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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 FEATURE AM SONNTAG
DIE EWIGE MISS MARPLE
DAS BIZARRE LEBEN DER MARGRET RUTHERFORD
VON HANNELORE HIPPE
PRODUKTION DKULTUR/NDR/SWR
SENDUNG /// 20.05.2012 /// 14.05 UHR
Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur
sind beim SWR Mitschnittdienst
in Baden-Baden erhältlich.
Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030
Anfang: Trailer murder she said (Lizenz: frei)
Filmclip 1: aus: murder she said: (18 Sekunden, engl.) "Miss Jane Marple ... "
2
Zitatorin
Rutherford: Ich habe Jane Marple letztendlich sehr gemocht und gern gespielt. Die
Menschen möchten doch, wenn sie aus dem Kino kommen, ein gutes, ein
warmes Gefühl mit nach Hause nehmen. Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber
ich bin der festen Überzeugung, dass die vier Miss Marple Filme uns Briten
einen wunderbaren Dienst erwiesen haben und uns Freunde auf der ganzen
Welt bescherten. Und so etwas ist doch wichtig, oder?
Take 1
Merriman: She thought it was all about murder..
Sprecher 1: Am Anfang hörte sie nur “ Mord” und lehnte die Rolle strikt ab. Es wühlte alle
möglichen Dinge in ihr auf, die mit ihrer Vergangenheit und der furchtbaren
Familiengeschichte zu tun hatten, die sie vergessen wollte. Aber ihr
Hauptproblem war wie immer, dass sie hoch verschuldet war und dringend
Geld brauchte und diese vier Filme retteten sie sozusagen.
Take 2
Robyns: She did not want to play the part.
Sprecherin 1: Sie wollte diese Rolle partout nicht und auch Agatha Christie hatte sich ihre
Miss Marple immer ganz anders vorgestellt. In Christies Augen war Margaret
Rutherford damit völlig falsch besetzt. Mich selbst interessierte Rutherord in
dieser Rolle überhaupt nicht. Bis ich Margaret dann kennenlernte.
Take 3
Damaris: No, I didn't.
Sprecherin 2: Ich habe diese Marple Filme gehasst. In meinen Augen hat man über sie
gelacht und nicht wie sonst in ihren Rollen, mit ihr gelacht. Das hat mir
überhaupt nicht gefallen. Trotzdem ist es kurios, dass der große Kreis ihrer
Fans noch heutzutage fast ausschließlich auf diese Rolle zurückgeht. Margaret
hatte überhaupt nichts von Miss Marple an sich, finde ich.
Take 4
3
Groll /Rödder: Ja es ist wie ein Markenzeichen geworden zu Margaret Rutherford. Also
Margaret Rutherford: sofort eine Assoziation mit Miss Marple. Sie ist die Ur
Miss Marple. Sie ist eigentlich die Miss Marple schlechthin.
Zitatorin:
Rutherford: Ich wollte nie die Miss Marple spielen, dabei finden viele meiner Freunde,
dass das meine beste Rolle war. Es hat ewig gedauert, bis ich zugestimmt habe,
sie zu spielen. Und zwar weil ich Mord nie als etwas Unterhaltsames begriffen
habe. Ich verabscheue alles, was erniedrigend, degradierend oder
destabilisierend für den Menschen ist.
Ansage: Die ewige Miss Marple. Das bizarre Leben der Margaret Rutherford.
Feature von Hannelore Hippe.
MUSIK: Marple Thema
Autorin: Margaret Rutherford. Sofort kommt einem das Bild in den Kopf: Kräftige
Statur auf ziemlich dünnen Beinen, in ein wallendes Cape gehüllt; silberne
Locken, die es nie zu einer Pracht brachten über einem freundlich
verschmitztem Gesicht, das von mindestens drei faltigen Doppelkinns begrenzt
wurde und weit, ganz weit entfernt an eine britische Bulldogge denken ließ.
Ein Gesicht, das man nicht vergisst.
Take 5
Merriman: The photograph at her...
Sprecher 1: Schon auf dem ersten Foto von ihr mit Acht hatte sie dieses Gesicht.
Atmo: Covent Garden mit Strassentheater und Gesang
Autorin: Das ist Andrew Merriman. Er legte vor wenigen Jahren eine neue, die zweite
Rutherford Biografie vor, die vor kurzem auch auf Deutsch erschien. Vierzig
Jahre nach ihrem Tod war das eine kleine Sensation. Merriman ist Mitte
fünfzig und lernte Margaret nie persönlich kennen. Den bärtigen Autor treffe
ich mitten im Londoner Westend - Theaterland, da wo Margaret Rutherford
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seit den dreißiger Jahren einen großen Teil ihres Lebens auf den Brettern, die
ihre Welt bedeuten, verbrachte.
Take 5a
Merriman: She is unmistakable…
Sprecher 1: Unverkennbar. Schon als junges Mädchen radelte sie im heimischen
Wimbledon umher mit dem berühmten, im Wind flatternden Cape. Schon
damals besaß sie diese etwas weltfremde Persönlichkeit, die sie ihr ganzes
Leben lang begleitete. Sie war sehr exzentrisch und fühlte sich immer zu
anderen Exzentrikern hingezogen.
Atmo 2: Durchsage im Zug. This is the train to Oxford from Paddington.
Autorin: Auch ich nehme auf Margaret Rutherfords Spuren einen Zug vom
Ausgangspunkt ihres ersten Miss Marple Films, dem Londoner Bahnhof
Paddington. Zwischen London und meinem Ziel Oxford überholt meinen
Schnellzug nicht wie im Film, keine andere Eisenbahn und so habe ich auch
keine Chance, rein theoretisch betrachtet, einen Mord auf dem Nebengleis zu
beobachten, was anno 1961 Miss Marple filmgeschichtlich zum ersten Mal in
Aktion versetzte. Ich erreiche völlig unspektakulär eine halbe Stunde von
Oxford entfernt, in einem idyllischen Dorf die erste Biografin Rutherfords.
Take 6
Robyns: Margaret had always interested me as an actress.
Atmo: Vögel, Garten.
