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1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 FEATURE AM SONNTAG DIE EWIGE MISS MARPLE DAS BIZARRE LEBEN DER MARGRET RUTHERFORD VON HANNELORE HIPPE PRODUKTION DKULTUR/NDR/SWR SENDUNG /// 20.05.2012 /// 14.05 UHR Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Anfang: Trailer murder she said (Lizenz: frei) Filmclip 1: aus: murder she said: (18 Sekunden, engl.) "Miss Jane Marple ... "

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    ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

    SWR2 FEATURE AM SONNTAG

    DIE EWIGE MISS MARPLE

    DAS BIZARRE LEBEN DER MARGRET RUTHERFORD

    VON HANNELORE HIPPE

    PRODUKTION DKULTUR/NDR/SWR

    SENDUNG /// 20.05.2012 /// 14.05 UHR

    Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur

    sind beim SWR Mitschnittdienst

    in Baden-Baden erhältlich.

    Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030

    Anfang: Trailer murder she said (Lizenz: frei)

    Filmclip 1: aus: murder she said: (18 Sekunden, engl.) "Miss Jane Marple ... "

  • 2

    Zitatorin

    Rutherford: Ich habe Jane Marple letztendlich sehr gemocht und gern gespielt. Die

    Menschen möchten doch, wenn sie aus dem Kino kommen, ein gutes, ein

    warmes Gefühl mit nach Hause nehmen. Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber

    ich bin der festen Überzeugung, dass die vier Miss Marple Filme uns Briten

    einen wunderbaren Dienst erwiesen haben und uns Freunde auf der ganzen

    Welt bescherten. Und so etwas ist doch wichtig, oder?

    Take 1

    Merriman: She thought it was all about murder..

    Sprecher 1: Am Anfang hörte sie nur “ Mord” und lehnte die Rolle strikt ab. Es wühlte alle

    möglichen Dinge in ihr auf, die mit ihrer Vergangenheit und der furchtbaren

    Familiengeschichte zu tun hatten, die sie vergessen wollte. Aber ihr

    Hauptproblem war wie immer, dass sie hoch verschuldet war und dringend

    Geld brauchte und diese vier Filme retteten sie sozusagen.

    Take 2

    Robyns: She did not want to play the part.

    Sprecherin 1: Sie wollte diese Rolle partout nicht und auch Agatha Christie hatte sich ihre

    Miss Marple immer ganz anders vorgestellt. In Christies Augen war Margaret

    Rutherford damit völlig falsch besetzt. Mich selbst interessierte Rutherord in

    dieser Rolle überhaupt nicht. Bis ich Margaret dann kennenlernte.

    Take 3

    Damaris: No, I didn't.

    Sprecherin 2: Ich habe diese Marple Filme gehasst. In meinen Augen hat man über sie

    gelacht und nicht wie sonst in ihren Rollen, mit ihr gelacht. Das hat mir

    überhaupt nicht gefallen. Trotzdem ist es kurios, dass der große Kreis ihrer

    Fans noch heutzutage fast ausschließlich auf diese Rolle zurückgeht. Margaret

    hatte überhaupt nichts von Miss Marple an sich, finde ich.

    Take 4

  • 3

    Groll /Rödder: Ja es ist wie ein Markenzeichen geworden zu Margaret Rutherford. Also

    Margaret Rutherford: sofort eine Assoziation mit Miss Marple. Sie ist die Ur

    Miss Marple. Sie ist eigentlich die Miss Marple schlechthin.

    Zitatorin:

    Rutherford: Ich wollte nie die Miss Marple spielen, dabei finden viele meiner Freunde,

    dass das meine beste Rolle war. Es hat ewig gedauert, bis ich zugestimmt habe,

    sie zu spielen. Und zwar weil ich Mord nie als etwas Unterhaltsames begriffen

    habe. Ich verabscheue alles, was erniedrigend, degradierend oder

    destabilisierend für den Menschen ist.

    Ansage: Die ewige Miss Marple. Das bizarre Leben der Margaret Rutherford.

    Feature von Hannelore Hippe.

    MUSIK: Marple Thema

    Autorin: Margaret Rutherford. Sofort kommt einem das Bild in den Kopf: Kräftige

    Statur auf ziemlich dünnen Beinen, in ein wallendes Cape gehüllt; silberne

    Locken, die es nie zu einer Pracht brachten über einem freundlich

    verschmitztem Gesicht, das von mindestens drei faltigen Doppelkinns begrenzt

    wurde und weit, ganz weit entfernt an eine britische Bulldogge denken ließ.

    Ein Gesicht, das man nicht vergisst.

    Take 5

    Merriman: The photograph at her...

    Sprecher 1: Schon auf dem ersten Foto von ihr mit Acht hatte sie dieses Gesicht.

    Atmo: Covent Garden mit Strassentheater und Gesang

    Autorin: Das ist Andrew Merriman. Er legte vor wenigen Jahren eine neue, die zweite

    Rutherford Biografie vor, die vor kurzem auch auf Deutsch erschien. Vierzig

    Jahre nach ihrem Tod war das eine kleine Sensation. Merriman ist Mitte

    fünfzig und lernte Margaret nie persönlich kennen. Den bärtigen Autor treffe

    ich mitten im Londoner Westend - Theaterland, da wo Margaret Rutherford

  • 4

    seit den dreißiger Jahren einen großen Teil ihres Lebens auf den Brettern, die

    ihre Welt bedeuten, verbrachte.

    Take 5a

    Merriman: She is unmistakable…

    Sprecher 1: Unverkennbar. Schon als junges Mädchen radelte sie im heimischen

    Wimbledon umher mit dem berühmten, im Wind flatternden Cape. Schon

    damals besaß sie diese etwas weltfremde Persönlichkeit, die sie ihr ganzes

    Leben lang begleitete. Sie war sehr exzentrisch und fühlte sich immer zu

    anderen Exzentrikern hingezogen.

    Atmo 2: Durchsage im Zug. This is the train to Oxford from Paddington.

    Autorin: Auch ich nehme auf Margaret Rutherfords Spuren einen Zug vom

    Ausgangspunkt ihres ersten Miss Marple Films, dem Londoner Bahnhof

    Paddington. Zwischen London und meinem Ziel Oxford überholt meinen

    Schnellzug nicht wie im Film, keine andere Eisenbahn und so habe ich auch

    keine Chance, rein theoretisch betrachtet, einen Mord auf dem Nebengleis zu

    beobachten, was anno 1961 Miss Marple filmgeschichtlich zum ersten Mal in

    Aktion versetzte. Ich erreiche völlig unspektakulär eine halbe Stunde von

    Oxford entfernt, in einem idyllischen Dorf die erste Biografin Rutherfords.

