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1 Nr. 37, Januar 2017 jazzletter EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Hier berichten wir von keinem Musiker, keinem Plattenproduzenten, keinem Kon- zertveranstalter, sondern sage und schreibe von einem König. Und zwar vom thailändi- schen König Bhumibol, der am 13. Oktober in seinem 90. Lebensjahr verstorben ist. Der von seinem Volke so sehr geliebte König spielte schon als Teenager mit Begeisterung Saxofon und war ein grosser Jazzfan. Als Benny Goodman im Rahmen einer Asien- tournee im Dezember 1956 mit seinem Or- chester in Bangkok konzertierte, kam für Bhumibol die seltene Gelegenheit, an der Seite des berühmten amerikanischen Klari- nettisten mit seinem Sopransax zu spielen. Das war ein ganz ausserordentliches Ereig- nis. Dessen Zustandekommen ist übrigens weitgehend Goodmans gutem Freund Kurt Müller aus St. Gallen, der sich beruflich in Bangkok etabliert hatte, zu verdanken. Gemäss D.R. Connors Goodman-Diskografie kam es nach dem Treffen in Bangkok zu einem weiteren gemeinsamen Musizieren im Juli 1960. Der hohe Gast aus Thailand jammte an einer Privatparty mit BG in New York. Sind die Bhumibol-Intermezzi von jazz- geschichtlicher Bedeutung? Wohl kaum. In den Medien wurden sie nur selten erwähnt. Wir wollen immer alles, was den Namen Jazz zu Recht trägt, redaktionell berücksich- tigen. Unabhängig von regionalen Unter- schieden. Mit dem Bebop in unserer letzten Ausgabe blickten wir hauptsächlich auf den Osten Amerikas, mit dem Westcoast-Beitrag dieser Nummer auf den Westen. In unserem Bestreben, regionale Grenzen, aber auch ge- sellschaftliche Rangordnungen zu ignorieren, hat auch die kleine Geschichte von Benny und Bhumibol durchaus ihre Berechtigung. Herzlich swissjazzorama.ch Inhalt 2 Neues aus Geschäftsleitung und Vorstand 3 In eigener Sache: Tag der offenen Tür 4/5 Focus on Westcoast 6/7 Interview mit Klaus König 8 Jazz in der Schweiz – heute: Ch. Niederer 9 Simmen Collection / Melvin Sy Oliver 10 Wer war Tommy Ladnier? 11 Elsie Bianchi / Sir Charles Thompson 12 Gelesen / In memoriam / SUISA -Jazzpreis Begeistert von Dizzy Gillespies und Charlie Parkers Bebop wollte anfangs der 1950er Jahre eine stattliche Anzahl von Jazzmusi- kern der Westküste Amerikas ihre Spielweise dem Muster der grossen Bebop-Koryphäen anpassen. Nicht allen gelang dies so gut, wie einer Gruppe von Musikern, die vom Or- chester des Pianisten Stan Kenton herkamen. Sein Progressiv Jazz bot ideale Vorausset- zungen für junge, ambitionierte Musiker. (Heinz Abler erwähnt sie in seinem West- coast-Beitrag auf Seite 4.) Einer von ihnen war der Trompeter Shorty Rogers, den wir hier anhand eines Plattenbeispiels besonders würdigen. Die Stücke der gewählten LP (RCA France NL 89308, swissjazzorama LP-02289) sind typische Westcoast Jazz-Produkte. Zusammen mit André Previn leitet Shorty 1954 ein eigentliches All Star-Ensemble. Einflüsse, die vom Bebop über die Barock- musik bis zu Stravinsky reichen, lassen sich unschwer erkennen. Rogers war solistisch und als Komponist und Arrangeur eine herausragende Grösse des Westcoast Jazz. In seinen Bands versammelten sich sozusa- gen alle, die damals auf der Westseite Amerikas im Jazz Rang und Namen hatten. Jimmy Guiffre, Frank Rosolino, Shelly Manne u.a.m. Previns Qualitäten lassen sich mit blossem Schubladendenken kaum erfas- sen. Seine Leistungen sind im weiten Bereich der Klassik ebenso ausserordentlich wie im Bereich des Jazz. Collaboration titeln die beiden unser Plattenbeispiel. Eine tref- fende Wahl. Die Zusammenarbeit könnte kaum besser gelungen sein. J.T.S. Mehr als nur ein geografischer Begriff: WESTCOAST Shorty Rogers mit seiner Trompete immer zu Spässen bereit Foto: Hermosa Beach in Kalifornien

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Nr. 37, Januar 2017

jazzletter

EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber LeserHier berichten wir von keinem Musiker,keinem Plattenproduzenten, keinem Kon-zertveranstalter, sondern sage und schreibevon einem König. Und zwar vom thailändi-schen König Bhumibol, der am 13. Oktoberin seinem 90. Lebensjahr verstorben ist.Der von seinem Volke so sehr geliebte Königspielte schon als Teenager mit BegeisterungSaxofon und war ein grosser Jazzfan. AlsBenny Goodman im Rahmen einer Asien-tournee im Dezember 1956 mit seinem Or-chester in Bangkok konzertierte, kam fürBhumibol die seltene Gelegenheit, an derSeite des berühmten amerikanischen Klari-nettisten mit seinem Sopransax zu spielen.Das war ein ganz ausserordentliches Ereig-nis. Dessen Zustandekommen ist übrigensweitgehend Goodmans gutem Freund KurtMüller aus St. Gallen, der sich beruflich in Bangkok etabliert hatte, zu verdanken.Gemäss D.R. Connors Goodman-Diskografiekam es nach dem Treffen in Bangkok zueinem weiteren gemeinsamen Musizieren im Juli 1960. Der hohe Gast aus Thailandjammte an einer Privatparty mit BG in NewYork. Sind die Bhumibol-Intermezzi von jazz-geschichtlicher Bedeutung? Wohl kaum. Inden Medien wurden sie nur selten erwähnt. Wir wollen immer alles, was den NamenJazz zu Recht trägt, redaktionell berücksich-tigen. Unabhängig von regionalen Unter-schieden. Mit dem Bebop in unserer letztenAusgabe blickten wir hauptsächlich auf denOsten Amerikas, mit dem Westcoast-Beitragdieser Nummer auf den Westen. In unseremBestreben, regionale Grenzen, aber auch ge-sellschaftliche Rangordnungen zu ignorieren,hat auch die kleine Geschichte von Bennyund Bhumibol durchaus ihre Berechtigung.Herzlich

swissjazzorama.ch

Inhalt2 Neues aus Geschäftsleitung und Vorstand3 In eigener Sache: Tag der offenen Tür 4 / 5 Focus on Westcoast6 / 7 Interview mit Klaus König8 Jazz in der Schweiz – heute: Ch. Niederer9 Simmen Collection / Melvin Sy Oliver

10 Wer war Tommy Ladnier?11 Elsie Bianchi / Sir Charles Thompson12 Gelesen / In memoriam / SUISA-Jazzpreis

Begeistert von Dizzy Gillespies und CharlieParkers Bebop wollte anfangs der 1950erJahre eine stattliche Anzahl von Jazzmusi-kern der Westküste Amerikas ihre Spielweisedem Muster der grossen Bebop-Koryphäenanpassen. Nicht allen gelang dies so gut,wie einer Gruppe von Musikern, die vom Or-chester des Pianisten Stan Kenton herkamen.Sein Progressiv Jazz bot ideale Vorausset-zungen für junge, ambitionierte Musiker.(Heinz Abler erwähnt sie in seinem West-coast-Beitrag auf Seite 4.) Einer von ihnenwar der Trompeter Shorty Rogers, den wirhier anhand eines Plattenbeispiels besonderswürdigen. Die Stücke der gewählten LP (RCAFrance NL 89308, swissjazzorama LP-02289)sind typische Westcoast Jazz-Produkte.Zusammen mit André Previn leitet Shorty

1954 ein eigentliches All Star-Ensemble.Einflüsse, die vom Bebop über die Barock-musik bis zu Stravinsky reichen, lassen sichunschwer erkennen. Rogers war solistischund als Komponist und Arrangeur eineherausragende Grösse des Westcoast Jazz.In seinen Bands versammelten sich sozusa-gen alle, die damals auf der WestseiteAmerikas im Jazz Rang und Namen hatten.Jimmy Guiffre, Frank Rosolino, ShellyManne u.a.m. Previns Qualitäten lassen sichmit blossem Schubladendenken kaum erfas-sen. Seine Leistungen sind im weitenBereich der Klassik ebenso ausserordentlichwie im Bereich des Jazz. Collaboration titelndie beiden unser Plattenbeispiel. Eine tref-fende Wahl. Die Zusammenarbeit könntekaum besser gelungen sein. J.T.S.

Mehr als nur ein geografischerBegriff:WESTCOAST

Shorty Rogersmit seiner Trompete

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SEITE DER GESCHÄFTSLEITUNG UND DES VORSTANDES

Hans Peter Künzle,*1951, ist seitSeptember 2016 Geschäftsleiter desswissjazzorama.ch, mit einem Pensumvon 50%. Bereits seit 2013 ist erMitglied des SJO-Vorstands. Im folgen-den Beitrag vermittelt er ein paarEindrücke über den jetzigen Stand unddenkt über die Zukunft des SJO nach.

Wenn man das erste Mal an die Ackerstrassekommt, ist man erst mal überwältigt, dennim Gegensatz zum alten Standort, ist hierdie ganze Sammlung im riesigen Ausmassersichtlich: Schellack- und Vinylplatten, CDs,Filme, Printmedien, Plakate, Fotos, Noten,Geräte und Instrumente sind unter einemDach und verführen zum schmökern undentdecken. Es hat schöne, helle Arbeitsplätzein genügender Anzahl, so dass angefangeneArbeiten auch mal bis zum Abschluss liegengelassen werden können.

Die übersichtliche Anordnung der unzäh-ligen Gestelle, die zu einem grossen Teilbereits systematisch und geordnet gefülltsind, ist beeindruckend. Dank der motivier-ten Crew konnte der ganze Umzug effizientund kostengünstig durchgeführt werden.

Das Archiv ist gut organisiert. Es bestehenArchivierungstools und Regelungen, wieTonträger, Printmedien etc. zu registrierenund archivieren sind. Die Archivierung wirddauernd verbessert und professionalisiert.Es sind Sammlungskonzepte vorhanden, dienatürlich auch dauernd angepasst werdenmüssen. Man merkt, hier hat es Leute mitKompetenz und Fachwissen, die ganze Crewist motiviert und denkt mit.

