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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Literatur Boombastic Lyrikwunderland Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic auf Tournee Von Almut Schnerring und Sascha Verlan Sendung: Dienstag, 9. Dezember 2014 Redaktion: Stephan Krass Regie: Wort- und Klangküche Produktion: SWR 2014 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Literatur können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/literatur.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Literatur Boombastic Lyrikwunderland Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic auf Tournee

Von Almut Schnerring und Sascha Verlan

Sendung: Dienstag, 9. Dezember 2014

Redaktion: Stephan Krass

Regie: Wort- und Klangküche

Produktion: SWR 2014

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Service: SWR2 Literatur können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/literatur.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Literatur sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030

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Einspieler 1 (Dalibor Markovic): Wer A sagt, muss auch B … C … … iehungsweise darf auch machen, was er will. Einspieler 2 (Nora Gomringer): Ich mache jetzt etwas mit der Sprache Werde jetzt etwas ganz Bestimmtes, Besonderes mit der Sprache machen Da werden Sie staunen Ich werde etwas ganz Erstaunliches machen mit der Sprache. Einspieler 3 (Bas Böttcher): Ich bau verkuppelte, gekoppelte, angedockte und verdoppelte Worte Menschen … Traube Daumen … Schraube, Lach … Wurst Wissens … Durst Einspieler 4 (Nora Gomringer): Auch wenn Sie nicht staunen wollen, weil abgeklärt und aufgeklärt und alles So wird es doch ganz erstaunlich und unerwartet, ja unvorhersehbar sein Einspieler 5 (Dalibor Markovic): Human Beatbox; in den Rhythmus eingeflochten der Satz: Vielleicht präsentiere ich gleich … ein Atemgedicht: Sprecherin: Boombastic Lyrikwunderland. 20 Jahre Poetry Slam mit Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic. Eine Sendung von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Einspieler 6 (Bas Böttcher): Herzlich willkommen zum 'Boombastic Lyrikwunderland'. Sie hörten in der Reihenfolge der Auftritte: Dalibor Markovic, Nora Gomringer, und ich heiße Bas Böttcher. Dass dieses Programm den Namen Boombastic trägt, hat nichts mit dem Vornamen Bas zu tun, das ist reiner Zufall, wir konnten das Programm nicht

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LyrikpaNORAma nennen oder … bei Dalibor wird 's noch schwieriger … lachen …

was mit irgendwie SkanDALIBORdeli oder so, aber das hat mit uns ja überhaupt nichts zu tun und außerdem gibt 's das gar nicht. Musik: Dream Warriors – My Definition of a Boombastic Jazz Style O-Ton 1 (Bas Böttcher): Ja, ich mein, der Bezug ist klar, es gibt dieses Lied 'Definition of a Boombastic Jazz Style', was ja auch im Grunde eigentlich 'n Remix nur ist, also da haben wir uns angelehnt und da steckt dieses Definition drin, aber auf spielerische Weise. Musik: Quincy Jones – Soul Bossa Nova Sprecherin: 1994, vor 20 Jahren veranstalteten Priscilla Be und Rik Maverik im Ex'n Pop in Berlin den ersten Poetry Slam in Deutschland. Bald darauf, 1997 fand dann der erste National Poetry Slam statt, die erste deutsche Meisterschaft der Spoken Word-Poeten, ebenfalls in Berlin. Gewonnen hat damals Bas Böttcher mit seinem Rap-Gedicht 'Sommersonne': Einspieler 7 (Bas Böttcher): Jedes Jahr so im Juni, Juli summen Unsummen von Hummeln in der Luft rum Ich seh, wie sie über Liegewiesen fliegen oder über Gras rasen In den grünen Oasen der Stadt spazier ich ziellos los Ich kicke die kleinen Steine weg vom Schotterweg ins Moos Und wirble dabei haufenweise Staub auf, ich bin wie im Urlaub drauf Wie in Havanna, wo 's so warm war Bei grad' mal 20 Grad gerat ich so richtig in die Abfahrt Ich mach den Start mit mei'm Klapprad klar Erst flick ich ein paar Platten, wie n DJ für die Raver dann flanier' ich in 'nem Meer von Flair und Flieder Flavour Da laufen Frauen mit tiptop Tops wie im Videoclip

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Lippen wie bei Divas, die was Nasses naschen Coca Cola oder irgend so'n Soda. Als Erfrischung Aber kühl. Fürs Sommer Sonnengefühl! Sprecherin: Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic nehmen nun das 20-jährige Jubiläum zum Anlass, ihre Definition von Spoken Word und Slam Poetry auf die Bühne zu bringen. O-Ton 2 (Bas Böttcher): Es gibt ja andere Künstlergruppen und literarische Gruppen, die dann anfangen, Manifeste zu schreiben und sagen: okay, wir wollen uns diesen Regeln unterwerfen, und das ist unsere Kunst … so wird es bei Poetry Slam nie funktionieren, weil Poetry Slam immer davon lebt, dass neue Stimmen hinzukommen und immer mal wieder neue Ideen und Stile aufkommen. Und trotzdem haben wir überlegt, dass wir eben, wenn wir so 'n Manifest nicht machen, dann vielleicht 'ne Positionierung wollen, das kann man eben durch so 'n Auftritt machen, dass man im Dreierpack auf Tournee geht und sagt: okay, ihr könnt beim Poetry Slam das machen, was ihr wollt, es ist eine offene Bühne, wir machen das hier, hört 's euch an: Einspieler 8 (Nora Gomringer): Vielleicht wollen Sie Gott oder Ihre Eltern anrufen So etwas Erstaunliches mit der Sprache, was ich jetzt vorhabe mit der Sprache Das wird ganz unerhört sein, was ich jetzt mache mit der Sprache, dieses Etwas Erstaunlich wird es Ihnen vorkommen, für Ihre Sinne fast unverständlich Diese Sprache, meine Sprache, ihr Effekt Was sie auslösen wird Ich werde Ihnen etwas vormachen mit Ihrer Sprache Ihrer durch und durch bekannten Sprache etwas abringen Einspieler 9 (Bas Böttcher): So wird aus Ober plus Affe … Direktor Und Katzen werden durch Augen … Reflektor Es wird Fuchs durch Schwanz eine Säge

