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INTERVIEW: FRANZISKA AUGSTEIN F rank Stauss, Jahrgang 1965, hat von der Pike auf das Wahlkampfmachen gelernt. Erst als freiwilliger Plakate- kleber und Helfer in Deutschland, dann professionell in den USA. Seit 1993 arbeitet er für die Werbeagentur Butter und hat fast immer für SPD-Politiker Ideen umge- setzt, wie etwa für Kurt Beck, Hannelore Kraft, Olaf Scholz, Gerhard Schröder, Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier, Klaus Wowereit. Jetzt erzählt er seine Er- fahrungen in einem Buch, das in der nächs- ten Woche erscheint: „Höllenritt Wahl- kampf. Ein Insider-Bericht“ (dtv). Gewid- met ist das Buch „den Kandidaten, für und gegen die ich wahlkämpfen durfte“ und „al- len, die bei Wind und Wetter unbezahlt und angeraunzt für ihre Sache kämpfen“. SZ: In den 80er-Jahren, als deutsche Wahlkämpfe noch ziemlich handge- strickt waren, sagte ein amerikanischer Kampagnenspezialist: „Wenn ich will, wählen die Leute Micky Maus.“ Läuft das so, Herr Stauss? Frank Stauss: Nein. Zum Glück nicht. In Ih- rem Zitat zeigt sich die typische Selbstüber- schätzung der Branche. Schauen Sie sich den letzten US-Wahlkampf an: Mitt Rom- ney hat sogar mehr Geld eingesetzt als Oba- ma, aber es hat ihm nichts genützt. Wenn es um den Nummer-eins-Job geht, kommt ein Kandidat ohne Substanz nicht durch. In Ihrem Buch schreiben Sie: „Wahl- kampf ist der Höhepunkt der Kommuni- kation.“ Meinen Sie das ernst? Aber ja. Strategie, PR, Massen-Events, Wer- bung, Logistik, große Reden, TV-Duelle und die Mobilisierung Hunderttausender Freiwilliger, die sich bei Wind und Wetter in der Freizeit engagieren. Wo gibt es das sonst? Da dreht man das ganz große Rad – und am Ende reden alle über den Preis einer Flasche Pinot Grigio! Im Prinzip ba- lanciert man ständig ein rohes Ei. Zu einem guten Wahlkampf, haben Sie geschrieben, gehören „Schweinereien“. Bitte, was? Angriffe auf das Privatleben eines Kandida- ten, wie sie in den USA üblich sind, meine ich nicht. Das hat es in Deutschland eigent- lich nicht gegeben, seitdem Willy Brandt als uneheliches Kind und Vaterlandsverrä- ter schlechtgemacht wurde. Aber man muss Ausrutscher des Gegners nutzen und kann ihn hochnehmen. Wir haben einmal einen TV-Spot gemacht für Klaus Wowe- reit, der bestand nur aus Zitaten seines Konkurrenten Friedbert Pflüger. Wowe- reit habe dieses richtig gemacht, jenes rich- tig gesagt. Das haben wir zusammenge- schnitten und am Ende eingeblendet: „Dem haben wir nichts mehr hinzuzufü- gen – SPD.“ Nicht ganz fair, aber lustig. Wie und wann begann Ihre Karriere als Wahlkämpfer? Da war ich fünfzehn und ein Fan von Hel- mut Schmidt. Mein Vater hatte ein neues Auto gekauft, und er wollte da keine Aufkle- ber dran pappen haben. Also habe ich mich auf den Rücksitz gekniet und einen Pro- Schmidt-Sticker von innen gegen das Rückfenster gedrückt. Über jedes Winken, über jede Lichthupe habe ich mich wahn- sinnig gefreut. Sind Sie später in die SPD eingetreten? Ja, und meine Eltern haben mich ganz schnell wieder ausgetreten, weil ich noch nicht volljährig war. Meine Eltern hatten nichts gegen die SPD, aber sie meinten, in eine Partei geht man nicht. Das war das Erbe von früher, vielleicht. Viele meinten nach der NS-Zeit, dass man sich von Parteien fernhalten solle. Aber Sie wollten immer schon Wahl- kämpfer werden? Sie werden es nicht glauben, aber es gibt noch andere Irre da draußen, die Politik faszinierend finden. Polit-Kampagnen- Freaks, die gibt’s. In den USA haben Sie erlebt, wie man gu- ten Wahlkampf macht. Per Stipendium landete ich dort, habe mich beworben und durfte dann 1992 im Team von Al Gore mitmachen. Das war ganz anders als das, was ich zuvor in