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September 2013 3 Schwerpunktthema Demografischer Wandel: weniger - älter - bunter Demografie und Sozialsysteme Bildung für nachhaltige Entwicklung Globale demografische Trends Chancen im ländlichen Raum – dem demografischen Wandel zum Trotz Mut zum Dialog! Intergenerative Projekte beim treffpunkt 50plus Tagungsvorschau Wohn-Räume schaffen für alle Generationen Justiz und Demografie Rückblende, Onlinedokumente Publikationen Service ISSN 1613-3714 64670 Einzelpreis 3.- Demografischer Wandel: weniger - älter - bunter

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September 2013 3

Schwerpunktthema

Demografischer Wandel:weniger - älter - bunter

Demografie und Sozialsysteme

Bildung für nachhaltigeEntwicklung

Globale demografische Trends

Chancen im ländlichen Raum –dem demografischen Wandelzum Trotz

Mut zum Dialog!Intergenerative Projekte beimtreffpunkt 50plus

Tagungsvorschau

Wohn-Räume schaffen für alle Generationen

Justiz und Demografie

Rückblende,Onlinedokumente

Publikationen

Service

ISSN 1613-3714 64670 Einzelpreis € 3.-

Demografischer Wandel: weniger - älter - bunter

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Onlinedokumente 10

Ehrbarer Kaufmann oderBanker? Interview mitThomas Keller 14

Gezi heißt Spaziergang 15

Was kommt ... 16Vorschau auf Tagungen in der Zeit vom 13. September bis 31. Dezember

Aus der Akademie 21

Publikationen 23

Impressum 24

Meditation 25

i n h a l t

Detail im Atelier, 2010, legierter Drahtvon Brigitte Schwacke

Titelbild

Familie von Pfr. Hermann und CornelieKinzler in Winnenden im Jahr 1925

aktuell ... 2Einführung des neuen Direktors, Pfr. Prof. Dr. Jörg HübnerSpatenstich für nachhaltige Wärme-versorgung mit Pellets in der Evange -lischen Akademie Bad BollEvangelische Landeskirche in Würt-temberg zeichnet in Bad Boll erfolg-reiches Fundraising aus

Rückblende 4Rückblick auf vergangene Tagungen

Ausstellung 6Boller Bußtag der Künste:Dreidimensionale Raumzeichnungenvon Brigitte Schwacke

Schwerpunkt: Demografischer Wandel: weniger - älter - bunter 7KaleidoskopUnsere Gesellschaft zukunftsfähigmachen. Interview mit Achim BeuleDemografie und Sozialsysteme Globale demografische TrendsMut zum Dialog. Neue intergenera-tive Projekte im treffpunkt 50plusChancen im ländlichen Raum – demdemografischen Wandel zum Trotz

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Liebe Leserin, lieber Leser,

es vergeht kaum ein Tag, an dem in den Zeitungs-nachrichten nicht das Stichwort »DemografischerWandel« auftaucht. Die Datenlage ist hinreichendbekannt und wird immer wieder mit ihrer Proble-matik beschworen: Die Geburtenrate in Deutschlandist eine der niedrigsten der Welt. Paare werden im-mer später Eltern. Auf den Schultern eines Kindeslasten in zwei Jahrzehnten mehrere ältere Men-schen – und das bei einer steigenden Lebenserwar-tung. Wie lässt sich dieser demografische Wandelsozial und ökonomisch meistern? In welcher Formkann sich eine zukunftsfähige Gesellschaft daraufvorbereiten?

Die damit verbundenen Fragen sind Thema der Akademiearbeit in BadBoll – und dies nicht nur, weil das gesamtgesellschaftliche Problem aufder Hand liegt, sondern auch deswegen, weil im Licht des Evangeliumsden Menschen ein besonderer Respekt zukommt, die etwas in ihremLeben geleistet haben. Studienleiter Dr. Dieter Heidtmann weist in seinerMeditation (S. 25) darauf hin und zitiert in diesem Zusammenhang dieOrientierungshilfe der EKD zum demografischen Wandel: Die »zusätzli-chen Jahrzehnte« sind als gnädiges Geschenk zu achten! In seinem Arti-kel »Demografie und Sozialsysteme« beschreibt Studienleiter Dr. GünterRenz die Situation in Deutschland (S. 9); mein Artikel wirft einen Blicküber die bundesdeutschen Grenzen hinaus und macht deutlich, dass derdemografische Wandel zu den globalen Megatrends gehört, der die ganzeMenschheit beschäftigen wird. Im Sinne einer »großen Transformation«könnte hier einem Staat wie Deutschland eine wegweisende Vorreiter-rolle zufallen (S. 11). Achim Beule, Vorsitzender des Projekts »Bildung fürnachhaltige Entwicklung« im Landesministerium für Kultus, Jugend undSport, spricht in einem Interview (S. 8) von der Rolle, die der Evangeli-schen Akademie zukommt: Nachhaltigkeit ist nicht nur ein »Ökothema«,sondern setzt bei den Themen Gerechtigkeit, Migration und Generatio-nenverhältnis an.

»Mut zum Dialog!« – dies ist das Motto einer jeden Veranstaltung in einer Evangelischen Akademie. Beispielhaft wird dies im treffpunkt50plus in Stuttgart gelebt, einer Einrichtung der Akademie, die sich gerade dem Gespräch zwischen den Generationen zuwendet. Studien-leiterin Dr. Alexandra Wörn berichtet in ihrem Rückblick von ihren Mut machenden Erfahrungen (S. 12).

Mut machen und zuversichtlich nach vorne schauen – gerade weil esHerausforderungen gibt – so ließe sich der Auftrag einer evangelischenAkademie zusammenfassen. Mögen Sie in der Lektüre des Heftes darinbestärkt werden!

Ihr Prof. Dr. Jörg Hübner, Geschäftsführender Direktor

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Einführung des neuen Geschäftsführenden Direktors, Pfarrer Prof. Dr. Jörg Hübner

Bad Boll. Am Sonntag, den 23. Juni ist Pfarrer Prof. Dr.Jörg Hübner feierlich in sein Amt als neuer Direktor derEvangelischen Akademie Bad Boll eingeführt worden. Ver-treter aus Kirche, Politik und Wirtschaft sprachen Gruß-worte. Den Festvortrag vor rund 250 Gästen hielt derDirektor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Prof. Dr.Michael Hüther, über die Herausforderung des öffentli-chen Raums in unserer Zeit.

Der neue Direktor bedankte sich in seiner Ansprache beiden Mitarbeitenden der Akademie und des Tagungszen-trums für die herzliche Aufnahme. Seit ihrer Gründung seidie Akademie von dem Gedanken geprägt worden, dassdem Menschen Gutes zuzutrauen ist. »Dieses Zutrauen indie Fähigkeiten der Menschen ist es, um die es meinesErachtens heute zu gehen hat«, sagte er: »Wir brauchengelungene Beispiele einer nachhaltigen Lebensweise. Wir benötigen Geschichten des Gelingens einer nach -haltigen Moderne oder Labore einer neuen, gesundenLebenspraxis.«

Seine Fachgebiete nachhaltige Entwicklung, Sozial- undWirtschaftsethik sieht der neue Akademie-Direktor auchals Stärken der Evangelischen Akademie Bad Boll, die esweiter auszubauen gelte: »Ich meine, die EvangelischeAkademie Bad Boll könnte zu einem Ort werden, an demder Wandel hin zu einer nachhaltigen, demokratischenund generationenübergreifenden Gesellschaft gelebt undausprobiert wird.« Neben den Tagungen will Hübner dieBeratungsarbeit der Evangelischen Akademie zu einemMarkenzeichen machen.

Mit der Einführung von Professor Dr. Hübner zum neuenDirektor in der Evangelischen Akademie Bad Boll begin-ne ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Akademie,sagte der Bischof der Evangelischen Landeskirche inWürttemberg, Dr. h. c. Frank Otfried July, in seinem Gruß-wort. Nach verschiedenen Struktur- und Gestaltungsfra-gen der letzten Jahre werde die Akademie nun weithinund verstärkt ihre Rolle als Gesprächsforum und Denk-fabrik zeigen können und sich in die Veränderungspro-zesse von Kirche und Gesellschaft einbringen. »Ich wün-sche Ihnen, dass Sie in der Tradition des Querdenkens und

Aufbrechens, des Mahnens undVorpreschens gemeinsam mit IhrenMitarbeiterinnen und Mitarbeiterndie Relevanz und Kraft des Evange-liums für unsere Gesellschaft in denDiskurs einbringen.«

In Hübners Ausblick auf die Rolleeiner Akademie heute, im Festvor-trag »Urteilskraft und Verantwor-tung« von Prof. Dr. Michael Hüther(Direktor des Instituts der deut-schen Wirtschaft Köln), und in denGrußworten von Prof. Dr. GerhardWegner (Direktor des Sozialwissen-schaftlichen Instituts der Evangeli-schen Kirche in Deutschland) und Dr. Rüdiger Sachau (Direktor derEvangelischen Akademie zu Berlinund Vorstandsvorsitzender derEvangelischen Akademien in Deut-schland e. V.) stand die Frage nachder Urteilskraft im Mittelpunkt.

Spatenstich für eine nachhaltige WärmeversorgungEvangelische Akademie Bad Boll wird künftig mitPellets beheizt

An der Evangelischen Akademie Bad Boll haben am 28.Juni der Bürgermeister von Bad Boll, Hans-Rudi Bührle,die Architektin Nike Fiedler, der Geschäftsführende Direk-tor der Akademie, Prof. Dr. Jörg Hübner, und deren Ge-schäftsführer Achim Ganßloser den Bau eines Pelletlagersbegonnen. Künftig werden die Gebäude des Tagungszen-trums und der Akademie kombiniert mit Holzpellets undeinem gasbetriebenen Blockheizkraftwerk beheizt. DasPelletlager und die zwei Kessel werden in einem neuenGebäude untergebracht, das nun an der Nord-Ost-Seitedes Verwaltungsgebäudes errichtet wird. Die Baumaß -nahmen sind mit Investitionen von insgesamt rund 1 Mio. Euro verbunden.

In dem rund zehn Meter hohen und mit Holzschindelnverkleideten Lagergebäude werden im Erdgeschoss zweiHolzpelletkessel, ein Gaskessel sowie ein Pufferspeicheruntergebracht. Im Obergeschoss des Gebäudes, das von

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Am 23. Juni wurde der neue Geschäftsführende Direktor der Evangelischen Akademie Bad Bollvon Dr. h. c. Frank Otfried July, Bischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, in seinAmt eingeführt.

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es in beeindruckender Weise, Projekte mithilfe von Spen-dern, Stiftern und Sponsoren zu verwirklichen.

Neun Kirchengemeinden, deren Fundraising in den ver-gangenen zwei Jahren besonders erfolgreich war und dienun in Bad Boll mit Preisen ausgezeichnet wurden, wür-digte Oberkirchenrat Kastrup bei der Preisverleihung. DerKirchengemeinde Schwieberdingen, die den ersten Preis inder Kategorie »Stiftungen« erhielt, bescheinigte er ein»rundum professionelles Konzept«, das mittels intensiverKommunikation eine »beispielhafte Mobilisierung vonMenschen« erreichte: 99 Gründungsstifter und 170 Zu-stifter – einzigartig, so Kastrup, in der kirchlichen Stif-tungslandschaft. In der Kategorie »Gesamtkonzepte« er-hielt die Kirchengemeinde Gerlingen den ersten Preis. Um mit der Kampagne »Dein Stein hilft« Spenden für dieKirchensanierung zu bekommen, seilte sich dort der Pfar-rer vom Kirchturm ab, gab es eine Talentbörse, Kirchen-

kino, Lesungen und Konzerte. Für die originelle Werbungum Dachpaten für die Martinskirche erhielt die Kirchen-gemeinde Kirchheim/Teck den ersten Preis in der Kate-gorie »Einzelmaßnahmen«. Ebenfalls mit Preisen ausge-zeichnet wurden: die Stiftungen der Stiftskirche Tübingenund in Oberensingen-Hardt, die Kampagnen für die Göp-pinger Oberhofenkirche und die Oberlenninger Martins-kirche sowie der Entschuldungsfonds »Neue Chance« derDiakonie Calw und die Kleiningersheimer Gemeinde, dieVesperbrettchen in Form ihrer Georgskirche verkauft.

Die Preisgelder von 7.600 Euro stifteten die EvangelischeKreditgenossenschaft, Versicherer im Raum der Kirchen –Bruderhilfe, Pax, Familienfürsorge, die Deutsche Post, dasEvangelische Gemeindeblatt für Württemberg, die Evan-gelisches Medienhaus GmbH, die Fundraising Akademieund die Agentur em-faktor.

Architektin Nike Fiedler geplant worden ist, entsteht ein120 Kubikmeter großes Pelletlager, in dem zirka 80 Ton-nen Pellets Platz finden. Die Akademie geht von einemgeschätzten Verbrauch von etwa 120 Tonnen Pellets proJahr aus. Die neue Wärmezentrale löst nach ihrer Inbe-triebnahme voraussichtlich im November die alten Öl-und Gaskessel ab. »Wir freuen uns, dass wir künftig mitregenerativem Material unser Wasser erwärmen undunsere Heizung betreiben können. Die Evangelische Aka-demie fühlt sich einer klimaneutralen Energieversorgungverpflichtet«, sagte der Geschäftsführende Direktor Prof.Dr. Jörg Hübner.

»Mit der Erneuerung der Wärmeversorgung der AkademieBad Boll wird ein weiterer nachhaltiger Baustein für er-neuerbare Energie ganz im Sinne des Leitspruchs ›Globaldenken, lokal vor Ort konkret handeln‹ in unserer Gemein-de geschaffen«, sagte der Bad Boller Bürgermeister, Hans-Rudi Bührle. »Das neue Technikgebäude der EvangelischenAkademie Bad Boll ist nicht nur hinsichtlich der Verwen-dung von regenerativen Energien ein Schritt in die richti-ge Richtung, sondern ist zudem auch ein ›reiner Holzbau‹und somit im doppelten Sinne ökologisch sinnvoll«, be-tonte die Architektin Nike Fiedler.

Landeskirche zeichnet erfolgreiches Fundraising aus

Stuttgart/Bad Boll. »Fundraising hat sich vom vermeintli-chen Zauberwort zur realisierbaren Zukunftsformel ent-wickelt«, erklärte Oberkirchenrat Dr. Martin Kastrup beider Verleihung des 4. Württembergischen Fundraising-preises am 13. Juli in der Evangelischen Akademie BadBoll. Und zwar, so Kastrup weiter, weil Kirchengemeindenund kirchliche Einrichtungen systematisch an dem Fund-raising-Dreisprung arbeiten: Beziehungen aufbauen, Be-geisterung wecken, zur Beteiligung einladen. So gelinge

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Der Spatenstich für den Bau eines Pelletlagers wurde am 28. Junivon der Architektin Nike Fiedler, dem Bauunternehmer MichaelNeumann, dem Geschäftsführenden Direktor Prof. Dr. J. Hübner,dem Bürgermeister von Bad Boll Hans-Rudi Buehrle und demGeschäftsführer der Evangelischen Akademie, Achim Ganßloser ausgeführt (von li. n. re.). Pfr. Jochen Helsen und Kirchengemeinderätin Brigitte Meier, die

eine Ausbildung in Fundraising gemacht hat, nehmen in der Evan-gelischen Akademie Bad Boll am 13. Juli den 1. Preis in der Kate-gorie »Gesamtkonzepte« entgegen.

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motiviert? Auch hier besteht weiter-hin Diskussionsbedarf.

Simone Helmschrott, Studienleiterin

Fachgespräch zum Thema Lang-zeitarbeitslose am 23. Juli in derEvangelischen Akademie Bad Boll

Bei einem Fachgespräch Arbeitsmarkt-politik in der Evangelischen AkademieBad Boll haben Bundestagsabgeord-nete von Bündnis 90/Die Grünen,CDU, FDP, Die Linke und SPD überihre politischen Lösungsansätze zurproblematischen Situation von Lang-zeitarbeitslosen diskutiert. Zu derTagung hatte der Kirchliche Dienst inder Arbeitswelt (KDA) Reutlingen ge-meinsam mit der ag arbeit, dem Dia-konischen Werk Württemberg und ProArbeit eingeladen. Die Wohlfahrts-verbände betonten die Notwendigkeiteines sozialen Arbeitsmarktes fürLangzeitarbeitslose. In Baden-Würt-temberg sei das Landesprogramm»Gute und sichere Arbeit« auf denWeg gebracht worden, das für Lang-zeitarbeitslose über das modellhafteProjekt des Aktiv-Passiv-Tauschs eine Perspektive auf Teilhabe am Er-werbsleben eröffnen soll. Dabei wer-den Mittel, die derzeit in der Grund-sicherung für den Lebensunterhaltbereitgestellt werden, eingesetzt, umBeschäftigung zu finanzieren.