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Und Tiger wird durch Balm eine Creme Es wird aus Vater durch Unser … Gebet Und Sonnen werden durch Bank … ein Gerät Es wird Brenner plus Pass eine Straße Und Vogel wird durch Frei eine Strafe Es wird das As durch das Best noch was Schlechtes Einspieler 10 (Dalibor Markovic): Beats und Sätze ineinander verflochten: Du bist in diesem Leben erwiesener Maßen das Was ich suche und Hoffe, die fiesen Worte verziehen Zu bekommen Das fänd ich super gut Natürlich weiß ich Dass es nicht leicht ist Aber bitte gibt mir Eine letzte Chance nur eine letzte Wir sind vielleicht wie Nur so zum Beispiel So verwoben wie Diese Beats und Sätze Darum lass mich erklären:

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Warum fällt 's mir nur so schwer Dir ins Gesicht zu sagen Wie sehr ich dich mag Sprecherin: Kein Manifest also, sondern der Auftritt selbst ist die Positionierung, wie Bas Böttcher sagte: die 'definition of a boombastic Lyrikwunderland'. O-Ton 3 (Gespräch): N: Wow, das hast Du gesagt! B: Na, der Auftritt ist halt die Positionierung. Und auch die Art und Weise, wo der Auftritt stattfindet. Die Tournee wird ja ganz absichtlich nicht nur in Clubs und Bars stattfinden, sondern wir gehen ja in Literaturhäuser, in Bereiche, wo Slam bisher noch nicht stattgefunden hat. Und gerade da ist 'ne Positionierung was anderes, als wenn du das halt als Clubtour anbietest. Und dann im 20. Jahr. Ich finde das passt halt sehr gut. N: Wobei ich denke, wir sind natürlich für viele Häuser und Einrichtungen so eine Art Feigenblatt. Also ewig Slam ignoriert und jetzt lädt man sich mal so ein verbrieftes Programm ein. Die Drei stehen für irgendwas, wir haben eine Reputation, es gibt Bücher zu erwerben. Also das könnte man jetzt mit so einer Truppe von nicht veröffentlichten Autoren gar nicht so zusammenkriegen, glaube ich. Sprecherin: Die eigentliche 'Boombastic Lyrikwunderland'-Tour startet im Februar 2015. Die – gewissermaßen – Vorpremiere fand zum Abschluss der Karlsruher Literaturtage statt, am 8. Oktober 2014 vor gut 300 Poesiebegeisterten. Musik: Dream Warriors – My Definition of a Boombastic Jazz Style Sprecherin: Bas Böttcher kam von Peking aus nach Karlsruhe angereist: O-Ton 4 (Bas Böttcher): Also der Auftritt in Peking war zum Beispiel so, dass, ein Stück von mir, das heißt: Blumenblüten … man hat euch verkohlt, man hat euch verraten und verkauft. Man druckt euch auf geschmacklose Tapeten und kleistert euch zu. Man druckt euch auf

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Klopapier und man bildet euch aus Plastik nach und schießt dann auf Jahrmärkten drauf … Und dann hat mir nachher jemand gesagt, dass es von Mao damals so 'ne Initiative gab, also lasst hundert Blumen blühen. Und das war so 'ne Initiative, wo dann verschiedene Meinungen zugelassen werden sollten. Und plötzlich dann so 'n Text, der dann in 'nem chinesischen Kontext plötzlich ganz andere Assoziationen weckt. Sprecherin: Ein zweiter Auftritt hätte eigentlich in Hongkong stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der Studentenaufstände kurzfristig abgesagt. O-Ton 5 (Bas Böttcher): Wir haben uns in Hongkong frei bewegt. Und das war tatsächlich so, dass natürlich vieles, was eigentlich vor der Haustür stattfand, doch nur über den Bildschirm und übers Fernsehen so zugänglich war, weil das auch sich so schnell von einem Ort an den andern bewegt hat und die Proteste halt irgendwie von unserer Seite her auch nicht nachvollziehbar waren. Das ist ja alles so 'ne, auch 'ne Geschichte für Insider und die haben dann halt auch sicherlich ihren Funk und ihre Verteiler und können sich organisieren, aber als Außenstehender kriegst du das dann selbst nur über die Medien mit. Sprecherin: Nora Gomringer hatte den Monat davor in Helsinki verbracht, als Stadtschreiberin: O-Ton 6 (Nora Gomringer): Die Lyrik, und das ist ja das faszinierendste, die hat mich doch wirklich in den letzten Jahren immer wieder mit Tickets ausgestattet, und dann stehst du in so 'ner Schlange, kuckst auf das Ticket, weißt, du musst jetzt in so 'n Flugzeug steigen und kommst dann irgendwo raus in Atlanta und da sollste dann was lesen, aha. Das ist schon faszinierend. Und dass mir das beschieden ist, das macht mich sehr demütig und immer wieder doch auch wirklich stolz, dass das funktioniert. Sprecherin: Peking, Helsinki … und Dalibor Markovic kam direkt aus seiner Heimatstadt, aus Frankfurt: O-Ton 7 (Dalibor Markovic): International war dieses Jahr überhaupt nichts, was auch sehr gut ist, ich hatte nämlich 'ne Notlandung letztes Jahr. Sollte eigentlich zu 'nem Auftritt nach Madrid, aber leider hat das linke Triebwerk Feuer gefangen direkt nach dem Start. Es ist nichts passiert, es war aber ziemlich grausam, also wir wussten natürlich nicht, dass nichts passieren wird in dem Moment. Also wir waren vielleicht fünf Minuten in der Luft, der Pilot hat umgedreht und ist dann auf der Startbahn wieder gelandet und wie gesagt, es ist im Prinzip nichts passiert, aber diese fünf Minuten lang wussten wir das