Bonn erlebt hatte: Im verschlurften Ollenhauer- Haus in Bonn konnten Sie mitten im Wahl- kampf am Freitagnachmittag niemanden mehr telefonisch erreichen. In Amerika ha- ben die Wahlkämpfer ihre eigenen Stühle mitgebracht, weil sie wussten: Alles Geld geht in die Kampagne. Das war mein Mek- ka: die Stringenz, die Perfektion, der En- thusiasmus. Und als Sie 1993 aus den USA zurück wa- ren, hatten Sie Mitleid mit der SPD? Ich hatte die Schnauze voll vom Verlieren. Also habe ich dem damaligen Hoffnungs- mann Björn Engholm 30 Seiten geschickt, auf denen ich erklärte, was man technisch tun müsse, um zu gewinnen. Und dann rief mich Werner Butter an, dessen Werbeagen- tur damals schon für die SPD arbeitete. Kann man auch Wahlkampf machen für eine Partei, die man nicht wählen mag? Ich arbeite nur für Leute, die ich gut finde. Aktuell für den österreichischen Vizekanz- ler Michael Spindelegger von der konserva- tiven ÖVP. Bevor ich den Auftrag annahm, habe ich mich ausführlich mit ihm unter- halten. Mir gefällt seine Haltung. Also ar- beite ich für ihn. Bei Ihren Unterhaltungen mit Ihren Kun- den gehen Sie gern ans Eingemachte. Sie schreiben, Sie wollten in den Vorgesprä- chen „zum Kern“ vordringen: Warum ha- be ein Kandidat sich früher einmal der Politik verschrieben? Was bringt das? Heutige Spitzenkandidaten sind meistens schon ziemlich lange im Geschäft. Die Leu- te sind in aller Regel schon jahrelang un- glaublichen Anfeindungen und Häme aus- gesetzt gewesen. Sie haben sich einen Pan- zer zugelegt. Da geht viel verloren. Ich muss den Kern freilegen, der diese Leute dazu bewogen hat, in die Politik zu gehen. Es bringt nichts, den Wählern irgendwel- che Ansichten vor den Kopf zu knallen. Nur wenn man die Geschichte des Kandidaten erzählen kann, wird sie glaubhaft. Neh- men Sie Peer Steinbrück: Der ist in die Poli- tik gegangen, weil er die soziale Ungleich- heit nicht hinnehmen wollte, das hat sich dann aber hinter seiner finanzpolitischen Kompetenz versteckt. Jetzt machen Sie gerade ein bisschen Wahlkampf, nicht wahr? Überhaupt nicht. Unsere Agentur ist für den jetzigen Wahlkampf nicht zuständig. Aber was wird Steinbrück vorgeworfen? Lauter Dinge, die alle in Ordnung sind. War- um soll er nicht Vorträge halten und damit Geld verdienen? Er hatte nicht damit ge- rechnet, als Kanzlerkandidat aufgestellt zu werden. Berlusconi ist ein Clown; ein Weißwein für fünf Euro ist vermutlich kein besonders guter Wein. Damit hat er doch recht. Für die Details interessieren die Leu- te sich übrigens gar nicht so sehr, sie verbu- chen nur: Der Steinbrück hat wieder mal einen Bock geschossen. Was läuft schief in der Kampagne für Steinbrück? Die Kandidatenkür war lausig vorbereitet. Das war so dilettantisch, dass einem die Worte fehlen. Monatelang standen drei Kandidaten zur Auswahl, Steinbrück, Steinmeier und Gabriel. Für jeden der drei hätte ein Drehbuch in der Schublade lie- gen müssen, sodass klar ist, was im Fall der Fälle zu tun ist. Dabei muss man darauf achten, dass die Stärken ausgespielt und die Schwächen korrigiert werden. Skizzieren Sie die Drehbücher. Wer die Aufmerksamkeit hat, muss die Menschen überraschen. Steinmeier, der ru- hende Pol, hätte mit lauter neuen Initiati- ven begeistern müssen, Gabriel ganz staatsmännisch beeindrucken können und Steinbrück als Finanzfachmann eine soziale Politik als wirtschaftliche Vernunft anpreisen müssen. Etwa so: Ich will Kanz- ler werden, weil dieses Land noch erfolgrei- cher wird, wenn es sozial gerecht regiert wird. Vom ersten Tag an. Stattdessen kam nur: Ich will Kanzler werden. Da sage ich: Toll – und warum? Der Anfang war völlig verstolpert und seither wird repariert. Sie meinen, Steinbrück hätte vorab klä- ren