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Liebe Leserin, lieber Leser «Was ist noch Jazz?», «Was ist nicht mehr Jazz?». Das sind durchaus keine Fragen, die bei uns im Redaktionsteam zu Querelen führen, die man sich aber hin und wieder doch stellen muss, wenn man sich ernst- haft mit unserer Materie, nämlich Jazz und Blues, befasst. Die verflixten Fragen führten schon Mitte der Vierzigerjahre dazu, dass die Wege der berühmten französischen «Jazzpäpste» Hugues Panassié und Charles Delauney sich trennten. Panassié ignorierte konsequent alles, was irgendwie nach Bebop klang, Delauney sah (oder besser hörte) das gänz- lich anders. In der NEW HOT DISCOGRA- PHY (1948, New York) führt er fein säuber- lich alle frühen Aufnahmen von Charlie Parker und Dizzy Gillespie und anderer früher Bebop-Musiker auf: Bebop war total im Jazz integriert. Anderenorts wusste jedoch auch Delauney zu unterscheiden. Alles, was Glenn Miller anfangs der Vierzi- gerjahre aufgenommen hatte, einschliess- lich der «Moonlight-Balladen», die kaum noch dem Jazz zuzurechnen sind, findet man lückenlos verzeichnet. Jimmy Dorsey hingegen, eine damals durchaus mit dem Miller-Orchester vergleichbare Band, musste im 600-seitigen Buch von Delauney draussen bleiben. Grund: zu wenig Jazz, zu kommerziell ausgerichtete Jazzmusik. In den Vierzigerjahren war es der Bebop und gewisse Arten von jazzähnlicher Tanz- musik, welche die Frage «Jazz or no Jazz» provozierten. Heute gibt es in der kulturell globalisierten Welt um den Jazz herum Dutzende Musikarten, die ihn mehr oder weniger beeinflussen. Noch als Jazz einzu- ordnen oder nicht? Das wird bei uns immer mit viel Toleranz entschieden. Herzlich Nr. 41, März 2018 jazzletter EDITORIAL swissjazzorama Inhalt 2 Die Seite des Präsidenten 3–5 Focus on Rhythm Section nach 1945 6–8 Interview mit Mario Schneeberger 8 Bebop, Blues und Bach – das MJQ 9–11 Born 1918 … vor 100 Jahren geboren 11 Aus dem Archiv: Simmen Corner 12 In memoriam (Coco Schuhmann) Impressum Vier Fotos von Rhythmus-Spezialisten als Teil fürs Ganze. 2 Drummer, 2 Bassisten.Wo sind die Gitarristen? Kein Freddie Green! Kein Django Reinhardt! Kein Charlie Christian! Heinz Abler mag seinen Artikel (Seiten 3 –5) vorbereitend noch so gründlich nach Rhyth- mus-Gitarristen vom Kaliber eines Freddie, Django oder Charlie Ausschau gehalten haben, sie sind in der aktuellen Jazzszene der letzten Jahrzehnte nirgends auszumachen. Musiker wie Charlie Byrd, Herb Ellis, Tal Far- low, Barney Kessel, Mundell Lowe, Wes Mont- gomery, Bucky Pizarelli u.a. haben die Gitarre zum perfekten Soloinstrument gemacht. Die Musiker traten in Kleinformationen auf, als Solisten oder als Partner der Solisten. Diese Gitarrenvirtuosen kann man nicht zum engen Kreis des reinen Bebop oder Hard- bop zählen. Passend ist für sie vielleicht der Ausdruck Mainstream, der vieles umfasst. Man sollte nicht übersehen: Noch in den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts gab es so etwas wie ein Swing Revival, in dem die Gitarre in be- währter Manier als stimulierendes Rhyth- mus- und Soloinstrument gespielt wurde. Nun aber hat die Gitarre, mit grosser Lautstärke, in der Popmusik die Hauptrolle übernommen! Red. Focus on Rhythm Section Eine Emanzipationsgeschichte nach 1945 Kenny Clarke Elvin Jones Ray Brown Charlie Haden Teil 2

swissjazzorama jazzletter · 2020. 8. 22. · vorbereitend noch so gründlich nach Rhyth-mus-Gitarristen vom Kaliber eines Freddie, Django oder Charlie Ausschau gehalten haben, sie

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  • Liebe Leserin, lieber Leser

    «Was ist noch Jazz?», «Was ist nicht mehrJazz?». Das sind durchaus keine Fragen,die bei uns im Redaktionsteam zu Querelenführen, die man sich aber hin und wiederdoch stellen muss, wenn man sich ernst-haft mit unserer Materie, nämlich Jazz undBlues, befasst.

    Die verflixten Fragen führten schon Mitteder Vierzigerjahre dazu, dass die Wege derberühmten französischen «Jazzpäpste»Hugues Panassié und Charles Delauney sichtrennten. Panassié ignorierte konsequentalles, was irgendwie nach Bebop klang,Delauney sah (oder besser hörte) das gänz-lich anders. In der NEW HOT DISCOGRA-PHY (1948, New York) führt er fein säuber-lich alle frühen Aufnahmen von CharlieParker und Dizzy Gillespie und andererfrüher Bebop-Musiker auf: Bebop war totalim Jazz integriert. Anderenorts wusstejedoch auch Delauney zu unterscheiden.Alles, was Glenn Miller anfangs der Vierzi-gerjahre aufgenommen hatte, einschliess-lich der «Moonlight-Balladen», die kaumnoch dem Jazz zuzurechnen sind, findetman lückenlos verzeichnet. Jimmy Dorseyhingegen, eine damals durchaus mit demMiller-Orchester vergleichbare Band,musste im 600-seitigen Buch von Delauneydraussen bleiben. Grund: zu wenig Jazz, zu kommerziell ausgerichtete Jazzmusik. In den Vierzigerjahren war es der Bebopund gewisse Arten von jazzähnlicher Tanz-musik, welche die Frage «Jazz or no Jazz»provozierten. Heute gibt es in der kulturellglobalisierten Welt um den Jazz herumDutzende Musikarten, die ihn mehr oderweniger beeinflussen. Noch als Jazz einzu-ordnen oder nicht? Das wird bei uns immermit viel Toleranz entschieden.

    Herzlich

    Nr. 41, März 2018

    jazzletter

    EDITORIAL

    swissjazzorama

    Inhalt2 Die Seite des Präsidenten 3–5 Focus on Rhythm Section nach 19456–8 Interview mit Mario Schneeberger8 Bebop, Blues und Bach – das MJQ 9–11 Born 1918 … vor 100 Jahren geboren11 Aus dem Archiv: Simmen Corner12 In memoriam (Coco Schuhmann)

    Impressum

    Vier Fotos von Rhythmus-Spezialisten als Teilfürs Ganze. 2 Drummer, 2 Bassisten. Wo sinddie Gitarristen? Kein Freddie Green! KeinDjango Reinhardt! Kein Charlie Christian!Heinz Abler mag seinen Artikel (Seiten 3–5)vorbereitend noch so gründlich nach Rhyth-mus-Gitarristen vom Kaliber eines Freddie,Django oder Charlie Ausschau gehalten haben, sie sind in der aktuellen Jazzszene derletzten Jahrzehnte nirgends auszumachen.

    Musiker wie Charlie Byrd, Herb Ellis, Tal Far-low, Barney Kessel, Mundell Lowe, Wes Mont-gomery, Bucky Pizarelli u.a. haben die Gitarrezum perfekten Soloinstrument gemacht. DieMusiker traten in Kleinformationen auf, als

    Solisten oder als Partner der Solisten. DieseGitarrenvirtuosen kann man nicht zumengen Kreis des reinen Bebop oder Hard-bop zählen. Passend ist für sie vielleicht derAusdruck Mainstream, der vieles umfasst.

    Man sollte nicht übersehen: Noch in denSechziger- und Siebzigerjahren des letztenJahrhunderts gab es so etwas wie einSwing Revival, in dem die Gitarre in be-währter Manier als stimulierendes Rhyth-mus- und Soloinstrument gespielt wurde.

    Nun aber hat die Gitarre, mit grosser Lautstärke, in der Popmusik die Hauptrolle übernommen! Red.

    Focus onRhythmSection

    Eine Emanzipationsgeschichte nach 1945

    Kenny ClarkeElvin Jones

    Ray BrownCharlie Haden

    Teil 2

  • 2

    Jazz und verwandte Musik gehören inder Schweiz seit bald 100 Jahren zumnationalen Erbe der Musik, der Kulturund des sozialen Zusammenhalts.

    Tausende an Jazz- und jazzverwandtenSpielweisen interessierte Musiker aus demIn- und Ausland treten hierzulande alljähr-lich in mehr als 200 Clubs und an fast 100Festivals auf, produzieren Studioaufnahmenund studieren oder unterrichten an 5 Fach-hochschulen und an 400 Musik- und ande-ren Schulen. Sie und eine umfangreicheFangemeinde lesen Pressemitteilungen,3 spezialisierte Zeitschriften und immerwieder neue Bücher, sehen Plakate undFotos, hören diverse Radiostationen,besuchen Konzerte und sammeln privateinschlägige Materialien.

    Die kulturelle und wirtschaftliche Bedeu-tung dieses Tuns wird in der Schweiz massivunterschätzt. Eine systematische Erfassung,Öffentlichkeitsarbeit und politische Wahr-nehmung fehlt leider weitgehend.

    Unser in Uster tätige Verein swissjazzoramabemüht sich zwar seit vielen Jahren, dasJazzgeschehen in der Schweiz aufzuar-beiten und zu dokumentieren. Seine Aus-strahlung genügt aber nicht, die Mängelnational zu benennen und zu beheben. Esbraucht eine neue, rechtlich selbständige,stabile, breit abgestützte und national tätige Organisation. Ein Verein kann dasnicht leisten, weil seine Tätigkeit laufendabgestimmt werden muss auf Mehrheits-entscheide einer breitgefächerten undstetem Wandel unterworfenen Mitglieder-schar. Für Geldgeber und Hinterleger grosser Sammlungen braucht es einenverlässlicheren Partner.

    Immerhin wird der heutige Verein u.a.von der Stadt Uster und vom Kanton Zürichbereits alljährlich mit Betriebsbeiträgenunterstützt und kann erhebliche Vorarbeitenund Kompetenzen in eine neue Organisa-tion einbringen.

    Beim «swissjazzorama – Das SchweizerJazzarchiv» sind heute auf 500 m2 zusam-menhängender Fläche u.a. eingelagert:

    7 500 Schellacks 60 000 Vinyl-Langspielplatten15 000 Compact Discs 4 500 Bücher

    10 000 Zeitschriften15 000 Fotos 4 000 Plakate 4 900 Musiknoten

    und unzählige Zeitungsmeldungen,handschriftliche Aufzeichnungen undProgrammhefte zahlreicher Clubs.

    Mehr als 30 freiwillige Helfer und etlichedem Verein von Arbeitsvermittlungsstellenzugewiesene Leute haben einen sehrerheblichen Teil dieser Archivalien erfasstund im Internet unter www.jazzdaten.chund www.archivdaten.jazzorama.ch allgemein zugänglich katalogisiert. Jährlichwerden dafür 10 000 bis 20 000 Arbeits-stunden geleistet.