Der Vorstandsvorsitzende der ag arbeitund Landesgeschäftsführer des Deut-schen Paritätischen Wohlfahrtsver-bands, Landesverband Baden-Würt-temberg e.V., Hansjörg Böhringer for-derte: »Es ist an der Zeit, für Langzeit-arbeitslose Lösungen zu finden, dieeine Teilhabe an Arbeit ermöglichen.Solche Strategien müssen der Tatsa-che Rechnung tragen dass die Teil-habe an Arbeit für diesen Personen-kreis nicht durch einfache Vermitt-lungsbemühungen erreicht werdenkann und unter Umständen nicht aufdem ersten Arbeitsmarkt möglich ist.«Martin Maier, Fachleitung Existenz-sicherung des Diakonischen WerksWürttemberg, sagte: »Wie öffentlichgeförderte Beschäftigung beispiels-weise in der Raumfahrt, im Stein-kohlebergbau, aber auch in der Land-

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Der Diskurs um die Hizmet-BewegungTagung in Bad Boll am 7. Juni

Hizmet (türk. = Dienst) ist die Eigen-bezeichnung des ansonsten als Gülen-Bewegung bekannten türkisch-religiö-sen Netzwerks. Unter den 21 Teil-nehmenden, die den Diskurs über Hin-tergründe, Ziele und das Wirken derBewegung führten, waren Vertreterder Hizmet, kommunale Integrations-beauftragte, Mitarbeiter von Werkenund Ministerien, politisch und iminterreligiösen Dialog Aktive sowieweitere Interessierte.

Dr. Friedemann Eißler (EvangelischeZentralstelle für Weltanschauungs-fragen, Berlin) und Ercan Karakoyun(Forum für Interkulturellen Dialoge. V.) führten mit ihren Referaten ausihrer jeweiligen Sicht in das Themaein. Eißler forderte, dass die religiöseMotivation der Gülen-Bewegtentransparenter werden müsse. Er beob-achte eine Spannung und einen Wi-derspruch zwischen dem, was inner-halb und was außerhalb der Organisa-tion dargestellt werde. Als weitereproblematische Punkte benannte erden Scharia-Vorbehalt, die Rolle derFrauen und die Gleichsetzung der mo-dernen deutschen Gesellschaft mitchristlicher Gesellschaft, die nachMeinung von Hizmet verkommen sei.Als Beweis würde die Gesetzgebungzur Homo-Ehe angeführt. Fraglichseien für ihn auch die Ziele der Bewegung, so Eißler. Karakoyun reagierte in seinem Vor-trag auf diese Punkte. Er charakteri-sierte die Bewegung als dynamischeBewegung; Kritik könne dabei als

Motor dienen, und man könne nurdann dem eigenen Auftrag gerechtwerden, »den Menschen zu dienen«,wenn man wisse, was kritisiert wird.Die Gründe für die Kritik verortete erzunächst auf der Meta-Ebene: Reli-gion sei in der Moderne nicht mehrgegenwärtig. Daher falle es vielenschwer, mit religiöser Argumentationumzugehen. Nicht die Religion, son-dern der Mensch müsse sich refor-mieren, so Karakoyun. In der islami-schen Welt sei diese Diskussion ste-hen geblieben. Früher hätten auchHizmet-Anhänger die negative Religi-onsfreiheit verurteilt. Inzwischen seheman aber, dass die Wahl der Religionein gutes Recht sei.

In der zweiten Phase des Tages arbei-teten die Teilnehmenden gemeinsammit den Referierenden an themati-schen Tischen (Hizmet aus politischerSicht, Hizmet und Bildungseinrich-tungen, Hizmet in der Gesellschaft,Hizmet und Islam). Als Fazit lässt sichfesthalten: Auch innerhalb der Hizmetgibt es einen Generationenwandel.Bei Jüngeren ist eine deutlich höhereBereitschaft für intensive, auch kriti-sche Diskussionen im öffentlichenRaum erkennbar. Das wurde deutlichangesprochen. Mehrmals wurde be-tont, dass konstruktive Kritik zu mehrgegenseitiger Klärung und zu Verän-derungen beitragen kann und soll.»Kritik muss in Beziehung geschehen«.Doch es bleiben offene Punkte: DieFrage der inneren Struktur und desinformellen Bereiches von Hizmet-Institutionen, die Schilderungen vonsozialem Druck, die Forderung nachmehr Transparenz sowie nach mehrSelbstkritik bleiben ungeklärt. Ebensokonnte in der Frage der Unterschei-dung von konstruktiver Kritik undpauschaler Islamfeindlichkeit keinKonsens erreicht werden. Die Verbin-dungen zu türkischen Strukturen wur-den nicht näher thematisiert. Undschließlich wurde noch nicht deutlich,als was sich die Bewegung versteht:Ist sie sozial, dialogisch oder religiös

In der zweiten Phase arbeitetenReferierende und Teilnehmende anthematischen Tischen.

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wirtschaft oder im Krankenhauswesengewollt, notwendig und gesellschaft-lich anerkannt ist, brauchen wir diesedringender denn je auch für einensozialen Arbeitsmarkt, um der Spal-tung unserer Gesellschaft entgegen-zutreten«.

Hannes Finkbeiner von der Aufbau-gilde Heilbronn und Vorsitzender desFachverbands Arbeitslosenhilfe imDiakonischen Werk Württemberg, be-tonte: »Seit 30 Jahren sind die Lang-zeitarbeitslosen Spielball der Arbeits-marktpolitik. Dutzende von Reformengingen an ihnen vorbei. So auch dieInstrumentenreform. Faktisch ist ›Ar-beit statt Hartz IV‹ abgeschafft. VieleLangzeitarbeitslose sind dadurch vonder Teilhabe an der Gesellschaft aus-gegrenzt und fühlen sich nutzlos. Diediakonischen Beschäftigungsträgerfordern deshalb die Wiederbelebungöffentlich geförderter Beschäftigungim Arbeitsmarkt, am Arbeitsmarkt undim geschützten Rahmen in Beschäfti-gungsfirmen. Für diese muss der Ge-setzgeber entsprechende Rahmenbe-dingungen stellen – durch einen In-strumentenkasten und steuerrechtli-che Lösungen, wie bei den Integra-tionsbetrieben für Schwerbehinderte.«

Thomas Poreski (MdL, Bündnis 90/DieGrünen) erklärte: »Grün-Rot hat inBaden-Württemberg innovative Mo-delle wie den Passiv-Aktiv-Tauschsowie die Assistierte Ausbildung er-probt. Sie müssen nach der Bundes-tagswahl zu zentralen Instrumenteneiner wiederbelebten aktiven Arbeits-marktpolitik des Bundes werden.« Michael Hennrich (MdB, CDU) beton-te: »Durch die Regelungen im Rahmenvon Hartz IV haben wir im Bereichder Langzeitarbeitslosen bereits vielErfolg, dürfen aber nicht auf halberStrecke stehen bleiben. Wir müssennoch viel stärker als bisher den Fokusauf die Vermittlung von Langzeitar-beitslosen richten. Bei den Förderin-strumenten ist hierzu maximale Flexi-bilität erforderlich.«Pascal Kober (MdB, FDP) sagte: »Es istein großer Erfolg der Politik der FDP,dass die deutsche Volkswirtschaft so

stark ist, dass heute so viele Arbeits-plätze bestehen wie noch nie. Ineinem zweiten Schritt müssen wirnun weitere Instrumente entwickeln,damit Langzeitarbeitslose noch stär-ker als bisher von der günstigenEntwicklung profitieren.«

Karin Binder (MdB, Die Linke) erklär-te: »Für Langzeiterwerbslose brau-chen wir dringend einen öffentlichgeförderten Beschäftigungssektor, derein festes Einkommen oberhalb derArmutsgrenze garantiert und dieMenschen wieder zu Beitragszahlernmacht statt zu Hilfeempfängern de-gradiert, denn Arbeit haben wir ge-nug. Auch dafür brauchen wir einen

flächendeckenden gesetzlichen Min-destlohn in Höhe von zehn Euro dieStunde, sonst ist der Gang zum Amtwegen der notwendigen Aufstockungvorprogrammiert und niemand hatwirklich etwas gewonnen.« Katja Mast (MdB, SPD) sagte: »Wirvon der SPD wollen Arbeit statt Ar-beitslosigkeit finanzieren. Wir wollenLangzeitarbeitslosen durch Arbeit undBeschäftigung wieder echte Chancengeben. Dies setzen wir in Baden-Württemberg in Regierungsverant-wortung bereits um. Deshalb ist dasLand mit seinem Modellprojekt beimSozialen Arbeitsmarkt (Passiv-Aktiv-Transfer) auch Vorbild für den Bund.«

Dr. Claudia Mocek, Pressesprecherin

»Demografischer Wandel« – ein Thema in der Evangelischen AkademieBad Boll seit 2007

Die erste Tagung zum Thema Demografie in der Akademie fand im Jahr 2007statt – allerdings mit einer ganz anderen Ausrichtung. »Wird Deutschlandislamisch? Demografie als Aufgabe für Christen und Muslime« hieß die Ta-gung von Studienleiter Wolfgang Wagner. Mona Naggar hielt damals einenVortrag »Demografie als Waffe – Medien und Wahrnehmung«, in dem siesich mit dem Aufreger-Bestseller von Frank Schirrmacher »Das Methusalem-komplott« auseinandersetzte, in dem er schätzt, dass »die alternde deutscheGesellschaft sich darauf gefasst machen muss, dass sie mindestens 200.000Zuwanderer pro Jahr auf westliche Werte, die Landessprache und einen auf-geklärten westlichen Patriotismus verpflichten muss« (aus dem Referat vonMona Naggar). Mona Naggar ging damals davon aus, dass die demografi-sche Entwicklung dazu führen wird, dass in Deutschland noch mehr Men-schen mit Migrationshintergrund – ob islamisch, christlich, atheistisch oderorthodox – leben werden. Sie sagte dazu: »So kritisch ich die gerade laufen-de Diskussion über islamische Identitäten in Deutschland sehe, bin ich dochinsgesamt optimistisch. Ich denke, zusammengesetzte Identitäten sind eineRealität und sie werden sich auch im Bewusstsein der Menschen durchset-zen. Die Institutionen in Deutschland werden sich über kurz oder lang um-stellen.« (Ihr Vortrag kann auf unserer Website unter »Onlinedokumente«heruntergeladen werden – Suchwort: »Mona Naggar«.)

In einer Pressemitteilung vom 22. Juli 2010 zum »Ersten Demografie-Fach-tag« steht: »Im Jahr 2003 hatten 52 Prozent der Deutschen noch nie den Begriff ›demographischer Wandel‹ gehört. Jetzt besteht dringender Hand-lungsbedarf«. Der Fachtag stieß vor drei Jahren auf offene Ohren: 125 kom-munale Führungskräfte aus dem Stauferkreis waren gekommen, um sichüber das Thema zu informieren. Landrat Egdar Wolff erklärte, dass sich derdemografische Wandel bereits seit Mitte der 70er Jahre abzeichne, aberlange Zeit nicht zur Kenntnis genommen worden wäre. Dr. Bernhard Kopf,Pressesprecher der Kreissparkasse Göppingen lieferte die Prognose, dass imJahr 2025 jeder 4. Kreisbewohner älter als 65 Jahre sein würde und dassdies massive Auswirkungen auf die Arbeitswelt, den Wohnungsbau, die Kin-derbetreuung und die Schullandschaft haben werde. Seither ist das Thema»Demografischer Wandel« in der Akademie regelmäßig präsent.

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Feine Linien schweben im Raum, hauchdünne Drähte,die flüchtig zueinander finden und – miteinander ver-knotet – beginnen, Körper zu beschreiben, bevor sichihre Enden alsbald wieder im Nichts verlieren.

Es entstehen raumgreifende Skulpturen, denen einebesondere Zartheit eigen ist. Das langsame Zusammen-finden, das Verdichten, das Formenbeschreiben, daserneute Auseinanderdriften der Linien in den Raum –das alles beschreibt ein in der Skulptur eher unge-wöhnliches Verhalten. Denn Skulptur bedeutet ja Kör-per, oft Masse, immer jedoch mit klarer Abgrenzung zudem sie umgebenden Raum. Das aber ist bei BrigitteSchwackes Drahtarbeiten eben nicht der Fall. Wo ihreDrahtkonstrukte beginnen, einen Körper zu beschrei-ben, wo dessen Grenzen sind, wo wir ihn zu erkennenglauben und wo sich dieser Körpereindruck wiederauflöst, ist nicht definiert. Und dennoch glauben wir,einen konkreten Körper wahrnehmen zu können.

Schwacke hat im Laufe der Jahre diese Mechanik deskonkret Unkonkreten zu einer hohen Meisterschafttreiben können und damit eine skulpturale Positiongeschaffen, die mit leichter Hand Konstanten derskulpturalen Bedingtheit, wie die Notwendigkeit vonMasse in einem beschriebenen Körper, aufhebt unddamit den Skulpturenbegriff erweitert.

Brigitte Schwacke nennt ihre Arbeiten folgerichtigRaumzeichnungen, da diese Wortschöpfung die struk-turellen Elemente der Zeichnung – Entstehen, Konkre-tisieren und Auflösen – bildhaft in die dritte Dimensiontransportiert. Die so beschriebene Arbeit verinnerlichtin ihrer formalen Struktur die erkenntnistheoretischeHypothese, dass nichts so ist, wie es scheint. Die Fra-gilität in den Prozessen der Wirklichkeitskonstruktion,deren Existenz allzu gern verdrängt wird, bildet hierdie Basis der Kommunikation. Schwackes Arbeitensind Theoreme zu der Begrenztheit eindeutiger Wahr-nehmung und damit der Begrenztheit von Gewissheit,von Erkenntnis so auch von Wahrheit.

Dass diese Nachricht nicht verstört, nicht ängstigt,sondern entspannt und kontemplativ ihre Botschaftöffentlich macht, liegt an ihrer zurückhaltenden,ästhetischen Form.

Tom Fährmann

Brigitte Schwacke, geb. 1957,freischaffende Künstlerin, lebtund arbeitet in München1983-89 Akademie der BildendenKünste, München, Meisterschülerinbei Sir E. Paolozzi, Diplom2009 Lothar Fischer Preis, Neumarkt in d. Opf1991-92 DAAD Großbritannien1996-99 Assistentin am Lehrstuhlfür Freie Bildhauerei bei CristinaIglesias, Akademie der BildendenKünste, MünchenZahlreiche Ausstellungen im In-und Ausland, ihre Arbeiten befin-den sich in privaten und öffentli-chen Sammlungen.www.brigitte-schwacke.com

Boller Bußtag der Künste: DreidimensionaleRaumzeichnungen von Brigitte SchwackeAusstellung vom 20. November 2013 bis Mitte Januar 2014

Boller Bußtag der Künste in Kooperation mit demVerein Kirche und Kunst, 20. November, 16:00 UhrInformation und Anmeldung: Brigitte Engert, Tel. 07164 79-342 [email protected]: Susanne Wolf, Tagungsnummer: 936113Dauer der Ausstellung: 20. November - Mitte Januar

Laufende Ausstellung: Sibylle Burrer: E-Motion –Skulptur und Grafik, 14. Juli bis 20. Oktober 2013

Aus der Reihe: Hirayama Family, 2005–2013, legierter Draht,Installation, Größen variabel

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Reiner Klingholz, Demografie-ExperteReiner Klingholz, 59, ist Deutschlands bekanntester Exper-te für alle Aspekte der Demografie. Seit 2003 ist der pro-movierte Chemiker und Molekularbiologe Direktor desBerlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Er hatunter anderem folgende Bücher veröffentlicht: »Wir Klima-macher«, »Wahnsinn Wachstum«. In einem Interview mitNational Geographic, 2012 sagt Klingholz auf die Frage,ob es irgendwann zu einer für die Erde tragbaren Situa -tion kommt: »Um das Jahr 2300 könnten wir wieder beidrei bis vier Milliarden Menschen sein. Sie wären wesent-lich älter als heute, besser versorgt, gesünder, gebildeter.Und sehr fähig, sich an die anthropogenen Veränderungenanzupassen. Bei drei Milliarden Menschen – da ist einKlimawandel kein Thema mehr.« s.a. Bericht zu Japan, rechts

Neue Maßstäbe für sexuelle Attraktivität? Möglicherweise verschieben sich durch die Überalterungauch die Maßstäbe für sexuelle Attraktivität. Heute schonsind in Fernsehkrimis und selbst in der Modebranche er-heblich mehr ältere Frauen als früher zu sehen, die alsattraktiv gelten. Derweil steigt die Zahl der Männer, diesich unters Messer der Schönheitschirurgen legen. taz, 24.4.12

WZB-ElitestudieDer demografische Wandel ist für 60 Prozent der Spitzen-führungskräfte in Deutschland die dringlichste gesell-schaftliche Herausforderung. An zweiter Stelle steht fürdie Elite die Wirtschafts-, Staats- und Finanzkrise (48Prozent). Die Sicherung des gesellschaftlichen Zusam-menhalts und die Überwindung sozialer Ungleichheitbetrachten nur 28 Prozent als wichtigstes Problem. Dieszeigt die Befragung von 354 Top-Entscheidungsträgern in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Militär, Kirchenund Medien durch ein Forscherteam des Wissenschafts-zentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Es ist die ersteumfassende Führungskräfte-Befragung in Deutschlandseit 1995. WZB 2013

WillkommenskulturEs gibt nicht die eineMaßnahme, welche dieRepublik davor bewahrt,ein großes deutsches Al-tenheim zu werden. Abervor der einen unvermeidli-chen hat das Land Angst:Zuwanderung fördern.Dabei führt sogar derbestimmt nicht sentimen-tale Economist unter dendeutschen Standortnach-teilen die mangelndeWillkommenskultur auf.Jeder Migrant zählt, der gutes Geld verdienen darf undSteuern zahlt. In diese Richtung muss Deutschland weiterdenken. aus einem taz-Kommentar vom 24.4.12

Der demografische Wandel – Kaleidoskop Schnell alternde Bevölkerung in Japan

Das Berlin-Institutfür Bevölkerungund Entwicklunghat im Juni eineStudie über dieBevölkerungsent-wicklung in Japanmit dem Titel »De-mografisches Neu-land – Schnellernoch als Deutschland muss Japan Antworten auf eineschrumpfende und alternde Gesellschaft finden« veröf-fentlicht. Japan kann gewissermaßen als Modell für dieAuswirkungen der schnellen Alterung gelten, von demandere Länder lernen können.