Mit dem Umzug an die Ackerstrasse und der schrittweisen Professionalisierung desArchivs, sind die finanziellen Aufwendungengestiegen. Neue verlässliche Geldquellenmüssen gefunden werden. Ein wichtigerSchritt wird die Überführung unseres Vereinsin eine Stiftung sein. Nur so wird das swiss-jazzorama.ch zu einem verlässlichen Partnerfür Donatoren, Stiftungen und Behörden.

Mit einer Stiftung werden wir auch dieMöglichkeit haben, uns um finanzielleMittel beim Bund zu bewerben.

Mit dem neuen Standort fängt sicher aucheine neue Ära betreffend Sammlungs-strategie an, denn unser Anspruch ist klar:Das swissjazzorama.ch soll zu dem Schwei-zer Jazzarchiv werden, mit einer relevantenund umfassenden Sammlung von nationa-ler Ausstrahlung und Prägung. Wir werdenunseren Fokus auf Helvetica* legenmüssen, es muss den Schnitt geben «vomalles sammeln» zum «gezielt sammeln».Die Nachlässe werden in nächster Zeitnicht abnehmen. Wenn alles aufbewahrtwird, werden wir schon bald wieder Platz-probleme bekommen. Die Frage ist, machtes Sinn, Jazz aus der ganzen Welt zusammeln. Eventuell macht es tatsächlichSinn bei Schellack und Vinyl, vielleicht auch bei gewissen Printmedien, aber sichernicht bei den CDs. Allein schon die CDs von CH-Labels und CH-Musikern, die wir zwingend lückenlos archivieren sollten,werden Dutzende von Gestellen füllen.

Das SJO muss national und internationalbesser wahrgenommen werden. PotentielleAnsprechpersonen und -Institutionen sindzu eruieren, die Zusammenarbeit mit Insti-tutionen (Schulen, Hochschulen, andereArchive etc.) muss intensiviert werden.Die Website wird zu diesem Zwecke immerwichtiger. Das swissjazzorama.ch ist aufgutem Wege. Eine gut funktionierendeDatenbank ist vorhanden. Sie kann zumgrossen Teil über die Website abgerufenwerden. Die Entwicklung in diesem Bereichist rasend schnell, dauernde Anpassungund Verbesserung sind eminent wichtig.Dafür braucht es entsprechende Fachleute.

Und last but not least: Wir werden durchNachlässe und Schenkungen auch immermehr Doubletten bekommen, die in unse-rem Shop verkauft werden können. Auchhier ist zu überlegen, wie wir potentielleKunden finden …

Es gibt enorm viel zu tun!

Mit einem guten Team und den nötigenFinanzen ist vieles möglich. Ich bin zuver-sichtlich und freue mich auf eine weiterhingute Zusammenarbeit mit dem Team, denBehörden und den Institutionen.

Hans Peter Künzle, Geschäftsleiter

* Mit Helvetica bezeichnen wir alles Archiv-material, das in irgendeiner Weise einen Bezugzum Jazz in der Schweiz hat.

Vom Verein zurStiftung

Gedanken des neuenGeschäftsleiters

Unser Verein möchte 2017 die von derVereinsversammlung schon 2011 beschlos-sene swissjazzorama-Stiftung errichtenund dieser das uneingeschränkte Eigentuman den Archivalien und den Einrichtungendes laufenden Betriebes übertragen, ein-schliesslich aller Rechte im Urheber- undInternet-Bereich. Ausserdem soll die Stiftung auch die wesentlichen Aufgabender Betriebsführung und sämtliche Rechteund Pflichten aus den bestehenden Perso-nal-, Miet-, Versicherungs- und sonstigenVerträgen des Vereins übernehmen. Jazz im weitesten Sinne, in Zukunft wohl auchverwandte Musikrichtungen (Rock, Popusw.) werden im Zentrum der Stiftungs-tätigkeit stehen.

Der Wechsel vom Verein zur Stiftung drängtsich jetzt auf, weil der Bund bei der ab2018 vorgesehenen Neu-Vergabe seinerMittel nur überregional oder schweizweitaktive Bewerber berücksichtigen wird,die eine gefestigte Organisationsstrukturhaben. Vereinsvorstände erfüllen dieseBedingung nicht, da sie jederzeit durchneues Personal mit völlig anderen Priori-täten ersetzt werden können.

Künftige (Mit-)Stifter erhalten beim swissjazzorama einen Zeichnungsschein.Ein älteres Ehepaar hat sich bereits schrift-lich dazu verpflichtet, Fr. 40 000.– alsSchenkung auf das Sperrkonto der zu gründenden Stiftung einzuzahlen. UnserZiel ist es, bis zur nächsten Vereinsver-sammlung etwa Fr. 500 000.– zusammen-zutragen. Mitglieder-, Gönner- und Spon-sorenbeiträge sowie Legate und Spendenan den Verein swissjazzorama sind steuer-befreit und können in der Steuererklärungvom Einkommen abgezogen werden.(Verfügung Nr. 05/10372 des Kantonalen Steueramtes Zürich vom 28.07.2005).

Andrea Engi, Präsident

Page 3: swissjazzorama.ch jazzletter

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IN EIGENER SACHE

Samstag, 14. Januar 2017 von 11.00 – 17.00 UhrAckerstrasse 45, 8610 UsterSiehe LageplanParkplätze hinter dem Haus

Programm:

– Rundgang durch die Räume und Abteilungen: Büro, Shop,Bibliothek, Archiv,Simmen-Sammlung,Grau-Sammlung,Perrotet-Sammlung usw.

– Führungen durch Spezialisten der SJO-Crew mit Hinweisen auf besondere Archiv-Raritäten.

– Gemütliches Zusammensitzen mit einem kleinen Angebot an Getränken und Verpflegung.

– Jazz Sound und Jazzfilme.

– Zeit zum Stöbern im Shop.Sie erhalten auf Ihrem Einkauf einen Spezial-Rabatt aus Anlass des Tages der offenen Tür.

Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

JAZZRECORD SHOP

Sie finden:SchellacksLangspielplattenCompact DiscsJazzliteraturPoster usw.

swissjazzorama.chAckerstrasse 458610 UsterTelefon 044 940 19 82www. [email protected]

Das swissjazzorama.ch mit seinem Shop ist vom Bahnhof Uster aus zu Fussin etwa 15 Minuten zu erreichen,oder mit dem Bus Nr. 817 (See),aussteigen an der 2. Station.

Öffnungszeiten des Shops:

Dienstag – Freitag 13.30 – 17.00 UhrMontag geschlossenIndividuelle Besuchszeiten sind nach Absprache möglich(Telefon 044 940 19 82)

Öffnungszeiten am Tag der offenen Tür11.00 – 17.00 Uhr

swissjazzorama.chDas Schweizer Jazzarchiv

Spezial-Rabatt

am Tag der

offenen Tür

TAG DEROFFENENTÜRWir laden Sieein zum Besuch der neuen Lokalitäten des Schweizer Jazzarchivs

der grössteSecondhand Shopfür Jazzin der Schweiz

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Wir schreiben das Jahr 1960. Entspannt,oder passender «relaxed», gruppiert umden gewichtigen Boss, der den KosenamenCannonball erkennbar aussermusikalischenEfforts zu verdanken hatte, nehmen diefünf Herren des Adderley-Quintetts denFototermin für ein Cover unter der SonneKaliforniens wahr. Ein beruflicher Abstechervon der mitunter unwirtlichen Ostküste umNew York ins stets sommerlich gemässigteKalifornien mag früher und heute eineangenehme Auflockerung im umtriebigenLeben eines Jazzmusikers sein. So waren,mit der Ausnahme des gebürtigen briti-schen Pianisten und Vibrafonisten VictorFeldman (links), die übrigen Vier, die BrüderNat und Julian Adderley, der Bassist SamJones und der Drummer Louis Hayes so-wohl im Leben als auch musikalisch imOsten angesiedelt.Victor Feldman indes,der auch ein begabter Komponist undDrummer war, sah schon einige Jahre zuvordie Sonne Kaliforniens als besseren Kont-rast zum trübkühlen London, als etwa dasnäher liegende New York. So war er dortangekommen, wo ein Stil des Jazz in vollerEntfaltung stand: Westcoast Jazz.

Hollywood, der Berg ruft

Von der Südflanke des Mount Lee in denSanta Monica Mountains grüssen die be-rühmtesten Lettern der Welt und verweisenauf die Traumfabrik, die als Schürfgrube für Generationen jener dient, die kreativ-beruflich die Fantasiewelten eines Millio-nenpublikums in aller Welt beleben:Hollywood. Der Spielfilm benötigt als melo-dramatische Verdichtungsressource stets

auch Musik und damit, zumindest in vor-digitaler Zeit, lebende Musiker. Der Magnetwirkte. Oft schrumpfte das Leben, insbeson-dere von Jazzmusikern, zu schierem Überle-ben, so dass man sich behufs Brot – und oft genug – Drogenerwerb in den Studio-Orchestern fand, die die bewegten undbewegenden Bilder als Musiker und/oderKomponisten mit Soundtrack versorgten.So etwa der Pianist und Komponist VinceGuaraldi, der die Zeichentrickfigur CharlieBrown aus Charles M. Schulz' The Peanutsmusikalisch begleitete. Die «Musik» indesspielte abseits der Studios in den Clubs.

Entwicklung aus der Coolness

Es mag ein ironischer Reflex gewesen sein,dass in der Zeit zu Beginn der Fünfziger-jahre, in der Senator McCarthy eine landes-weite, gegen angebliche Kommunistengerichtete Paranoia aufgeblasen hatte, sichin New York ein Stil unter dem Label CoolJazz entwickelte. Wie überhaupt Coolnessin einschlägigen Kreisen der Habitus derStunde war. Miles Davis zeigte es vor. Er rief1948 sein Capitol Orchestra zusammen,machte das New Yorker Royal Roost zumLabor und nahm zwei Jahre später ein zeit-loses Album mit dem Titel The Birth Of TheCool auf – ein Milestone. In dieser Bandlässt erstmals der Baritonsaxofonist undArrangeur Gerry Mulligan aufhorchen,einer, der den Westcoast Jazz prägen wird.

Die vermeintliche Kühle des Cool Jazzverbirgt eine Intensität, die sich erst beiengagiertem Zuhören auftut. Der KritikerMarshall Stearns meinte im Zusammen-hang mit Lennie Tristano, einem weiterenIdol der Coolen, man spiele kühl, ohne kalt zu sein. Ein Prinzip, geeignet für denTransfer an die Westküste, wo zudem dasKlima für Erwärmung sorgt.