    Nachdem der Verein neue Räumlichkeitenerfolgreich beziehen und eine teilzeitlichtätige Geschätsleitung installieren konnte,möchte er nun gestützt auf den Beschlussder Vereinsversammlung vom 25. März2011 den nächsten grossen Schritt tun:Die Übertragung des Eigentums an denArchivalien und Einrichtungen des laufen-den Betriebes einschliesslich aller Rechteim Urheber- und Internet-Bereich auf eine Stiftung, die ausserdem die wesent-lichen Aufgaben der Betriebsführung undsämtliche Rechte und Pflichten aus denbestehenden Personal-, Miet-, Versiche-rungs- und sonstigen Verträgen übernimmt.Jazz im weitesten Sinne, in Zukunft wohlauch verwandte Musikrichtungen (Rock,Pop usw.) sollen im Zentrum der Stiftung-stätigkeit stehen.

    Der bisherige Verein soll als eigentlicherFörderverein weiterhin tätig sein.

    Für die Gründung der Stiftung wurde vorkurzem ein Patronatskomitee gebildet, dietatkräftig mithelfen soll, die Stiftung undihre Anliegen weiträumig bekannt zu ma-chen und Leute aus dem Freundes- und Be-kanntenkreis dafür zu begeistern, Beiträgeauf das bereits bestehende Sperrkonto zurAnsammlung eines angemessenen Kapital-

    stocks einzuzahlen. Ein Anfang ist bereitsgemacht. 60 000 Franken sind auf dasSperrkonto einbezahlt worden.

    Es ist klar, dass sich der Verein ab sofortvermehrt auch selbst für die nötige Mittel-beschaffung einsetzen wird. Er sucht indiesem Zusammenhang Mitglieder undInteressenten, die bereit sind, das Sperr-konto mit einem Beitrag von mindestens5000 Franken zu äufnen.

    Wir freuen uns über jede Zusage.swissjazzoramaAckerstrasse 45, 8610 UsterTelefon 044 94019 82, [email protected]

    Die Stiftung soll:– das Kulturgut der Jazzmusik in der

    Schweiz sammeln, erhalten und dokumentieren,

    – eine breite nationale Öffentlichkeitherstellen,

    – die Nutzung des Archivgutes für jedermann attraktiv machen,

    – die Schweizer Jazzszene unterstützen,– eine enge Zusammenarbeit mit

    ähnlichen Einrichtungen im In- und Ausland anstreben.

    Helfen auch Sie beim Aufbau einer finanziell gut aufgestellten Stiftung.Vielen Dank!

    Mit swingendem GrussAndrea Engi, Präsident

    Mitglieder-, Gönner- und Sponsorenbeiträgesowie Legate und Spenden an den Verein swissjazzorama sind steuerbefreit undkönnen in der Steuererklärung vom Einkommen abgezogen werden.(Verfügung Nr. 05 / 10372 des Kantonalen Steueramtes Zürich vom 28.07.2005).

    Jetzt muss sie kommen:Die Stiftung!

    DIE SEITE DES PRÄSIDENTEN

    Patronatskomitee (Stand Feb. 2018)für die Stiftung swissjazzorama

    Giovanni BriaPeter BürliDr. Hans Peter Danuser von PlatenThomas DoblerJoe HaiderHämi HämmerliGregor HilbeJürg «Bobby» KellerPius KnüselPepe LienhardPeter RüediMathias RüeggMario SchneebergerJürg SolothurnmannBarbara ThalmannJohannes VogelIlse WeinmannHans Zurbrügg

  • Eine Emanzipations-geschichte nach1945

    3

    Zum Begriff – einleitende Betrachtungen

    Bei der Bezeichnung Rhythm Section oderdt. Rhythmusgruppe hält man sich im All-gemeinen an das Duo Bass/Schlagzeug;oft werden noch Piano oder Gitarre ein-bezogen. Dieser Text jedoch beschränkt sichgrosso modo auf das Bass/Drum-Setting,wird aber, aus Gründen, die sich aus derEntwicklung des Jazz in neuerer Zeit erge-ben, das weite Feld der Perkussion einbe-ziehen. Wobei sogenannte Malletinstrumen-te (Vibra- /Marimbaphon) ausser Betrachtfallen, obwohl sie an der SchnittstellePerkussion – Melodie liegen und in dieseroder jener Weise zum Einsatz kommen.

    Die Rhythmusgruppe, deren neuereGeschichte auch als eine der Selbstauf-lösung gesehen werden könnte, existiertzwar instrumentell weiter, integriert sichjedoch viel dichter ins musikalische Gesche-hen, als ihre funktionelle Bezeichnungsuggeriert. Begriffe wie Rhythmus oderSwing öffnen sich einer neuen Deutung.Unter diesen Gesichtspunkten gerät natur-gemäss die Definitionsfrage von Jazz alssolchem ins Blickfeld. Dies ist nicht zuletzteine Frage des jeweils verfolgten «Stils»und soll an dieser Stelle nicht weiter dis-kutiert werden. Die Frage etwa, ob dieMusik «swinge» oder nicht, kann der Zuhörer für sich entscheiden, auch dann,wenn «Swing» als konstitutives Elementdes Jazz verstanden wird. Bei konservativerAuslegung fällt dann der Rhythm Sectiondie Aufgabe zu, kompetent für eben diesen«Swing» zu sorgen. Da aber der Jazz etwaab Beginn der 1960er Jahre, sich aus einemwie immer gearteten «Mainstream» musi-kalisch wie geografisch aufgefächert hat,wird es schwierig, die angewendetenKonzepte zu etikettieren. Seit dem Aufkom-men des Free Jazz, wo angewöhnte Sche-mata verlassen und das Kollektiv aufgewer-

    tet wird, nicht zuletzt unter dem Einflussausserwestlicher Musikkulturen, entstehenneue Formen des Ausdrucks, des Sounds,welche die bisher eingeübte Arbeitsteilungaufheben. Jemand, der sich also für Bass,Schlagzeug oder Perkussionsinstrumenteentscheidet, kann, aber muss sich nichtlänger als rhythmischen Zudiener für Solis-ten verstehen, sondern wird nun als gleich-berechtigte Stimme innerhalb der Gruppegehört. Wenden wir uns nun der Entwick-lung der Instrumente und deren Spieler und– mit steigender Quote Spielerinnen zu.

    Der Bass – die Erdung

    Akustisch ist der Kontrabass gemeint, derursprünglich als Streichinstrument gedachtwar. Im Jazz hat sich indes zumeist diePizzicato-Spielweise durchgesetzt, also dasZupfen, Anschlagen oder Slappen der Saitemit der rechten Hand. Im Lauf der Zeit führten technische Errungenschaften überdie reine Tonverstärkung hinaus zu neuenInstrumenten wie dem Electro-Upright-Bassoder dem eigentlichen, äusserlich gitar-renähnlichen Electro-Bass (E-Bass). Natur-gemäss erhöhten diese elektronisch ge-stützten Geräte die Variabilität der Aus-drucksmöglichkeiten – jedoch nicht immerzugunsten der musikalischen Aussage.

    Wollte man eine Entwicklungslinie ziehen,dann trügen Meilensteine die NamenJimmy Blanton (1918–1942), Scott LaFaro (1936–1961) und für den E-BassJaco Pastorius (1951–1987). Wie mansieht, hatten sie alle nicht viel Zeit, ihrGenie nachhaltig aufleuchten zu lassen.Zöge man noch den Electric Upright Bassin die Betrachtung mit ein, könnte man denSolitär und Klangmagier Eberhard Weber(geb. 1940) nennen.

    Doch eingeleitet hat Jimmy Blanton aus derNähe zum Zentralgestirn Duke (Ellington),

    was sich von nun an über Jahrzehntehinweg als Standard modernen Bassspielsetabliert hat: Ein solider, volltönenderWalkin' Bass, gespeist aus den Tiefen desgrossen Resonanzkörpers, versetzt mitmelodischen Gegenlinien und rhythmischerAkzentuierung, in Kooperation mit demSchlagzeug. Der Bass wurde auch zumSoloinstrument und brachte oft eine etwasentschleunigende Ruhe ins zuweilen hekti-sche Getriebe der neuen als Be-, späterHard- und Postbop bezeichneten Musik.Nach dem frühen Tod Blantons setztenOscar Pettiford und vor allem CharlesMingus fort, was nun angelegt war. Beidehatten ebenfalls mit Ellington gespielt,wobei Letzterer – 1962 zusammen mitDrummer Max Roach und Ellington amPiano das legendäre Trio-Album «MoneyJungle» einspielte. Man könnte nun Seitenmit den Namen von Bassisten füllen, die inder Tradition dieser Pioniere spielten undnoch spielen – das hätte den Charme einesTelefonverzeichnisses. Immerhin habenetwa Ray Brown, Paul Chambers, der solis-tisch gelegentlich zum Bogen griff, oderRon Carter, der wie Pettiford auch dasCello einsetzte, markante Beiträge abge-liefert. Ans Ende dieser Reihe könnte manChristian McBride setzen, der sich in einerLine ausgehend von Ray Brown sieht unddas Konzept perfektioniert hat.

    Chambers und Carter verweisen auf einweiteres Zentralgestirn im Jazz-Universum,dessen übermächtige AnziehungskraftBewegung ins Rollenverständnis derRhythm Section gebracht hat: Miles Davis.Hier drängt es sich auf, Bass/Schlagzeugals Einheit zu sehen. Dies lässt sich an derEntwicklung der Gespanne Chambers/Philly Joe Jones, Chambers/Jimmy Cobb,Ron Carter /Tony Williams bis zu DaveHolland/Jack DeJohnette ablesen. DieRhythmusgruppe verlässt im Laufe der Zeitdas starre Gerüst des reinen Time Keepingund beginnt gewissermassen zu «atmen».Will heissen, man beschleunigt /verzögertdas Grundmetrum, variert die Taktartimprovisatorisch aus dem Moment heraus– vornehmlich bei Live Auftritten.

    Von Miles Davis her kommt auch derPianist Bill Evans, dessen Trio im Juni 1961im Village Vanguard, NYC, vom Publikumhörbar unbemerkt, eine leise Revolutionausgelöst hatte. Der Auftritt war insbeson-dere Scott LaFaros Meisterstück und zu-gleich sein finales Statement, zwei Wochenvor seinem Unfalltod. Er verzichtet hierweitgehend auf durchgehendes Walking,umspielt virtuos Evans' introvertiertesPiano, einfühlend unterstützt vom unprä-tentiösen Schlagzeug Paul Motians. Die «Begleiter» wuchsen aus ihrer bislangbekannten Funktion heraus, in ein integ-riertes Kollektiv hinein.

    Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, Mitte der 1940er Jahre, begann sich auch die Welt des Jazz zu verändern. Der Sound der grossen Swingorchester allerortenwar verklungen. Sowohl in den Ballsälen wie auch bei den Truppen der allmählichvon den Kriegsschauplätzen zurückkehrenden GIs. Aus den Kellern der Clubs in NewYork, wahrhaftigen Versuchslabors, drang eine neue, ungewohnt nervöse, vornehm-lich von Afroamerikanern gepflegte Musik an die Oberfläche: Bebop. Die Forma-tionen wurden in der Regel wieder kleiner, jedoch die Arbeitsteilung innerhalb derGruppe, insbesondere in Bezug auf die Rhythm Section blieb zunächst die gleiche.Das sollte sich jedoch bald ändern. Heinz Abler

    Focus onRhythmSection

    Teil 2

  • 4

    Es ist klar, dass in der Nachfolge LaFaros,vornehmlich in den mehr oder minder freien Formen des Jazz die Rolle des Bassesim Ensemble radikal umgedeutet wurde.Auch hier liessen sich Namensverzeichnisseanlegen, mit auszugsweise Charlie Haden,Dave Holland, Gary Peacock, John Pati-tucci, Jimmy Garrison bis zu Barry Guyoder William Parker – ohne jeden Anspruchauf Vollständigkeit. Insbesondere Hadensteht beispielhaft für das Gravitätische und die erdende Funktion, die dem Kontra-bass eigen ist.

    Eine Variante bietet die junge US-MusikerinEsperanza Spalding, die eigenwillig Gesangmit Bassspiel kombiniert und in Unisono-Passagen etwas an Slam Stewart erinnert.Sie bedient sich, wie einige mit ihr, auchdes E-Basses, den man jedoch nicht alsetwas handlicheres Zweitgerät für die Reise missverstehen sollte. Vielmehr ist derE-Bass, oft auch Bassgitarre genannt, alseigenständiges Instrument zu sehen.Niemand hat dies besser vorgeführt alsJaco Pastorius, der nie Kontrabass spielteund dessen Stern in der Gruppe WeatherReport während der Phase der sogenann-ten Fusion Music (Rockjazz) aufging.Weather Report, «wo alle gleichzeitigausgehend vom Thema Solo spielen» (Co-Leader Zawinul) interpretierte seineMusik als Verschmelzung der Instrumentezum Gruppensound, zum groovendenKollektiverlebnis, woran Pastorius mass-geblich beteiligt war.

    Er zeigte, dass die Charakteristik des E-Basses sozusagen aus einer Kombinationvon Bass, Gitarre und Perkussion geformtwird. Während etwa Steve Swallow dasgitarreske Element hervor hebt, steht beiMarcus Miller eher das perkussiv grooven-de im Vordergrund. Effekte, die mittelsSlap-Technik, des Daumenschlags auf dieSaite, erzeugt werden. Als Folge diesermultiplen Optionen kann das E-Bassspiel in kunstfingrige, publikumswirksame, abernicht selten musikalisch wenig ergiebigeArtistik abgleiten. Nun ist ja der Jazzgewiss nicht frei von zirzensisch spassbe-hafteten Einlagen, die man indes nirgends

    besser als bei der Bedienung des Schlag-werks jeglicher Art beobachten kann.

    Das Schlagzeug – der Generator

    Jo Jones (1911–1985), den man später auch «Papa Jo Jones» nannte, war nichtnur ein Spassvogel und Schlagzeugakrobat,sondern in der Schwellenzeit Swing-Bebopein überragender Musiker. Er verlegte denAntrieb von der Basstrommel auf die Hi-Hats. Später, im Kreis der Be-Bopper ausdem Minton's Playhouse, NYC, um Thelo-nious Monk übertrug Kollege Kenny Clarke (1914–1985) den Drive auf dasRide-Cymbal, betonte mittels Hi-Hat jeden zweiten Schlag auf dem Hi-Hat undakzentuierte sein Spiel mittels Snare-Drum,den Toms oder der Basstrommel. Das Torzu einer variantenreichen Spielweise stand offen. Man konnte nun solistisch Geschichten erzählen, wie es etwa MaxRoach (1924–2007) oder Roy Haynes(*1925) meisterlich verstanden. Andere,wie Philly Joe Jones (1923–1985) oder der Jazz-Messenger Art Blakey(1919–1990), waren innerhalb ihrer Grup-pen Energiegeneratoren. Kennzeichnendwaren der jeden vierten Schlag betonende«Philly lick» oder Rimshot auf die Kantedes Snaredrums beim einen und derDonner der Blakey-Rolls, der mächtigenSnarewirbel, beim anderen. Schliesslichbedurfte es einer Ausnahmeerscheinungwie des polyrhythmisch agierenden ElvinJones (1927–2004), um das klassische John Coltrane Quartet mit Coltrane (ts, ss)McCoy Tyner (p) und Jimmy Garrison (b) inspirituell unterlegte Intensitätssphären zutreiben. Rashied Ali, Jones' Nachfolgerverzichtete dann konsequent auf dasDurchhalten eines vorgegebenen Metrumsund spielte sich und die Coltrane Gruppeals Ganzes «frei». Man war nun mitten imFree Jazz angekommen, wo sich dieSchlagzeuger, nunmehr frei von metrischenVorgaben, ins musikalischen Gescheheneinbringen konnten. Rhythmus oder«Swing» schimmern nur mehr durch – sie werden «gefühlt».

    Ausgehend von Kenny Clarke, dem frühenMitglied des Modern Jazz Quartet bevor-zugten sein Nachfolger Connie Kay, oder ander Westküste etwa Chico Hamilton oderShelly Manne als Leader – mit Stöcken undBesen – eine etwas zurückhaltendere Spiel-weise, sowohl beim Vortrieb als auch beider Form.

    Es ist kaum verfehlt, in Tony Williams(1945–1997), Mitglied des zweiten klassi-schen Miles Davis Quintetts (mit Davis,Wayne Shorter, Herbie Hancock und RonCarter) das Pendant zu Elvin Jones beiColtrane zu erkennen. Williams war schonmit 17 Jahren nicht weniger energetisch alsdieser, fegte ab und an furios über das RideCymbal, zuweilen mit Hi-Hat-Unterstützungbei jedem Beat, und setzte auf seine Artneue Massstäbe. Jack DeJohnette (*1942)fand gewissermassen eine Kombination ausbeiden Spielarten und wurde zu einereinflussreichen Schlüsselfigur des modernenSchlagzeuges.

    Miles Davis schlug noch mit Williams undspäter DeJohnette im Wechsel zu den1970er Jahren den Weg in Richtung Fusionein, so dass die Zukunft der beiden vorge-prägt war.

    Im Zuge der Fusion-Musik erfuhr das klassi-sche Drumset eine Aufrüstung mit Trom-meln, Zymbeln u.ä., dessen Umfang gele-gentlich im umgekehrten Verhältnis zummusikalischen Ertrag steht.

    Von Stund an war Powerdrumming an-gesagt, mit Leuten wie Billy Cobham,Alphonse Mouzon, Dave Weckl usw. Aber,wie etwa Steve Gadd zeigt, ist auch hierdas Führen einer feineren Klinge nichtausgeschlossen. Oft wird der Groove bisheute als rockig eingefärbte Grundierungmit leichtem Latin-Auftrieb angelegt.

    Das Schlagzeug bietet nun aus den im Laufder Zeit hervor gegangenen Stilen undinstrumentellen Kombinationen unerschöpf-liche Möglichkeiten des individuellenAusdrucks. Von Erdenschwere bis zumHöhenflug – oft in derselben Person verei-

    Jimmy Blanton Scott LaFaro Esperanza Spalding

  • 5

    nigt. Nur einige Namen seien genannt,beispielhaft und ohne Wertung:Joe Morello, Billy Higgins, Al Foster, Jeff «Tain» Watts, Terri Lyne Carrington,Andrew Cyrille, Han Bennink, Susie Ibarra,Antonio Sanchez, Joey Baron, Ari Hoenig,Jim Black, Johnathan Blake u.v.a.

    Perkussion – die Welt

    Dizzy Gillespie hatte 1947 den kubanischenConga- und Bongospieler Chano Pozo(1915–1948) in seine Big Band geholt unddamit das Feld für das bereitet, was manfortan Afro-cuban Jazz, Salsa oder imweiteren Sinne Latin-Jazz nannte. Zunächstwurden die musikalischen, namentlichrhythmischen Anregungen aus der Karibikempfangen. Die Instrumentierung wuchsdurch den Einbau von Congas, Bongosund/oder Timbales usw. in die Rhythmus-gruppen. Der Melting Pot beflügelte auchMusiker mit Geburtsort New York, jedochkaribischer Herkunft, subtil ihre je eigenenFormate abzuleiten.

    Später, als der südamerikanische Halbkonti-nent, insbesondere mit Brasilien, als Inspi-rationszone hinzu kam, weitete sich dieExotik des Schlagwerks um Instrumentewie Berimbau, Guirro, Caixa, Cuica, Tam-borim usw. Naturgemäss musste der nachallen Seiten offene Jazz mit Einbezug vonAfrika (Maghreb, Westafrika) und Asien(Türkei, Indien) zur Weltmusik werden, wassich vor allem in rhythmischem Reichtumund breit assortierter Instrumentierung –gewissermassen vom Djembe zu denTablas – ausdrückt. Der Phantasie der Spieler- und Spielerinnen sind kaum Gren-zen gesetzt.

    Einige exemplarische Namen seien auchhier, ohne Anspruch auf Bewertung undschon gar nicht Vollständigkeit, genannt:Karibik: Machito, Candido, Ray Barretto,Ray Mantilla, Don Alias, Manolo Badrena,Minu Cinelu, oder Steeldrummer OthelloMolineaux. Südamerika (v.a. Brasilien): Alex Acuña,Airto Moreira, Dom Um Romão, NanaVasconcelos.

    Orient: Burhan Öcal, Arto Tuncboyacian,Glen Velez, Trilok Gurtu, Zakir Hussain,Collin Walcott.World: Marylin Mazur, Sheila E.Viele dieser Musiker und Musikerinnen,von denen einige vom Schlagzeug herkommen, legen sich nicht auf ein bestimm-tes Instrument wie z.B. Conga oder Tablasfest, sondern sind wahre Multinstrumen-talisten und stellen ihr Setting je nachBedarf zusammen – sie bringen die Klang-farben der Welt ins Spiel.

    …und zurück in der Schweiz,mit Blick nach aussen…

    Es fällt auf, dass die Schweiz vornehmlichzu einem Land von Schlagzeugern gewor-den ist. Inwiefern diese Tatsache helve-tisch-folkloristischen Einflüssen geschuldetist, mögen interessierte Musikethnologenergründen. Wie dem auch sei, es findensich in dieser Branche etliche Namen, dieüber die Landesgrenze hinweg ausstrahlen.

    Ein Grenzgänger im künstlerischenAusdruck ist Daniel Humair (*1938), dermit Stöcken, Besen, aber auch als Maler mit Pinsel seit Jahrzehnten unterwegs ist.Er war Mitglied der Phil Woods EuropeanRhythm Machine und Einstiegsdrummerbei George Gruntz' nachmaliger ConcertJazz Band und versorgte danach vieleGruppen – als Sideman und Leader –fantasiereich mit dem nötigen Drive.