müssen, womit man ihm an den Kar- ren fahren könnte, und sich darauf vor- bereiten sollen? Mit seinen Honoraren war ja alles o.k. Aber das musste erst recherchiert werden – und das hat zu lange gedauert. Bei absehbarer Kritik muss man die Antworten haben, be- vor die Fragen gestellt werden. Eine Kam- pagne muss ihren Mann vorbereiten und schützen. In diesem Fall wäre das doch ge- gangen – anders als bei Guttenberg, den können Sie natürlich nicht präventiv fra- gen, ob er abgeschrieben hat. 2005 haben Sie und Ihre Agentur den Bundestagswahlkampf für die SPD ge- macht. Die SPD stand in der Wähler- gunst ganz unten. Wie Sie schreiben, hat- te die SPD es mit dem Hartz-IV-Pro- gramm dazu gebracht, als „Arbeitgeber- partei“ zu gelten. Die Ausgangslage war verheerend. Die SPD stand unter dem Trommelfeuer der Medien, die fast komplett auf den wirt- schaftlichen Neoliberalismus setzten. Und viele Wähler dachten dann: Na gut, viel- leicht muss diese Rosskur sein. Das mussten Sie umdrehen, wie haben Sie das gemacht? Aus unserer Meinungsforschung wussten wir, dass sehr viele Leute – anders als die Medien – für soziale Gerechtigkeit noch et- was übrig hatten. Merkel hingegen war ge- fühlt schon seit Wochen Kanzlerin und auf dem Trip, noch radikaler rangehen zu müs- sen. Sie bestellte Paul Kirchhof als Seiten- einsteiger. Seiteneinsteiger vor der Wahl berufen hat sich noch immer als fatal erwie- sen. Kirchhofs Steuerkonzept war so neoli- beral, dass wir damit gut arbeiten konnten. Dazu kam, dass Merkel die Erhöhung der Mehrwertsteuer ankündigte. Daraus machten Sie: „Merkelsteuer – das wird teuer“. Unsere TV-Spots mit Schröder tauschten wir aus gegen Spots mit normalen Leuten, einer Krankenschwester zum Beispiel. Da- mit das den Journalisten nicht auffiel und um die Unentschiedenen zu erreichen, setz- ten wir diese neuen Spots in den privaten TV-Sendern neben die Trash-Sendungen. Diese Sendungen sieht kein Journalist, des- halb hat auch keiner moniert, dass wir Schröder „abgesetzt“ hätten. Und da wur- de den Leuten dann vorgerechnet, wie viel Einkommen sie unter einer Kanzlerin Mer- kel verlieren würden. Das saß. Als Kanzlerin hat Merkel sich dann so- fort von ihrem Neoliberalismus verab- schiedet. Ja, das war zum Staunen. Am Wahlabend war sie fassungslos, das hat man im Fernse- hen sehen können. Und dann ist sie sofort umgeschwenkt. Auf was? Sie hat begriffen, dass sie verlassen ist, wenn sie sich auf ihre Meinungen verlässt. Seither hat sie keine Meinungen mehr. Nie- mand weiß, wofür sie eigentlich steht, selbst Vertraute scheinen es nicht zu wis- sen. Merkel hat sich zur Projektionsfläche gemacht. Liberale vermuten, sie sei gegen das Betreuungsgeld, dürfe es nur nicht sa- gen. Konservative sehen sie als Anhänge- rin. So ist es mit allem. Ist das nicht ein bisschen wenig? Für Sie und mich schon, aber nicht für die meisten anderen. Es hat in der Bundesre- publik nicht viele Reformzyklen gegeben. Unter Willy Brandt wurde viel verändert, Schmidt hatte vor allem mit der RAF zu tun, unter Kohl wäre ohne Vereinigung auch nicht viel passiert. Unter Gerhard Schröder gab es allerdings ein Feuerwerk an Reformen und Reformversuchen: Hartz IV, die neue außenpolitische Rolle Deutsch- lands, wie sie sich im Kosovo-Krieg zeigte, die doppelte Staatsbürgerschaft, die Homo- Ehe, den Atomausstieg, die Energiewende. Nach 2007 unter Merkel und Steinmeier die Bankenrettung, das Konjunkturpro- gramm. Nach Fukushima die Rückkehr zum Atomausstieg, der eigentlich abgebla- sen werden sollte. Von all dem sind die Leu- te ziemlich erschöpft. Sie wollen jetzt mal ’ne Runde Ruhe. Das bekommen sie von Frau Merkel. Die SPD wird bei den kommenden Wah- len nicht gewinnen? Es fehlen nur drei