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Struktur von metallischen Gläsern: Experimente und Modelle Peter Lamparter Max-Planck-Institut für Metallforschung, Seestraße. 92, D 70174 Stuttgart Zusammenfassung: Strukturelle gemeinsame Eigenschaften von metallischen Gläsern werden an Hand von repräsentativen Beispielen beschrieben. Experimentell ermittelte partielle Paarkorrelationsfunktionen zeigen, dass in den Gläsern eine chemische Nahordnung vorliegt. Der Atomgrößeneffekt führt dazu, dass eine quantitative Charakterisierung dieser Nahordnung und die Unterscheidung zwischen topologischer und chemischer Nahordnung nicht eindeutig möglich ist. Modellrechnungen mit der Reverse Monte Carlo Methode liefern keinen Nachweis von spezifischen strukturellen Einheiten. Beladung von metallischen Gläsern mit Wasserstoff bewirkt neben der Aufweitung der Struktur auch eine Umordnung der Wirtsatome. 1 Einleitung Im Rahmen von Untersuchungen der Struktur von metallischen Gläsern mit Beugungsmethoden werden diese mit Hilfe von partiellen Korrelationsfunktionen beschrieben, wobei zwei Formalismen möglich sind: partielle Paarkorrelationsfunktionen G ij (R) beschreiben die lokale Dichte von j Atomen um ein zentrales i Atom [1] (drei Funktionen für ein zweikomponentiges System). Mit der alternativen Bhatia-Thornton Methode [2] wird die Struktur mit drei partiellen Funktionen G nc (R), der topologischen Nahordnung G NN (R), der chemischen Nahordnung G CC (R) und dem Größeneffekt G NC (R), beschrieben. Inzwischen liegen experimentell ermittelte partielle Strukturfunktionen und entsprechende Strukturmodelle für metallische Gläser aus den verschiedenen Gruppen vor. Beispiele sind: Metall-Metalloid Gläser, Ni 80 B 20 [3,4], Ni 80 P 20 [4,5], Ti-Si [6], Gläser aus zwei Übergangsmetallen, Ni-Nb [7,8], und aus einem Übergangsmetall und einem Seltenerdmetall, Dy 44 Ni 56 [9,10]. In diesem Artikel sollen einige grundlegende strukturelle Eigenschaften von metallischen Gläsern vorgestellt werden. Da dies mit wenigen ausgewählten Beispielen möglich ist, kann auf die Präsentation umfangreicher Daten verzichtet werden. Eine ausführliche Beschreibung der hier verwendeten Definitionen (und der Gleichungen) findet sich z.B. in [11]. 2 Experimentelle Ermittlung partieller Strukturfunktionen Das Ziel einer Untersuchung der Struktur einer amorphen Substanz ist es, die partiellen Paarkorrelationen G ij (R) experimentell zu ermitteln durch Anwendung einer Methode der Kontrastvariation, d.h. Variation der Gewichtsfaktoren der partiellen G ij (R) in Beugungsexperimenten. Die Methode der Isotopensubstitution ist dazu am besten geeignet. Abb. 1 zeigt die partiellen G ij (R) und Abb. 2 die partiellen G nc (R) von amorphem Dy 44 Ni 56 , die durch Neutronenbeugung mit Isotopensubstitution ermittelt wurden [9]. Dabei konnte mit natürlichem Nickel nat Ni (b = 1.03 10 -12 cm), dem Isotop 62 Ni (b = -0.84 10 -12 cm) und einem Gemisch mit einer Streulänge von Null 0 Ni (b = 0 10 -12 cm) eine starke Variation des Kontrasts erreicht werden, wodurch sich zuverlässige partielle Funktionen ergaben.