    Während Humair stets ein Gruppenspielerwar und ist, schlug Pierre Favre (*1937),gleichfalls ein Grenzgänger – wenn auch in Perkussion – eine andere Richtung ein:Von der Bigband zum Kleinstformat: Solo.Am Beispiel Favres liesse sich die ganzeEmanzipationsgeschichte von Schlag-zeug/Perkussion erörtern, denn immer hater sein beeindruckendes Instrumentariumzum «Singen» gebracht. Er ist ein wahrhaf-tiger Geschichtenerzähler und hat Genera-tionen von Schlagzeugern und Schlagzeu-gerinnen in diesem Land, mit denen er auch immer mal wieder in verschiedenenProjekten zusammenarbeitet, inspiriert.So etwa Fredy Studer (*1948) oder Lucas

    Niggli (*1968), Musiker, die im SinneFavres stets auf der Suche nach neuen Aus-drucksformen sind. Die Tiefen der Perkus-sion im weiteren Sinne loten auch PeterGiger, Fritz Hauser oder Conradin Zumthoraus. Sie zeigen die Fragwürdigkeit von mu-sikalischen Grenzziehungen, wenn man indie Weite und nicht in die Schublade blickt.

    Ob der ganzen Emphase für die hiesigePerkussionskultur haben wir beinahe dievielen «gewöhnlichen» Jazzschlagzeugerund Schlagzeugerinnen vergessen, derenvortreffliche bis aussergewöhnlichenBeiträge in diesem Text zu kurz kommen.Gleiches gilt für die Bassisten und Bassis-tinnen, deren einige hier stellvertretend zunennen sind: Erich Peter, Isla Eckinger,Peter Frei, Bänz Oester, Heiri Känzig, Daniel Schäppi, Christian Weber oder den E-Bassisten Herbie Kopf. Wird dieLonglist allzu lang, legt man unbeholfenund bedauernd eine Shortlist an.

    Fazit

    Die Zeit, die geprägt wurde durch Gruppen,die gewissermassen als Marken die Szenebeherrschten, etwa Modern Jazz Quartet,Dave Brubeck Quartet, Miles Davis Quintet,Horace Silver Quintet, Jazz Messengers,John Coltrane Quartet oder später inFusionzeiten Weather Report oder Maha-vishnu Orchestra, ist weitgehend abgelau-fen. Mit ihr verschwanden auch die überJahre hinweg zusammenspielenden undmithin eingespieltem Rhythm Sections,welche sich auch personell wenig verän-derten. Eine Ausnahme bildet das StandardTrio des Pianisten Keith Jarrett mit GaryPeacock (b) und Jack DeJohnette (dm),das zeitlich und personell ein gutes Stückmoderner Jazzgeschichte abbildet.

    Heute haben wir es gehäuft mit post-modernen Ad hoc-Gruppen zu tun, derenMitglieder meist in mehreren Projekten aktiv sind. Dies bedingt eine grosse Anpassungsfähigkeit, eine Fähigkeit, die«Stimme» zu verändern ohne die persön-liche «Sprache» aufzugeben.

    Der volatile Zeitgeist, oft in Gestalt desgeheiligten Marktes, bläst in die Welt,fegt auseinander und fügt neu zusammen.Und der Jazz, als letztlich improvisierte undaus dem Moment stets neu entstehende,manchmal auch anarchisch gestimmte Mu-sik, spielt mit dem Zeitgeist – oder gegenihn. Das ist gut so, muss so sein, wenn dieEinsicht bleibt: Die Welt ist Rhythmus.

    Von vielen der in diesem Text aufgeführtenMusikern, Musikerinnen und Bands findenSie im Archiv des swissjazzorama Vinyl-platten, CDs, Bücher und anderes mehr.

    Toni Williams

    Toni Williams

    Terri Lyne Carrington

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    Mario, Du stehst im achten Lebensjahr-zehnt und bist musikalisch präsent wie eh und je. Ein beachtliches StückSchweizer Jazzgeschichte hast Dumitgestaltet. Wie hat denn das allesbegonnen?Über meinen Start ins Leben findet sich ineinem Programmheft der Luzerner Nuit deJazz der folgende tiefschürfende Satz:«Am Tag meiner Geburt wurde ich vonmeiner Mutter zur Welt gebracht.» Aber umetwas Systematik und Klang in die Rück-schau zu bringen: Alles begann, wie bei vielen Kindern, mit einer Blockflöte.Die bearbeitete ich ganz für mich allein,spontan und ohne Lernziel brachte ich mirKinderlieder bei, entdeckte Tonarten undTonleitern. Von Noten keine Rede. Ichkam – und komme noch immer – vomGehör her zur Musik.

    Ein ganz und gar autodidaktischerEinstieg also …… eher velodidaktisch, denn ein Autobesass ich noch nicht! Musikalisch vor-belastet war ich durch meinen Papa, deretwas Klavier, vor allem jedoch Mandolinein einem kleinen Tessiner Orchester spielte.Diese Gruppe trug ihre Melodien regel-mässig bei uns zu Hause vor. Das gefiel mirungemein gut und hatte Folgen. Als ich inder ersten Primarklasse vorsingen durfte,trällerte ich «Lo spazzacamino» auf italie-nisch, ein Volkslied, dessen Bedeutung mirdamals verborgen blieb. Etwas anderesentging mir dagegen nicht, nämlich dasPiano im Salon der Grosseltern. NachGrosspapas Tod übernahmen meine Eltern

    das Instrument und ich nahm es musika-lisch in Besitz. Zwischen 1949 und 1951hatte ich Klavierstunden bei Peter Zeugin,einem damals in Basel bekannten Pianistenklassischer Richtung. Im ersten Jahr lobte ermich als herausragenden Schüler, im zwei-ten Jahr sagte er nichts mehr und im drittenmeinte er, eine Fortsetzung meiner Exer-zitien lohne sich nicht. Ich hatte in der Tatdie Lust verloren und liess die Bach-Inven-tionen ungeübt liegen.

    Von der Schnulze zum Dixie

    War Jazz für den Teenager Schnee-berger schon ein Thema?Wir sangen im Gymnasium englische Lie-der, begleitet mit Banjo. Zu diesen Songsnotierte ich mir die entsprechenden Ak-korde. Unsere Basler Schulklasse, zu derauch Bruno Spoerri gehörte, war bereitsvom Jazzvirus infiziert, in ihrer Mitte hattesich eine Dixieband formiert. Eines Tageswurde ich dann als Ersatzpianist auch Mit-glied der schuleigenen Band, bei der ichmehr schlecht als recht mitzuhalten ver-suchte, krampfhaft Bluestakte zählend undAkkordbezifferungen in Töne umsetzend.Ganz allmählich kam ich der Sache auf denGrund. Der Jazz vermittelte mir eine enor-me Gehörschulung. Wurde am Radio Jazzgespielt, begann ich hie und da etwasintensiver zuzuhören, viel mehr als einDurcheinander von verschiedenen Instru-menten und schrägen Tönen nahmen meineungeschulten Ohren allerdings nicht wahr.Normalerweise mutete ich diesen Ohrenwimmernde Schnulzen zu, die ich einem

    Grammofon mit Handaufzug entlockte.Ernsthafter wurde meine Auseinanderset-zung mit dem Jazz erst, als mich BrunoSpoerri in den Basler Hot Club mitnahm,wo man sich intensiv mit Jazz-Plattenauseinandersetzte und der Geschichtedieser Musik und ihren herausragendenSolisten nachspürte.

    Spricht man von Mario Schneeberger,meint man den Saxofonisten, nicht denPianisten. Irgendwann hast Du dasInstrument gewechselt ...Durch den Hot Club – präziser durch OttoFlückiger, meinen Mentor dort, kam ich mitmodernem Jazz in Berührung. Eine meinerersten Platten enthielt Charlie Parkers «Au Privave». Ich führte mir das Stück ehr-furchtsvoll zu Gemüte, realisierte allerdingserst zwei Jahre später, dass dieser Bebop-Nummer schlicht ein Blues zugrunde lag.Damals spielte ich noch Piano, verspürteaber zunehmend Lust, auf ein Blasinstru-ment zu wechseln. Versuche auf einer Klari-nette befriedigten wenig, ich empfand dasSystem als zu kompliziert. Mehr Erfolgversprach ich mir von einem Saxofon. EinBekannter meines Vaters hatte ein solchesInstrument zur Verfügung und verkaufte esdem Papa für 150 Franken. So kam ich inBesitz eines betagten Alto-Sax – mit deut-lichen Unterscheidungsmerkmalen im Ver-gleich zu heutigen Altos hinsichtlich Tonum-fang, Becherform und Klappenmechanik.Damit habe ich bei offenem Fenster dashalbe Wohnquartier beglückt, man atte-stierte mir in der Nachbarschaft überbor-denden Übungsfleiss.

    Und die Jazzszene nahm Notiz vonDeinem musikalischen Eifer?Ja, nach drei Jahren Saxofon-Praxis stellteich mich mit meiner neugegründeten BandThe Birdlanders – zu der auch Isla Eckingergehörte – dem Urteil der Jury am ZürcherJazzfestival. In der Zwischenzeit hatte ich

    Wer um die Mitte des letzten Jahrhunderts Jazzmusiker werden wollte, bildete sich in aller Regel «on the job» aus. Jazzschulen gab es damals in Europa keine.Autodidaktik war gefragt. Dass für manche dabei gleichwohl der Knopf aufging,dafür ist Mario Schneeberger ein bemerkenswertes Beispiel. René Bondt und Fernand Schlumpf befragten den Basler Saxofonisten, der nach sechs JahrzehntenPraxis noch kein bisschen müde wirkt.

    «Der Jazz schulte mein Gehör» Mario SchneebergersWeg zum Altosax, zum Bebop, aber auch zu Armstrong

    Mario Schneebergerund der US-Trompeter Benny Bailey Mein erster kommerzieller Auf-

    tritt fand 1955 beim MusikvereinSchönenbuch statt. Wir waren zuviert. Der Trompeter spielte auchKlavier, der Bassist für Tangosauch Violine, ich selbst Sax undKlavier, dazu ein Schlagzeuger.Fünf Stunden Tanzmusik warenvereinbart, für eine Gage vontotal 150 Franken. Wir spieltendieselben Nummern mehrmals,da unser Repertoire beschränktwar. Als ein Walzer verlangtwurde, spielten wir MuskratRamble im Dreivierteltakt, dennwir kannten keinen Walzer.

    Für das Zürcher Jazzfestival 1960stockte ich die sechsköpfigenBirdlanders zu einem Nonett auf.Damals arbeitete ich in Genf undspielte nebenbei mit Paul Thom-men. Da wir kein Lokal für eineletzte Bläserprobe fanden, trafenwir uns am See und bestiegenzwei Ruderboote. Im einen sassdie Reed Section, im anderen dieBrass Section, je drei Mann. Wirruderten etwas vom Ufer wegund probten in den Booten. Sokämpften die Sections gegenein-ander, gegen den Seegang undgegen das Kentern.

    Einige Male fuhr ich in jungenJahren übers Wochenende vonBasel nach Paris. Alle notwen-digen Utensilien waren im Saxofonkoffer verstaut. Nebstdem Saxofon das Zahnbürstliund das Pyjama. An einer JamSession im «Chat qui pêche»durfte ich beim VibrafonistenMichel Hausser einsteigen.Mein Saxofon klang seltsamdumpf. Leider war noch meinePyjamahose gerollt im Saxofon-becher. Unter dem Gelächter der Zuhörer nahm ich sie heraus.