    Take 6

    Robyns: Margaret had always interested me as an actress.

    Atmo: Vögel, Garten.

    Sprecherin 1: Sie hat mich immer schon als Schauspielerin interessiert und im wirklichen

    Leben waren beide, sie und ihr Mann Stringer Davis, einfach wunderbare

    Menschen. Sie waren so abgedreht, würde man heute sagen, wie in den Filmen.

    Ich habe ja bei ihnen eine Zeitlang gelebt und sie waren unglaublich, wenn

    auch unbeabsichtigt witzig und skurril.

    Autorin: Die zierliche Gwen Robyns besitzt einen gemütlichen Wintergarten und an

    einem der ersten warmen Vorfrühlingstage sitzen wir dort auf ihrem purpurnen

  • 5

    Sofa, trinken erst Tee, später Rotwein und essen die hervorragende

    selbstgemachte Pastete der alten Lady. Die Sechundneunzigjährige ist

    modisch schick in warmen Pflaumentönen gekleidet und trägt ihre weißen

    Haare im frechen Bob. Sie hat nicht nur Rutherfords Biografie geschrieben, die

    kurz vor Margarets Tod erschien, sondern darüber hinaus zahlreiche

    Kochbücher und andere Biografien, inklusive der ihrer einst besten Freundin,

    der Fürstin Gracia von Monaco. Die vielen Wochen bei Rutherford und

    Stringer, ihrem Mann, so erinnert sie sich, liefen immer haargenau nach dem

    gleichen Zeitablauf ab, als würde jeden Tag dasselbe Stück gegeben.

    Take 7

    Robyns: There was so much routine in the house: In the morning in bed at half past six..

    Sprecherin 1: Jeden Tag passierte immer dasselbe: Das fing um halb sieben an. Da schien mir

    ein Licht ins Gesicht, während ich noch schlief. Als ich die Augen geblendet

    öffnete und aufschaute sah ich, dass das eine Grubenlampe war und die hatte

    Stringer auf dem Kopf. Er erklärte mir, er habe eine Tasse Tee an mein Bett

    gestellt. Stellen Sie sich das einmal vor, eine Grubenlampe mitten in ihr

    Gesicht um halb sieben…

    MUSIK: Miss Marple Thema ganz kurz

    Autorin: Im einst mondänen westenglischen Kurort Cheltenham lebt die einzige, noch

    lebende enge Freundin Margaret Rutherfords, die Schauspielerin Damaris

    Hayman. Damaris ist heute Mitte achtzig und lebt mit ihrer Katze Tabathean

    in ihrem alten Haus am Stadtrand Seit den fünfziger Jahren war sie Margarets

    Zweitbesetzung auf der Bühne.

    Take 8

    Damaris: They needed somebody who could go on

    Sprecherin 2: Sie brauchten ja jemanden der schnell und problemlos für sie einspringen

    konnte. Sie war ja immer wieder mal krank und konnte dann nicht auftreten.

    Autorin: Als sie ab und zu für Margaret einsprang, war sie doch 40 Jahre jünger, werfe

    ich ein. Das sei überhaupt kein Problem gewesen, stellt sie klar. Beide Damen

  • 6

    seien zeit- und alterslos. Damaris spricht wie eine britische Aristokratin und

    stammt aus einer Familie altehrwürdiger Perückenbezopfter Richter. Als ich sie

    treffe, ist sie dick in undefinierbare Decken gewickelt und blinzelt mich

    fröhlich durch fingerdicke Brillengläser an. Sie bittet mich Platz zu nehmen,

    was sich zunächst als etwas schwierig gestaltet. Die etwas eigenwillig

    arrangierte, völlig überfüllte Einrichtung um sie herum scheint Damaris in

    ihrer guten Laune nicht zu beeinträchtigen.

    Take 9

    Damaris: Emminently kind ...

    Sprecherin 2 Sie war sehr lieb. Und sehr mütterlich. Mich nannte sie immer ihre älteste

    Tochter und ich hab sie „ Mama“ genannt.

    Autorin: Ein Abstecher in den Westerwald.

    Take 10

    Rödder: Das ist eine Fotomontage. Sie sitzt links von mir und schaut zu mir rüber und

    ich höre ihr gebannt zu. Gucke zwar jetzt nicht gerade auf sie, sondern einfach

    nachdenklich in den Raum hinein. Ursprünglich saß neben ihr, dort wo ich jetzt

    zu sehen bin, Agatha Christie.

    Autorin: Nicht in Wirklichkeit natürlich. Wir befinden uns im tiefsten Westerwald. Da

    gibt es das einzige deutsche Rutherford Museum. Liebevoll zusammengestellt

    so wie eine Margaret Rutherford Fan Web Seite. Betreut von Margarets

    größtem Fan in Deutschland, Klaus Rödder. Leider hat auch Klaus die Miss

    Marple seiner Träume nie persönlich kennen gelernt, doch folgt er jedes Jahr

    im Mai, ihrem Geburtstagsmonat, ihren Spuren, besuht ihren letzten Wohnort

    Gerrads Cross und wandelt auf den veritablen Schauplätzen der vier Marple

    Filme, die noch ziemlich unverändert sind, wie Rödder glücklich erzählt.

    Take 11

    Rödder: Es sind viele Fotos von ihr aus verschiedenen Filmen ( er zählt auf)

  • 7

    Autorin: Das sind unsere Zeugen. Und natürlich Margarets Cousin, der berühmte

    Politiker. Der Krimi im Leben der Lady M.

    Zitatorin

    Rutherford: Ich war ein ernstes Kind. Mein Gesicht hatte das perfekte Oval eines

    Hühnereis. Meine Augen waren grün und rund wie Pennystücke. Mein Haar

    war leicht rötlich und ich kräuselte meine Nase wie ein Kaninchen. Das mach

    ich noch heute. Ich konnte es mir einfach nicht abgewöhnen. Ich war ein

    einsames Kind.

    Autorin: So beschreibt sich Peggy, wie Margaret von Anfang an genannt wird, in ihrer

    Biografie Gwen Robyns gegenüber. Soweit stimmt wohl alles.