Struktur von metallischen Gläsern: Experimente und Modelle · Beispiele sind: Metall-Metalloid Gläser, Ni 80B 20 [3,4], Ni 80P 20 [4,5], Ti-Si [6], Gläser aus zwei Übergangsmetallen,

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Struktur von metallischen Gläsern: Experimente und Modelle

Peter Lamparter

Max-Planck-Institut für Metallforschung, Seestraße. 92, D 70174 Stuttgart

Zusammenfassung: Strukturelle gemeinsame Eigenschaften von metallischen Gläsernwerden an Hand von repräsentativen Beispielen beschrieben. Experimentell ermitteltepartielle Paarkorrelationsfunktionen zeigen, dass in den Gläsern eine chemische Nahordnungvorliegt. Der Atomgrößeneffekt führt dazu, dass eine quantitative Charakterisierung dieserNahordnung und die Unterscheidung zwischen topologischer und chemischer Nahordnungnicht eindeutig möglich ist. Modellrechnungen mit der Reverse Monte Carlo Methode liefernkeinen Nachweis von spezifischen strukturellen Einheiten. Beladung von metallischenGläsern mit Wasserstoff bewirkt neben der Aufweitung der Struktur auch eine Umordnungder Wirtsatome.

1 Einleitung

Im Rahmen von Untersuchungen der Struktur von metallischen Gläsern mitBeugungsmethoden werden diese mit Hilfe von partiellen Korrelationsfunktionenbeschrieben, wobei zwei Formalismen möglich sind: partielle PaarkorrelationsfunktionenGij(R) beschreiben die lokale Dichte von j Atomen um ein zentrales i Atom [1] (dreiFunktionen für ein zweikomponentiges System). Mit der alternativen Bhatia-ThorntonMethode [2] wird die Struktur mit drei partiellen Funktionen Gnc(R), der topologischenNahordnung GNN(R), der chemischen Nahordnung GCC(R) und dem Größeneffekt GNC(R),beschrieben. Inzwischen liegen experimentell ermittelte partielle Strukturfunktionen undentsprechende Strukturmodelle für metallische Gläser aus den verschiedenen Gruppen vor.Beispiele sind: Metall-Metalloid Gläser, Ni80B20 [3,4], Ni80P20 [4,5], Ti-Si [6], Gläser auszwei Übergangsmetallen, Ni-Nb [7,8], und aus einem Übergangsmetall und einemSeltenerdmetall, Dy44Ni56 [9,10]. In diesem Artikel sollen einige grundlegende strukturelleEigenschaften von metallischen Gläsern vorgestellt werden. Da dies mit wenigenausgewählten Beispielen möglich ist, kann auf die Präsentation umfangreicher Datenverzichtet werden. Eine ausführliche Beschreibung der hier verwendeten Definitionen (undder Gleichungen) findet sich z.B. in [11].

2 Experimentelle Ermittlung partieller Strukturfunktionen

Das Ziel einer Untersuchung der Struktur einer amorphen Substanz ist es, die partiellenPaarkorrelationen Gij(R) experimentell zu ermitteln durch Anwendung einer Methode derKontrastvariation, d.h. Variation der Gewichtsfaktoren der partiellen Gij(R) inBeugungsexperimenten. Die Methode der Isotopensubstitution ist dazu am besten geeignet.Abb. 1 zeigt die partiellen Gij(R) und Abb. 2 die partiellen Gnc(R) von amorphem Dy44Ni56,die durch Neutronenbeugung mit Isotopensubstitution ermittelt wurden [9]. Dabei konnte mitnatürlichem Nickel natNi (b = 1.03 ⋅ 10-12 cm), dem Isotop 62Ni (b = -0.84 ⋅ 10-12 cm) undeinem Gemisch mit einer Streulänge von Null 0Ni (b = 0 ⋅ 10-12 cm) eine starke Variation desKontrasts erreicht werden, wodurch sich zuverlässige partielle Funktionen ergaben.

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Da jedoch die Anzahl geeigneter Isotope sehr begrenzt ist und diese oft sehr teuer sind, sindalternative Methoden wichtig. Die Kombination von Röntgen- und Neutronenbeugung istdann besonders geeignet, wenn die Streulängen der beteiligten Elemente einen großenKontrast aufweisen. Das System Ti-Si ist ein Beispiel dafür [6], da die Streulänge von Ti fürNeutronen negativ ist. Die totalen G