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natürlich nicht, und ich hatte da schon abgeschlossen eigentlich, also wenn man da so mit dem Kopf zwischen den Knien so nach unten segelt, weil er hatte das Flugzeug auch ausgemacht, also es war absolut mucksmäuschenstill, das ist ja auch eher selten im Flugzeug, deswegen mit so Fliegen hab ich jetzt eh nicht so viel am Hut momentan. Sprecherin: Als sich die Drei zum Abschlusstag der Karlsruher Literaturtage am späten Nachmittag treffen, ist von Positionierung und Manifest allerdings noch wenig zu spüren. Sie alle haben dicke Textbücher dabei und jede Menge Stoff für den Vortrag, aber wie das am Ende alles zusammen passen, eine Einheit bilden soll, ist längst noch nicht ausgemacht. O-Ton 8 (Gespräch): B: Es ist schon konsequent, wenn wir … N: … ja … B: … den Begrüßungstext eigentlich quasi aus dem Unerkannten heraus abliefern. N: Ja, das stimmt. B: Also Dalibor steigt direkt ein. Dann Nora … N: … genau, ich ohne … B: … dann komm ich kommentarlos mit 'nem Text auf die Bühne, sag die Begrüßung und ihr würdet abtreten, und bleib dann direkt bei meinem ersten Block. N: Genau, das ist doch gut. D: Aber wir treten gemeinsam auf zu dritt. Also es ist nicht so, dass wir nacheinander rauf gehen … B: Genau. D:

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… sondern wir gehen zu dritt drauf, kommentarlos, ich fang an, zack bum fertig, dann du, zack bum fertig, dann du kommentarlos, zack bum fertig, begrüßt die Leute, wir ziehen uns zurück. Einspieler 11 (Dalibor Markovic & Nora Gomringer): Dalibor - ABC Wer A sagt, muss auch B … C … … iehungsweise darf auch machen, was er will Signiere Gesagtes mit D. E Eff mich nach und ich Geh nach Hause lachen, aber still Ha, ha, du IdiJot, du bist so Ka, ka Dir fehlt das EleMeNtare, oh Deine Ziele sind PeQunär Doch diese Art-Form ist keine wahre Norm Setz dich hin, nimm ein Heißgetränk ReSpektive Tee aus Marokko Wir haben Differenzen, klar, ich fahr U-Bahn, du einen VW-Scirocco Leg mir X Steine in den Weg und ich hYpsilongline einfach drüber Sag mir, wenn du fertig bist, denn Dir zuhören macht mich immer müder Zet - t- t – t - Zet - t - t - t Nora Gomringer – Ursprungsalphabet Ich bin Ariadne, die dem Faden, dem roten, dem wollenen folgt Ich bin Briseis, die Achilles diente, bin Calypso und singe für Odysseus Und hoffe, dass er mich nicht verlässt Ich bin Diana mit dem Silberbogen, Silberpfeil, die Mondzicke Ich bin ein guter Maler und heiße Hitler I am Ferlinghetti crying over Allen, crying over Allen hoooowling over Allen Ich bin Guanin, der DNA Bauer, der Knecht

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Ich bin Hadrian und baue eine Mauer mir zu Ehren, dem Reich zur Wehr Ich bin Ich auf Freuds Couch Ich bin Jonas im Walbauch mit unendlichem Vertrauen Ich bin Kassandra, die ständig spricht, doch keiner hört Ich bin die Laaaaaaaaangsaaaaaaaaaaaamkeit O-Ton 9 (Gespräch): D: Hey, lief gut, oder? N: Jaa, ist angenehm, finde, da wurden auch, ich hab ja schon gesagt, es sind Lehrer im Publikum. D: Aha. N: Ich kann das immer eruieren an bestimmten Stellen im 'Ursprungsalphabet' und dann an anderen Stellen, dann weiß ich immer, ah, Bezügekenner … lacht … das müssen

Lehrer sein … D: Das muss ich mir notieren. N: Es muss sich hier um Lehrer handeln. B: Ne, aber das Gute ist, man sieht das Publikum, die Scheinwerfer blenden nicht zu sehr. N: Was? Ich seh niemanden. D: Ich seh niemand. N: Weil ich so klein bin, ach so, Entschuldigung. B: Also ich hab schon den Eindruck, du siehst 'n paar, so die Reihen und kannst so …

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N: Nee D: Ich fand 's 'n gutes Gefühl. Einspieler 12 (Nora Gomringer): Nora Gomringer – Ursprungsalphabet II Ich bin die Langsamkeit, mit der ich vergesse und an die ich anschließe Medea, die deiner Geliebten eine Kleid näht, den Kindern die Köpfe verdreht Ich bin Nora, der du ein Puppenhaus baust Ich bin Ochsenfrosch, denn das ist die Liebe zwischen Frida und Diego Ich bin Proteus, denn ich will allen gefallen und hüte die Robben am Strand Ich bin die Qual des Laokoon ebendort, wo die Wellen brachen Ich bin Rilkes Panther-Tierpfleger Sybille, Sybilla, Cybil – who cares, I speak in riddles Ich bin Ton aus Erde, aus Sediment, aus Stein, aus dem Adam entstand D-uuuuu bist der Hauch und unsinkbar Ich bin Verlorenes am Wegrand, ein Stein, den einer lange mitgetragen hat Ich bin Warten auf den Läufer aus Marathon, dem Fenchelfeld Ich bin X-Men, Ahnen der Tafelrunde Ich bin zynisch, Baby, yeah, zynisch Ich binz-z-z-z-z-z-z-z-z-z-z Sprecherin: Nach einer ersten Vorstellungsrunde tritt Bas Böttcher auf die Bühne. Er hat die Organisation der Tour übernommen und ist für die Kommunikation mit den Veranstaltungsorten und den Medien zuständig. O-Ton 10 (Bas Böttcher): Und ich glaube, das ist 'ne Sache, die vielleicht bisher gefehlt hat, weil das immer noch so als Gemischtwarenladen angesehen wird, und jeder meint, den Poetry Slam

