichung folgt damit:

Ψ~k(~x) = exp(i~k~x) + exp(ikr)r

f~k(θ, ϕ) (12)

mit

f~k(θ, ϕ) = − m

2π~2

∫d3x′ exp(−i~k′~x′) V (~x′) Ψ~k(

~x′) (13)

Für die theoretische Auswertung experimenteller Streuuntersuchungen kann dies stets als allgemeine Gestaltder stationären Streulösung angenommen werden.

2.3 Asymptotisches Verhalten der Wellenfunktion

Da nun die Lösung der stationären Schrödinger-Gleichung bekannt ist, kann die Propagation des einfallendenWellenpakets weiter untersucht werden. Statt ebenen Wellen wird nun in Gleichung (5) die Lippmann-Schwinger-Gleichung in Ortsdarstellung für die Beschreibung des Wellenpakets verwendet:

Ψ0(~x, t) =

∫d3k

(2π)3a~k

[Ψk(~x) +

m

2m~2

∫d3x′ exp(ik|~x− ~x′|)

|~x− ~x′|V (~x′) Ψk(~x′)

](14)

Für den Fall, dass sich das Wellenpaket noch nicht auf das Streuzentrum gefallen ist bzw. nicht weit davonentfernt ist, gilt: k0 |~k − ~k0|. Näherung ergibt hier: k ≈ k = k0~k

(k0 =

~k0

k0

). Einsetzen in obige Gleichung

sorgt für den Wegfall des gesamten zweiten Terms. Man erhält also wieder den Ausdruck für das einfallendeWellenpaket Ψ0(~x, t0) in Abhängigkeit der Eigenzustände Ψ~k(~x). Der Vergleich mit der Entwicklung in Eigen-zustände aus Abschnitt 2.2 liefert, dass die Entwicklungskoeffizienten Ak gerade der formgebenden Funktion akentsprechen. Es gilt also für die Zeitentwicklung:

Ψ(~x, t) =

∫d3k

(2π)3Ψ~k a~k exp(− i

~E~k (t− t0)) (15)

Für große Abstände nach der Streuung ist die asymptotische Form der Wellenfunktion bekannt:

Ψ(~x, t) = Ψ0(~x, t) +

∫d3k

(2π)3a~k

exp i(kr − E~k

~ (t− t0))

rf~k(θ, ϕ)

5

wobei der erste Term einem sich zur Zeit t mit Gruppengeschwindigkeit ~v bewegenden Wellenpaket in Abwe-senheit des Streupotentials V (r) entspricht. Man erhält:

Ψ(~x, t) = Ψ0(~x, t) +f~k0

(θ, ϕ)

rΨ0(k0r, t) (16)

Die resultierende Wellenfunktion bei der Streuuung eines einfallenden Wellenpakets ist also eine Superpositi-on aus dem durchgehenden Wellenpaket und der entsprechend f~k(θ,ϕ)

r auf dΩ abgelenkten Streuwellenfunktion.Obiger Ausdruck gilt nicht bei starken Streuresonanzen (Verformungen des Wellenpakets) und bei Coulomb-Streuung (andere r-Abhängigkeit).

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Superposition aus einlaufender und gestreuter Welle

2.4 Streu-/Wirkungsquerschnitt

Als logischer Schluss aus obigen Betrachtungen folgt, dass die gesamte Information über den Streuvorgang inder Streuamplitude f~k(θ, ϕ) enthalten sein muss. Anhand eines Beispiels soll nun ein Ausdruck zur Berech-nung des quantenmechanischen differentiellen Wirkungsquerschnittes motiviert werden. Ein homoenergetischer

Abbildung 4: Aufbau eines typischen Streuexperiments

Strahl von Teilchen mit mittlerem Impuls < ~p >= ~kez bewege sich in z-Richtung auf ein im Urspung ( ~x = ~0) befindliches Streupotential zu.Die Detektion erfolgt auch hier erneut in weiter Ferne vom Ursprung. Wie bereits gezeigt, besitzt die Wellen-funktion für große Entfernung folgende Gestalt: Ψk

r→∞−−−−→ ΨIn +ΨSc

Für die folgende Herleitung genügt es die einlaufende Welle als ebene Welle und die gestreute Wellen als Ku-gelwelle zu betrachten:

ΨIn = exp(ikz) ΨSc = f(θ, ϕ)exp(ikr)

r(17)

Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsstromdichte, welche Aussagen über den Aufenthalt eines quantenmechani-schen Teilchens sowie dessen weitere Entwicklung erlaubt, kann der klassischen Definition des differentiellenWirkungsquerschnitts (3) Rechnung getragen werden: ~j = ~

2mi (Ψ∗∇Ψ−Ψ∇Ψ∗)

Die Wahrscheinlichkeit pro Zeitintervall, dass ein Teilchen vom Detektor im einem Raumwinkel nachgewiesenwird, ist die Projektion der Wahrscheinlichlichkeitsstromdichte ~jSc(~x,~k) auf die Streurichtung nSc multipliziert

6

mit dem entsprechenden Volumen: r2 dΩ ~jSc(~x,~k) nSc, nSc = (cosϕ sin θ, sinϕ sin θ, cos θ).Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte für den einfallen Teilchenstrahl ergibt sich ebenfalls durch die Projektionauf die Einfallsrichtung nIn: ~jIn(~x,~k) nIn, nIn = (0, 0, 1).Für den differentiellen Wirkungsquerschnitt folgt damit:

dΩ= lim

|~x|→∞

r2 dΩ ~jSc(~x,~k) nSc

~jIn(~x,~k) nIn

= |f(θ, ϕ)|2 (18)

2.5 Born’sche Reihe

Möchte man nun konkret die Streuamplitude eines Streuprozesses ausrechnen, so ist man auf die Kenntnis derWellenfunktion Ψ~k(~x) angewiesen. Diese muss jedoch im Vorfeld der Untersuchung iterativ berechnet werden,woraus sich die Born’sche Reihe ergibt:

Ψ~k(~x) = ΨIn(~x) +

∫d3x′V (~x′)G(~x− ~x′)ΨIn(~x′)︸ ︷︷ ︸

1. Ordnung

+

∫d3x′

∫d3x′′G(~x− ~x′)Ψ

(In

~x′)G(~x′ − ~x′′)ΨIn( ~x′′)︸ ︷︷ ︸2. Ordnung

+ . . .

(19)

Näherungen können getroffen werden, indem nur eine endliche Anzahl von Ordnung ”mitgenommen” wird. Manspricht von der n-ten Born’schen Näherung, wenn die Reihe nach (n-1)-Summanden für Ψ~k(~x) abbricht. Dieeinfachste Näherung ist offensichtlich die 1. Born’sche Näherung:

f (1)(θ, ϕ) = − m

2π~2

∫d3x′ exp(i∆~x′)V (~x′) mit ∆ = k(~nIn − ~nOut) (20)

Bis auf einen konstenten Faktor ist sie die Fourier-Transformierte des Potenials in Abhängigkeit des Impuls-übertrages ~∆.Abschätzung des Gültigkeitsbereichs:Die erste Born’sche Näherungen bringt erheblich Vereinfachungen mit sich, jedoch muss man sich in diesemZusammenhang nach der Gültigkeit dieser Näherung fragen. Eine notwendige Voraussetzung ist:|Ψ1(~r)| |Ψ0(~r)| = 1. Weiter ist die Näherung auf jeden Fall gültig, wenn Gültigkeit für ~r = ~0 nachgewiesenwerden kann. Mit z′ = r′cos θ und Ausführung der Winkelintegration erhält man aus obiger Gleichung für dieStreuamplitude: ∣∣∣∣∫ ∞

0

dr′V (r′)(exp(2ikr′)− 1)

∣∣∣∣ ~2k2m

(21)

Auf der Grundlage dieses Ausdruck sollen nun zwei Grenzfälle betrachtet werden:

1) große E ↔ große k:Für hohe Energien oszilliert die e-Funktion sehr rasch. Unter der Annahme, dass das Streupotential “einigermaßen“physikalisch (keine größeren Sprünge oder Definitionslücken) ist, kann diese vernächlässigt werden:∣∣∣∣∫ ∞

0

dr′V (r′)

∣∣∣∣ ~2k2m

(22)