In Japan leben momentan 120 Millionen Menschen. Biszum Jahr 2060 könnte Japan ein Drittel seiner Bevölke-rung verlieren, bis zum Ende des Jahrhunderts bis zuzwei Drittel. Für die schnelle Schrumpfung der Gesell-schaft gibt es in Japan drei Gründe: Die Japaner werdenmeist älter (als zum Beispiel die Deutschen), weil siegesünder leben, ferner hatten sie früher deutlich mehrKinder – jetzt ist die Geburtenrate ähnlich wie inDeutschland – und haben deshalb mehr alte Bewohner.Und drittens gibt es in Japan so gut wie keine Zuwan-derung. Diese wird auch nicht gewünscht. Da die Zahlder Erwerbstätigen zurückgeht, gibt es auch zu wenigVerbraucher und zu viele produzierte Waren. Die Folgensind Deflation und ein fehlendes Wirtschaftswachstum.s.a. S. 23 und links Bericht zu Reiner Klingholz

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Unsere Gesellschaft zukunftsfähig machenInterview mit Achim Beule zur »Bildung für nachhaltige Entwicklung«

nachhaltige Entwicklung bringt unsdazu, darüber nachzudenken, wasunser Lebensstil mit nachhaltiger Ent-wicklung zu tun hat. Zum Beispielunser Konsumverhalten: Wir müssenFragen nach der Herkunft unserer Le-bensmittel stellen, Fragen der Regio-nalität oder der Ökologie. Das müssenwir reflektieren und mit unserer eige-nen Lebenswirklichkeit abgleichen.Wichtig ist mir dabei, dass es nichtum richtig oder falsch geht, nicht umschwarz und weiß, es geht um dieSchattierungen, um Reflektionen undunsere Entscheidungen. Nicht Regio-nalität oder Bio sind per se gut – wasbringt es z. B., wenn ich Bioprodukteaus China kaufe? Es geht um eine Ge-samtbetrachtung. Am Ende muss je-der den Weg finden, wie er im Alltagund im wirtschaftlichen Handelneinen kleinen Beitrag zur nachhalti-gen Entwicklung leisten kann.

Welcher Kompetenzen bedarf es, umnachhaltige Entwicklungen in Gangzu setzen? Es bedarf einer Vielfalt von Kompe-tenzen. Bei BNE sprechen wir unteranderem von Gestaltungskompetenz.Kinder und Jugendliche müssen überdie Fähigkeit verfügen, nicht nachhal-tige Entwicklungen wahrzunehmen,sie müssen über entsprechendes Wis-sen verfügen. Sie müssen lernen, aktivzu werden, sich einzumischen undpartizipativ Prozesse mitzugestalten.Dasselbe gilt auch für Erwachsene.BNE ist ein Konzept für lebenslangesLernen. Es ist nicht originär für dieSchule, weil diese aber einen bedeu-tenden Zeitraum in der Entwicklungvon Kindern und Jugendlichen ein-nimmt, ist BNE hier gut aufgehoben.

Welchen Beitrag kann die Evange-lische Akademie hierzu leisten?Die Akademie kann die auf die Zu-kunft gerichteten Themen in Bereichekommunizieren, die wir nicht bedie-nen können. Wir reden so viel überNachhaltigkeit, dass wir zuweilen dasGefühl haben, das sei Mainstream.

Oft müssen wir aber feststellen, dassder Begriff nur sehr oberflächlich inder Gesellschaft verankert ist. Es gibtda noch einen unheimlich großenKommunikationsbedarf. Hier kann dieEvangelische Akademie Bad Boll einenwesentlichen Beitrag leisten. Sie kanndas Denken der nachhaltigen Entwick-lung in ganz verschiedene Themenbe-reiche hineintragen und aus unter-schiedlichen Sichtweisen diskutieren.Nicht nur beim Ökothema, sondernauch bei den Themen Gerechtigkeit,Migration, bei ökonomischen Frage-stellungen und Fragen nach ethi-schem und moralischem Verhalten.

Wann wird sich die BNE positivbemerkbar machen?Wir haben oft das Gefühl, dass allessehr langsam geht. Wenn wir aberden Blick zurückwerfen, sehen wir,dass in den letzten Jahren viele kleineSchritte unternommen wurden. Manmuss sich davon verabschieden, dasses diesen einen großen Wurf gibt.Bildung für nachhaltige Entwicklungwird zunehmend ein Thema, zum Bei-spiel im Rahmen der Bildungsplanre-form: Hier gibt es jetzt das Leitprinzipder nachhaltigen Entwicklung. DieLandesregierung hat beschlossen,dass sich dieses Thema als roter Fa-den durch den Bildungsplan der all-gemeinbildenden Schulen ziehen soll.Es ist ein Kernthema, mit dem sichdie Schüler auseinandersetzen müs-sen. Jedes Fach muss die Frage be-antworten, welchen Beitrag die Fach-sicht auf das Thema leisten kann.

Die Dekade ist 2014 beendet. Wirddas Thema weiter bearbeitet?2007 wurde die Nachhaltigkeitsstra-tegie von der alten Regierung ins Le-ben gerufen. Nach dem Regierungs-wechsel hat das Thema noch einmaleinen Schub bekommen. Wir überle-gen jetzt auf Bundes-, UNESCO- undUN-Ebene, wie man den Prozess nach2014 weiterführen kann. Es sieht soaus, als würde es auf UN-Ebene ein

Von Martina Waiblinger

Was steckt hinter dem Begriff »Bil-dung für nachhaltige Entwicklung«?»Bildung für nachhaltige Entwicklung«(BNE) ist eine Reaktion auf die gesell-schaftlichen Herausforderungen, vordenen wir stehen, sei es durch denKlimawandel, den demografischenWandel oder Gerechtigkeitsfragen.Diese globalen Herausforderungensind sehr komplex. Uns geht es darum,zu lernen, mit einer unsicheren Zu-kunft umzugehen und mit der BNEKinder, Jugendliche und Erwachsenehandlungsfähig zu machen. Ich nutzebewusst den Begriff der nachhaltigenEntwicklung statt Nachhaltigkeit. Beidem Begriff Nachhaltigkeit tut manso, als könnte man einen Zustand derNachhaltigkeit erreichen. Das ist einTrugschluss. Es geht um Entwick-lungsprozesse. Wir müssen uns immerneu fragen, wie wir unsere Gesell-schaft zukunftsfähig machen.

Wie kann der Wandel gelingen?Wir sind da in einem Zwiespalt. Diedrängenden Probleme in der Ökono-mie, in der Bildung, bei Gerechtig-keitsfragen etc. verlangen eigentlichschnelle Veränderungen. Das bedeutetaber auch, dass wir unseren Lebens-stil hinterfragen müssen. Es brauchtaber Zeit, bis tradierte Verhaltenswei-sen abgelöst werden. Die Bildung für

Achim Beule ist Vorsitzender des Projekts »Bildung fürnachhaltige Entwicklung« im Ministerium für Kultus,Jugend und Sport in Baden-Württemberg. Im Juli warer Referent bei der Tagung in Bad Boll »Wirtschaftli-che und soziale Strategien im demografischen Wandel«.

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369.000 mehr Zuzüge als Wegzüge,so viel wie seit 1995 nicht mehr.Selbst bei einem Wanderungssaldovon plus 200.000 jährlich und 1,6Kindern pro Frau würde die Bevölke-rung bis 2050 um rund 5 Millionenabnehmen. Vor allem aber werden diezehn stärksten Geburtsjahrgänge –die von 1959 bis 1968 – ab 2025 dasRuhestandsalter von dann 66 Jahrenüberschreiten.

Was bedeutet eine alternde Gesell-schaft für die Sozialsysteme und ins-besondere für das Gesundheitswesenund die Pflegeversicherung? Zunächstist zu betonen, dass sich die Unter-stützungsleistung einer Gesellschaftnicht nur auf die Älteren bezieht,sondern auch auf die Jüngsten. Kanneine Gesellschaft durch die (oftmalsnoch als Ideal herumgeisternde) Pyra-mide dargestellt werden, so bedeutetdies, dass z. B. die 15 jüngsten Jahr-gänge die stärksten sind, was für eineGesellschaft eine schöne, aber eben-

Von Günter Renz, Studienleiter in derEvangelischen Akademie Bad Boll

Die Geburtenrate in Deutschland isteine der niedrigsten der Welt. Zudembekommen Frauen bzw. Paare ihr ers-tes Kind in immer höherem Alter.Auch wenn sich abzeichnet, dass die»endgültige« Geburtenrate von Frauenmit 50 Jahren bei den ab 1970 gebo-renen Frauen wieder dauerhaft aufüber 1,5 Kinder im Durchschnitt an-steigt, erscheint eine Rückkehr aufzwei Kinder, wie sie die Frauen biszum Geburtsjahrgang 1939 hatten,nicht absehbar.

Die Entwicklung der Bevölkerungszahlwird nicht nur durch die Geburtenra-te, sondern auch die Zahlen der Zu-wanderungen bzw. Abwanderungenbestimmt. Diese schwankten in denletzten Jahrzehnten stark. Seit 1996betrug der Mittelwert des Wande-rungssaldos deutlich weniger als200.000 im Plus. Allerdings war 2012,bedingt durch die Krise in anderen eu-ropäischen Ländern, ein Rekordjahr:

Demografie und SozialsystemeAktionsbündnis geben. In Deutschlandkönnte das Projekt auf diese Weiseweitergeführt werden.

Können Sie ein Musterprojekt nennen,das die Bildung für nachhaltigeEntwicklung umsetzt? Es gibt eine Bildungsinitiative »Lernenüber den Tag hinaus – Bildung füreine zukunftsfähige Welt«, die ausverschiedenen Modulen besteht undden Anspruch hat, BNE strukturell imBildungssystem zu verankern. Ein Mo-dul dabei sind Schüler-Zukunftslabo-re, bei denen sich circa 50 Schülertreffen und sich mit nachhaltigerEntwicklung beschäftigen. LetztesJahr in Meersburg ging es um Ökono-mie, jetzt im Herbst geht es um Akti-onismus, ein weiteres Modul hat dasThema Non Profit. Mit den Jugend-lichen haben wir Akteure, für die derAspekt der nachhaltigen Entwicklungeine ganz große Bedeutung hat.

Schulden, die Grundlage unserer Öko-nomie, sind nicht nachhaltig. Wie gehtman mit diesem Widerspruch um?Sie sprechen eine zentrale Schwierig-keit bei der Vermittlung des Themasan. Nachhaltigkeit beruht auf anderenWerten als das jetzige gesellschaftli-che System. Wir haben ein System, indem das Individuum im Mittelpunktsteht. Wenn wir über Nachhaltigkeitsprechen, geht es eher um Gemein-schaft und Solidarität. Ferner habenwir immer noch diesen hohen Glau-ben an Wachstum. Im Kontext vonNachhaltigkeit reden wir lieber vonWohlfahrt und Lebensqualität. Dereine Begriff ist eher ein quantitativer,der andere eher ein qualitativer. Wennwir uns ernsthaft auf den Weg dernachhaltigen Entwicklung begebenund von der Notwendigkeit eines öko-nomisch-ökologischen Wandels spre-chen müssen wir uns fragen, ob wirüber unsere Verhältnisse leben. Imökologischen Bereich ist das eindeu-tig mit einem Ja zu beantworten. Ichdenke, dass wir auch im Finanziellenüber unsere Maßen gelebt haben.Durch die Finanzkrise wird deutlich,dass es so nicht weitergehen kann.Und an den Haushaltskonsolidierungs-aktivitäten der Landesregierung merktman, dass das schmerzhaft ist.

Das Stufenalter der Frau, Bilderbogen um1900, Chromlithografie nach Fridolin Leiber

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falls enorme Herausforderung dar-stellt. Vor allem aber kann ein Bevöl-kerungsaufbau als Pyramide nicht alsIdeal dienen, weil sie entweder miteiner hohen Sterblichkeit in jedemJahrgang einhergeht oder bzw. undmit einem gigantischen Bevölkerungs-wachstum.Die Unterstützungsleistung der Ge-sellschaft verschiebt sich ohne Zwei-fel: die Zahl der Kinder sinkt, die Zahlder alten Menschen steigt. WelcheRolle spielt die bislang immer nochsteigende Lebenserwartung? DieseSteigerung vollzog sich ja in den letz-ten Jahrzehnten mit einer erstaunli-chen Konstanz. Frauen erreichtennach den Sterbetafeln 2009/2011 imDurchschnitt 82,7 Jahre, Männer 77,7Jahre, wobei die Männer leicht auf-holen (2007/2009: Frauen: 82,5; Män-ner 77,3).

Eine zentrale Frage ist, ob insbeson-dere »gesunde« Jahre hinzugewonnenwerden oder Jahre erhöhter Krank-heitsanfälligkeit bzw. Pflegebedürf-tigkeit. So seltsam es klingt: Die For-schung ist sich darüber uneins. Dieso genannte »Kompressionstheorie«besagt sogar, dass die Zeit der Pflege-bedürftigkeit im Durchschnitt abneh-me. Es bleibt in jedem Fall eine Her -aus forderung, die höhere Zahl an pfle-gebedürftigen Menschen zu betreuen.Dafür brauchen wir gut ausgebildetePflegekräfte in ausreichender Zahl.

Wie leicht die Betreuung in finanziel-ler Hinsicht gelingt, hängt sehr vomgesetzlichen Renteneintrittsalter ab,aber mehr noch davon, wie langeMenschen de facto in die Sozialkas-sen einzahlen. So lag das tatsächlicheRentenzugangsalter 2007 durch-schnittlich bei nur 60,7 Jahren. Dieso genannten »unausgeschöpften Er-werbspotenziale« könnten sehr viel zurAbmilderung der finanziellen Belas-tung des demographischen Wandelsbeitragen. Es ist dafür zu sorgen, dassMenschen vor gesundheitlicher Aus-beutung bei der Arbeit geschützt wer-den. Die Zahl der Krankheitstage undFrühberentungen wegen psychischerErkrankung steigt bislang besorgnis-erregend an. Während in den 1970erJahren noch ein Zusammenhang zwi-

schen Gesundheitsausgaben undLebenserwartung in den Ländern derOECD erkennbar war, haben sich dieGesundheitsausgaben – und zwarselbst gemessen in Prozent vom BIP!– fast verdoppelt. Die durchschnittli-che Lebenserwartung dieser verschie-denen Länder hängt nun aber nichtmehr von der Höhe der Gesundheits-ausgaben ab! Die Schlussfolgerungist: Reichen Ländern ist Gesundheitwichtiger, sie geben mehr dafür ausund neigen zu Über- und Fehlversor-gung.

In Pflegeheimen ist die fachärztlicheVersorgung oft nicht adäquat, gleich-zeitig nehmen die Pflegebedürftigenoft zu viele verschiedene Medikamen-te mit oft problematischen Wechsel-wirkungen. Bei aller Freiheit der Arzt-wahl, die unangetastet bleiben soll,wäre ein Heimarztmodell, bei dem einArzt in gutem Kontakt zu den Pfle-genden »seine« Patienten betreut, eingroßer Fortschritt.

In ländlichen Gegenden hat sich dasModell AGnES bewährt. AGnES stehtfür Arztentlastende, Gemeindenahe,E-Health-gestützte, SystemischeIntervention. AGnES-Fachkräfte sindtypischerweise besonders geschultePflegekräfte, die in Delegation durchden Hausarzt bei Patienten beispiels-weise zuständig sein können für dieArzneimittelkontrolle, Sturzprophy-laxe, Telemedizin, geriatrisches As-sessment und palliativmedizinischeVersorgung.

Dies sind nur zwei wichtige Beispieledafür, dass eine gute Versorgungnicht mit höheren Kosten verbundensein muss. Generell mahnen die meis -ten Gesundheitsexperten an, dass dieKostensenkungsdebatte, die das deut-sche Gesundheitswesen prägt, durchAnstrengungen für eine Qualitätsver-besserung der medizinisch-pflegeri-schen Versorgung abgelöst wird. Daswürde das deutsche Gesundheits-und Pflegesystem auch »demografie-fest« machen.

Die meisten Zahlen stammen vom Statis -tischen Bundesamt: www.destatis.de.