Sprecherin 1: Sie hat mich immer schon als Schauspielerin interessiert und im wirklichen
Leben waren beide, sie und ihr Mann Stringer Davis, einfach wunderbare
Menschen. Sie waren so abgedreht, würde man heute sagen, wie in den Filmen.
Ich habe ja bei ihnen eine Zeitlang gelebt und sie waren unglaublich, wenn
auch unbeabsichtigt witzig und skurril.
Autorin: Die zierliche Gwen Robyns besitzt einen gemütlichen Wintergarten und an
einem der ersten warmen Vorfrühlingstage sitzen wir dort auf ihrem purpurnen
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Sofa, trinken erst Tee, später Rotwein und essen die hervorragende
selbstgemachte Pastete der alten Lady. Die Sechundneunzigjährige ist
modisch schick in warmen Pflaumentönen gekleidet und trägt ihre weißen
Haare im frechen Bob. Sie hat nicht nur Rutherfords Biografie geschrieben, die
kurz vor Margarets Tod erschien, sondern darüber hinaus zahlreiche
Kochbücher und andere Biografien, inklusive der ihrer einst besten Freundin,
der Fürstin Gracia von Monaco. Die vielen Wochen bei Rutherford und
Stringer, ihrem Mann, so erinnert sie sich, liefen immer haargenau nach dem
gleichen Zeitablauf ab, als würde jeden Tag dasselbe Stück gegeben.
Take 7
Robyns: There was so much routine in the house: In the morning in bed at half past six..
Sprecherin 1: Jeden Tag passierte immer dasselbe: Das fing um halb sieben an. Da schien mir
ein Licht ins Gesicht, während ich noch schlief. Als ich die Augen geblendet
öffnete und aufschaute sah ich, dass das eine Grubenlampe war und die hatte
Stringer auf dem Kopf. Er erklärte mir, er habe eine Tasse Tee an mein Bett
gestellt. Stellen Sie sich das einmal vor, eine Grubenlampe mitten in ihr
Gesicht um halb sieben…
MUSIK: Miss Marple Thema ganz kurz
Autorin: Im einst mondänen westenglischen Kurort Cheltenham lebt die einzige, noch
lebende enge Freundin Margaret Rutherfords, die Schauspielerin Damaris
Hayman. Damaris ist heute Mitte achtzig und lebt mit ihrer Katze Tabathean
in ihrem alten Haus am Stadtrand Seit den fünfziger Jahren war sie Margarets
Zweitbesetzung auf der Bühne.
Take 8
Damaris: They needed somebody who could go on
Sprecherin 2: Sie brauchten ja jemanden der schnell und problemlos für sie einspringen
konnte. Sie war ja immer wieder mal krank und konnte dann nicht auftreten.
Autorin: Als sie ab und zu für Margaret einsprang, war sie doch 40 Jahre jünger, werfe
ich ein. Das sei überhaupt kein Problem gewesen, stellt sie klar. Beide Damen
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seien zeit- und alterslos. Damaris spricht wie eine britische Aristokratin und
stammt aus einer Familie altehrwürdiger Perückenbezopfter Richter. Als ich sie
treffe, ist sie dick in undefinierbare Decken gewickelt und blinzelt mich
fröhlich durch fingerdicke Brillengläser an. Sie bittet mich Platz zu nehmen,
was sich zunächst als etwas schwierig gestaltet. Die etwas eigenwillig
arrangierte, völlig überfüllte Einrichtung um sie herum scheint Damaris in
ihrer guten Laune nicht zu beeinträchtigen.
Take 9
Damaris: Emminently kind ...
Sprecherin 2 Sie war sehr lieb. Und sehr mütterlich. Mich nannte sie immer ihre älteste
Tochter und ich hab sie „ Mama“ genannt.
Autorin: Ein Abstecher in den Westerwald.
Take 10
Rödder: Das ist eine Fotomontage. Sie sitzt links von mir und schaut zu mir rüber und
ich höre ihr gebannt zu. Gucke zwar jetzt nicht gerade auf sie, sondern einfach
nachdenklich in den Raum hinein. Ursprünglich saß neben ihr, dort wo ich jetzt
zu sehen bin, Agatha Christie.
Autorin: Nicht in Wirklichkeit natürlich. Wir befinden uns im tiefsten Westerwald. Da
gibt es das einzige deutsche Rutherford Museum. Liebevoll zusammengestellt
so wie eine Margaret Rutherford Fan Web Seite. Betreut von Margarets
größtem Fan in Deutschland, Klaus Rödder. Leider hat auch Klaus die Miss
Marple seiner Träume nie persönlich kennen gelernt, doch folgt er jedes Jahr
im Mai, ihrem Geburtstagsmonat, ihren Spuren, besuht ihren letzten Wohnort
Gerrads Cross und wandelt auf den veritablen Schauplätzen der vier Marple
Filme, die noch ziemlich unverändert sind, wie Rödder glücklich erzählt.
Take 11
Rödder: Es sind viele Fotos von ihr aus verschiedenen Filmen ( er zählt auf)
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Autorin: Das sind unsere Zeugen. Und natürlich Margarets Cousin, der berühmte
Politiker. Der Krimi im Leben der Lady M.
Zitatorin
Rutherford: Ich war ein ernstes Kind. Mein Gesicht hatte das perfekte Oval eines
Hühnereis. Meine Augen waren grün und rund wie Pennystücke. Mein Haar
war leicht rötlich und ich kräuselte meine Nase wie ein Kaninchen. Das mach
ich noch heute. Ich konnte es mir einfach nicht abgewöhnen. Ich war ein
einsames Kind.
Autorin: So beschreibt sich Peggy, wie Margaret von Anfang an genannt wird, in ihrer
Biografie Gwen Robyns gegenüber. Soweit stimmt wohl alles.
Zitatorin:
Rutherford: Geboren wurde ich am elften Mai 1892 in Balham und meine Eltern nahmen
mich nach Indien mit, als ich erst wenige Monate alt war. Sie waren sehr
verliebt bis meine Mutter plötzlich starb. Mein Vater, der mit Samt und Seide
handelte, hieß Ernest Rutherford. Ursprünglich war er ein Benn, einer der
vielen Benns und da er romantische Gedichte schrieb, änderte er seinen Namen
zu Rutherford, weil er diesen Namen für romantischer als Benn hielt.