    Kleine Episoden zum Schmunzeln – Mario erzählt…

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    mir viel zusätzliches Wissen über Jazz an-geeignet. Am Instrument war für michCharlie Parker eine unerschöpfliche Inspi-rationsquelle. Später orientierte ich michauch wieder stilistisch rückwärts, gut ge-spielt ist alter Stil ja keineswegs zu verach-ten. Kürzlich habe ich Armstrong-Aufnah-men aus den Jahren 1934 bis 1937 gekauft,und ich muss schon sagen: Was Satchmoleistete, war gewaltig. Unter den älterenAlto-Saxofonisten bedeutet mir BennyCarter viel, bei den Tenoristen fängt meineBewunderung bei Coleman Hawkins anund geht bis zum frühen John Coltrane.

    Der klassische Jazz bedient sich häufigkommerzieller Vorlagen, improvisiertaber über diese Themen und vermagsolistisch unendlich viele Emotionenfreizulegen. Wie gehst Du – als ETH-Absolvent mathematischer Richtung,guter Schachspieler und Logiker – mitder Gefühlskomponente im Jazz um?Gar nicht einfach zu sagen. Für viele Zu-hörer wirke ich beim Spielen wohl eherverkopft und unterkühlt. Wenn man mirbeim Spielen zuschaut, wird das offenbar:Ich bewege mich in der Regel keinen Milli-meter. Ich höre es aber eigentlich nichtgern, wenn man mir attestiert, ich spielenicht emotional.

    Regional spielt übrigens für mich Luzern –neben Basel – eine prägende Rolle, ichwirkte früher dort in zwei Bands mit, undheute verbinden mich die Jamsessions im Hotel Montana jeweils am Donnerstagmit der Stadt.

    Die Episode Freejazz

    In den späten sechziger und in densiebziger Jahren kam der Freejazz auf.Viele begannen die Grenzen des Kon-ventionellen zu sprengen – du auch.Ausschlaggebend war für mich ein Ornette-Coleman-Konzert. Am Anfang ertrug ich dasGehörte kaum, war drauf und dran, denSaal zu verlassen, aber je länger sich dieSache entwickelte, desto intensiver folgteich dem Gehörten wie in Trance. Das warmein Einstieg in die Freejazz-Ära. Ich for-mierte damals ein Trio – natürlich ohneKlavier. Und wir hatten Erfolg damit, auchim Ausland. Später wandte ich mich wiederdem vertrauten Bebop zu.

    Apropos Ausland: Heute bist Du regel-mässig in Erfurt anzutreffen, woherDeine Frau stammt. Du hast dort musi-kalisch Wurzeln geschlagen.Seit 2009 spiele ich im Halbjahresrhythmusmit der Erfurter Nerly Bigband, die mitArrangements aus der Bebop-Ära vor Ortein tolles Publikum unterhält. Zur beson-deren Stimmung kann ich jeweils einigesbeitragen – mit Solo-Chorussen und mit

    Arrangements, nicht zuletzt aber auch mitbetont lockeren Ansagen. Mittlerweilebewege ich mich im Jazz ausgesprochen alsFreelancer. Praktisch im Wochenrhythmusnehme ich an Jamsessions teil, vor allem in Luzern, aber auch in Basel oder Locarno.Eine feste Band habe ich nicht mehr.

    Wie erlebst Du die zumeist gründlichausgebildeten jungen Musiker andiesen Sessions?Sehr unterschiedlich. Es gibt solche, mitdenen ich mich musikalisch wunderbarverstehe, und daneben jene, die andersticken und so begleiten, dass ich eher ausdem Takt fliege als getragen werde.

    Mario der Jazzhistoriker

    Wechseln wir nochmals die Perspektivevon der Gegenwart zur Vergangenheit:Du hast Dich von jeher nicht nur instru-mental mit dem Jazz befasst, sondernrecht intensiv auch dokumentarisch,so mit diversen Studien zu musikali-schen Wegbereitern des Bebop in denvierziger Jahren.Inspiriert zu diesem theoretisch-histori-schen Ansatz und zum Sammeln von Bele-

    Mario SchneebergerBiografisches ...Mario Schneeberger, Jahrgang 1935, wuchs inBasel auf, studierte nach Volksschule und Gym-nasium an der ETH Zürich und war als Betriebs-ingenieur bis 1999 in der EDV-Software-Entwick-lung tätig. Als junger Erwachsener nahm Mariodrei Jahre lang Klavierstunden, wechselte dannaber ins Bläserfach. Autodidaktisch brachte er sichdas Spielen auf einem betagten Altosax bei. DenJazz entdeckte er im Gymi, vertiefend wirkte seinMittun im Basler Hot Club. 1956 bis 1961 spielteMario Bebop mit seinen Birdlanders, 1961 bis1969 leitete er ein eigenes Quartett, das zeitweiseals Hausband im Zürcher Jazzclub Africana fun-gierte. Zu Beginn der siebziger Jahre entdeckte erin Trioformation den Freejazz, orientierte sich inder Folge aber wieder am Bebop. Ein neues MarioSchneeberger Quintett hatte bis 1994 Bestand.Daneben wirkte Mario in diversen Bigbands und Combos als Sideman. Seit 2009 ist er regel-mässiger Gastsolist der Nerly Bigband in Erfurt.Mario Schneeberger wurde als Musiker mehrfach

    gen zum Thema Jazz wurde ich schon früh via Otto Flückiger im Basler Hot Club.Dort begann ich bald, Referate zu halten –vorzugsweise über Leute, die ich selberwenig kannte, aber kennen lernen wollte.Diese Entdeckerlust begleitet mich auchheute noch …

    … bezogen auf die gesamte Stilpalette des Jazz?Für die Zeit nach 1970 gilt das nur nochsehr bedingt. Charles Mingus, TheloniousMonk und Gerald Wilson waren Leute, de-ren musikalisches Wirken ich noch weiter-verfolgt habe. Öfter als früher entwickelteich indes wieder Lust auf alten Jazz ab Jelly Roll Morton. Bei mir hat alles Platz vonder Frühzeit bis zum Bebop – und diesenganzen zeitlichen Bereich vermag ich mitTonträgern zwar nicht integral, aber mei-nem individuellen Interesse folgend gutabzudecken. Via Otto Flückiger und anderenExperten kam ich in die glückliche Lage,jazzhistorische Raritäten zu beschaffen,die andere nicht verfügbar haben. Dazugehören die ersten Bebop-Aufnahmen –«Epistrophy» von 1941 mit Joe Guy, Kenny

    ausgezeichnet – so am Zürcher Jazzfestival als«bester Altsaxophonist» (1960, 1965, 1967 und1968) respektive als «absolut bester Solist»(1965). Auch das internationale Jazzfestival imtschechischen Prerov würdigte ihn 1972 als«besten Solisten». 1990 wurde das Schneeber-ger Quintett als offizielle Schweizer Vertretungan das Jazzfestival von Houston (USA) eingela-den. Auftritte mit Jazzgrössen wie Benny Bailey,Tony Scott, Jimmy Woode, Milt Buckner, GeorgeGruntz, Mel Lewis, Eddie Lockjaw Davis, DexterGordon und anderen zeugen von internationalerAnerkennung des in Basel und Luzern wohnhaf-ten Schweizers.Lob und besondere Erwähnung auf dem Gebietdes Jazz verdient Mario Schneeberger nicht nurals Musiker, sondern auch als Beiträger zurschweizerischen Jazzgeschichte und Referent.Er hat Teile des detailreichen dokumentarischenNachlasses von Jazzpionier und -förderer HansPhilippi aufgearbeitet. Expertise und Forschungs-drang bewies Mario Schneeberger zudem mitStudien über die Jazzmusiker und Bebop-Pio-niere Joe Guy, Frank Humphries, Freddy Webster,Marl Young, Willis Nelson, Dupree Bolton undLionel Hampton.

    http://www.jazzdocumentation.ch/marioindex.html

    … und DiscografischesUnter eigenem Namen hat Mario Schneebergerdie LP Chasin' the Bird sowie die CDs Cheers Ear,Tales of Day and Night und, gemeinsam mit derErfurter Nerly Bigband, That's Earl Brother ver-öffentlicht. Als Sideman ist er auf diversen Ton-trägern zu hören – etwa mit den Bigbands von Renato Anselmi, Mani Planzer und BrunoSpoerri, aber auch mit der Sängerin Lea Bischof,den Basel Jazz All Stars, der Rex Rhythm Sectionund dem Darktown Strutters Swingtett.

    www.jazzdocumentation.ch/discography–of–mario–schneeberger.pdf

    Schluss auf Seite 8

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    Clarke und Monk, «Round Midnight» von1942 mit Cootie Williams. Charlie Parker istin meiner Sammlung nicht vollständig, aberrepräsentativ vertreten.

    Um bei Deinem Instrument, dem Alto-sax, zu bleiben: Geniesst in Deinerpersönlichen Hitliste die nicht so spon-tane Art eines Modern Jazz Quartetähnliche Aufmerksamkeit wie Parker?

    Das sind für mich schon unterschiedlicheWelten, für mich bedeutet Jazz bequemeKleidung, Humor und Wohlgefühl. Die ernste, akademische Art behagt mir weniger.

    Die Lust am Jazz hat Dich bis zum heutigen Tag begleitet. Und wie steht'smit der Technik, mit der Motorik?Die Motorik hat nicht nachgelassen, wohlaber die Konzentration. Ich bin ein relativ

    unruhiger Typ und behelfe mir vor wichtigenAuftritten mit einer halben Schlaftablette,um mich zu sammeln. Das musikalische Er-gebnis kann ich aber nie exakt vorhersagen,die Tagesform spielt eine enorme Rolle.

    Mario, wir wünschen Dir noch vielemitreissende Auftritte – und uns, dass Du Dein wertvolles Wissen unserer Institution nutzbar machen kannst.

    Schl

    uss

    von

    Seite

    7

    Im Laufe der Jazzgeschichte haben immer-wieder auch Elemente der Klassik undRomantik oder späterer Stilrichtungen dereuropäischen Kunstmusik auf den Jazz ein-gewirkt. Doch John Lewis, der Maestro desMJQ, schlägt oft einen Bogen über einenlangen Zeitraum hinweg, von der barockenMusik des Achtzehnten Jahrhunderts biszum Jazz der Fünfzigerjahre des Zwanzig-sten Jahrhunderts. John Lewis hat laufendAnregungen in der kontrapunktischenMusik Johann Sebastian Bachs gefunden.

    Blues und Bebop als Grundsubstanz

    Allerdings ist nicht zu übersehen (und zuüberhören), dass die musikalische Grund-substanz des MJQ vom Blues und davonabgeleitet vom Bebop kommt. Wie könntedas anders sein? Drei der Musiker, dieanfangs der Fünfzigerjahre die ersten Auf-nahmen mit dem neuen Quartett machten,stammten aus der Bigband von Dizzy Gillespie: John Lewis am Piano, Ray Brownam Bass und Kenny Clarke am Schlagzeug.Dazu kam Milt Jackson am Vibrafon.