X(R) und G

N(R) in Abb. 3 weisen einen sehr starken

Kontrast auf, so erscheint der Ti-Si Beitrag mit Neutronen als ausgeprägter negativer Peak beiRTiSi ≈ 2.6 Å. Da jedoch mit Röntgen- und Neutronenstrahlen nur zwei Experimente zurVerfügung stehen, wird zur Ermittlung der 3 partiellen Gij(R) eine zusätzliche Informationoder Annahme benötigt. Oft wurde der Beitrag einer der drei Gij(R) oder der Beitrag desGrößeneffekts GNC(R) vernachlässigt. Besser ist es, die zusätzliche Information aus einemModell zu gewinnen. Der Größeneffekt GNC(R) ist hierzu besonders geeignet, da er nicht sehrvon der spezifischen Struktur des Systems abhängt. Als Alternative zu der häufig gemachtenAnnahme GNC(R) = 0 oder Modellierung von GNC(R) mit einem Modell harter Kugeln nachPercus-Yevick, das keine chemischen Wechselwirkungen berücksichtigt, wurde GNC(R) miteinem Cluster Relaxationsmodell (s. unten) berechnet, das durch Anfitten an dieexperimentellen Funktionen GX(R) und GN(R) von Ti-Si Gläsern mit verschiedenenZusammensetzungen gewonnen wurde (s. Abb. 3 für Ti75Si25), und somit die chemischeWechselwirkung enthält (Ti-Si Potential stärker als die Ti-Ti und Si-Si Potentiale). Die ausdem Modellcluster berechneten GNC(R) Funktionen in Abb. 4 hängen kaum von der Ti-SiZusammensetzung ab. Damit liegen drei Funktionen GX(R), GN(R) und GNC(R) vor, ausdenen die partiellen Paarkorrelationsfunktionen Gij(R) berechnet wurden (Abb. 6 für Ti75Si25).

Abb. 1. Dy44Ni56: Partielle Paarkorrelations- Abb. 2. Dy44Ni56: Partielle Bhatia-funktionen. ••• experimentell, - - CR Modell, Thornton Korrelationsfunktionen.___ RMC Modell. ••• experimentell, - - CR Modell mit chemischer Nahordnung, ! ! !

CR Modell nur mit Größeneffekt.

0 2 4 6 8 10

0

4

8

12

16

20

24

+8

+16

Dy-Dy

Ni-Ni

Dy-Ny

Gij(

R)

[Å-2]

R [Å]0 2 4 6 8 10

0

4

8

12

16G

NN

GCC

GNC

+6

+12

Gnc

(R)

[Å-2]

R [Å]

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Abb. 3. Ti75Si25: Totale Paarkorrelationsfunktionen. ____ experimentell mit Röntgen- undNeutronenbeugung, - - - Cluster Relaxations (CR) Modell.

Abb. 4. Ti-Si: Größeneffekt GNC(R) mit CR Modell berechnet.

0 5 10 15

-2

-1

0

1

2

3

4

_____ Exp- - - CR Modell

NeutronenRöntgen

G(R

) [Å

-2]

R [Å]0 2 4 6 8 10 12 14

-24

-20

-16

-12

-8

-4

0

4

8

12Ti-Ti

Ti-Si

Ti-Ti

R [Å]

0 5 10 15-1

0

1

2

3

4

5

Ti40

Si60

Ti49

Si51

Ti59

Si41

Ti75

Si25

Ti87

Si13

GN

C(R

) [Å

-2]

R[Å]

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Abb. 5. Ti75Si25: Partielle Paarkorrelationsfunktionen Gij(R). ___ experimentell. - - - RMCModell

3 Strukturelle Eigenschaften aus partiellen Paarkorrelationen

Aus den partiellen Paarkorrelationsfunktionen Gij(R) lassen sich die strukturellen Parameterbestimmen, wie Atomabstände Rij, Schärfe der Bindungen σij, Koordinationszahlen Zij undNahordnungsparameter η (Tab. 1).

-2

0

2

4

Ti-TiG

ij(R)

[Å-2]

-4

0

4

8 Ti-Si

0 2 4 6 8 10 12 14 16-4

-2

0

2

4Si-Si

R [Å]

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AxB100-x RAA RBB RAB ZAA ZBA ZSiSi ηr [%]

Ti87 Si13 2.86 - 2.68 12.2 10.0 - 100

Ti75 Si25 2.91 - 2.62 11.0 8.7 - 100

Ti59Si41 2.96 2.36 2.62 9.0 7.1 1.2 48

Ti49Si51 3.02 2.46 2.62 7.6 5.7 2.4 23

Ti40Si60 3.14 2.48 2.64 6.6 4.5 3.6 7

Dy44Ni56 3.50 2.48 2.84 7.6 5.8 3.5 12

Tab. 1: Abstände Rij (Å), Koordinationszahlen Zij (j um i), relativer Nahordnungsparameterηr.