bis vier Prozent. Das ist nicht unmöglich viel. Steinbrück hat jetzt Tritt gefasst. Hat die neue Anti-EU-Partei, Alternative für Deutschland, eine Chance, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen? Die Partei hat weder einen charismati- schen Anführer noch hat sie eine Relevanz. Uns geht es doch gut. Wir Deutschen ha- ben ja nicht das Gefühl, dass nun gerade wir unter der Euro-Krise besonders litten. Die Alternative für Deutschland ist eine Partei von frustrierten alten Männern, so wie die Piratenpartei von frustrierten jun- gen Männern gegründet wurde. Beides Männersachen? Wie kommt das? Junge Männer haben zu viel Testosteron, alte Männer haben zu wenig. Beides ist frustrierend. In Ihrem Buch schreiben Sie sehr offen über Ihre Erfahrungen als Wahlkämp- fer. Fürchten Sie, dass Ihnen das bei künftigen politischen Kunden schaden könnte? Ich glaube, nein. Aber das werden wir se- hen. Bei sehr schwierigen Wahlkämpfen bekomme ich immer einen Hautaus- schlag. Ganz normal Werbung für Konsum- güter machen ist auch spannend – und ge- sünder. „Im Prinzip balanciert man ständig ein rohes Ei“ Ein Gespräch mit dem Wahlkampf-Fachmann Frank Stauss über die lausig vorbereitete Kampagne für Steinbrück und den Unterschied zwischen Schein und Sein PANORAMA DEFGH Nr. 92, Samstag/Sonntag, 20./21. April 2013 11 Wenn die Haltung stimmt, arbeitet Werbefachmann Frank Stauss auch mal für einen Konservativen. Am meisten Erfahrung gesammelt hat er in den vergangenen Jahren jedoch in den von ihm mitgestalteten SPD-Kampagnen (unten).FOTOS: OH Traditionelles Baltikum Estland, Lettland und Litauen – das Baltikum spiegelt eindrucksvoll die kulturelle Vielfalt Nordosteuropas wider. Dabei blickt die gesamte Region auf eine bewegte Vergangenheit zurück: Um 1230 errichteten die deutschen Ordensritter etwa auf dem Gebiet des heuti- gen Estland und Lettland einen eigenen Staat. Nach wechselnden Herrschaftseinflüssen geriet das Baltikum im 18. Jahrhundert unter die Regentschaft des russischen Zaren und bildete später von 1945 bis 1990 drei Teilrepubliken der Sowjetunion. Diese Epochen haben in allen drei Ländern gleichermaßen ihre kulturellen Spuren hinterlassen. Reisehöhepunkte Tallinn: In der estnischen Hauptstadt mit ihrem sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Zentrum sind unter anderem der Domberg und der Schlosspark zu besichtigen. Riga: Berühmt ist die Kapitale Lettlands für ihre schönen Jugendstilbauten, doch auch das Schloss, das Freiheitsdenkmal und das Opernhaus schmücken die Rigaer Altstadt. Kurische Nehrung: Landschaftlich bieten die Wanderdünen des Landstreifens einzig- artige Eindrücke. Im Badeort Nida ist das Sommerhaus Thomas Manns zu besichtigen. Vilnius: Barocke Kirchen und Prachtbauten prägen die charmante Hauptstadt Litauens. Eingeschlossene Leistungen: - Flug von München über Frankfurt nach Tallinn und zurück von Vilnius - 6 Übernachtungen in 4-Sterne-Hotels in Tallinn, Riga und Vilnius inklusive Frühstück - 4 Übernachtungen in einem 3-Sterne-Hotel in Nida inklusive Frühstück - 5 Abendessen in Hotels, 5 typische Abendessen außerhalb der Hotels - Deutsch sprechende Reiseleitung vor Ort im Doppelzimmer 1.995 € im Einzelzimmer 2.395 € Reisetermine: 05. bis 15. Juni und 10. bis 20. Juli 2013 Veranstalter: TUI Leisure Travel Special Tours GmbH, Wachtstraße 17 – 24, 28195 Bremen In Kooperation mit: Fotolia/zybilo Reisepreis pro Person Beratung und Prospekt: Telefon: 01805/00 41 13*, Mo.– Fr. 8–20 Uhr, Sa. 8–14 Uhr, (*dt. Inlandspreise Festnetz 14ct/Min., Mobilfunk max. 42 ct/Min.) Fax: 0421/322 68 89, E-Mail: [email protected], Internet: www.sz.de/leserreisen Persönlicher Kontakt: Hapag-Lloyd Reisebüro, Theatinerstraße 32, 80333 München