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zu kennen, und jeder meint, sich 'n Urteil bilden zu können, was halt bei so 'ner heterogenen Geschichte eigentlich überhaupt nicht möglich ist. Und wir sagen: okay, das ist unsere Positionierung. Und ich bin froh, dass wir jetzt da diese Tournee haben, und es ist ja wunderbar aufgenommen worden von vielen Literaturhäusern, also wir sind in Hamburg im Literaturhaus, in Zürich im Literaturhaus, in Salzburg, in Graz, in Rostock und noch in Düsseldorf im Zakk, und das ist eigentlich 'ne Wahnsinnschance, unsere Definition einfach so durch 's Land und durch die Länder zu tragen. Einspieler 13 (Bas Böttcher): Bas Böttcher – Die Macht der Sprache Die Macht der Sprache: Und lerne ich eine Sprache neu kennen, dann lehrt mich die Sprache, mich neu zu kennen Das macht die Sprache – die Macht der Sprache. Und glaube ich, ich beherrsche meine Sprache, beherrscht womöglich meine Sprache mich. Das macht die Sprache – die Macht der Sprache. Und denke ich, ich spiele mit meiner Sprache, dann spielt noch viel mehr meine Sprache mit mir. Das macht die Sprache – die Macht der Sprache. Und erweitert der Mensch seine sprachlichen Möglichkeiten, dann erweitert die Sprache die menschlichen Möglichkeiten. Das macht die Sprache – die Macht der Sprache. Und wenn ich meine Sprache verkommen lasse, dann lässt am Ende meine Sprache mich verkommen. Das macht die Sprache – die Macht der Sprache. Und liebe ich meine Sprache, dann liebt ganz sicherlich die Sprache mich. Das macht die Sprache – die Macht der Sprache.

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Und wenn ich denke, ich spreche jetzt hier – in diesem Text – über die Sprache, dann spricht die Sprache eigentlich viel mehr noch über mich. Das macht die Sprache – ich kenn die doch! Sprecherin: Bas Böttcher hat als Rapper angefangen, 1993 an der Seite seines Beatproduzenten Loris Negro in Bremen. Zentrifugal hieß die Band. Doch schon vor der ersten Plattenveröffentlichung sorgte Bas Böttcher in der Poetry Slam-Szene für Furore. Er gewann den Spoken Word-Wettbewerb der Literaturwerkstatt und wurde 1995 von Bob Holman und Miguel Algarin eingeladen zum Deutsch Nuyorican Poets Festival ins legendäre Nuyorican Poets Café. Musik: Zentrifugal – Poesiealbum, Intro aus dem Nuyorican Poets Café

am anfang war der funk, ihm verdank ich für

eloquente stereomonologe den basslauf

schlag mein poesiealbum auf und ich hab auf-

schlagvorteil, vorschlag, ich spiel mit dem satz und sieg

ich hab richtige gedichte im raprepertoire

sowie pulsierende poesie für sie Sprecherin: Anderen Poetinnen und Dichtern eine Bühne zu bereiten, ohne selbst dabei zu verblassen, das ist das große Talent von Bas Böttcher. Er ist für das Goethe-Institut seit Jahren in der ganzen Welt unterwegs als Botschafter für die deutsche Sprache und Dichtung. Und er hat gemeinsam mit dem Stuttgarter Sprechdichter Timo Brunke die Textbox entwickelt, ein Präsentationsformat für Lyrik in lauten Räumen, auf Buchmessen zum Beispiel.

O-Ton 11 (Bas Böttcher): Wir sind auf der Buchmesse gemeinsam aufgetreten und haben festgestellt, dass uns das viel zu leicht flüchtig ist und viel zu unaufmerksam, um solche Textkombinationen vorzustellen, weil ja viel Laufpublikum ist, es gibt viele Nebengeräusche, man ist abgelenkt, man hat das Handy am linken Ohr und kuckt links und rechts zur Seite. Dann war die Idee, man bräuchte im Grunde so eine Art Präzisionsinstrument, also eine Bühne mit Konzentrationsfaktor. Das heißt, wir wollten so eine kompakte Bühne schaffen und auf der Buchmesse unsere Texte

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präsentieren. Dann haben wir gemeinsam eben auch aus dieser Studioerfahrung gedacht, okay, wir müssen eine Art Sprecherkabine schaffen, eine Gesangskabine, wo dann Kopfhörer draußen hängen wie im Tonstudio in den Regieräumen. Wir haben das ganze Textbox genannt. Und diese Textbox ist eben ein portabler Messestand, ist nach außen hin abgeschlossen. Man kann also nur durch die Scheibe schauen, die Poeten beim Auftritt sehen, man hört aber nichts, außer eben in dem Moment, wo man den Kopfhörer aufsetzt. Sprecherin: Die Textbox wurde ein großer Erfolg, sie stand auf der Buchmesse in Peking, im Centre Pompidou in Paris, in Madrid, Bangkok, in der Neuen Nationalgalerie, Berlin. O-Ton 12 (Bas Böttcher): Es war uns auch ganz wichtig, dass wir diese Absurdität zeigen, also dass Poeten sich jetzt schon hinter Glas vorstellen und dass sie quasi wie Tiere im Zoo sich auf der Buchmesse präsentieren. Aber im Grunde ist das ja genau auf die Spitze getrieben das, was auf Buchmessen passiert. Also da werden im Grunde Künstler verhandelt und da wird sich zur Schau gestellt und die Slam Poesie, die beinhaltet ja auch die Bühne und wir sagen ja auch, die Präsentationsform gehört zum Text eigentlich dazu. Und da war uns das schon recht und da haben wir es auch gerne mit in Kauf genommen, dass man sich eben zur Schau stellt oder auch anpreist. Das Schöne ist eben, dass wir es nicht offensiv machen. Wir machen es in aller Stille. Und so hat die Textbox auch etwas Zurückhaltendes. Wir stehen ja auf der Bühne, normalerweise mit Boxen. Und auf der Buchmesse in der Textbox sind wir ja akustisch abgeschieden, so dass die Zuhörer selber entscheiden können, ob sie sich drauf einlassen wollen oder nicht. Sprecherin: Auch in Karlsruhe bereitet Bas Böttcher mit seinen virtuosen und gekonnt inszenierten Texten die literarische Bühne, zunächst für Nora Gomringer. Einspieler 14 (Nora Gomringer): Nora Gomringer – Monolog Ich habe Diamanten in deinen Rocksaum genäht, damit du Brot kaufen kannst Ich habe das Schlaftier in den Rucksack gesteckt und ein Glas Marmelade dazu, aber pssst Ich habe deine Unterröcke unter das Laken gerollt, entpacken musst du sie schnell Ich hab die Papiere in diese Tasche ganz unten gestopft, dass auch ja nicht, du weißt Ich hab ein wenig Geld in den Mantel gestickt, vielleicht kannst du ja

