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Liebe Leserin, lieber Leser Die Trompete, das Saxofon, das Schlagzeug. Das sind alles Musikinstrumente, die man schnell einmal mit dem Jazz assoziiert. Doch jazzgeschichtlich gesehen spielt das Piano, oft auch Klavier genannt, dem wir diese Ausgabe des Jazzletters weitgehend wid- men, bald eine dominante Rolle. Denn begonnen hat der Jazz mit dem Ragtime, der stark synkopierten Klaviermusik, die noch vor dem Ende des 19. Jahrhunderts in Kneipen und Bars der südlichen USA ge- spielt wurde. Der Ragtime war für den New Orleans Jazz ein inspirierendes Element, und im Stridestil eines Fats Waller oder James P. Johnson fand er seine Fortsetzung. Nachdem wir mit diesem Blick auf die Ur- geschichte des Jazz dem Piano den richti- gen Platz zuweisen, sei hier noch eine Kleinformation erwähnt, mit der viele Pianisten ihre Qualitäten zeigten und zeigen: Das Piano-Trio. Im Piano-Trio ist der Bass unerlässlich. Je nach Betonung des Harmonischen oder Rhythmischen kommt als drittes Instrument eine Gitarre oder ein Schlagzeug hinzu. Stellvertretend für die vielen Piano-Trios stehen hier die Namen Oscar Peterson und Art Tatum (siehe nebenstehenden Artikel), Keith Jarrett und André Previn (Artikel Seite 11) . Das Editorial unseres ersten Jazzletters im November 2000 schlossen wir so: «Sollte Ihnen bei der Lektüre des Jazzletters etwas einfallen, das uns weiterführen könnte, las- sen Sie es uns wissen. Ihre Reaktion würde uns freuen.» Das gilt auch heute noch. Herzlich Nr. 44, August 2019 jazzletter EDITORIAL swissjazzorama Inhalt 2 Seite des Vorstandes 3, 4 Schweizer Pianisten 5, 6, 7 Interview mit Martin Hugelshofer 8, 9, 10 Weltklasse-Pianist Henri Chaix 11 US-Pianist André Previn 12 Persönlich: Waltis Pianistenliste 13 Blick ins Archiv: Instrumente 14 Archiv: Papier ist (nicht) geduldig 15 Kunstpreis und Diverses 16 In memoriam, Diverses, Impressum Auch wer künstlerische Leistungen mit Vor- sicht beurteilt, wird beim Anhören einiger Beispiele aus unserem Art Tatum-Fundus bald einsehen, dass im Falle von Tatum die Bezeichnung Genie durchaus berechtigt ist. Art Tatum, 1909 in Toledo, Ohio, geboren und leider bereits 1956 in Los Angeles ge- storben, war mit Abstand der brillanteste Klaviervirtuose des Jazz. Sein durch rasante Läufe und überraschende Akkordfolgen gekennzeichnetes Spiel trug ihm auch die Bewunderung einiger Pianisten der Klassik ein. Joachim Ernst Berendt war sogar der Meinung, durch Tatum und seit Tatum seien Jazzpianisten der Spitzenklasse oft tech- nisch besser als ihre Kollegen der Klassik. Ob dies stimmt, sei dahingestellt. Sicher ist, dass Tatum über eine unglaubliche Finger- fertigkeit verfügte und mit seiner Art des Spiels viele Jazzpianisten zu aussergewöhn- lichen Leistungen inspirierte. Bereits anfangs der 1930er Jahre spielte Tatum, der in hohem Masse sehbehindert war, in Aufnahmestudios von Decca und Brunswick. Von diesen ersten Aufnahmen sind einige bei uns vorhanden. Er zeigte schon damals eine besondere Vorliebe für Stücke aus dem «Great American Song- book», denn er war offenbar der Ansicht, dass sich diese grosse Themensammlung am besten für seine Interpretationsart eignete. Besonders glücklich sind wir über den Besitz von drei Schellacks des seltenen Labels Asch, die im Dezember 1944 auf- genommen wurden. Auch die ersten Takes mit seinem damals berühmten Trio mit Tiny Grimes an der Gitarre und Slam Stewart am Bass sind bei uns vorhanden, ebenso eine ganze Reihe von Aufnahmen (Soli und Kleinformationen), die Norman Granz zu verdanken sind. Zurzeit umfasst unsere Tatum- Sammlung insgesamt 284 Tonträger (LPs, CDs und DVDs) J.T.S. PIANISSIMO Art Tatum, 1909–1956: Ein Genie der 88 Tasten Jimmy T. Schmid

swissjazzorama jazzletter · jazzgeschichtlich gesehen spielt das Piano, oft auch Klavier genannt, dem wir diese Ausgabe des Jazzletters weitgehend wid-men, bald eine dominante Rolle

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Liebe Leserin, lieber Leser

Die Trompete, das Saxofon, das Schlagzeug.Das sind alles Musikinstrumente, die manschnell einmal mit dem Jazz assoziiert. Dochjazzgeschichtlich gesehen spielt das Piano,oft auch Klavier genannt, dem wir dieseAusgabe des Jazzletters weitgehend wid-men, bald eine dominante Rolle. Dennbegonnen hat der Jazz mit dem Ragtime,der stark synkopierten Klaviermusik, dienoch vor dem Ende des 19. Jahrhunderts in Kneipen und Bars der südlichen USA ge-spielt wurde. Der Ragtime war für den NewOrleans Jazz ein inspirierendes Element, und im Stridestil eines Fats Waller oderJames P. Johnson fand er seine Fortsetzung.

Nachdem wir mit diesem Blick auf die Ur-geschichte des Jazz dem Piano den richti-gen Platz zuweisen, sei hier noch eine Kleinformation erwähnt, mit der viele Pianisten ihre Qualitäten zeigten undzeigen: Das Piano-Trio. Im Piano-Trio ist der Bass unerlässlich. Je nach Betonung des Harmonischen oder Rhythmischenkommt als drittes Instrument eine Gitarreoder ein Schlagzeug hinzu. Stellvertretendfür die vielen Piano-Trios stehen hier die Namen Oscar Peterson und Art Tatum(siehe nebenstehenden Artikel), Keith Jarrett und André Previn (Artikel Seite 11) .

Das Editorial unseres ersten Jazzletters imNovember 2000 schlossen wir so: «SollteIhnen bei der Lektüre des Jazzletters etwaseinfallen, das uns weiterführen könnte, las-sen Sie es uns wissen. Ihre Reaktion würdeuns freuen.» Das gilt auch heute noch.

Herzlich

Nr. 44, August 2019

jazzletter

EDITORIAL

swissjazzorama

Inhalt2 Seite des Vorstandes3, 4 Schweizer Pianisten 5, 6, 7 Interview mit Martin Hugelshofer8, 9, 10 Weltklasse-Pianist Henri Chaix

11 US-Pianist André Previn12 Persönlich: Waltis Pianistenliste 13 Blick ins Archiv: Instrumente14 Archiv: Papier ist (nicht) geduldig15 Kunstpreis und Diverses16 In memoriam, Diverses, Impressum

Auch wer künstlerische Leistungen mit Vor-sicht beurteilt, wird beim Anhören einigerBeispiele aus unserem Art Tatum-Fundusbald einsehen, dass im Falle von Tatum dieBezeichnung Genie durchaus berechtigt ist.Art Tatum, 1909 in Toledo, Ohio, geborenund leider bereits 1956 in Los Angeles ge-storben, war mit Abstand der brillantesteKlaviervirtuose des Jazz. Sein durch rasanteLäufe und überraschende Akkordfolgengekennzeichnetes Spiel trug ihm auch dieBewunderung einiger Pianisten der Klassikein. Joachim Ernst Berendt war sogar derMeinung, durch Tatum und seit Tatum seienJazzpianisten der Spitzenklasse oft tech-nisch besser als ihre Kollegen der Klassik.Ob dies stimmt, sei dahingestellt. Sicher ist,dass Tatum über eine unglaubliche Finger-fertigkeit verfügte und mit seiner Art desSpiels viele Jazzpianisten zu aussergewöhn-lichen Leistungen inspirierte.

Bereits anfangs der 1930er Jahre spielteTatum, der in hohem Masse sehbehindertwar, in Aufnahmestudios von Decca undBrunswick. Von diesen ersten Aufnahmensind einige bei uns vorhanden. Er zeigteschon damals eine besondere Vorliebe fürStücke aus dem «Great American Song-book», denn er war offenbar der Ansicht,dass sich diese grosse Themensammlungam besten für seine Interpretationsart eignete.Besonders glücklich sind wir über denBesitz von drei Schellacks des seltenenLabels Asch, die im Dezember 1944 auf-genommen wurden. Auch die ersten Takesmit seinem damals berühmten Trio mit TinyGrimes an der Gitarre und Slam Stewart am Bass sind bei uns vorhanden, ebensoeine ganze Reihe von Aufnahmen (Soli und Kleinformationen), die Norman Granzzu verdanken sind.

Zurzeit umfasst unsere Tatum-Sammlung insgesamt 284 Tonträger(LPs, CDs und DVDs) J.T.S.

PIA

NIS

SIM

O

Art Tatum,1909–1956:Ein Genie der 88 Tasten

Jimmy T. Schmid

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IN EIGENER SACHE

Neben der täglichen Arbeit der Organi-sation des Archives swissjazzorama musssich die Leitung auch mit der Beschaffungder nötigen finanziellen Mittel, die das SJObraucht, beschäftigen. Hier folgt ein interes-santer Einblick auf diesen Teil der Arbeit desVorstandes und der Geschäftsleitung alsStichwortverzeichnis, neben Hinweisen aufandere Tätigkeiten. Zusammengestellt vonFernand Schlumpf.

Finanzierungs-EingabenKanton Zürich, Direktion des Innern:Gesuch um Verlängerung und Erhöhung des Beitrages des Kantons. Die Verlänge-rung bis 2021 wurde bewilligt, aber nur imbisherigen Rahmen von CHF 30 000.–.

Stadt Uster: Erhöhung des Betriebs-beitrages aufgrund des Leistungskontraktesauf CHF 60 000.–. Die Antwort wurde aufHerbst 2019 anberaumt (Weisung desStadtrates an den Gemeinderat).

Krediteingabe an Stadt Uster für öffentliche Konzerte 2019 im Musikcontainer: Absage für Früh-lings- und Herbstkonzerte..

Krediteingabe an Migros Kultur-prozent für Frühlings- und Herbst-konzerte: Frühling ist abgerechnet mitCHF 3000.–. Herbst noch ausstehend.

Eingabe versandt an Frauenverein Usterfür einen finanziellen Beitrag an die Erfassungs-Helferinnen.

Zürcher Kantonalbank: Eingabe füreinen Beitrag aus dem Jubiläumsfond fürdie Existenz-Sicherung des swissjazzorama.Stadt Zürich: Gespräch für gemeinsameMittelbeschaffung für Jazzprojekte, die überdie Stadt hinausgehen.

Diverse Stiftungsgesuche wurden verschickt.

Personelles: Vom Erfassungspersonalverabschiedeten wir Dani Ryf, der seit vierJahren eine Super-Arbeit im Erfassen vonTonträgern machte. Wir wünschen ihm vielGlück bei seiner neuen Stelle als Postauto-Chauffeur.

Weiterhin werden neue ehrenamt-liche Mitarbeiter- und Mitarbeiterin-nen gesucht für die Erfassung von Datenfür die Ablage bei Foto- und Bandarchivenund auch für die Geschäftsleitung.

Langspielplatten-Verkäufe:LP-Verkauf über den Deutschen Händler,Herrn Roster. Abschluss mit 123 verkauftenLPs. Er gibt aufgrund der Marktsituation seinen Job auf.

Wir verkaufen unsere LPs, CDs undBücher NEU auch über unsereWebseite: www.swissjazzorama.ch

Politischer Vorstoss im UstermerGemeinderat: Am 17. April wurde imGemeinderat Uster ein Vorstoss der SVP-und SP-Parlamentarier und Parlamentarier-innen Anita Borer, Giuseppe Biacchi, Mar-kus Wanner und Ali Özcan behandelt,welche die städtische Förderung von Mu-seen in Uster vorsieht. Es wurden nament-lich drei Museen genannt: Graphos, dasBuchdruckmuseum im alten ZeughausUster, das Unteroffiziermuseum eben

falls im Zeughaus Uster und das swiss-jazzorama mit dem Jazzmuseum resp. Jazz-archiv. Der Vorstoss wurde einstimmig anden Stadtrat weitergeleitet, der eine Vor-lage bis im Herbst erarbeiten muss.

Bestandesaufnahme von JournalistBeat Blaser über die jetzigen Inhaltedes Archiv des swissjazzorama:In einem 4-seitiges Dokument wurdenunsere Bestände aus Nachlässen bestehendaus Tonträgern, Filmen, Tonbändern, Foto-grafien, Plakaten, Presseartikeln und Zeit-schriften erfasst. Ebenso wird auf die vielenFestival-Dokumente und das Musikerinnen-und Musiker-archiv hingewiesen. Schluss-endlich wird auf die grosse Bibliothek mitetwa 3500 Jazzbüchern und auf die Instru-mentensammlung mit bedeutenden Instru-menten von Jazz- Persönlichkeiten vonAlbert Nicholas bis Joe Turner und neuer-dings Martin Hugelshofer hingewiesen.