    Die ersten Aufnahmen des Quartetts, diedamals noch unter dem Namen Milt Jack-son aufgenommen wurden, sind richtungs-weisend für das, was das MJQ in all denJahren seines Wirkens geschaffen hat.Diese Musik ist weitgehend Bebop, auchwenn die Besetzung nicht dem entsprach,was man unter einer Bebop-Gruppe erwar-tete. Keine Blasinstrumente, keine lautenTöne, aber das Grundprinzip, das wir imJazz als Swing bezeichnen, war in hohemMasse vorhanden. Ein beträchtlicher Swinganteil muss allein schon dem Kontovon Kenny Clarke gutgeschrieben werden.Subtil, wie er mit stimulierenden Akzentendas Ganze am Laufen hält. Auch JohnLewis am Piano und Milt Jackson am Vib-rafon zeigen, was entsteht, wenn sich zwei

    musikalisch gleich gerichtete Instrumenta-listen gegenseitig inspirieren. Dass RayBrown später, beim eigentlichen MJQ, nichtmehr dabei war, ist sehr zu bedauern. Seinkraftvolles Spiel am Bass ergänzte diesesQuartett in idealer Weise.

    Erweiterte Formen

    Nach der Gründung des MJQ 1952 wurdedie Zusammenarbeit zwischen Milt Jacksonund John Lewis etwas verändert. Leiter und wichtigster Komponist wurde nun JohnLewis, ein Musiker mit viel Jazzerfahrung,aber auch einem sehr weiten musikalischenHorizont, der wesentlich über den Jazzhinausreichte. Es lag auf der Hand, dassseine Formauffassung des modernen Jazzsich nicht nur mit dem 12-taktigen Blues und der 32-taktigen Liedform zufrieden gab.

    1952, noch mit Kenny Clarke am Schlagzeug,erschien eine Prestige-LP mit der Kompo-sition Django, eine Hommage an den ge-nialen, früh verstorbenen französischenGitarristen Django Reinhardt. Fest geschrie-bene Teile, von sehr getragener Stimmung,werden durch leicht swingende improvisiertePassagen unterbrochen. Ein einzigartigesWerk, das auch über Jazzkreise hinausbeachtet wurde. In die gleiche Reihe der

    anspruchsvollen Kompositionen gehörtauch Fontessa, 1956 auf «Atlantic»herausgekommen. Fontessa geht über 11Minuten, es enthält sowohl swingende alsauch lautmalerische, konzertant zu spielen-de Teile. Von Zeit zu Zeit hat John Lewis mitdem MJQ über die normalen Jazzformenhinausreichende Stück aufgenommen,doch das leicht dahinfliessende Blues-playing hat er nie vernachlässigt. Etwasvereinfachend lässt sich das MJQ-Reper-toire wie folgt unterteilen:

    1. Intensiv swingende im Blues verankerteStücke, oft von Milt Jackson. Am bekann-testen wurde sein Bag's Groove. In dieseGruppe gehören auch Jazz-Standards.

    2. Balladen aus dem «Great AmericanSongbook».

    3. Den rein jazzmässigen Rahmen spren-gende Kompositionen von John Lewis.

    Jahre und Namen

    1952 entstand aus dem Milt Jackson Quartet das Modern Jazz Quartet mit JohnLewis (1920–2001) als Pianist, Komponistund Leiter; Milt Jackson (1923–1999) alsVibrafonist und Komponist; Percy Heath(1923–2003) als Bassist, und als Schlag-zeuger Kenny Clarke (1914–1985) bis 1955,ab 1955 Connie Kay (1927–1994).1974 trennte sich die Gruppe bis 1981.

    Die letzten Aufnahmen des MJQ erschienen 1993 auf «Atlantic».

    Die einzigartige Musik des MJQ wird in der Tonträger-Sammlung desswissjazzorama mit 165 LPs und 41 CDs dokumentiert.

    Bebop, Blues und Bach – das MJQDer Titel dieses kleinen Artikels über ein grosses Kapitel Musik soll es zum Ausdruck bringen: das Modern Jazz Quartet, abgekürzt das MJQ, spielt zu viert eine sehr kultivierte Art Jazz mit starken Bebop- und Blueseinflüssen, auch inspiriert von europäischer, vor allem barocker Kunstmusik. In unserer Tonträger-Sammlung gibt es Dutzende von Beispielen, die das MJQ-Werk hervorragend dokumentieren. Jimmy T. Schmid

    Von links: Milt Jackson, Connie Kay, John Lewis und Pearcy Heath.

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    Hank Jones, Pianist31. Juli 1918, Vicksburg, Mississippi –16. Mai 2010, New York City

    Erstklassig, als Solist und Begleiter

    Hank war der älteste der Jones-Brüder.Auch Thad (Trompeter und Bandleader)und Elvin (Schlagzeuger) wurden berühmteJazzmusiker. Hank Jones wuchs in Pontiac,Michigan, auf, wo er schon in seinen erstenSchuljahren am Klavier unterrichtet wurde.Dort trat er bereits als Dreizehnjähriger mitLokalbands auf. Dabei fiel er dem Tenor-saxofonisten Lucky Thompson auf, der ihmzum Sprung nach New York verhalf, wo ermit der Band des Trompeters Hot Lips Pageund einigen aus der ersten Reihe derSwingmusiker, wie z.B. John Kirby oderColeman Hawkins, spielte. Mitte der Vier-zigerjahre verpflichtete ihn Norman Granzzur Mitwirkung bei seiner Jazz at the Phil-harmonic-Truppe. Der Platz im Rahmendieser Würdigungen reicht nicht aus, all dievielen Musiker, Sänger- und Sängerinnen zuerwähnen, mit denen Hank Jones im Laufeseiner Karriere mit viel Erfolg aufgetretenist. Er spielte sozusagen für alle amerikani-schen Jazzlabels. Das ergibt insgesamtmehr als tausend Aufnahmen mit ihm alsBandleader oder Sideman. 2009 erhielt ereinen Grammy für sein Lebenswerk.

    Jimmy Rowles, Pianist, Komponist19. August 1918, Spokane, Washington –28. Mai 1996, Los Angeles, California

    Im Swing verankert, mit Bebop-Einflüssen

    Jimmy Rowles studierte an der University ofWashington, Seattle. Als junger Pianist spiel-te er in namhaften Orchestern wie BennyGoodman oder Woody Herman. Nachdem er seinen Militärdienst absolviert hatte,kehrte er zu Goodman und Herman zurück,trat aber später auch mit den besonders als Tanzorchester beliebten Bands von Les Brown und Tommy Dorsey auf. JimmyRowles war wie auch Hank Jones ein ein-fühlsamer Begleiter, dessen subtile Spiel-weise von vielen Sängerinnen und Sängerngeschätzt wurde: Billie Holiday, CarmenMcRay, Billy Eckstine, Sarah Vaughan, AnitaO'Day und last but not least Ella Fitzgerald.Sein Stil war deutlich im Swing verankert,zeigte aber auch da und dort Bebop-Ein-flüsse. Er war ein Instrumentalist, der sichnicht nur mit Melodien und Harmonien der Stücke, die er spielte, auskannte. AufGrund der Zusammenarbeit mit den Sän-gerinnen und Sängern kannte er auch dieTexte. Kaum ein Musiker verfügte über eingrösseres Themenrepertoire. Rowles, des-sen Tochter als Flügelhornistin bekanntwurde, starb in seinem achtundsiebzigstenLebensjahr in Los Angeles.

    Marian McPartlandPianistin und Journalistin20. März 1918, Slough, Buckinghamshire,England – 20. August 2013, Port Washing-ton, New York

    Vielseitig aktive Pianistin, bluesgeprägt mit viel Swing

    Marian McPartland kam als Margaret Ma-rion Turner in England zur Welt, zog aber1946 nach dem Zweiten Weltkrieg zusam-men mit ihrem Mann, dem elf Jahre älteren

    ... vor 100 Jahren geboren

    In diesem Text stellen wir Ihnen vor: Einen Bassisten, der für das Spiel seines Instrumentes im Jazz Entscheidendes beigetragen hat. Zwei Pianisten, eine Pianistin,alles Solisten mit beachtlichen Fähigkeiten. Einen Trompeter aus der ersten Reihedes Bebop sowie einen Trompeter, der auch als Arrangeur für Bigbands eine wichtigeRolle gespielt hat. Eine Sängerin und einen Sänger, die es immer wieder verstandenhaben, ihr Publikum zu begeistern. Schliesslich einen Saxofonisten/Klarinettisten,der trotz besonderer Qualitäten kaum über die Fachwelt hinaus bekannt wurde.Diese neun Ausgewählten, die im Jahre 1928 zur Welt gekommen sind, sollen stell-vertretend für alle geehrt werden, die je Jazz gespielt und gesungen haben oder es heute noch tun. Alles, was namhafte Jazz-Musiker und Musikerinnen, Jazz-Sängerund Sängerinnen geschaffen haben, ist für uns von Bedeutung und soll nicht ver-gessen werden. Das ist uns ein Anliegen. Jimmy T. Schmid

    BORN 1918

    Jimmy Blanton Hank Jones Jimmy Rowles

    Jimmy Blanton, Bassist5. Oktober 1918, Chattanooga, Tennessee –30. Juli 1942, Los Angeles

    Er machte den Bass zum Soloinstrument

    Zuerst lernte der kleine Jimmy das Geigen-spiel. Schon als Achtjähriger hatte er seineersten Auftritte. Als er 1936/37 an der Ten-nessee State University studierte, wech-selte er zum Bass und spielte im Uni-Orchester. 1939 wurde er Bassist des DukeEllington-Orchesters. Durch das Einführenvon Kontramelodien begann er bald einmaldas Bassspiel im Jazz grundlegend zu ver-ändern. Die Geschichte des Basses verliefdamals ziemlich parallel zur Geschichte derGitarre. Ähnlich wie das moderne Spiel derGitarre im Single Note Style mit dem Ein-tritt Charlie Christians ins Orchesters vonBenny Goodman begann, nahm das neuar-tige Spielen des Basses mit der Aufnahmevon Jimmy Blanton ins Duke Ellington-Orchester seinen Anfang. Um noch kurzbeim Vergleich Blanton-Christian zu blei-ben: Beide betraten 1939 die grosseJazzszene und revolutionierten die Spiel-weise ihrer Instrumente. Beide starben1942 an einem Tuberkulose-Leiden. MitJimmy Blanton wurde die Rolle des Kontra-basses im Jazz entscheidend aufgewertet.Durch ihn wurde er zum Soloinstrument.

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    Kornettisten Jimmy McPartland, nach Chi-cago. Sie hatte McPartland als Betreuerinamerikanischer Truppen kennengelernt undihn geheiratet. Nun spielte sie als klassischausgebildete Pianistin in seiner Band. DochDixieland war nicht ganz ihr Ding. So ging sie neue Wege. Mit einem Trio in einem mo-dernen Swingstyle zu spielen, das war ganznach ihrem Geschmack. (Besonders mit sohervorragenden Sidemen, wie der DrummerJoe Morello einer war). Marian McPartlandwar mehr als eine ausgezeichnete Pianistin.In New York hatte sie in den Sechzigerjahreneine Radioshow und entwickelte ein Jazz-Erziehungsprogramm für Schulkinder. Spätererhielt sie ein Angebot für eine wöchent-liche Sendung Piano Jazz. Sie unterhielt sichund musizierte jeweils mit einem illustrenGast. Meistens mit einem Pianisten, darunterabsolute Spitzenkönner wie Teddy Wilson,Oscar Peterson oder Keith Jarrett. MarianMcPartland war bis ins hohe Alter aktiv.2004 erhielt sie einen Grammy. Sie starb am 20. August 2013 in Port Washington,New York, im hohen Alter von 95 Jahren.