Autorin: Den Vater, dessen mittleren Namen sie annahm und den sie so romantisch
verklärt beschreibt, gab es nie. Biografin Gwen Robyns wusste das damals,
durfte jedoch nichts anderes veröffentlichen. Sie hatte strikte Anweisungen von
Margarets Agentin und ihrem Ehemann Stringer, nichts über die
Familiengeschichte zu schreiben.
Take 12
Robyns: What was wrong of course…
Sprecherin 1: Ich hätte das nicht tun dürfen und stattdessen die wahre Familiengeschichte
aufschreiben müssen. Die Wahrheit ist, dass sie eine Benn war.
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Autorin: Wie der linke Vorsitzende der britischen Labour Party und Premierminister-
anwärter in den achtziger Jahren des 20. Jahrhundert, Tony Benn, Margaret
Rutherfords Cousin.
Take 13
Benn: Her father was William Rutherford Benn
Sprecher 2: Sie sagte mir, dass ihr Vater William Rutherford Benn gewesen sei, aber als
ich nachforschte, konnte ich niemanden dieses Namens in unserer Familie
entdecken. Als ich meine Mutter darauf ansprach, reagierte sie merkwürdig
und sagte, er habe nichts getan, dessen man sich schämen müsse. Erst als ich
viel später, in den sechziger Jahren, meinen Sitz im Parlament einnahm, ging
ich nochmal zum Archiv der Times und schlug einfach ihren Großvater Julius
Benn nach, der Pfarrer gewesen war. Und da las ich „Ermordet von seinem
wahnsinnigen Sohn.“
Take 14
Merriman: Margaret´s father suffered from the same mental illness.
Sprecher 1: Margarets Vater litt wahrscheinlich unter der gleichen psychischen Krankheit
wie sie selbst. Nach einem Nervenzusammenbruch und einem kurzen
Aufenthalt in einer Irrenanstalt, wie es damals noch genannt wurde, begleitete
sein Vater, also Margarets Großvater, ihn nach Derbyshire zu einem
Erholungsaufenthalt. Agatha Christie hätte nicht besser ersinnen können, was
dann geschah.
Take 14
Benn: It occured in Matlock
Sprecher 2: Es geschah im Kurort Matlock, in der Nähe meines Wahlkreises. Er hat seinem
eigenen Vater mit einem Nachttopf den Schädel zerschmettert, ohne das dem
etwas voraus gegangen war. Das waren sehr, sehr merkwürdige und äußerst
tragische Umstände.
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Autorin: Zum Zeitpunkt des Mordes waren Margarets Eltern zwar bereits verheiratet
aber Margaret war noch nicht geboren.
Take 15
Benn: Well, it came into the public domain
Sprecher 2: Eine reaktionäre Zeitung hatte das irgendwo ausgegraben und da ich politisch
sehr angefeindet wurde, veröffentlicht. Ihre Argumentationskette war folgende:
Ihr Vater war wahnsinnig, deshalb sei auch Margaret Rutherford wahnsinnig
und konsequenterweise ich als naher Verwandter ebenfalls.
Take 16
Merriman: He went to prison
Sprecher 1: Margarets Vater wurde des Mordes angeklagt und musste ins Gefängnis. Dann
jedoch wurde er nach kurzer Zeit aufgrund des großen Einflusses der Benn
Familie entlassen. Diese furchtbare Familiengeschichte hat sie ihr ganzes
Leben lang verfolgt und sie hat sie unter Verschluss gehalten. Und als man den
bekannten Politiker Tony Benn, ihren Cousin, fertig machen wollte, kam es
damals ans Tageslicht.
Autorin: Ihre Eltern zogen nun zusammen, der Vater war scheinbar geheilt, und kurz
darauf wurde Margaret Rutherford, den Namen hatte der Vater nach dem
Mord angenommen, geboren. Sie zogen, auch das stimmte, mit dem Baby in
die britische Kolonie Indien, um alles hinter sich zu lassen. Kurz darauf starb
Margarets Mutter tatsächlich.
Take 17
Merriman: Her mother committed suicide.
Sprecher 1: Ihre Mutter beging Selbstmord. Auch das wurde vor dem Kind geheim
gehalten.
Autorin: In der Familie der Mutter Margarets gab es viele Selbstmorde. Auch eine von
Margarets Tanten hatte sich als junge Frau umgebracht.
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Take 17a
Merriman: She was told her father had died.
Sprecher 1: Man sagte dem Kind, dass auch der Vater tot sei. In Wirklichkeit war er im
Gefängnis Broadmoor, wo bis heute psychisch gestörte Verbrecher einsitzen.
Margaret war zu ihrer Tante Bessie nach Wimbledon gekommen, die die kleine
Nichte liebevoll aufzog.
Take 18
Merriman: One day, an old tramp came to the door.
Sprecher 1: Bis eines Tages, als sie ungefähr dreizehn, vierzehn war, ein Tramp an die Tür
kam und und dem Kind sagte, er habe eine Nachricht von ihrem Vater für sie.
Daraufhin hatte sie ihren ersten Nervenzusammenbruch. Ich habe ihre
Schuleinträge eingesehen und es passt zeitlich genau. Ab dann hat sie sehr viel
in der Schule gefehlt.
Take 19
Damaris: I think that explained...
Sprecherin 2: Das war für ihr ganzes Leben signifikant, auch warum sie nie eine Rolle
annahm, die in der Nähe des Wahnsinns angesiedelt war. Exzentrisch ja, aber
verrückt nicht. Ein Mann kam eines Tages, als sie fast noch ein Kind war, an
die Haustür ihrer Tante in Wimbledon, wo Margaret lebte. Und der erklärte
ihr, dass ihr Vater, wenn er aus dem Gefängnis herauskäme, sie umbringen
würde.
Autorin: Das habe ihr Margaret damals unter dem Siegel der Verschwiegenheit
anvertraut. Es gab jedoch noch eine entschärfte Version des Besuchs des
ehemaligen Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses: Der bis dahin tote
Vater ließe sie nur ganz herzlich grüßen.