Musik und Musiker,mit und ohne Übervater

In Richtung Schlagzeug hätte der Imperativlauten können: Weg mit den Stöcken, hermit den Besen. Das wäre zu kurz gegriffen,zumal dann, wenn man sich als Schlag-zeuger gleich selbst zum Leader ernennt,wie Shelly Manne und Chico Hamilton.

Eine längst vergangene Geschichte? An ihrem Beginn kochte der Kalte Krieg zum Koreakrieg auf und weit draussen im Pazifik wurden Atombomben getestet. Da entwickelte sich an den Gestaden eben dieses Pazifiks, an der Westküste der USA,eine Musik, die ruhig genug war, um die Gemüter nicht zusätzlich zu erregen,jedoch aufregend genug, um eine neue Marke in die Geschichte des Jazz zu setzen und das Epizentrum vorübergehend innerkontinental zu verschieben. Es lohnt sich, kurz zurückzublicken Heinz Abler

Kühler Jazz nach dem Bebop Focus on Westcoast

Sie behandelten auch die Becken mit eineruntergründig swingenden Intensität. Hamil-ton war jedoch zunächst Drummer im ers-ten paradigmatischen Quartett Gerry Mulli-gans. Dieser, zwar aus New York stammend,topfte nun die Cool-Ästhethik an die West-küste um, verzichtete auf die harmonischeStütze eines Pianos und nahm den Trom-peter Chet Baker als zweite Frontstimmeauf. Allerdings nur solange dieser noch keinen Starstatus hatte. Dann wurde erteuer – zu teuer! Zumal die Budgets Mulli-gans und Bakers auch deren wenig kosten-günstigen Drogenkonsum abdecken sollten.

Während in New York zunehmend der Hardbop die Szene befeuerte, machten sichauf der pazifischen Seite des Kontinents vor allem Musiker aus den Bigbands vonWoody Herman und Stan Kenton auf dieSuche nach zeitgemässen Formen. Kenton,der es nie klein mochte und eine Band,bigger than big, leitete, wälzte swingendharmonisch komplex geschichtete Klang-ungetüme und versah sein Konzept unbe-scheiden mit dem Label Progressive Jazz.Dies als Schaumschlägerei abzutun wäreindes verfehlt. Denn, eben nicht kleingeis-tig, liess er sich auch von der europäischenKlassik anregen und schuf einen Fundus,aus dem viele seiner Musiker aus Ost undWest schöpften. Gerry Mulligan, der alsArrangeur auch schon einen Namen hatte,begegnen wir hier wieder. Die Liste derKenton-Adepten ist lang, doch einige Musi-ker aus der Grossfamilie, die später an der Westküste aktiv waren, verdienennamentliche Erwähnung: Die TrompeterJack Sheldon, Pete und Conte Candoli,Shorty Rogers, Maynard Ferguson. Die Posaunisten Milt Bernhart, Frank Rosolino,Stu Williamson, der Hornist John Graas.Die Saxofonisten Bob Cooper, Zoot Sims,Richie Kamuca, Charlie Mariano, BudShank. Die Bassisten Howard Rumsey, RedKelly, die Schlagzeuger Shelly Manne undStan Levey. Und zu guter Letzt: die Frauen

Cannonball Adderley Quintet live im Light-house, in Hermosa Beach, Kalifornien.

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an der Bühnenfront, die neben Gesangauch eine Prise Hollywood-Glamour anbie-ten sollten, wie etwa June Christie oderAnita O'Day.

Ausserhalb Kentons Dunstkreis erlangtendie Saxofonisten Jack Montrose (WestCoast Jack, nicht zu verwechseln mit J.R. Monterose) und Art Pepper Bedeutung,sowie die Pianisten Claude Williamson,Russ Freeman, Pete Jolly, Clare Fischer, dieBassisten Curtis Counce und Monty Bud-wig, die Schlagzeuger Frank Butler undLarry Bunker (auch vibes).

Was man in der Historie als Westcoast Jazzablegt, offenbart indes mancherlei Unter-schiede. So gab es, salopp gesagt, eine Art «weichgespülten» Be- oder Hardbop,wie ihn etwa Shelly Manne And His Menoder Howard Rumsey’s Lighthouse All Starsin bestechender Eleganz pflegten.

Neben Mulligans Quartett versuchten sichweitere, eher der Avantgarde zuzurech-nende Gruppen an bis dato ungewöhnli-chen Besetzungen und Instrumentierun-gen. Wie etwa die Jimmy Giuffre 3 mit demLeader an Saxofon und Klarinette, Jim Hall,Gitarre (später Bob Brookmeyer, Ventil-posaune) und Ralph Pena am Bass. Mit dem Verzicht auf sperrige Instrumente wie Piano und Schlagzeug setzte man alsraumsparende Variante eine Art von Kam-merjazz in die Welt. Oder das Quintett desDrummers Chico Hamilton, ebenfalls ohnePiano, mit Gitarre (Jim Hall, Dennis Budi-mir, Gábor Szabó), Woodwinds (BuddyCollette, Eric Dolphy(!), Charles Lloyd),Cello (Fred Katz, Nathan Gershman) undwechselnd besetztem Bass.

Oft hielt man den Westcoast Jazz, soweiter europäisch angehaucht war, für aka-demisch veredelt, was aber keineswegs als«Weisswaschung» zu missverstehen ist.

Orte und Labels

Die Westküste der USA lässt sich in derhistorischen Jazzgeografie weitgehend auf

die Grossräume Los Angeles und San Fran-cisco beschränken. In der Hochblüte desWestcoast Jazz standen die Bühnen etwa in Howard Rumseys Lighthouse (siehe oben,im The Haig in L.A. oder in Shelly Manne’sHole in Hollywood. Das Black Hawk in SanFrancisco bestand von 1949–1963, gewis-sermassen der Lebensspanne des WestcoastJazz im engeren Sinne. Die meisten Ton-dokumente aus jener Zeit finden sich unterden damals spezialisierten Labels PacificJazz Records und Contemporary Records.Viele davon als Live-Mitschnitte, welche die Nachwelt etwas von der weitgehendentspannten Club-Atmosphäre spürenlassen.(Die interessierten Leser und Leserinnensind herzlich zu spannender Forschung inunserem Archiv eingeladen!).

Post festum

Nachdem sich der brasilianische GitarristLaurindo Almeida (ein Kenton-Adept) in L.A. nieder gelassen hatte, nahm er 1953zusammen mit dem Altisten/Flötisten BudShank im Quartett das Album Brazillianceauf. So darf man ihn mit Fug und Recht zuden Geburtshelfern der später unter BossaNova firmierten Stilrichtung zählen. Bei derEntwicklung des Bossa Nova spielte auchder im Bereich Cool Jazz stilbildende Tenor-saxofonist Stan Getz eine Rolle.

Später wurde die Welt und insbesondere derWesten der USA langsam von der popmusi-kalisch angetriebenen Flower Power erfasst,was den Jazz an der Westküste entweder inein Nischendasein oder zur «Aufpoppung»zwang. Der Saxofonist Curtis Amy und derTrompeter Dupree Bolton stehen für dasEine. Der Saxofonist Charles Lloyd, die Pia-nisten/Keyboarder Les McCann oder späterGeorge Duke für das Andere.

Westcoast im Schweizer Jazz?

Das etablierte und hierzulande vom Kriegverschonte Bildungsbürgertum regte sichdamals standesgemäss über die «Neger-musik» auf, deren wachsender Import alskultureller Kollateralschaden zu verbuchenwar. Einige aufgeweckte Bürgersöhne ent-deckten den Modern Jazz jedoch als will-kommenes Vehikel für angewandten Unge-horsam. Sie durften dennoch auf die Bühnedes damaligen Zürcher Kinos Urban bringen,was in den Kellern elterlicher Heime aus-geheckt worden war. In der dünn besiedel-ten Kategorie Moderner Jazz am AmateurJazzfestival Zürich, führten sie, als adrett in Sonntagsanzüge gekleidete Amateure,mehr oder minder gekonnte Imitationenihrer Idole vor. Modern Jazz war etwas fürwenige Aufgeklärte und vor allem: modern.Und als besonders modern galt damals auch der Westcoast Jazz.

Falls im Handel greifbar, hatten gewiss einige die eine oder andere Westcoast-Platte als Vorlage im Gestell, aber LPs undGrammofone waren vom Mund abzuspa-ren. Und ohne Baritonsax war Gerry Mulli-gan ausser Reichweite. Die Instrumenten-bestände von Blasorchestern mochten denmittelständischen und verständnisvollenVater vom Zugriff auf das Bankkontoabgehalten haben.

Das Dave Brubeck Quartet mit SaxofonistPaul Desmond, reihte man grosszügigunterWestcoast Jazz ein, zumal dessenKonzept dem Spielideal der Westküste rechtnahe kam. Nicht zu vergessen Chet Baker,ein Star, in dem der Zeitgeist waltete undder schon deshalb vor Nachstellung nichtsicher war. Aber ins weite Feld einer Ge-schichte der abendländischen Jugendkulturwollen wir uns hier nicht vorwagen.

Epilog

Kehren wir zurück zu Victor Feldman,jenem sonnenhungrigen Londoner, derleider schon 1987 53-jährig in L.A. verstarb.Er war dabei, als Miles Davis 1963, amEnde der Westcoast-Epoche, das wegwei-sende Seven Steps To Heaven-Albumaufnahm – noch ein Milestone.

Beteiligt waren eine West- und eine Ost-küsten-Formation. West: ein Studio-Quar-tett mit Victor Feldman (p), Ron Carter (b)und Frank Butler (dm). Ost: das legendäre Quintett mit George Coleman (ts), HerbieHancock (p), Ron Carter (b) und TonyWilliams (dm). Ein Brückenschlag, gewiss,aber der Pfad in die Zukunft führte wiederzurück nach Osten. So spielte der gewitzteMiles die vom Westküstler Victor Feldmankomponierten Stücke – das Titelstück undJoshua mit der Ost-Gruppe ein.

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Als Klaus Koenig 1962 als Tonmeister von Norddeutschland nach Zürich zog, war er für die hiesige Jazzszene ein unbeschriebenes Blatt. Das änderte sich freilichschnell. Auf Anraten von Heinz Wehrle, damals im Radiostudio Zürich für den Jazz zuständig, nahm Pianist Koenig am nationalen Amateur-Jazzfestival teil. AlsSolistenvehikel schrieb Klaus Koenigs Jazz Live Trio in der Folge Jazzgeschichte.Nach einem dramatischen Karrierebruch aus gesundheitlichen Gründen formiertesich dieses Trio 2013 neu. René Bondt und Fernand Schlumpf haben mit dem achtzigjährigen Klaus Koenig in dessen «Erinnerungsalbum» geblättert.