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Ich habe Großvaters Uhr in die Vase beim Fenster, sie sollen dich nicht aufhalten Ich habe einen Stift in dieses Kuvert und einen Brief dazu gesteckt an den Onkel, gib ihn ihm Ich habe den Stern von der Jacke abgetrennt, so ist es besser Mir scheint, ich habe die Türen alles verschlossen, jetzt gibt es keine Räume mehr Ich habe die Kinder alle verschickt, jetzt gibt es keine mehr Ich habe die Sterne alle verbrannt, jetzt ist jede Nacht schwarz Mir scheint, ich habe alle Ratschläge ausgesprochen, jetzt hab ich keine mehr Ich habe Diamanten in deinen Rocksaum genäht, aber psst O-Ton 13 (Nora Gomringer): Und als Bas aber so sein Set da in der ersten Runde gesprochen hat, hab ich gedacht, ist vielleicht, ja vielleicht genau der richtige Ort und genau die richtige Zeit, auch dass man diesen Ton so mit hineinbringt in die Veranstaltung. Und ich seh mich ja immer sehr verantwortlich für das Wohl der Zuhörer, so dass ich also auf keinen Fall verantworten könnte, würden die Leute so sehr melancholisch gestimmt oder sehr betroffen quasi in die Pause gehen oder zum Nächsten übergehen, zum nächsten Hörerlebnis, und deshalb versuch ich das ja quasi auch wieder aufzuheben, ohne dem Text quasi was anzutun, von der Wirkung wegzunehmen oder von der Ernsthaftigkeit, die mir da auch wichtig ist in dem Text. Aber so ein Text hat ja auch ein Nachecho. Und dieses Nachecho, da muss man noch zärtlicher mit umgehen als mit dem Text oft. Einspieler 15 (Nora Gomringer): Nora Gomringer – Und es war ein Tag und der Tag neigte sich Und es war ein Tag und der Tag neigte sich Und es war Stehen und es war Warten Und es war eine Masse und es sah aus, wie ein Meer Und es waren Männer und es waren Frauen Und es waren Kinder und es roch nach Leder Und es waren Koffer und es war Dampfen Und es waren Münder und es war das Wort Und es war Stumpfes und es war Taubes

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Und es waren Große und es waren Mäntel Und es waren Hunde und es war Wimmern Und es war Weinen und es war ein Zug Und es waren Waggons und es war eine Rampe Und es war Eile und es hieß: Hinein Und es war Drängen und es war wieder Eile Und es war Härte und es war der Ton Und es waren Hände und es waren Blicke Und es waren Minuten und es war Enge Und es war kein Raum Und es war bald Nacht und es war ein Scherz Denn sie waren wie Rinder Und es war ein Riegel und es war ein Ruck Und es war Fahren und es war keine Luft Und es war Nacht und es war Zeit Und es war zu lang Und es war Flüstern und es war Raunen Und es war Mutmaßen und es waren Fragen Und es war Hitze und es war zu eng Und es war wieder Weinen und es war ein Eimer Und es waren vier Ecken und es war ein Geruch Und es war eine Scham Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es war Durst und es war Wirre

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Und es war Sinken und es war Lehnen Und es war ein müdes Gebet Und es war trübes Wasser aus der Kelle Und es waren Gerüche Und es war ein Ruck Und es war ein Lauschen und es war eine Hoffnung Und es war eine Sprache und es war ein Land Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Stunden und es waren Stunden Und es waren Ahnungen und es waren Gerüchte Und es war ein Feuer, das lief Und es waren Fetzen und es waren Worte Und es war sicher nicht wahr Und es war ein Ruck Und es war wahr Und es war ein seltsamer Name Au-schw-itz Sprecherin: In drei Texten hat sich Nora Gomringer als Auftragsarbeit dem Thema Holocaust aus drei unterschiedlichen Perspektiven angenähert und dann auch auf Poetry Slams vorgetragen. O-Ton 15 (Nora Gomringer): Und dann irgendwann war der zu hart, hab ich so gedacht und gefühlt, und dann hab ich den Monolog immer gesprochen. Weil der dritte Text, 'Wir hätten nicht mitgemacht', der kann schon mal ganz schlecht ankommen, das kann schon passieren, dass sich da Leute total so angerüffelt vorkommen und das kann unangenehm dann manchmal wirken, in Schulen ist der heikel, aber in Schulen ist er besonders nützlich:

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Einspieler 16 (Nora Gomringer): Nora Gomringer – Wir hätten nicht mitgemacht Also bei dieser Sache hätten wir nicht mitgemacht Wir wären zu Hause geblieben Wir hätten uns enthalten Wir wären bei den Frauen, den Kindern, den Häusern, den Herden geblieben Wir hätten nicht braun getragen und die Haare gescheitelt und Diesen unvorteilhaften Schnauzer getragen Wir hätten nicht Sieg gerufen und Heil gewünscht Wir hätten nicht braun getragen, wir hätten nicht laut geschrien wir wären Swing tanzen gegangen Doch halt, wir waren ja Swing tanzen und Boogie Woogie Frauen über die Schultern werfen Wir waren ja Shimmy und Quickstep tanzen Wir waren bei Nacht, wen wir am Tag durch die Straßen jagten Wir waren bei Nacht, wen die Essensmarken ausgespart hatten Waren bei Nacht, wen uns der Tag vor die Rohre laufen ließ Waren bei Nacht, wen wir nie an unsere Töchter ließen O-Ton 15 (Nora Gomringer): Es sind ja drei Texte, die aus drei sehr verschiedenen Perspektiven geschrieben sind, aber quasi auf ein Thema hinleuchtend, und sie haben alle was mit bestimmten Sprech- und Sprachmustern und –formen zu tun und der dritte, 'Wir hätten nicht mitgemacht', ist ein Text, der komplett aus Phrasen besteht, die man halt ständig hört. Und das Irre ist, dass man die ja jetzt auch noch hört und immer wieder hört und egal auf welchen Konflikt bezogen eigentlich: da hätten wir nicht mitgemacht, wir hätten uns da enthalten.

