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Syntax – Wiederholungen Historische Sprachwissenschaft Gerrit Kentner 18. April 2012 1/1 Was Sie ¨ uber Syntax wissen sollten I Satzbau: Wortabfolge und hierarchische Struktur I Konstituententests I Klassifikation von Konstituenten (nominale, verbale, adjektivische, pr¨ apositionale, adverbiale Konstituenten) I syntaktische Funktion von Konstituenten (Subjekt, Pr¨ adikat, Objekt, Adverb, Attribut) I syntaktische Ambiguit¨ aten I Phrasenstrukturgrammatik I Valenz / Rektion (Subkategorisierungsrahmen, Kasus, thematische Rollen) I topologisches Modell I Strukturableitung nach Drach 1/1 Lekt¨ ure Pittner, K. & Berman, J. (2004). Deutsche Syntax – ein Arbeitsbuch. T¨ ubingen: Narr. Grewendorf/Hamm/Sternefeld (1987). Sprachliches Wissen. Suhrkamp Kapitel IV: Syntax Syntaxkapitel in Meibauer et al. (2007) 2/1 Klassifikation von Nebens¨ atzen Nach syntaktischer Funktion Welche syntaktische Funktion haben die folgenden Nebens¨ atze? (1) a. Rita geht nach Hause, wenn es dunkel wird. b. Tom, der erk¨ altet ist, geht nach Hause. c. Rudi genießt, dass seine Schwester ur ihn kocht. d. Paula gef¨ allt, dass Rita nach Hause geht. e. Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch. Subjekt, Objekt, Adverb, Attribut 3/1

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Syntax – WiederholungenHistorische Sprachwissenschaft

Gerrit Kentner

18. April 2012

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Was Sie uber Syntax wissen sollten

I Satzbau: Wortabfolge und hierarchische Struktur

I Konstituententests

I Klassifikation von Konstituenten(nominale, verbale, adjektivische, prapositionale, adverbialeKonstituenten)

I syntaktische Funktion von Konstituenten(Subjekt, Pradikat, Objekt, Adverb, Attribut)

I syntaktische Ambiguitaten

I Phrasenstrukturgrammatik

I Valenz / Rektion(Subkategorisierungsrahmen, Kasus, thematische Rollen)

I topologisches Modell

I Strukturableitung nach Drach

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Lekture

Pittner, K. & Berman, J. (2004). Deutsche Syntax – einArbeitsbuch. Tubingen: Narr.

Grewendorf/Hamm/Sternefeld (1987). Sprachliches Wissen.SuhrkampKapitel IV: Syntax

Syntaxkapitel in Meibauer et al. (2007)

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Klassifikation von Nebensatzen

Nach syntaktischer FunktionWelche syntaktische Funktion haben die folgenden Nebensatze?

(1) a. Rita geht nach Hause, wenn es dunkel wird.b. Tom, der erkaltet ist, geht nach Hause.c. Rudi genießt, dass seine Schwester fur ihn kocht.d. Paula gefallt, dass Rita nach Hause geht.e. Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch.

Subjekt, Objekt, Adverb, Attribut

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Klassifikation von Nebensatzen

Nach Einleitungstyp

(2) a. Rita geht nach Hause, wenn es dunkel wird.b. Tom, der erkaltet ist, geht nach Hause.c. Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch.d. Peter hatte gehofft, Rita kame nach Hause.

KonjunktionalsatzPronominalsatz (Relativsatz, indir. Fragesatz)ohne Einleitung (meist Konditionalsatze oder Konjunktivsatze).

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Klassifikation von Nebensatzen

Nach Einleitungstyp

(3) a. Rita geht nach Hause, wenn es dunkel wird.b. Tom, der erkaltet ist, geht nach Hause.c. Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch.d. Peter hatte gehofft, Rita kame nach Hause.

Die traditionelle Unterscheidung zwischen Haupt- undNebensatz lasst sich nicht durch spezifische Verbstellungstypencharakterisieren! Alle Verbstellungen kommen in Nebensatzenvor.Gleiches gilt ubrigens fur unabhangige Satze.