Klaus, Du hast in Niedersachsen dasGymnasium besucht. Kamst Du dort mitMusik in Berührung oder war schon dasElternhaus in dieser Hinsicht prägend?Mein Vater spielte Geige, übte allerdingskaum. Nach dem Krieg kam er schwer krankaus der Kriegsgefangenschaft zurück. Einerussische Ärztin hatte seine Transportfähig-keit nach Sibirien verneint und ihm damitdas Leben gerettet. Bald spielte er wieder.Mit meinem ersten Klavierlehrer gestalteteer Hausmusikabende in unserer Kleinstadtim Weserbergland. Diese Abende habenmich schon geprägt. Der junge Klavierlehrerkam ebenfalls geschädigt aus dem Krieg undhatte kaum pädagogisches Talent. Er liessmich Beethoven-Sonaten spielen, die icheinfach so hinhaute. Jazz war meilenweitweg. Es gab an unserem Gymnasium in der Kreisstadt Holzminden unter mehrerenhundert Schülern zwei Leute, die ein wenigAhnung hatten von Jazz, einer spielte Kla-vier, der andere Bass. Die brachten mir ersteSchritte im Jazz bei.

AFN, als US-Soldatensender von mis-sionarischer Bedeutung für junge jazz-affine Europäer, konnte man in derbritisch besetzten Provinz wohl garnicht hören…AFN kannte ich damals in der Tat nur demNamen nach. Aber die Musik begann michzu interessieren. Ich spielte im Schulorches-ter Klavier, als dessen Leiter eines Tages zu mir sagte: «King, wir brauchen einenBassisten, du musst Bass lernen. Es gibteinen guten Lehrer – einen ehemaligenMilitärmusiker, der hier in Holzminden ge-landet ist. Bei dem kriegst du Unterricht aufKosten der Schule.» In Holzminden erlebteich dann auch mein erstes Jazzkonzert. DieTrompete blies Bill Coleman, mit dem ichspäter im Studio Zürich einen Jazz-Live-Abend gestalten konnte. Das HolzmindenerKonzert wurde anschliessend in der Lokal-presse als dekadente Negermusik abquali-fiziert – in einer Sprache, die noch immerden Ungeist des Nationalsozialismus atmete.Ich reagierte mit einem empörten Leserbrief,denn für mich war der Auftritt der dunkel-häutigen Amerikaner ein Initialzündung.Ich kaufte erste Jazzplatten, die dem dama-ligen Trend zur Coolness im Jazz entsprachen– Scheiben mit dem Modern Jazz Quartet,mit Gerry Mulligan, mit Art Farmer. Allesbegann mit einer kleinen EP, die ich heute

noch sooo liebe. Chet Baker spielt mitCaterina Valente an der Gitarre.

Tanzmusik und Cool Jazz

Wie lange hast Du denn Bass gespielt?Ich habe eine Zeitlang Tanzmusik gemachtund zu diesem Zweck das Instrument übersWochenende mit nach Hause genommen.Dem Musiklehrer durfte ich das freilichnicht sagen. Diese Tanzmusik war damalsübrigens nicht schlecht gemacht, es gabehemalige Militärmusiker, die in unsereGegend kamen und teils haupt-, teilsnebenberuflich die lokale kommerzielleSzene bereicherten. Es war eine Zeit mitvielen Bällen. Ich hab da gerne mitgewirkt.

Verglichen damit war der aufkeimendeCool Jazz aber doch eine ganz andereSache. Er traf – ähnlich wie die Nouvel-le Vague im französischen Film – miteiner gewissen Abgehobenheit denNerv der Zeit. Manche kritisieren dieseJazzrichtung im Rückblick als blutleer.Hast Du das anders empfunden?Ich hab's in der Tat anders empfunden.Man stand damals im deutschsprachigenRaum recht stark unter dem Eindruck desJazzbuchs von Joachim-Ernst Berendt.Dieses systematisch in Epochen und Stil-schubladen gegliederte und von einem sichstets positiv weiterentwickelnden Kultur-verständnis getragene Buch war für michdie musikwissenschaftliche Bibel. Berendtdozierte in den fünfziger Jahren, SaxofonistLee Konitz sei die weisse Antwort auf denfür den Bebop stilbildenden schwarzenCharlie Parker. Das war schon in Bezug aufdie zeitliche Einordnung nicht ganz richtig,vor allem aber fühlte sich Lee Konitz selberkeineswegs als Gegenpart zu Parker.

Man hat solche Zuordnungen damals ja nicht nur stilistisch und zeitlich,sondern auch geografisch formuliert.Mit der Umschreibung Westcoastinterpretierten manche den Cool Jazzmehr oder weniger als kalifornischenGegenpool zum Jazzgeschehen in NewYork oder zur Mississippi-Landesmittemit ihren Zentren New Orleans, Mem-phis, Kansas City, Chicago und Detroit.Westcoast hatte Parallelen zum Cool Jazz,den ich zunächst ganz stark mit dem Mo-dern Jazz Quartet identifizierte. Als die

Leute um John Lewis nach Europa kamen,waren die mit ihren Anklängen an klassi-sche Musiktraditon auch in jenen gehobe-nen Kreisen wohlgelitten, die zuvor denJazz verabscheut hatten. MJQ präsentiertesich wie ein Streichquartett, mit Frack undernstem Gesicht, und genoss auf dieseWeise Akzeptanz. Bandleader John Lewiswar kein überragender Pianist, aber was eraus seiner Formation gemeinsam mit dembluesig und virtuos kontrastierenden Vibra-fonisten Milt Jackson machte, war gross-artig. Bald war für mich allerdings derTrompeter und Flügelhornist Art Farmereine wesentlichere Richtmarke: Keiner hatdas Grundgefühl des Understatements,das zum Cool Jazz gehört, so wie er arti-kulieren können. Guten Zugang zummodernen Jazz fand ich aber, wie bereitserwähnt, auch über Mulligan, über ChetBaker und den Pianisten Lennie Tristano.Und selbstverständlich über Lee Konitz. Ichhatte das Glück, in gut kennen zu lernen.Er gehörte zu jenen amerikanischen Jazz-musikern, die sich zwar nicht fest in Europaniederliessen, aber regelmässig zwischenhüben und drüben pendelten.

Wenn das Hirn streikt

Als Tonmeister lässt es sich zumindestberuflich nicht vermeiden, dass man esab und an mit grossartigen Musikernzu tun bekommt ...Für Tonmeister waren die sechziger Jahreeine goldene Zeit. Schon vor meinemExamen in Detmold konnte ich zwischenmehreren Angeboten wählen. Zum Radionach Zürich kam ich über einen Studien-freund. Die feste Anstellung war für michund meine Eltern – ich stamme aus einerBeamtenfamilie – ein erstrebenswertesZiel. Nie hätte ich mir zugetraut, mich ineinem desaströsen Konkurrenzfeld alsKonzertpianist und freier Musiker durch-setzen zu können. Heute sehe ich das nochviel klarer, ich gelte ja als Invalider, der seit Ende 1997 mit der Musikerkrankheitfokale Dystonie konfrontiert ist. Die Dysto-nie macht es schwer, so flüssig zu spielenwie früher. Ich habe andere Strukturenentwickeln müssen, um dies zu erreichen.

Liegt bei dieser Krankheit ein motori-sches Problem in den Fingern vor oderist die Behinderung hirngesteuert?Das Problem ist hirngesteuert und kommtvom Üben. Wenn das Gehirn bei schnellgespielten Passagen für einen Sekunden-bruchteil nicht mehr mitkommt, die Be-fehle zu geben, führt das zu einer Art Kurz-schluss. Das Gehirn weiss dann nicht mehr,was es machen soll – und beschliesstvorsichtshalber, einzelne Finger einzuzie-hen. Das ist die typische Haltung des dysto-nischen Pianisten (Klaus präsentiert seine

Klaus Koenig und der Charme des Understatements

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rechte Hand mit angewinkeltem Ring- undKleinfinger). Liefen die drei übrigen Fingernoch locker, würde ich mich nicht beschwe-ren, aber der vom Hirn ausgeübte Zugbeeinträchtigt die ganze Hand. Ich habe 15 Jahre lang vergeblich nach einer erfolgs-versprechenden Therapie gesucht unddafür viel Geld, Reisen und Zeit investiert.Fündig geworden bin ich in Hannover beieinem forschenden Neurologen, der heuteals führender Spezialist für fokale Dystoniegilt und in Zusammenarbeit mit einembelgischen Pianisten eine gute Behand-lungsmethode entwickelt hat. Beide habenmich ermutigt, wieder zu spielen.

Kann man das als therapeutischesSpielen bezeichnen?Man kann es so sehen. Die beiden meinten,ich sollte mehr mit der nur leicht betrof-fenen linken Hand arbeiten. Wäre ich einGenie, hätte ich wohl sehr vieles auf meinelinke Hand verlegen können. Aber das binich nicht und habe darum den Handwech-sel nur begrenzt nachvollziehen können.

Es ist bemerkenswert, dass der Aus-bruch der Krankheit zeitlich mit demEnde Deiner Tonmeister-Tätigkeitzusammenfiel. Zufall oder mehr?Ich bin etwas vorzeitig in Pension gegan-gen – zu einem Zeitpunkt, da der Arbeit-geber SRG den Sparhobel bei seinen Radio-studios ansetzte. Da man mir finanziellentgegenkam, stand ich dem Ansinnenpositiv gegenüber. Am 31. Oktober 1997hatte ich meinen letzten Arbeitstag imStudio Zürich und ab 1. November 1997konnte ich dort, gegen Bezahlung, eineÜbungszelle als freier Mensch überneh-men. Ich kam um 10 Uhr, übte fast ohneUnterbruch bis abends um sechs und fühltemich am Ende des Tages frischer als amMorgen. Mit einer Riesenfreude ging ichnach Hause und nahm mir vor, weitereintensive Übungstage anzuhängen. Aberschon am zweiten Tag merkte ich plötzlich,dass meine Finger beim Übungsmarathonnicht mehr mitspielen wollten. Da hat sichdie Dystonie angekündigt!

Jazz Live, ein Steigerungslauf

Wenn Du Deine persönliche, mittler-weile deutlich über 50 Jahre zählendeJazzära überblickst, wo ergaben sichfür Dich Höhepunkte?Die Jahre mit dem Jazz Live Trio und Solis-ten waren zweifelsohne von besondererArt. Ich hatte am Anfang viel mehr Spiel-möglichkeiten als heute, aber ich erkannte,dass ich noch nichts konnte. Es war quä-lend, weil ich merkte, dass ich schlechtspielte. Es fehlte ein Studium, es fehltenRoutinejahre.