Take 19a
Damaris: Which can't been particular pleasant.
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Sprecherin 2: Das kann ja für ein Kind nicht besonders angenehm gewesen sein, so etwas zu
hören und es hat dann ihren ersten Zusammenbruch ausgelöst, unter denen sie
von da an ihr ganzes Leben lang litt. Sie wusste, dass es in ihrer Familie eine
lange Geschichte von Wahnsinn gab und deshalb hat sie sich mit ihren Rollen
davon fern gehalten, was man versteht.
Autorin: Nur selten gab sie Auskunft über ihre Neigung zu Depressionen und auch dann
nur unter dem Hinweis, dass schließlich viele komödiantische Schauspieler
dazu neigten. Ihren Gesprächspartner von der BBC, der sich darüber erstaunt
zeigte, wies sie mit einem „bei Ihrer Intelligenz hätte ich etwas anders
erwartet,“ zurecht.
O Ton 1
Rutherford: (ca. 30´´ im Interview) In ihm deutet sie vorsichtig ihre Depressionen und
Melancholie an, unter der viele Komödianten leiden. (ohne Übersetzung)
Take 20
Damaris: That was wicked.
Sprecherin 2: Das war damals ganz grauenhaft. Sie hatte mal wieder einen Zusammenbruch
und in den sechziger Jahren waren Behandlungen mit Elektroschock gerade in
Mode. Und die bekam sie nun und alle im Theater fragten sich, wird sie denn
danach wieder auf die Bühne zurück kehren können? Wird ihr
Erinnerungsvermögen nicht darunter leiden? Ihre behandelnden Ärzte eröffnen
uns fröhlich lächelnd, „das wissen wir leider nicht, da wir diese Behandlung
bisher noch nie an jemandem ausprobiert haben, der auf der Bühne steht.“
Letztendlich war sie in der Lage, als Schauspielerin weiter zu arbeiten.
Zumindest eine Zeitlang.
Autorin: Wie äußerten sich die Anfälle bei ihr?
Take 21
Damaris: Deep depression.
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Sprecherin 2: Sie fiel in eine tiefe Depression und war dann wieder zutiefst rastlos. Fenster
auf, Fenster zu, Fenster auf, Fenster zu. Ganz schwierig, damit umzugehen. In
den letzten Monaten ihres Lebens versank sie so tief in Depressionen, dass sie
niemand mehr erreichen konnte. Sie erkannte auch niemanden mehr.
O-Ton 1a Rutherford-Interview
Zitatorin: Wenn man keinen Grund mehr zum Leben sieht, dann bricht man zusammen.
Wenn man nicht mehr weiß, wo man herkommt und hingehört. Das ist die
größte Traurigkeit auf dieser Welt. Deshalb habe ich das tiefste Mitgefühl für
Menschen, die diesen Zustand erleben, denn ich erlebe ihn selbst immer
wieder. Jeder große Clown war immer in der Nähe der Tragödie. Die Komödie
entspringt daraus.
Take 22
Merriman: They were incredibly generous but hopeless with money.
Sprecher 1: Sie und ihr Mann Stringer waren beide sehr großzügig aber mit Geld-
angelegenheiten völlig überfordert. Das hatte zum Teil mit Margarets bipolarer
Disposition zu tun. Manisch depressiv. Ein Stimmungshoch und dann zu tiefst
deprimiert. Sie sprach dann von ihrer „Melancholie. Aber sie sprach so gut wie
nie darüber. Es gab gute und schlimme Zeiten in ihrem Leben. Ein
Kennzeichen dieser manischen Veranlagung ist wohl, in diesem Zustand das
Verhältnis zu Geld komplett zu verlieren.
MUSIK: Miss Marple Thema
Autorin: Die Bühne im Leben der Miss M.
Zitatorin: Wenn ich mich nicht für die Bühne interessiert hätte, wäre ich gerne
Schriftstellerin geworden. Worte haben mich schon immer fasziniert und was
man mit ihnen anstellen kann und meine Poesielesungen gehören zu meinen
größten Freuden.
Take 23
Benn: In the late 1930´s
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Sprecher 2: In den späten dreißiger Jahren saß ich mit meiner Cousine Margaret oft an der
englischen Südküste am Strand. Ich war damals dreizehn und hab noch ein
Foto davon, wie wir nebeneinander vertraut im Sand sitzen. Sie sieht sehr lieb
darauf aus und ich erinnere mich, dass man sich in unserer Familie erzählte,
dass Margaret zur Bühne und Schauspielerin werden wollte. Na ja, mit
vierzehn wollen ja viele Mädchen Schauspielerin werden, vielleicht auch noch
mit zwanzig. Aber eine Frau von über vierzig? So alt war sie schon und sie
wollte partout immer noch auf die Bühne und das fanden wir schon etwas
merkwürdig und eigenwillig.
Autorin: Margaret Rutherford radelte in den frühen dreißiger Jahren mit ihrem später
weltberühmten Cape immer noch durch Wimbledon und gab Klavierunterricht.
Bei ihren Schülern war die exzentrische Dame mit dem unverwechselbaren
Gesicht sehr beliebt, doch sie selbst hasste ihren Job. Margaret wollte
unbedingt auf die Bretter, die die Welt bedeuten und obwohl sie nicht dem
Klischee einer süßen, blonden, elfengleichen Schauspielerin entsprach, das
man auch schon damals hatte, sprach sie zielstrebig vor und schaffte es
schließlich, sich am renommierten Old Vic ausbilden zu lassen. Schließlich
ergatterte sie mit über vierzig ihre erste größere bezahlte Rolle und kurz darauf
kam für sie schon der Durchbruch. Von nun an spielte sie skurrile Rollen in
Oscar Wilde, Ibsen, Sommerset Maugham Stücken. Ende der dreißiger Jahre
war sie endlich im Londoner Westend, ihrem großen Traum, angekommen.