    Zitatorin:

    Rutherford: Geboren wurde ich am elften Mai 1892 in Balham und meine Eltern nahmen

    mich nach Indien mit, als ich erst wenige Monate alt war. Sie waren sehr

    verliebt bis meine Mutter plötzlich starb. Mein Vater, der mit Samt und Seide

    handelte, hieß Ernest Rutherford. Ursprünglich war er ein Benn, einer der

    vielen Benns und da er romantische Gedichte schrieb, änderte er seinen Namen

    zu Rutherford, weil er diesen Namen für romantischer als Benn hielt.

    Autorin: Den Vater, dessen mittleren Namen sie annahm und den sie so romantisch

    verklärt beschreibt, gab es nie. Biografin Gwen Robyns wusste das damals,

    durfte jedoch nichts anderes veröffentlichen. Sie hatte strikte Anweisungen von

    Margarets Agentin und ihrem Ehemann Stringer, nichts über die

    Familiengeschichte zu schreiben.

    Take 12

    Robyns: What was wrong of course…

    Sprecherin 1: Ich hätte das nicht tun dürfen und stattdessen die wahre Familiengeschichte

    aufschreiben müssen. Die Wahrheit ist, dass sie eine Benn war.

  • 8

    Autorin: Wie der linke Vorsitzende der britischen Labour Party und Premierminister-

    anwärter in den achtziger Jahren des 20. Jahrhundert, Tony Benn, Margaret

    Rutherfords Cousin.

    Take 13

    Benn: Her father was William Rutherford Benn

    Sprecher 2: Sie sagte mir, dass ihr Vater William Rutherford Benn gewesen sei, aber als

    ich nachforschte, konnte ich niemanden dieses Namens in unserer Familie

    entdecken. Als ich meine Mutter darauf ansprach, reagierte sie merkwürdig

    und sagte, er habe nichts getan, dessen man sich schämen müsse. Erst als ich

    viel später, in den sechziger Jahren, meinen Sitz im Parlament einnahm, ging

    ich nochmal zum Archiv der Times und schlug einfach ihren Großvater Julius

    Benn nach, der Pfarrer gewesen war. Und da las ich „Ermordet von seinem

    wahnsinnigen Sohn.“

    Take 14

    Merriman: Margaret´s father suffered from the same mental illness.

    Sprecher 1: Margarets Vater litt wahrscheinlich unter der gleichen psychischen Krankheit

    wie sie selbst. Nach einem Nervenzusammenbruch und einem kurzen

    Aufenthalt in einer Irrenanstalt, wie es damals noch genannt wurde, begleitete

    sein Vater, also Margarets Großvater, ihn nach Derbyshire zu einem

    Erholungsaufenthalt. Agatha Christie hätte nicht besser ersinnen können, was

    dann geschah.

    Take 14

    Benn: It occured in Matlock

    Sprecher 2: Es geschah im Kurort Matlock, in der Nähe meines Wahlkreises. Er hat seinem

    eigenen Vater mit einem Nachttopf den Schädel zerschmettert, ohne das dem

    etwas voraus gegangen war. Das waren sehr, sehr merkwürdige und äußerst

    tragische Umstände.

  • 9

    Autorin: Zum Zeitpunkt des Mordes waren Margarets Eltern zwar bereits verheiratet

    aber Margaret war noch nicht geboren.

    Take 15

    Benn: Well, it came into the public domain

    Sprecher 2: Eine reaktionäre Zeitung hatte das irgendwo ausgegraben und da ich politisch

    sehr angefeindet wurde, veröffentlicht. Ihre Argumentationskette war folgende:

    Ihr Vater war wahnsinnig, deshalb sei auch Margaret Rutherford wahnsinnig

    und konsequenterweise ich als naher Verwandter ebenfalls.

    Take 16

    Merriman: He went to prison

    Sprecher 1: Margarets Vater wurde des Mordes angeklagt und musste ins Gefängnis. Dann

    jedoch wurde er nach kurzer Zeit aufgrund des großen Einflusses der Benn

    Familie entlassen. Diese furchtbare Familiengeschichte hat sie ihr ganzes

    Leben lang verfolgt und sie hat sie unter Verschluss gehalten. Und als man den

    bekannten Politiker Tony Benn, ihren Cousin, fertig machen wollte, kam es

    damals ans Tageslicht.

    Autorin: Ihre Eltern zogen nun zusammen, der Vater war scheinbar geheilt, und kurz

    darauf wurde Margaret Rutherford, den Namen hatte der Vater nach dem

    Mord angenommen, geboren. Sie zogen, auch das stimmte, mit dem Baby in

    die britische Kolonie Indien, um alles hinter sich zu lassen. Kurz darauf starb

    Margarets Mutter tatsächlich.

    Take 17

    Merriman: Her mother committed suicide.

    Sprecher 1: Ihre Mutter beging Selbstmord. Auch das wurde vor dem Kind geheim

    gehalten.

    Autorin: In der Familie der Mutter Margarets gab es viele Selbstmorde. Auch eine von

    Margarets Tanten hatte sich als junge Frau umgebracht.

  • 10

    Take 17a

    Merriman: She was told her father had died.

    Sprecher 1: Man sagte dem Kind, dass auch der Vater tot sei. In Wirklichkeit war er im

    Gefängnis Broadmoor, wo bis heute psychisch gestörte Verbrecher einsitzen.

    Margaret war zu ihrer Tante Bessie nach Wimbledon gekommen, die die kleine

    Nichte liebevoll aufzog.

    Take 18

    Merriman: One day, an old tramp came to the door.

    Sprecher 1: Bis eines Tages, als sie ungefähr dreizehn, vierzehn war, ein Tramp an die Tür

    kam und und dem Kind sagte, er habe eine Nachricht von ihrem Vater für sie.

    Daraufhin hatte sie ihren ersten Nervenzusammenbruch. Ich habe ihre

    Schuleinträge eingesehen und es passt zeitlich genau. Ab dann hat sie sehr viel

    in der Schule gefehlt.

    Take 19

    Damaris: I think that explained...

    Sprecherin 2: Das war für ihr ganzes Leben signifikant, auch warum sie nie eine Rolle

    annahm, die in der Nähe des Wahnsinns angesiedelt war. Exzentrisch ja, aber

    verrückt nicht. Ein Mann kam eines Tages, als sie fast noch ein Kind war, an

    die Haustür ihrer Tante in Wimbledon, wo Margaret lebte. Und der erklärte

    ihr, dass ihr Vater, wenn er aus dem Gefängnis herauskäme, sie umbringen

    würde.