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Einspieler 17 (Nora Gomringer): Nora Gomringer – Wir hätten nicht mitgemacht - II Bei dieser Sache hätten wir nicht mitgemacht Bis wir sahen, dass der Pfarrer und der Lehrer auch irgendwie mitmachten Und die Frau, bei der wir ins Bonbonglas greifen durften Und bei dieser Sache hätten wir nicht mitgemacht Ich sag dir Ich hätte keinem die Zahnbürste in die Hand gestreckt und hätt gesagt Schrubb die verdammte Wiener S-Bahn Hätt nicht gesagt, nur einen Koffer und die Sachen kriegen sie wieder nach der Desinfektion Hätt nicht gesagt, schneller, schneller zu den lahmen Alten und nicht du links, deine Schwester rechts gesagt Hätt nie dem Herrn Jakob ins Gesicht gespuckt Doch nicht gesagt, dass ich nicht unterschrieben hätte Im falschen Moment an falscher Stelle ein Kreuz, ein Ja angebracht hätte Nicht gesagt, dass ich nicht einmal zu viel geschwiegen als einmal zu oft den Mund aufgemacht hätte Irgendwie nicht gesagt, dass ich nicht mitgemacht hätte O-Ton 16 (Nora Gomringer): Ich hab grade mit Freunden in Ungarn gesprochen, die haben gesagt, sie verlassen jetzt das Land, weil sie das nicht mehr ertragen, diese Willkür, der sie sich da ausgesetzt sehen in der Ausübung ihrer Tätigkeit als Künstler, das ist einfach, das ist 'ne Katastrophe. Und dass an den Rändern Europas, Gibraltar oder Lampedusa oder Ukraine die Leute jetzt bangen und sterben, da gibt es gar keine Worte für, da muss man aber jetzt dringend handeln. Und ich glaube ja immer, das Poesie doch etwas tut und doch etwas wirkt, viel eher als eine Bleiwüste, ein langer Text, ein prosaisches Moment. Und ich glaube da schließt es sich so im Kreis hin zum

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Gedanken von Bas Böttcher, der Bas, der fühlt die Kraft dieser sehr inszenierten Sprache und der sehr auf Magie und Effekt ausgelegten Gedichte. Einspieler 18 (Dalibor Markovic): Morgens im Spiegel sein Gesicht betrachten und denken: ich bin 's leid Ist immer noch besser als morgens im Spiegel sein Gesicht betrachten und denken: ich bin 's, leider Man entdeckt Falten, Runzeln und Augenringe oder schlimmer Verhaltensmuster und Augenblicke, in denen man anders hätte entscheiden sollen Anders hätte erscheinen wollen, als es dann tatsächlich war So dass man tagtäglich zwar dieses Spiegelbild auch schon mal sein Aussehen nennt Und trotzdem dazu getrieben wird, sich auszumalen, wie es aussähe, wenn man Reich geworden wäre mit eigenem Teich und Gondoliere, der einen hinüber schippert Seinem Haustier, einem Schimpansen gibt man Kaviar, dafür spielt er Klaviar Begleitet von einem Papagei, der sich äußerst plappergeil beschäftigt mit der Finanzlage unseres Landes Und die Brisanz darin eigens behandelt, es basiert auf Beethovens 'Für Elise' Und heißt deswegen bloß: Für Elite Beatbox mit und zu den Wörtern: Zinsen, Pleite, Bankrott, Zahlen auf Pump Sprecherin: Wie Bas Böttcher hat auch Dalibor Markovic als Musiker angefangen, als Rapper und vor allem als Human Beatboxer. Bei seinen ersten Auftritten auf der Literaturbühne verwirrte er das Publikum mit nonlinearen Gedichten, deren Erzählstrang mal den Klängen der Wörter folgte, mal gedanklichen Assoziationen, um dann wieder gänzlich abzubrechen, weil gerade dringend eine Antenne nachjustiert werden muss, oder dem imaginären Gegenüber, also uns, etwas aus dem Hals hängt:

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Einspieler 19 (Dalibor Markovic): Dalibor Markovic - Anschrift biete sechs Dinar in Papiergeld damit etwas geschieht über diesem Papierfeld in DinA6 aus einem Baum geschält, flammbar Zeitgeschehen ist unzugeritten, fangbar mit Sprache ich fordere Mitsprache an euren Gedanken folgert was ihr wollt aber ich gebe die Muster vor Karo Kreis Kriseln im Monitor gewitterbedingt Nötigt die Antenne zur adäquaten Justierung "so ist gut … jetzt wird’s besser … warte … perfekt" pervers dünnes, brüchiges Gerüst kann man darauf eine Familie aufbauen? vielleicht … wenn eingesetztes Kapital eingeätzt ist, Kapitulation zulässt, als Widerspiegel der immer streitenden Kräfte fungiert, wenn also ein Ausflug komponierter Versilbung meiner Fühlwelt auf den Buckelpisten eures Rückenmarks landet, dann werden Worte zwischenmenschlich