Binäre metallische Gläser weisen eine Reihe von Struktureigenschaften auf, die offenbar fürdie verschiedenen Gruppen mehr oder weniger gleich sind (Tab.1 und Abb. 5).

• Chemische NahordnungDie chemische Wechselwirkung zwischen den beiden Komponenten führt zu einerbevorzugten Fremdkoordination. Der Cargill-Spaepen Nahordnungsparameter [12]weist darauf hin, dass diese in Metall-Metalloid Gläsern stärker ausgeprägt ist, als inMetall-Metall Gläsern.

• Schärfe der BindungDie Abstandskorrelation zwischen ungleichen Atomen ist schärfer als zwischengleichen Atomen und die erste und zweite Koordinationsschalen sind deutlichvoneinander getrennt durch ein Minimum in der Paarkorrelationsfunktion, wo dieHäufigkeit von ungleichen Atompaaren nahe bei Null liegt.

• KontraktionDer Bindungsabstand zwischen ungleichen Atomen ist um einige Prozent kürzer alsder Mittelwert der Abstände zwischen gleichen Atomen, das heißt, die Paarpotentialesind nicht additiv. Die Abstände zwischen gleichen Atomen entsprechen oft gut ihrenGoldschmidt Durchmessern.

• GrößeneffektGlasbildende Systeme weisen auf grund der unterschiedlichen Atomdurchmesser einenausgeprägten Größeneffekt auf.

• AsymmetrieDie Nahordnung bezüglich der beiden Komponenten ist verschieden stark ausgeprägt:Die bevorzugte Heterokoordination fürt zu einer Reduktion des Peaks nächsterNachbarn in Gij(R) für gleiche Atome. Diese Reduktion ist deutlich stärker für diekleinere Komponente. So wurden in den Metall-Metalloid Gläsern Ni80B20 und Ni81P19

keine direkten Metalloidnachbarn gefunden.

4 Strukturmodelle

Beugungsexperimente liefern mit Paarkorrelationsfunktionen zwar umfangreiche, aberdennoch begrenzte Informationen über die Struktur amorpher Systeme, und zwar aus zweiGründen:

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• Paarkorrelationsfunktionen stellen die Projektion einer dreidimensionalen Struktur aufeine eindimensionale Abstandsachse R dar.

• Paarkorrelationsfunktionen und die aus ihnen gewonnenen strukturellen Parameterstellen eine statistische Beschreibung der Struktur dar. Sie liefern Mittelwerte vonAbständen und Koordinationszahlen, die im amorphen System von Ort zu Ortverschieden sein können.

Daher wurden in der Vergangenheit dreidimensionale Strukturmodelle entwickelt, die solangeoptimiert wurden, bis die bestmögliche Übereinstimmung mit experimentellenPaarkorrelationsfunktionen erreicht wurde.

4.1 Cluster Relaxations Modell (CR)

Ein im Computer erzeugter Cluster von Atomen wird unter dem Einfluß von Paarpotentialenrelaxiert. Dabei werden die Parameter der Potentiale solange optimiert, bis dieÜbereinstimmung mit den experimentellen Daten am besten ist. Abb. 1 zeigt die mit einemCR Modell aus 1500 Atomen für das Glas Dy44Ni56 simulierten partiellen Gij(R) im Vergleichmit den experimentellen Funktionen [10]. Die beste Übereinstimmung wurde erreicht durchnicht additive (empirische) Paarpotentiale mit einer Kontraktion des Dy-Ni Abstands und denrelativen Tiefen 0.8, 1.2 und 1.8 für die Dy-Dy, Ni-Ni und Dy-Ni Paare, also durch Potentiale,die eine chemische Wechselwirkung beinhalten. Mit dem CR Modell gelingt eine gute, abernicht perfekte Beschreibung der amorphen Struktur; z.B. ist der erste Peak der Dy-DyModellfunktion schärfer als der experimentelle. Über die Potentiale ist die CR Methode mitder Physik des amorphen Zustands verknüpft; sie können mit dieser kritisch beurteilt werdenund es können mit ihnen weitere physikalische Eigenschaften des amorphen Zustandsberechnet werden.