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Exkurs

Verbposition in Hauptsatzen

(4) a. Peter hat zwei Maß Bier getrunken.b. Hat Peter zwei Maß Bier getrunken?c. Einmal zwei Maß Bier trinken konnen!

Die traditionelle Unterscheidung zwischen Haupt- undNebensatz lasst sich nicht durch spezifische Verbstellungstypencharakterisieren! Alle Verbstellungen kommen in Nebensatzenvor.Gleiches gilt ubrigens fur unabhangige Satze.

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Vorfeldbesetzung

(5) a. Er hat sich geschamt / *Sich hat er geschamt.b. Peter ist halt ein Saufer. / *Halt ist Peter ein Saufer.c. Du weißt es ganz genau. / *Es weißt Du ganz genau.d. Es wartet jemand auf Dich. / *Jemand wartet es auf

Dich. (‘es’ als Platzhalter)e. Ich fange morgen an. / *An fange ich morgen.f. Aber: Fest steht, dass...

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Wortabfolge im Mittelfeld

Freie Konstituentenabfolge im Mittelfeld (“Scrambling”):

Vorfeld LSK Mittelfeld RSK Nachfeld

Reisen wurde Frau S. im Sommer nach F. wollen –Reisen wurde im Sommer nach F. Frau S. wollen –Reisen wurde im Sommer Frau S. nach F. wollen –Reisen wurde Frau S. nach F. im Sommer wollen –Reisen wurde nach F. im Sommer Frau S. wollen –

Ist hier tatsachlich alles moglich?

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Wortabfolge im Mittelfeld

Wortabfolgetendenzen

Subjekt steht vor Objektgenauer: Subj. vor DatObj vor AkkObj

(6) a. Der Paul stellt der Maria die Susanne vor.b. ?Der Maria stellt die Susanne der Paul vor.

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Wortabfolge im Mittelfeld

Wortabfolgetendenzen

Thema vor Rhema (alte Information vor neuer)

(7) Wen hat Maria getroffen?

a. Ich glaube, dass die Maria den Peter getroffen hat.b. Ich glaube dass den Peter die Maria getroffen hat.

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Wortabfolgetendenzen

Belebt vor unbelebt

(8) a. Dem Kind hat das Medikament geholfen.b. Das Medikament hat dem Kind geholfen.

(9) a. #Dem Kind hat der Lehrer geholfen.b. Der Lehrer hat dem Kind geholfen.

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Wortabfolgetendenzen

Definit vor Indefinit

(10) a. Gestern hat Maria dem Kind ein Buch geschenkt.b. Gestern hat Maria das Buch einem Kind geschenkt.

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Wortabfolgetendenzen

Kurz vor langGesetz der wachsenden Glieder (Behagel 1932)

(11) a. Peter hat gestern sein Buch signiert.b. Peter hat gestern sein Buch, auf dessen

Veroffentlichung er schon so lange gewartet hat,signiert.

c. Peter hat gestern sein Buch signiert, auf dessenVeroffentlichung er schon so lange gewartet hat.

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Wortabfolgetendenzen

‘Wackernagelposition’ fur schwache Pronomina direkt hinter derLinken Satzklammer

(12) a. Gestern hat Maria der Dozentin den Berichtabgegeben.

b. Gestern hat sie der Dozentin den Berichtabgegeben.

c. Gestern hat ihr Maria den Bericht abgegeben.d. Gestern hat ihn Maria der Dozentin abgegeben.e. ??Gestern hat der Dozentin den Bericht sie

abgegeben.f. ??Gestern hat der Dozentin sie den Bericht

abgegeben.

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Und nun zu etwas vollig anderem...

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Historische Sprachwissenschaft

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Lekture

Meibauer et al. (2007). Einfuhrung in die germanistischeLinguistik. Metzler, Kap. VIII

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In ananginne uuas uuort itni thaz uuort uuas mit gote inti gotselbo uuas thaz uuort.

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Althochdeutsch, ca. 7. Jhd – 1050

In ananginne uuas uuort itni thaz uuort uuas mit gote inti gotselbo uuas thaz uuort.