    Autorin: Das habe ihr Margaret damals unter dem Siegel der Verschwiegenheit

    anvertraut. Es gab jedoch noch eine entschärfte Version des Besuchs des

    ehemaligen Insassen des Hochsicherheitsgefängnisses: Der bis dahin tote

    Vater ließe sie nur ganz herzlich grüßen.

    Take 19a

    Damaris: Which can't been particular pleasant.

  • 11

    Sprecherin 2: Das kann ja für ein Kind nicht besonders angenehm gewesen sein, so etwas zu

    hören und es hat dann ihren ersten Zusammenbruch ausgelöst, unter denen sie

    von da an ihr ganzes Leben lang litt. Sie wusste, dass es in ihrer Familie eine

    lange Geschichte von Wahnsinn gab und deshalb hat sie sich mit ihren Rollen

    davon fern gehalten, was man versteht.

    Autorin: Nur selten gab sie Auskunft über ihre Neigung zu Depressionen und auch dann

    nur unter dem Hinweis, dass schließlich viele komödiantische Schauspieler

    dazu neigten. Ihren Gesprächspartner von der BBC, der sich darüber erstaunt

    zeigte, wies sie mit einem „bei Ihrer Intelligenz hätte ich etwas anders

    erwartet,“ zurecht.

    O Ton 1

    Rutherford: (ca. 30´´ im Interview) In ihm deutet sie vorsichtig ihre Depressionen und

    Melancholie an, unter der viele Komödianten leiden. (ohne Übersetzung)

    Take 20

    Damaris: That was wicked.

    Sprecherin 2: Das war damals ganz grauenhaft. Sie hatte mal wieder einen Zusammenbruch

    und in den sechziger Jahren waren Behandlungen mit Elektroschock gerade in

    Mode. Und die bekam sie nun und alle im Theater fragten sich, wird sie denn

    danach wieder auf die Bühne zurück kehren können? Wird ihr

    Erinnerungsvermögen nicht darunter leiden? Ihre behandelnden Ärzte eröffnen

    uns fröhlich lächelnd, „das wissen wir leider nicht, da wir diese Behandlung

    bisher noch nie an jemandem ausprobiert haben, der auf der Bühne steht.“

    Letztendlich war sie in der Lage, als Schauspielerin weiter zu arbeiten.

    Zumindest eine Zeitlang.

    Autorin: Wie äußerten sich die Anfälle bei ihr?

    Take 21

    Damaris: Deep depression.

  • 12

    Sprecherin 2: Sie fiel in eine tiefe Depression und war dann wieder zutiefst rastlos. Fenster

    auf, Fenster zu, Fenster auf, Fenster zu. Ganz schwierig, damit umzugehen. In

    den letzten Monaten ihres Lebens versank sie so tief in Depressionen, dass sie

    niemand mehr erreichen konnte. Sie erkannte auch niemanden mehr.

    O-Ton 1a Rutherford-Interview

    Zitatorin: Wenn man keinen Grund mehr zum Leben sieht, dann bricht man zusammen.

    Wenn man nicht mehr weiß, wo man herkommt und hingehört. Das ist die

    größte Traurigkeit auf dieser Welt. Deshalb habe ich das tiefste Mitgefühl für

    Menschen, die diesen Zustand erleben, denn ich erlebe ihn selbst immer

    wieder. Jeder große Clown war immer in der Nähe der Tragödie. Die Komödie

    entspringt daraus.

    Take 22

    Merriman: They were incredibly generous but hopeless with money.

    Sprecher 1: Sie und ihr Mann Stringer waren beide sehr großzügig aber mit Geld-

    angelegenheiten völlig überfordert. Das hatte zum Teil mit Margarets bipolarer

    Disposition zu tun. Manisch depressiv. Ein Stimmungshoch und dann zu tiefst

    deprimiert. Sie sprach dann von ihrer „Melancholie. Aber sie sprach so gut wie

    nie darüber. Es gab gute und schlimme Zeiten in ihrem Leben. Ein

    Kennzeichen dieser manischen Veranlagung ist wohl, in diesem Zustand das

    Verhältnis zu Geld komplett zu verlieren.

    MUSIK: Miss Marple Thema

    Autorin: Die Bühne im Leben der Miss M.

    Zitatorin: Wenn ich mich nicht für die Bühne interessiert hätte, wäre ich gerne

    Schriftstellerin geworden. Worte haben mich schon immer fasziniert und was

    man mit ihnen anstellen kann und meine Poesielesungen gehören zu meinen

    größten Freuden.

    Take 23

    Benn: In the late 1930´s

  • 13

    Sprecher 2: In den späten dreißiger Jahren saß ich mit meiner Cousine Margaret oft an der

    englischen Südküste am Strand. Ich war damals dreizehn und hab noch ein

    Foto davon, wie wir nebeneinander vertraut im Sand sitzen. Sie sieht sehr lieb

    darauf aus und ich erinnere mich, dass man sich in unserer Familie erzählte,

    dass Margaret zur Bühne und Schauspielerin werden wollte. Na ja, mit

    vierzehn wollen ja viele Mädchen Schauspielerin werden, vielleicht auch noch

    mit zwanzig. Aber eine Frau von über vierzig? So alt war sie schon und sie

    wollte partout immer noch auf die Bühne und das fanden wir schon etwas

    merkwürdig und eigenwillig.

    Autorin: Margaret Rutherford radelte in den frühen dreißiger Jahren mit ihrem später

    weltberühmten Cape immer noch durch Wimbledon und gab Klavierunterricht.

    Bei ihren Schülern war die exzentrische Dame mit dem unverwechselbaren

    Gesicht sehr beliebt, doch sie selbst hasste ihren Job. Margaret wollte

    unbedingt auf die Bretter, die die Welt bedeuten und obwohl sie nicht dem

    Klischee einer süßen, blonden, elfengleichen Schauspielerin entsprach, das

    man auch schon damals hatte, sprach sie zielstrebig vor und schaffte es

    schließlich, sich am renommierten Old Vic ausbilden zu lassen. Schließlich

    ergatterte sie mit über vierzig ihre erste größere bezahlte Rolle und kurz darauf

    kam für sie schon der Durchbruch. Von nun an spielte sie skurrile Rollen in

    Oscar Wilde, Ibsen, Sommerset Maugham Stücken. Ende der dreißiger Jahre

    war sie endlich im Londoner Westend, ihrem großen Traum, angekommen.