Besitzt das Streupotential annähernd ”Topfcharakter”, so ist es möglich eine effektive Reichweite R0 und ge-wisse Tiefe V0 anzunehmen. Das Integral kann so weiter genähert werden: V0 R0 ~2k

2m

Für hohe Teilchenenergien und schwaches Streupotential ist die Born’sche Näherung also gültig:f (1)(θ, ϕ) klein → σ(1) klein

2) kleine E ↔ kleine k:Für kleine Energien kann die e-Funktion (taylor-)entwickelt werden: exp(2ikr) = 1 + 2ikr Man erhält:∣∣∣∣∫ ∞

0

dr′ r′ V (r′)

∣∣∣∣ ~2

2m(23)

Wird auch hier ein “topfähnliches“ Streupotential angenommen, folgt: V0 R20 ~2

2m

Diese Bedingung ist sehr einschränkend, da das Streupotential sehr viel kleiner sein muss, als die ohnehin schonkleine Teilchenenergie!

7

Abbildung 5: Potentialverlauf mit Topfcharakter

2.6 Partialwellenanalyse und Optisches Theorem

Im Folgenden soll eine Methode beschrieben werden, die Anwendung findet, wenn der Hamiltonian H des vollenStreuproblems mit den Drehimpulsoperatoren ~L

2und LZ kommutiert. Zudem soll azimutale Symmetrie vor-

ausgesetzt werden, d.h. der gesamte Streuprozess unabhängig von ϕ sein. Das Problem separiert in diesem Fallund kann in Eigenfunktionen der Drehimpulsoperatoren entwickelt werden. Aufgrund der ϕ-Unabhängigkeitreduziert sich diese Entwicklung auf Legendre-Polynome: Yl,0(θ, ϕ) =

√2l+14π Pl(cosθ) Da zudem die Form der

asymptotischen Wellenfunktion bekannt ist, kann die darin enthaltene ebene Welle ebenfalls nach Kugelflächen-funktionen entwickelt werden.Entwicklung einer ebenen Welle nach Kugelflächenfunktionen:

exp(i~k~r) =∞∑l=0

(2l + 1) il jl(kr) Pl(cos θ) (24)

Ein weiterer Ansatz ist die reine Entwicklung von Ψk(~x) in Kugelflächenfunktionen:

Ψk(~x) =

∞∑l=0

Al gl(r) Yl,0(θ) =

∞∑l=0

Al

√2l + 1

4πPl(cos θ ) (25)

seien Al die dazugehörigen Entwicklungskoeffizienten.Wird auch hier wieder die Annahme getroffen, dass das Streupotential einen begrenzten Wirkungsbreich be-sitzt, so kann gefolgert werden, dass sich der radiale Anteil der Entwicklung gl im Unendlichen annähernd wiedie Lösung eines freien Teilchens (V (r) = 0) verhält. Aus logischer Konsequenz äußert sich der Einfluss desStreupotential in einer Phasenverschiebeung δl zwischen gestreuter und nicht-gestreuter Welle:

gl(r)r→∞−−−−→ sin(kr − lπ/2 + δl)

kr(26)

Beide erhaltenen Ausdrücke lassen sich in ein- und auslaufende Wellenfunktionen trennen, woraus man durchKoeffizientenvergleich eine Entwicklung für die Streuamplitude f(θ) erhält:

f(θ) =1

k

∑l

(2l + 1) exp(iδl)sin(δl)Pl(cosθ) (27)

Diese erlaubt es unter Kenntnis der Streuphasen δl den Wirkungsquerschnitt zu berechnen. Dies bringt aufden ersten Blick erhebliche Vorteile, jedoch muss man feststellen, dass die Genauigkeit der Brechnung von derAnzahl der einfließenden Ordnungen abhängt. In der Praxis ist die gesamte Entwicklung also nur sinnvoll, wenndie l-Summe nach wenigen Termen abbricht.Für den differentiellen Wirkungsquerschnitt erhält man:

dΩ= |f(θ)|2 =

1

k

∑l,l′

(2l + 1)(2l′ + 1) sin(δl) sin(δl′)Pl(cos θ)Pl′(cos θ) (28)