Am Anfang war das Wort und das Wort war mit Gott und Gottselber war das Wort

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Althochdeutsch, ca. 7. Jhd – 1050

Vater unsir. du in himile bist. din namo werde giheiliget. dinriche chome. din wille giskehe in erda von mennisgen. also inhimile fon den engilen. Unsir tagelich prot gib uns hiuto. undeunsere sculde belazh uns. also ouh uuir firlazhen unserensculdenaren. unde in dia chorunga neleitist du unsih. suntirirlose unsih fona demo ubile. Amen.

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Mittelhochdeutsch, ca. 1050 – 1350

vater unser der da bist in den himeln. geheiliget wert din name.zuo kom din rich. din wille gewerde in der erden als in demhimele. unser tegelich brot gip uns hiute. unt vergip uns unserschulde, als wir vergeben unseren schuldigern. unt enleite unsnit in bekorunge, sunder verloese uns von ubele.

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Fruhneuhochdeutsch, ca. 1350 – 1650

Vnser vater ynn dem hymel. Deyn name sey heylig. Deyn reychkome. Deyn wille geschehe auff erden wie ynn dem hymele.Vnser teglich brott gib vnns heutt, vnd vergib vns vnsereschulde, wie wyr vnsernn schuldigern vergeben, vnd fure vnsnitt ynn versuchung, sondern erlose vns von dem vbel, denndeyn ist das reych, vnd die krafft, vnd die herlickeyt in ewickeyt.

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Neuhochdeutsch, ca. 1650 –

Aus einer Zeitungsmeldung vom 8.1.1863

[...] machte die Alte ihrem Mann den Vorschlag, die Dame zuermorden. Der Mann wollte davon nichts wissen, die Frausuchte ihn deshalb zu entfernen und schickte ihn fort,Branntwein zu holen. Jetzt warf sich die Alte uber das Madchenund schnitt ihr die Kehle ab. [...] Der Mann fiel in Wahnsinn,die Morderin ist im Gefangnis.

zitiert in Linke, Nussbaumer, Portmann(1996): Studienbuch

Linguistik, Niemeyer

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Sprachwandel

Sprache ist stetigem Wandel unterworfen.

In den obigen Beispielen ist mehr oder weniger deutlich zuerkennen, dass es sich um Varianten des Deutschen handelt.Offenbar sind gewisse Aspekte dieser Texte uber die Zeit stabil(nur so ist ein Wiedererkennen moglich). Andere Aspekte sindvon Veranderungen betroffen.

Was andert sich??

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Sprachwandel

Welche sprachlichen Aspekte sind von Wandel betroffen?

I Teilsysteme von Regeln und Einheiten fur die grammatischeKorrektheit von sprachlichen Ausdrucken (phonologische,morphologische, syntaktische, semantische Regeln).

I Teilsysteme von Regeln der pragmatischen Angemessenheitvon Ausdrucksverwendungen (in best. Textsorten,Situationen etc.)

I lexikalische Einheiten

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Neuhochdeutsch, ca. 1650 –

Aus einer Zeitungsmeldung vom 8.1.1863

[...] machte die Alte ihrem Mann den Vorschlag, die Dame zuermorden. Der Mann wollte davon nichts wissen, die Frausuchte ihn deshalb zu entfernen und schickte ihn fort,Branntwein zu holen. Jetzt warf sich die Alte uber das Madchenund schnitt ihr die Kehle ab. [...] Der Mann fiel in Wahnsinn,die Morderin ist im Gefangnis.

zitiert in Linke, Nussbaumer, Portmann(1996): Studienbuch

Linguistik, Niemeyer

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Neue Worter – aussterbende Worter

(13) email, chatten, simsen, Computer, Waschmaschine,faxen, googeln, Wiki, Blog, Internet, Web, LatteMacchiato

(14) furbass, Aussteuer, Geschmeide, Halunke, Kartatsche,Schrapnell

http://ngrams.googlelabs.com

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Lautwandel

Vereinfachungsprozesse: z.B.I Assimilation

I Kontaktassimilationmhd. tump – nhd. dumm;lamp – Lamm;zimber – Zimmer(kann auch als Tilgung des finalen Plosivs aufgefasstwerden)

I Fernassimilationmhd. altA , elt-iN – Alter;starchA, sterch-iN – StarkekraftN , kreft-igA – kraftig(Stammvokal assimiliert an Vokal des Suffix’ hinsichtlich derHohe – vgl. Vokalviereck!!)