    Der erfolgreiche britische Meister satirischer Gesellschaftskomödien, Noel

    Coward, schrieb ihr in seinem Stück „Blithe Spirit“ sogar die Rolle des

    Mediums Madame Arcati auf den Leib. Man riss sich um diese Lady von

    Format. Das Publikum vergötterte sie. Trotzdem war Margaret nicht

    vollkommen glücklich.

    Zitatorin

    Rutherford: Ich wollte nicht nur als Komödiendarstellerin in eine Schublade gesteckt

    werden. So sieht mich die Welt. Ich habe mich jedoch immer wie ein Vogel

    gefühlt, frei, um mich in die Lüfte zu schwingen, Konventionen zu entfliehen.

    Ich wollte auch nicht als Intellektuelle erscheinen.

  • 14

    Take 23

    Robyns: How mislead the public was about her

    Sprecherin 1: Wie sehr sich das Publikum in ihr täuschte. Sie war um so vieles intelligenter

    als man es ihr nachsagte. Und sie war eine außergewöhnlich begabte

    Schauspielerin. Ja, man hat sie gut besetzt, aber man hätte auf der Bühne so

    viel mehr aus ihr herausholen können. Sie wäre eine fantastische Shakespeare

    Schauspielerin gewesen. Das war ihr Traum gewesen. Aber niemand außer

    später Orson Welles im Film hat sie so besetzt. Sie war eine außergewöhnlich

    intelligente Frau.

    Zitatorin:

    Rutherford: „Oh Esmé. Wäre es nicht wundervoll, wenn ich in Romeo und Julia spielen

    dürfte?“ Und meine Schauspielkollegin Esmé entgegnete mir damals. „Peggy,

    mit 39 Jahren bist du noch zu jung für die alte Krankenschwester.“ – „Oh nein,

    Esmé, wies ich sie empört zurecht, „ich meinte die Julia!“

    Take 24

    Benn: She was really a

    Sprecher 2 : Sie war selbst Spätviktorianerin und das war eine Ära in der die Schwächen

    dieser Gesellschaft stark zu Tage traten, auch in ihrer ausgeprägten

    Selbstgefälligkeit. Das hat sie messerscharf erkannt und sehr amüsant und

    gekonnt persifliert. Sie war in ihren Darstellungen im Film und auf der Bühne

    sehr authentisch. Da gab es immer sehr viel von Margaret selbst zu sehen.

    O Ton 2

    Rutherford: Interview-Rutherford (ca. 20´´) (sie erzählt wie viel sie von sich in eine Rolle

    gibt)

    Zitatorin: Wenn ich mich irgendwo in einer Rolle entdecke, bringe ich mich sofort darin

    ein. Das ist ja das Wunderbare daran, Schauspielerin zu sein, dass man vor sich

    selbst flüchten kann und sich in eine andere Person verwandelt.

  • 15

    Autorin: Nach zahlreichen kleinen Nebenrollen, meldet sich auch der Film bei Margaret

    und sie erhält nach dem Krieg die ersten größeren Rollen auf der Leinwand.

    Eine Umstellung für die resolute Lady mit dem überschäumenden

    Bühnentemperament.

    Take 25

    Damaris: Blithe Spirit must been the first film she'd done.

    Sprecherin 2: Die Geisterkomödie von Noel Coward war ihre erste große Filmrolle und sie

    musste auf die Kamera zugehen und man rief “action!” Margaret schoss an der

    Kamera vorbei und rannte ins Gebüsch, sozusagen. Schließlich mussten sie

    eine Kordel an ihr befestigen, wie bei einem Pferd, damit sie nicht durchging.

    Das einmalige an ihr war, dass sie zwar für eine Rolle körperlich unpassend

    sein konnte, aber ihre geistige Durchdringung der Rolle machte sie komplett

    glaubwürdig und man nahm ihr alles ab.

    Take 26

    Rödder: Die Presse ist nicht zimperlich mit ihr umgegangen: Kinn wie ein Luftsack (...)

    Zähne wie Klaviertasten. Trotz dieses Körperbaus diese Agilität, die sie an den

    Tag legt in diesen Marple Filmen, das ist enorm. Wie sie tanzt, wie sie fechtet

    (...) es ist einfach genial mit diesem voluminösen Körper. (...) Diese Mimik, die

    sie drauf hat. (...) Schon damals hat sie diese Mundbewegungen, die sind

    einfach da. Die hat sie nie abgelegt und das ist es, was sie ausmacht. Ein

    Regisseur hat gesagt: Man muss die Rutherford spielen lassen, man muß nur

    einen Kameramann haben, der schnell genug ist, ihre hektischen Bewegungen

    einzufangen. Das zeichnet die Rutherford aus.

    MUSIK: Miss Marple Thema drunter

    Zitatorin:

    Rutherford: Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, bin ich ein wenig betrübt darüber,

    dass ich immer die exzentrischen Rollen spielte. Ich hätte so gern das starke

    Zeug gespielt. Aber bei Exzentrikern hat man mehr Freiheit. Sie sind immer

  • 16

    ehrlich und unverstellt und besitzen ihr eigenes Maß an Verrücktheit. Sie

    werden am Ende unserer Tage die eigentlichen Heiligen sein.

    Take 27

    Damaris: (...) enormous crocodile handbag

    Sprecherin:2 Immer suchte sie etwas in ihrer riesigen Krokodilledertasche und ich hab mich

    vor Lachen nicht mehr eingekriegt, als sie im Film, „Die VIP´s in einer

    Handtasche von abnormen Dimensionen fast verschwand. Ein wunderbarer

    Film.

    Autorin: Dafür erhielt sie 1963 den Oskar für die beste Nebenrolle. Hauptdarsteller

    waren damals Elisabeth Taylor und Richard Burton.

    Take 28

    Damaris: And quite right too.