Hat sich der deutsche PflichtmenschKoenig schon immer hohe – vielleichtzu hohe – Ansprüche und Fleissleistun-gen abringen wollen?

Ich merkte einfach, dass ich kein gutesNiveau hatte. Aber die Jazz-Live-Jahrewaren eine Art Steigerungslauf, bei demwir uns, dem jeweiligen Können angemes-sen, qualitativ verbessern konnten. DieKonzertreihe startete mit einheimischenSolisten, die halbprofessionell Jazz spielten.Mit Drummer Alex Bally wirkte – nach FritzStähli – ein erster Schweizer Drummer mit,der am Berklee College in Boston aus-gebildet worden war. Von dort kam auchHeinz Bigler, einer unserer frühen Solisten,der mir mit seinem Wissen weit überlegenwar. Ich hatte ja gar kein System undmusste mir mit der Aebersold-Methodeallmählich alles selber beibringen. Einermeiner Höhepunkte war etwas später dieZusammenarbeit des Jazz Live Trios mitTrompeter Franco Ambrosetti, für mich eineder grössten Begabungen im SchweizerJazz. Mit den Rhythmikern Peter Schmidlinund Peter Frei entwickelte sich das Triodeutlich weiter und war damit befähigt,Musiker von internationalem Rang zubegleiten. Das Ganze war eine riesigeHerausforderung, bei der man permanentlernte. Wir hatten das grosse Glück, dass

damals, anders als heute, viele schwarzeSpitzenmusiker – Art Farmer eben oderSlide Hampton und Johnny Griffin – nachEuropa kamen, um hier zu leben, weil siebei uns keine rassistische Zurücksetzungerfuhren. Diese Spitzenleute konnten wiralle engagieren. Und Lee Konitz wohntesogar für kurze Zeit bei uns zuhause.

Lee Konitz ist ein gutes Stichwort zumSchluss: Weil der Jazzletter, in demunser Gespräch erscheint, sich thema-tisch mit dem Cool Jazz befasst, solltenwir noch ein paar Worte über diesengrossen alten Mann – Jahrgang 1920 –verlieren. Was war und ist sein Beitragzur Geschichte des modernen Jazz?Lee hat dem Lebensgefühl des Understate-ment wie kaum ein anderer JazzmusikerAusdruck verliehen. Auf der steten Suchenach der perfekten Melodie hat er kleineMeisterstücke geschaffen. Seine Melodikbegnügt sich mit einem Minimum an Tech-nik. Dabei verfügt Lee Konitz, wie er inkurzen Sequenzen mit horrender Tempover-doppelung demonstriert, über ein vollesRepertoire an technischen Möglichkeiten.

Klaus Koenig biografisch ...– Geboren 1936 in Braunschweig, aufgewachsen im Weserbergland.– Nach dem Gymnasium Studium am AkustischenInstitut der Musikhochschule Detmold. Tonmeister-diplom mit Auszeichnung. 1962 bis 1997 Tonmeisteram Schweizer Radio, Studio Zürich. Mitarbeit in derJazzredaktion (etwa 300 kommentierte Sendungen).– Seit 1962 pianistische Tätigkeit, ab 1964 aus-schliesslich im Jazz. Gründung des Jazz Live Trios.Wichtigste Mitspieler: am Bass Isla Eckinger undPeter Frei, am Schlagzeug Alex Bally, Makaya Ntshoko, Peter Schmidlin und Pierre Favre.– 1964 bis 1983 Pianist und Mitgestalter der Radio-DRS-Konzertreihe Jazz Live. Über 100 Live-Übertra-gungen mit Solisten aus aller Welt, unter anderen mitden amerikanischen Spitzenmusikern Johnny Griffin,Dexter Gordon, Slide Hampton, Art Farmer, Lee Konitz, Sal Nistico, Phil Woods, Cliff Jordan, Kai Winding, Lucky Thompson und Booker Ervin.Ausserhalb des Radios Zusammenarbeit des Trios mitLee Konitz, Sal Nistico, Benny Bailey, Booker Ervinund Gianni Basso. Konzerte mit Dexter Gordon, Slide Hampton, Clark Terry. Gemeinsame Tourneenmit Johnny Griffin während mehreren Jahren.– 1968 bis 1975 Quartett mit Franco Ambrosetti.Radio-, Konzert- und Festivalauftritte in der Schweiz,in Deutschland und Italien.

– 1973 bis 1978 Erweiterung des Trios zum SextettMagog (mit Hans Kennel, Andy Scherrer, Paul Haag,Peter Frei, Peter Schmidlin). Konzerte und Festival-Auftritte in mehreren europäischen Ländern mitMagog wertet Klaus Koenig als zweites Karriere-Highlight. Magog stand für den Versuch, Brückenzwischen den damals auseinanderstrebenden Elementen Tradition, Rockjazz und Freejazz zu schlagen. Und dieser Versuch wurde sowohl vomPublikum wie von Fachleuten enorm honoriert.– Klassik & Jazz-Projekt mit Pianistin AnnetteWeisbrod in den siebziger Jahren. Während dreiJahrzehnten Jazz & Lyrik-Projekt mit SchauspielerGert Westphal. In den achtziger Jahren Konzen-tration aufs Trio mit Festival-Auftritten in derSchweiz und in Italien. Ab 1989 Soloauftritte.1995 Gründung des Quintetts Magog 2 (mit Nat Su,Christoph Merki und Daniel Schenker).– 1997 Erkrankung beider Hände an fokaler Dystonie; damit vorläufiges Ende der musikalischenTätigkeit.– 2013, nach 15 Jahren Arbeit mit verschiedenenTherapien, Wiederaufnahme der pianistischen Tätigkeit mit dem neu besetzten Jazz Live Trio(Patrick Sommer, Andi Wettstein) und 2014 mit dem Quintett Seven Things (Daniel Schenker, Christoph Merki und das Trio).

… und diskografisch– Tonmeister Klaus Koenig hat nicht nur fürs flüch-tige Medium Radio gewirkt, sondern auch Musikaufbereitet, die hernach auf Tonträgern erschienenist. Und er hat sich dabei als Interpret nicht ausge-nommen: Mit ihm sind im Laufe der Jahre gegen 30 Schallplatten-Einspielungen in der Schweiz,Deutschland und Italien entstanden.

– Aus den Tonkonserven von über hundert Jazz-Live-Konzerten ist ein 13 CDs umfassender Samplerentstanden und vom Label TCB in den Handelgebracht worden. Ebenfalls bei TCB ist die Wieder-veröffentlichung von zwei Magog-Einspielungenerhältlich.

– Klaus Koenigs aktuelle Gruppen, das neue JazzLive Trio und Seven Things, sind derzeit mit je zweiCDs am Markt. Sie enthalten ausschliesslich Kompo-sitionen des Pianisten.

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swissjazzorama: Christian, dein Vaterist ein von vielen Musikern sehr ge-schätzter Amateur-Jazzpianist. Du hastdich jedoch für das Schlagzeug ent-schieden. Wie kam das?Christian Niederer: Das Klavier wäre eineMöglichkeit gewesen. Ein Instrument standin der Stube. Mich faszinierte aber dasRhythmische so sehr, dass ich mich mitzwölf entschloss, Schlagzeuger zu werden.In der Platten-Sammlung meines Vatersgab's viel swingenden Jazz, der mich reiztemitzuspielen.

Du bist also nicht ein Jazzdrummer, dervon der Militär-Marschmusik kommt?Nein, die sogenannten Rudiments aus derTambouren- und Militärmusik finden jedochauch im Jazzschlagzeugspiel durchausspannende und zum Teil auch wichtigeAnwendungen. Es lohnt sich also, sich mitdiesen Rudiments auseinanderzusetzen.Hört man sich durch die Geschichte desJazzschlagzeugspiels, trifft man auf deren Anwendung auch dementsprechend oft(z.B. Philly Joe Jones). Wichtiger als diesesWissen und Können ist jedoch eine musi-kalische Umsetzung der Jazzsprache amSchlagzeug. Rudiments können hier besten-falls helfen. Vielmehr gehört dazu auch,sich mit den grossen Solisten im Jazz und

ihrer Phrasierung zu befassen und dasentsprechend am Schlagzeug umzusetzen.

Wie wichtig war das Einüben der Jazz-und Rock-Grundrhythmen?Das war sehr wichtig und ist es heute noch.Ein solider Grundrhythmus ist in beidenRichtungen das Fundament dessen, wassich musikalisch abspielt. Auch hier lohntsich systematisches Lernen und Üben.

Übrigens, was sagt dir der Name Gene Krupa?Krupa war ein hervorragender Drummer in der Zeit der grossen Swingbands. Dochdie meisten meiner Favoriten stammen ausspäteren Epochen: z.B. Tony Williams, ElvinJones, Jo Jones, Philly Joe Jones, SteveGadd und natürlich Kenny Clarke, deranfangs der Vierzigerjahre den Kick zummodernen Schlagzeugspiel gegeben hat. Erverlagerte den Grundrhythmus konsequentvon der Pauke zu einem grossen Becken.

Die Beherrschung des Instrumentesstand sicher im Zentrum. Was gehörteaber auch zum Lernprogramm?Dieses Programm war sehr weit gefächert.Zu meiner Zeit (1996 –2000) gab es Kursein Jazzgeschichte, in Harmonielehre, Kom-position, Pädagogik und Fachdidaktik,

Christian Niederer:Schlagzeugspiel in bester ManierWie lernten die ersten herausragenden Drummer der Jazzgeschichte das Spielen auf dem Schlagzeug: Chick Webb, Sid Catlett, Gene Krupa u.a.? Das waren alles nochAutodidakten, die vor allem lernten, indem sie einander beobachteten, mit offenenAugen und Ohren. Erst im Laufe der Zeit, als die ersten Jazzschulen gegründet wur-den, war es ambitionierten Schlagzeugern möglich, die Beherrschung ihres Instru-mentes in akademischer Art zu erarbeiten. Einer, der mit Erfolg die Jazzschule Luzernabsolvierte, ist Christian Niederer. – Jimmy T. Schmid hat ihn im swissjazzoramabegrüsst und stellt ihn in einem kurzen Interview vor.

Rhythmik und Bewegung. Auch das Spieleneines Zweitinstrumentes gehörte dazu. FürSchlagzeuger war das Klavierspiel unerläss-lich, das bei den Fächern Harmonielehreund Komposition von grossem Nutzen war.

Umfasste der Lehrkörper auch bekannte Namen?Durchaus, z.B. Bruno Spoerri für Jazz-geschichte, Norbert Pfamatter fürs Schlag-zeug, Heiri Känzig, Bass und Workshop,Nat Su Harmonielehre und natürlich ChristyDoran, einer der Gründer der JazzschuleLuzern, Gitarre und Workshop.