Onlinedokumente auf derInternetseite der AkademieText- und Tondokumente vonVorträgen und Diskussionen ausTagungen der Evangelischen Aka-demie Bad Boll finden Sie unter:www.ev-akademie-boll.de/online-dokumente

Powerpoint-PräsentationWirtschaftliche und sozialeStrategien im demografischenWandel19.-20. Juli 2013, Bad BollDie Tagung griff ein Thema auf, dasin Wirtschaft und Gesellschaft zu-nehmend spürbar wird. In den Un-ternehmen werden die Belegschaf-ten immer älter. Es wird schwieriger,Fachkräfte zu ersetzen, die in denRuhestand gehen. Gleichzeitig sollein höheres Innovationstempobewältigt werden. Der demografi-sche Wandel stellt aber nicht nurdie Wirtschaft, sondern die Gesell-schaft insgesamt vor große Heraus-forderungen. Die Tagung setzte sichnach der Analyse mit konkreten Lö-sungsansätzen in Unternehmen, inder Bildung und in der nachberufli-chen Phase auseinander und disku-tierte dringliche sozial- und wirt-schaftspolitische Handlungsfelder.Den Einstieg in die Tagung bildeteder Beitrag »Ökonomische Auswir-kungen des demografischen Wan-dels« von Prof. Dr. Plünnecke vomInstitut der deutschen Wirtschaft.Er analysierte in seiner Powerpoint-Präsentation »Ökonomische Auswir-kungen des demografischen Wan-dels« den Zusammenhang zwischendemografischer Entwicklung undWachstum, beschrieb zu erwarten-de Fachkräfteengpässe und stellteHandlungsoptionen zur Fachkräfte-sicherung vor. Für viel Interesse undDiskussion über notwendige Schrit-te sorgte seine Aussage, dass dieEngpässe weniger bei Akademikernals vielmehr bei beruflich Qualifi-zierten entstünden.

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Von Dr. Jörg Hübner, Geschäftsfüh-render Direktor der EvangelischenAkademie Bad Boll

Die demografische Entwicklung bis2050 ist eines der Mega-Themen – inDeutschland und anderen industriali-sierten Regionen der Welt. Damit sindFragen verbunden wie: Lässt sich eingerechter Ausgleich der sozialen Kos -ten für Alt und Jung herbeiführen?Wie ist das Verhältnis zwischen einergeringer werdenden Zahl junger Men -schen und einer explodierenden Zahlvon Alten überhaupt neu zu justieren?Was bedeutet dies für das Selbstver-ständnis der nachwachsenden Gene-ration? Innerhalb Deutschlands sinddies gewaltige Herausforderungen,die kaum lösbar erscheinen.

Es gibt auch eine globale Perspektive,in der diese Fragestellung in einemneuen Licht erscheint: Das Gutachten»Die große Transformation« des Wis-senschaftlichen Beirats Globale Um-weltfragen (WBGU), einem entschei-denden Beratungsgremium der Bun-desregierung, verweist auf die globaleBevölkerungsentwicklung bis 2050,die ebenfalls für Zündstoff sorgt: DieWeltbevölkerung wird in diesem Zeit-raum auf neun Milliarden Menschenansteigen. Der Zuwachs findet haupt -sächlich in Entwicklungsländern statt.So wächst in den 49 am wenigstenentwickelten Ländern die Bevölkerungam stärksten. Die Hälfte des globalenBevölkerungswachstums bis 2050 findet in Indien, Pakistan, Nigeria,Äthiopien, USA, DR Kongo, Tansania,China und Bangladesch statt.

Damit einher geht in diesen Staatenein Trend zur Urbanisierung, der allebekannten Maßstäbe sprengt. Derzeitschon wächst die Bevölkerung in denurbanen Räumen um über eine Mil-lion Menschen pro Woche. Ab 2020werden mehr Menschen in Städtenals auf dem Land leben. Es wird er-

Globale demografische TrendsÜberalterung hier - Verjüngung und Verstädterung dort

wartet, dass 2050 von den neun Mil-liarden Menschen etwa 6,4 MilliardenMenschen in Städten leben. Das sindrund 70 Prozent der globalen Bevöl-kerung. Hinzu kommt ein rasantesWachstum der Megastädte. Der starkeAnstieg der Bevölkerung ist ein Grundfür diesen Trend, der das Bild derWelt erheblich verändern wird; hinzukommen starke wirtschaftlicheEntwicklungsfortschritte in Folge derGlobalisierung. In 15 Jahren werdenvon 29 Megastädten mit circa 470Millionen Menschen entscheidendeWeichenstellungen wirtschaftlicherund sozialer Art ausgehen.

Ferner bringt die wirtschaftliche Ent-wicklung infolge der Globalisierung esmit sich, dass die Geburtenrate auchin den jetzt noch weniger entwickel-ten Staaten erheblich sinken wird. Eswird erwartet, dass die durchschnittli-che Kinderzahl pro Frau von heute4,39 auf 2,42 sinkt – und das inner-halb von weniger als drei Jahrzehn-ten. Global sinkt diese Rate von 2,56auf 2,02. Der Anteil der über 60-Jäh-rigen wird damit am schnellsten stei-gen. Diese Entwicklung, die bei unsals »demografische Entwicklung« be-zeichnet wird, beginnt in industriali-sierten Staaten wie Deutschland undergreift verspätet, aber mit einer ge-waltigeren Dramatik auch die Ent-wicklungsländer. Der Prozess des Um-baus der Bevölkerungsstruktur ver-läuft also in weniger entwickeltenStaaten besonders rasant. Vor allemin den Entwicklungsländern wird diedemografische Entwicklung für einemassive Veränderung der Bevölke -rungspyramide sorgen.

Den industrialisierten Regionen könn-te also eine besondere Verantwortungzuwachsen: Gelingt es ihnen, eineStadtentwicklung zu leben, die denAspekten der Nachhaltigkeit Genügeleistet? Wie gehen diese Staaten mo-mentan mit den Veränderungen derAltersstrukturen um? Auch wenn alleStaaten eigene Entwicklungspfade

verfolgen, so könnte doch von hof-fentlich positiven Erfahrungen einevisionäre Kraft auf Prozesse in derglobalen Weltgemeinschaft ausgehen.

Das Gutachten des Wissenschaftli-chen Beirates Globale Umweltfragenspricht hier von einer »Großen Trans-formation«, also von einem radikalenUmbau der Weltgemeinschaft undihrer lebensdienlichen Grundlagen.Eine erste Transformation habe mitdem Übergang zur Sesshaftwerdungder Menschheit stattgefunden; diezweite Transformation sei mit derIndustrialisierung im 19. Jahrhunderterfolgt. Nun aber stehe die ganzeMenschheit vor der Aufgabe, einennachhaltigen Lebensstil zu etablieren.Sie müsse berücksichtigen, dass unserLebensstil hier und jetzt erheblicheAuswirkungen darauf hat, wie Men-schen in Zukunft noch leben können.Es geht also um ein neu zu bestim-mendes Verhältnis zwischen den Ge-nerationen – auch das ist mit demStichwort »Die große Transformation«gemeint. Es bleibt sehr zu hoffen,dass sich genügend »Pioniere desWandels« finden, die mit ihrem zu-kunftsweisenden Lebensstil für solcheine »Transformation« sorgen. Genau-so bleibt zu hoffen, dass Bildungs-ein richtungen wie die EvangelischeAkademie Bad Boll dazu beitragen,dass »Pioniere des Wandels« zusam -men finden und überzeugende Argu-mente in die Gesellschaft hineintra-gen.

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Dr. Alexandra Wörn hat zweieinhalbJahre beim treffpunkt 50plus als Stu-dienassistentin gearbeitet. In dieserZeit hat sie erfahren, dass es sichlohnt, Jugendliche und Ältere zumDialog zu ermutigen.

Dass eine Begegnung zwischen ver-schiedenen Generationen eine Berei-cherung sein kann, steht außer Frage.Dass auf beiden Seiten Mut dazu ge-hört, Hemmschwellen zu überwinden,scheint ein wichtiger Faktor im Gene-rationendialog zu sein. Oft verhinderngegenseitige Vorurteile diesen Aus-tausch, der besonders außerhalb desdirekten Kontexts der Familie immer

mehr an Bedeutung für unsere globa-lisierte und alternde Gesellschaft ge-winnt. Die Erfahrungen, die ich mitaußerfamilialen Generationenkontak-ten im städtischen Umfeld beim treff-punkt 50plus gemacht habe, sind er-mutigend. Der treffpunkt 50 plus isteine städtisch-kirchliche Bildungs-einrichtung zu Fragen des Alters inder Stadt Stuttgart und ein Fach-dienst der Evangelischen AkademieBad Boll.

Generationenverbindende Veranstal-tungen mit Stuttgarter Schulen haben

im treffpunkt 50plus eine längere Tra-dition. Seit ihren Anfängen gibt esKurse, in denen Schülerinnen undSchüler in den Umgang mit dem klas-sischen Handy einführen. Ferner gibtes Geschichtswerkstätten zur Aufar-beitung der nationalsozialistischenVergangenheit und der Frage nachderen Relevanz für die gegenwärtigeGesellschaft, sowie Erzählcafés zuKindheitserfahrungen und interkultu-rellen, interreligiösen Themen. DieseVeranstaltungen finden in Koopera-tion mit dem Evangelischen Heide-hof-Gymnasium, der Johannes BrenzGrundschule und Berufsschulen imTreffpunkt Rotebühlplatz statt.

Sie waren die Basis für eine Weiter -entwicklung der Angebote in denletzten zwei Jahren. Ein Aspekt war der Einbezug Jüngerer,wie es im Fall des Politischen Stamm-tischs, einer Diskussionsrunde zumaktuellen Zeitgeschehen, geschehenist. Hierzu wurden Schülerinnen undSchüler der gymnasialen Oberstufemit Neigungsfach Politik, Geschichteoder evangelische Religion entwederals Co-Referentinnen und -referentenoder als Diskussionspartnerinnen und-partner zu Themen, wie z. B. Bürger-beteiligung, Finanzkrise in Griechen-land oder Piratenpartei eingeladen.Ein anderer Aspekt war die Frage nach

neuen Kooperationspartnern und an-deren Veranstaltungsformen. Dertreffpunkt 50plus hatte bisher fastausschließlich mit evangelischenGrundschulen und Gymnasien koope-riert, also mit Schulformen des finan-ziell gut situierten, bildungsnahenMilieus. Die Arbeit mit den beidenneuen Kooperationspartnern, einerstädtischen Werkrealschule und einerRealschule, die seltener in diesenDialog einbezogen werden, führte zuneuen Herausforderungen, aber auchzu neuen Projekten, z. B. im Bereichder Kunst. Die Schloss-Realschule fürMädchen bot zum Beispiel einen ge-meinsamen Kunstworkshop mit an-schließender Ausstellung zu plakati-ven Darstellungen von Sprichwörternund Redensarten an, die in den Räu-men des treffpunkt 50plus präsentiertwurden. In einem anderen Projektwurden Schülerinnen und Schüler derWerkrealschule Ostheim im Rahmenvon Schulprojekttagen unter Anlei-tung von Mitgliedern des Videokreisesdes treffpunkt 50plus in die Kunst derErstellung eines Kurzfilms eingewie-sen; die Premiere der Kurzfilme fandim treffpunkt 50plus statt. Beide Pro-jekte sind Beispiele für gelungeneaußerfamiliale Generationenbegeg-nungen, von denen beide Seiten sehrprofitierten. Für Schülerinnen undSchüler, die aus einem eher finanziellprekären, bildungsfernen Kontextstammten und oft Migrationshinter-grund hatten, war die Wertschätzung,die ihnen die Älteren entgegenbrach-ten, die vom Alter her ihre Großelternsein könnten, ein wirklicher Gewinn.Die Älteren konnten bei der Begeg-nung mit den Jugendlichen oft lang-gehegte Vorurteile abbauen. Es ent-standen Enkel-Großeltern-Beziehun-gen auf Zeit. Ein weiterer Aspekt wardie Anerkennung, die den Jüngerendurch die Präsentation der eigenenArbeit in einem öffentlichen Raumzuteil wurde, eine Erfahrung, die sieso kaum kannten.

Als Fazit ist festzuhalten: Die Begeg-nung mit einer anderen Generationkann durchaus Mut erfordern, imbesten Fall aber macht sie Mut.

Dr. Alexandra Wörn, siehe auch S. 22

Mut zum Dialog!Neue generationenverbindende Veranstaltungen im treffpunkt 50plus in Stuttgart

Schülerinnen und Schüler der Werkrealschu-le Ostheim erklären den Kursteilnehmendenden Umgang mit iPad und Smartphone.

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teiligung der Bürger imFokus. Diese Einschätzungergab eine Langzeitstudiean der Universität Hohen-heim.

Kusterdingen, die Härten-Gemeinde im LandkreisTübingen oberhalb desNeckartals zwischen Tü-bingen und Reutlingengelegen, ist einer derOrte, den die Wissen-schaftler seit rund 60Jahren erforschen. Heutekönnen sie nachzeichnen,wie sich die Gemeinde zueinem modernen Lebens- undArbeitsstandort entwickelt hat. ObEltern-Kind-Gruppe, Jugendfarm oderKulturzentrum: Viele Neuerungenwurden dabei von zugezogenen Bür-gern angestoßen und von den einhei-mischen Bewohnern gut angenom-men. Simone Helmle interessiert sichvor allem für die Neuerungen im Ort:Wer setzt neue Impulse und wie wer-den bei Entwicklungen die Bedürf-nisse der Bewohner berücksichtigt?

Wenn es um die Diskussion über dieZukunft der ländlichen Räume geht,ist Helmle skeptisch: »Wir befindenuns verbal in einer starken Abwärts-spirale«, sagte die Wissenschaftlerin.Dem kritischen Blick von außen stehedabei eine begeisterte Innensicht derländlichen Bevölkerung gegenüber,die sich stark mit ihrem Wohnortidentifiziert. Dörfliche Enge und diedamit einhergehende starke sozialeKontrolle, wie sie bis in die 1970erJahre verbreitet waren, spielen heutekeine Rolle mehr. Helmle ist wichtig,dass bei der Diskussion über ländlicheRäume Innovationen, Entwicklungs-prozesse, Mitbestimmung und Selbst-bestimmung im Vordergrund stehen.Eine Sichtweise, die vor allem auchdie Europäische Union derzeit nach-drücklich einfordert.

Von Thomas Morawitzki, Freier Journalist

Bei der Demografie-Tagung »Land-leben – eine Idylle? Zur Zukunft länd-licher Räume«, 5.-6. Juni, hat PD Dr.Simone Helmle vom Institut für Sozial-wissenschaften an der UniversitätHohenheim ihre Forschungsergebnissepräsentiert und gute Beispiele fürlebendige ländliche Gemeinden aufgezeigt.

Deutschlandund seineländlichenRäume sindeinzigartig.»Wir verfügenüber ein eng-maschigesNetz an mitt-leren Klein-städten, diedie Versor-gung ge-

währleisten«, sagte Simone Helmle.Der ländliche Raum ist eine Katego-rie, die 60 Prozent der Fläche Deut-schlands umfasst. 18 Prozent der Bevölkerung leben hier und zehn Pro-zent aller Beschäftigten. »LändlicheRäume sind zwar keine großen Arbeit-geber, aber sie sind wichtige Arbeit-geber für die Menschen vor Ort«,erklärte Helmle.

Der ländliche Raum bietet ein gro-ßes Entwicklungspotenzial: »Es gibteigenständige Entwicklungen auch inRegionen, von denen man in den1950er Jahren noch erwartet hatte,dass sie kaum eine Zukunft haben«,schilderte Helmle auf der Tagung inBad Boll. In den 1950er und 1960erJahren bemühte sich die Politik dortvor allem um eine bessere Agrarstruk-tur, in den 1970er und 1980er Jahrenging es dann um den Erhalt und dieVerbesserung der Infrastrukturen. Seitden 1990er Jahren stehen ganzheitli-che regionale Lösungen und die Be-

Ein weiteres Projekt der Wissen-schaftler, das die Innovationsvernet-zung untersucht, ist das »Landfrauen-Coaching«. Obwohl Frauen, die aufdem Land leben, kaum als Entwick-lungsträgerinnen wahrgenommenwerden, üben sie unterschiedlicheRollen aus, die sich im Laufe der Zeitimmer wieder verändert haben.Darüber hinaus lassen sich Entwick-lungen auch an den Änderungen imVerständnis sozialer Rollen erkennen,betonte Helmle. Sie schlägt vor,»Denkräume in ländlichen Räumen«zu schaffen, zum Beispiel durchIdeen- und Bürgerwettbewerbe oderauch durch Zukunftswerkstätten. Vorallem bürgernahe Ansätze seien ge-rade gefragt. Wichtig sei auch dieArbeit mit Jugendlichen. Doch bishergebe es im ländlichen Raum nur ver-einzelt Jugendgemeinderäte. Helmleist sich sicher: Die Beteiligung vonJugendlichen an kommunalen Ent-scheidungsprozessen kann derenBindung an die Region stärken unddazu beitragen, dass sie später alsErwachsene in der Gegend bleibenoder nach der Ausbildung in dieRegion zurückkehren.

Von der Redaktion gekürzt.

Besseres Image und kreative Ideen gefragtChancen im ländlichen Raum - dem demografischen Wandel zum Trotz

Kusterdingen ist einer der Untersuchungs-orte der Universität Hohenheim.