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INTERVIEW: FRANZISKA AUGSTEIN

F rank Stauss, Jahrgang 1965, hat vonder Pike auf das Wahlkampfmachengelernt. Erst als freiwilliger Plakate-

kleber und Helfer in Deutschland, dannprofessionell in den USA. Seit 1993 arbeiteter für die Werbeagentur Butter und hatfast immer für SPD-Politiker Ideen umge-setzt, wie etwa für Kurt Beck, HanneloreKraft, Olaf Scholz, Gerhard Schröder, PeerSteinbrück, Frank-Walter Steinmeier,Klaus Wowereit. Jetzt erzählt er seine Er-fahrungen in einem Buch, das in der nächs-ten Woche erscheint: „Höllenritt Wahl-kampf. Ein Insider-Bericht“ (dtv). Gewid-met ist das Buch „den Kandidaten, für undgegen die ich wahlkämpfen durfte“ und „al-len, die bei Wind und Wetter unbezahltund angeraunzt für ihre Sache kämpfen“.

SZ: In den 80er-Jahren, als deutscheWahlkämpfe noch ziemlich handge-strickt waren, sagte ein amerikanischerKampagnenspezialist: „Wenn ich will,wählen die Leute Micky Maus.“ Läuftdas so, Herr Stauss?Frank Stauss: Nein. Zum Glück nicht. In Ih-rem Zitat zeigt sich die typische Selbstüber-schätzung der Branche. Schauen Sie sichden letzten US-Wahlkampf an: Mitt Rom-ney hat sogar mehr Geld eingesetzt als Oba-ma, aber es hat ihm nichts genützt. Wennes um den Nummer-eins-Job geht, kommtein Kandidat ohne Substanz nicht durch.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Wahl-kampf ist der Höhepunkt der Kommuni-kation.“ Meinen Sie das ernst?Aber ja. Strategie, PR, Massen-Events, Wer-bung, Logistik, große Reden, TV-Duelleund die Mobilisierung HunderttausenderFreiwilliger, die sich bei Wind und Wetterin der Freizeit engagieren. Wo gibt es dassonst? Da dreht man das ganz große Rad –und am Ende reden alle über den Preiseiner Flasche Pinot Grigio! Im Prinzip ba-lanciert man ständig ein rohes Ei.

Zu einem guten Wahlkampf, haben Siegeschrieben, gehören „Schweinereien“.Bitte, was?Angriffe auf das Privatleben eines Kandida-ten, wie sie in den USA üblich sind, meineich nicht. Das hat es in Deutschland eigent-lich nicht gegeben, seitdem Willy Brandtals uneheliches Kind und Vaterlandsverrä-ter schlechtgemacht wurde. Aber manmuss Ausrutscher des Gegners nutzen undkann ihn hochnehmen. Wir haben einmaleinen TV-Spot gemacht für Klaus Wowe-reit, der bestand nur aus Zitaten seinesKonkurrenten Friedbert Pflüger. Wowe-reit habe dieses richtig gemacht, jenes rich-tig gesagt. Das haben wir zusammenge-schnitten und am Ende eingeblendet:„Dem haben wir nichts mehr hinzuzufü-gen – SPD.“ Nicht ganz fair, aber lustig.

Wie und wann begann Ihre Karriere alsWahlkämpfer?Da war ich fünfzehn und ein Fan von Hel-mut Schmidt. Mein Vater hatte ein neuesAuto gekauft, und er wollte da keine Aufkle-ber dran pappen haben. Also habe ich michauf den Rücksitz gekniet und einen Pro-Schmidt-Sticker von innen gegen dasRückfenster gedrückt. Über jedes Winken,über jede Lichthupe habe ich mich wahn-sinnig gefreut.

Sind Sie später in die SPD eingetreten?Ja, und meine Eltern haben mich ganzschnell wieder ausgetreten, weil ich nochnicht volljährig war. Meine Eltern hattennichts gegen die SPD, aber sie meinten, ineine Partei geht man nicht. Das war dasErbe von früher, vielleicht.

Viele meinten nach der NS-Zeit, dassman sich von Parteien fernhalten solle.Aber Sie wollten immer schon Wahl-kämpfer werden?Sie werden es nicht glauben, aber es gibtnoch andere Irre da draußen, die Politikfaszinierend finden. Polit-Kampagnen-Freaks, die gibt’s.

In den USA haben Sie erlebt, wie man gu-ten Wahlkampf macht.Per Stipendium landete ich dort, habemich beworben und durfte dann 1992 imTeam von Al Gore mitmachen. Das warganz anders als das, was ich zuvor in Bonn

erlebt hatte: Im verschlurften Ollenhauer-Haus in Bonn konnten Sie mitten im Wahl-kampf am Freitagnachmittag niemandenmehr telefonisch erreichen. In Amerika ha-ben die Wahlkämpfer ihre eigenen Stühlemitgebracht, weil sie wussten: Alles Geldgeht in die Kampagne. Das war mein Mek-ka: die Stringenz, die Perfektion, der En-thusiasmus.