Für die einzigartige Sammlung von JohnnySimmen, dem Zürcher Jazzhistoriker undJournalisten, gilt ein separates Kapitel.

www.swissjazzorama.ch:Die neue Webseite zeigt einen Einblickin das Archiv und die Büros sowie dieklaren Strukturen der Sammlungen inkl.Hinweise auf Details, wie z.B. die Verzeich-nisse der eigenen Recherchen (Jazzletter Nr. 1–44). Ferner gibt es Hinweise auf eigene Veranstaltungen und Links zu Partnern europaweit.

Aber nach wie vor gilt:WIR SUCHEN DICH – den ehren-amtlichen Helfer, die ehrenamtlicheHelferin. Wir freuen uns auf neue Kolleginnen und Kollegen, die mitarbeiten,die Berge von angeliefertem Material zu ordnen und zu erfassen.

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Schweizer Jazzpianisten und -pianistinnengeboren1904–1945

Der Anfang des Jazz in der Schweiz war für die Musiker und Musikerinnen nicht ein-fach. Es gab keine Jazzschulen und keineLehrmittel. Die Jazzmusiker und -musikerin-nen waren auf ihre Ohren angewiesen, siemussten sich mit Jazzhören ihren Weg selbersuchen. Das galt auch für Fans dieser Musik.Die Schellackplatten gaben nur wenig In-formationen: Bandtitel und Titel des Themas.Das wars dann schon. Das besserte sich, alsdie Vinylplatten mit den Plattenhüllen unddie Compact Discs mit ihren Booklets aufden Markt kamen. Die Stilrichtung, die einMusiker einschlagen wollte, musste er aberschon selber bestimmen: Stilrichtungenzwischen New Orleans Jazz und Free Jazz

standen zur Auswahl, je nach der Zeit,wann ein Musiker oder eine Musikerin inden Jazz einstieg. Viele der frühen Pia-nisten waren eigentliche Orchester-Musi-ker. Die nachfolgende Liste ist zufällig,wir entschuldigen uns bei den Musikernund Musikerinnen, die auch aufgeführtsein sollten, aber es nicht sind.Die Liste ist nach dem Geburtsjahr geglie-dert. Die älteren Musiker/Musikerinnenstehen also am Anfang.Bei einigen Musikern steht in Klammern ihr Herkunftsland. Das sind Musiker,die keinen Schweizer Pass haben, aber den grössten Teil ihres Jazz-Lebens in derSchweiz verbrachten. Walter Abry

Walter Baumgartner (1904–1997) Pianist, Posaunist, Komponist, Bandleader. Er schrieb Filmmusik für ca. 40 Filme.Ernest Berner (1904–1966) Pianist, Publizist. Alice Jazzband (1920). Aufnahmen mit Coleman Hawkins (1936).Buddy Bertinat (1912–1973) Pianist. Er war von 1936 bis 1946 bei den Oiriginal Teddies und machte eigene Aufnahmen.Fred Böhler (1912–1995) Pianist, Bigband-Leader. Ab 1954 Solo-Organist (Wurlitzerorgel).Robert Suter (1919–2008) Pianist, Komponist. U.a. war er Gründungsmitglied und Pianist der Darktown Strutters, Basel.Rio de Gregori (1919–1987) Pianist, Sänger. Er spielte z.B. 1942 bei den Lanigiros und hatte viel Erfolg mit eigenen Bands.Géo Voumard (1920–2008) Pianist, Komponist, Arrangeur, Radiojournalist. Mitbegründer des Montreux Jazz Festivals.Francis Burger (1922–2010) Pianist, Bandleader. Er arbeitete erfolgreich mit Hazy Osterwald zusammen.Henri Chaix (1925–1999), (F) Pianist, Arrangeur, Bandleader. Vergleiche den grossen Beitrag in dieser Nummer.Remo Rau (1927–1987) Pianist, Vibrafonist, Komponist. Aufnahme: An Evening At The Cafe Africana (1960).Jean Bionda (1928–2003) Pianist. Neben Henri Chaix ist er wohl der einflussreichste Pianist aus der welschen Schweiz.Paul Thommen (1929–2004) Pianist, Komponist, Bandleader. Er gründete mit Erfolg die Paul Thommen Sound Machine.Elsie Bianchi-Brunner (1930–2016) Pianistin, Akkordeonistin, Sängerin. Im Internet gelesen: Brillant, ausgewandert, verstummt! George Gruntz (1932–2013) Pianist, Komponist, Arrangeur. Leader der Concert Jazz Band mit internationaler Besetzung.Peter Jacques (*1935) Pianist, Komponist, Arrangeur, Musikredaktor. Leader der DRS Bigband.Joe Haider (*1936), (D) Pianist und Jazzpädagoge. Vergleiche den Artikel im Jazzletter Nr. 43 (April 2019).Klaus König (*1936), (D) Pianist, Tonmeister, Radiomitarbeiter. Mit dem Jazz Live Trio begleitete er viele Jazzgrössen.Fritz Trippel (1937–2010) Pianist, Bandleader. Er spielte mit vielen internationalen Stars wie z.B. Albert Nicholas.Marc Hemmeler (1938–1999) Pianist. Aufnahmen machte er u.a. mit Ray Brown und Shelly Manne (1986)Franz Biffiger (*1939) Pianist. Vielseitiger Musiker, der mit internationalen und Schweizer Jazzgrössen auftrat.Buddha Scheidegger (*1940) Pianist (und Jurist). Mit seinen Buddhas Gamblers hatte er viel Erfolg.Irène Schweizer (*1941) Pianistin, Schlagzeugerin. Sie gehört zu den Begründern des europäischen Free Jazz.Robi Weber (*1941) Pianist, insbesondere im Bereich des Soul Jazz. Seine Combo: Robi Weber Quartett.Fredi Lüscher (1943–2006) Pianist und Publizist. Er war auch Kolumnist und Gestalter von Radioprogrammen.Willy Bischof (*1945) Pianist, Radiojournalist. Er war Redaktor und Moderator der sehr beliebten Sendung Apéro.

Elsie Bianchi Trio:Elsie Bianchi-Brunnerund EhemannSiro Bianchi, Bass

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Schweizer Pianistinnen und Pianistendes zeitgenös-sischen Jazz

Nimmt man einmal die ZentralgestirneGeorge Gruntz (1932–2013) und IrèneSchweizer (*1941) von der Betrachtungaus, dann haben sich, wie unten aufgelis-tet, in neuerer Zeit eine beachtliche Reihevon Pianisten und Pianistinnen der 88Tasten des Instrumentes ihrer Wahl ange-nommen. Dennoch ist die Liste keineswegsvollständig, wie sich beim Stöbern in un-seren Archivdaten unschwer feststellenlässt. Dass es also notgedrungen bei einerAuswahl bleiben muss, mögen uns die hierUnerwähnten gnädig nachsehen. Einigehaben ihr Instrumentarium in den elektro-nischen Bereich ausgeweitet, anderewiederum haben sich, dem Beispiel Gruntz'folgend, zugleich als Arrangeure, Kompo-nisten und Leiter grösserer Formationeneinen Namen gemacht. Wie etwa diegleichaltrigen Peter Zihlmann (*1977) oderPhilip Henzi. Ein immer wieder gern auf-

gegriffener Diskussionspunkt bildet dieGrenzziehung zwischen Jazz und anderenzeitgenössischen Formen musikalischenSchaffens. Man mag bei der vorliegendenAuswahl die Grenze als zu wenig scharfgezogen sehen. Jedoch, insbesondere derzeitgenössische Jazz ist nun mal beinahenach allen Seiten hin offen, und somit lässtsich das Gelände nicht mehr so klar ab-stecken. Einige wenige hier aufgeführteNamen mit in Klammern gesetzten Staats-angehörigkeiten erfreuen sich nicht helve-tischer Herkunft, haben aber wesentlich die hiesige Szene bereichert. Um sich nichtdem Verdacht unlauterer Priorisierungauszusetzen, ist die nachfolgende Liste mit Tonträgerbeispielen (CD) in alphabe-tischer Reihung angelegt. Für weitereInformationen möge man sich, wie ange-deutet, der Suche auf unserer Website www.swissjazzorama.ch bedienen.

Heinz Abler

Stefan Aeby (*1979) The London Concert (2017, Intakt CD 315)Nik Bärtsch (*1971) Nick Bärtsch's Ronin Live (2012, ECM 2302/03)Christoph Baumann (*1954) Northwind Boogy (2012, w/ Anto Pett, Leo Rec. 669)Malcolm Braff (CH/Br *1970) Maximal Music (BraffOesterRohrer, 2004, Unit Rec. UTR 4147).John Wolf Brennan (CH/Irl *1974) Triangulation Whirligigs (2010, Leo Rec. 562)Jean-Paul Brodbeck (*1974) A Different Mind (2012, enja 7729)Jean-Christophe Cholet (F*1962) Exchange (2014, w/Känzig & Papaux, Neuklang NCD 4105)Sylvie Courvoisier (*1968) D'Agala (2017, Intakt CD 300)Alessandro d'Episcopo (I*1959) That's All (2016, Altrisuoni AS 345)Hans Feigenwinter (*1965) Whim Of Fate (2013, Unit Rec. UTR 4520)Gabriela Friedli (*1963) Started (2010, Intakt CD 214)Vera Kappeler (*1974) Babylon Suite (2013, w/P.C. Zumthor ECM 2363)Thierry Lang (*1956) The Blue Peach (1994, w/T. Tielemans, TCB 95302) Marc Méan (*1985) Where Are You? (2011, Unit Rec. UTR 4294)Fabian M. Mueller (*1983) Box – Erosion (2013, Unit Rec. UTR 4403)Marc Perrenoud (*1981) Vestry Lamento (2013, Challenge Rec. DMCHR 71126)Hans-Peter Pfammatter (*1974) Süd (2013, w/M. Lauterburg Unit Rec. UTR 4516)Stefan Rusconi (*1979) Stop & Go (2005, Unit Rec. UTR 4180)Christoph Stiefel (*1961) Live! (2013 w/ Inner Language Trio, Basho Rec. SRCD 39-2)Yves Theiler (*1987) Out Of The Box (2011, Unit Rec. UTR 4337)Collin Vallon (*1980) Les Ombres (2003, Unit Rec. UTR 4145)Urs Voerkel (1949–1999) Sechstel (1987, Unit Rec. UTR 4025)Stewy von Wattenwyl (*1962) Got A Right… (2003, w/Nick Perrin, Brambus Rec. 200609-2)Luzia von Wyl (*1985) Frost (2013, Ensemble hatOlogy, Hat 727)Chris Wiesendanger (*1965) We Concentrate (2004, w/Weber & Ulrich, hatOlogy, Hat 626) Michel Wintsch (*1964) Roof Fool (2014, hatOlogy, Hat 730)

Christoph Stiefel Silvie Courvoisier Collin Vallon

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Martin, der Schweizer Nachkriegsjazzpräsentierte sich zweigleisig. In Zürichgab es die Trester-Club- oder Nieder-dorf-Schiene und daneben am Zürich-berg eine eher im akademischen Milieuangesiedelte Richtung, der man dichals Pianist wohl zuordnen kann. Warder lokale Jazz an der Limmat um 1950 eine musikalische Zweiklassen-gesellschaft?Die frühe Jazzgeschichte hatte da bereitsvorgespurt und fand eine lokale Aus-prägung am Zürcher Amateur-Jazzfestival,deren Teilnehmer seit der ersten Ausrich-tung sauber in die Kategorien alt undmodern eingeteilt wurden. Die Realität warfreilich differenzierter. Als wir unser Metro-nome Quartett gründeten, wurden wirauch im Niederdorf aktiv, nämlich im CaféWellenberg. Zu jener Zeit war der alte Stilin Zürich aber dominant. Was meine Kolle-gen und ich spielten, wurde in den mittle-ren fünfziger Jahren als fast progressivempfunden. Später heftete man mir gardas Etikett `Pionier des modernen Jazz` an.

In gewisser Weise bildete das GespannMartin Hugelshofer / Ueli Staub denKern der neueren Jazzentwicklung inZürich. Wie habt ihr musikalischzusammengefunden?

Wir besuchten im Gymnasium Parallel-klassen. Aber ich muss die biografische Uhrnoch etwas weiter zurückdrehen. Im Eltern-haus Hugelshofer war klassische Musik an der Tagesordnung. Und weil das so bleiben sollte, schickte man den sieben-jährigen Martin in den Klavierunterricht –nicht irgendwohin, sondern ins ZürcherKonservatorium, wo ich zehn Jahre langinstruiert wurde, die traditionelle Unter-weisung aber in zunehmendem Mass als zu schematisch empfand. Mein Vaterregistrierte mit wachsendem Missfallen,dass ich mich von dieser Musik allmäh-lich löste, ohne genau zu wissen, wohin die musikalische Reise gehen sollte. DieMutter, ausgebildete Primarlehrerin,reagierte toleranter ....

… weil sie ahnte, dass deine Karriereletztlich nicht ins Künstlerische driftenwürde?Nach der Matur war meine berufliche Zukunft nicht klar vorgezeichnet. Ich warkein glänzender Schüler, musste sogar eineGymiklasse wiederholen und zeigte wenigNeigung, sogleich an einer Hochschulewieder die Schulbank zu drücken. Michreizte vielerlei – auch die Musik, freilichohne überbordenden Ehrgeiz. Ich hatte mirimmerhin Grundlagen erarbeitet, um mit

andern gemeinsam zu musizieren. So lan-dete ich einmal pro Woche einen Abendlang in der Schweizer Weinstube im Zür-cher `Chreis Cheib`. Wohin das gemeinsameTun führen sollte, wusste keiner genau.