PD Dr. Simone Helmle

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Thomas Keller, Mitglied der Geschäfts-leitung Region Württemberg ›Privat-und Firmenkundenbank‹, DeutscheBank war Referent bei der Tagung»Soziale Marktwirtschaft neu denken.70 Jahre Freiburger Denkschrift« am28. Juni. Dr. Claudia Mocek hat ihninterviewt.

Es gibt Banker und Bankiers – welcheEinstellung haben Sie?Keller: Wir haben bei der Tagung zurSozialen Marktwirtschaft schon überden Begriff des »ehrbaren Kaufmanns«gesprochen, einen Begriff, den es inEuropa seit dem Humanismus gibt. Erbezeichnet jemanden, der den lang-fristigen Erfolg sucht und für den dieReputation sehr wichtig ist. Nicht nur,weil sie einen Wert an sich darstellt,sondern weil ihm klar ist, dass erohne die Akzeptanz seiner Stake-hol-der – den Mitarbeitern, Kunden undLieferanten – auf Dauer keineGeschäfte machen kann. Ich fühlemich diesem Ideal verbunden; ob mirdie Umsetzung gelingt, das müssenmeine Kunden entscheiden.

Ist das Konzept des ehrbarenKaufmanns in der globalisierten Weltüberhaupt noch sinnvoll?Wenn wir davon ausgehen, dass esgrundlegende Mechanismen gibt, die in Wettbewerbswirtschaften denlangfristigen Unternehmenserfolgsichern, dann macht es heute mehrSinn denn je. Ein Beispiel: Vor 25Jahren konnte man Bestechungsgel-der noch ganz offiziell von der Steuerabsetzen. Heute ist es eine Straftatund gesellschaftlich geächtet. Inso-fern glaube ich sehr wohl, dass derVerzicht auf den schnellen Euro rich-tig ist, um den langfristigen Unter-nehmenserfolg abzusichern.

Sie haben vorhin schon die »Freibur-ger Denkschrift«* genannt. WelcheRolle spielt sie für Sie?Für mich ist sie eines der beein-druckendsten Zeugnisse der jüngerendeutschen Geschichte. Während Nazi-

deutschland moralisch in eine Katas-trophe schlitterte, gab es einen klei-nen Kreis von Frauen und Männern,die im besten lutherschen Sinne nachvorne dachten und sagten, diese Weltwird untergehen – wie soll die nächs-te aussehen? Unter Lebensgefahr ent-stand 1942 die Denkschrift, in der esum die künftige Wirtschafts- undSozialordnung eines neuen deutschenStaates geht. Vieles, was später ver-wirklicht werden konnte, ist hierschon angemahnt worden – etwa,dass die Wirtschaft auch den künfti-gen Generationen dienen soll – unddarin finden wir wieder das Nach-haltigkeitsprinzip des ehrbaren Kauf-manns.

Welche Impulse kann die Denkschriftfür die Soziale Marktwirtschaft derZukunft geben?Der Begriff ist ja nicht eindeutig de-finiert, er bezeichnet eine Wettbe-werbswirtschaft, die individuelle Frei-heit mit einem Ordnungsrahmen undmit sozialem Ausgleich verbindet. In der Kurzformel sind wir uns alleeinig, aber im Konkreten zeigen sichdie Streitfragen: Was hat die Wirt-schaftspolitik für eine Aufgabe?

Stellt sie nur den Rahmen, oder ist sie interventionistisch? Warum glei-chen wir nicht einzelne, wesentlicheAspekte unserer Wirtschafts- undSozialordnung ab mit dem, was da-mals gedacht worden ist und fragenuns dann: Was machen wir daraus?Ich glaube, dafür könnte Bad Bolleine gute Plattform sein.

Welche ethischen Traditionen habenSie geprägt? Ich bin mit dem Idealbild des ehrba-ren Kaufmanns groß geworden. MeineGroßväter und mein Vater haben mirauf spielerische Weise ihr Wertekor-sett vermittelt. Es waren solche Sätzewie: »Hat das sein müssen, dem an-deren weh zu tun?« Und die Antwortund auch die Verantwortung lagendann bei mir. Das Raufen auf demSchulhof war in Ordnung, aber wenneiner am Boden lag, und jemandhätte nachgetreten, der wäre geäch-tet worden. Kräftemessen ja, aber nurbis zu dem Punkt, an dem der Siegerfeststeht, und dann die Machtpositionkeine Sekunde lang auskosten.

Rechtlichkeit und Ehrbarkeit imGeschäftsleben: Ist da denn immerklar erkennbar, wo die Grenzen sind?Ich glaube die rechtlichen Rahmensind klar erkennbar, wenn auch in derglobalen Welt nicht einfach zu über-blicken. Die Ehrlichkeit geht darüberhinaus. Nicht alles was legal ist, istauch legitim. Wenn wir es nichtschaffen, anständig miteinander um-zugehen und damit dem Gebot vonRecht und Glauben gerecht zu wer-den, dann sind wir nur noch Vertrags-parteien und keine Partner mehr. Dasist der falsche Weg. Der Erfolg liegtdarin, dass beide Unternehmen einepartnerschaftliche Beziehung zuein-ander entwickeln und pflegen.

Die Bankenkrise ist ein Beispiel fürverlorenes Vertrauen. Wie gewinntman es zurück, gibt es da einPatentrezept?

Ehrbarer Kaufmann oder Banker?Interview mit Thomas Keller, Deutsche Bank

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Das ist sicher ein langfristiger Pro-zess, der nicht durch Formeln zulösen ist. Vertrauen gewinnt man,indem man über lange Zeit in derPartnerschaft den anderen erlebenlässt, dass er wahrgenommen undernstgenommen wird. Fair-Share istein Begriff, den sich die DeutscheBank vor einiger Zeit hat schützenlassen: Wir messen heute unsereFilialen nicht nur an dem, was sieerwirtschaftet haben, sondern auchdaran, wie sie es erwirtschaftet undam Nutzen, den sie unseren Kundengestiftet haben. Wir machen jedesJahr etwa mit einer Million Kundeneine Befragung, wenn sie ihren Kon-toauszug am Automaten abholen. Die Ergebnisse gehen in die Filialbe-wertung ein.

Bei der Tagung in Bad Boll haben Sieeine Arbeitsgruppe zur Unterneh-mensethik geleitet. Gab es Denkan-stöße, die für Sie neu waren?Der Wunsch nach mehr Regeln hatmich überrascht, weil ich aus einerIndustrie komme, in der es schon sehrviele Regeln gibt. Aber die eigentlicheAussage der Freiburger Schule ist ja,dass der Staat den Rahmen setzt, indem sich Individuen frei bewegenkönnen. 1942 war die Perspektive natürlich eine andere als heute inunserer global arbeitsteiligen Wirt-schaft.

Wagen Sie einen Blick in die Zukunft:Wird es in 70 Jahren noch eineUnternehmensethik geben?Die Definition eines ethischen Unter-nehmerverhaltens wird immer aus derZeit heraus geboren. Ich glaube, dasses in der Zukunft eine größere Chan-ce gibt, zu einer globalen Ethik zukommen. Wenn die Annahme gilt,dass es immer wieder Krieg gebenwird, dann wird es auch in der Markt-wirtschaft Krisen geben, und dannsteht die Ethik mal mehr, mal weni-ger im Fokus. Aber in freiheitlichenSystemen, die auf dem Prinzip derRechtsstaatlichkeit beruhen, ist fürmich völlig klar: Eine nachhaltige, anden vorher beschriebenen Überlegun-gen ausgerichtete Unternehmensfüh-rung wird langfristig die erfolgreichesein.

Von Simone Helmschrott, Studienlei-terin in der Evangelischen AkademieBad Boll

Das staatliche türkische Fernsehenzeigte eine Dokumentation über Pin-guine – doch überall sonst war Gezi.Weltweit zeigte man sich solidarischmit den Protesten in der Türkei. Bil-der wurden beschworen vom Streitder »säkularen« Kemalisten gegen die»religiösen« Anhänger der Regierungs-partei AKP. Und daran ist ein wahrerKern: Das Erbe des StaatsgründersKemal Atatürk, ein strenger Laizismusnach französischem Vorbild, wurdelange Zeit von einer säkularen Elitegetragen. Die Bevölkerung aber defi-nierte die eigene Identität durch Tra-dition und Religion. Der Erfolg stärkerreligiös verorteter Parteien wie derAKP ist also in erster Linie eine Reak-tion. Dieser Weg wurde in den Trans-formationsprozessen des arabischenFrühlings wiederholt als Vorbild isla-misch geprägter demokratischer Ge-sellschaften diskutiert.

Die AKP hat in der Tat sensationelleWahlergebnisse vorzuweisen. Sie stehtvor allem für einen erfolgreichenWirtschaftsislamismus. Doch ist diesein »Aufstieg mit Risiken und Neben-wirkungen«, wie Reinhard Baumgar-ten im März in der Akademie formu-lierte. Denn: Legitimiert eine prospe-rierende Wirtschaft und ein hohesWahlergebnis jede politische Ent-scheidung?Das ist es wohl, wofür Gezi steht: Mitden Protesten endet das Schweigenderjenigen, die sich nicht repräsen-tiert fühlen. Erdogans Baupläne wa-ren lange bekannt, doch keineswegsvon allen befürwortet. Kritiker muss-ten zunehmend mit Repressionenrechnen. Die Einschränkung der Pres-se- und Meinungsfreiheit im Landwird seit Jahren international scharfkritisiert. Die Zivilgesellschaft in derTürkei war auch zuvor vorhanden undbunt, doch weniger laut – sie wirkteim Verborgenen. Gezi heißt Spaziergang – doch daswird die Zeit »nach Gezi« für Erdogan

sicher nicht sein. Denn im Protesthatten viele verschiedene Bewegun-gen und Lebensstile eine gemeinsameStimme. Es geht um deutlich mehr alsnur um Baupläne. Wie will man le-ben? In welcher Gesellschaft? Daherfanden sich im Gezi-Park ebenso Geg-ner Erdogans, die seine Öffnungen imKurdenkonflikt kritisierten und kei-neswegs für mehr Demokratie eintra-ten. Immer deutlicher zeigt sich also, dassdie AKP keine Konsensregierung bil-det. Das erklärt auch die derzeitigeStimmung: Auf die Äußerung einesAKP-Abgeordneten, der Anblick vonSchwangeren auf der Straße sei eineSchande, haben sich Demonstrationenformiert und Meinungsäußerungen inden Netzwerken von Twitter undFacebook gezeigt, die den Geist vonGezi in sich tragen. Diese Protestkul-tur ist kreativ – und ein wichtiger Teileiner demokratischen Gesellschaft.Die repressiven Reaktionen von Seitender Polizei und Äußerungen, die Pro-testierenden seien »Plünderer« (capul-cular), haben den wenig demokrati-schen Umgang der Regierung mit derOpposition gezeigt. Doch das nächsteWahlergebnis wie auch die Verhand-lungen um eine neue Verfassung wer-den einen Konsens brauchen. DerWeg der Türkei kann also nicht ein-fach ein übertragbares Vorbild fürandere Gesellschaften sein – er wirdneu gefunden werden müssen, umüberhaupt noch gangbar zu sein.Akteure wie die Akademie könnendiesen Weg begleiten.

Gezi heißt Spaziergang

Beliebtes Graffiti der türkischen Protestbe-wegung, siehe pic.twitter.com/2cXiIMrqwL

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Was kommt?Tagungen vom 13. Sep-tember bis 31. Dezember

Flüchtlinge aus den südost-europäischen StaatenEs ist Zeit für Gerechtigkeit!13.-15. September 2013, Bad BollDie zunehmende Einwanderung vonRoma in den letzten Jahren hat zueiner verstärkten Wahrnehmung ihrerSituation geführt, doch stehen ent-scheidende rechtliche und sozialeVerbesserungen weiterhin aus. Wiekann sich die Zivilgesellschaft enga-gieren, um die Lage der Menschenvoranzubringen? Was muss kommu-nal, national und internationalgeschehen, um mehr Gerechtigkeit zugewährleisten?Tagungsleitung: Simone Helmschrott,Annette Stepputat, Ulrike DuchrowInfos: Reinhard Becker, s. S. 20

Freiheit und Verantwortung in derUnternehmensführungEvangelische Beiträge zur SozialenMarktwirtschaft13. September 2013, Bad BollWirtschaftliche Freiheit und unter-nehmerische Verantwortung mitein-ander zu verbinden, ist im Unterneh-men eine alltägliche Herausforderung.Thema des Workshops ist, wie sichdaraus neue Entwicklungsmöglich-keiten für die Unternehmen erschlie-ßen lassen.Tagungsleitung: Dr. Dieter HeidtmannInfos: Sybille Dahl, s. S. 20

Nachhaltige Entwicklung durchBeteiligung. Vorarlberger Modellefür den ländlichen Raum17.-19.9.13, Bildungshaus BatschunsVorarlberg hat sich in wenigen Jahrenvon einem strukturschwachen Gebietzu einer der innovativsten RegionenEuropas entwickelt. NachhaltigesWirtschaften und vorbildliche Infra-struktur, sowie die Weiterentwicklungder traditionellen Handwerkskultursind Elemente dieser Entwicklung.Motor des Wandels sind eine amGemeinwohl orientierte Wirtschafts-weise, die Stärkung regionaler Netz-werke und kulturelle Beteiligung.

Tagungsleitung: Martin Schwarz,Frederike Winsauer; Dr. rer pol.Jeannette BehringerInfos: Eliane Bueno Dörfer, s. S. 20

Sozialpsychiatrische Dienste zwischen Hilfe und Kontrolle2. Süddeutsche Fachtagung fürSozialpsychiatrische Dienste18.-19.9.13, Bad BollDie Tagung will Mitarbeitenden undVerantwortlichen der Sozialpsychia-trischen Dienste in Baden-Württem-berg und Bayern ein Forum zum ge-genseitigen Austausch bieten. Nebenaktuellen sozialpolitischen Trends ste-hen fachlich-inhaltliche Fragestellun-gen zur Begleitung und Unterstüt-zung der Klienten und Klientinnen zurDiskussion. Länderübergreifende The-men und aktuelle »Brennpunkte« sol-len bearbeitet werden.Tagungsleitung: Christa Engelhardt,Dr. Heinrich Berger; Dr. Klaus Obert;Friedrich Walburg; Matthias KneißlerInfos: Erika Beckert, s. S. 20

Indien – Wirtschaftsmacht ohneMittelschicht. Berufliche Qualifi-zierung der Benachteiligten nachdeutschem Vorbild?20.-22. September 2013, Bad BollIndien als »Schwellenland« und kom-mende Wirtschaftsmacht befindetsich in vielerlei Hinsicht in einemWandel. Weil eine gut aufgestellteMittelschicht fehlt, wird im sozialenGefüge die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Die Tagungnimmt daher das Thema der berufli-chen Bildung in den Fokus. Kann das»Duale System« Deutschlands ein Er-folgsmodell für ein sozial gerechteresIndien werden?

Tagungsleitung: Simone Helmschrott,Lutz Drescher, Walter HahnInfos: Reinhard Becker, s. S. 20

Wenn du in die Höhle des Löwengehst, vergiss nicht, auch du bisteine Löwin. Festveranstaltung zum70. Geburtstag von Bischöfin i. R.Bärbel Wartenberg-Potter21. September 2013, Bad BollBis eine Frau Bischöfin in Stuttgartwerden kann, »fliaßt no viel Wasserda Neckar na«, wie Schwäbinnen undSchwaben sagen. Während alles so imFluss ist, soll die Bedeutung von Pfar-rerinnen und Bischöfinnen für die ver-schiedensten Kirchen und Gemeindensichtbar werden. Der 70. Geburtstagvon Bärbel Wartenberg-Potter, eineder ersten Bischöfinnen weltweit, istwillkommener Anlass dazu.Tagungsleitung: Kathinka Kaden,Susanne Wolf, Bärbel Wartenberg-PotterInfos: Gabriele Barnhill, s. S. 20

Abschied von der ErwerbsarbeitAufbruch ins Morgen – Weichenstellen25.-28. September 2013, Bad BollAltersteilzeit, Vorruhestand undRuhestand sind verbunden mit demAbschied aus vielen Rollen und Be-ziehungen. Den Abschied ernst zunehmen und die Chancen der neuenLebensphase in Beziehung, Freizeit-aktivitäten und Engagement für an-dere zu erkennen, ist das Ziel desSeminars.Tagungsleitung: Dr. Karlheinz Bartel,Margit MetzgerInfos: Heidi Weinmann, s. S. 20

Inklusion am Übergang Schule –Arbeitswelt. Neuland ermöglichen für jungeMenschen mit Einschränkungen26. September 2013, Bad BollJunge Menschen mit unterschiedli-chen Behinderungen sollen in derPhase zwischen Schule und Arbeits-welt entsprechend ihren Möglich-keiten gut in Ausbildung und Berufbegleitet werden. Wie können unter-schiedliche Strukturen und Abläufeder beteiligten Akteure in Schule,Jugendhilfe, Arbeitswelt vernetztwerden? Wie können hilfreiche

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Eine gut aufgestellte Mittelschicht fehlt inIndien. Kann berufliche Bildung – wie dasdeutsche »Duale System« helfen?