4.2 Reverse Monte Carlo Modell (RMC)

Mit der RMC Methode [13] werden die Atome eines Clusters (ohne Anwendung vonPotentialen) solange verschoben, bis die Übereinstimmung mit dem Experiment am besten ist.Der mit dem CR Modell für Dy44Ni56 konstruierte Cluster, der schon gut mit dem Experimentübereinstimmt, wurde mit dem RMC Modell verfeinert [10] (Abb. 1). Abb. 5 zeigt die RMCSimulation für Ti75Si25 [6]. Beide Beispiele illustrieren, dass mit der RMC Methode eineperfekte Übereinstimmung mit dem Experiment erreicht werden kann. Die Kritik an der RMCMethode setzt an ihrer physikalischen Bedeutung an: zum Beispiel, dass für ein Cluster mit nAtomen 3n Koordinaten als Fitparameter zur Verfügung stehen und auf grund dieser hohenAnzahl ein Fit immer gelingen sollte.

Die RMC Methode liefert auf jeden Fall zwei wichtige Aussagen:

• RMC bietet die Möglichkeit, zu testen, ob überhaupt ein Cluster möglich ist, der mitdem Experiment übereinstimmt, das heißt, ob die experimentell ermittelten Gij(R)sinnvoll sind, oder ob die angewendete Methode zur Kontrastvariation und/oderUnsicherheiten in den Auswertemethoden zu fehlerhaften Gij(R) führten.

• RMC liefert unter den möglichen Clustern, die mit verschiedenen Methoden zurSimulation der Struktur konstruiert werden können und die gleich gut mit dem

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Experiment übereinstimmen, einen Cluster mit dem größten Grad an Unordnung.Damit kann die Frage diskutiert werden, welche Ordnungsphänomene in einemuntersuchten amorphen System vorhanden sein müssen, jedoch nicht die Frage, obtatsächlich noch eine höhere Ordnung besteht (s. unten).

Mit Hilfe von dreidimensionalen Strukturmodellen können strukturelle Eigenschaftenermittelt werden, wie Bindungswinkel, das Vorliegen spezieller Koordinationspolyeder undörtliche Fluktuationen von Abständen und Koordinationszahlen.

5 Chemische Nahordnung und Größeneffekt

Oft wurde versucht, strukturelle Eigenschaften metallischer Gläser (und Schmelzen) in diebeiden Kategorien topologische Nahordnung und chemische Nahordnung einzuteilen. ImFormalismus nach Bhatia-Thornton geschieht dies direkt über entsprechende partielleKorrelationsfunktionen. Abb. 2 zeigt die Bhatia-Thornton Gnc(R) Funktionen für Dy44Ni56.Der ausgeprägte negative Peak von GCC(R) bei ca. 3 Å weist auf die chemische Nahordnunghin, und es liegt ein deutlicher Größeneffekt GNC(R) vor.Wegen des Größeneffekts in metallischen Gläsern ist eine Einteilung in topologischeNahordnung und chemische Nahordnung nicht eindeutig möglich. Zur quantitativenBeschreibung der chemischen Nahordnung wird ein statistisches Referenzsystem, d.h. einSystem ohne chemische Nahordnung benötigt. Die Definition eines solchen Systems ist nichteindeutig. Bei der Verwendung eines Nahordnungsparameters zur Charakterisierung werdendie partiellen Koordinationszahlen verglichen mit den Werten für die zwei hypothetischenExtremfälle, keine und maximale chemische Nahordnung. Dabei wird angenommen, dass dietotale Koordinationszahl um ein Atom einer bestimmten Sorte nicht abhängt vom Grad derchemischen Nahordung, also für die hypothetischen Grenzfälle gleich ist. Dies ist auf grunddes Größeneffekts jedoch nicht zu erwarten.Eine Möglichkeit, ein statistisches Referenzsystem zu definieren, das den Größeneffektbeinhaltet, aber keinen chemischen Effekt, ist die Konstruktion eines Atomclusters mit der CRMethode unter Verwendung von additiven Potentialen mit gleicher Wechselwirkung für alleAtompaare. In Abb. 2 werden die Bhatia-Thornton Gnc(R) Funktionen für Dy44Ni56 gezeigt,die mit der CR Methode berechnet wurden, einmal mit chemischer Wechselwirkung (wieschon in 4.1 angeführt), welche die experimentellen Funktionen gut beschreiben, und einmalohne Wechselwirkung. Es wird deutlich, dass der Größeneffekt auf grund der sehrunterschiedlichen Atomgrößen von Dy und Ni zu starken Oszillationen auch in der FunktionGCC(R) führt. Der aus dem statistischen Modell berechnete Nahordnungsparameter hat nichtden Wert Null, sondern ηr = 10%.