Kampf mit Noten

Es war aber die Zeit, als sich die hel-vetische Jugend heftig dem Jazzzuwandte und regelmässig das US-Soldatenradio American Forces Net-work einschaltete, wo diese Musik lief.Je länger desto öfter hörte auch ich AFN.Und begann, Jazzplatten zu kaufen. Ineinem Musikhaus am Münsterhof suchteich mir jeweils einen Stapel interessanterSchellacks aus und verschwand damit für eine Stunde oder zwei in einer Abspiel-kabine. Am Schluss der Session zog icheinen Fünfliber aus dem Portemonnaie und kaufte eine der Scheiben.

Die legte man wohl zu Hause auf den Plattenteller, um dies und jenesnachzuspielen?Während all der Jahre am KonservatoriumZürich lernte ich nie richtig Noten lesen.Ich mühte mich später, als SaxofonistBruno Spoerri Mitglied in unserem Metro-nome Quintett war und mit stupenderLeichtigkeit ganze Partituren aufs Papierwarf, enorm mit diesen Arrangements ab.Eine einzelne Basslinie zu lesen ging einigermassen, aber die ganze Polyphoniefür zehn Pianistenfinger im Nu zu ent-schlüsseln, war nicht meine Sache.

Du gehörst somit zur Kategorie derohrengesteuerten Jazzmusiker ...Ich habe immer gefunden, Musik sei eineAngelegenheit für die Ohren, nicht für dieAugen. Ich bemühte mich stets, so frei wie möglich zu spielen. Anfänglich töntedas allerdings nicht nach Jazz.

Ein langes Stück Jazzmit fulminanter Coda

Der Zürcher Pianist Martin Hugelshoferim Gespräch mit René Bondt und Fernand Schlumpf

Metronome Quintett 1982. Vordere Reihe von Links: Martin Hugelshofer (p) Felix Rogner (b),Ueli Staub (vib). Hintere Reihe von links: Ernst Gerber (ts), Rolf Bänninger, (dm).

Martin Hugelshofer in der 1980er Jahren.

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Welcher Jazzpianist wies dir den Wegzur stilsicheren Improvisation?Das war zum einen Fats Waller, zum andernGeorge Shearing. Zwei klar unterschied-liche Vertreter des Pianojazz, beide aber für mich wichtig, um im Swing und in derImprovisation voranzukommen. Aus unse-ren Zusammenkünften in der Weinstubeentstand eine Gruppe, die an einem Pfadi-Familienabend auftrat – notabene imZürcher Kongresshaus. Der achtzehnjährigeHugelshofer empfand es als rechtschaffeneHerausforderung, eine singende ScharJugendlicher am Klavier zu begleiten. Aberdas war noch gar nichts im Vergleich zujener deutlich späteren Begebenheit, alsdas Metronome Quintett die Ehre hatte, imZürcher Odeon den grandiosen amerikani-schen Tenoristen Dexter Gordon zu beglei-ten. Vor dem ersten Auftritt traf ich denStar zur Programmabsprache und stelltemich als Pianist der Band vor. Er nahmmich nur flüchtig wahr, entnahm danneinem Sack eine Beige Noten und warf dasBündel fächerartig über den Flügeldeckel inmeine Richtung. Da stand ich nun, perplexund hilflos, und meinte zum Jazzgiganten:«Listen Dexter, it`s not as simple as that.»Wir sprachen uns aus und fanden einengangbaren Weg, der prominente Gast stiegvom Podest und wir gaben unser Bestes.

Das einbeinige Vibrafon

Da wurden dir und deinen KollegenGrenzen des musikalisch Möglichenaufgezeigt. Aber das kann man weg-stecken, wenn man seine Existenznicht auf Jazz fokussiert. Lass uns einwenig teilhaben an deiner beruflichenEntwicklung …Die setzte, wie gesagt, nicht schnurgerademit einem Studium ein. Militärische Pflich-ten gingen vor. Mit Rekrutenschule, Unter-offiziersschule, Offiziersschule und demAbverdienen brachte ich es – damals nichtunüblich – auf eine respektable Zahl vonDiensttagen für Mutter Helvetia. Nach der Brevetierung als Artillerieleutnantbegann ich dann an der HandelshochschuleSt. Gallen zu studieren. Die HSG stelltedamals, mit rund 400 Studierenden, nochin keiner Weise die international begehrteEliteuni von heute dar.

Militär, Studium – und wo blieb der Jazz?Irgendein Kommilitone wusste, dass ichKlavier spielte und schon am Zürcher Jazz-festival aufgetreten war. So kams nichtganz überraschend, dass ich im SanktgallerSchützengarten, wo einmal pro Monat einStudentendancing angesagt war, einesTages ans Piano kommandiert wurde. Weilauch ein Schlagzeuger und ein Bassistvorhanden waren, bildete sich ein Trio, dassich ganz ordentlich schlug. Aber mein

Schwerpunkt für den Jazz war und bliebZürich, wo sich aus der erwähnten Pfadi-Combo eine festere Gruppierung mit demDrummer Claus Rippmann bildete, die zumModern Jazz tendierte und auf mein Betrei-ben ein Vibrafon beschaffte. Das war einetwas seltsames, einbeiniges Ding derMarke Ajax, das wenige Oktaven umfassteund uns mietweise von der Firma Gianninifür monatlich fünf Franken überlassenwurde. Während ich in der Band am Pianobleiben sollte, hatte unser Trompeter dieAufgabe, im Wechsel mit seinem Blas-instrument die Vibes zu betätigen. So ge-rüstet traten wir eines Abends im Eltern-haus von Schul- und Jazzkollege Ueli Staubam Zürichberg auf, wo allerdings nicht nurmusiziert wurde. Nach einem kleinen Inter-pretationsdisput schmiss der impulsivejunge Kollege an der Trompete den Bettelhin und verabschiedete sich aus der For-mation. Das Vibrafon blieb im Hause Staubund diente fortan dem pianistisch begab-ten, von Barpianisten zusätzlich trainiertenSohn Ueli als Übungsgerät ...

… worauf man ihn zum Stammspielerin der Hugelshofer-Band erklärte?Wir beschlossen, eine Formation zu grün-

den mit Ueli Staub am Vibrafon, Claus anden Drums und mir am Piano. Einen Bas-sisten fanden wir in der Weinstube.

Die Zusammensetzung lässt erahnen,dass ihr euch damals ambitiös amGeorge Shearing Quintett oder amModern Jazz Quartett orientiert habt.In den frühen Jahren des ZürcherAmateur-Jazzfestivals schossen vieleneue Bands aus dem Boden. Es wareine kompetitive Ära mit vielen jungenMusikern, die sich gegenseitig heraus-forderten.Ja, da gab es plötzlich ein Ziel vor Augen.Es bildete sich eine Art nationales Netz-werk, man hörte den schon ausgesprochenprofessionell wirkenden welschen Bandszu, auch den beeindruckenden Formatio-nen im alten Stil.

«Ihr swingt doch noch?»

Das von Dir gegründete MetronomeQuartett, das sich bald zum Quintetterweiterte, war dazu angetan, sich mitden Besten im Land zu messen undwurde ein halbes Jahrhundert lang zueiner schöpferischen Messgrösse für

Biografisches undDiskografischesMartin Hugelshofer,Jahrgang 1933

absolvierte als Schüler klassischen Klavier-unterricht am Zürcher Konservatorium,wandte sich aber nach dem Gymnasiumdem Jazz zu. Trotz beträchtlicher Erfolge mit demMetronome Quintett führte ihn die haupt-berufliche Laufbahn nicht zur Kultur.Nach betriebswissenschaftlichem Studiumin St. Gallen arbeitete Martin als Direk-tionssekretär bei einer Werbefirma, dann als Direktor einer internationalen Reise-organisation. Zuletzt war er bis zu seinerPensionierung Verbandsdirektor. 2018 verkleinerten Margot und MartinHugelshofer ihren Stadtzürcher Wohnsitzund vermachten wesentliche Teile derfamiliären Jazzsammlung – inklusiveMartins Flügel – dem swissjazzorama.

1953 gründeten die Gymnasiasten MartinHugelshofer und Ueli Staub das Metro-nome Quartett, das sich mit dem Saxo-fonisten Bruno Spoerri 1957 zum Metro-nome Quintett erweiterte. Die Formation,die sich stilistisch am Modern Jazz orien-tierte, gewann 1961 am internationalenZürcher Amateur Jazzfestival den erstenPreis und startete durch zu einer über fünf-zig Jahre währenden Karriere, welche die Band auf viele europäische Bühnen,aber auch nach Japan brachte. Zwischen1979 und 2002 präsentierte die Formation

mit dem Schauspieler Gert Westphal erarbeitete Programme unter dem Titel «Jazz und Lyrik».

Die lange Existenz des Metronome Quin-tetts äussert sich in einer respektablen Listevon Tonträgern:

– Swinging Mahagonny (1967) – At the Zoo (1969) – At the Expo (1970)– 20 Jahre Metronome Quintett

(1954–1973)– Just Friends (1978) – More Friends (1979) – Jazz und Lyrik - Ringeljazz (1982) – Jazz con pasta (1991), – Kling hinaus ins Weite -

Jazz und Lyrik,Vol. 2 (1993)– S`Wonderful (2002)– The Metronome Story -

50 Jahre Jazz (1959–2002)– The Girl from Jamaica -

Martin Hugelshofer Quartett plus Michel Hausser (2008)

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moderat modernen Schweizer Jazz.Darüber ist schon viel geredet undmanches geschrieben worden. Welcheswaren für Dich die Highlights dieserpersönlich mitgeprägten Ära?Beginnen wir mit Ueli Staub, der sich mitVerve auf das Vibrafon konzentrierte unddamit einen unglaublichen Anfangserfolgeinheimste. Damals probten wir, nur zuzweit, ganz intensiv. Ueli vertauschte daseinbeinige Ajax mit einem ausgewachse-nen Premier-Vibrafon. Zwei amerikanischeVibrafon-Grössen prägten den jazzmusika-lischen Zeitgeist und wirkten inspirierend:Lionel Hampton, der vom Schlagzeug herkam, und der vom Piano zu den Vibeswechselnde Milt Jackson. Auch für unswurde das Vibrafon zu einem Markenzei-chen. Als Metronome Quartett errangenwir am Internationalen Zürcher AmateurJazzfestival 1961 den ersten Preis, dasbrachte uns interessante Engagements inWien und – damals aus beruflichen Grün-den ohne mich – in Berlin.

Wie kam es zur Erweiterung vom Quartett zum Quintett?Wir spielten ab 1957 immer öfter mit demSaxofonisten Bruno Spoerri zusammen, deruns allerlei Gigs aus seiner HerkunftsregionBasel vermittelte und die allmählich zumQuintett verschmelzende Gruppe mitneuen Ideen, Kompositionen und Arrange-ments versorgte.

Sein Einfluss wurde spätestens 1970öffentlich registriert, als ihr im Auftragvon Pro Helvetia in Japan gastierenkonntet …Bruno lieferte das musikalische Materialfür die Metronome-LP `At the Zoo`, dieJean Deroc, dem Leiter des SchweizerKammerballetts, zu Ohren kam und be-wirkte, dass wir seine Truppe an der Welt-ausstellung in Tokio begleiten konnten.Ein japanischer Impresario nahm vor Ortden Faden auf und sorgte dafür, dass dieBand eine kleine Tournee durch den Insel-staat unternehmen konnte und überall auf enthusiastisches Publikum stiess.Mein ganzes Leben lang habe ich nie mehrin so grossen Sälen und auf so langenFlügeln spielen können, wie während derKonzerte in Japan!

Die dauerhaft tragenden Säulen imMetronome-Verbund waren Ueli Staub,der gelernte Zahnarzt und langjährigeJournalist, und du. Bei den Schlag-zeugern gehörte Rolf Bänninger vieleJahre zur Erfolgsformation. Ähnlicheslässt sich vom Bassisten Felix Rognersagen. Etwas länger ist die Liste derBläsersolisten geworden: Nach BrunoSpoerri, der als vierzigjähriger Profineue Herausforderungen suchte, undRuedi Fischer haben sich der dynami-

sche Ernst Gerber und der eher ge-schmeidige Richard Lipiec die Aufgabegeteilt – je nach Repertoire. Für Dichwaren wohl alle auf ihre Weiseprägend ...Die Bläserpersönlichkeiten haben ihr Natu-rell in die Band eingebracht. Ernst Gerberwar urwüchsig und eigenwillig, ein musika-lisches Alphatier, das sich gut eine andereRhythmusgruppe hätte vorstellen können,aber sich bei uns irgendwie zu integrierenwusste. Mit Richard Lipiec verbindet sichein anderes wichtiges Kapitel der Metro-nome-Geschichte – ich meine das `Jazz undLyrik`-Programm gemeinsam mit GertWestphal. Die Initiative dazu ging vomprominenten Schauspieler aus, der sich miteinem kurzen Brief bei mir meldete unddarin die rhetorische Frage stellte `Ihrswingt doch noch?` Richard brachte sichwunderbar sicher in die textlich-musika-lische Koproduktion ein. Insgesamt habenwir `Jazz und Lyrik` gut fünfzig Malgespielt, die eine Hälfte davon in derSchweiz, die andere in Deutschland. DieUraufführung fand Ende März 1979 imvollbesetzten Zürcher Opernhaus statt.