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Rahmenbedingungen für die Über-gangsphase geschaffen werden?Tagungsleitung: Sigrid SchöttleInfos: Marion Heller, s. S. 20

Das »Schwarz-Filmfestival« für einebunte Pädagogik. Hilf mir, etwasselbst zu tun – inspirierende Schul-modelle im Film27. September 2013, Bad BollDr. Paul Schwarz, Bildungsjournalistund Filmemacher, hat einen fundier-ten Einblick in die Bildungslandschaft.In rund 150 Dokumentarfilmen zeigter positive und problematischeEntwicklungen auf. Das »Schwarz-Filmfestival« gibt Lehrern, Eltern undSchülern die Möglichkeit, sich attrak-tive und bunte Schulmodelle vorAugen zu führen und in ihrer eigenenInstitution weiter zu beraten.Tagungsleitung: Dr. Thilo FitznerInfos: Brigitte Engert, s. S. 20

Beteiligungsprozesse mit DynamicFacilitation moderieren. Fortbildung für die Moderation vonBürgerInnenräten in Baden-Württemberg30.9.-2.10.2013, Bad BollDie Fortbildung bietet Theorie undPraxis mit Trainingsphasen von Dyna-mic Facilitation in so genannen Bür-gerInnenräten. Die Methode eignetsich für schwierige und komplexe Beratungen in größeren Gruppen oderin Kommunen. Mit ihr sollen Beteili-gungsprozesse angestoßen werden –eine Weiterentwicklung der Zivilge-sellschaft in Baden-Württemberg.Tagungsleitung: Sigrid SchöttleInfos: Marion Heller, s. S. 20

Mitmachen EhrensacheFit für das Botschafteramt4.-6. Oktober 2013, Bad BollDie Aktion »Mitmachen Ehrensache«und die Evangelische Akademie BadBoll laden Schülerinnen und Schüleraus Baden-Württemberg ein, die sichals ehrenamtliche Botschafterinnenund Botschafter für diese Initiative anSchulen, bei Arbeitgebern und in denMedien einsetzen wollen. Das Semi-nar bietet Workshops, in denen öf-fentliches Auftreten und Kommuni-kation geübt werden.

Tagungsleitung: Marielisa vonThadden, Gabi Kircher, Günter BressauInfos: Heidi Weiser, s. S. 20

Herausforderung InklusionSchwerbehindertenvertretungen inBetrieben, Behörden und Schulen9.-11. Oktober 2013, Bad BollDie Tagung bietet fachliche Weiter-bildung für die tägliche Arbeit in derSchwerbehindertenvertretung. Kolle-ginnen und Kollegen sowie Fachper-sonen aus verschiedenen Bereichenbieten Hilfestellungen. Daneben istRaum, die persönlichen Ressourcen zustärken. Schwerpunkte sind die Schaf-fung von Ausbildungsmöglichkeitenfür schwerbehinderte Jugendliche und die barrierefreie Gestaltung vonArbeitsplätzen.Tagungsleitung: Martin Schwarz,Karl-Ulrich Gescheidle, ChristaEngelhardtInfos: Eliane Bueno Dörfer, s. S. 20

Mit bestimmen – mit eigenerStimme: Frauen in die Politik.Seminar für kommunalpolitischinteressierte Frauen11.-12. Oktober 2013, Bad Boll

Politik lebt von Beteiligung. Dochnoch immer sind Frauen unterreprä-sentiert. Dieses Seminar bestärkt undbefähigt Sie zu einem künftigenEngagement in der Kommunalpolitikim Vorfeld der Gemeinderatswahlenam 25. Mai 2014.Tagungsleitung: Dr. Irmgard EhlersInfos: Andrea Titzmann, s. S. 20

Medientage Bad Boll18.-20. Oktober 2013, Bad BollDie Zukunft des Journalismus hängtwesentlich davon ab, ob es gelingt,das Interesse der Jüngeren zu gewin-nen. Mit welchen Inhalten, Formatenund Medien erreicht man sie? Wiemüssen Informationen aufbereitetsein, damit Jüngere sie nutzen undauch dafür bezahlen?Im Blog zur Tagung finden Sie aktuel-le Informationen, Diskussionsbeiträge,Links und mehr: http://medientage-badboll.tumblr.comTagungsleitung: Susanne WolfInfos: Brigitte Engert, s. S. 20

Opfer und MedienWas sich Opfer von Medien, Justizund Fachberatung wünschen18.-19. Oktober 2013, Bad BollBetroffene von politischen Verbre-chen, Sexual- und Tötungsdeliktensind begehrte Gesprächspartner und -partnerinnen für Journalisten, vor al-lem direkt nach der Tat. Im Gerichts-saal folgt oft eine zweite Welle me-dialer Aufmerksamkeit. Manche füh-len sich den Medien hilflos ausgelie-fert, andere verschaffen sich Respekt.Es kommen Menschen zu Wort, diedie Katastrophe nach der Katastropheauf unterschiedliche Weise erlebthaben.Tagungsleitung: Kathinka KadenInfos: Gabriele Barnhill, s. S. 20

Solidarität und Marktwirtschaft23. Oktober 2013, StuttgartWelche Rolle spielt Solidarität in be-triebswirtschaftlichen Konzepten undvolkswirtschaftlichen Theorien? InVortrag und anschließender Diskus-sion geht es um historische Grundla-

Gesellschaft im Wandel – WohnRäume schaffen für alleGenerationen.Demografie-Fachtagung7. Oktober 2013, Bad BollÜberall im Land gibt es spannendeAufbrüche zu generationenübergrei-fendem Wohnen: in selbstorgani-sierten Wohnprojekten, in Bauher-rengemeinschaften, in trägerinitiier-ten Modellen, in sich neu erfinden-den Nachbarschaften und Quartie-ren. Die demografische Veränderungstellt neue Fragen an die Planungunserer Städte und Gemeinden, diewir anhand zahlreicher Praxis-Bei-spiele besprechen und voran brin-gen wollen. Als ergänzendes An-gebot gibt es die Möglichkeit, inden Wochen nach der Fachtagungkonkrete Wohnprojekte vor Ort ken-nenzulernen.Tagungsleitung: Dr. Irmgard Ehlers,Christina Herrmann, SabineNeumann-BraunInfos: Wilma Hilsch, s. S. 20

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gen, aktuelle Trends und die Frage,wie sich Marktwirtschaft künftig ent-wickeln kann und soll. Der Veranstal-tungsort wird noch bekannt gegeben.Tagungsleitung: Anna GreveInfos: Sybille Dahl, s. S. 20

Diaspora als Brückenbauer in derEntwicklungszusammenarbeitDas Beispiel Armenien24. Oktober 2013, StuttgartMigranten und Diasporagemeindensind wichtige Akteure in der Entwick-lungszusammenarbeit. Die Frage ist,wie sie ihre Kompetenzen noch stär-ker in das Netzwerk entwicklungspo-litischer Akteure einbringen können.Tagungsleitung: Dr. Dieter Heidtmann,Simone HelmschrottInfos: Sybille Dahl, s. S. 20

Äthiopien. Historische und aktuelle Perspektiven26.-27. Oktober 2013, Bad BollEs gibt vielfältige Aktivitäten zu Äthi-opien – in der Forschung, der Ent-wicklungszusammenarbeit, im kirchli-chen Engagement und der äthiopi-schen Diaspora. Bei der Fachtagungsollen aktuelle Diskussionssträngeund Themenfelder aufgegriffen underörtert sowie eigene Erfahrungen inund mit diesem Land im Wandel ein-gebracht werden. Austausch undVernetzung stehen im Mittelpunktdes Länderseminars.Tagungsleitung: Dr. Regina Fein,Simone HelmschrottInfos: Romona Böld, s. S. 20

Umweltmanagement und seinePerspektiven in Hochschulen7. November 2013, Bad BollDie Hochschule für Wirtschaft undUmwelt Nürtingen-Geislingen und dieUniversität Hohenheim haben dasUmweltmanagementsystem nachEMAS erfolgreich eingeführt. IhreErfahrungen sollen für andere Hoch-schulen nutzbringend aufgezeigt undoffene Fragestellungen erläutert unddiskutiert werden.Tagungsleitung: Anna GreveInfos: Romona Böld, s. S. 20

Integrationspolitik und Arbeits-marktintegration. Auf dem Weg zu fairen Zugangschancen7.-8. November 2013, Bad BollDer Arbeitsmarkt erscheint vielen Migranten als undurchschaubar undschwer erreichbar. Arbeitsmarktinte-gration wird noch zu selten mit Inte-grationspolitik verbunden, obwohl dieArbeitslosigkeit unter Migranten imVergleich mehr als doppelt so hochist. Neue politische Entwicklungenund neue Möglichkeiten des Arbeits-marktzugangs, insbesondere dieberufsspezifische Sprachförderung,sollen im Vordergrund stehen.Tagungsleitung: Simone Helmschrott,Inge Mugler, Nadine BartelsInfos: Reinhard Becker, s. S. 20

Brauchen Unternehmen Wachstum?Strategien für eine nachhaltigeEntwicklung8.-9. November 2013, Bad BollNachhaltige Entwicklung ist ohne denBeitrag von Unternehmen nicht mög-lich. Diese setzen bisher überwiegendauf Wachstum. Ist dies zwingend?Was ist das Besondere an Unterneh-men, die andere Ziele verfolgen, sichaber am Markt behaupten? Sind ihreGeschäftsmodelle übertragbar oderhandelt es sich nur um eine Nischen-strategie? Welche Rolle spielt dabeidie staatliche Wachstumspolitik?Tagungsleitung: Dagmar BürkardtInfos: Wilma Hilsch, s. S. 20

Adoption aus familiendynamischerSicht. Tagung für Adoptiveltern9.-10. November 2013, Bad BollAdoption ist ein komplexes und sensi-bles Geschehen zwischen abgebender

Mutter, aufnehmenden Eltern undbetroffenem Kind. Adoptivfamilieninvestieren viel, um die Zugehörigkeitder Kinder im Alltag gelingend zugestalten. Auf der Tagung soll einepositive, entwicklungsorientierteSichtweise aufgezeigt werden, die aufdie Ressourcen der Adoptivfamilienschaut und auf Schuldzuweisung undPathologisierung verzichtet.Tagungsleitung: Christa Engelhardt,Ilse OstertagInfos: Erika Beckert, s. S. 20

Verantwortungsbewusstes Führenund Entscheiden. Selbst- undZeitmanagement im Berufs- undPrivatleben11.-13. November 2013, Bad BollPraktische Ethik für Menschen in Ent-scheidungssituationen. In diesem Se-minar zeigen qualifizierte Trainerin-nen, wie sich dieses Modell schritt-weise üben und konkret anwendenlässt. Theorie- und Praxiseinheitensetzen an der persönlichen Situationder Teilnehmenden an.Tagungsleitung: Dr. Irmgard EhlersInfos: Wilma Hilsch, s. S. 20

15. Architektentag11. November 2013, Bad BollDie Tagung bietet Fachleuten ausArchitektur und Restaurierung dieGelegenheit, sich mit Vertretern derKirche über Fragen rund um den Neu-und Umbau von kirchlichen Gebäudenauszutauschen.Tagungsleitung: Susanne Wolf, Dipl. Ing. Gerald Wiegand Infos: Brigitte Engert, s. S. 20

Abschied von der Erwerbsarbeit.Aufbruch ins Morgen – Weichenstellen13.-16. November 2013, Bad BollAltersteilzeit, Vorruhestand undRuhestand sind verbunden mit demAbschied aus vielen Rollen und Be-ziehungen. Den Abschied ernst zunehmen und die Chancen der neuenLebensphase in Beziehung, Freizeit-aktivitäten und Engagement für an-dere zu erkennen, ist das Ziel desSeminars.Tagungsleitung: Sigi Clarenbach,Werner KollmerInfos: Heidi Weinmann, s. S. 20

Straßenszene in Addis Abeba

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Kunst der Mediation genau kennen.Tagungsleitung: Dr. Irmgard EhlersInfos: Wilma Hilsch, s. S. 20

Boller Bußtag der KünsteBrigitte Schwacke –Raumskulpturen und Zeichnungen20. November 2013, Bad Bollsiehe S. 6

Antiziganismus als Integrations-hemmnis? Politische, zivilgesell-schaftliche und rechtlicheHerausforderungen21.-22. November 2013, Bad BollDieses Jahr wird die politische Wahr-nehmung der Sinti und Roma in Ba-den-Württemberg durch die Abfas-sung eines Staatsvertrages auf neueFüße gestellt. Doch um Antiziganis-mus entgegenwirken zu können, sindzivilgesellschaftliche und wissen-schaftliche Initiativen nötig. Waskönnen konkrete Schritte sein, umden Staatsvertrag mit Leben zu erfül-len? Auch die internationale Perspek-tive wird zu betrachten sein.Tagungsleitung: Simone HelmschrottInfos: Reinhard Becker, s. S. 20

Identität in der VirtualitätWas geschieht mit dem Mensch im Netz?22.11.13, treffpunkt 50plus, StuttgartDie Informations- und Kommunika-tionstechnik verändert die Arbeitswelttiefgreifend. Arbeitende Menschenerhalten als natürliche Subjekte imInternet einen künstlichen Schatten,ihr »virtuelles Ich«. Wie wirkt sich soein technisches »Identitätsmanage-ment« auf das Selbstbewusstsein derPerson aus? Wie beeinflusst das »vir-tuelle Ich« als Datenschatten den rea-len Menschen im Alltag? Wie schüt-zen wir unsere Privatheit?Tagungsleitung: Dagmar Bürkardt,Susanne WolfInfos: Wilma Hilsch, s. S. 20

Youth Employment. Schritte gegenJugendarbeitslosigkeit in Europa28.-30. November 2013, LöwensteinJunge Menschen sind unverhältnis-mäßig stark von der globalen Wirt-schaftskrise betroffen. Nach einereuropäischen Statistik waren Ende2012 5,8 Millionen junge Menschen

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Die Zukunft, die wir wollenZukunftskonzepte für die Wirtschaft15.-17. November 2013, Bad Boll»Die Zukunft, die wir wollen, musserfunden werden. Sonst bekommenwir eine, die wir nicht wollen«, sagtJoseph Beuys. Grund genug, sich Zeitdafür zu nehmen, eine eigene Zu-kunftsutopie zu entwickeln. Wie wür-de die Welt aussehen, wenn wir siegestalten könnten? Was können wirdazu aus unseren Lebens- und Ar-beitsbereichen einbringen? An diesenFragen wollen wir in der Zukunfts-werkstatt arbeiten.Tagungsleitung: Dr. Dieter HeidtmannInfos: Sybille Dahl, s. S. 20

Mediation: Die hohe Kunst der vermittelnden KommunikationIntensivseminar für kommunaleFührungskräfte19.-21. November 2013, Bad BollDurch Vermittlung können gute Lö-sungen entstehen, denen die bisheri-gen Konfliktparteien zustimmen, weilwesentliche Interessen aller Beteilig-ten ernst genommen und transparentabgewogen werden. Am Beispiel Bio-sphärengebiet Schwäbische Alb ler-nen Sie vor Ort und im Seminar die

unter 25 Jahren arbeitslos. DieseTagung bietet Kirchen, kirchlichenOrganisationen und Jugendlichen ausganz Europa ein Forum, um sich mitdieser Problematik auseinanderzuset-zen und Lösungsansätze zu finden.Tagungssprache ist Englisch.Tagungsleitung: Karin Uhlmann,Kristine Jansone, Brüssel; Rev. Frank-Dieter Fischbach, BrüsselInfos: Claudia Zimmermann, s. S. 20

Ehrenamtlich aktivMit Jugendlichen im Übergang zwischen Schule und Beruf29. November 2013, Bad BollZu diesem praxisorientierten Semi-nartag sind Ehrenamtliche eingela-den, die Paten, Mentoren oder Beglei-ter für Jugendliche am Übergang zwi-schen Schule und Arbeitswelt sind.Ziel ist der kollegiale Austausch vonErfahrungen, Ideen und Tipps, aberauch die Klärung der Bedingungen,die diese freiwillige Arbeit braucht.Tagungsleitung: Sigrid SchöttleInfos: Marion Heller, s. S. 20

Trockene Fakten zur eigenenMobilitätVerkehrssicherheitstagung2.-3. Dezember 2013, Bad BollUnsere Gesellschaft zahlt einen hohenPreis für ihre Mobilität. Jedes Jahrsterben Tausende von Menschen undTieren auf unseren Straßen. »Trocken

fahren« ist schon seit langem Gebotund Gesetz. Dennoch spielt Alkoholam Steuer bei Unfällen nach wie voroft eine Rolle. Wie kann ich michnach dem Genuss von Wein, Bier oderSchnaps selbst bremsen, um nicht aufder Fahrerseite ins Auto zu steigen?Tagungsleitung: Kathinka KadenInfos: Gabriele Barnhill, s. S. 20

Justiz und Demografie20.-22. November 2013, Bad BollBislang hat die Justiz in Deutsch-land keine Nachwuchsprobleme.Das wird durch den demografischenWandel in wenigen Jahren andersaussehen. Gab es früher eine steteNachfrage, muss jetzt aktiv gewor-ben werden. Veränderte Lebens-formen wirken sich auf das Nach-lassrecht aus. Immer weniger jungeMenschen werden verurteilt.Gleichzeitig wächst die Zahl alterMenschen, die in Gefängnissen sit-zen oder nach oft langjähriger In-haftierung ohne einen sozialen Em-pfangsraum entlassen werden.Welche Ausbildungs- und Arbeits-abläufe sind in der Rechtspflegedavon betroffen? Was folgt darausfür die Gewährleistung des Rechtsfür jede Bürgerin und jeden Bürger?Tagungsleitung: Kathinka KadenInfos: Gabriele Barnhill, s. S. 20

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Mit Zielen zum ZielDie eigene Vision des Lebens ent-wickeln und verwirklichen3.-4. Dezember 2013, Bad BollIn diesem Seminar zum zielorientier-ten Selbstmanagement vermittelnerfahrene Referentinnen, wie Sie IhrePläne umsetzen, damit Sie beruflichund privat verwirklichen können, wasSie sich vorgenommen haben. MitHilfe von theoretischem Input, prakti-schen Übungen und individuellemFeedback bestimmen Sie Ziele undden Weg zu ihrer Umsetzung.Tagungsleitung: Dr. Irmgard EhlersInfos: Wilma Hilsch, s. rechts

Gründungsförderung in Baden-Württemberg5.-6. Dezember 2013, Bad BollDie Initiative für Existenzgründungenund Unternehmensnachfolge verbes-sert das Klima für junges Unterneh-mertum im Land. Durch innovativeFörderansätze für rund 1.800 Partnerist Baden-Württemberg mit Informa-tions-, Qualifizierungs-, Beratungs-und Finanzierungsangeboten im Bun-desvergleich vorne dabei. Partnerta-gung zur Weiterbildung, zum Erfah-rungsaustausch und der Vernetzungder Gründungsexperten in BaWü.Tagungsleitung: Anna Greve, Dr. Dieter HeidtmannInfos: Sybille Dahl, s. rechts

Transkulturelle Sicherheitspolitik6.-7. Dezember 2013, Bad BollSicherheit ist mittels angedrohteroder ausgeübter militärischer Gewaltallein nicht mehr zu gewährleisten.