Brachte Dir die Studienzeit viele inter-essante gesellschaftliche Kontakte?Man lernt viele Musiker und Musikerinnenkennen. Man diskutiert oft, jammt mitihnen in den Übungsräumen, die dafür zurVerfügung stehen. Die Verbindungen inner-halb eines grossen gesellschaftlichen Netz-werkes sind auch nach dem Studium vongrossem Nutzen und öffnen viele Wege.

Welche Wege hast Du nach dem Studium eingeschlagen?Ich habe bald in vielen Bands gespielt,auch heute noch, stilistisch weit gefächert.An der Kantonsschule Hohe PromenadeZürich unterrichte ich Schlagzeug undWorkshop. Das zweigleisige Fahren bringtmir die berufliche Befriedigung, die ichimmer angestrebt habe.

JAZZ IN DER SCHWEIZ – HEUTE

Christian Niederer– Geboren am 20. Oktober 1971in Zürich– Nach der Matura Studium

mit Abschluss «Jazz-Schlagzeug und Pädagogik» (entspricht in etwa dem heutigen Master-Abschluss)

– Wohnt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Zürich

Kurz vor Redaktionsschluss erschienen: Die neue CD «Port»:

Christian Niederer’s Plan Oliver Keller, guitarsThomy Jordi, bass Christian Niederer, drums

Unit Records Cede.ch

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Der Bandleader, Arrangeur, Komponist,Sänger, Orchesterchef und Trompeter Sy Oliver wurde am 17. Dezember 1910geboren und verstarb am 28. Mai 1988.Für viele war er neben Duke Ellingtonund Benny Carter der bedeutendsteArrangeur und einer der wichtigstenWegbereiter für modernere Jazzformen.

Vor allem in den 30er, 40er und 50er Jahrenspielte Oliver eine führende Rolle als Arran-geur. Ab den 70er Jahren leitete er seineeigene Band. Trotz stark reduzierter Instru-mentierung brachte er einen veritablen Big Band Sound zur Geltung. Sehr populärwaren seine Auftritte im Rainbow Room inNew York, sowie während der Europatour1973, die ihn auch in die Schweiz führte.

1929 spielte er einen Teil der Trompetensoliauf den 3 Sessions von Zack Whyte. Zudemschrieb er die Charts für alle Titel. MANDYenthält Partien, welche sich in den Lunce-ford Aufnahmen von 1939 wieder zeigen.Ab 1933 war Sy der wichtigste Lunceford-Arrangeur, und entwickelte dessen einzig-artigen Sound, welchen die andern Arran-geure Edwin Wilcox, Eddie Durham undWillie Smith in hohem Mass übernahmen.Oliver förderte diese drei, sowie etlicheandere, mit viel Elan, ohne eine Spur vonMissgunst oder Eitelkeit. Einige der bahn-brechenden Titel mit Olivers Signatur sind:DREAM OF YOU, SWANEE RIVER, MYBLUE HEAVEN, FOR DANCERS ONLY,POSIN', ANNIE LAURIE, MARGIE, BYTHE RIVER SAINTE MARIE, T'AIN'TWHAT YOU DO, LE JAZZ HOT, BLUEBLAZES, LONESOME ROAD, DINAH undLINGER AWHILE. Lunceford war in seinerArt ein fast ebenso talentierter Leader wieEllington, legte jedoch hohen Wert auf Dis-ziplin. Die Gage war allerdings schlecht:Oliver erhielt pro Arrangement nur $ 2.50.Doch Sy liebte die Lunceford Band. 1939 botihm Tommy Dorsey den Job als Staff Arran-ger, mit einer Jahresgage welche LuncefordsSalär um $ 5000.– übertraf. Damit drängtesich der Wechsel auf. Oliver, als ausserge-wöhnlicher Mensch, hegte gegen Luncefordjedoch keinen Groll. Im Gegenteil, wie fastalle Kollegen blieb er von Lunceford unddessen Musik zeitlebens begeistert. BeiDorsey erreichte er eine viel grösserekommerzielle Präsenz, etwa mit Arrange-ments für OPUS ONE, SWING HIGH, THEMINOR IS MUGGIN' mit Duke am Piano,EASY DOES IT, WELL GIT IT und unzäh-ligen weiteren. Von 1943–1945 diente Sy in der Army als Kapellmeister, u.a. mit JoeTurner, Russell Procope und Jimmy Craw-ford. Anschliessend schrieb er wieder für

Dorsey und andere Bigbands. Ab 1946leitete er eigene Orchester, mit denen erPlatten aufnahm, darunter Meisterwerkewie HEY DADDY-O und SLOW BURN.Dieser Titel wurde von Billy Moore arran-giert – auf Empfehlung von Oliver – unddie (lange Zeit unklaren) Solisten sind: BillColeman, Dickie Wells, Eddie Barefield clund Freddie Williams ts.

Sy Oliver war in den 50er und 60er Jahrenmusikalischer Direktor, Arrangeur undAufnahmeleiter für Decca, Dot und Jubilee.Hier ergab sich die aussergewöhnlicheZusammenarbeit mit Louis Armstrong,welche Hits wie A Musical Autobiography(4 LPs), die Duos von Louis mit Billie Holi-day, sowie mit Ella Fitzgerald, Louis andthe Angels, Louis and the Good Bookhervorbrachte. Die Re-Kreationen vielerLunceford-Nummern gelangen Oliver eben-falls ausserordentlich gut. Ja, sie warenteilweise musikalisch perfekter als die Ori-ginale. Und Sy legte grössten Wert darauf,möglichst viele der frühern Musiker dabeizu haben, wie die Drummer Jimmy Craw-ford und Joe Marshall. Doch der spezielleLunceford-Spirit war nicht reproduzierbar –der grosse Mann fehlte irgendwie.

Sy war ein souveräner, eloquenter Mensch.Das hatten auch etliche Journalisten ge-merkt. So gibt es zahlreiche interessanteInterviews mit ihm. Und woher kommt derÜbername «Sy»? Sy half als Musiker undLeader in zahlreichen heiklen Situationenso vielen seiner Kollegen in schwierigenMomenten, dass sie ihn psychologist nann-ten, abgekürzt mit Sy.

Das englische Original dieses Artikels vonJohnny Simmen wurde beim Aufarbeiten der Simmen-Collection im Archiv des swiss-jazzorama gefunden. Gekürzt, adaptiert undübersetzt wurde es von Konrad Korsunsky.

Melvin James «Sy» Oliver Auszug aus einem Aufsatz von Johnny Simmen

News from theSimmen CollectionBeim Erfassen von LPs haben wir diesmal folgende interessante Notizen von JohnnySimmen gefunden:

• Eddie Barefield/Edgar Battle S-LP-02551Enthält eine hervorragende Sammlung von Dokumenten über Edgar William «Puddinghead»Battle III – ein bedeutender Teil des Lebens-werks von Johnny Simmen war Edgar Battlegewidmet.– Weiter sind folgende Dokumente dabei:Noten zu seiner Komposition «LIZA ANDMICHELLE» (To my good friends Johnny, Lizaand Michelle Simmen, 1975).– Ein 4-seitiger Flyer der Edgar Battle Band mit vielen Fotos von Jack Bradley «The SwingersInc. presents – AN ADVENTURE IN AMERICANMUSIC».– Ein Artikel über Edgar Battle von MichelPerrin aus Revue de Son, No. 172–173, von 1973.– Ein Artikel von Johnny Simmen «Edgar Battle's Cosmopolitan Record sind ein MUST».– Edgar Battle report No. 2. «Two new Cos-mopolitan issues, report by Johnny Simmen,nothing but praise by Stanley Dance and Hugues Panassié.» – JAZZ, Schweizerische Jazz Zeitschrift Nr. 7,zwei Seiten über Edgar Battle von Ernst Steiner.– Zwölf Briefe von und an Edgar Battle.Die Beziehungen von Johnny Simmen und Battlewaren sehr eng und freundschaftlich.– Einen Artikel über Edgar Battle von Albert J. McCarthy: «Neglected Jazzman».– Einen Brief von Hugues Panassié vom20.1.1957 an Edgar Battle.– Fotos von vorläufig noch nicht identifiziertenMusikern.– Interessante Infos über Edgar Battle aus derenglischen Zeitschrift: «Battle continues».

• Maxine Sullivan S-LP-02429. Mit LinerNotes von Johnny Simmen und diversen Briefendes Managers von Kenneth Records an Johnny,auch über Maxine Sullivan.

• Eddie Barefield S-LP-02549. Enthält alleSolo-Angaben auf dieser LP. Simmen hat diesemit Questionnaires von Eddie Barefield erhalten.Zusätzlich die Notiz vom Tod von Babe Clark.

• Eddie Barefield S-LP-02550. Enthält super-spannende Unterlagen über Eddie Barefield!

• Max Kaminski S-LP-02395. Enthält persön-liche Grüsse von Kaminski an Johnny Simmen.

• Bob Wilber, S-LP-02475. Enthält Briefe anJohnny Simmen von Mark Shane, Bob Wilber,Randy Sandke, Butch Miles, Joanne Horton undMike Peters und eine spannende Dokumentationüber Bob Wilber.

• Bob Wilber, S-LP-02488. Enthält Brief derTochter des Bruders von Sidney Bechet, the lateDoctor Leonard Bechet, an eine Jazz Zeitung.

Gesammelt und präsentiert von Klaus Naegeli und Konrad Korsunsky

Edward Emanuel«Eddie» Barefield(1909–1991)war ein US-amerikanischerAltsaxofonistKlarinettist und Arrangeur des Swing

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Eine Jazzsammlung aufzubauen musste, beidem damaligen kargen Taschengeld, wohlüberlegt sein. 5 Franken kostete eine Schel-lackplatte. Darauf waren zwei (2) Stückevon etwa 3 Minuten Länge. Wollte jemandz.B. alle Aufnahmen von Armstrongs HotFive und Hot Seven anschaffen, musste ertief in die Tasche greifen. 64 Titel, 2 proPlatte = 32 Schellacks à 5 Franken = 160Franken – nach heutigem Wert mindestens1000 Franken!!! So etwas schafften dieSchüler und Lehrlinge, das heisst die jungenJazzfans nicht.