Ein Jazzleben nach Metronome

Bei aller Wertschätzung für das lange,füllige Kapitel Metronome Quintett:Für dich gab es auch ein Jazzlebenneben und nach dieser Formation. Wie kam es dazu?Auslöser war meine Pensionierung. DasGeschenk, über mehr freie Zeit verfügen zukönnen, weckte die Lust auf frische Akti-vität. Der Neubeginn trägt das Datum vom14. Dezember 2003 und markiert, miteinem Auftritt in Arosa, die Bildung desMartin Hugelshofer Quartetts. Zur Start-formation gehörten Saxofonist und Klari-nettist Pius Baumgartner, Bassist FrantisekUhlir aus Prag und Drummer FernandSchlumpf. Bis zur Dernière im Oktober 2015 schloss sich – in teilweise wechseln-der und gelegentlich aufs Trio reduzierterBesetzung – eine Folge von rund fünfzigweiteren Engagements im In- und Ausland

an. Gerne erinnere ich mich an Auftritte mit der feinen Sängerin Rebecca Spiterioder mit dem hochgeschätzten Posaunis-ten und Vibrafonisten Isla Eckinger. Dasspäte Highlight für mich waren freilich diegegen zwanzig Konzerte mit dem grossar-tigen französischen Vibrafonisten MichelHausser.

Wie kam es zur Begegnung mit ihm?Ein paar Sätze mit Michel hatten UeliStaub und ich schon als junge Fans nochvor unserer Matur gewechselt. Im golde-nen Zeitalter der Dancings mit Livemusikwar Hausser per Monatsengagement imZürcher Astoria aufgetreten. Als ich 1957eine Zeitlang in Paris weilte, kam es zurWiederbegegnung in dem von Michelmitgegründeten Lokal `Le chat qui pêche`.Ich durfte dort selber so oft mitwirken,dass ich mir die später sehr nützlichePraxis im Zusammenspiel mit ähnlichgelagerten europäischen Mitmusikernaneignete. Mit Michel Hausser habe ichaber dort nicht gespielt. Dazu kam es erst1996, als das Metronome Quintett fürzwei Abende in den Rheinfelder JazzclubQ4 verpflichtet wurde, Ueli Staub aber nureines der beiden Konzerte bestreitenkonnte. Durch Vermittlung des langjähri-gen Q4-Präsidenten Werner Pavei konnteder mittlerweile wieder in seiner elsässi-schen Heimat wohnhafte VibrafonistHausser eingeladen werden. Ab 2006durfte meine Formation ziemlich regel-mässig auf Michels Mitwirkung zählen –etwa am Jazzfestival in Munster (Elsass),an drei Tagen in Folge im Rahmen einerswissjazzorama-Ausstellung, aber auch inLörrach, im Stadttheater Winterthur undam Jazzfestival Ascona.

Das alles hört sich an wie der fulmi-nante Schluss eines sechs Jahrzehntelang swingenden Konzerts.Alles in allem erlebte ich nach über fünf-zig ereignisreichen Jahren mit dem Met-ronome Quintett nach der Jahrtausend-wende nochmals einen musikalischenSchub, den ich nicht missen möchte.

Generöses Geschenk am Endeeiner Pianisten-karriere: MartinHugelshofers Flügelgehört nun demswissjazzorama.Valentin freut sichauf diesem schönenInstrument täglich üben zu dürfen.

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Der Genfer Weltklasse-PianistHenri Chaix 1925–1999

Intro

Seit der Jazz vom selbsternannten GenieJelly Roll Morton «erfunden» worden ist,wurde die Musik oft von Trompetern domi-niert. Anfangs schien der legendäre, jedochundokumentierte Buddy Bolden in NewOrleans eine überragende Rolle zu spielen.Die Marschorchester führten schon auspraktischen Gründen kein Klavier mit sich.Das Piano ist sowohl ein grosses wie auchteueres Instrument, sowohl beim Kauf wieim Unterhalt. So war es dazu bestimmt, inden Bars, Tanzlokalen oder Häusern vonzweifelhaftem Ruf im French Quarter von«Big Easy» für Stimmung zu sorgen. Zu-dem ist das Klavier sehr anspruchsvoll zuspielen. Nur Hochtalentierte schaffen es,das Klavierspiel auf professionellem Niveauals Autodidakten zu meistern. Solch gross-artigen Musikern gelang es, dem Piano inden Bands zur Prominenz zu verhelfen.Diese Pianisten konnten Noten lesen, be-herrschten die Harmonielehre, um zu be-gleiten oder Arrangements zu schreiben.So kam es, dass die Pianisten häufig auchdie Rolle des Chefs übernahmen. Leader zu sein bedeutete, die unterschiedlichstenIndividuen auszuwählen und zu führen –oft auch Musiker mit hitzigen Temperamen-ten und höchst persönlichen Ansichtenüber Stilrichtungen, Interpretationsfragenund ihren Anteilen an Solochorussen.

Der Pianist

Unter den feinsten der grossen europäi-schen Pianisten hat ein in Genf wohnhafterMeister seit den 1940er Jahren stetig Er-folge gehabt: der einzigartige Henri Chaix.Alles, was er in den über 50 Jahren seinesKünstlerlebens anpackte, funkelte: sein de-likater doch kräftiger Anschlag, die schein-bar mühelosen Linien seiner Improvisation,die perlenden Läufe, die spontanen und oft

witzigen Passagen, die geschickt einge-fügten Zitate, die warmen, lyrischen Inter-pretationen und die intensiv swingendenBlues-, Stride- oder Swingnummern.

Chaix fand seine erste Inspiration bei JellyRoll Morton. Schon als Jüngling tönteChaix erheblich besser als die durchschnitt-lichen Dixie-Pianisten. Seine nächstenFavoriten waren James P. Johnson (sehrschwierig zu emulieren, nach dessen eige-ner Aussage), Willie the Lion Smith undFats Waller; drei der Gründerväter deskomplexen, anspruchsvollen «Stride»-Stils.The Lion selber bestätigte die hohe Komp-lexität von Johnsons Stil. Manchmal spielteChaix für Smith einige der ebenfalls sehrschwierigen Smith-Kompositionen – zudessen offensichtlichem Vergnügen. KeineSelbstverständlichkeit bei einem so queck-silbrigen Künstler wie dem Löwen! 1965wurde Chaix vom Lion erneut gebeten, amEnde eines Konzertes in Baden eine Smith-Komposition zu spielen. Dafür erhielt Chaixein unübertreffliches Kompliment vonSmith: «Beaucoup très joli – that's it!».

Kein Wunder machte Chaix eine ganzeGeneration von Jazzkennern zu Stride-Fans! Auch weniger berühmte Talente wieDonald Lambert, Lucky Roberts, WillardMcDaniel, Joe Turner, Teddy Weatherford,Don Frye, Cliff Jackson, Edgar Hayes, Fred-die Johnson, Marlowe Morris, GarlandWilson und weitere inspirierten ihn. Chaixliebte es auch, seinen Stride mit Blues undBoogie anzureichern, in der Art von JimmyYancey oder Champion Jack Dupree. Nichtallzu viele weisse Musiker sind imstande,echtes Bluesfeeling auszudrücken wieChaix. Auch Ausflüge in die weite Welt vonEarl Hines oder Duke Ellington durften wirmit ihm erleben. Retrospektive war jedochnie der Hauptzweck seiner künstlerischenAnstrengungen. Er beobachtete intensivund auch kritisch, was in der MusikweltNeues geschah. Auf diese Art hielt er seineAusdrucksweise in der feinen Balancezwischen der respektvoll behandelten Tradition und moderneren Strömungen.Wenn wir seinen enormen Respekt fürEllington erkennen, ist es nicht überra-schend, auch Echos von Monk zu finden.Kräftige, zweihändige Akkorde, angeschla-gen mit dem nötigen Geschmack gehörenzu den Charakteristiken, wenn Chaix Solis-ten begleitet oder sich selber beim Impro-visieren. So bleibt die Akkordstruktur derKomposition immer hörbar, manchmaldeutlich und manifest, manchmal eherimplizit, immer präsent.

Während Chaix seine Kunst ständig weiterdefinierte und perfektionierte, entwickelteer ebenso seinen Stil immer weiter; einenStil der mit viel Drive und Swing Mitmusi-ker und Publikum faszinierte. Immer hör-bar, spürbar, gleich von den ersten paarTakten an war seine persönliche, anste-ckende Art zu swingen. Ein leichtfüssiger,pulsierender Rhythmus, den Sie immerwieder entdecken werden, wenn Sie seineAufnahmen hören! Zudem waren alle sti-listischen Elemente seiner Musik nicht nurperfekt ausbalanciert, sondern immer miteinwandfrei gutem Geschmack präsentiert.Chaix war in dieser Hinsicht auch ein Perfektionist, ein harter Meister, der nachden klarsten Standards arbeitete, fast einGegensatz zu seinem gelassenen Auftre-ten. 00Nie zufrieden mit einer schnellenLösung, übte er sorgfältig, bis es ihm rich-tig schien und bis ein neues Stück für seinPublikum gut genug tönte.

Das Repertoire wurde dauernd überarbeitetund erneuert. So kamen seine Zuhörer inden Genuss einer feinen Mischung vonbekannten Hits und überraschendemneuen Material. Die HENRI CHAIXDISCOGRAPHY von Gerard Bieldermannund Arild Wideröe (Oktober 1997, ZwolleNL) zeigt die grosse Bandbreite von Kom-positionen, die Chaix über die Jahre auf-genommen hat.

Von 1946 bis zu seinem Tod ist Chaix aufTondokumenten zu hören. Diese fünfzigJahre der stetigen Entwicklung zeigen, dassseine Kunst nicht alterte, sondern reifte,wie guter Wein im Fass. Zunehmendes Le-bensalter kann für Musiker ein zunehmen-des Handicap werden. Nicht so für Chaix.Über die Jahre blühten seine reichen Ta-lente der Wahrnehmung, des Ausdrucks,der Balance und Vielseitigkeit, Eleganz undFinesse immer weiter auf. Auch erforderteseine Zusammenarbeit mit einer enormenVielfalt von Charakteren und ihren unter-schiedlichen Stilrichtungen – z.B. vonSidney Bechet über Ben Webster bis zuClark Terry – eine gewaltige Flexibilität. Ermeisterte jede dieser Herausforderungenbrillant, indem er seine unterschiedlichenPartner in ideal angepasster Weise be-gleitete. Dabei verlor er nie die intensiveKommunikation mit seinem Publikum.Dies auch weil seine Bescheidenheit ihn so sympathisch machte.

Der Begleiter

Zwei weitere Aspekte seiner musikalischenPersönlichkeit sind bemerkenswert: zumeinen sein grosses Talent als Begleiter undOrchestermitglied, das es ihm erlaubte, sichin jeden denkbaren musikalischen Kontexteinzugliedern. Zum andern seine Kompe-tenz als Chef seiner eigenen Gruppen. Die

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Liste internationaler Stars, die mit ihmzusammen auftraten, ist äusserst beein-druckend: Benny Bailey, Gérard Badini,Mickey Baker, Bob Barnard, Lucien Barba-rin, Sidney Bechet, Wallace Bishop, MiltBuckner, Benny Carter, Doc Cheatham,Buck Clayton, Bill Coleman, Wally Fawkes,Herb Fleming, Bud Freeman, Ed Hubble,Helen Humes, Guy Lafitte, Louis Mazetier,Joe Muranyi, Albert Nicholas, FrançoisRilhac, Antii Sarpila, Stuff Smith, Willie TheLion Smith, Rex Stewart, Ralph Sutton,Clark Terry, Jesper Thilo, Earle Warren, BenWebster, Nelson Williams, Roy Williams,Jimmy Woode und viele weitere. Wichtigerals eine vollständige Liste ist die echteBewunderung, welche diese Künstler äus-serten, indem sie die einfühlende, doch solide Chaix-Begleitungen beschrieben, diesie zu Höhenflügen inspirierten. Lion Smithwar nicht die einzige herausfordernde Per-sönlichkeit für gemeinsame Auftritte mitChaix. Eines der schwierigsten Tempera-mente muss Sidney Bechet gewesen sein.Doch der noch junge Henri meisterte auchheikle Momente mit Bechet. Als ich Chaixeinmal über seine Beziehungen zu demdominierenden Bechet befragte, sagte erschmunzelnd, dass Bechet während seinervielen Besuche in Genf zu einem Freundgeworden sei. Eine andere stark profiliertePersönlichkeit war Rex Stewart, der sichwährend der Proben mit der Chaix Band1966 als äusserst anspruchsvoller Leaderprofilierte. Auch diese Tournee war sehrerfolgreich. Zum Glück ist sie in LP- undCD-Form erhalten geblieben.

Originalton von Chaix dazu: «In all denJahren unseres Orchesters gibt es zweideutlich unterscheidbare Phasen – die Zeitvor und die Zeit nach Rex Stewart!»Für zwei hervorragende Schweizer Grup-pen, die Tremble Kids und die Hot Malletswar Chaix jahrlang einer der wichtigstenExponenten, die Bandmitglieder unterstüt-zend ohne sich selber in den Vordergrundzu drängen. Auch von diesen beiden Gruppen sind etliche Tondokumente auf-gezeichnet worden.

Der Orchesterchef und Arrangeur

Indem er sein eigenes Orchester leitete,entwickelte sich Chaix auch zum Coach,der den Weg aufzeigte, der sanft aberbestimmt führte, der förderte und forderteund der in seiner bescheidenen Art Fertig-keit und Inspiration zu bieten hatte.Er leitete seine Musiker eher mit stillem Charme und Humor als mit Befehlen, ehermit freundschaftlichem Flair und mit kla-rem Wissen, wohin die Reise gehen sollte.Etliche der ausgezeichneten Orchesterauf-nahmen entstanden in den 60er und 70erJahren. Viele davon sind im Stil der Elling-ton-Kleingruppen oder ähnlichen Bands der

Swingzeit gehalten. Die geschmackvollenArrangements des Chefs werden immersorgfältig und mit Respekt für die Originalegespielt und bewegen sich doch mit swin-gender Dynamik. Das war Jazz aus der Zeitder Ballrooms und Radioshows, wie auchder Propellerflugzeuge, für die Chaix einespezielle Vorliebe hatte.