Es wird vielmehr darauf ankommen,(trans-)kulturellen Faktoren in kurz-,mittel- und langfristigen sicherheits-politischen Strategien die gebührendeAufmerksamkeit zu schenken. Diepolitischen und operativen Chancenund Risiken einer solchen transkultu-rellen Sicherheitspolitik werden wirwährend einer Expertentagung aus -loten.Tagungsleitung: Simone Helmschrott,Michael ScherrmannInfos: Reinhard Becker, s. rechts

Vernetztes Europa im Übergang und Wandel. Arbeitsbeziehungen in Krisenzeiten9.-11. Dezember 2013, Bad BollWelche Herausforderungen stellensich für die Arbeitsbeziehungen in derFinanz- und Wirtschaftskrise in Euro-pa? Das EU-geförderte Projekt ‚Lin-king Europe in Transition‘ bringtSozialpartner und zivilgesellschaftli-che Akteure aus europäischen Län-dern in einem Expertennetzwerk zu-sammen. Innovative und erfolgreicheAnsätze zur Krisenbewältigung ineuropäischen Regionen werden vor-gestellt und diskutiert.Tagungsleitung: Dagmar BürkardtInfos: Wilma Hilsch, s. rechts

Vortagung Lesbische Frauen12.-13. Dezember 2013, Bad BollTagungsleitung: Susanne WolfInfos: Brigitte Engert, s. rechts

Arbeit ist das halbe LesbenlebenWirtschaften unter lesbisch-feministischen Bedingungen13.-15. Dezember 2013, Bad BollLesbengeld in Lesbenhand hieß es, alsLesbenprojekte entwickelt wurden.Warum gibt es kaum noch welche?Womit verdienen Lesben ihren Le-bensunterhalt? Was tun sie für ihreAltersvorsorge? Wie lässt sich derBeziehungsreichtum von Lesbennetz-werken für ein Wirtschaften in sozial-ökologischer Verantwortung nutzen?Gerechte Löhne für gute Arbeit – wiekommen wir dahin?Tagungsleitung: Susanne WolfInfos: Brigitte Engert, s. rechts

Sekretariate: Kontakte

Gabriele Barnhill, Tel. 07164 79-233, Fax [email protected]

Reinhard Becker, Tel. 07164 79-217, Fax [email protected]

Erika Beckert, Tel. 07164 79-211, Fax [email protected]

Romona Böld, Tel. 07164 79-347, Fax [email protected]

Infos: Sybille Dahl, Tel. 07164 79-225, Fax [email protected]

Eliane Bueno Dörfer, Tel. 0731 1538-571, Fax [email protected]

Brigitte Engert, Tel. 07164 79-342, Fax [email protected]

Marion Heller, Tel. 07164 79-229, Fax [email protected]

Wilma Hilsch, Tel. 07164 79-232, Fax [email protected]

Andrea Titzmann, Tel. (07164) 79-307, Fax [email protected]

Heidi Weinmann, Tel. 0711 351459-30, Fax [email protected]

Heidi Weiser, Tel. 07164 79-204, Fax [email protected]

Claudia Zimmermann, Tel. 07131 98233-14, [email protected]

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Panzerhaubitze der Bundeswehr

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Aus der Akademie

Abschied von Kathinka Kaden

»Ich hatte reiche Jahre, inhaltlichprall gefüllt, hochspannend. Es istschön, dass die Akademie als Forumverstanden wird und manchmal auchals Faktor wirken kann – hineinwir-kend in die Gesetzgebungen. Unddass sich alle die Zeit nehmen, diephilosophischen und ethischen As-pekte anzuschauen und zu diskutie-ren«, – so die kurz gefasste Bilanz vonKathinka Kaden über ihre acht Jahreals Studienleiterin. Zehn bis zwölfTagungen pro Jahr hat sie durchge-führt – die Tagungsprogramme, die inihrem Büro noch an der Wand hän-gen, zeigen ein breites Spektrum anspannenden und aktuellen Themen.

Neben Theologie hatte Kaden Jura bisüber die Zwischenprüfung hinaus stu-diert und sich mit Themen wie Staats-kirchenrecht, Religionsverfassungs-recht und mit der Frage befasst: »Wiesieht der Staat die Kirche?« Bevor siein der Akademie am 1. September2005 anfing, war sie Geschäftsfüh-rende Pfarrerin auf der StubersheimerAlb. Auch in der Gemeinde wurde siemit verschiedenen schwierigen Kon-stellationen konfrontiert: Erbstreitig-keiten, Arbeitslosigkeit, Problemenzwischen Alt und Jung, Gewalttätig-keiten, Umweltkonflikten, vielen Un-fällen, vor allem Autounfällen auf-grund von zu hohem Alkoholkonsum.»Ich wollte da mehr Hintergrund-wissen erwerben, rechtliche Zusam-menhänge kennenlernen und ethischeAspekte ausleuchten.«

Tagungen, in denen es um das Rechts-wesen in Deutschland geht, haben inder Evangelischen Akademie Bad Bolleine lange Tradition. Die Zusammen-arbeit mit festen Berufsgruppen wieden deutschen Juristenverbänden istfür diesen Arbeitsbereich sehr prä-gend. So hat Kathinka Kaden Tagun-gen zur Rechtspflege, zur Verkehrssi-cherheit, zum Tierschutz, zum Jugend-strafrecht und mit Schöffinnen undSchöffen übernommen. Hier wurdenaktuelle Themen wie »Die große Jus-

tizreform«, »Doping«, »Ökonomisie-rung in der Rechtspflege«, »Sicher-heitsverwahrung«, »Unterhaltsrecht«und vieles andere aufgegriffen unddiskutiert. Manche Ergebnisse wurdenals »Bad Boller Appell« danach an diezuständigen Ministerien geschicktund in die Öffentlichkeit kommuni-ziert.

Kathinka Kaden hat sich aber auchneue Felder erobert und reichlichProminenz in die Akademie geholt.Sie hat politische Tagungen zu ErhardEpplers 75. und 80. Geburtstag orga-nisiert, zum Beispiel »Die Sprache derPolitik«. Über ihn kam es auch zurersten Russland-Deutschland-Tagung,u. a. mit Gerhard Schröder, Egon Bahrund Gernot Erler. Für viel Resonanzsorgte die Tagung »Dreißig Jahre nachdem deutschen Herbst« mit General-staatsanwalt Klaus Pflieger, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Kraus-haar und Michael Buback, dem Sohndes 1977 ermordeten Generalbundes-anwalts Siegfried Buback. Angehörigevon RAF-Opfern forderten massiv dieAufklärung der Taten, und MichaelBuback beschuldigte die Geheim-dienste, in die Ermordung seines Va-ters verwickelt gewesen zu sein. Erdrohte mit Strafanzeige. Das Thema»Geheimdienste« hatte Kaden auch2011 aufgegriffen. Zu der aktuellenSituation meint sie: »Es wäre drin-gend notwendig, jetzt eine Tagung zuder jetzigen Geheimdienstaffäre zumachen, zu PRISM und NSA.«

Kohlrouladen mit vegetarischer Füllung

für 4 Personen

Zutatenliste / Einkaufsliste

4 Weißkohl- oder Sommer-wirsingblätter gedämpft200 g Couscous300 ml Gemüsebrühe50 g Öl100 g Zwiebelwürfel250 g Zucchiniwürfel100 g geröstete Cashewkerne100 g Rosinen 125 g Frischkäse100 g Creme fraicheSalz, Pfeffer, Currypulver

Couscous in Gemüsebrühe garen,Zwiebel- und Zucchiniwürfel düns -ten, mit Salz und Pfeffer würzen,abkühlen und unter den Couscousheben. Frischkäse, Creme Fraiche,Rosinen und Cashewkerne mit denGewürzen unterheben. Die Masseabschmecken. Bei den Kohlblätterndie kräftigen Rippen flachschneiden,mit der Außenseite auf die Arbeits-fläche legen, die Füllung daraufverteilen und das Kohlblatt auf-wickeln. Bei Bedarf stecken oderbinden und in eine gefettete Wannesetzen. Mit Sahne-/Kräutersoßeübergießen und 30 Min. im Back-ofen bei 160 Grad Heißluft garen.

Kräutersoße: Man bereitet eineMehlschwitze aus 25 g Butter, 25 g Mehl, 100 g Wasser, 100 gMilch, Gemüsebrühe, Salz, Pfeffer,Muskat, Zucker und Zitronensaft.Sauce mit 100 g Sahne, einer zer-drückten Knoblauchzehe und reich-lich frischen Kräutern abschmecken.

Guten Appetit!

Ihre Marianne Becker

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a u s d e r a k a d e m i e

Abschied von Alexandra Wörn

Nach zweieinhalb Jahren im treff-punkt 50plus in Stuttgart verlässtAlexandra Wörn, 36 Jahre, ihren ers-ten Arbeitsplatz nach dem Vikariat.Ab 1. September unterrichtet sie Reli-gion an Berufsschulen in Waiblingenund Sindelfingen – genau die Tätig-keit, die sie angestrebt hat. Eigentlichhätten es drei Jahre in Stuttgart seinsollen, aber da die Landeskirche unterPfarrermangel leidet, »werden Stellenin der Erwachsenenbildung gekürzt«,erklärt sich Alexandra Wörn die Ver-kürzung ihrer Stelle. Allerdings hat siedie Hoffnung, Projekte, die sie hier imintergenerativen Bereich begonnenhat, von der Berufsschule aus wiederaufnehmen zu können – gewisser-maßen aus der anderen Perspektive.

Alexandra Wörn hat Theologie undAnglistik studiert und eine interdiszi-plinäre Promotion verfasst. Nach ihrerVikarszeit in Stuttgart-Hedelfingensuchte sie nach einer Anstellung imBildungsbereich. Deshalb hat sie sichfür die Arbeit beim treffpunkt 50plus(damals noch Treffpunkt Senior) be-worben. Die Evangelische AkademieBad Boll hatte sie schon durch diegesellschaftsdiakonischen Kurse ken-nen und schätzen gelernt: »Ich selbstbin in einem eher evangelikalen Kon-text großgeworden. Durch die Akade-mie habe ich eine Form von Kirchekennengelernt, die ich so nicht kann-te, aber immer gesucht habe. Es warfür mich, auch persönlich, sehr berei-chernd, Studienassistentin an derAkademie zu sein.«

»Kirche und Demokratie« war immereines der Themen, die Kathinka Kadenam Herzen lagen. Das lag sicher auchan ihrem Engagement in der »OffenenKirche«, deren Vorsitzende sie von2004-2011 war. Spannend ist für siein diesem Zusammenhang die Frage,wo sich die Kirchen beim Thema»Grundrechte und Menschenrechte«positionieren. Positiv sieht sie dasneue EKD-Papier zur Familie. Aller-dings ist sie auch der Meinung, dassdie Kirche in anderen Belangen, zumBeispiel beim Arbeitsrecht und bei derGleichstellung Schritt halten muss:»Die Kirche muss ihre Legitimität neuausweisen.«

Bei ihren letzten Tagungen griff Kadenneue Themen auf: Vertreter der EU-Kommission diskutierten mit vielenBetroffenen über Arbeitsausbeutungin Europa und erforderliche Gegen-maßnahmen. In einer Tagung zumRecht auf Dolmetschen und Überset-zungen in Gerichtsverfahren wurdediskutiert, wie die EU-Richtlinie indeutsches Recht umgesetzt werdensoll.

Heute ist Kaden überzeugt: Der ganzeRechtsbereich – auch das Privatrecht– gewinnt immer mehr an Bedeutung.In allen Bereichen gibt es immer mehrRegelungen, alles ist durch Recht-sprechungen, auch durch das europä-ische Recht, normiert. Deshalb ist siefroh, dass ihre Stelle wieder besetztwird: »Es muss einen Raum geben, indem man überlegt, was unsinnig undwas angemessen ist. Ferner brauchenwir einen Raum, in dem moralischeFragestellungen diskutiert werden.«

Trotz dieser spannenden Themen gehtKathinka Kaden gerne wieder in dieGemeinde: »Auch dort gibt es prallesLeben. Und es gibt auch dort Ver-ständnis für meine Themen, zum Bei-spiel Tierschutz- und Umweltfragen.In unserer Wissensgesellschaft sinddie Leute ja fit. Auch in der Gemeindewerde ich sehr viel lernen. Ich freuemich jetzt auf die Gottesdienste, dieSeelsorge und auf den Rhythmus desKirchenjahrs, der gepflegt und gestal-tet werden kann.«

Martina Waiblinger

Der »intergenerative Dialog« wurdezum Schwerpunkt in Alexandra WörnsArbeit. Hier konnte sie vorhandeneProjekte fortführen und weiterent-wickeln, s. a. S. 12. Alexandra Wörnwollte »das Bewährte, das gut funk-tioniert, auf alle Fälle fortsetzen«.Neu war ihre Kontaktaufnahme zuanderen Schularten – so zur Werk-realschule Ostheim und zur Schloss-Realschule für Mädchen, mit denensie neue Projekte entwickelt hat. AchtSchülerinnen und Schüler der 8. Klas-se der Werkrealschule haben im Rah-men der Schulprojekttage mit fünfPersonen aus dem 30-köpfigen Video -kreis des treffpunkt 50plus zweiKurzfilme über das Leben im Stutt-garter Osten gedreht. »Die gemeinsamerstellten Filme waren meines Erach-tens interessanter als die Filme, dieder Videokreis für sich alleine dreht.Es war viel mehr Leben drin!«, meintAlexandra Wörn. Dieselbe Klasse hatauch einen modernisierten Handykursangeboten: »Smartphone, iPad & Co –eine Einführung in den Umgang mitdem Sensorbildschirm«, der sehr gutankam. Neu war auch eine Koopera-tion mit der Stadtbücherei zum The-ma »Eine Einführung in den E-Book-Reader.«

Alexandra Wörn war Mitglied in derFrauenfachgruppe der EvangelischenAkademie Bad Boll und konnte sichüber diese Kontakte auch bei zweiTagungen einbringen. Andererseitshat sie auch immer Studienleitendeins »Offene Foyer« eingeladen, damitdie Akademie auch vor Ort in Stutt-gart sichtbar ist.

Als Privileg betrachtete AlexandraWörn die enge Zusammenarbeit mitder Stadt Stuttgart – durch die Teil-nahme an städtischen Fachtagen undStrategierunden bekam sie interes-sante Einblicke in die Arbeit derStadtverwaltung und des Sozialamts.

Auf die neue Aufgabe freut sie sich –auch mit der Perspektive, von der Be-rufsschule aus mit dem treffpunkt50plus zusammenzuarbeiten. Nichtnur bei den Projekten, die sie selbstbetreut hat. Alexandra Wörn kannsich vorstellen, ihre Klassen auch

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b u c h t i p p s - l i n k s

zum »Politischen Stammtisch« mit-zubringen, der von Adrian Zielcke,einem ehemaligen Redakteur derStuttgarter Zeitung, geleitet wird.