    Howard McGhee, Trompeter6. März 1918, Tulsa, Oklahoma – 17. Juli 1987, New York City

    Immer inspiriert und kraftvoll –auch mit hohen Tönen

    Im Schulorchester spielte der Bebop-Trom-peter noch Klarinette. 1935 – tief beein-druckt von Louis Armstrong – wechselte erzur Trompete. Bevor er stilistisch etwa Mitteder Vierzigerjahre durch den Einfluss vonDizzy Gillespie zum Bebop gefunden hatte,spielte er in verschiedenen Swingbands.(Kein Wunder, dass damals der entschei-dende Kick von Dizzy kam. Alle Spitzen-trompeter des frühen Bebop kamen von ihmher, neben Howard McGhee auch KennyDorham, Fats Navarro und Miles Davis.)Nachdem Howard McGhee kurz bei CountBasie spielte, ging er 1947 mit Norman Granz auf Tournee mit dessen Truppe Jazz atthe Philharmonic. 1952 tourte er mit OscarPettiford in Japan und Korea. Leider warseine Spielkompetenz in den Fünfzigerjah-

    ren wegen Drogenabhängigkeit weitge-hend eingeschränkt. Anfangs der Sechziger-jahre gelang es ihm, sich aus eigener Kraftwieder aufs Geleise zu bringen. Die Sech-ziger- und Siebzigerjahre waren dann ge-prägt von reger Aktivität mit Konzerten und Plattenaufnahmen. 1978 war er Gastder Berliner Jazztage. In New York City,wo McGhee einen Grossteil seines aktivenLebens verbrachte, starb er im Sommer1987 mit 69 Jahren.

    Gerald Wilson, Trompeter Arrangeur und Komponist4. September 1918, Shelby, Mississippi – 8. September 2014, Los Angeles, California

    Ein mit Jazz erfülltes Leben

    Als Schuljunge spielte Gerald Wilson eifrigKlavier. In seinen Collegejahren sattelte erjedoch auf die Trompete um. Nach Auftrit-ten mit lokalen Bands trat er 1939 insOrchester von Jimmie Lunceford ein, derschon bald des Trompeters grosses Talentals Arrangeur entdeckte. Seine Arbeit –quasi als graue Eminenz des Orchesters –trug viel zum Erfolg der Lunceford-Band inden frühen Jahren des zweiten Weltkriegsbei. Nach der Absolvierung eines Militär-dienstes liess sich Gerald Wilson in LosAngeles nieder, wo er eine eigene Bigbandgründete, in der so Spitzenkönner wie BudShank, Eric Dolphy, Frank Morgen u.a.sassen. Mit Unterbrechungen war diese

    Band mit wechselnden Besetzungen bis in die Neunzigerjahre aktiv. Auch schriebGerald Wilson immer wieder Arrangementsund spielte Trompete für Duke Ellington,Dizzy Gillespie und Count Basie. Auch alsKomponist hatte er eine ganze Reihe schö-ner Erfolge. Im Februar 2006 führte er mitWynton Marsalis und dem Jazz-at-Lincoln-Center-Orchestra einige seiner Komposi-tionen auf. Gemeinsam mit Kenny Burrelllehrte er die Geschichte des Jazz an derUniversity of California. Gerald Wilson starbim Spätsommer 2014 in Los Angeles imhohen Alter von 96 Jahren.

    Joe Williams, Sänger12. Dezember 1918, Cordele, Georgia – 29. März 1999, Las Vegas

    Count Basie swings and Joe Williams sings

    Das von seinem Vorgänger Jimmy Rushingstark beeinflusste Bluessinging von JoeWilliams prägte den Auftritt des OrchestersCount Basie ab 1954 für einige Jahre inhohem Masse. Eine Spitzennummer dieserZeit war Everyday I Have the Blues. Durchdas optimale Verständnis des Textes unddes rhythmischen Konzeptes macht JoeWilliams diese Nummer zu einem Glanz-beispiel seiner Zusammenarbeit mit Basie.Jeder Akzent sitzt an der richtigen Stelle.Ein packenderes Bluesshouting begleitetvon einer Bigband gibt es kaum. Joe Wil-liams, nicht zu verwechseln mit dem Blues-sänger und Gitarristen Big Joe Williams,kam als Junge nach Chicago, wo er mit derGesangsgruppe Jubilee Boys in den Kirchenvon South Side Chicago auftrat. Vor seinemDurchbruch zur Spitze sang er mit diver-sen Rhythm and Blues-Gruppen und mitLionel Hampton. Eine lange Zusammenar-beit mit Verve und RCA-Victor in den spä-ten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahrenumfasste einige Titel mit Streicher-Beglei-tung. Nach den Basie-Jahren hielt seinErfolg an, auch mit einer eigenen Band.1966 machte er Aufnahmen mit dem ThadJones-Mel Lewis-Orchester. Joe Williams,sein Taufname war Joseph Goreed, starb imFrühjahr 1999 in seinem einundachtzigstenLebensjahr in Las Vegas.

    Marian McPartland Howard McGhee

    Gerald Wilson Joe Williams

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    Pearl Bailey, Sängerin und Schauspielerin29. März 1918, Newport News, Virginia –17. Aug. 1990, Philadelphia, Pennsylvania

    Auf vielen Bühnen erfolgreich

    Schon als Kind sang Pearl Bailey in derPfingstgemeinde ihres Vaters. Als sie einenAmateur-Wettbewerb in Philadelphia ge-wann, reifte ihre Entscheidung, Sängerin zuwerden. Doch nur das Singen genügte ihrnicht. Als Schauspielerin Erfolg zu haben,daran war sie ebenso interessiert. Ihre Büh-nenkarriere begann, als sie für ihre Rolle in der Komödie St. Louis Women einenPreis als bester Broadway Newcomergewann. In den Vierzigerjahren war sieSängerin in verschiedenen Bigbands undarbeitete mit führenden Jazzmusikernzusammen wie Benny Carter, George Duvi-vier u.a. 1954 spielte sie neben Harry Bela-

    Pearl Bailey Peanuts Hucko

    fonte im Film Carmen Jones, 1959 in Porgyand Bess mit Sidney Poitier. Grossen Erfolghatte sie mit ihrer Bühnenrolle in HelloDolly für die sie den Tony Award erhielt.1971/72 hatte sie bei der ABC eine eigeneFernseh-Show. Pearl Bailey war bewun-dernswert vielseitig. An der GeorgetownUniversity absolvierte sie ein Theologie-studium, das sie 1978 mit dem Bachelorabschloss. Für ihr soziales Engagementerhielt sie eine Reihe von Auszeichnungen.Sie war keine Jazzsängerin im engeren Sinn des Wortes. Ihre Auftritte in Filmenund auf Bühnen boten ihr Gelegenheit,den Jazzgesang überall, wo sie mitwirkte,zu etablieren. Von 1952 bis 1990 war sie mit dem Drummer Louie Bellson ver-heiratet. Sie starb im Sommer 1990 inPhiladelphia mit 72 Jahren.

    Peanuts Hucko, Klarinette und Tenorsaxofon 7. April 1918, Syracuse, New York –19. Juni 2003, Fort Worth, Texas

    Ein Swingstyle Player par excellence

    Eigentlich hiess er Michael Andrew, dochschon als Schuljunge wurde er Peanutsgerufen, wegen seiner Vorliebe für Erd-nüsse. Peanuts Hucko begann seine Musi-kerlaufbahn als Tenorsaxofonist bei WillBradley, Charlie Spivak und anderenBigband-Leadern. 1942 ging er zur Armee,wo man ihn als Musiker bei der Army AirForce Band von Glenn Miller einteilte. Dagab es schon kleinere Highlights, als eineGruppe mit den besten Solisten der MillerArmyband, neben Peanuts Hucko auch derPianist Mel Powell, in Paris im Frühjahr1945 eine Reihe hervorragender Aufnah-men produzierte. Mit dabei der berühmtefranzösische Gitarrist Django Reinhardt.Nach dem Krieg spielte Peanuts Hucko mitden Bands von Benny Goodman, RayMcKinley, Eddie Condon und Jack Teagar-den und arbeitete bis Mitte der Fünfziger-jahre als Studiomusiker bei ABC und CBS.Jazzmusikalisch von besonderer Bedeutung war sein Engagement bei Louis Armstrong.Ende der Fünfzigerjahre ging er mit ihm auf eine Welttournee. Die Siebzigerjahrewaren von reger Aktivität geprägt. Bei vielen seiner Auftritte arbeitete er mit seiner Ehefrau, der Sängerin Louise Tobin,zusammen. Peanuts Hucko, der Zeit seinesLebens von Benny Goodmans Spielweiseder Klarinette inspiriert war, starb mit 85 Jahren in Fort Worth, Texas.

    Beim Erfassen von Simmen-LPs haben wir neu entdeckt:• Swing from Harlem, S-LP-03365, hand-schriftliche Notiz von Simmen: «Johnny Williamssays – June 22, 1983 – that on «Rhythm Jam»the solo is by Charlie Shavers as are the «highnotes» at the end, while the «long note held»between these two trumpet features are playedby Carl Warwick (Shavers chops were not toogood on that day)».• Benny Carter, S-LP-03407, enthält sensa-tionelle Korrespondenz von Simmen mit StanleyDance und Glyn Paque sowie Artikel über BennyCarter, Eubie Blake, Wayman Carver und ErnestBass Hill.• George Zack, S-LP-03440, Artikel von Sim-men über George Zack und George Wettling.• Teddy Wilson, S-LP-03455, handschriftlicheNotiz von Teddy Wilson: «To Johnny, wishing the best of everything for you, Michele and Lisette. Thanks for a wonderful evening.Sincerely Teddy Wilson».• Ole «Fessor» Lindgren, S-LP-03504,fantastische Dokumentation über Fessor undpersönliche Briefe/Karten an Simmen.