Sein Leben als Musiker

Henri Chaix, der Sohn des französischenKomponisten und Organisten Charles Chaixwurde am 21. Februar 1925 in Genf gebo-ren. Das Plainpalais Quartier blieb zeit-lebens seine Heimbasis. Er behielt jedochseinen französischen Pass. Gerne sprach er von seinen Besuchen und Erinnerungenans Pays d'Ardèche, wo die Familie ihreWurzeln hatte. Seine Mutter, die er bewun-derte, war beim Fördern seiner musikali-schen Bildung ebenso wichtig wie seinVater. Noch bevor der kleine Henri zurPrimarschule ging, im zarten Alter vonsechs Jahren, wurde er ermuntert, Klavier-stunden zu nehmen. Sein Diplom alsKonzertpianist erreichte er am Konser-vatorium Genf. Zeitlebens unterrichtete er privat und an seiner Alma Mater bis 1995; sowohl klassische Musik undJazz. Einige seiner Studenten reisten extraan, etwa aus der Ostschweiz, aus Frank-reich und Deutschland. Dabei waren Grössen wie Axel Zwingenberger oderBernd Lhotzky.

Der welsche Musiker und Radiomann LoysChoquart führte Henri zum Jazz, mit denPlatten des Bechet-Ladnier-Quintets. Henriwar sogleich Feuer und Flamme für dieneue Musik, ein Feuer, das zur Freude sei-ner ständig wachsenden Schar von Freun-den, Bewunderern und Studenten wärendseines ganzen Lebens brannte. Frühe Enga-gements in den Bands um Choquart wech-

selten ab mit Sessions in zahlreichen weite-ren Gruppen. Chaix lehnte jedoch eineOfferte von Blue Note in New York ab,zusammen mit Giganten wie Bechet, VicDickenson, Sidney deParis und weiteren insStudio zu kommen. Eine Amerikareise kurznach dem Ende des Weltkrieges und ohneVorschuss wäre ein aussergewöhnlichesAbenteuer gewesen. So gesehen, ist derdamalige Verzicht des jungen Henri ver-ständlich. Stattdessen kamen amerikani-sche Jazzgrössen zu uns. Unter ihnenwaren Frank Big Boy Goudie, Mezz Mezz-row, Albert Nicholas, Tommy Benford,Pops Foster, Nelson Williams, Stuff Smith,Jack Dupree, Peanuts Holland, Glyn Paque,Wally Bishop, Earle Warren, Mickey Baker,Benny Waters, Milt Buckner, Doc Cheat-ham und von besonderer Bedeutung fürHenri: Willie the Lion Smith 1949/50. BillColeman, der Chaix als seinen bevorzugtenBegleiter hoch einschätzte, schrieb: «... erhat einen Stil, der es ihm erlaubt, ständigin Hochform aufzutreten. Ob er einen Solis-ten begleitet oder Teil eines Orchesters istoder als Solopianist spielt, sein Herz istimmer dabei. Er bringt als Begleiter jedenSolisten dazu, sein Bestes zu geben.»

Chaix spielte in den frühen Jahren auch abund zu Washboard und war ein kompeten-ter Posaunist, bis ihn Lippenproblemedaran hinderten. «Riri», wie er von seinenFreunden oft genannt wurde, startete seineSolokarriere in den frühen 50er Jahren.Nachdem sich die Loys Choquart DixieDandies aufgelöst hatten, schloss er sichClaude Auberts Gruppe an, wo er schnellzu einer treibenden Kraft wurde. Von 1956bis 1958, parallel zu seiner Arbeit mitAubert führte er ein eigenes Trio mit demausgezeichneten Tenoristen Michel Piletund mit Pierre Bouru am Schlagzeug.Bouru wurde kurz darauf Profi-Musiker.1961, als Aubert sich aus der Musikszene

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verabschiedete, wurde Henri zum offiziel-len Bandleader. Das Orchester Henri Chaixgenoss wohlverdiente Erfolge, mit ab undzu leicht veränderter Besetzung. Oft profi-tierten grosse Stars vom Chaix-Orchester,z.B. Rex Stewart 1966, Buck Clayton 1966und 1969, Ben Webster 1967 und 1969,Ray Nance oder Benny Carter 1968 sowieBuddy Tate 1971, um nur einige zu nennen.Diese Begegnungen mit den stilbildendenMeistern von solcher Statur inspiriertenund förderten die Auftritte des Orchestersin hohem Mass, wie Chaix und Pilet häufigbetonten. Auch gute Dinge kommen zuihrem Ende: nach mehr als 10 Jahren alskohärente Gruppe und nach ausserge-wöhnlichen Auftritten in Montreux und inBaden löste sich dieses grossartige Orches-ter auf. Ausser dem Chef waren alle Mit-glieder beruflich ausserhalb der Musikengagiert. Das liess sich nicht mehr längermit Proben, Aufnahmen und Auftrittenkombinieren.

Von da an leitete Chaix ein Trio mit AlainDuBois und Romano Cavicchiolo. Alainhatte im Orchester zunächst Gitarregespielt. Im Trio wechselte er zum Kontra-bass, mit seiner soliden, zuverlässigenBasis für die fein verwobene Art des Trios.Im Gegensatz zu vielen Bassisten, die sichseit den Showeinlagen von Arvell Shawbei den All Stars (seit 1947) mit langen, oftzu langen Soli in den Vordergrund stellten,blieb Alain fast immer in der reinen Beglei-terrolle. Spielte er ausnahmsweise ein Solo,war es kurz und klar, begleitet von seinemcharmanten, ansteckenden Lächeln. AlainsEnthusiasmus und seine offene, zugängli-che Art waren für Chaix genau so wichtigwie Romanos humorvolle, sympathischePersönlichkeit. Dieser swingende Schlag-zeuger brachte dem Trio viel Lebensfreude,Spiellust und auch Show – genau die rich-tige Mischung für die Trio-Auftritte, dieimmer ihr dankbares Publikum fanden.Das Zusammenwirken dieser drei so unter-schiedlichen Charaktere war stets einreines Vergnügen. Die musikalischenQualitäten des Trios äusserten sich in einerKonsistenz und Kohärenz, die vor allemüber das jahrelange Zusammenwirkenentstanden waren, und unter Freunden. DerEindruck, ein einziges Instrument zu hören,verstärkte sich noch über die Jahre. Weitentfernt von jeder Routine, schien dasPublikum nach jedem Konzert begeisterterzu sein als beim vorangehenden. Eine derunzähligen positiven Kritiken brachte esauf den Punkt: «Dieses Trio hat einfachkeine schwachen Tage!»

Henri Chaix wurde in der deutschenSchweiz und später im europäischenUmkreis von Johnny Simmen als erstembekannt gemacht. Simmen verfasste auchmehrere Artikel in internationalen Zeit-

scher Bewegung gehalten hatte, widmete er sich jetzt verstärkt anderen Aktivitäten.In seiner Jugend benutzte er gern das Liegevelo. Er bevorzugte dieses seltsameGefährt gegenüber dem 'normalen' Velowegen der besseren Aerodynamik. Statteines Autos fuhr er einen dreirädrigen Kabinenroller, auch für längere Fahrten.Und er liebte Flugzeuge. Er besuchte AirShows im In- und Ausland. Zweimal reistenwir zusammen nach Oshkosh, Wisconsin,USA, dem Mekka der Fliegerfans, wo sichbis zu 15 000 Flugzeuge einfinden. Einenangenehmeren und interessierteren Reise-kameraden kann ich mir nicht vorstellen.Eigenhändig baute Henri auch eine Replikader legendären französischen Flugma-schine aus den Zwanzigerjahren, einen«Pou du Ciel». Damit erhob er sich zuseiner grossen Freude auch in die Luft!

Henris liebenswürdiger Charme und seinEsprit, seine Integrität, seine ehrliche Be-scheidenheit übertrugen sich immer rasch,ob von der Bühne, in der Gesellschaft vonStudenten, Freunden und Fans oder inseiner Familie. Seine Töchter Isabelle undMarceline leben in der Nähe von Genf.

Sein plötzlicher Hinschied am 11. Juni 1999war ein böser Schock für alle, die ihn kann-ten und liebten. Sein Schlagzeuger undFreund Romano Cavicchiolo sagte: «Erbrachte mir alles bei, was ich weiss. Alle,die von seinem Pianospiel überrascht undbegeistert waren und mich nach seinemAlter fragten, antwortete ich – er hat keinAlter.» Henri hätte Romanos Antwort ge-schätzt. Ich betrachte es als ein grossesPrivileg, dass ich Henri Chaix kennen durfte. Nach unzähligen Auftritten, die icherlebte, höre ich immer wieder seine Plat-ten mit grosser Freude! Konrad Korsunsky

schriften über Chaix. Zudem produzierte erein zweistündiges Musikprogramm, welchesauf allen Swissair-Langstreckenflügen prä-sentiert wurde. Arild Wideröe ist der Bade-ner Produzent von LPs, CDs und von zahlrei-chen Konzerten, die Chaix über Jahrzehnteals Solist, im Trio, mit seinem Orchester undals Begleiter von internationalen Jazzstarsweit über die Landesgrenzen bekannt mach-te. Auch in der Kirche von Boswil wurdeChaix von Jörg Korans «Jazz Connaisseur»Organisation öfters präsentiert. Dort ent-stand die feine CD JCCD-8803 mit dem NewOrleans-Posaunisten Lucien Barbarin.

Zahllose Konzerte, Klubauftritte, öffentlicheund private Anlässe aller Art brachten demTrio verdiente Anerkennung, im Publikumund in der Kritik. Sehr gut zu hören sind die verschiedenen Eigenschaften des Triosbeispielsweise auf drei CDs der Marke Sackville: SKCD2-2020 von 1990, Jumpin'Punkins, SKCD2-2035 von 1993, Jive at Five,und SKCD2-2048 von 1996, Just Friends.(Je nach Bestand sind sie im Shop des swissjazzorama erhältlich). Die Aufnahmender dritten dieser CDs sind zugleich die letzten mit Alain DuBois. Dessen Tod imFebruar 1997 war ein schwerer Schlag fürHenri und Romano.

Coda

Als sich Chaix vom Lehramt des GenferKonservatoriums zurückzog, wurde ihm der Titel eines Ehrenprofessors überreicht.Obwohl er bei seinen Studenten unauslösch-bare Spuren hinterlassen hatte und obwohler die erhaltene Anerkennung deutlich spürte, empfand er die neue Freiheit vonVerpflichtungen als gute Gelegenheit. Wäh-rend das Leben als professioneller Musikerihn laufend in musikalischer und geographi-

Henri Chaix Trio:Henri Chaix, pianoRomano Cavicchiolo, drums Alain DuBois, bass

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André Previn kam als drittes Kind desRechtsanwaltes Jakob Priwin und seinerFrau Charlotte mit dem Namen AndreasLudwig Priwin zur Welt. Den ersten Klavier-unterricht erhielt der kleine Andreas vonseinem Vater, einem Amateurpianisten, deraber das ausserordentliche Talent seinesSohnes schon bald erkannte und ihn fürprofessionelle Klavierstunden im Stern-schen Konservatorium Berlin einschreibenliess.1938 zwangen die Nationalsozialisten die jüdische Familie Priwin zur Emigration.Nach einem Jahr in Paris, wo Andreas seineStudien am Conservatoire de Musiquefortsetzte, ging es zielstrebig Richtung LosAngeles. Dort wurde aus Andreas André,und ein neuer Familienname, Previn, wurdevon einem Verwandten übernommen, derbei der Filmgesellschaft Universal arbeitete.1943 wurde André Previn US-amerikani-scher Staatsbürger.

Lehrjahre bei MGM

Zu Andrés Lehrern in Los Angeles zähltenberühmte Künstler der Klassik wie etwa dieKomponisten Mario Castelnuovo-Tedescound Pierre Monteux sowie die GeigerJascha Heifetz und Joseph Szigeti. Obwohler noch keine Zwanzig war, liess er sich vonMetro-Goldwyn-Mayer, Hollywoods gröss-ter Filmgesellschaft, als Filmkomponistengagieren. Den Sprung ins Filmgeschäftwagte er ohne grosse einschlägige Kennt-nisse. Nach dem Prinzip Doing by Learningund einem regen Erfahrungsaustausch mitgestandenen Filmkomponisten wie HugoFriedhofer oder Erich Wolfgang Korngoldbrachte es André Previn bald soweit, her-vorragende Werke der Filmmusik zu schaf-fen. Vier seiner Arbeiten wurden mit einemOscar ausgezeichnet. Den ersten erhielt er1958 für die Filmkomödie Gigi.