Martina Waiblinger, s.a. Beitrag von Alexandra Wörn, S. 12

Neu in der EvangelischenAkademie Bad Boll

um 1. Dezember 2013 wird die Stelledes Wirtschaft- und Sozialpfarrers im Kirchlichen Dienst in der Arbeits -welt (KDA) in der Prälatur Stuttgartneu besetzt. Der neue Stelleninhaber,Romeo Edel, tritt dann die Nachfolgevon Esther Kuhn-Luz an. Der 57-jäh-

rige Theologe und Physiker stammtaus Stuttgart und arbeitet zurzeit alsGemeindepfarrer in Esslingen-Wäl-denbronn. Schon früh interessierte ersich für soziale und wirtschaftspoliti-sche Fragen. Nach dem Vikariat be-suchte er wirtschaftswissenschaft-liche Vorlesungen und leitete als Stu-dentenpfarrer in Tübingen Arbeits-kreise zu wirtschaftspolitischen Fra-gen. Als Verantwortlicher für denArbeitskreis des Kirchenbezirks Ess-lingen organisierte er Podiumsveran-staltungen zum Thema Nachhaltigkeitund nahm an Tagungen teil. Als Ver-treter der Kirche in der ArbeitsgruppeLokale Agenda der Stadt Tübingenarbeitete er eng mit bürgerschaftli-chen Initiativen zusammen. Edel ist

(APuZ 10-11/2011)Demografischer WandelIn dieser Ausgabe beschäftigen sichverschiedene Autoren zum Thema»Demografischer Wandel«, u. a. zumAspekt der ökonomischen Auswirkun-gen, der Migration und zum speziel-len deutschen Demografiediskurs. DasHeft ist vergriffen, steht aber zumDownload bereit: www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/33435/demografischer-wandel

EKD-Orientierungshilfe »Im Alter neu werden können«Evangelische Perspektiven für Indi-viduum, Gesellschaft und Kirche,Gütersloher Verlag, 2009. Die Orientierungshilfe steht zumDownload zur Verfügung:www.ekd.de/download/im_alter_neu_werden_koennen.pdf

Wolfgang Schuster und UlrichReinhardt:Generationenvertrag statt GenerationenverratHerder Verlag, 2013 Die demografische Entwicklung wirdin Deutschland in den nächsten Jahr-zehnten gravierende Veränderungenzur Folge haben. Wie kann der Über-alterung der Gesellschaft entgegen-getreten werden? Das Buch stelltsowohl Auswirkungen und Herausfor-derungen des demografischen Wan-dels als auch konkrete Lösungsvor-schläge im Umgang mit einer älterwerdenden Gesellschaft vor.Wolfgang Schuster ist ehemaligerOberbürgermeister von Stuttgart. AlsBefürworter einer »wertschätzendenWillkommenskultur« hat er 2001 eineGesamtstrategie zur kommunalenIntegrationspolitik entwickelt. Alseinziger Deutscher gehört er dem Ratder Weisen der EU an, der langfristigePerspektiven für Europa erarbeitet.FH-Prof. Dr. Ulrich Reinhardt ist Pro-fessor (in Teilzeit) am Zentrum fürZukunftsstudien und hauptberuflichwissenschaftlicher Leiter der Hambur-ger Stiftung für Zukunftsfragen.

seit zwölf Jahren Mitglied im Um-weltrat der Landeskirche und seitsechs Jahren in dessen Vorstand. DreiJahre lang war er zudem als Auf-sichtsrat in der Ökumenischen Ener-giegenossenschaft tätig. An seinemneuen Aufgabenfeld reizt den Vatervon drei Kindern besonders die Ver-knüpfung von inhaltlicher Arbeit mitder Begleitung und Unterstützungvon Menschen: »Der soziale Friedehängt wesentlich davon ab, ob undwie wir den Menschen die Teilhabean Lebenschancen ermöglichen undwie wir die ungleiche Verteilung vonEinkommen und Vermögen gerechtergestalten.«

Buchtipps & Links Zum Schwerpunkt»Demografischer Wandel« S. 7-13

Das Diskussionspapier»Demografisches Neuland. Schnellernoch als Deutschland muss JapanAntworten auf eine schrumpfendeund alternde Gesellschaft finden«von Reiner Klingholz und GabrieleVogt steht als Download hier zur Ver-fügung: www.berlin-institut.org/publikationen/discussion-paper/demografisches-neuland.html

Im August 2013 hat das Berlin-Insti-tut für Bevölkerung und Entwicklungeine neue Studie zum demografischenWandel herausgebracht: »Anleitungzum Wenigersein«. StudienautorReiner Klingholz fordert in seinemKommentar: »Wir müssen den Faktenins Auge schauen und die Weichenfür die Zukunft jetzt stellen«. Er kri-tisiert die Regierung, deren Demo-grafiestrategie nur bis 2030 geht – »dann, wenn die Alterung der Gesell-schaft erst richtig beginnt.« Erheb-licher Reformbedarf besteht seinerMeinung nach vor allem »an den vierBaustellen Familienpolitik, Fachkräf-tesicherung, Sozialsysteme und Regi-onalpolitik.« Die 39-seitige Studiesteht auf der Website des Berlin-Instituts zum kostenlosen Downloadbereit: www.berlin-institut.orgAus Politik und Zeitgeschichte

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ImpressumSYM – Magazin der Evangelischen Akademie Bad Boll10. Jahrgang 2013, Heft 3/2013ISSN: 1613-3714

Herausgeber: Evangelische Akademie Bad Boll(Dr. Jörg Hübner)

Verantwortlich im Sinne des Presserechts:Martina Waiblinger

Redaktion und Gestaltung: Martina Waiblinger

Fotonachweis: Reinhard Becker: S. 4; Bundeswehr: S. 20;Giacinto Carlucci: S. 2, Rückseite; TrevorLeyenhorst: S. 18; Claudia Mocek: S. 3,14; picture-alliance/dpa: S. 7 (2), 11, 16;Angela Rapp: S. 3; Uni Hohenheim: S. 13;Martina Waiblinger: S: 8, 13; AlexandraWörn: S. 12

SYM erscheint vierteljährlich.

Anschrift des Herausgebers:Evangelische Akademie Bad BollAkademieweg 11, 73087 Bad BollTel. (07164) 79-0E-Mail: [email protected]: [email protected] Tel. (07164) 79-302www.ev-akademie-boll.de

Das Papier wurde chlorfrei und säurefreigebleicht.

Druckerei: Mediendesign Späth GmbH,73102 Birenbach

Prostitution in Pattayavon Wolfgang Wagner

Wolfgang Wagner, viele Jahre Studien-leiter in Bad Boll, ist seit 8. Januar alsAuslandspfarrer mit seiner Ehefrau inPattaya. Wir berichten dieses Jahr injedem SYM an dieser Stelle von seinenErfahrungen. Wagner schreibt auchregelmäßig in einem kurzweiligenTagebuch-Blog über das, was sie inPattaya und im weiteren Umfeld erle-ben. Er kann hier bestellt werden:wolfgangwagner.blog.de

Prostitution ist in Thailand seit denspäten fünfziger Jahren gesetzlichverboten. Dennoch ist Pattaya alsSündenbabel weltberühmt. Es ziehtMänner aus aller Welt an. Als Bewoh-ner der Stadt kann man dennoch völ-lig unberührt davon bleiben. Die Barsund Massagesalons konzentrierensich auf bestimmte Viertel. Wer be-schauliche Ruhe liebt, kann in den»villages« genannten Wohnsiedlungenden Rotlicht-Betrieb ignorieren. Trotzdem ist es ein Thema unter denDeutschen, die sich regelmäßig imBegegnungszentrum zum Meinungs-austausch treffen. Etliche von ihnenverschweigen nicht, dass sie bezahltesexuelle Dienstleistungen in Anspruchnehmen. Andere leben länger oderkürzer, wechselnd oder dauerhaft miteiner Thaifrau zusammen, die siefinanziell aushalten. Sie wehren sichdagegen, solche Verhältnisse als Pro-stitution zu bezeichnen. Insbesonderebei älteren Männern (über 70 Jahre)hat man den Eindruck, dass dieseFrauen vor allem Altenpflegerinnensind. Sie dolmetschen, putzen, kaufenein, verwalten manchmal das Konto.Letzteres ist allerdings nicht unge-fährlich. So mancher Mann ist rui-niert worden, weil seine Liebste nichtnur seine Konten geplündert, sondernihn auch aus seinem Haus vertriebenhat. Die Gesetze des Landes werdenim Konflikt meistens zu Gunsten derThailänderinnen angewandt. Obwohldiese Tatsache hundertfach beschrie-ben ist und aktuelle Fälle immer wie-der erzählt werden, hat jeder Mannbis zum bösen Erwachen die Überzeu-

gung »Meine ist anders!« Fragt mannach den Gründen dieser Einstellung,hört man, dass die meisten geschei-terte Ehen oder Beziehungen in Deut-schland hinter sich haben. Viele kom-men mit westlichen emanzipiertenFrauen nicht mehr zurecht und fühlensich unterlegen. Hier aber sind siedank ihres – aus der thailändischenPerspektive – hohen Einkommensnoch Herr der Lage. Für ein armesMädchen vom Lande ist die Beziehungzu einem »Farang« (wie die Fremdengenannt werden) wie ein Sechser imLotto. Im Vergleich zur Schufterei aufdem Reisfeld ist das Leben eines Bar-mädchens paradiesisch. Anders kannman nicht erklären, dass sie einenAltersunterschied von fünfzig Jahrenund manche Gebrechen akzeptieren.

Nun wird immer behauptet, dass inden sechziger Jahren die US-Ameri-kaner die Prostitution eingeführt hät-ten. Das ist falsch. Schon 1977 hatder Kulturwissenschaftler William J.Klausner festgestellt, dass Prostitu-tion traditionell verwurzelt ist. Sexu-elle Freizügigkeit wird früh erfahren.Sofern man den Untersuchungenglauben kann, gehen mehr Thailänderals Ausländer in Bordelle. Umfragenunter Studentinnen ergeben, dass sieden Bordellbesuch ihres Partners eherakzeptieren als die alte Institution derNebenfrau. Sie selber müssen in denbesseren Familien allerdings nach wievor »unberührt« in die Ehe gehen. An-dernfalls kann ihre Familie nicht mehrso viel Brautgeld verlangen. ModernerEinfluss an den Universitäten verän-dert aber auch hier die Sitten.

Dennoch ist es für den aufgeklärtenEuropäer oft unfassbar, was hierzu-lande üblich ist. So machte jüngsteine Familie Schlagzeilen, in der jah-relang Großvater, Vater und Brüderein Mädchen seit dem achten Lebens-jahr vergewaltigt haben. Die Mutterschaute zu. Schwer verständlich istdemnach, dass die Thaifrauen trotzallem eine starke Bindung an ihre Fa-milie haben und deren Druck immerwieder nachgeben. So lassen sie sichdoppelt ausbeuten: Vom Liebhaberemotional und von den eigenen Ver-wandten finanziell.

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Manche behaupten, die buddhistischeReligion erlaube sexuelle Freizügig-keit, weil sie den Begriff »Sünde«nicht kennt. Das mag in der Praxis sosein, aber auf Buddhas Lehren kannman sich nicht berufen. Diese »Frei-heit« zieht aber viele frustrierte Deut-sche an. Eine Religion anscheinendohne Gott und Moral, aber mit einfa-chen Riten und einem weiteren Lebennach dem Tod ist für sie attraktiv.

Zweifel allerdings bleiben. Eine imBegegnungszentrum gewünschteDiskussion steht noch aus, was »derPfarrer« zur Prostitution sagt. Einerhat mich aber schon gefragt, ob aucher in den Himmel komme.

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m e d i t a t i o n

Respekt vor dem AlterBildmeditation zu Otto Dix »Die Eltern des Künstlers«

Von Dr. Dieter Heidtmann

Diesem Porträt der Eltern von OttoDix bin ich zum ersten Mal als Schü-ler im Kunstunterricht begegnet. Eswar schon damals ein Bild aus einerWelt, die ich selbst nicht mehr erlebthabe. Ich weiß noch, dass mich da-mals die Hände der beiden altenMenschen am meisten beeindruckthaben. Das ist heute noch so. Dieseübergroßen Hände, denen man an-sieht, dass sie ihr Leben lang hart ge-arbeitet haben. Ausdruck eines mühe-vollen Lebens, das sich auch in denverhärmten Gesichtern und der Ärm-lichkeit der Einrichtung widerspiegelt.

Zu der Zeit, zu der Otto Dix diesesBild seiner Eltern malte (1924), lagdie durchschnittliche Lebenserwar-tung der Frauen unter 58 Jahren, dieder Männer unter 55 Jahren. DieMenschen gingen in Rente, wenn sieim wörtlichen Sinne zu »abgearbeitet«waren, um noch weiter erwerbstätigzu sein. Ruhestand gab es für diemeisten auch dann nicht wirklich,denn sie mussten im Garten oder inder Landwirtschaft weiter tätig sein,um den kargen Lebensunterhalt zusichern. Das Bild von Otto Dix be-schreibt diese soziale Not. Es zeigtnicht nur die schwer und müde ge-wordenen Hände des Vaters nach 40Jahren Arbeit in der Gießerei. Es zeigtauch, dass mit all der Arbeit nicht vielerwirtschaftet werden konnte. DasSofa der Eltern ist trotz Schondeckeabgenutzt und notdürftig geflickt, dieTapete fleckig und vergilbt. War dasdie ganze Mühe und Arbeit wert?

Heute sprechen wir von »zehn ge-schenkten Jahren«, wenn wir auf dieMenschen blicken, die in Ruhestandgehen. Viele derjenigen, die heute 65sind, dürfen sich auf ein Jahrzehntzusätzlich freuen, das sie bei guterGesundheit erleben dürfen. Für vieleeröffnet sich damit ein ganz neuer

Lebensabschnitt mitganz eigenen Gestal-tungsmöglichkeiten.»Im Alter neu wer-den können« hat dieEKD ihre Orientie-rungshilfe zum de-mografischen Wan-del genannt, dieermutigt, die »zu-sätzlichen Jahrzehn-te dankbar als ge-schenkte Zeit anzu-nehmen und zu ge-stalten«. Ganz imWiderspruch zu die-ser Wertschätzungeiner neuen Lebens-phase steht die an-dauernde Diskrimi-nierung des Alters in vielen anderenLebensbereichen.Ältere Arbeitnehmergelten nach wie vorfälschlicherweise alsweniger leistungsfähig und in den Medien werden ModeratorinnenMitte/Ende 40 vom Bildschirm abge-zogen, weil sie nicht mehr jugendlichgenug erscheinen. Falten gelten alshässlich und unzeitgemäß.

Bei Otto Dix ist das nicht so. Kunst-geschichtlich gilt er als Vertreter der»Neuen Sachlichkeit«. Tatsächlich istsein Porträt der beiden Eltern aberalles andere als sachlich. Es ist vongroßer Empathie und hohem Einfüh-lungsvermögen geprägt. Ich verstehedie Spuren der Zeit in seinem Porträtals einen Ausdruck des Respekts ge-genüber der Lebensleistung dieserbeiden Menschen. Für diese Faltenmuss man sich nicht schämen!

Die Bibel beschreibt an vielen Stelleneindrücklich die Mühsal des Alterns.»Unser Leben währet siebzig Jahre,und wenn�s hoch kommt, so sind�sachtzig Jahre, und was daran köstlichscheint, ist doch nur vergeblicheMühe.« Dieser Vers aus Ps 90 könnte

auch als Überschrift für das Bild derEltern auf dem kleinen Zettel hintenan der Wand über dem Sofa hängen.»Ein langes Leben kann in dieser Per-spektive als ein reiches und von Gottgesegnetes Leben erfahren werden,wenn es auch – daran lässt die Bibelkeinen Zweifel – in der Regel mitArbeit, Sorge und Mühe gefüllt ist,«schreibt die EKD-Orientierungshilfe,und sie fügt hinzu: »Die Älteren wer-den in dieser Traditionslinie als füralle Menschen bedeutsam und wich-tig angesehen und kaum als defizitärerlebt.« Das ist zwar ein ziemlich ver-quastes Soziologen-Deutsch, meintaber vielleicht dasselbe wie Otto Dixin seinem Bild: Respekt vor diesenMenschen und vor dem, was sie inihrem Leben geleistet haben.

Dr. Dieter Heidtmann ist Studienleiter ander Evangelischen Akademie Bad Boll.

Otto Dix, Die Eltern des Künstlers II, 1924, Öl auf Leinwand, 118 x 130,5 cm, Sprengel Museum Hannover

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Investitur des Geschäftsfüh-renden Direktors Prof. Dr. JörgHübner am 23. Juni

Die Bilder zeigen die Einführung durchLandesbischof Frank Otfried July, Dr. Jörg Hübner mit seiner Frau Kathrin,seine Tochter Anthea, den Empfang undden Chor, sowie den Kuratoriumsvorsit-zenden Werner Stepanek mit der Präsi-dentin der Synode Dr. Christel Hausding(u. li.), Prof. Dr. Michael Hüther, der denFestvortrag hielt (unten Mitte) und zweiVertreter der Kommune (Bild rechts, vonlinks): Landrat Edgar Wolff und Bürger-meister Hans-Rudi Bührle. Fotos: Giacinto Carlucci

Abs. Evangelische Akademie Bad Boll, Akademieweg 11, 73087 Bad Boll - Postvertriebsstück 64670 - Entgelt bezahlt