Der erfolgreiche britische Meister satirischer Gesellschaftskomödien, Noel
Coward, schrieb ihr in seinem Stück „Blithe Spirit“ sogar die Rolle des
Mediums Madame Arcati auf den Leib. Man riss sich um diese Lady von
Format. Das Publikum vergötterte sie. Trotzdem war Margaret nicht
vollkommen glücklich.
Zitatorin
Rutherford: Ich wollte nicht nur als Komödiendarstellerin in eine Schublade gesteckt
werden. So sieht mich die Welt. Ich habe mich jedoch immer wie ein Vogel
gefühlt, frei, um mich in die Lüfte zu schwingen, Konventionen zu entfliehen.
Ich wollte auch nicht als Intellektuelle erscheinen.
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Take 23
Robyns: How mislead the public was about her
Sprecherin 1: Wie sehr sich das Publikum in ihr täuschte. Sie war um so vieles intelligenter
als man es ihr nachsagte. Und sie war eine außergewöhnlich begabte
Schauspielerin. Ja, man hat sie gut besetzt, aber man hätte auf der Bühne so
viel mehr aus ihr herausholen können. Sie wäre eine fantastische Shakespeare
Schauspielerin gewesen. Das war ihr Traum gewesen. Aber niemand außer
später Orson Welles im Film hat sie so besetzt. Sie war eine außergewöhnlich
intelligente Frau.
Zitatorin:
Rutherford: „Oh Esmé. Wäre es nicht wundervoll, wenn ich in Romeo und Julia spielen
dürfte?“ Und meine Schauspielkollegin Esmé entgegnete mir damals. „Peggy,
mit 39 Jahren bist du noch zu jung für die alte Krankenschwester.“ – „Oh nein,
Esmé, wies ich sie empört zurecht, „ich meinte die Julia!“
Take 24
Benn: She was really a
Sprecher 2 : Sie war selbst Spätviktorianerin und das war eine Ära in der die Schwächen
dieser Gesellschaft stark zu Tage traten, auch in ihrer ausgeprägten
Selbstgefälligkeit. Das hat sie messerscharf erkannt und sehr amüsant und
gekonnt persifliert. Sie war in ihren Darstellungen im Film und auf der Bühne
sehr authentisch. Da gab es immer sehr viel von Margaret selbst zu sehen.
O Ton 2
Rutherford: Interview-Rutherford (ca. 20´´) (sie erzählt wie viel sie von sich in eine Rolle
gibt)
Zitatorin: Wenn ich mich irgendwo in einer Rolle entdecke, bringe ich mich sofort darin
ein. Das ist ja das Wunderbare daran, Schauspielerin zu sein, dass man vor sich
selbst flüchten kann und sich in eine andere Person verwandelt.
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Autorin: Nach zahlreichen kleinen Nebenrollen, meldet sich auch der Film bei Margaret
und sie erhält nach dem Krieg die ersten größeren Rollen auf der Leinwand.
Eine Umstellung für die resolute Lady mit dem überschäumenden
Bühnentemperament.
Take 25
Damaris: Blithe Spirit must been the first film she'd done.
Sprecherin 2: Die Geisterkomödie von Noel Coward war ihre erste große Filmrolle und sie
musste auf die Kamera zugehen und man rief “action!” Margaret schoss an der
Kamera vorbei und rannte ins Gebüsch, sozusagen. Schließlich mussten sie
eine Kordel an ihr befestigen, wie bei einem Pferd, damit sie nicht durchging.
Das einmalige an ihr war, dass sie zwar für eine Rolle körperlich unpassend
sein konnte, aber ihre geistige Durchdringung der Rolle machte sie komplett
glaubwürdig und man nahm ihr alles ab.
Take 26
Rödder: Die Presse ist nicht zimperlich mit ihr umgegangen: Kinn wie ein Luftsack (...)
Zähne wie Klaviertasten. Trotz dieses Körperbaus diese Agilität, die sie an den
Tag legt in diesen Marple Filmen, das ist enorm. Wie sie tanzt, wie sie fechtet
(...) es ist einfach genial mit diesem voluminösen Körper. (...) Diese Mimik, die
sie drauf hat. (...) Schon damals hat sie diese Mundbewegungen, die sind
einfach da. Die hat sie nie abgelegt und das ist es, was sie ausmacht. Ein
Regisseur hat gesagt: Man muss die Rutherford spielen lassen, man muß nur
einen Kameramann haben, der schnell genug ist, ihre hektischen Bewegungen
einzufangen. Das zeichnet die Rutherford aus.
MUSIK: Miss Marple Thema drunter
Zitatorin:
Rutherford: Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, bin ich ein wenig betrübt darüber,
dass ich immer die exzentrischen Rollen spielte. Ich hätte so gern das starke
Zeug gespielt. Aber bei Exzentrikern hat man mehr Freiheit. Sie sind immer
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ehrlich und unverstellt und besitzen ihr eigenes Maß an Verrücktheit. Sie
werden am Ende unserer Tage die eigentlichen Heiligen sein.
Take 27
Damaris: (...) enormous crocodile handbag
Sprecherin:2 Immer suchte sie etwas in ihrer riesigen Krokodilledertasche und ich hab mich
vor Lachen nicht mehr eingekriegt, als sie im Film, „Die VIP´s in einer
Handtasche von abnormen Dimensionen fast verschwand. Ein wunderbarer
Film.
Autorin: Dafür erhielt sie 1963 den Oskar für die beste Nebenrolle. Hauptdarsteller
waren damals Elisabeth Taylor und Richard Burton.
Take 28
Damaris: And quite right too.
Sprecherin 2: Und der Oskar war hochverdient. Sie schlief manchmal in Hollywood im
Studio und man fragte sie, ob sie irgendetwas Besonderes wollte. Sie erbat sich
ganz bescheiden einen kleinen Campingkocher, damit sie sich ihre Eier mit
Speck darauf zubereiten konnte, ohne die sie nicht leben konnte. Das haben sie
ihr dann gern gebracht und ihr gesagt, was für ein Unterschied sie zu Elizabeth
Taylor sei, die darauf bestanden hatte, ihre riesen Garderoben Suite komplett
fliederfarben streichen zu lassen und alles Mögliche wollte. Die Aufnahmen
waren endlos, da Taylor immer erst kurz vor Abend aus ihrer Garderobe
auftauchte. Margarets Timing war unglaublich. Ich konnte das oft auf der
Bühne beobachten. Sie konnte einen Lacher sofort töten, wenn er zu früh kam
und sie bekam ihn genau dann, wenn sie ihn wollte. Wunderbar.