Damit wird deutlich:

• Das Konzept von topologischer und chemischer Nahordnung verliert im Fall deutlichverschiedener Atomgrößen an Bedeutung.

6 Strukturelle Einheiten und Verwandtschaft mit kristallinen Phasen

Oft wurde aus Atomabständen und Koordinationszahlen gefolgert, dass in metallischenGläsern (und Schmelzen) strukturelle Einheiten vorliegen, die denen in verwandtenkristallinen Phasen entsprechen.

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6.1 Trigonale Prismen

Ein Beispiel für mögliche strukturelle Einheiten sind trigonale Prismen in Metall-MetalloidGläsern mit 6 Metallatomen um ein Metalloidatom und 3 weiteren Metallatomen auf denRechteckflächen, entsprechend einer Koordinationszahl von 9. Anhand von Modellclusternkann diese Frage studiert werden.Tatsächlich ergab die Analyse des RMC Clusters für Ti75Si25, dass die Verteilung von ZSiTi einMaximum bei ZSiTi = 9 aufweist. Diese Koordinationszahl liegt auch in der kristallinen PhaseTi3Si vor. Daher wurde der RMC Cluster auf trigonale Prismen analysiert [6]. Ein perfektesPrisma liegt dann vor, wenn in einem Doppeltetraeder mit einem gemeinsamen Si Atom, wiein Abb. 6 gezeigt, der Rotationswinkel β zwischen den oberen 3 Ti Atomen und den unteren 3Ti Atomen Null ist und wenn auch der Verkippungswinkel α zwischen den beiden TetraedernNull ist. Das Histogramm für den Drehwinkel β von Doppeltetraedern, welche die(willkürliche) Bedingung α < 15° erfüllen, wurde aus dem RMC Cluster brechnet. Tatsächlichergab sich für die Si Atome mit 9 Ti Nachbarn eine Häufung bei kleinen β Werten, das heißt,eine bevorzugte Ausbildung von (verzerrten) trigonalen Prismen (Abb. 6).

Abb. 6. Ti75Si25: Histogramm des Drehwinkels β zwischen je 3 Ti Atomen um ein zentralesSi Atom mit 9 Ti Nachbarn. α ist der Verkippungswinkel. ___ RMC Modell für Ti75Si25, - - -statistische Referenzcluster (C1), - • - Referenzcluster (C2) mit größtmöglichen Ti-TiAbständen.

Eine Fragestellung im Zusammenhang mit der Struktur metallischer Gläser ist, ob einebestimmte strukturelle Eigenschaft auf einem geometrischen Effekt (Raumerfüllung) oder aufeinem stereochemischen Effekt (gerichtete Bindungen) beruht. Dazu wurden Referenzclusteraus 9 Ti Atomen um ein Si Atom erzeugt und analysiert. Abb. 6 zeigt die Analyse auftrigonale Prismen für zwei Sorten von Clustern: statistische Cluster (C1), bei denen die Ti

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Atome statistisch in der Schale um Si verteilt sind, und Cluster (C2), bei denen dergegenseitige Abstand zwischen den Ti Atomen so groß wie möglich war. Es ergab sich,besonders bei den Clustern vom Typ C2 eine Bevorzugung von kleinen Drehwinkeln β.

Daraus ergibt sich:

• Das Auftreten von trigonalen Prismen in metallischen Gläsern kann einfachgeometrisch erklärt werden durch die Verteilung von 9 großen harten Kugeln mitgrößtmöglichen gegenseitigen Abständen um eine kleinere Kugel.

6.2 Bindungswinkel

Die dreidimensionale Anordnung der Atome kann durch die Analyse von Bindungswinkeln inModellclustern von amorphen Systemen analysiert werden. In Abb. 7 werden dieHistogramme des Bindungswinkels zwischen den A Atomen, die um ein B Atom angeordnetsind, für drei metallische Gläser gezeigt, die zu verschiedenen Gruppen gehören, wobei Ajeweils das größere Atom bezeichnet [14].