    Sprecherin 2: Und der Oskar war hochverdient. Sie schlief manchmal in Hollywood im

    Studio und man fragte sie, ob sie irgendetwas Besonderes wollte. Sie erbat sich

    ganz bescheiden einen kleinen Campingkocher, damit sie sich ihre Eier mit

    Speck darauf zubereiten konnte, ohne die sie nicht leben konnte. Das haben sie

    ihr dann gern gebracht und ihr gesagt, was für ein Unterschied sie zu Elizabeth

    Taylor sei, die darauf bestanden hatte, ihre riesen Garderoben Suite komplett

    fliederfarben streichen zu lassen und alles Mögliche wollte. Die Aufnahmen

    waren endlos, da Taylor immer erst kurz vor Abend aus ihrer Garderobe

    auftauchte. Margarets Timing war unglaublich. Ich konnte das oft auf der

    Bühne beobachten. Sie konnte einen Lacher sofort töten, wenn er zu früh kam

    und sie bekam ihn genau dann, wenn sie ihn wollte. Wunderbar.

    Take 29

    Merriman: Incredibly tolerant and did lots of charity work

    Sprecher 1: Margaret war nicht nur sehr tolerant, sie engagierte sich auch immer karitativ

    sehr stark. Sie setzte ihren Bekanntheitsgrad durch die Miss Marple Filme

    dafür ein. So besuchte sie zum Beispiel regelmäßig Jungen, die straffällig

  • 17

    geworden waren und las ihnen Gedichte vor. Sie hatte ein großes Herz. Sie

    wusste warum Menschen straffällig wurden, aus welchem familiären

    Hintergrund sie oft stammten. Dafür zeigte sie großes Verständnis. Und

    obwohl sie selbst sehr weit von solchen Umständen entfernt war, begriff sie

    doch die Zusammenhänge.

    Take 30

    Robyns: They had bacon and eggs every night

    Sprecherin 1: Sie aßen ja immer spätnachts. Jede Nacht Eier mit Speck, was damit zu tun

    hatte, dass sie früher erst nach zehn aus dem Theater kamen und Hunger

    hatten. Diese Gewohnheit behielten sie bis zum Schluss bei. Dann erzählte sie

    mir immer etwas. Auch dass sie oft in Jugendgefängnisse ging. Einmal war ich

    mit dabei. Die Jungen durften sich eine berühmte Persönlichkeit zu

    Weihnachten einladen und hatten sich Margaret Rutherford gewünscht. Der

    Gefängnisdirektor wunderte sich noch darüber, wie kommen die Jungs auf sie?

    Ich wunderte mich auch. Und dann sind wir in mein kleines Auto gestiegen,

    was gar nicht so einfach war mit dem Cape und ich weiß nicht was noch alles.

    Schließlich waren wir da und sie ging auf die Bühne auf der ein Flügel stand

    und begrüßte die Jungs. Die mußten alle zu dem besonderen Anlass Krawatten

    tragen. Wenn man jemand ermordet hatte, musste man eine rote Krawatte

    tragen. Sie hatte glaube ich, keinen Schimmer, was das alles mit den Schlipsen

    bedeutete. Jedenfalls wandte sie sich jedem einzelnen zu und fragte ihn, warum

    er hier sei? Und der eine Junge wusste vor Schüchternheit nicht, was er sagen

    sollte. Schließlich stieß er hervor: „Ich habe meinen Vater ermordet!“ Und was

    antwortete sie? „Oh, das war aber wirklich sehr ungezogen von dir!“

    MUSIK: Miss Marple Thema

    Zitatorin:

    Rutherford: Ich weiß noch, ich aß bei Freunden in Sydenham zur Zeit als der erste Miss

    Marple Film in den Kinos lief und wir warteten auf dem Bahnsteig des kleinen

    Orts auf unseren Zug. Da kam eine Gruppe von Schulkindern angerannt. Sie

    waren offenbar gerade aus dem Kino gekommen und da sahen sie mich in

  • 18

    meinem Miss Marple Cape auf dem Bahnsteig. Sie blieben wie angewurzelt

    stehen und aus ihren entsetzten und ungläubigen Gesichtern konnte ich

    erkennen, dass sie dachten, sie sähen ein veritables Gespenst, das kurz darauf

    in einem Zug verschwand.

    Autorin: Die Familie im Leben der Miss M.

    Zitatorin:

    Rutherford: Als ich am Theater ankam, sah ich, wie ein gutaussehender junger Mann es

    gerade verließ. Sofort fielen mir seine klaren blauen Augen, sein eleganter

    ausgesuchter Kleidungsstil auf. Ich konnte einfach meinen Blick nicht von ihm

    wenden. Er musste Schauspieler sein, denn er besaß das gewisse Etwas. Sein

    Name war Stringer Davis und ich konnte nicht ahnen, dass ich ihn fünfzehn

    Jahre später heiraten würde.

    Take 31

    Robyns: Stringer was absolutely incredible

    Sprecherin 1: Stringer war unglaublich, aber er hatte, und ich kann mich gut erinnern, kein

    Gehirn im Kopf. Sie schon und wie. Er war einfach nur nett und sah gut aus,

    war aber als Schauspieler nicht so gesegnet. Ohne sie, wäre er ein Nichts

    gewesen aber sie liebte ihn. Sie vergötterten einander, keine Frage. Jeden

    Nachmittag um punkt halb fünf marschierte Stringer zum Klavier und begann

    zu spielen. Es klang grauenhaft. Margaret saß dabei und rollte mit den Augen

    und irgendwann sagte sie dann plötzlich: „Das reicht jetzt!“

    Take 32

    Merriman: She had written in her contracts

    Sprecher 1: Sie hatte in allen ihren Verträgen eine Klausel, dass Stringer in irgendeiner

    Form im Stück oder Film untergebracht werden musste. Auch damit er in der

    Nähe war, wenn sie sich nicht so gut fühlte. Er war kein sehr guter

    Schauspieler aber der perfekte Butler. Natürlich kursierten Gerüchte ob sie

    jemals Sex miteinander hatten und höchstwahrscheinlich war Stringer schwul,

    er war auch sieben Jahre jünger. Aber sie verliebte sich nicht nur in ihn

  • 19

    sondern in etliche andere hübsche junge Männer mit denen sie dann

    durchbrennen wollte. Einer schwuler als der andere. Total verrückt! Die

    bekannteste Geschichte ihrer unerwiderten Lieben war die des kanadischen

    Pianisten Malcolm Thurpe. Ihn lernte ich kennen und er erzählte mir alles. Er

    war damals, als sich Margaret in ihn verknallte, fast vierzig Jahre jünger als sie.

    Margaret half ihm, nachdem sie sich in einem Park kennengelernt hatten, bei

    allem möglichen, Wohnung, Arbeit, wie es ihre Art war und er merkte nicht,

    dass sie sich in ihn verguckt hatte. Dann schlug sie vor aus heiterem Himmel

    vor, zusammen durchzubrennen und Stringer zu verlassen. Nach Südamerika!