In deren Sammlungen hatte es meistens nur ganz wenige Platten, die immer wiederaufgelegt wurden, bis sie kaputt waren.Gut, dass es in Genf einen Zwonicek gab,der einem Platten zur Auswahl zustellte, dieman dann, nach einem dutzendmal hören,wieder zurückschickte und vielleicht 2 bis 3Stück behielt und bezahlte. Die Informatio-nen auf den Schellacks waren ziemlich dürftig. Da stand etwa: Ladnier/MezzrowQuintet, dann der Titel des Stücks und z.B.noch der absolut wichtige Hinweis, dass dasein «Foxtrott» sei. Das war es dann schon,wer die 3 anderen Musiker waren – keineAhnung! Jazzliteratur zum Nachschauen –Fehlanzeige! Die Ausnahmen waren Publi-kationen von Hughes Panassié und CharlesDelauney – natürlich auf französisch. Dortkonnte man ab und zu etwas über Jazzaufschnappen, sofern man in der Schule inden Französischstunden nicht zum Fensterhinaus geschaut hatte. – Dafür gab es fürInteressierte jeden Samstagnachmittag auf Radio Sottens die «Swing-Serenade»:Sprache: französisch. Ausserdem konnteman noch auf AFN (Radiosender für dieamerikanischen für GIs) zurückgreifen –

Sprache natürlich englisch. Diese Sprachehatten wir aber in der 2. Sek noch nicht imStundenplan.

In diesem Umfeld hat man versucht sich,als zukünftigen Jazzkenner, von überall heretwas Wissen anzueignen.

Nun aber zurück zu Tommy Ladnier,den wir damals immerhin kannten!

Thomas J. «Tommy» Ladnier, wurde am 28. Mai 1900 in Florenceville /Louisianageboren. Er war ein hervorragender Trom-peter des sogenannten alten Stils. Orien-tiert hat er sich an King Oliver und auch anBunk Johnson, mit denen er in den frühen1920er Jahren gespielt habe. Tondokumen-te aus dieser Zeit sind nicht zu finden. Mansagt von Tommy Ladnier, dass er einer derbedeutendsten Stilisten des traditionellenJazz war. Er hat sich dann einen persön-lichen Stil erarbeitet, und gehörte später zuden frühen Swingtrompetern.

1917 verliess Tommy Ladnier New Orleans,wie viele andere, in Richtung Chicago, umdort Karriere zu machen. Einen grossen«Fussabdruck» in Form von Plattenauf-nahmen hat er nicht hinterlassen. In den1920er Jahren war er aber sehr beliebt alsBegleiter von Bluessängerinnen, wie u.a.Alberta Hunter, Ma Rainey, Bessie Smith,Ethel Waters, Ida Cox – vielfach als Mitgliedvon Lovie Austin's Blues Serenaders.1925 wurde Tommy Ladnier von FletcherHenderson in dessen Bigband engagiert.Er wurde der wichtigste Trompetensolist

der Band in der Zeit von Oktober 1926 bisNovember 1927. Dank diesem renommee-trächtigen Engagement fand er den Weg in die Band von Sam Wooding, mit der erauch auf Europa-Tournee ging.

In den späten 1920er und frühen 1930erJahren spielte er abwechselnd in denOrchestern von Fletcher Henderson, SamWooding und Noble Sissle.

Eine ganz wichtige Station für Ladnierwaren die New Orleans Feetwarmers, die er zusammen mit Sidney Bechet gründeteund leitete, diese waren von 1932 bis 1933aktiv. Wegen der grossen Depression (Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren)hatten die New Orleans Feetwarmers nichtlange Bestand. Sie wurden bald wiederaufgelöst. Bechet und Ladnier wandten sichvon der Musik ab und versuchten ihr Glückmit einem Schneider-Geschäft. Aber auchdas ging nicht lange gut. Bechet kehrte zurMusik zurück und Ladnier verschwand füretwa fünf Jahre von der Jazzszene.

Als 1938 Hughes Panassié in New Yorknach Musikern aus der New Orleans-Zeitsuchte, stiess er auch auf Tommy Ladnier.Dieser konnte überredet werden wieder zur Trompete zu greifen. In der Folge ent-standen denkwürdige Aufnahmen imRahmen des New Orleans Revival: 1938z.B. unter dem Namen Tommy Ladnier and his Orchestra. Dabei waren SidneyBechet (ss, cl), Mezz Mezzrow (cl, ts), TeddyBunn (g), Cliff Jackson (p), Elmer James (b),Manzie Johnson (dm). In dieser Zeit hatteTommy Ladnier grosse Pläne für weitereArbeit mit eigenen Orchestern. Dazu kames dann aber nicht mehr.

Am 1. Februar 1939 war er nochmals imAufnahmestudio, um die BluessängerinRosetta Crawford zu begleiten. Die Mit-musiker waren Mezz Mezzrow (cl), James P. Johnson (p), Teddy Bunn (g), Elmer James(b), und Zutty Singleton (dm). Niemanddachte, dass das die letzten Aufnahmenvon Tommy Ladnier sein würden.

Am 4. Juli 1939 starb er an einem Herz-infarkt im Appartement von Milton MezzMezzrow, in New York City. Er war erst 39 Jahre alt – ein herber Verlust für diedamalige Jazzfamilie und die Fans des New Orleans Revival! Walter Abry

Wer war Tommy Ladnier? Teure Schellacks – wenig Informationen!

Jazzfans und Jazzmusiker in der Schweiz der ersten Nachkriegs-Generation nach dem 2. Weltkrieg sind heute 70 bis 80 Jahre alt oder älter. Viele von ihnen kanntenTommy Ladnier. Spätere Generationen und Studienabgänger von heutigen Jazz-schulen werden sich in den Haaren kratzen und fragen: Wer soll das gewesen sein?»

Etikette einer Schellackplatte:Viel Text – wenig Informationen!

In Archiv des swissjazzorama sind von Tommy Ladnier 16 Alben (LPs und CDs) und 58 Schellackplatten, aus den Jahren1923 –1939, zu finden.

Literatur über ihn ist rar. In unserem Archivwird er nur in einem Buch von HuguesPanassié erwähnt. Fazit: Tommy Ladnier war ein hervorragender Musiker, der in derJazzgeschichte beinahe übersehen wurde.

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IN MEMORIAM

Elsie Bianchi Brunner – Eine Jazzmusikerin in zwei Welten

Elsie Brunner spielte zuerst Akkordeon,wechselte dann im Alter von 10 Jahren zumPiano. Neben dem Musikunterricht absol-vierte sie eine kaufmännische Lehre.

1951 bis 1954 trat sie mit grossem Erfolg am Nationalen Amateur Jazzfestival Zürichals Pianistin, Akkordeonistin und Sängerinauf. Unvergessen ist ihr Auftritt am Festivalvon 1953 mit René Nyffeler (Blockflöte).1955 wurde ein Auftritt mit Chet Baker vomSchweizer Radio aufgenommen, leider wur-den diese Aufnahmen bei einer Räumungs-aktion des Radios gelöscht! Sie begleitetChet Baker aber mehrmals in Italien.1956 heiratete Elsie Brunner den Saxofonis-ten und Bassisten Siro Bianchi. Die beidenarbeiteten fortan als Profimusiker. Elsie Bianchi Brunner erweiterte dann das Duozum Trio mit Schlagzeugern wie DanielHumair, Alex Bally und anderen.

Pendeln zwischen der Schweiz und denUSA – Definitiver Wohnsitz in den USA

1958/59 waren Elsie und Siro Bianchi in den USA. Aus dieser Zeit existiert eine Auf-nahme von Howard Rumsey im berühmtenLighthouse in Hermosa Beach/Kalifornien.1959 kamen sie in die Schweiz zurück undspielten hauptsächlich im Basler «Atlantis».Ab 1962 verbrachte das Paar musizierendjeweils den Sommer in den USA und dieWintersaison in Les Diablerets, Grindelwald,St. Moritz oder Gstaad.1968 übersiedelten sie definitiv in die Verei-nigten Staaten von Amerika.1978 zogen sich beide aus dem Musikerberufzurück und übernahmen von Elsies Bruderdie Atlanta-Filiale der Sportschuh-Fabrik

K-Swiss. Fortan spielten sie Jazz öffentlichnur noch an Wochenenden.1987 zogen sich Elsie und Siro Bianchi aufeine Farm in Georgia zurück.

Elsie Bianchi Brunner war eine brillanteJazzmusikerin und zudem eine derersten Frauen, die sich in den 1950er-Jahren in der «Männerdomäne Jazz» in der Schweiz durchsetzen konnte.

DiskografischesElsie Bianchi Brunner war nicht allzuoft inAufnahmestudios. Immerhin findet man einigeTonträger auf denen sie mit Schweizer undeuropäischen Spitzenmusikern zusammengearbeitet hat, unter anderem mit

– Flavio Ambrosetti (as), 1955– Franco Cerri (g/Italy), European Jazz Stars,1959 – Franco Cerri, International Jazz Meeting,1961– George Gruntz, The MPS Years,1971–1980– George Gruntz, The Band – The Alpine Power

Plant, 1972– George Gruntz, The Band – Live in Zürich, 1976– Franco Ambrosetti (tp, flh)

und Don Sebeski (tb, kb, arr /USA),1979

Im Archiv des swissjazzorama sind sechs Tonträger dokumentiert, auf denenElsie Bianchi Brunner mitwirkte:

– 4. Nationales Amateur Jazzfestival Zürich, 1954SJO-Nr. 701

– Radiosendungen 1960:Elsie Bianchi mit Bigband, SJO-Nr. 485

– Musik zur Ausstellung Jazzstadt Zürich, 1962,SJO-Nr. 638

– Elsie Bianchi Trio mit Fritz Stähli (dm), 1962,SJO-Nr. 5268

– CD-Box Jazz in Switzerland 1930–1975:Elsie Bianchi Trio, 1962

– Elsi Bianchi Trio – The Sweetest Sound,mit Charly Antolini (dm), 1965, SJO-Nr. 8440

Quellen: Internet, SJO und private Walter Abry

Elsie Bianchi, geboren am 5. November 1930 in Zürich als Elsie Brunner,gestorben am 17. Juli 2016 in Royston, Georgia/USA, war eine Schweizer Jazz-musikerin (Akkordeon, Piano, Gesang). Nach ihrer musikalischen Karriere war sie in der Sportartikel-Branche tätig.