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eine Schnittmenge aus akut und ewig aber das klappt halt nicht so: "äähm … dir hängt da was zum Hals heraus … halt mal still … so … jetzt ist weg" O-Ton 16 (Dalibor Markovic): Ich forsche, ich erforsche, was möglich ist auf der Bühne, alleine mit einem Mikro. Sprecherin: Zum zweiten Gedichtband von Dalibor Markovic 'Bühnenstücke 1' gab es einen USB-Stick, neben den in der Spoken Word-Szene üblichen Audioaufnahmen der Stücke und einzelnen Videoaufzeichnungen, konnte man auf dem Bühnenstick auch in den Handschriften seiner Texte blättern. Obwohl er auf der Bühne eher ruhig da steht und so gar nicht dem Bild des exaltierten, impulsiven Performance Künstler entsprechen mag, - Sprache ist für Dalibor Markovic nie statisch, seine Texte entstehen immer erst in der Performance heraus. Und die Handschrift, und dann die handschriftliche Überarbeitung sind die ersten performativen Akte, die dem Bühnenstück vorausgehen: O-Ton 17 (Dalibor Markovic): Also in der handschriftlichen Version ist es meistens ganz anders und meistens irgendwie noch sinniger. Man ändert da, keine Ahnung, man schreibt da zwischendurch kleiner, man schreibt rechts weiter, man schreibt, macht so Pfeile oder streicht irgendwas durch und verbessert das. Also wenn ich mir die überarbeiteten Versionen ankucke, dann denke ich immer, ja, so müsste es eigentlich aussehen, geht aber halt nicht im Druck. Im Druck versuch ich dann so 'n Kompromiss hinzukriegen. Einspieler 20 (Dalibor Markovic): Dalibor Markovic – Anschrift -II das muss man schon allein bewirken man muss sich schon allein bewirten, verköstigen abkassieren

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denn alles ist einfacher als anfangen mit Schreiben Schauen zum Beispiel Fernsehen gucken Es gibt immer eine Ausfahrt davor In die man plausibel abfahren wird Könnt ihr mir noch folgen Helfen?: Dem Ansatz Ich beschatte ihn durch Fjördkrater Felsklötze Wissenswüste meines wissens wüsste ich abertausend erste Sätze, aber tausend erste Sätze teilte man mit seinen Eltern "will Trinken muss Pipi" blind erbuddelt, ohne X auf einer Karte man sammelt ihn sich so an seinen Wortschatz … und immer noch und ich mach euch den März mit SCH zur Vorsilbe und ich lach euch den April, April und ich sach euch den Juni und den Juli als "you need and you leave maybe there is love inbetween" nur den dummen August spiel ich euch nicht

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O-Ton 18 (Gespräch): D: Dann kommen plötzlich Leute, die schreiben und tragen und performen vielleicht sogar noch auf der Bühne, mit dem Körper, die Texte. Das ist denen erst mal irgendwie suspekt. B: Ja, bei dir sind die Texte an die Person gekoppelt, weil die halt auch die Kunstfertigkeiten mit einschließen D: Klar, also mit dem Beatboxen N: Wenn man seine Texte liest, da haben die ja eine ganz andere Dimension. Ich glaube auch bei deinen, auch bei dir und auch bei mir, das weiß ich noch, da haben wir uns zum ersten Mal drüber unterhalten: es gibt eigentlich drei Texte. Es gibt den Text, der veröffentlicht ist. Es gibt den Text, den man spricht, ist noch mal 'ne ganz andere Ausführung und 'ne ganz andere Version des Textes. Und dann gibt es noch den, der dann quasi verstanden wird außen. Und das hat ganz damit zu tun, ob die Person, die den versteht, ihn zuerst gelesen hat oder gehört hat. O-Ton 19 (Nora Gomringer): Nostalgisch werd ich dann, wenn mit bewusst wird, dass ich Teil einer Gruppe war. Und es gab, glaub ich, seit der Gruppe 47 in Deutschland keine auf Literatur und fast, also ausschließlich auf Literatur ausgelegte Gruppierung, die so stark, so bestimmt und auch so international ausgerichtet war, wie die Slam-Szene. Von daher war ich sehr stolzer Teil dieser Szene. O-Ton 20 (Gespräch): B: Ist immer nur der Versuch, den Bühnentext irgendwie zu archivieren oder zu konservieren. Aber das ist tatsächlich dann immer limitiert und das Unmittelbare, das kriegst du halt nur life auf der Bühne. D: Also die einzige wirklich adäquate Reproduzierung unserer, oder das wie ich das sehe, wäre eigentlich nur eine dreidimensionale Projektion, die es, und ich lege mich hier fest, die es in fünfzig Jahren geben wird. Es wird einfach dreidimensionale Projektion geben, also man wird, oder vielleicht sogar früher, also man wird nicht mehr ins Kino gehen, sondern man wird in eine Arena gehen, wo man sich den Film in einer Arena ansieht. N: Frank Schätzing.

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D: Und da passieren dann halt die Sachen in 3-D. Und wenn das möglich wird, dann ist das meiner Meinung nach die adäquate Archivierung dessen was wir machen, sag ich jetzt mal. B: Ich hab noch 'ne Idee dazu. Eigentlich ist es ja ganz schön, dass es nicht möglich ist, so was überhaupt festzuhalten. Also es ist sogar ein ganz schöner Gedanke, dass man so 'ne Lifesituation nicht reproduzieren kann und wirklich nur dem sich annähern kann. Weil das was die Sachen eventuell wertvoll machen könnte. Ich hab momentan den Eindruck, dass eine Inflation der Kopie herrscht und Kopien sowieso überall unendlich oft verfügbar sind, weil sie ja digital kopierbar sind. Und durch die Inflation der Kopie wollen die Leute wieder das Original haben. Wollen originale Momente und echte Situationen und was Wahres. Und das hast du halt auf der Bühne, wenn da einer steht und dir das vermittelt zwischen Stimmband und Trommelfell. D: Ich geb dir völlig recht. Also um den Moment geht’s ja gar nicht. Also der Moment ist einfach, der ist ja dann vergangen und man ist ja selber anders danach und hat das ja durcherlebt mit diesem Zusammenspiel mit zuschauen, zuhören, Applaus geben usw. darum geht’s ja gar nicht. Es geht ja gar nicht darum, den Moment festzuhalten, sondern nur darum, um die Bühnensituation abbildbar zu machen. ja. Musik: Dream Warriors – 'My Definition of a Boombastic Jazz Style' Sprecherin: Im ersten Teil von 'Boombastic Lyrikwunderland' haben sich zwei Poeten und eine Dichterin mit ihren Texten vorgestellt. Solitär stehen sie nebeneinander auf dieser Bühne und kaum zu vergleichen. Der erste Teil ähnelt mehr einer Revue als einer programmatischen Positionierung. Ja, da sind drei wichtige Protagonisten, die einmal beispielhaft waren für die Poetry Slam-Szene, und die heute vielleicht nicht den Erfolg hätten, den sie zu ihrer Slam-Zeit ernteten. Die wirkliche Positionierung kommt im zweiten Teil des Programms. O-Ton 21 (Gespräch): D: Jaja, nene, genau. Aber ich würde für die zweite Runde vielleicht mehr, damit es nicht dieselbe Struktur … N: Genau, dann lass uns das doch machen, dass wir dann alle Drei auf der Bühne sind die ganze Zeit und so sagen wie: darauf kann ich mich beziehen, da hab ich was. So ein Bezugsding machen … oder hättet ihr lieber en block? Weil ja auch aus dem Bezug kann man ja machen: da hab ich zwei Texte, die sich genau darauf beziehen oder: ochje, ich muss aussetzen. So als würden wir 'n Spiel spielen vor den Leuten.