Abb. 7. Verteilung der Bindungswinkel in Triplets der größeren Komponente (A) in derersten Koordinationsschale um die kleinere Komponente (B) in A-B Gläsern.

Alle Histogramme weisen die für metallische Gläser typische Struktur mit einem Maximumbei 60° und einem oberhalb 90° auf. Der Vergleich mit den Histogrammen entsprechenderkristalliner Phasen in Abb. 7 zeigt, dass in manchen Fällen eine gute Übereinstimmung

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gefunden wird. So wird die Häufung bei 60° überall beobachtet und für Ni-B auch guteÜbereinstimmung im Bereich des zweiten Maximums. In anderen Fällen wird keine deutlicheÜbereinstimmung gefunden, wie z.B. für Nb-Ni im Bereich des zweiten Maximums.

Daraus (und aus weiteren derartigen Untersuchungen [14]) ergibt sich:

• Die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen metallischen Gläsern sind stärkerausgeprägt als Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Gläsern und den entsprechendenindividuellen kristallinen Phasen.

7 Wasserstoff in metallischen Gläsern

Eine Reihe von Untersuchungen galt dem Einbau von Wasserstoff in metallischen Gläsern.Dabei zeigte es sich, dass der Wasserstof bevorzugt Tetraederlücken besetzt, z.B. in Ti84Si16

[15]. Durch Anwendung der Isotopensubstitution wurde in [16] ein ODy44ONi56 Glas

hergestellt, bei dem beide Komponenten eine Kernstreulänge von Null aufweisen. NachBeladen dieses Glases mit 59 at% Deuterium liefert ein Neutronenbeugungsexperiment (Abb.8) direkt die partielle Wasserstoff-Wasserstoff Korrelationsfunktion (Abb. 9).

Abb. 8. ODy44ONi56 nach Meltspinnen und nach Beladen mit Deuterium:

Neutronenstreukurven. Die unbeladene Probe weist nur die paramagnetische Streung auf.

Die Aufspaltung der ersten Koordinationsschale in Abb. 9 zeigt, dass die Nachbarschaftzwischen den Wasserstoffatomen bei zwei relativ großen Abständen, RDD

1 = 2.36 Å undRDD

2 = 2.76 Å, auftritt. Die Wasserstoffatome besetzen bervorzugt Dy4 Tetraeder, wobeibenachbarte Tetraeder mit einer gemeinsamen Fläche vermieden werden.

0 2 4 6 8 10 12 14 160

1

2(ODy

44

ONi56

)41

D59

ODy44

ONi56

dσ/d

Ω [

barn

/Ato

m]

Q [Å-1]

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Abb. 9. Dy44Ni56 mit 59% Deuterium beladen: D-D Paarkorrelationsfunktion; . . . experimentell, - - - Gaußfits an die einzelnen Peaks, ___ Summe der Fits.

Abb. 10. Dy44Ni56 unbeladen und mit 59 at% Wasserstoff (pro Metallatom) beladen: totalePaarkorrelationsfunktionen mit Röntgenbeugung

Beim Einbau von Wasserstoff in metallische Gläser spielt dieser eine aktive Rolle, indem erdie Struktur des Wirtsglases modifiziert. Abb. 10 zeigt die mit Röntgenbeugung ermitteltePaarkorrelationsfunktion g(R) (bei der der Wasserstoff selbst nicht sichtbar ist) für Dy44Ni59

vor und nach Beladung mit Wasserstoff [17].

2 3 4 5 6 7 8

0.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

Dy-Dy

Ni-Dy

_____ Dy44

Ni56

+59% H

- - - Dy44

Ni56

g(R

)

R [Å]

1 2 3 4 5 6 70.0

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5 g

(R)

R [Å ]

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Derartige Untersuchungen (z.B. fur Ti-Si [15] und für Dy-Ni [17]) zeigen:

• Wasserstoff in metallischen Gläsern bewirkt neben einer Aufweitung der Struktur aucheine Umordnung der Atome. Besonders die Koordinationszahl zwischen denMetallatomen mit großer Affinität gegenüber dem Wasserstoff wird erhöht.

Literatur

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