Elsie Brunner und René Nyffeler,1953

Sir Charles ThompsonGeboren wurde er als Charles Phillip Thompsonam 12.3.1918 und starb 98-jährig am 16.6.2016.Er war ein US-amerikanischer Pianist, Organistund Arrangeur des Swing und des Bebop.Er begann schon 10-jährig professionell Klavierzu spielen. Als die Bennie Moten Band an einerTanzveranstaltung in Colorado Springs spielte,lud Count Basie, der am Klavier sass, den 12-jährigen Charles ein, auf die Bühne zu kommen.Das war auch der Moment als Lester Young ihmden Spitznamen «Sir» verpasste, unter dem SirCharles Thompson später meistens auftrat.Ab 1940 spielte er in den Bands von berühmtenBandleadern, wie u.a. Horace Henderson, LionelHampton, Lucky Millinder, Coleman Hawkins,Illinois Jacquet, Panama Francis. Er trat auch mitCombos unter seinem Namen auf. In den 1950erJahren war er auch bei Charlie Parker, BuckClayton, Vic Dickenson, Paul Quinichette undanderen. In allen Bands sassen viele hoch-karätige Musiker. – Später trat er viel als Solo-pianist oder im Trio auf, z.B. in Bars.Nach seinen eigenen Worten erlebte er denÜbergang vom Swing zum Bebop vor allem inder Art wie die Musik präsentiert wurde – war es im Swing vor allem als Tanzmusik, ging dasPublikum danach an «Jazzkonzerte» oder inClubs um Jazz zu hören. War beim Swing einguter Rhythmus wichtig, spielten Parker undGillespie «schneller und mehr Noten» und nann-ten das dann Bebop. Für ihn als Musiker seiendiese Begriffe aber «sehr, sehr unwichtig». Imgleichen Interview nannte er als Einflüsse aufsein Spiel weniger Pianisten, sondern die Saxo-fonisten Coleman Hawkins und Lester Young.Als Komponist war er, neben anderen Themen,der Verfasser des bekannten und viel gespieltenJazzstandard «Robbin’s Nest».Sie Charles Thompson war noch 2004 als Pianistaktiv. Er lebte in Kalifornien und ab 2002 beiseiner Frau in Japan, wo er 2016 verstarb.DiskografischesSir Charles Thompson hat in seinem langenLeben mit unzähligen Musikern zusammen- gearbeitet, in den USA, in Europa und anderswo.Details dazu findet man im Internet. Er war auchöfters in der Schweiz. Nachfolgend eine (unvoll-ständige) Liste seiner Präsenz hierzulande:2. Mai 1961 Stadtcasino Basel:

Thompson (p) und US-Musiker3. Mai 1961 Radio Studio Basel:

Thompson (Pianosolo)28. Mai 1964 Radio Studio Zürich:

Thompson (Pianosolo)29. April 1967 Kantonsschule Baden:

Thompson (p), Don Byas (ts)und die Schweizer Isla Eckinger(b) und Peter Schmidlin (dm)

27. Mai 1967 Radio Studio Zürich: Thompson (Pianosolo)

17. Sept. 1972 Zürich: Thompson und europäi-sche Musiker und der Schweizer Jürg Morgenthaler (cl, as) WA

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IN MEMORIAM

Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlichRedaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Layout: Walter Abry (WA)Copyright: swissjazzorama.chAckerstrasse 45, 8610 Uster Tel. ++41(0)44 940 19 [email protected] www.jazzorama.chContact pour la Suisse romande:VakantContato per la Svizzera italiana: Nicolas GillietTel. 079 428 97 65, [email protected] dieser Nummer:Heinz Abler, Walter Abry (WA),René Bondt, Andrea Engi,Konrad Korsunsky, Hans Peter Künzle,Klaus Naegele, Fernand Schlumpf (fs),Jimmy T. Schmid (J.T.S.), Irène Spieler

IMPRESSUM

GELESEN …

Paul DesmondAltosaxofonist des Cool Jazz

«Ich möchte Saxofon spielen, aber ohne hineinzublasen.»

Schluss

Vorläufer des Cool JazzDer Leitartikel dieses Jazzletters auf Seite 3heisst Focus on Westcoast. Westcoast Jazzentstand in den späten 1940er Jahren in derFolge des Cool Jazz. Eigentlich ist es logisch,dass die coole Spielweise nicht aus demNichts auf einmal da war. Da muss es Vor-gänger gegeben haben. Zwei davon warenleicht zu eruieren. Hier die beiden kurzenStatements, gefunden im Wikipedia.

Bix Beiderbecke war einer der bedeudenstenweissen Jazzmusiker der 1920er Jahre und derwichtigste Vertreter des Chicago Jazz. SeineImprovisationen waren geprägt durch eine Mi-schung aus lyrischer Phrasierung und – vergli-chen mit den meisten Jazzmusikern der Epoche –mit einer starken emotionalen Zurückhaltung, dieihn zu einem Vorläufer des Cool Jazz machte.

Lester Young. Joachim-Ernst Berendt schreibtzum Einfluss Lester Youngs: Der Klang des mo-dernen Jazz, um ein Wort des Arrangeurs BillRusso zu gebrauchen, wurde tenorisiert. Der Ein-fluss, der ihn tenorisiert hat, ist Lester Young.So war auch der Klang des Miles Davis CapitalOrchestra (1948 –1950) eine Orchestrierung desTenorsaxofon-Spiels von Lester Young. GemässBerendt waren alle wichtigen Tenorsaxofonistender 1950er Jahre, selbst Alt- und Baritonsaxofo-nisten, aber auch Trompeter, Posaunisten, Pianis-ten des Cool Jazz von Lester Young beeinflusst.

Leon Bix Beiderbecke (10.03.1903 – 06.08.1931)US-amerikanischer Kornettist und PianistMusikbeispiele: Singin' The Blues und I'm Coming Virginia (beide Aufnamen von 1927)

Lester Young, ‘Prez’ (27.08.1909 –15.03.1959)US-amerikanischer Tenorsaxofonist und KlarinettistMusikbeispiele: Kansas City Six:Pagin' The Devil (1938, Lester Young cl)Count Basie And His Orchestra:You Can Depend On Me (1939, Lester Young ts)

Im Archiv des swissjazzorama.ch sind zur-zeit die erstaunliche Anzahl von 119 Alben,auf denen Bix Beiderbecke und 166 Alben,auf denen Lester Young mitwirkte, erfasstund archiviert. WA

Elsie Bianchi BrunnerSchweizer Akkordeonistin, Pianistin und Sängerin05.11.1930 – 17.07.2016Elsie Bianchi verstarb am 17. Juli 2016 in ihrerWahlheimat USA. Wir würdigen sie mit einemausführlichen Beitrag auf Seite 11.

Werner TesterSchweizer Kornettist, Flügelhornist, 1955 – 1965Chronist und Archivar des ersten und ab 1977Chronist und Fotograf des zweiten Jazzclubs Chur17.07.1939 – 02.09.2016Neben seiner musikalischen Arbeit hat er unzäh-lige Konzerte auf Tonträger verewigt, machte eine vierteilige Jazz-Radiosendung für das roma-nische Radio und realisierte 2007 die grosse Fotochronik 30 Jahre Jazzclub Chur.

Joe TemperleyBritischer Saxofonist (bs und ss) und Bassklarinettist 20.09.1929 – 11.05.2016Von 1958 bis 1965 war er Mitglied der Humphe-rey Littleton Band. Dann übersiedelte er nach New York und arbeitete u.a. für Woody Herman,Buddy Rich, Joe Henderson, Clark Terry und für das Composer’s Orchestra und die Thad Jones-Mel Lewis Bigband.

Sir Charles ThompsonUS-amerikanischer Pianist, Organist und Arrangeur des Swing und Bebop13.03.1918 – 16.06.2016Im hohen Alter von 98 Jahren hat sich CharlesThompson von dieser Welt verabschiedet.Er starb am 16. Juni 2016 in Japan. Einen grösseren Beitrag finden Sie auf Seite 11.

Toots ThielemansBelgischer Musiker des Modern Jazz (Mundharmonika und Gitarre)29.04.1922 – 22.08.2916Ella Fitzgerald, Charlie Parker, Quincy Jones,Benny Goodman oder Frank Sinatra, alle liebtenden Sound seiner Mundharmonika. Jetzt ist Toots Thielemans, der auch ein hervorragender Gitar-rist war, im Alter von 94 Jahren gestorben. Quin-cy Jones würdigte ihn einmal als ‘einen der ganzgrossen Musiker unserer Zeit’.

Rudy van GeldernUS-amerikanischer Tonmeister und Betreiber eines Tonstudios mit Schwerpunkt Jazz 02.11.1924 – 25.08.2016Während der 1950er und 1960er Jahre wurde er bekannt durch seine Arbeit für das Label BlueNote. Seit Ende der 1990er Jahre beschäftigte er sich hauptsächlich mit der digitalen Nach-bearbeitung seiner alten Originalaufnahmen.Der All Music Guide würdigt ihn wie folgt: Er isteinfach der beste Tonmeister der Jazzgeschichte.

WA

In eigener SacheMitglieder-, Gönner- und Sponsoren-beiträge sowie Legate und Spenden anden Verein swissjazzorama sind steuer-befreit und können in der Steuer-erklärung vom Einkommen abgezogenwerden. (Verfügung Nr. 05/10372 desKantonalen Steueramtes Zürich, AbteilungRecht, vom 28.07.2005). Wir danken Ihnenganz herzlich für Ihr Wohlwollen und dierege Nutzung dieser Möglickeiten.

Unsere Bankverbindung:Credit Suisse, Zürich, IBAN CH810483 50616569 8100 0, swissjazzorama

Jazzpreis für Heiri KänzigDer Schweizer Kontrabassist Heiri Känzig erhieltden Jazzpreis 2016 der Stiftung SUISA. «SeinVariantenreichtum und seine Fingerfertigkeitmachen ihn zu einem Virtuosen auf seinemInstrument», heisst es in der Begründung. DieAuszeichnung wurde ihm am 4. Dezember 2016im Jazzclub Moods in Zürich überreicht.Heiri Känzig, geboren 1957, ist in Zürich undWeiningen aufgewachsen. Seine musikalischeAusbildung erhielt er in Graz, Wien und Zürich.Mit 21Jahren startete er seine internationaleKarriere als Bassist des Trompeters Art Farmer.Ab 1978 gehörte er während 15 Jahren demVienna Art Orchestra an. 1991 wurde er alserster Nicht-Franzose in das renommierte fran-zösische Orchestre National de Jazz berufen. DieListe der Musiker mit denen er zusammengear-beitet hat oder immer noch zusammenarbeitetist lang. Unter vielen anderen findet man dieNamen von Daniel Humair, Pierre Favre, FrancoAmbrosetti, George Gruntz, Thierry Lang, Wolf-gang Dauner, Kenny Wheeler, Charlie Mariano,Billy Cobham und Chico Freeman. Seit 2002 ist Heiri Känzig Professor für Kontrabass an der Hochschule für Musik in Luzern. Er lebt mitseiner Familie in Meilen bei Zürich. WA

Zwei Schwergewichte der Jazzgeschichte:Bix Beiderbecke (oben) und Lester Young