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B: Am besten eben, dass man drauf reagiert und 'n Schlagabtausch hat. N: Ja. B: Und das ist auch gut, du machst den letzten Text vor der Pause und steigst du auch nach der Pause ein, musikalisch und dann fadest du so rüber in 'nen Text. D: Mhm. B: Und dann würde es halt aus dem Text 'ne Reaktion geben, die dann von uns kommt. Weißt Du, mit welchem Text du aus der Pause rausgehst? Also gibt 's irgendwas, was sich von der Musik schön in 'n Text überblenden lässt? D: Ja, wahrscheinlich würd ich dann am Anfang, da die Beatbox ja dann eh schon dagewesen ist, 'Atemgedicht' machen. N: Ah, wie schön, ja. D: Und der ist nicht lang. B: Okay. D: Der ist vielleicht anderthalb Minuten, wenn überhaupt. Musik: Dream Warriors – 'My Definition of a Boombastic Jazz Style' Sprecherin: Im zweiten Teil ihrer Bühnenshow entwerfen Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic die Vision eines idealen Poetry Slam, eines Dichterwettstreits, der im Gegeneinander das Miteinander zelebriert. Sie treten gegeneinander an um die Gunst des Publikums, die Konkurrenz ist spürbar. Und doch nehmen sie aufeinander Bezug, allmählich entsteht ein lyrischer Dialog. Die Texte inspirieren sich gegenseitig und wirken am Ende zusammen:

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Einspieler 21 (Dalibor Markovic & Nora Gomringer): Dalibor Markovic fängt an zu beatboxen, Nora Gomringer drüber: Modern Einen Baum pflanzen Darauf ein Haus bauen Darein ein Kind setzen Das Kind Zweisprachig anschreien Sprecherin: Diese direkte Bezugnahme fehlt beim Poetry Slam üblicherweise. Da treten Egoismen auf die Bühne, die ihre Winner-Texte präsentieren. Es geht um den Sieg, um das Prinzip Wettkampf, das die Leute in die Säle zieht. Einzelne Texte reihen sich aneinander wie Perlen auf einer Kette, und das Publikum pickt sich seine Rosinen heraus. Beim Poetry Slam geht nicht es darum, ein Geflecht aus Texten, dichterischen Ansätzen und Ideen zu entwickeln, sich gegenseitig zu inspirieren und das Publikum einzubeziehen in dieses besondere lyrische Moment. Das auf die Bühne gebracht zu haben, ist die eigentliche Definition, ein wirkliches Boombastic Lyrikwunderland! Einspieler 22 (Dalibor Markovic & Nora Gomringer): D: Mir ist noch eingefallen, wie man meinen Namen … N: … oh bitte, ins Programm einbauen kann, ja bitte! D: … für einen Titel einbauen könnte. Und zwar gibt es ja das Verb 'liebäugeln', aber das, was wir hier machen, das muss ja auch gelieb-ohrt werden, ja. Deswegen: ein Abend, wo DA LIBORt wird mit Poesie. N: Nice! D: So, jetzt halt ich die Klappe …

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Sprecherin: Boombastic Lyrikwunderland. 20 Jahre Poetry Slam mit Bas Böttcher, Nora Gomringer und Dalibor Markovic. Eine Sendung von Almut Schnerring und Sascha Verlan. Es sprach: Demet Fey Regie und Technik: Die Wort & Klang Küche Redaktion: Stephan Krass. Produktion: Südwestrundfunk 2014 Das Manuskript und den Podcast dieser Sendung finden Sie auf der Seite www.swr2.de/feature. Weiterhin können Sie unter der Telefon-Nummer 07221/929-26030 einen Mitschnitt der Sendung bestellen. Einspieler 23 (Dalibor Markovic): Human Beatbox; in den Rhythmus eingeflochten der Satz: Vielleicht präsentiere ich gleich … ein Atemgedicht: Alles war immer wie jeden Tag Ich hatte gar nichts, worauf ich mich sehne Tat aber so, als ob ich was hätt Und ene meine kam aus 'ner Kassett Dann eben jene Musik, die mir sagte Warum, du hast keinen Grund Dich zu beklagen, nach Hilfe zu fragen Ist Zeichen von Schwäche, verdächtige jeden Der nicht alles hört sich nach Wahrheit an Wie die Entschuldigung in meinem Arbeitsamt

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Könnten Sie den Termin nicht auf nächstes Jahr verschieben Die Schritte, sie klangen wie Detonationen Ich muss hier schnell raus und geh von ganz oben Die Treppen herunter, herunter gekommen benommen Benötige ich frische Luft lautes Ein- und Ausatmen Die Stadt war mir feindlich und ekelhaft Ich musste raus hier, verdammt, überlegte Das sei aber gar nicht so ohne Und ene mene kam vom Grammophone Dann eben jene Musik, die mir sagte Warum, du hast keinen Grund Dich zu beschweren, nach anderen Wegen zu suchen Das tut dir mal gut, also vorwärts Ich kam von der Straße und sah dann bald einen Verlassenen Pfad in den Nadelwald, also dann Husch durchs Gebüsch wunderhübsch War das nüsch, sondern kam mir vor wie eine Qual Andernfalls war 's die einzige Wahl Anderthalb lange Jahre verlief ich mich tiefer Verwundet, geschunden und überall glücklich. Ja … lacht … dit is so 'n Atemgedicht, ne.