Woraus sich nun der totale Wirkungsquerschnitt berechnen lässt:

σtot =

∫dΩ

dΩ=

k2

∑l

(2l + 1)sin2(δl) (29)

Der Vergleich mit dem Streuamplitude für den Winkel θ = 0:(f(0) = 1

k

∑l(2l + 1) exp(iδl) sin(δl)

)führt auf

das sogenannte Optische Theorem:

σtot =4π

kIm( f(0) ) (30)

8

Da bei einer elastischen Streuung die Teilchenzahl erhalten bleibt, kann man sich schnell klarmachen, dass dieIntensität an gestreuten Teilchen, welche über den totalen Wirkungsquerschnitts gegeben wird, aus der einfallen-den Welle weginterferiert werden muss. Dies sorgt also in Einfallsrichtung der Teilchen für einen Teilchenschattenim Bereich hinter dem Streuzentrum.

Praxis:Abschließend soll betrachtet werden, ab wann die Reihentwicklung der Streuamplitude abbricht. In der klassi-schen Streuthreorie findet eine Streuung nur statt von der Stoßparameter b kleiner als die effektive ReichweiteR0 des Streupotentials ist: b R0 (Bsp: Streuung an einer harten Kugel mit Radius R). Betrachtet man dieStreuung an einem Zentralpotential, so ist der klassische Drehimpuls ~L eine Erhaltungsgröße:

|~L| = |~r × ~p| = const ⇒ b p∞ = b√2mE

p∞: Impuls in großer Entfernung.Obige Streubedingung lässt jedoch keine beliebigen Drehimpulse zu: |~L| ≤ R0

√2mE

Durch Anwendung des Korrespondenzprinzips lässt sich eine Bedingung für die Drehimpulsquantenzahl beipotentiellen Streuprozessen aufstellen:

l ≤√

l(l + 1) ≤ R0

~√2mE = k R0 (31)

Ab einem maximalen Drehimpuls von l0 ≈ kR0 sollten die Beiträge der Reihenentwicklung für höhere Ordnungvernächlässigbar sein.

2.7 Streuphasen

Die Streuphasen geben in der Partialwellenanalyse die charakteristische Phasenverschiebung zwischen gestreuterund nicht-gestreuter Welle an. Ihre Berechnung ist jedoch allgemein schwierig und mit starken Einschränkungenverbunden. Ziel soll nun sein, eine Darstellung zu finden, die eine möglichst einfache Berechnung der Streuphasenδl ermöglicht.Ausgangspunkt für die folgende Betrachtung ist die radiale Schrödinger-Gleichung und deren asymptotischeLösung:

u′′l (r) +

[k2 − 2m

~2V (r)− l(l + 1)

r2

]ul(r) = 0 ⇒ ul(r) ∼

1

kil(2l + 1) exp(iδl) sin

(kr − lπ

2+ δl

)(32)

mit ul(r) = rRl(r) und der Randbedingung, dass ul(r) im Ursprung regulär ist: ul(0) = 0.Da das Potential einen endlichen Wirkungsbereich besitzt, kann es weit weg vom Ursprung Null gesetzt werden.Man erhält die freie Schrödinger-Gleichung mit ihrer asymptotischen Lösung unter Bedingung der Regularitätim Ursprung (vl(0) = 0):

v′′l (r) +

[k2 − l(l + 1)

r2

]vl(r) = 0 ⇒ vl(r)

r→∞−→ 1

kil(2l + 1)sin

(kr − lπ

2

)(33)

Aus beiden Differentialgleichungen kann durch einfache Mathematik ein Ausdruck gewonnen werden, der dieStreuphase in Abhängikeit des Streupotentials beschreibt:

⇒ il(2l + 1) exp(iδl) sin(δl) = −2m

~2

∫ ∞

0

dr V (r)[kr jl(kr)]ul(r) (34)

Jedoch weißt dieser eine zusätzliche Abhängigkeit von der vollen unbekannten Lösung ul(r) auf. Unter derAnnahme, dass V (r) klein ist oder einen geringen Wirkungsbereich besitzt, kann gesagt werden, dass sichvollständige ul(r) und freie Lösung vl(r) kaum unterscheiden und die auftretenden Streuphasen klein sind, waszur Born’schen Näherung der Streuphase führt:

δl ≈ −2mk

~

∫ ∞

0

dr V (r)[kr jl(kr)]2 (35)

Auch hier soll eine Betrachtung der Grenzfälle die Gültigkeit der Näherung abschätzen:

9

1) kleine E ↔ kleine k:Die sphärische Besselfunktion z jl(z) besitzt bei z =

√l(l + 1) einen Wendepunkt und wächst bis dahin annä-

hernd wie zl+1. Damit das obige Integral klein bleibt, muss kr jl(kr) innerhalb des effektiven Bereichs R0 desPotentials klein bleiben:

kr ≤√l(l + 1) → R0 ≤ 1

k

√l(l + 1) (36)

Die Näherung gilt also höchstens, wenn kr ≤√

l(l + 1). Aus Partialwellenanalyse ist jedoch bekannt, dass dieBedingung gerade für die l gilt, welche auf den Streuprozess keinen Einfluss haben.Die Born’sche Näherung bleibt fraglich und gilt immer für den Einzelfall zu prüfen.

2) große E ↔ große k:Der Term [kr jl(kr)]

2 ist für alle Argumente beschränkt ist. Die rechte Seite der Born’schen Streuphasennähe-rung ist also klein, wenn gilt:

2m

~2k

∫ ∞

0

dr |V (r)| 1 (37)

Für große Teilchenenergien und schwache WW-Potentiale ist die Born’sche Näherung für alle l gültig!

3 Formale Streutheorie

3.1 Lippmann-Schwinger-Gleichung

Es soll nun der Übergang zur abstrakteren Dirac-Notation vollzogen werden, welche erlaubt, den Streuprozessdarstellungsfrei und zu beliebigen Zeiten zu untersuchen. Die Beschreibung des Systems bzw. des einfallendenTeilchens erfolgt durch einen zeitabhängigen Zustandsvektor im Hilbert-Raum |Ψ(t)〉, dessen Entwicklung durcheinen Hamilton-Operator H beschrieben wird. Es wird gefordert, dass sich dieser in einen freien H0 und einenWechselwirkungsteil H1 separieren lässt: H = H0 + H1. Weit entfernt vom Streupotential soll der Einflussdes Streupotentials V (r) verschwinden; die Entwicklung von |Ψ(t)〉 soll also allein durch H0 = ~p2

2m bestimmtwerden. Dieser besitzt ein vollständiges und orthonormales Spektrum von Eigenvektoren mit kontinuierlichenEigenwerten, sodass für die stationäre Schrödinger-Gleichung folgt: H0 |E(0)

n 〉 = En |E(0)n 〉.

Zum Zeitpunkt t = 0 sei die Wechselwirkung zunächst “ausgeschaltet“, sodass für den Anfangszustand gilt:

|Ψ0(t)〉 =∫

dn an Un(t, 0) |E(0)n 〉 (38)

Für spätere Zeiten t 6= 0 kann der allgemeine Zustand |Ψ(t)〉 nicht ohne Weiteres durch |Ψ0(t)〉 beschriebenwerden. Mit Hilfe des Zeitentwicklungsoperators und der Forderung, dass ein solcher Grenzwert existiert, kannder Zustand |Ψ(t → −∞)〉 mit dem allgemeinen Zustand verknüpft werden: |Ψ(t)〉 = lim

t′→−∞U(t, t′) |Ψ0(t

′)〉.

Alternativ lässt sich ein Zustand |E(+)n 〉 postulieren, für den gilt3:

|Ψ(t)〉 =∫

dn anU(0)n (t, 0) |E(+)

n 〉 , |E(+)n 〉 = lim

t′→−∞exp(− i

~(E(0)

n − H)t′) |E(0)n 〉 (39)

Man findet für die Entwicklung für |E(+)n 〉:

|E(+)n 〉 = |E(0)

n 〉+ R(+)n H1 |E(+)

n 〉 mitR(±)n =

1

E(0)n − H0 ± i0+

(40)

Man kann zeigen, dass dies die abstrakte Gestalt der Lippmann-Schwinger-Gleichung ist. R(±)n wird als

Green’scher Operator zu H0 bezeichnet, wobei der Operator R(−)n für den später Verwendung findenden Zustand

|E(−)n 〉 gilt. Das Infinitesimal i0+ gibt an dieser Stelle lediglich den richtigen Integrationswegs in der komplexen

3Natürlich lässt sich |E(+)n 〉 formal exakt herleiten. Im Rahmen des Vortrages und dieser Auswertung wird er zunächst

postuliert, um später durch Übergang in die Ortsdarstallung indirekt bewiesen zu werden.