    Thurpe fühlte sich unglaublich schlecht und wusste nicht was er machen solle,

    um ihr nicht weh zu tun. Stringer nahm es sehr gelassen und sagte ihm, „mach

    dir keine Sorgen, Junge, das macht sie öfters. Am besten ist, du verschwindest

    jetzt einfach aus ihrem Leben damit sie sich nicht verletzt fühlt.“ Und das tat er

    dann auch.

    MUSIK Miss Marple Thema

    Take 33

    Damaris: kind, fun ...

    Sprecherin 2: Sie war so warmherzig und mütterlich. Es war eine Art unerfüllter Mutterliebe,

    die sie besaß und die sie auf ihre selbstgewählte Familie übertrug.

    Zitatorin:

    Rutherford: Merkwürdige Begegnungen waren immer Teil meines Lebens. Ich bin dankbar

    dafür. Im Jahre 1959 zum Beispiel trat Prinz Juan von Jordanien in mein

    Leben. Er brachte uns so viel Freude und Glück.

    Take 34

    Merriman: He came to lunch and brought her presents.

    Sprecher1: Er brachte ihr Geschenke, kam zum Essen und sie war von ihm begeistert.

    Irgendwann mussten sie die Verabredung mit ihm kurzfristig absagen und

    riefen die jordanische Botschaft an. Dort teilte man ihnen knapp mit, dass es

    einen Menschen dieses Namens nicht gäbe. Als er dann das nächste Mal bei

  • 20

    ihnen erschien, sprachen sie ihn darauf an und er gab zu, dass er ein

    Antiquitätenhändler aus der Portobello Road war. Aber statt darüber enttäuscht

    zu sein oder sich hintergangen zu fühlen, sagte sie:

    Zitatorin:

    Rutherford: Wieso sollten wir ihm böse sein? Er hat den Märchenprinzen so wunderbar

    gespielt, dass wir gern mitgespielt haben und uns keine Fragen stellten. Er hat

    uns auf seinem fliegenden Teppich in ferne Länder, von denen wir nichts

    wussten, mitgenommen und als echter Prinz hätte er sich nicht mehr als

    Gentleman benehmen können wie Prinz Juan.

    Take 35:

    Merriman: Another hanger on was Dawn

    Sprecher 1: Ein anderer dieser Blutegel, die an ihr klebten, war Dawn, die einmal Gordon

    geheißen hatte. Dawn erzählte jedem, dass Margaret sie adoptiert habe. Nie auf

    dem Papier, aber sie sprach immer von den beiden als Mutter und Vater. Ich

    glaube, sie hatten schon eine enge Freundschaft, aber Dawns Leben war eine

    komplette Fantasie. Sie schrieb in ihrer Autobiografie, dass sie über Nacht zur

    Frau geworden war. Natürlich hatte sie eine Geschlechtsumwandlung gehabt.

    Das alles wusste Rutherford nicht, aber wenn sie es gewusst hätte, hätte es ihr

    auch nichts ausgemacht.

    Take 36

    Damaris: Everyone (...) took advantage of her.

    Sprecherin 2: Jeder nutzte sie aus. Ich war eine der wenigen, die das nicht tat. John Carroll,

    der in den letzten Jahren ihre Poesielesungen arrangierte und bei ihnen lebte,

    war auch so ein Schwamm. Der lamentierte immer, ach ich hab kein Geld und

    bin so arm dran. Sofort schickte sie ihm riesige Präsentkörbe mit ausgesuchten

    Leckereien aus dem teuersten Laden Londons.

    Take 37

  • 21

    Rödder: Was bedauerlich ist (...), dass ihre Freunde, sobald sie wieder klamm war und

    das war ja auch sehr häufig, waren diese Freunde auf einmal nicht mehr da. (...)

    Sobald wieder Geld da war und sie wieder ihre berühmten Teeparties

    schmeißen konnte, dann waren auch die Freunde wieder da.

    Take 38

    Robyns: They were both prey for anybody.

    Sprecherin 1: Sie waren eine leichte Beute. Weil beide so gutgläubig, so großzügig und so

    warmherzig waren.

    Autorin: Zweimal, Ende der sechziger Jahre, stürzt Margaret und bricht sich die Hüfte.

    Sie braucht einen Rollstuhl. Stringer und sie müssen, weil sie keine Treppen

    mehr steigen kann, noch einmal umziehen. In den letzten Monaten fällt sie

    nicht nur in eine tiefe Depression aus der sie sich nicht mehr befreien kann,

    auch eine Altersdemenz entwickelt sich rasch bei ihr. Sie stirbt am 22. Mai

    1972.

    Take 38a

    Damaris: By this time she had the electric shock treatments

    Sprecherin 2: Das Traurige war ja, nach so vielen Elektroschocks gegen Ende ihres Lebens

    konnte sie sich auch nicht mehr daran erinnern, dass sie einmal immens

    erfolgreich und auch sehr glücklich gewesen war. Sie bekam ja immer noch

    viel Fanpost hauptsächlich wegen der Marple Filme.

    Take 38

    Robyns: Her total innocence

    Sprecherin 1: Sie war die Unschuld in Person. So werde ich sie immer in Erinnerung haben.

    Sie war nicht dumm, aber sie vertraute immer jedem. Selbst nach Margarets

    Tod, da war auf einmal diese furchtbare Person Violet Davis da, die ihnen

    zeitweise den Haushalt führte. Schon bei der Beerdigung wollte die an der

    Seite Stringer Davis vorne sitzen. Da bin ich dazwischen gegangen und habe

  • 22

    ihr ins Gesicht gesagt: „Es tut mir leid, aber da ist nicht Ihr Platz!“ Kurz darauf

    gingen beide zu einem Pfarrer, um ihre Hochzeit zu besprechen.

    Autorin: Dazu kommt es jedoch nicht mehr. Ein knappes Jahr nach Margarets Tod stirbt

    auch Stringer, sanft im Schlaf. Violet Davis plündert daraufhin alles im Haus,

    was nicht niet - und nagelfest ist: Den Oskar, wertvolle Erinnerungstücke und

    Auszeichnungen verschwinden mit der bösen Haushälterin wie in einem Krimi

    von Agatha Christie. So gut wie nichts davon ist bis heute wieder aufgetaucht.