Von Orchester zu Orchester mit dem Dirigentenstab

Damals standen in den grossen kaliforni-schen Filmstudios wie MGM, WarnerBrothers usw. den Komponisten zum Spie-

len ihrer Musik vollständig besetzte Sin-fonieorchester zur Verfügung. Kein Wunder,dass der deutschstämmige junge MusikerAmbitionen entwickelte, sich auch ausser-halb der Filmindustrie als Dirigent grosserOrchester einen Namen zu machen. Tat-sächlich wurde André Previn in der Klassikneben seiner Tätigkeit als Komponist undPianist vor allem als Dirigent von Sinfonie-orchestern berühmt. Hier eine Aufzählungvon ein paar wichtigen, die während Jah-ren unter seiner Leitung spielten: LondonSymphonie Orchestra (Music Director von1969–1979!), Pittsburgh Symphonie Orchestra, Los Angeles Philharmonic Or-chestra und Royal Philharmonic Orchestra.Dazu kamen Platteneinspielungen undTourneen mit weiteren Orchestern, z.B. denWiener Philharmonikern. André Previn war fünfmal verheiratet. Seine Ehe mit derGeigerin Anne-Sophie Mutter (2002–2006)war musikalisch von besonderer Bedeu-tung. Sie wurde zur wichtigsten Auftrag-geberin und Interpretin seiner damaligenKompositionen.

Tatum als Vorbild

Wer glaubt, André Previn habe neben allseinen Verpflichtungen im Klassikbereichnur ein wenig Jazz gespielt, irrt sich gründ-lich. Als er als junger Teenager eine Schel-

lack mit der Art Tatum-Version von SweetLorraine entdeckte, war die Begeisterungfür diese Art virtuosem Klavierspiel sogross, dass er keine Mühe scheute, aufGrund des Gehörten eine Transkription inForm von Noten herzustellen, die er dannbenutzte, um diese Tatum-Nummer mit allihren Finessen nachzuspielen. Die Voraus-setzung, Tatum zu kopieren, ist natürlicheine technische Beherrschung des Klavier-spiels auf hoher Stufe, über die damalsschon der junge André Previn verfügte.Neben Art Tatum inspirierte ihn in denersten Jahren seiner Jazzaktivität, die be-reits im Herbst 1945 durch Aufnahmen des Labels Sunset dokumentiert wurden,am nachhaltigsten Nat King Cole. CD13200 At Sunset im Archiv vorhanden.Rein quantitativ betrachtet bleibt selbst-verständlich der Jazz bei André Previn hin-ter der Klassik zurück. In punkto Qualitätsind aber seine Westcoastjahre – vor allemin den Fünfzigern zusammen mit demTrompeter Shorty Rogers – auf höchstemNiveau einzuordnen. Und seine späten Trio-Einspielungen – oft mit Ray Brown amBass und Mundell Lowe an der Gitarre –sind kleine Meisterstücke des kammer-musikalischen Jazz. Sie belegen, wie AndréPrevins Lust, guten Jazz zu spielen, durchJahrzehnte seines Musikerlebens amWirken war. Unser Archiv umfasst zurzeit61 LPs, 7 CDs und 3 Schellacks.

Auszeichnungen

Aus Platzgründen beschränken wir uns auffolgende Nennungen: Previn wurde 1996von Königin Elisabeth II. mit dem OrdenKnight Commander of the British Empire(KBE) ausgezeichnet; im Jahr 2005 erhielter den Glenn-Gould-Preis. Ende März 2011erhielt er in New York das Grosse Ver-dienstkreuz mit Stern der BundesrepublikDeutschland. 2012 wurde er in die Ameri-can Academy of Arts and Sciences gewählt.

*Titel No minor Chords,Bantam Books London 1993

Perfektionist der VielseitigkeitAndré Previn1929 –2019

In seinem Büchlein «No minor Chords»* berichtet André Previn in launiger Art überseine zehn Jahre als junger Komponist bei MGM in Hollywood. Schon bald bedrängteman ihn mit Fragen zu seiner Vielseitigkeit: Wieso konzentrieren Sie sich nicht aufdas Dirigieren von Orchestern? Wieso sind Sie nicht einfach Komponist? Wieso nichteinfach Jazzpianist? Seine Antwort war klar: Alles macht mir Spass. Den Sprung von Mozarts Kleiner Nachtmusik zum Bebop schaff ich mit Leichtigkeit. Es hat tat-sächlich Seltenheitswert, wenn ein absolut ausserhalb des Jazz aufgewachsener und mit dem vollständigen Schulsack der Klassik ausgerüsteter Musiker nach kurzer Einführung mit so viel Glanz und Feinheit Jazz spielt wie André Previn. Währendvieler Jahre war er neben seinem grossen Engagement in der Klassik weitgehend im Westcoast Jazz etabliert. Jimmy T. Schmid

Von links:Ray Brown, bass,André Previn, pianoJoe Pass, guitar

Späte Trio-Aufnahmen:1989: After Hoursmit Ray Brown und Joe Pass (Telarc Jazz)1990: Uptownmit Ray Brown und Mundell Lowe (Telarc Jazz)1991: Old Friendsmit Ray Brown und Mundell Lowe (Telarc Jazz)

Späte Solo-Aufnahmen:1996: Ballads – Solo JazzStandards (Angel Records)2007: Alone – Ballads forSolo-Piano (EmArcy)

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Jelly Roll Morton (1885?–1941).Wichtiger Pianist, Leader und Komponistdes New Orleans Jazz und selbsternannter«Erfinder» des Jazz. Hello Central give meDoctor Jazz, 1926.

Lil Hardin (Armstrong) (1898–1971).Bei den Aufnahmen der King Oliver CreoleJazz Band von 1922 sass sie auf demPianostuhl. Dort lernte sie Louis Armstrongkennen und heiratete ihn später. Sie hattein der Anfangszeit seiner Karriere einenerheblichen Einfluss auf ihn.

James P. Johnson (1894–1955).Pianist und Komponist. Er gilt als «Vaterdes Stride Pianos» und hat in dieser Eigen-schaft viele Pianisten beeinflusst u.a. auchFats Waller. Carolina Shout, 1921.

Thomas Fats Waller (1904–1943).Meister des Stride Pianos und Komponistunzähliger Songs. Ain't Misbehavin' 1929.

Earl Father Hines (1903–1983) löste dasSwingpiano stark von den frühen Rag- und Strideformen. Er sass am Piano bei derAufnahme des Meisterwerks von LouisArmstrong: West End Blues, 1928.

Count Basie (1904–1984) gilt als einer der sparsamsten Pianisten der Jazz-geschichte. Seine prägnanten Einleitungenbei Bigband-Aufnahmen sind meisterhaftund seine Rhythm Section mit FreddieGreen (g), Walter Page (b) und Jo Jones(dm) schrieb Jazzgeschichte. One O'ClockJump, 1937.

Duke Ellington (1899–1974) war einerder einflussreichsten Jazzmusiker.Er leitete das Orchester vom Piano aus.Als Komponist hinterliess er etwa 2000Kompositionen. Solitude, 1934.

Teddy Wilson (1912–1986) beeinflusstemit seinem eleganten Stil den Combo-Jazz der 1930er Jahre. Er war Mitglied des hochgelobten Benny Goodman Trios von 1935,das 1936 zum Quartett vergrössert wurde.

Erroll Garner (1921–1977) gehörte zu den stilbildenden Pianisten zwischen Main-stream und Modern Jazz. Er hatte eineausgeprägt persönliche Spielweise und warder Komponist von Misty, 1954.

Art Tatum (1909–1956) war einer der be-deutendsten Klaviervirtuosen und Erneue-rer des Jazz. Er spielte extrem schnelleLäufe mit überraschenden Wendungen.Sein Stil hat dem Bebop den Weg bereitet.

Mary Lou Williams (1910–1981).Pianistin, Komponistin, Arrangeurin.Ihren Stride Piano Stil modernisierte sieständig. Duke Ellington sagte: «Mary LouWilliams ist andauernd zeitgenössisch».Sie kämpfte auch für die Gleichberech-tigung der Frauen im Jazz.

Oscar Peterson (1925–2007) war einkanadischer Pianist. Er war einer der erfolg-reichsten Jazzpianisten aller Zeiten, bekamsieben Grammys und weitere Auszeichnun-gen. Sein Klavierstil zeichnete sich durchein phänomenales technisches Können aus.Er war ein Swinger von unheimlicher Kraft.Auf die Entwicklung des Jazz hatte erwenig Einfluss.

Thelonious Monk (1917–1982) gehörte zu den originellsten Pianisten des Jazz.Seine eigenwilligen Harmonien warenGrundlage vieler seiner Kompositionen,wie zum Beispiel: Round Midnight,1944(Mitautor: Cootie Williams).

Bud Powell (1924–1966) gilt als derführende Begründer des modernen Jazz-pianospiels. Sein Klavierspiel stellte diebisherige Tradition auf den Kopf. Derausserordentliche Virtuose übertrug CharlieParkers Saxophonläufe auf das Klavier.

Lennie Tristano (1919–1978) war einEinzelgänger des Modern Jazz. Er nahm harmonische Freiheiten des Free Jazz umrund zehn Jahre vorweg. Er war Pianist,Komponist, Musikpädagoge und wird denStilrichtungen Cool Jazz, Modal Jazz undThird Stream zugeordnet, denn er hat sichauch mit der europäischen Neuen Klassikauseinandergesetzt.

Bill Evans (1929–1980) war der Roman-tiker des Jazzpianos, der europäisch-klassisches Harmonie- und Formgefühleinbrachte. Er gilt als einer der einfluss-reichsten Pianisten und Komponisten desModern Jazz. Er beeinflusste eine ganzeGeneration von Pianisten u.a. HerbieHancock, Keith Jarrett, Chick Corea,Brad Mehldau u.a.

Keith Jarrett (*1945) hat die lyrischeSpielweise Bill Evans´ weiterentwickelt und führte improvisierte Solokonzerte auf neue Höhen wie z.B. mit dem KölnConcert,1975. Er spielt Jazz, aber auchMusik der Klassik. Seine Trio-Aufnahmensind Juwelen des Pianojazz.

McCoy Tyner (*1938) ist ein US-amerika-nischer Jazzpianist und Komponist. Er warschon früh von Art Tatum und TheloniousMonk beeinflusst. John Coltrane lobte sein eigenständiges Klavierspiel, seinenmelodischen Einfallsreichtum und die Klarheit seiner Ideen.

Cecil Taylor (1929–2018) war ein US-amerikanischer Jazzpianist, Komponist undDichter. Er wurde zum «Inbegriff des Jazz»im kraftvollen, swingenden Sinn desWortes (Joachim E. Berendt). Er gilt alsgrosse inspirierende Persönlichkeit des freiimprovisierten Jazz. Vergleiche JazzletterNr. 42, August 2018, Seite 16.

PERSÖNLICH

Dieser Jazzletter befasst sich auf ganzverschiedene Arten mit dem Piano undseinen Interpreten. Meiner Meinungnach dürfen da die ganz grossen Pia-nisten und Pianistinnen, die den Laufder Jazzgeschichte auf die eine oderandere Art beeinflusst haben, nichtfehlen. Diese Liste und die kurzenEinschätzungen sind aber ganz persön-lich. Hätte jemand anders eine solchezusammengestellt, würde sie wahr-scheinlich anders aussehen! Walter Abry

Waltis Liste wichtigerPianisten und Pianistinnen der Jazzgeschichte

Von Jelly Roll Mortons Geburtsjahr 1885 oder 1886 bis zu Cecil Taylors Todesjahr 2018 spannt sich ein grosser Bogen. Vor 1900 gab es Blues, Worksongs, Spirituals, Marschmusik,Ragtime und andere Einflüsse, aus denen sich allmählich der New Orleans Jazz entwickelte.Bis zur Musik des Cecile Taylor war es aber ein sehr weiter Weg mit einer riesigen Entwick-lung. Was man aber sagen kann: Jazz und Blues waren die Musik des 20. Jahrhunderts!

Walter Abry, *1933, 1946 als Schüler Hörer vonAFN (Radio für GIs). Schlüsselerlebnis: Konzertvon Armstrong, 1949. Heute immer noch: Mit-arbeit Redaktion und Layout des Jazzletters.

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Neben Tonträgern, Büchern, Zeitschrif-ten und vielem mehr haben wir aucheine Abteilung «Instrumente». Fürdiese «pianolastige» Nummer des Jazz-letters drängt es sich auf, die Instru-mente, die in den Rahmen «Piano»passen, vorzustellen. WA

BLICK INS ARCHIV

Das Pianola

Ein Pianola (Player Piano) ist eine Selbst-spiel-Apparatur. Der Name war ursprüng-lich ein Markennamen. Das erste Pianolawurde 1895 gebaut. Bei diesem Apparatwerden durch Lochstreifen aus Papier, densogenannten Notenrollen, vorgefertigteMusikstücke auf dem Instrument wieder-gegeben. Wie das genau funktioniert kannauf die Kürze nicht beschrieben werden.Das swissjazzorama besitzt ein solchesInstrument und dazu viele Notenrollen, dievon Jazzpianisten erarbeitet worden sind.

Elektrisches Piano (E-Piano)

Aus dem Nachlass des US-amerikanischenStridepianisten Joe Turner (1907–1990)wurde uns ein E-Piano geschenkt. JoeTurner lebte lange in der Schweiz.E-Pianos umfassen die elektronischen und besonders die elektrischen (elektro-mechanischen) Pianos. E-Pianos habendiesen typischen E-Piano-Sound.

Die Wurlitzerorgel

gehörte einst Fred Böhler (1912–1995), dermit ihr als Solist an ganz verschiedenenAnlässen auftrat. Die Wurlitzerorgel wurdedem swissjazzorama vom Fred Böhler Ku-ratorium Dübendorf geschenkt. Dieses Ku-ratorium erarbeitete 1996 eine Broschüreüber Fred Böhler an der auch Crewmit-glieder des swissjazzorama mitarbeiteten.

Gerne zeigen wir Ihnen bei einemBesuch bei uns die Instrumente.Wer sich für mehr Details interessiert,findet im Internet zahlreiche Hinweise.