10

Ebene analog zu Abschnitt 2.2 an. Dies wird klar, wenn der Übergang in die Ortsdarstellung vollzogen wird.Auch an dieser Stelle ist eine Rekursion erkennbar, sodass analog zur Ortsdarstellung eine ”Born’sche Reihe”gefunden werden kann:

|E(+)n 〉 =

∞∑m=0

|E(m)n 〉, |E(m=0)

n 〉 = |E(0)n 〉 , |E(m)

n 〉 = R(+)n H1 |E(m−1)

n 〉 (41)

Allgemeine Darstellung der Streuamplitude:Abschließend soll noch eine allgemeinere Darstellung der Streuamplitude in Dirac-Notation hergeleitet werden:

f(θ, ϕ) = − m

2π~2

∫d3x′V (~x′) Ψ(~x′) exp(−i~k~x′) = −4π2m

~2〈~k|H1 |E(+)

n 〉

3.2 Streu- und Transfermatrizen

Im Fokus der folgenden Betrachtung sollen nun endliche Zeiten betrachtet werden, welche im weiteren Verlaufauf die Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen freien Zuständen (t → −∞) und Streuzuständen (t → ∞)führen werden.Es folgt zunächst eine Entwicklung der Anfangs- und Endzustände nach Eigenzuständen des freien Hamilton-Operators H0, wobei postuliert wurde, dass die so definierten Grenzwerte existieren4:

limt→−∞

|Ψ(t)〉 = limt→−∞

∫dn αn exp(− i

~E(0)

n t) |E(0)n 〉 , lim

t→∞|Ψ(t)〉 = lim

t→∞

∫dn βn exp(− i

~E(0)

n t) |E(0)n 〉

Ziel soll nun sein, die Entwicklungskoeffizienten βn aus vorgegebenen Koeffizienten αn bestimmen zu können.Durch den Übergang zum Wechselwirkungs-/Dirac-Bild können oben definierte Grenzwerte vereinfacht darge-stellt werden:

limt→−∞

|ΨD(t)〉 =∫

dn αn |E(0)n 〉 , lim

t→ +∞|ΨD(t)〉 =

∫dn βn |E(0)

n 〉 (42)

Die Wahrscheinlichkeitsamplitude für den Fall, dass sich ein Teilchen zur Zeit t in einem freien Zustand |E(0)m 〉

befindet, ergibt sich durch Multiplikation mit dem Zustand |ΨD(t)〉:

〈E(0)m |ΨD(t)〉 = 〈E(0)

m | UD(t, t′) |ΨD(t′)〉 =∫

dn 〈E(0)m | UD(t, t′) |E(0)

n 〉 〈E(0)n |ΨD(t′)〉 (43)

Im letzten Schritt wurde die Vollständigkeit der Energiezustände ausgenutzt und eine 1 eingefügt. Betrachetman weiter den letzten Faktor für Zeiten vor und nach der Streuung so gilt offensichtlich:

limt→∞

〈E(0)m |ΨD(t)〉 = βm, lim

t′→−∞〈E(0)

n |ΨD(t′)〉 = αn (44)

Diese Grenzwerte werden nun genutzt, um obigen Ausdruck der Wahrscheinlichkeitsamplitude für beliebigeZeiten vor und nach der Streuung zu verallgemeinern:

βm =

∫dn 〈E(0)

m |UD(+∞,−∞) |E(0)n 〉αn

Was zur sogenannten Streumatrix S führt, deren Elemente oben ersichtlich definiert sind:

βm =

∫dn Smn αn (45)

Diese sind nichts Anderes als die asymptotischen Übergangswahrscheinlichkeitsamplituden zwischen den freienZuständen |E(0)

n 〉 und |E(0)m 〉. Der noch etwas unhandliche Ausdruck der Streumatrizen soll noch etwas konkre-

tisiert werden. Dazu wird der Zeitentwicklungsoperator des Dirac-Bildes durch endliche Zeiten t, t′ ausgedrücktund diese gegen ±∞ laufen lassen:

Smn = limt→∞

limt′→−∞

〈E(0)m |UD(t, t′) |E(0)

n 〉

4Die Existenz lässt sich natürlich auch hier formal beweisen.