Take 29
Merriman: Incredibly tolerant and did lots of charity work
Sprecher 1: Margaret war nicht nur sehr tolerant, sie engagierte sich auch immer karitativ
sehr stark. Sie setzte ihren Bekanntheitsgrad durch die Miss Marple Filme
dafür ein. So besuchte sie zum Beispiel regelmäßig Jungen, die straffällig
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geworden waren und las ihnen Gedichte vor. Sie hatte ein großes Herz. Sie
wusste warum Menschen straffällig wurden, aus welchem familiären
Hintergrund sie oft stammten. Dafür zeigte sie großes Verständnis. Und
obwohl sie selbst sehr weit von solchen Umständen entfernt war, begriff sie
doch die Zusammenhänge.
Take 30
Robyns: They had bacon and eggs every night
Sprecherin 1: Sie aßen ja immer spätnachts. Jede Nacht Eier mit Speck, was damit zu tun
hatte, dass sie früher erst nach zehn aus dem Theater kamen und Hunger
hatten. Diese Gewohnheit behielten sie bis zum Schluss bei. Dann erzählte sie
mir immer etwas. Auch dass sie oft in Jugendgefängnisse ging. Einmal war ich
mit dabei. Die Jungen durften sich eine berühmte Persönlichkeit zu
Weihnachten einladen und hatten sich Margaret Rutherford gewünscht. Der
Gefängnisdirektor wunderte sich noch darüber, wie kommen die Jungs auf sie?
Ich wunderte mich auch. Und dann sind wir in mein kleines Auto gestiegen,
was gar nicht so einfach war mit dem Cape und ich weiß nicht was noch alles.
Schließlich waren wir da und sie ging auf die Bühne auf der ein Flügel stand
und begrüßte die Jungs. Die mußten alle zu dem besonderen Anlass Krawatten
tragen. Wenn man jemand ermordet hatte, musste man eine rote Krawatte
tragen. Sie hatte glaube ich, keinen Schimmer, was das alles mit den Schlipsen
bedeutete. Jedenfalls wandte sie sich jedem einzelnen zu und fragte ihn, warum
er hier sei? Und der eine Junge wusste vor Schüchternheit nicht, was er sagen
sollte. Schließlich stieß er hervor: „Ich habe meinen Vater ermordet!“ Und was
antwortete sie? „Oh, das war aber wirklich sehr ungezogen von dir!“
MUSIK: Miss Marple Thema
Zitatorin:
Rutherford: Ich weiß noch, ich aß bei Freunden in Sydenham zur Zeit als der erste Miss
Marple Film in den Kinos lief und wir warteten auf dem Bahnsteig des kleinen
Orts auf unseren Zug. Da kam eine Gruppe von Schulkindern angerannt. Sie
waren offenbar gerade aus dem Kino gekommen und da sahen sie mich in
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meinem Miss Marple Cape auf dem Bahnsteig. Sie blieben wie angewurzelt
stehen und aus ihren entsetzten und ungläubigen Gesichtern konnte ich
erkennen, dass sie dachten, sie sähen ein veritables Gespenst, das kurz darauf
in einem Zug verschwand.
Autorin: Die Familie im Leben der Miss M.
Zitatorin:
Rutherford: Als ich am Theater ankam, sah ich, wie ein gutaussehender junger Mann es
gerade verließ. Sofort fielen mir seine klaren blauen Augen, sein eleganter
ausgesuchter Kleidungsstil auf. Ich konnte einfach meinen Blick nicht von ihm
wenden. Er musste Schauspieler sein, denn er besaß das gewisse Etwas. Sein
Name war Stringer Davis und ich konnte nicht ahnen, dass ich ihn fünfzehn
Jahre später heiraten würde.
Take 31
Robyns: Stringer was absolutely incredible
Sprecherin 1: Stringer war unglaublich, aber er hatte, und ich kann mich gut erinnern, kein
Gehirn im Kopf. Sie schon und wie. Er war einfach nur nett und sah gut aus,
war aber als Schauspieler nicht so gesegnet. Ohne sie, wäre er ein Nichts
gewesen aber sie liebte ihn. Sie vergötterten einander, keine Frage. Jeden
Nachmittag um punkt halb fünf marschierte Stringer zum Klavier und begann
zu spielen. Es klang grauenhaft. Margaret saß dabei und rollte mit den Augen
und irgendwann sagte sie dann plötzlich: „Das reicht jetzt!“
Take 32
Merriman: She had written in her contracts
Sprecher 1: Sie hatte in allen ihren Verträgen eine Klausel, dass Stringer in irgendeiner
Form im Stück oder Film untergebracht werden musste. Auch damit er in der
Nähe war, wenn sie sich nicht so gut fühlte. Er war kein sehr guter
Schauspieler aber der perfekte Butler. Natürlich kursierten Gerüchte ob sie
jemals Sex miteinander hatten und höchstwahrscheinlich war Stringer schwul,
er war auch sieben Jahre jünger. Aber sie verliebte sich nicht nur in ihn
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sondern in etliche andere hübsche junge Männer mit denen sie dann
durchbrennen wollte. Einer schwuler als der andere. Total verrückt! Die
bekannteste Geschichte ihrer unerwiderten Lieben war die des kanadischen
Pianisten Malcolm Thurpe. Ihn lernte ich kennen und er erzählte mir alles. Er
war damals, als sich Margaret in ihn verknallte, fast vierzig Jahre jünger als sie.
Margaret half ihm, nachdem sie sich in einem Park kennengelernt hatten, bei
allem möglichen, Wohnung, Arbeit, wie es ihre Art war und er merkte nicht,
dass sie sich in ihn verguckt hatte. Dann schlug sie vor aus heiterem Himmel
vor, zusammen durchzubrennen und Stringer zu verlassen. Nach Südamerika!