I Tilgung / AbschwachungI alth. gibirgi – Gebirge

enti – Endelobon – lobenaus Vollvokal wird schwa

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1. Lautverschiebung (ab 500 v. Chr.)

Ubergang vom Proto-Indoeuropaischen zumProto-Germanischen

I stimmlose Plosive >stimmlose Frikative (p >f, t >T, k >h)

I stimmhafte Plosive >stimmlose Plosive ( b >p, d >t, g >k)

I stimmhafte behauchte Plosive >stimmhafte Plosive (bh

>b, dh >d, gh >g)

Romanische vs. Germanische Sprachen

I padre, pere – Vaterpor, pour – furciento, cent – Hundertcorazon, coeur – Herzgrano, grain – Korn

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2. Lautverschiebung (ab 500 n. Chr.)

niederdeutsch, englisch – oberdeutsch

Appel – Apfel; peper, pepper – Pfefferdat, wat, eten – das, was, essenTid – ZeitDag – Tagmaken – machen, ik – ichthorn, thistle – Dorn, Distel

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Morpho-Phonologischer Wandel

Ein besonderer Vogel: GrasmuckeEine morphologische Analyse des Wortes Grasmucke:

I synchron: Gras – mucke

I diachron: gra – smuckaein grau geschmuckter Vogel

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Morphologischer Wandel

Althochdeutsch NeuhochdeutschSingular Plural Singular Plural

Nom/Akk tag tag-a Tag Tag-eGen tag-es tag-o Tag-(e)s Tag-eDat tag-e tag-um Tag(e) Tag-e-nInstr tag-u

Wegfall von Morphemen – Zunahme von Synkretismen

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Morphologischer Wandel

Wegfall von Morphemen – Zunahme von Synkretismen

Wegfall des Instrumental-Kasus hat syntaktische Folgen.

Nutzung von Prapositionalphrasen

I Hans haut mit der Hand auf den Tisch

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Morphologischer Wandel

‘Verdunkelte’ Komposita

I *alja - landja (‘ausser Landes seiend’) >ahd.: elilenti>Elend

I mhd.: kirch-mess >Kirmes

I mhd.: junc-herre >Junker

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Morphologischer Wandel

WortbildungswandelFreie Morpheme im Althochdeutschen:

heit – ‘Person, Personlichkeit’scaf – ‘Beschaffenheit’scaft – ‘Schopfung’tuom – ‘Urteil’

Grammatikalisierung dieser Morpheme zu Wortbildungssuffixen(-heit, -schaft, -tum)

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Syntaktischer Wandel

weil-V2-Satze im heutigen Deutsch

I Peter ist nach Hause gegangen, weil er mude war.

I Peter ist nach Hause gegangen, weil er war mude.

I Peter ist nach Hause gegangen, weil seine Jacke hangt nichtmehr an der Garderobe.

I ?Peter ist nach Hause gegangen, weil seine Jacke nichtmehr an der Garderobe hangt.

I → Voranstellung nicht moglich!!*Weil er war mude ist Peter nach Hause gegangen.

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Syntaktischer Wandel

(15) Gegenwartsdeutsch

a. Das Haus der Freunde.b. *Der Freunde Haus.c. Annas Haus.

(16) Althochdeutsch

a. thaz uuirdit ginennit gotes barndas (dieses Kind) wird Gottes Sohn genannt

b. fona paradises bliidhnissavon der Freude auf das Paradies

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Semantischer Wandel

Marschall

Althochdt.: Pferdeknecht

Mhd.: hoherer stadt. Beamter

Nhd.: hoher milit. Rang

⇒ Bedeutungsverbesserung

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Knecht

mhd.: Knabe, junger Mann

nhd.: dienende mannliche Person (korperliche Arbeit)

⇒ Bedeutungsverschlechterung

Vergleiche englisch: knight

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geil

mhd.: lebensfroh

spater Bedeutungsverengung: sexuell erregt, sexuell attraktiv

in jungerer Zeit: Bedeutungserweiterung: allgemein attraktiv

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