11

An dieser Stelle postuliert man die Existenz der Zustände |E(±)n 〉, welche sich wie folgt ergeben:

|E(±)n 〉 = ±i0+ G±

n |E(0)n 〉 mit G±

n =1

E(0)n − H ± i0+

(46)

G(±)n wird analog zu R

(±)n als Green’scher Operator zu H bezeichnet. Man kann zeigen, dass die so definierten

Zustände orthonormale Eigenzustände des vollen Hamiltonians H sind. Die Lippmann-Schwinger-Gleichung ausAbschnitt (3.1) verallgemeinert sich auf diese wie folgt:

|E(±)n 〉 = |E(0)

n 〉+ G(±)n H1 |E(0)

n 〉 (47)

Die Gestalt der Streumatrix S kann nun genauer bestimmt werden, wobei man ausnutzt, dass sich Smn überdie “neuen“ Zustände ausdrücken lässt: 〈E(−)

m |E(+)n 〉. Mit der Antihermitezität des Green’schen Operators und

der Lippmann-Schwinger-Gleichung findet man:

Smn = δ(m− n)− 〈E(0)m |H1 (G(+)

m −G(−)m ) |E(+)

n 〉 (48)

Unter Anwendung der Green’schen Operatoren und der Definition der δ-Distribution: 5 erhält man die soge-nannte Grundformel der Streutheorie:

Smn = δ(m− n)− 2πi δ(E(0)m − E(0)

n ) 〈E(0)m |H1 |E(+)

n 〉 (49)

In diesem Zusammenhang soll noch die sogenannte Transfermatrix T definiert werden:

H1 |E(+)n 〉 = T (n) |E(0)

n 〉 mit T (n) = H1 (1 + G(+)n H1) (50)

Mit Hilfe dieser Matrix kann die Grundformel der Streutheorie allein auf freie Zustände zurückgeführt werden:

Smn = δ(m− n)− 2πi δ(E(0)m − E(0)

n ) 〈E(0)m |T (n) |E(0)

n 〉 (51)

Die Koeefizienten βn des asymptotischen Endzustands lassen sich mit Smn nun in Abhängigkeit der Koeffizientenαn des asymptotischen Anfangszustandes setzen:

βm = αm − 2πi

∫dn δ(E(0)

m − E(0)m ) 〈E(0)

m |T (n) |E(0)n 〉 (52)

Der erste Term des obigen Ausdrucks kann der durchgehenden Welle zugeschrieben werden, da bei fehlen-der Welchselwirkung (H1 = 0 ⇒ T (n) = 0) einlaufende und auslaufende Welle gleich sein sollten. Auchbei wirkendem Streupotential liefert diese einen Beitrag zur Streuwellenfunktion. Die im Ausdruck enthalte-ne δ-Distribution sorgt für die zu fordernde Energierhaltung.Die Transfermatrix bzw. ihre Elemente bestimmenalso die Stärke der gesamten Streuung. Die exakte Berechnung der gesamten Matrix ist, wie zu erahnen, auf-wändig. Ausgehend von der Definitionsgleichung soll hier ein iterativer Näherungsausdruck angegeben werden:

T (n) =

∞∑m=0

[T (n)

](m)

,[T (n)

](0)= H1,

[T (n)

](m)

= H1R(+)n

[T (n)

](m−1)

Abschließend kann die Streumatrix in den Impulseigenzuständen |k〉 dargestellt werden, um die Streuamplitu-de f(θ, ϕ) auf die Transfermatrix zurückzuführen.Sei ~k der Vektor in Einfallsrichtung und |k′〉 der Vektor inStreurichtung:

f~k(θ, ϕ) = −4π2m

~2〈~k′|T (~k) |~k〉 (53)

Unter Kenntnis der Transfermatrix ist es nun möglich, die charakteristischen Streugrößen zu berechnen.