Thurpe fühlte sich unglaublich schlecht und wusste nicht was er machen solle,
um ihr nicht weh zu tun. Stringer nahm es sehr gelassen und sagte ihm, „mach
dir keine Sorgen, Junge, das macht sie öfters. Am besten ist, du verschwindest
jetzt einfach aus ihrem Leben damit sie sich nicht verletzt fühlt.“ Und das tat er
dann auch.
MUSIK Miss Marple Thema
Take 33
Damaris: kind, fun ...
Sprecherin 2: Sie war so warmherzig und mütterlich. Es war eine Art unerfüllter Mutterliebe,
die sie besaß und die sie auf ihre selbstgewählte Familie übertrug.
Zitatorin:
Rutherford: Merkwürdige Begegnungen waren immer Teil meines Lebens. Ich bin dankbar
dafür. Im Jahre 1959 zum Beispiel trat Prinz Juan von Jordanien in mein
Leben. Er brachte uns so viel Freude und Glück.
Take 34
Merriman: He came to lunch and brought her presents.
Sprecher1: Er brachte ihr Geschenke, kam zum Essen und sie war von ihm begeistert.
Irgendwann mussten sie die Verabredung mit ihm kurzfristig absagen und
riefen die jordanische Botschaft an. Dort teilte man ihnen knapp mit, dass es
einen Menschen dieses Namens nicht gäbe. Als er dann das nächste Mal bei
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ihnen erschien, sprachen sie ihn darauf an und er gab zu, dass er ein
Antiquitätenhändler aus der Portobello Road war. Aber statt darüber enttäuscht
zu sein oder sich hintergangen zu fühlen, sagte sie:
Zitatorin:
Rutherford: Wieso sollten wir ihm böse sein? Er hat den Märchenprinzen so wunderbar
gespielt, dass wir gern mitgespielt haben und uns keine Fragen stellten. Er hat
uns auf seinem fliegenden Teppich in ferne Länder, von denen wir nichts
wussten, mitgenommen und als echter Prinz hätte er sich nicht mehr als
Gentleman benehmen können wie Prinz Juan.
Take 35:
Merriman: Another hanger on was Dawn
Sprecher 1: Ein anderer dieser Blutegel, die an ihr klebten, war Dawn, die einmal Gordon
geheißen hatte. Dawn erzählte jedem, dass Margaret sie adoptiert habe. Nie auf
dem Papier, aber sie sprach immer von den beiden als Mutter und Vater. Ich
glaube, sie hatten schon eine enge Freundschaft, aber Dawns Leben war eine
komplette Fantasie. Sie schrieb in ihrer Autobiografie, dass sie über Nacht zur
Frau geworden war. Natürlich hatte sie eine Geschlechtsumwandlung gehabt.
Das alles wusste Rutherford nicht, aber wenn sie es gewusst hätte, hätte es ihr
auch nichts ausgemacht.
Take 36
Damaris: Everyone (...) took advantage of her.
Sprecherin 2: Jeder nutzte sie aus. Ich war eine der wenigen, die das nicht tat. John Carroll,
der in den letzten Jahren ihre Poesielesungen arrangierte und bei ihnen lebte,
war auch so ein Schwamm. Der lamentierte immer, ach ich hab kein Geld und
bin so arm dran. Sofort schickte sie ihm riesige Präsentkörbe mit ausgesuchten
Leckereien aus dem teuersten Laden Londons.
Take 37
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Rödder: Was bedauerlich ist (...), dass ihre Freunde, sobald sie wieder klamm war und
das war ja auch sehr häufig, waren diese Freunde auf einmal nicht mehr da. (...)
Sobald wieder Geld da war und sie wieder ihre berühmten Teeparties
schmeißen konnte, dann waren auch die Freunde wieder da.
Take 38
Robyns: They were both prey for anybody.
Sprecherin 1: Sie waren eine leichte Beute. Weil beide so gutgläubig, so großzügig und so
warmherzig waren.
Autorin: Zweimal, Ende der sechziger Jahre, stürzt Margaret und bricht sich die Hüfte.
Sie braucht einen Rollstuhl. Stringer und sie müssen, weil sie keine Treppen
mehr steigen kann, noch einmal umziehen. In den letzten Monaten fällt sie
nicht nur in eine tiefe Depression aus der sie sich nicht mehr befreien kann,
auch eine Altersdemenz entwickelt sich rasch bei ihr. Sie stirbt am 22. Mai
1972.
Take 38a
Damaris: By this time she had the electric shock treatments
Sprecherin 2: Das Traurige war ja, nach so vielen Elektroschocks gegen Ende ihres Lebens
konnte sie sich auch nicht mehr daran erinnern, dass sie einmal immens
erfolgreich und auch sehr glücklich gewesen war. Sie bekam ja immer noch
viel Fanpost hauptsächlich wegen der Marple Filme.
Take 38
Robyns: Her total innocence
Sprecherin 1: Sie war die Unschuld in Person. So werde ich sie immer in Erinnerung haben.
Sie war nicht dumm, aber sie vertraute immer jedem. Selbst nach Margarets
Tod, da war auf einmal diese furchtbare Person Violet Davis da, die ihnen
zeitweise den Haushalt führte. Schon bei der Beerdigung wollte die an der
Seite Stringer Davis vorne sitzen. Da bin ich dazwischen gegangen und habe
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ihr ins Gesicht gesagt: „Es tut mir leid, aber da ist nicht Ihr Platz!“ Kurz darauf
gingen beide zu einem Pfarrer, um ihre Hochzeit zu besprechen.
Autorin: Dazu kommt es jedoch nicht mehr. Ein knappes Jahr nach Margarets Tod stirbt
auch Stringer, sanft im Schlaf. Violet Davis plündert daraufhin alles im Haus,
was nicht niet - und nagelfest ist: Den Oskar, wertvolle Erinnerungstücke und
Auszeichnungen verschwinden mit der bösen Haushälterin wie in einem Krimi
von Agatha Christie. So gut wie nichts davon ist bis heute wieder aufgetaucht.