Steinway Pianola (rechts).Sein Baujahr ist etwa 1914. Ab perforiertenPapierrollen spielt das Instrument völlig selb-ständig. Solche Pianolas waren anfangs des letzten Jahrhunderts in der «besseren Gesell-schaft» gross in Mode. Eine ganze Industrielebte von der Produktion der Notenrollen.

Elektro-Piano / E-Piano (unten links).Dieses E-Piano war im Besitz von Joe Turner.Es ist eines der ersten Instrumente mit rein elektronischer Tonerzeugung. Marke RMI,Baujahr etwa 1975.

Wurlitzerorgel (unten rechts).Das ist die letzte Orgel von Böhler. Er spielte sieletztmals kurz vor seinem Tode im Januar 1995.

RITA JUON-TURNER kam auf Einladung des swissjazzorama zu einem Besuch in unserneu eingerichtetes Archiv. Sie war beeindrucktund freute sich besonders über das reichhaltigeMaterial, das wir über ihren Vater haben.Ihr Vater war der bekannte US-amerikanische Stridepianist Joe Turner, der während langer Zeit in Zürich lebte, heiratete und viel in derSchweiz auftrat. Seine Tochter Rita ist in Zürichgeboren und hat hier die Schulen besucht.Um sich mit ihr zu unterhalten, muss man nichtenglisch können, es geht auch mit «Züridütsch».Aus dieser Zeit sind unsere Crewmitglieder Klaus Naegeli und Konrad Korsunsky mit ihrbekannt. Rita Juon-Turner lebt heute in Thailand.Sie hat versprochen, uns wieder zu besuchen und uns noch persönliche Unterlagen über ihrenVater zu übergeben. Klaus Naegeli /WA

Notenrollen für den Betrieb des Pianolas.

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Einige wenige Auszüge zum Thema PIANOaus dem Buch STOLEN MOMENTSvon Peter Rüedi, Echtzeit Verlag, 1983.

Max Roach ist der melodischste Drummerder Jazz-Geschichte. Cecil Taylor aber istihr perkussivster Pianist. «Wir in der schwar-zen Musik», meint Taylor, «betrachten dasPiano als ein perkussives Instrument.»

Der grosse Horowitz, einmal nach seinemKlavierstil befragt, sagte hinterlistig schlicht:«I play the pianoforte, that's all: I play pianoand I play forte.»

Haben diese Musik nun vollends die Archi-vare geholt, die Bibliothekare, Historiker, diemit Augenschirm und Ärmelschoner durchdie staubigen Flure der Library of Congressoder auch nur der nationalen Fonoteca inLugano schlurfen und eine einst immerhinfür den Moment geborene Kunst in immerneuen Editionen präparieren wie Botanikerdie verwelkten Blumen ihrer Herbarien?Dies sind, wer wollte es bestreiten, die Zei-ten der Musikarchäologen, die auf demeinst weiten wilden Feld des Jazz nach Trou-vaillen graben und verworfene Takes, ver-gessene Konzertmitschnitte zutage fördern.Noch ist es ein Grabungsfeld, aber die Pessi-misten sehen es schon als Friedhof. Aller-dings und anderseits wird der Jazz totge-sagt, seit es ihn gibt.

Es war, glaube ich, das Jahr 1960, uns trugauf Schwingen die sehr erträgliche Leichtig-keit des Seins. Jazz war ein Lebensgefühlwie später der Rock. Lange dachte ich, es seinur eine optische Täuschung, eine subjek-tive Trübung, dass mir jene Jahre zwischenCharlie Parkers und John Coltranes Tod(1955 bis 1967) als die wichtigsten in derganzen Geschichte dieser Musik vorkamen.[…] 1960 also gastierte im Zürcher Kon-gresshaus Quincy Jones mit einer Band,die musikalisch vom Besten aber kommer-ziell ein völliger Flop war. Eine Bigband auslauter Individualisten und Solisten: Das war,natürlich, eine moderne Version des PrinzipsEllington. Und eine Vorwegnahme der vielspäteren Band von Thad Jones und Mel Le-wis. Das mussten wir sehen, und als Zugabetrat gar noch Nat King Cole auf. Die Auf-nahmen, die Radio Zürich damals machteund die, wenn wir Glück haben, ein übereif-riger Archiv-Liquidator noch nicht entsorgthat, sind ein historisches Dokument.

Dass die Bedeutung des Pianisten Nat KingCole noch heute und auch in Fachkreisengeradezu grotesk unterschätzt wird, hängtallein damit zusammen, dass er sich in denOhren der Hardliners durch seinen Welt-

erfolg als populärer Sänger gewissermassenselbst disqualifizierte.

Irène Schweizer ist eine der Pionierinnenim europäischen Frauenjazz. Aber sie hatnie so etwas versucht wie die Verabsolu-tierung des Biologismus, hat ihre Vorausset-zungen immer klar, aber nie stur formuliert(als Frau, als Linke, als freie Improvisatorin).

Irène Schweizer die grosse Frau des Schwei-zer Jazz zu nennen, ist eine Beleidigung inmehrfachem Sinn. Einmal sprengt ihre Mu-sik mit Vehemenz den Rahmen dessen, wasder naheliegende Wortsinn unter «Jazz»versteht (obwohl sie daher kommt undzuweilen auch gern dahin zurückkehrt). […]Ihre Qualität ist Beharrlichkeit. Unvoreilig-keit. Konsequenz – nicht zu verwechseln mitSturheit.

Joanne Brackeen die First Lady des aktu-ellen Neo-Bop-Pianos […]. Den Abendvergesse ich nicht, an welchem ich demSchlagzeuger Billy Brooks eine ihm garan-tiert unbekannte Platte von Joanne Bra-ckeen vorspielte, bei allen Göttern des Jazz-pianos keine Zimperliese. Brooks meinte:«Weiss der Teufel, der Mann am Klavier hatein timing wie eine Frau.»

War Gruntz früher gelegentlich als Arran-geur ein Opfer jenes spezifisch baslerischenWitzes ums Verrecken, […] ist, als Arran-geur und Organisator, in der Form seinesLebens. Das meine ich, die peinlich-persön-liche Bemerkung ist leider für einmal uner-lässlich, als einer, den Gruntz für seinenFeind hält, und als einer, der seinerseits daschristliche Gebot der Feindesliebe für eineher unlebbares Ideal hält.

Die übermächtige Sehnsucht nach Harmo-nie, Wohlklang, Schönheit, Ruhe war daserste, was mir auffiel, als ich vor mehr alsdreissig Jahren Abdullah Ibrahim zumersten Mal hörte. Er hiess damals nochDollar Brand und kam mit seinem Trio alsunbekannter südafrikanischer Exilant in dieSchweiz, trauerte zu beschämenden Gagenin der lächerlich exotisierten Innenausstat-tung des Zürcher Africana seiner Heimatnach und dem Zustand dieser seiner Hei-mat. Und da war, in diesem bislang uner-hörten, wenn auch fern an Monk und Elling-ton anklingenden Pianospiel immer auchdas Gegenteil von Harmonie zu hören: Wut,Verzweiflung, Dissonanz, Zerstörung.Im Grunde ist Dollar Brand bis heute einPiano-Rezitator geblieben, der aus dem nurlangsam sich erweiternden Fundus vonEigenkompositionen und bekannten Titelnein zwingendes Kontinuum baut.

Was kann aus Uster Gutes kommen, wärewieder einmal mit Pontius Pilatus zu fra-gen. Zum Beispiel eine der spannendstenFormationen im neueren Schweizer Jazz,bei welcher Feststellung ich zweimal zö-gere. Ist doch das Attribut schweizerischwenn auch noch nicht eine Beleidigung, sodoch eine ganz unzulässige Einschränkung.und der Begriff «Jazz» natürlich wiedereinmal auch. Nicht weil die drei (die unterdem irritierenden Namen Kieloor Ent-artet auf der sogenannten Szene so neuauch wieder nicht sind) sich für den zu gutwären. Das Wort trifft einfach einmal mehrdie Sache nicht. Kieloor Entartet spielt auchJazz, im weitesten Sinn. Kielholz (Mathias)und Gloor (Mathias), Gitarrist der eine, Pia-nist und Keyboarder der andere; die dritteSpitze des Dreiecks heisst Lucas Niggli,Perkussionist.

Manche Genies sind so vertraut, dass siekeiner mehr erkennt. McCoy Tyner ist soein Fall. Er hat seit den Tagen, da er imberühmtesten Quartett von John Coltranespielte, einen so ganz und gar unverwech-selbaren Klavierstil entwickelt, eine so starke individuelle pianistische Form, dassjeder die Mittel wahrnimmt und kaummehr hinhört, was er mit diesen anstellt.[…] Als Tyner 1977 in Willisau ein denk-würdiges Solokonzert zum zehnten Todes-tag seines Freundes und Übervaters spielte,versetzte er über tausend Zuhörer in einenanhaltenden Zustand der Sprachlosigkeit.Alles war gesagt. Nach diesen zwei Stun-den und dem in rasender Ruhe die Clusterszu Monumenten türmenden, dann wiederdurch weite Räume meditierenden Piano-Dämonen, hallte eine phosphoreszierendeAura nach: Da hatte, wusste jeder, eineBeschwörung sämtlicher Erd- und Luft-geister stattgefunden.

Adolf Scheidegger, genannt Buddha,verbringt als Zürcher Staatsanwalt seineTage sozusagen im Dauerspagat zwischendem Gesetz und der real existierendenoder besser nicht existierenden Drogen-politik. Scheidegger, sonst hauptsächlichals Chef von Buddha's Gamblers be-kannt, einer Band, die nur dem Namennach Bratwurst-Röschti-Albisgüetli-Bier-fest-Dixieland klingt, in Wahrheit einenziemlich flexiblen und instrumental hoch-stehenden Swing praktiziert.

Gefühle sind fürs Publikum, heisst ein Satzvon Igor Strawinsky. Er ist zu einer ArtSlogan des Feldzugs der Moderne gegendie Sentimentalität geworden. Gefühlefinden ja nach landläufiger Meinunganderswo statt als im Kopf. Wirklich? Dieabendländische Kunstkritik unterscheidetzudem bis heute gern zwischen wahrenGefühle und Sentimentalitäten. Den Jazzhat das nie gekümmert. Wenn mich ein

Papier ist (nicht) geduldig

Schluss Seite 15

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Der mit 50 000 Franken dotierte Kunstpreisder Stadt Zürich geht 2019 an den Jazz-pianisten Nick Bärtsch. Er ist ein wichtigerExponent des Schweizer Jazz. In den letz-ten Jahren hat er sich kontinuierlich eineeigene musikalische Sprache erarbeitet,die auch international Beachtung findet.Trotz diesem Erfolg ist Nick Bärtsch auch in der lokalen Szene aktiv. Er spielt seitetwa 15 Jahren fast jeden Montag ein Konzert in der Stadt Zürich. Das swiss-jazzorama gratuliert herzlich! WA

KUNSTPREIS

Der Jazzpianist Nick Bärtsch erhältden Kunstpreisder Stadt Zürich 2019

Julien-François Zbinden – hundertundzwei Jahre altJulien-François Zbinden, geboren am 11. November 2017 in Roll (Kanton Waadt)ist ein Schweizer Jazzpianist, Komponist undRadiomitarbeiter. Er ist in der deutschenSchweiz wenig bekannt. Vor zwei Jahren hater seinen hundertsten Geburtstag gefeiert.Dazu hat immerhin die Neue Zürcher Zei-tung (NZZ) ein Beitrag veröffentlicht.

Zbinden studierte in Lausanne und GenfKlavier. Komposition lernte er mehrheitlichautodidaktisch, nahm aber auch Unter-richt. Sein erstes Geld verdiente er alsBarpianist. 1938 wurde er Mitglied einerJazzband. Ab 1947 arbeitete er bei RadioSuisse Romande, zuerst als Aufnahmeleiter,dann als Leiter der Musikabteilung.1973–1979 und 1987–1991 war er Präsi-dent der Schweizerischen Gesellschaft fürdie Rechte der Urheben musikalischerWerke (SUISA). Auch im Alter spielt er vielKlavier und trat noch 2017 öffentlich auf.Er verfasste mehr als 100 Kompositionen(Bühnenwerke, Sinfonien, konzertanteWerke u.a.). In seiner Tonsprache lassensich Einflüsse des Jazz, Neoklassizismusund von Arthur Honegger ausmachen.

Quelle: Internet

Flavio Ambrosetti(8. Oktober 1919 –21. August 2012)

Flavio Ambrosetti war ein Schweizer Jazzmusiker, er spielte hauptsächlich Altsaxofon. Dieses Jahr könnte er alsoseinen 100. Geburtstag feiern.Er war einer der Bebop-Pioniere Europasund spielte 1949 am legendären Jazz-festival von Paris, wo er Charlie Parkerbegegnete. Es folgten Jahre mit Platten-einspielungen, z.B. mit Elsie Bianchi oderKenny Clarke. 1972 gründete er zusammenmit seinem Sohn, George Gruntz und Daniel Humair The Band. Daraus wurdespäter The George Gruntz Concert JazzBand. Er war auch der Organisator desJazzfestivals Lugano (Estival Jazz). WA

Kunst-Stück zu Tränen rührt: Was soll daranverachtenswert sein? Von Dienstmädchen-ästhetik zu reden, ist nicht nur unkorrekt,sondern arrogant und falsch. Wie auch im-mer: Thierry Lang nennt seine Versionender (West-)Schweizer Volkslieder von AbbéBovet und Pierre Kaelin «Heimwehmusik».Die Umsetzungen, vom berühmten RanzDes Vaches über Le Vieux Châlet bis A Mo-léson, sind buchstäblich zum Heulen schön.