5Approximation der δ-Distribution über Lorentzkurven:δ(x) = lim

ε→0+

εx2+ε2

⇒(G

(+)m −G

(−)m

)|E(+)

n 〉 = −2πiδ(E(0)m − E

(0)n )

12

Literatur

4 Zusammenfassung

Als Fazit der obigen Ausführungen lässt sich ziehen, dass die Streuamplitude die charakteristische Größe zurBeschreibung von Streuprozessen ist. Mit ihrer Hilfe lassen sich konkrete Voraussagen über experimentelle Aus-gänge tätigen bzw. experimentelle Resultate mit dem den Streuprozess bestimmenden WechselwirkungspotentialV (~x) verknüpfen. Weiter wurden mit der Partialwellen- und Streuphasenanalyse sowie der Born’schen ReiheMethoden vorgestellt, welche Streuprozesse geschickt beschreiben und im jeweiligen Fall vereinfachen lassen.Die formale Streutheorie bietet darüber hinaus elegante Werkzeuge, mit denen sich Streuprozesse mathema-tisch sauber und darstellungsunabhängig formulieren lassen.Als Ausblick auf die nicht behandelten Stoßprozesse sei noch zu sagen, dass die explizite Erzeugung und Vernich-tung von Teilchen im Rahmen der Quantenfeldtheorien beschrieben wird. Um innere Anregungen von Teilchenzu beschreiben, gilt es den wirkenden Hamilton-Operator um entsprechende Terme zu erweitern. Für den Fallvon Absorptionen kann vereinfacht auch mit komplexen Potentialen gearbeitet werden, welche im günstigenFall die Wahrscheinlichkeitsstromdichte eines Systems reduzieren.Für weierführende Informationen sei auf das beigefügte Literaturverzeichnis verwiesen.

Abbildungsverzeichnis1 klassischer Streuvorgang

Quelle: A.Wachter, H.Hoeber - Repetitorium theo. Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Integrationsweg der retardierten Green’schen Funktion G(+)

Quelle: F.Schwabl - Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Schematische Darstellung der Superposition aus einlaufender und gestreuter Welle

Quelle: F.Schwabl - Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Aufbau eines typischen Streuexperiments

Quelle: A.Wachter, H.Hoeber - Repetitorium theo. Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Potentialverlauf mit Topfcharakter

Quelle: W.Nolting - Quantenmechanik Methoden und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Literatur

[1] A.Wachter und H.Hoeber. Repetitorium theoretische Physik. 2. Aufl. Berlin ; Heidelberg [u.a.]:Springer, 2005.

[2] B.A. Lippmann und J. Schwinger. “Variational Principles for Scattering Processes. I”. In: Phys.Rev. (1950). url: http://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRev.79.469.

[3] C. J. Joachain. Quantum collision theory. Amsterdam: North-Holland, 1975.[4] B. A. Lippmann. “Variational Principles for Scattering Processes. II. Scattering of Slow Neutrons

by Para-Hydrogen”. In: Phys. Rev. (1950). url: http://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRev.79.481.

[5] A. Messiah. Quantenmechanik/2. 2. Aufl. Berlin: de Gruyter, 1985.[6] W. Nolting. Quantenmechanik - Methoden und Anwendungen. 7. Aufl. Berlin ; Heidelberg [u.a.]:

Springer, 2012.[7] F. Schwabl. Quantenmechanik (QM I). 7. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer, 2007.[8] B. Simons. Lecture 20-21: Scattering theory. Nov. 2013. url: http://www.tcm.phy.cam.ac.

uk/~bds10/aqp/lec20-21_compressed.pdf.[9] N. Straumann. Quantenmechanik - ein Grundkurs über nichtrelativistische Quantentheorie. Ber-

lin ; Heidelberg [u.a.]: Springer, 2002.[10] Wikipedia. Zeittafel physikalischer Entdeckungen @ONLINE. Nov. 2013. url: http : / / de .

wikipedia.org/wiki/Zeittafel_physikalischer_Entdeckungen.

13