Und als Sie 1993 aus den USA zurück wa-ren, hatten Sie Mitleid mit der SPD?Ich hatte die Schnauze voll vom Verlieren.Also habe ich dem damaligen Hoffnungs-mann Björn Engholm 30 Seiten geschickt,auf denen ich erklärte, was man technischtun müsse, um zu gewinnen. Und dann riefmich Werner Butter an, dessen Werbeagen-tur damals schon für die SPD arbeitete.

Kann man auch Wahlkampf machen füreine Partei, die man nicht wählen mag?Ich arbeite nur für Leute, die ich gut finde.Aktuell für den österreichischen Vizekanz-ler Michael Spindelegger von der konserva-tiven ÖVP. Bevor ich den Auftrag annahm,habe ich mich ausführlich mit ihm unter-halten. Mir gefällt seine Haltung. Also ar-beite ich für ihn.

Bei Ihren Unterhaltungen mit Ihren Kun-den gehen Sie gern ans Eingemachte. Sieschreiben, Sie wollten in den Vorgesprä-chen „zum Kern“ vordringen: Warum ha-be ein Kandidat sich früher einmal derPolitik verschrieben? Was bringt das?Heutige Spitzenkandidaten sind meistensschon ziemlich lange im Geschäft. Die Leu-te sind in aller Regel schon jahrelang un-glaublichen Anfeindungen und Häme aus-gesetzt gewesen. Sie haben sich einen Pan-zer zugelegt. Da geht viel verloren. Ichmuss den Kern freilegen, der diese Leutedazu bewogen hat, in die Politik zu gehen.Es bringt nichts, den Wählern irgendwel-che Ansichten vor den Kopf zu knallen. Nurwenn man die Geschichte des Kandidatenerzählen kann, wird sie glaubhaft. Neh-men Sie Peer Steinbrück: Der ist in die Poli-tik gegangen, weil er die soziale Ungleich-heit nicht hinnehmen wollte, das hat sichdann aber hinter seiner finanzpolitischenKompetenz versteckt.

Jetzt machen Sie gerade ein bisschenWahlkampf, nicht wahr?Überhaupt nicht. Unsere Agentur ist fürden jetzigen Wahlkampf nicht zuständig.Aber was wird Steinbrück vorgeworfen?Lauter Dinge, die alle in Ordnung sind. War-um soll er nicht Vorträge halten und damitGeld verdienen? Er hatte nicht damit ge-rechnet, als Kanzlerkandidat aufgestelltzu werden. Berlusconi ist ein Clown; einWeißwein für fünf Euro ist vermutlich keinbesonders guter Wein. Damit hat er dochrecht. Für die Details interessieren die Leu-te sich übrigens gar nicht so sehr, sie verbu-chen nur: Der Steinbrück hat wieder maleinen Bock geschossen.

Was läuft schief in der Kampagne fürSteinbrück?Die Kandidatenkür war lausig vorbereitet.Das war so dilettantisch, dass einem dieWorte fehlen. Monatelang standen dreiKandidaten zur Auswahl, Steinbrück,Steinmeier und Gabriel. Für jeden der dreihätte ein Drehbuch in der Schublade lie-gen müssen, sodass klar ist, was im Fall derFälle zu tun ist. Dabei muss man daraufachten, dass die Stärken ausgespielt unddie Schwächen korrigiert werden.

Skizzieren Sie die Drehbücher.Wer die Aufmerksamkeit hat, muss dieMenschen überraschen. Steinmeier, der ru-hende Pol, hätte mit lauter neuen Initiati-ven begeistern müssen, Gabriel ganzstaatsmännisch beeindrucken könnenund Steinbrück als Finanzfachmann einesoziale Politik als wirtschaftliche Vernunftanpreisen müssen. Etwa so: Ich will Kanz-ler werden, weil dieses Land noch erfolgrei-cher wird, wenn es sozial gerecht regiertwird. Vom ersten Tag an. Stattdessen kamnur: Ich will Kanzler werden. Da sage ich:Toll – und warum? Der Anfang war völligverstolpert und seither wird repariert.

Sie meinen, Steinbrück hätte vorab klä-ren müssen, womit man ihm an den Kar-ren fahren könnte, und sich darauf vor-bereiten sollen?