Wenn je das Schlagwort von instant com-posing seinen Sinn hat, dann bei dieserNeuerscheinung des Trios von Oliver Mag-nenat (Bass), Urs Blöchlinger (Alt- undSopransax) und Jacques Demierre (Piano).Kutteldaddeldu, der Name der Gruppe,klingt nach Morgenstern und also der Mul-tiplikation von Verspieltheit mit Hintersinn.Genau das ist diese Musik: in meinen Oh-ren etwas vom Besten, was mir im Schwei-zer Jazz (und nicht nur in dem) seit langemuntergekommen ist. Die wilden Kerle, wel-che die drei alle einmal waren (antiauto-ritäre Satansbraten der Free-Szene), habensich hier keineswegs zu musikalischenYuppies domestiziert oder gar zu profes-soralen Grüblern; ein vitaler Übermut isthier immer noch der Grundantrieb.

Mathias Rüegg besuchte das Lehrerse-minar im bündnerischen Schiers, unterrich-tete Sonderschulklassen und eine Gesamt-schule im hintersten Prättigau. Er war, miteiner Synkope Verspätung, ein Achtund-sechziger in allen Facetten: Antiamerikaner(Vietnam), 'Kommunist', ein Hippie (derbarfuss im langen Gewand vor seiner Klasse von Bauernkindern agierte), Esoteri-ker, Pop-Fan eher als Jazzanhänger. Rüegg

verweigerte als Pazifist den Militärdienstund ging dafür ins Gefängnis, mit demStaatsdienst hatte es sich damit fürs Erste.«Wir haben überhaupt nichts kapiert, inWahrheit waren wir ja von zwei Seitenindoktriniert: Die Kommunisten haben dieeuropäische Friedensbewegung benutzt,und die Amerikaner betrieben ohnehin ihreimperialistische Weltpolitik. Wir sind wirk-lich in den Ami-Jacken zu den Anti-Viet-nam-Demos gegangen.»

Joe Turner war einer der ersten amerika-nischen Jazzmusiker, die nach Europakamen: 1931. Und einer der wenigen, dieda geblieben sind (mit Ausnahme derKriegsjahre). Eben das ist der Grund dafür,dass sein Rang noch heute zu tief gehängtwird. Er war zu oft zu hören, er lebte inUngarn, in Paris (wo er im Juli 1990 starb),nicht weniger als dreizehn Jahre aber, von1949 bis 1962, in der Schweiz. Da kamdenn, weil der liebenswerte und selbstiro-nische Alleinunterhalter so selbstverständ-lich zur Szene gehörte wie irgendeiner, dasMissverständnis auf, das sei ein Barpianistunter vielen. Welch ein Irrtum. Über FredBöhler nil nisi bene, und Jack Trommer inEhren: Joe Turner war ein anderes Kaliber,ein Grossmeister des Stride [...]. In seinemvorletzten Schweizer Jahr, am 2. Dezember1961, gab Turner, der auch schon mal auf-trat, wo der Fuchs den Hasen grüsst, einKonzert in der Evangelischen MittelschuleSchiers. Zum Glück liess einer der Fans dasRevox mitlaufen (no Stereo, aber mehr alslow fidelity).

Bruno Gut, SJO-Bibliothekar und ehemaliger Schüler in Schiers

Diskografisches– Jazz: Solo, Trio, Sextette 1952–1979– JFZ Live Oktojazzy

CD Audio Production, 2005– It`s The Talk Of the Town

The Montreux Jazz Label, 2007– Last Call…? The Montreux Jazz Label, 2011

Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlichRedaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Layout: Walter Abry (WA)Copyright: swissjazzoramaAckerstrasse 45, 8610 Uster, +41(0)44 940 19 [email protected] www.jazzorama.chContact pour la Suisse romande:VakantContato per la Svizzera italiana: VakantMitarbeiter dieser Nummer: Heinz Abler (ha),Walter Abry (WA), Heiri Berner, René Bondt,Hans Burkhalter, Bruno Gut, Konrad Korsunsky,Klaus Naegeli, Fernand Schlumpf (fs), Jimmy T.Schmid (J.T.S.), Albert Stolz und Irène Spieler

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IMPRESSUM

Zusammengestellt von Heinz Abler und WA

URBIE GREENUS-amerikanischer Posaunist des Modern Jazz (08.08.1926–31.12.2018)Green zählte nicht zu jenen Posaunisten, derenSpiel Mauern einstürzen liess. Er pflegte einefeinere Ausdrucksweise, die von Kollegen undPublikum gleichermassen geschätzt wurde. Mankann ihn stilistisch in die Scharnierperiode zwi-schen Swing und Modern Jazz einreihen. Greenspielte vor allem auch in Bigbands wie etwa beiBenny Goodman, Woody Herman (3rd Herd) oderMaynard Ferguson. Später versuchte er sich alsTüftler, indem er an der elektronischen Erweite-rung seines Instrumentes mit der Möglichkeit derErzeugung von Hall- und Oktavspreizungseffek-ten arbeitete.

IRA GITLERUS-amerikanischer Jazz-Kritiker und -Historiker (18.12.1928–23.02.2019)Gitler wurde gerade rechtzeitig erwachsen, umden Bebop mit Macht in seine Geburtsstadt NewYork einziehen zu sehen. Gelgenheit, mit 18 Jah-ren zunächst einen Dizzy Gillespie-Auftritt imSpotlite, 52nd Street zu besprechen. Bald im Ge-schäft, schrieb er unzählige Covertexte von LPs,insbesondere für Bob Weinstocks Prestige Re-cords, wo er auch als Produzent fungierte. Be-kannt war er ausserdem als Kritiker von DownBeat, Jazz Magazine, New York Times, VillageVoice usw. Als Jazz-Enzyklopädist bzw. Historikerund sogar – etwas artfremd – Sportreporter(Eishockey) hinterliess er ebenfalls Spuren.Genug für ein langes Leben.

ANDRÉ PREVINUS-amerikanischer Pianist, Komponistund Dirigent mit deutschen Wurzeln(06.04.1929–28.02.2019)Siehe Artikel auf Seite 11.

JACQUES LOUSSIERFranzösischer Pianist des Modern Jazz(26.10.1934–05.03.2019)Loussier mochte nicht wenige erschreckt haben,als er 1959 sein erstes Play Bach Opus heraus-brachte. Bach mit Jazz kombinieren oder docheher kontaminieren? Der (kommerzielle) Erfolggab Loussier indes recht und so folgten nach Nr. 1 noch vier weitere – mit zahllosen Zweit-und Drittverwertungen. Bach, nicht besenrein obwohl sein erster Trio-Schlagzeuger ChristianGarros das dreiste Treiben oft mit Besen inSchwung brachte und hielt. Obwohl Loussierauch viel Film- und Serien-Musik schrieb, wirdihn wohl Bach ins ewige Gedenken begleiten.

DAVE SAMUELSUS-amerikanischer Vibrafonist und Marimba-Spieler des Fusion-/Latin Jazz(09.10.1948–22.04.2019)Samuels war, wie so viele, ein Abgänger derBerklee School of Music in Boston, wo er u.a.auch von Gary Burton unterrichtet wurde. MitInstrumentalkollege David Friedman bildete erdie interessante Formation Double Image, spieltemit Gerry Mulligan und Frank Zappa und war ab1986 etwa ein Jahrzehnt fixes Mitglied derFusiongruppe Spyro Gyra. Später fand er seinemusikalische Spielwiese in der Kulturzone Karibik- Lateinamerika. Hierbei konzentrierte ersich vornehmlich auf das Marimbaspiel.

DR. JOHN (Malcom «Mac» John Rebennack, jr.)war ein US-amerikanischer Musiker (Pianist,Gitarrist, Sänger und Musikproduzent)(20.11.1941–06.06.2019)Er war ein eigenständiger Nachfolger von Prof.Longhair. Sein Schaffen umfasste Rock'n'Roll,Cajun, Blues und Jazz und war stark geprägt vonder Musik seiner Heimatstadt New Orleans. Erwar 6-facher Grammy-Preisträger und wurde indie Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.Seinen ersten Erfolg hatte er 1968 mit einer Mischung aus Voodoo-Zaubersprüchen, Rhythmand Blues und kreolischer Soulmusik.

DAVE BARTHOLOMEW(24.12.1918–23.06. 2019)war ein US-amerikanischer Rhythm and Blues-Musiker und Jazztrompeter. Ab den 1950erJahren arbeitete er vorranging als Produzent,Arrangeur und Komponist. Legendär war seineZusammenarbeit mit dem Pianisten und SängerFats Domino (vgl. auch Jazzletter Nr. 40).Er starb im hohen Alter von über 100 Jahren am 23. Juni 2016 in New Orleans.

HERMANN «MÄNI» PFISTER-WITH(26.10.1935–20.06.2019)war Gründungspräsident des Jazzclub Oetwil an der Limmat und Mitglied des swissjazzorama.Er war jahrelang Präsident dieses Clubs und hat ihm lange Zeit seinen Stempel aufgedrückt.Seine Freunde nannten ihn Mister JazzclubOetwil. 2015 wurde er zum Ehrenpräsidenternannt. Nach jahrelanger Krankheit ist er am 20. Juni 2019 friedlich eingeschlafen.

JOÂO GILBERTO(10.06.1931–06.07.2019)war ein brasilianischer Gitarrist, Sänger und Komponist. Er war, neben Carlos Jobim,wesentlich beteiligt bei der Erarbeitung desBossa Nova. Typisch für ihn war der leise Gesang und der Rhythmus seines Gitarrenspiels.1963 machte er in New York Aufnahmen mitCarlos Jobim, Astrud Gilberto und dem Tenor-saxofonisten Stan Getz. Diese Aufnahmen machten den Bossa Nova weltbekannt.

DORIS DAY (Doris Mary Ann Kappelhoff)(03.04.1922–13.05.2019)war eine US-amerikanische Sängerin und Film-schauspielerin. Schon bevor sie als Bigband-Sängerin in Bands wie Bob Crosby oder Les Brown arbeitete hatte sie Auftritte im Rund-funk und in Nachtclubs. Später war sie auch inverschiedenen Radiosendungen Gast, z.B. beiFrank Sinatra, Dinah Shore oder Bob Hope.Richtig berühmt wurde sie allerdings als Film-schauspielerin. Sie war in vielen grossartigenFilmen, zusammen mit der damaligen erstenGarde der Fimschauspieler und -spielerinnen zu sehen – das ist aber ein anderes Kapitel.Sie starb im hohen Alter von 97 Jahreen an denFolgen einer Lungenentzündung.

IN MEMORIAM

Isla Eckingers neue CD (enja, ENJ - 965321)Im Jazzletter 42 (August 2018) haben wir unterdem Titel Isla’s Heartbeat den Booklet-Text zurneuen CD von Isla Eckinger veröffentlicht. DerText ist eine Huldigung an die musikalische Ar-beit des Schweizer Musikers. Leider stand damalsder übrige Text der CD noch nicht zur Verfügung.Deshalb präsentieren wir Ihnen jetzt die Details:

Titel: Isla’s Island – The Music of Isla EckingerTitel des Booklet-Textes:Isla’s Heartbeat, Verfasser Peter Rüedi Alle Kompositionen und Arrangements:Isla Eckinger

Besetzung: Isla Eckinger und amerikanischeMusiker. 11Titel, Laufzeit 61 Minuten

Der Boogie Woogie ist ursprünglich ein Klavier-stil, der sich in der Übergangszeit vom 19. zum20. Jahrhundert entwickelte. In den 1920er Jah-ren entstanden erste Aufnahmen, die in der BlackCommunity populär waren. Musikalisch entstandder Boogie-Woogie aus einer Übertragung blues-artiger Formate von der Gitarre auf das Klavier.Der harmonische Ablauf entspricht meistens demBlues-Schema. Den Bässen der linken Handstehen Melodiefiguren der rechten Hand ent-gegen, auch unter Einbezug der Blue Notes.

Den Grundstein zu dieser Musikrichtung legten Pianisten wie Clarence Pinetop Smith(1904–1929), Cow Cow Davenport (1894–1955),Montana Taylor (1903–1954) oder Jimmy Yancey(1894–1951). Die Auftritte der Boogie-PianistenAlbert Ammons (1907–1949), Meade Lux Lewis(1905–1964) und Pete Johnson (1904–1967) von1938 am berühmten Konzert From Spirituals toSwing in der New Yorker Carnegie Hall lösten einwahres Boogie-Woogie-Fieber aus. Es erfassteauch andere Musikgattungen wie den Rhythmand Blues, z.B. von Lloyd Glenn (1909–1985),oder den Rock'n'Roll Jerry Lee Lewis’ (*1935).

Im Jazz und Blues spielt(e) der Boogie Woogieeine wichtige Rolle, man denke nur an Memphis Slim (1915–1988) oder Count Basie(1904–1984), Jay McShann (1916–2006),Lionel Hampton (1908–2002) und weitere.

Heute sind es in Europa Musiker wie Jean-PaulAmouroux, F (*1943), Axel Zwingenberger,D (*1955), Frank Muschalle D (*1969), SilvanZingg, CH (*1973) um nur einige zu nennen,die diesen Pianostil weitertragen. Dazu gehörtauch Chris Conz, CH (*1985). Er organisiert diejährlichen International Boogie Nights in Usterund tritt dort auch auf. Albert Stolz / WA

Boogie Woogie, ein Piano-Musikstil, der seit über100 Jahren treue Fans hat!

Albert AmmonsMeade Lux Lewis