Die vielen Briefe von berühmten Menschen an Margaret von Chaplin über
Brando bis zur Queen, die die begeisterte Monarchistin Margaret 1967 ür ihre
Verdienste in den Ritterstand hob, werden von „Tochter“ Dawn entführt und
nach Amerika gebracht. Sie lagern heute, nach Dawns Tod, zum Teil in den
Archiven einer Universität der Vereinigten Staaten. Doch noch ist das bizarre
Leben der Miss M nicht zu Ende erzählt. Es fehlt noch das letzte Puzzleteil in
ihrem Leben.
Zitatorin
Rutherford: „Sind Sie exzentrisch?“ fragten mich immer alle in der amerikanischen Presse.
Welch eine niedliche Frage. Ich habe dann immer geantwortet, ich halte mich
für eine Individualistin. Exzentrik ist meines Erachtens nur eine Steigerung
davon.
Autorin: War sie exzentrisch ?
Take 39
Robyns: totally eccentric
Sprecherin 1: Unglaublich exzentrisch, aber auf sehr intelligente Weise. Sie wusste immer,
was sie tat. Ein höchst ungewöhnlicher Charakter. Ja, das genau war sie.
MUSIK: Miss Marple Thema
Take 40:
Robyns: One day it was November
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Sprecherin 1: Es war einmal im November. Es war bitterkalt und sie wollte unbedingt
schwimmen. Das liebte sie ja, lange Spaziergänge und Schwimmen zu jeder
Jahreszeit. Ich telefonierte also herum, wo das überhaupt noch ginge und fand
tatsächlich ein Schwimmbad in der Nähe, das nur wegen Margarets Wunsch
heute öffnen würde. Wir also hin. Als wir ankamen merkten wir dass wir den
Badeanzug für sie vergessen hatten. Man brachte ihr einen, fünf Größen zu
klein. Sie rollte sich hinein und überall fiel etwas von ihr heraus. Damit hatte
sie aber nichts am Hut. Wir also rein und es war eiskalt. Sie schwamm in die
Mitte und plötzlich verschwand sie. Ich konnte sie grad noch erreichen, mit den
Titelseiten der Presse im Kopf : „Margaret Rutherford ertrinkt im öffentlichen
Schwimmbad im November!“ Ich war gottlob Rettungsschwimmerin und
brachte sie an die Seite. Mit der Hilfe von den Männern, die da waren, hievten
wir sie wie einen Wal aufs Trockene. Sie schien leblos, gestrandet. Stringer
sprang nutzlos umher. Oh Gott, dachte ich, sie ist tot. Alle starrten hilflos. Auf
einmal schlug sie ihre Augen auf und sagte „Wie erfrischend Darlings!“ Ist das
nicht süß?
Take 40a
Damaris: Yes she was eccentric. The eccentric reckons...
Sprecherin 2: Der Exzentriker glaubt, dass das was er tut oder denkt, das einzig mögliche ist.
Die Tatsache, dass er sich nicht wie der Rest der Welt verhält, ist eindeutig
Pech für den Rest der Welt.
Take 41
Merriman: When they did go to Hollywood
Sprecher 1: Im Hollywoodstudio kamen sie immer mit einem unglaublichen Wust an
Decken, Kissen, Wärmflaschen, Teekannen und Teedosen an, es dauerte jeden
Tag fast eine halbe Stunde, bis alles im Auto verstaut war, das sie abholte.
Auch ihre Kleidung war sehr speziell, könnte man sagen. Die beiden waren die
quintessentiellen Engländer. Von nirgendwo sonst auf dieser Welt hätten sie
stammen können.
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Zitatorin
Rutherford: Wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann hätte ich gern wie Jane Russell
ausgesehen. Sie ist elementar und wild. Das liebe ich. Also ein ganz kleines
bisschen habe ich ja auch davon. „Gemein, lasziv und wunderbar“ das sagte
man von ihr. Genau.
Take 42
Rödder: Sie ist schon ziemlich britisch. (...) Sie hat das gewisse Etwas, was man bei
deutschen Schauspielerinnen ziemlich vermisst, diese Verquickung (...)
exzentrisch zu sein, liebevoll zu sein, resolut zu sein.
Autorin: Wir hatten zur selben Zeit in Deutschland auch unverwechselbare große
Schauspielerinnen wie Tilla Durieux, Therese Giese und AgnesWindeck, die
beim ersten Miss Marple Film Rutherford ihre deutsche Stimme lieh. Doch
Miss Marple alias Margaret Rutherford ist auch vierzig Jahre nach ihrem Tod
bei uns wie auf der ganzen Welt, so lebendig wie in den frühen sechziger
Jahren als die vier Miss Marple Filme gedreht wurden.
Take 43
Damaris: We went to Belfast.
Sprecherin 2: Der Gouverneur von Nordirland hatte unsere ganze Truppe bei einem Gastspiel
auf seine Gartenparty eingeladen und Margaret erschien in einem Chiffon
Blumenkleid, komplett mit rosa Sandalen die mit blauen Blumen bestickt
waren und einem großen Hut mit rosa und blauen Blumen. Darüber trug sie ein
gelbes Cape, das wiederum übersät mit bestickten Blumen und
Schmetterlingen war. Die Schmetterlinge hingen zur Hälfte frei in der Luft und
flatterten ein wenig, wenn sie sich bewegte. Dieses Outfit überstieg alles
Vorstellbare. Aber genau das gefiel ihr und so kannte und liebte sie auch ihr
Publikum. Stringer nahm mich beiseite und flüsterte mir ins Ohr: „Meine Frau
hat heute wieder so viel Glamour.“ Und irgendwie hatte sie den auch. Wer
glamourös ist, bei dem bleibt man stehen und staunt. Und das war bei Margaret
Rutherford der Fall.
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MUSIK: Miss Marple Thema
Zitatorin:
Rutherford: Ich habe in vielen meiner Charakteren, die ich in meinem Leben spielen
durfte, eine tiefe Einsamkeit gespürt. Eine Einsamkeit, die zu einer Art
Rückzug von der Welt geführt hat. Und genau das habe ich immer verstanden.
ABSAGE
ENDE