Mit seinen Honoraren war ja alles o.k. Aberdas musste erst recherchiert werden – unddas hat zu lange gedauert. Bei absehbarerKritik muss man die Antworten haben, be-vor die Fragen gestellt werden. Eine Kam-pagne muss ihren Mann vorbereiten undschützen. In diesem Fall wäre das doch ge-gangen – anders als bei Guttenberg, denkönnen Sie natürlich nicht präventiv fra-gen, ob er abgeschrieben hat.

2005 haben Sie und Ihre Agentur denBundestagswahlkampf für die SPD ge-macht. Die SPD stand in der Wähler-gunst ganz unten. Wie Sie schreiben, hat-te die SPD es mit dem Hartz-IV-Pro-gramm dazu gebracht, als „Arbeitgeber-partei“ zu gelten.Die Ausgangslage war verheerend. DieSPD stand unter dem Trommelfeuer derMedien, die fast komplett auf den wirt-

schaftlichen Neoliberalismus setzten. Undviele Wähler dachten dann: Na gut, viel-leicht muss diese Rosskur sein.

Das mussten Sie umdrehen, wie habenSie das gemacht?Aus unserer Meinungsforschung wusstenwir, dass sehr viele Leute – anders als dieMedien – für soziale Gerechtigkeit noch et-was übrig hatten. Merkel hingegen war ge-

fühlt schon seit Wochen Kanzlerin und aufdem Trip, noch radikaler rangehen zu müs-sen. Sie bestellte Paul Kirchhof als Seiten-einsteiger. Seiteneinsteiger vor der Wahlberufen hat sich noch immer als fatal erwie-sen. Kirchhofs Steuerkonzept war so neoli-beral, dass wir damit gut arbeiten konnten.Dazu kam, dass Merkel die Erhöhung derMehrwertsteuer ankündigte.

Daraus machten Sie: „Merkelsteuer –das wird teuer“.Unsere TV-Spots mit Schröder tauschtenwir aus gegen Spots mit normalen Leuten,einer Krankenschwester zum Beispiel. Da-mit das den Journalisten nicht auffiel undum die Unentschiedenen zu erreichen, setz-ten wir diese neuen Spots in den privatenTV-Sendern neben die Trash-Sendungen.Diese Sendungen sieht kein Journalist, des-halb hat auch keiner moniert, dass wirSchröder „abgesetzt“ hätten. Und da wur-de den Leuten dann vorgerechnet, wie vielEinkommen sie unter einer Kanzlerin Mer-kel verlieren würden. Das saß.

Als Kanzlerin hat Merkel sich dann so-fort von ihrem Neoliberalismus verab-schiedet.Ja, das war zum Staunen. Am Wahlabendwar sie fassungslos, das hat man im Fernse-hen sehen können. Und dann ist sie sofortumgeschwenkt.

Auf was?Sie hat begriffen, dass sie verlassen ist,wenn sie sich auf ihre Meinungen verlässt.Seither hat sie keine Meinungen mehr. Nie-mand weiß, wofür sie eigentlich steht,selbst Vertraute scheinen es nicht zu wis-sen. Merkel hat sich zur Projektionsflächegemacht. Liberale vermuten, sie sei gegendas Betreuungsgeld, dürfe es nur nicht sa-gen. Konservative sehen sie als Anhänge-rin. So ist es mit allem.

Ist das nicht ein bisschen wenig?Für Sie und mich schon, aber nicht für diemeisten anderen. Es hat in der Bundesre-publik nicht viele Reformzyklen gegeben.Unter Willy Brandt wurde viel verändert,Schmidt hatte vor allem mit der RAF zutun, unter Kohl wäre ohne Vereinigungauch nicht viel passiert. Unter GerhardSchröder gab es allerdings ein Feuerwerkan Reformen und Reformversuchen: HartzIV, die neue außenpolitische Rolle Deutsch-lands, wie sie sich im Kosovo-Krieg zeigte,die doppelte Staatsbürgerschaft, die Homo-Ehe, den Atomausstieg, die Energiewende.Nach 2007 unter Merkel und Steinmeierdie Bankenrettung, das Konjunkturpro-gramm. Nach Fukushima die Rückkehrzum Atomausstieg, der eigentlich abgebla-sen werden sollte. Von all dem sind die Leu-te ziemlich erschöpft. Sie wollen jetzt mal’ne Runde Ruhe. Das bekommen sie vonFrau Merkel.

Die SPD wird bei den kommenden Wah-len nicht gewinnen?Es fehlen nur drei bis vier Prozent. Das istnicht unmöglich viel. Steinbrück hat jetztTritt gefasst.