    Die vielen Briefe von berühmten Menschen an Margaret von Chaplin über

    Brando bis zur Queen, die die begeisterte Monarchistin Margaret 1967 ür ihre

    Verdienste in den Ritterstand hob, werden von „Tochter“ Dawn entführt und

    nach Amerika gebracht. Sie lagern heute, nach Dawns Tod, zum Teil in den

    Archiven einer Universität der Vereinigten Staaten. Doch noch ist das bizarre

    Leben der Miss M nicht zu Ende erzählt. Es fehlt noch das letzte Puzzleteil in

    ihrem Leben.

    Zitatorin

    Rutherford: „Sind Sie exzentrisch?“ fragten mich immer alle in der amerikanischen Presse.

    Welch eine niedliche Frage. Ich habe dann immer geantwortet, ich halte mich

    für eine Individualistin. Exzentrik ist meines Erachtens nur eine Steigerung

    davon.

    Autorin: War sie exzentrisch ?

    Take 39

    Robyns: totally eccentric

    Sprecherin 1: Unglaublich exzentrisch, aber auf sehr intelligente Weise. Sie wusste immer,

    was sie tat. Ein höchst ungewöhnlicher Charakter. Ja, das genau war sie.

    MUSIK: Miss Marple Thema

    Take 40:

    Robyns: One day it was November

  • 23

    Sprecherin 1: Es war einmal im November. Es war bitterkalt und sie wollte unbedingt

    schwimmen. Das liebte sie ja, lange Spaziergänge und Schwimmen zu jeder

    Jahreszeit. Ich telefonierte also herum, wo das überhaupt noch ginge und fand

    tatsächlich ein Schwimmbad in der Nähe, das nur wegen Margarets Wunsch

    heute öffnen würde. Wir also hin. Als wir ankamen merkten wir dass wir den

    Badeanzug für sie vergessen hatten. Man brachte ihr einen, fünf Größen zu

    klein. Sie rollte sich hinein und überall fiel etwas von ihr heraus. Damit hatte

    sie aber nichts am Hut. Wir also rein und es war eiskalt. Sie schwamm in die

    Mitte und plötzlich verschwand sie. Ich konnte sie grad noch erreichen, mit den

    Titelseiten der Presse im Kopf : „Margaret Rutherford ertrinkt im öffentlichen

    Schwimmbad im November!“ Ich war gottlob Rettungsschwimmerin und

    brachte sie an die Seite. Mit der Hilfe von den Männern, die da waren, hievten

    wir sie wie einen Wal aufs Trockene. Sie schien leblos, gestrandet. Stringer

    sprang nutzlos umher. Oh Gott, dachte ich, sie ist tot. Alle starrten hilflos. Auf

    einmal schlug sie ihre Augen auf und sagte „Wie erfrischend Darlings!“ Ist das

    nicht süß?

    Take 40a

    Damaris: Yes she was eccentric. The eccentric reckons...

    Sprecherin 2: Der Exzentriker glaubt, dass das was er tut oder denkt, das einzig mögliche ist.

    Die Tatsache, dass er sich nicht wie der Rest der Welt verhält, ist eindeutig

    Pech für den Rest der Welt.

    Take 41

    Merriman: When they did go to Hollywood

    Sprecher 1: Im Hollywoodstudio kamen sie immer mit einem unglaublichen Wust an

    Decken, Kissen, Wärmflaschen, Teekannen und Teedosen an, es dauerte jeden

    Tag fast eine halbe Stunde, bis alles im Auto verstaut war, das sie abholte.

    Auch ihre Kleidung war sehr speziell, könnte man sagen. Die beiden waren die

    quintessentiellen Engländer. Von nirgendwo sonst auf dieser Welt hätten sie

    stammen können.

  • 24

    Zitatorin

    Rutherford: Wenn ich die Wahl gehabt hätte, dann hätte ich gern wie Jane Russell

    ausgesehen. Sie ist elementar und wild. Das liebe ich. Also ein ganz kleines

    bisschen habe ich ja auch davon. „Gemein, lasziv und wunderbar“ das sagte

    man von ihr. Genau.

    Take 42

    Rödder: Sie ist schon ziemlich britisch. (...) Sie hat das gewisse Etwas, was man bei

    deutschen Schauspielerinnen ziemlich vermisst, diese Verquickung (...)

    exzentrisch zu sein, liebevoll zu sein, resolut zu sein.

    Autorin: Wir hatten zur selben Zeit in Deutschland auch unverwechselbare große

    Schauspielerinnen wie Tilla Durieux, Therese Giese und AgnesWindeck, die

    beim ersten Miss Marple Film Rutherford ihre deutsche Stimme lieh. Doch

    Miss Marple alias Margaret Rutherford ist auch vierzig Jahre nach ihrem Tod

    bei uns wie auf der ganzen Welt, so lebendig wie in den frühen sechziger

    Jahren als die vier Miss Marple Filme gedreht wurden.

    Take 43

    Damaris: We went to Belfast.

    Sprecherin 2: Der Gouverneur von Nordirland hatte unsere ganze Truppe bei einem Gastspiel

    auf seine Gartenparty eingeladen und Margaret erschien in einem Chiffon

    Blumenkleid, komplett mit rosa Sandalen die mit blauen Blumen bestickt

    waren und einem großen Hut mit rosa und blauen Blumen. Darüber trug sie ein

    gelbes Cape, das wiederum übersät mit bestickten Blumen und

    Schmetterlingen war. Die Schmetterlinge hingen zur Hälfte frei in der Luft und

    flatterten ein wenig, wenn sie sich bewegte. Dieses Outfit überstieg alles

    Vorstellbare. Aber genau das gefiel ihr und so kannte und liebte sie auch ihr

    Publikum. Stringer nahm mich beiseite und flüsterte mir ins Ohr: „Meine Frau

    hat heute wieder so viel Glamour.“ Und irgendwie hatte sie den auch. Wer

    glamourös ist, bei dem bleibt man stehen und staunt. Und das war bei Margaret

    Rutherford der Fall.

  • 25

    MUSIK: Miss Marple Thema

    Zitatorin:

    Rutherford: Ich habe in vielen meiner Charakteren, die ich in meinem Leben spielen

    durfte, eine tiefe Einsamkeit gespürt. Eine Einsamkeit, die zu einer Art

    Rückzug von der Welt geführt hat. Und genau das habe ich immer verstanden.

    ABSAGE

    ENDE