    • Americans in Europe, S-LP-03509, span-nende Artikel über Leon Abbey in franz. undengl. von J. Simmen, sowie Dokumentationenüber Arthur Briggs (im Jazzfreund), Sam Woo-ding, Herb Flemming und Spencer Williams, demKomponisten u.a. von Basin Street Blues, I ain'tgot nobody ua. Ein Brief (1972), mit unleserlicherUnterschrift, des Dankes an J. Simmen.• Cassino Simpson, S-LP-03517, enthält zweiArtikel von Simmen über Simpson (französischund englisch), spannende Korrespondenz (JohnSteiner) und Artikel von 1939/1940 sowie einenArtikel von J. S. Shipman.• Red Callender, S-LP-03566, hervorragendesInterview von Stanley Dance mit Red Callenderaus CODA, 1979.• Milt Hinton, S-LP-03613, diverse Artikel und Fotos Milt Hinton.• Tiny Grimes - S-LP-03802, Artikel von Sim-men über Tiny Grimes, 1989.• Al Casey & George Kelly with FessorsSession Boys, S-LP-03889, spannender Artikelvon Simmen im Zusammenhang mit diesen Auf-nahmen mit Notiz «To Johnny Simmen, The bestof everthing – George Kelly, June 26, 1987».• Roy Milton and his Solid Senders, S-LP-03970, enthält einen Artikel über Roy Miltonvon Jacques Demetre und Bernard Niquet mitDiskografie von Kurt Mohr und Bernard Niquet.• Lucky Millinder, S-LP-03997, enthält zweihervorragende Simmen-Artikel, 12 Seiten, über

    Frank Galbreath, «Mr. Trumpet Man»,in französisch und englisch.• The New McKinney's Cotton-Pickers,S-LP-03998, enthält ein Programm «Jazz àNantes» mit Artikeln über Milt Buckner, EarleWarren, Arnett Cobb, André Persiany, RolandLobligeois, Wallace Davenport, Panama Francis,Buster Cooper, Eddie Chamblee und eine hand-schriftliche Notiz von Dave Wilborn für Liza und Johnny Simmen.• The New McKinney's Cotton-Pickers,S-LP-04008, mit verschiedenen Artikeln überDave Wilborn voc, sowie Fotos der New McKin-ney's Cotton Pickers und die Mitteilung, dassDave Wilborn und Dave Hutson cl, as im Jazzund Blues Club in Zürich auftreten werden.• Willie Lewis and his Entertainers,S-LP-04033/4034, enthält diverse mehrseitigeBriefe von Frank Driggs an Simmen – für denKenner sind dies highlights – auch Ernst Bernerwird erwähnt. Ebenfalls enthalten ist der Sim-men Artikel (1976) über Willie Lewis mit allenInformationen über die Solisten!

    AUS DEM ARCHIV

    News from the Simmen Collection

    In unserem Shop können Sie von vielen dieser Musiker LPs und CDs kaufen. Diese sind in der Datenbank www.jazzdaten.ch miteinem X gekennzeichnet (Gesamtliste unterwww.jazzorama.ch/shop.) Oder kommen Sievorbei und lassen Sie sich überraschen.Gesammelt und präsentiert von Klaus Naegeli und Konrad Korsunsky

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    Der Jazzletter erscheint 2–3 x jährlichRedaktion: Jimmy T. Schmid (J.T.S.) Layout: Walter Abry (WA)Copyright: swissjazzoramaAckerstrasse 45, 8610 Uster Tel. +41(0)44 940 19 [email protected] www.jazzorama.chContact pour la Suisse romande:VakantContato per la Svizzera italiana: Nicolas GillietTel. 079 428 97 65, [email protected] dieser Nummer:Heinz Abler (ha), Walter Abry (WA), René Bondt,Andrea Engi, Konrad Korsunsky, Klaus Naegeli,Fernand Schlumpf (fs), Jimmy T. Schmid (J.T.S.),Irène Spieler

    IMPRESSUM

    IN MEMORIAM

    Roswell RuddUS-amerikanischer Posaunist und Musik-ethnologe, 17.11.1935–21.12.2017Rudd wagte den Sprung vom traditionellen Jazzdirekt in die Avantgarde. Er pflegte aus diesenErfahrungen heraus den aus New Orleans stam-menden so genannten Tailgate-Stil, eine mar-kige, mit viel Glissando versetzte Spielweise.Er war Mitglied grossformatiger Bands wie etwadem Jazz Composer's Orchestra oder dem Libe-ration Music Orchestra. Später widmete er sichmusikethnologischen Studien auf den Spuren des Blues, z.T. auch in Afrika.

    Hugh MasekelaSüdafrikanischer Trompeter des World Jazz04.04.1939–23.01.2018Masekela war neben Miriam Makeba, mit der erkurzzeitig verheiratet war, die wohl bekanntestesüdafrikanische Grösse in der westlichenMusikszene. In Südafrika begann er mit HardBop, bevor er 1960 zunächst nach London undspäter New York exilierte. Nach weiteren Aufent-halten in mehreren afrikanischen Ländern kehrteer 1990 nach dem Ende der Apartheid nachSüdafrika zurück, wo er wechselweise mit denUSA lebte. Masekela verwob sehr erfolgreichafrikanische Elemente aus seiner heimischenKwela Musik mit Jazz und Funk.

    In Rahmen unserer Rubrik «inmemoriam» möchten wir auf zweiPersönlichkeiten hinweisen, die imSchweizer Jazz einen Fussabdruckhinterlassen haben. WAAm 8. Dezember 2017 ist GUSTAV «GUSTI»SIGG (1928–2017) im Alter von 89 Jahrenverstorben. Er war ein Jazzkritiker der erstenStunde und eine legendäre Persönlichkeit weit

    Grady TateUS-amerikanischer Sänger und Schlagzeuger des Modern Jazz, 14.01.1932–08.10.2017Tate konzentrierte sich zunächst auf den Gesang,wechselte später zum Schlagzeug und war alssolcher naturgemäss beliebt als Begleiter vonSängerinnen, wie etwa Peggy Lee, Ella Fitzgeraldoder Sarah Vaughan. Er trat wenig auf Bühnen in Erscheinung, war jedoch umso gefragter inAufnahmestudios, wo er bei ca. 700 Sessionsdabei war. Sein Spiel auf dem Snare trug eineunverkennbare Handschrift.

    Muhal Richard AbramsUS-amerikanischer Pianist und Komponist der Avantgarde, 19.09.1930–29.10.2017Abrams war vor allem als Mitbegründer derAACM (Association for the Advancement ofCreative Musicians), deren Mitglieder den Kreisbildeten, aus dem das berühmte Art Ensemble of Chicago hervorging. Abrams war zwar nichtselbst Teil dieses Ensembles, übte aber einengrossen Einfluss in der Avantgardeszene Chicagos aus. Zudem tat er sich auch als Kom-ponist von ambitionierten Werken für Sinfonie-und Kammerorchester hervor und wirkte alsLehrer für Jazzkomposition.

    Ben RileyUS-amerikanischer Schlagzeuger des ModernJazz, 13.07.1933–18.11.2017Riley war der Schlagzeiger auf der legendärenPlatte The Bridge von 1962 mit Sonny Rollinsund Jim Hall, welche Rollins' Rückkehr nachzweijähriger Auszeit markierte. Danach wurde er zu Thelonious Monks Stammdrummer, mitdessen Kollegen Charlie Rouse (ts) er in memo-riam Monk das Quartett Sphere ins Leben rief.

    Jon HendricksUS-amerikanischer Sänger des Modern Jazz21.09.1921–22.11.2017Hendricks gründete das Vokaltrio LambertHendricks & Ross mit, dessen Spezialität u.a. inder gesanglichen Imitation von Bläsersätzeninsbesondere des Basie-Orchesters bestand (Singa song of Basie), Die Gruppe nahm vorweg, wasspäter etwa Manhattan Transfer weiter führten.Hendricks selbst war ein begnadeter Scat-Sän-ger, der als solcher auch Blasinstrumente solis-tisch imitierend in sein Repertoire einbettete.

    Sunny MurrayUS-amerikanischer Schlagzeuger des Free Jazz,21.09.1936–7.12.2017Murray war ein Pionier des metrenfreien Schlag-zeugspiels, das im Free Jazz weitgehend zumStandard wurde. So war er gefragt in einschlä-gigen Gruppen wie etwa der New York Contem-porary Five mit Archie Shepp, Don Cherry undJohn Tchicai. In späteren Jahren setzte er sichnach Europa ab, wo er zumeist in Paris lebte.

    Kevin MahoganyUS-amerikanischer Sänger des Modern Jazz30.07.1958–17.12.2017Mahogany orientierte sich an Jon Hendricks(s.o.) und Al Jarreau, woraus er seinen eigenenStil entwickelte. Er war an zahlreichen Auf-nahme-Sessions beteiligt und gründete späterein eigenes Label (Mahogany Jazz). Bekanntwurde er auch als Darsteller des Sängers JimmyRushing im Robert Altman Film Kansas City,einem Thriller aus dem zwielichtigen Milieu des Jazz der 1930er Jahre.

    Zusammengestellt von Heinz Abler

    Heinz Jakob «Coco» SchuhmannDeutscher Gitarrist, 14.05.1924–28.01.2018

    Jazz galt während der Nazizeit als entarteteMusik, gefördert von den New Yorker Juden.Das Verbot dieser «Niggermusik» erfolgte inEtappen. 1942 wurde es faktisch definitiv.

    Coco Schuhmann war einer der letzten Zeit-zeugen des Holocausts. Seine AutobiografieDer Ghetto-Swinger erschien 1997. (DiesesBuch ist im Archiv des swissjazzorama zu finden.Es ist auch noch im Buchhandel erhältlich).

    Coco Schuhmann wurde nach der Einführungder Rassengesetze der Nationalsozialisten als«Geltungsjude» eingestuft (seine Mutter warJüdin, sein Vater Protestant). Musiker, die damalstrotzdem Jazz spielen wollten, nützten die

    über die Grenzen von Schaffhausen hinaus.Jahrelang war er als Jazzkritiker der Schaff-hauser Nachrichten tätig und hat sich ein gros-ses Wissen über den Jazz der letzten Jahrzehnteangeeignet. Nicht nur am Schaffhauser Jazz-festival war er als Berichterstatter ein gern gese-hener Gast. Auch an Clubkonzerten der ganzenRegion und an Schweizer Festivals von Montreuxbis Ascona war er immer wieder präsent.

    Am 27. Dezember 2017 ist JÜRG RAMSPECK(1936–2017) verstorben. Er arbeitete u.a. alsJournalist (und Redaktor) für den Züri Leu, dieZüri Woche und die Weltwoche. Später schrieber für den Blick und den Blick am Abend.Für uns ist sein Hobby interessant. Er spielteregelmässig als Jazzpianist in einer Bar in seinerHeimatstadt Zürich. Dabei war auch immerwieder der Filmregisseur Rolf Lyssy (Die Schwei-zermacher) am Schlagzeug und die SängerinRebecca Spitterie. Verheiratet war Ramspeck mit der Kolumnistin Hildegard Schwaninger.

    Schlupflöcher in der Gesetzgebung aus, so auchCoco Schuhmann. Jedoch 1943 geriet auch erbei einer Razzia ins Visier der Gestapo undwurde verhaftet. Zuerst wurde er ins Vorzeige-KZ Theresienstadt gebracht. Dort hatte er Musikzu machen, auch Swing. Es wurde ein Filmgedreht, der der Öffentlichkeit zeigen sollte wiegut die Haftbedingungen in den Lagern sei.Später wurde er nach Auschwitz verschleppt. Zudiesen Themen war er in der Nachkriegszeit indiversen Fernseh-Dokumentationen zu sehen.

    Er überlebte diese schwierigen Jahre und warnach dem Krieg weiterhin als Swingmusikertätig. Nur zögernd äusserte er sich zu seinenZeiten in den Lagern. Er betonte immer wieder:«Ich bin ein Musiker, der im KZ gesessen hat und kein KZler der Musik macht!» Er verstarbim hohen Alter von 93 Jahren in Berlin. WA