Hat die neue Anti-EU-Partei, Alternativefür Deutschland, eine Chance, über dieFünf-Prozent-Hürde zu kommen?Die Partei hat weder einen charismati-schen Anführer noch hat sie eine Relevanz.Uns geht es doch gut. Wir Deutschen ha-ben ja nicht das Gefühl, dass nun geradewir unter der Euro-Krise besonders litten.Die Alternative für Deutschland ist einePartei von frustrierten alten Männern, sowie die Piratenpartei von frustrierten jun-gen Männern gegründet wurde.

Beides Männersachen? Wie kommt das?Junge Männer haben zu viel Testosteron,alte Männer haben zu wenig. Beides istfrustrierend.

In Ihrem Buch schreiben Sie sehr offenüber Ihre Erfahrungen als Wahlkämp-fer. Fürchten Sie, dass Ihnen das beikünftigen politischen Kunden schadenkönnte?Ich glaube, nein. Aber das werden wir se-hen. Bei sehr schwierigen Wahlkämpfenbekomme ich immer einen Hautaus-schlag. Ganz normal Werbung für Konsum-güter machen ist auch spannend – und ge-sünder.

„Im Prinzip balanciert manständig ein rohes Ei“

Ein Gespräch mit dem Wahlkampf-Fachmann Frank Staussüber die lausig vorbereitete Kampagne für

Steinbrück und den Unterschied zwischen Schein und Sein

PANORAMADEFGH Nr. 92, Samstag/Sonntag, 20./21. April 2013 11

Wenn die Haltung stimmt, arbeitet Werbefachmann Frank Stauss auch malfür einen Konservativen. Am meisten Erfahrung gesammelt hat er in den vergangenen

Jahren jedoch in den von ihm mitgestalteten SPD-Kampagnen (unten).FOTOS: OH

Traditionelles BaltikumEstland, Lettland und Litauen – das Baltikum spiegelt eindrucksvoll die kulturelle Vielfalt Nordosteuropas wider. Dabei blickt die gesamte Region auf eine bewegte Vergangenheit zurück: Um 1230 errichteten die deutschen Ordensritter etwa auf dem Gebiet des heuti-gen Estland und Lettland einen eigenen Staat. Nach wechselnden Herrschaftseinfl üssen geriet das Baltikum im 18. Jahrhundert unter die Regentschaft des russischen Zaren und bildete später von 1945 bis 1990 drei Teilrepubliken der Sowjetunion. Diese Epochen haben in allen drei Ländern gleichermaßen ihre kulturellen Spuren hinterlassen.

Reisehöhepunkte Tallinn: In der estnischen Hauptstadt mit ihrem sehr gut erhaltenen mittelalterlichen Zentrum sind unter anderem der Domberg und der Schlosspark zu besichtigen.Riga: Berühmt ist die Kapitale Lettlands für ihre schönen Jugendstilbauten, doch auch das Schloss, das Freiheitsdenkmal und das Opernhaus schmücken die Rigaer Altstadt.Kurische Nehrung: Landschaftlich bieten die Wanderdünen des Landstreifens einzig-artige Eindrücke. Im Badeort Nida ist das Sommerhaus Thomas Manns zu besichtigen.Vilnius: Barocke Kirchen und Prachtbauten prägen die charmante Hauptstadt Litauens.

Eingeschlossene Leistungen:

- Flug von München über Frankfurt nach Tallinn und zurück von Vilnius- 6 Übernachtungen in 4-Sterne-Hotels in Tallinn, Riga und Vilnius inklusive Frühstück- 4 Übernachtungen in einem 3-Sterne-Hotel in Nida inklusive Frühstück- 5 Abendessen in Hotels, 5 typische Abendessen außerhalb der Hotels- Deutsch sprechende Reiseleitung vor Ort

im Doppelzimmer 1.995 €

im Einzelzimmer 2.395 €

Reisetermine: 05. bis 15. Juni und 10. bis 20. Juli 2013

Veranstalter: TUI Leisure Travel Special Tours GmbH, Wachtstraße 17 – 24, 28195 Bremen

In Kooperation mit:

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Reisepreis pro Person

Beratung und Prospekt:Telefon: 01805/00 41 13*, Mo.–Fr. 8–20 Uhr, Sa. 8–14 Uhr, (*dt. Inlandspreise Festnetz 14ct/Min., Mobilfunk max. 42 ct/Min.)Fax: 0421/322 68 89, E-Mail: [email protected], Internet: www.sz.de/leserreisenPersönlicher Kontakt: Hapag-Lloyd Reisebüro, Theatinerstraße 32, 80333 München